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nucmag.com 2019 10 Neutrons for Research, Engineering and Medicine in Germany Status and Scientific Use of the Triga Research Reactor The DIW Paper on „Expensive and Dangerous“ Nuclear Energy under Review ISSN · 1431-5254 24.– € Save the Date: 5 – 6 May 2020
atw Vol. 64 (2019) | Issue 10 ı October Das DIW-Papier über die „teure und 469 gefährliche“ Kernenergie auf dem Prüfstand E N E R G Y P O L I C Y, E C O N O M Y A N D L A W Anna Veronika Wendland und Björn Peters Abstract Ende Juli 2019 veröffentlichte eine Wissenschaftlergruppe des DIW Berlin ein weithin beachtetes Papier, das davor warnt, die Kernenergie als Instrument zur Senkung der CO2-Emissionen in der Energiewirtschaft zu nutzen. [1] Zu teuer und zu gefährlich sei die Nutzung von Kernkraftwerken. Der wahre Grund für die Nutzung der Kernenergie sei ihr militärisches Potenzial. Mit seinem Papier reagierte das DIW auf die neuerdings auflebende Kontroverse um die Krise der Energiewende, die Folgen des deutschen Atomausstiegs und die Rolle der Kernenergie in einer weltweiten Klimastrategie. In diesem Beitrag werden die gebauten 674 Atomkraftwerke zeigt, beschrieben wird? Die DIW-Experten Argumente der DIW-Studie einer dass privatwirtschaftliche Motive von beantworten diese Frage, ganz kritischen Prüfung unterzogen und Anfang an keine Rolle gespielt haben, konform mit der Politik der Bundes sowohl die Berechnungen untersucht sondern militärische Interessen.“ [3] regierung, mit Nein. Ihre Argumente: als auch die wirtschafts- und technik- Mit diesem Papier reagiert das DIW Erstens sei Kernenergienutzung viel historischen Annahmen des DIW nach eigenen Angaben [4] auf die neu- zu teuer. Zweitens sei die Kernenergie sowie seine Aussagen zur Reaktor erdings intensiver geführte Diskussion überhaupt nur in der Welt, weil sicherheit geprüft. Im Ergebnis ist um die Krise der Energiewende und militärische Motive Staaten dazu festzustellen, dass das DIW-Papier in um die Rolle der Kernenergie in einer bewogen hätten, Kernkraftwerke diesen zentralen Punkten gegen die weltweiten Klimastrategie. Politiker, wider jeden ökonomischen Sachver- Standards guten wissenschaftlichen Medien und Atomgegner zitieren stand zu betreiben. Und drittens seien Arbeitens verstößt. Die Autoren die DIW-Publikation nun als ab Kernkraftwerke zu gefährlich. können ihr Ergebnis nur erzielen, weil schließendes wissenschaftliches Ver- Lediglich für das erste Argument – Forschungsdaten und Forschungs dikt über die Kernenergie – allerdings das betriebs- und energiewirtschaft literatur selektiv aufbereitet, aktuelle ungeprüft. Besonders die Behauptung liche Argument zu den Kosten der Forschungsstände nicht rezipiert und des DIW, es habe „alle Atomkraft Kernenergie – besitzt das DIW Haus- Sachverhalte fehlerhaft dargestellt werke“ einer genauen Analyse unter- expertise und wartet mit eigenen wurden. In wesentlichen inhaltlichen zogen, wird als innovatives Argument Berechnungen auf. In den Bereichen Punkten und in der Wortwahl folgt wahrgenommen. [5] Kernenergiegeschichte, Reaktor- und das DIW unkritisch den Narrativen Gleichwohl erinnert bereits die Proliferationssicherheit sowie Strah der Anti-Atom-Bewegung. apodiktische und alarmistische Titel- lenbiologie, den Gegenstandsbe An die Stelle eines solchen aktivis- wahl der Autoren mehr an die Diktion reichen des zweiten und dritten tischen Ansatzes sollte eine evidenz- der Anti-Atom-Bewegung als an jene Arguments, betreiben die Autoren basierte, technologieneutrale inter der nüchternen Wissenschaft. Der ausweislich ihrer Publikationslisten nationale Diskussion über die Instru- hohe Ton der Anti-Atom-Demonstra- [9] keine eigene Forschung und mente einer guten Klimastrategie tionen kennzeichnet auch ein vom beschränken sich daher auf das treten. Diese sollte die Kernenergie DIW publiziertes Interview mit dem Zitieren von Forschungsliteratur und einschließen, so wie es auch der Welt- Studien-Mitautor Christian von anderen Publikationen. klimarat IPCC tut. Hirschhausen. [6] Es besteht daher Die Aufgabe einer sachlich- Grund zu der Annahme, dass das kritischen Überprüfung ist folglich, Einleitung: DIW-Papier keineswegs unvorein die DIW-Berechnungen für das Gegenstand und Vorgehen genommen vorgeht. Taugt es also als Argument 1 auf Methodik und Ende Juli 2019 veröffentlichte eine Referenz in einer evidenzbasierten Plausibilität zu prüfen sowie im Falle Autorengruppe des Deutschen Insti- Diskussion über einen klimafreund der sekundärliteratur-basierten Argu- tuts für Wirtschaftsforschung e. V. lichen Energiemix? Um diese Frage mente 2 und 3 zu untersuchen, auf (DIW Berlin) ein Papier, das davor zu beantworten, muss das Papier welchem Wege die Autoren des warnt, die Kernenergie als Instrument einer Prüfung nach wissenschaft Papiers zu ihren Aussagen kommen zur Senkung der CO2-Emissionen in lichen Kriterien unterzogen werden. und ob diese durch den Forschungs- der Energiewirtschaft zu nutzen. „Zu Im Zentrum des DIW-Textes, der stand gut begründet sind. Das ist teuer und gefährlich“ sei der Betrieb sich selber mal als „betriebswirt- der Gegenstand der Abschnitte 1 bis 3. von Kernkraftwerken. [2] schaftliche und wirtschaftshistorische Im Abschnitt 4 folgt eine generelle „Die Ergebnisse zeigen, dass Atom- Analyse“, mal als „Studie“ präsentiert Einordnung und Kritik des DIW- kraft aufgrund radioaktiver Strahlung [7], stehen eine Frage, eine Antwort Ansatzes im systemischen Kontext für über eine Millionen Jahre mit und drei Argumente. Die Frage lautet: von Energiewirtschaften. Im fünften nichten als „sauber“ bezeichnet werden Sollte die Kernenergienutzung eine Abschnitt folgt ein Fazit. kann, sondern für Mensch und Umwelt Rolle bei der Dekarbonisierung unse- gefährlich ist. Zudem fallen hohe rer Industriegesellschaft spielen, so 1 „Atomkraft ist zu teuer“ Risiken bezüglich Proliferation an. wie es auch in den IPCC-Szenarien für In der Einleitung zum Papier behaup- Eine empirische Erhebung aller jemals die Erreichung von Klimazielen [8] ten die DIW-Autoren, sie hätten „eine Energy Policy, Economy and Law Das DIW-Papier über die „teure und gefährliche“ Kernenergie auf dem P rüfstand ı Anna Veronika Wendland und Björn Peters
atw Vol. 64 (2019) | Issue 10 ı October empirische Erhebung aller jemals über konkret geflossene staatliche welchen Ertrag in Form von ver- gebauten 674 Atomkraftwerke“ durch- Fördersummen, Stromgestehungskos- kaufter Energie (Strom, Wärme) 470 geführt, die zeige, „dass privatwirt- ten oder Jahresvolllaststunden – sie in Relation zu den Investitions schaftliche Motive von Anfang an Daten, die man eigentlich bräuchte, kosten einbringt. Wenn ein Kraft- keine Rolle gespielt haben, sondern um dem Anspruch einer wie behaup- werk also viel Energie verkauft, militärische Interessen.“ [10] Es folgt tet umfassenden historischen „empiri- rechnet sich auch eine hohe Inves- E N E R G Y P O L I C Y, E C O N O M Y A N D L A W eine eigene Berechnung des Netto schen Analyse“ zu genügen. Lediglich tition. Andererseits kann ein Kraft- barwerts von KKW-Investitionen, die für heute geplante oder im Bau werk trotz eines optisch niedrigen man durch Eingabe von Variablen in befindliche Anlagen nennt das DIW Anlagenpreises unrentabel sein, ein Monte-Carlo-Analyseprogramm detailliertere Angaben zu „aktuellen nämlich wenn es nur wenig oder erzeugt hat. Alle Kombinationen Kostenschätzungen“ und gibt dazu im Extremfall gar keine Energie dieser Variablen ergeben laut DIW auch weiterführende Literatur an. verkauft. deutlich negative Nettobarwerte [16] Um diesen Wert, die spezifischen zwischen den Extremwerten 1,5 bis Die eigentliche Berechnung, die das Investitionskosten, zu ermitteln, 8,9 Milliarden Euro Verlust. [11] Es ist DIW selbst durchführt, beruht daher dividiert man die Gesamtin diese anspruchsvoll klingende Kom gar nicht auf historischen Primärdaten vestition durch die Anzahl der bination von historischer Empirie, aus der zitierten Datensammlung, erwartbar während eines Jahres Berechnung von Neuinvestitionen sondern aus selbst – und teilweise will abgesetzter Kilowattstunden (die und stochastischer Methode, die bei kürlich – angesetzten Parametern, die sogenannte „Jahresarbeitsstunde“) fachlich nicht vorgebildeten Lesern in das Monte-Carlo-Programm einge- und erhält eine Angabe in EUR/ den Eindruck erzeugt, hier werde geben werden. Gleichwohl suggerieren (kWh·a). Dazu muss man die erstmals die globale Kernenergiewirt- die Autoren, diese Parameter seien Auslastung der Anlage („Volllast- schaft in Vergangenheit und Gegen- empirisch und historisch wohl be stunden“) kennen, angegeben in wart mit wissenschaftlicher Methodik gründet und hätten etwas mit der MWh/MW oder kurz in h/a, also auf Herz und Nieren geprüft. Datensammlung zu tun. die insgesamt ins Stromnetz Die Autoren stützen sich dabei auf Allerdings lassen die vom DIW eingespeiste Energie eines Jahres das empirische Material einer „Data gewählten Verfahren grundsätzliche dividiert durch die Kapazität der Documentation“ des DIW von 2018 Zweifel aufkommen, ob dort die Anlage. über Kernkraftwerke weltweit, an der Methoden der Investitionsrechnung Ausgerechnet dieser für die Inves zwei der jetzigen Autoren mitge in der Energiewirtschaft beherrscht titionsrechnung jedes Kraftwerks arbeitet haben. [12] Flankiert wird werden, was sich an vielen Einzelhei- wesentliche Parameter der Aus dieser Argumentationskern von Refe- ten zeigt. Dazu haben wir eine Investi- lastung fehlt jedoch im DIW- renzen auf Fach- und andere Literatur. tionsrechnung erstellt, um die Ergeb- Papier. Dies lässt befürchten, dass Hier fällt ein hoher Anteil atom nisse des DIW zu reproduzieren. Als das DIW über keine hinreichenden kritischer Quellen auf, darunter auch Vorlage diente ein Muster, das einer Kenntnisse und Erfahrungen in nichtwissenschaftliche Publikationen der Verfasser [17] in der Praxis häufig Investitionsrechnung für alle Arten aus der Anti-Atom-Szene. [13] Die eingesetzt hat und das vielfach von von Erzeugungsanlagen für elek DIW-Aussage „Weitere Studien haben Wirtschaftsprüfern testiert ist. Die trische Energie verfügt. in jüngerer Zeit die mangelnde Wett- Frage ist nun: Wenn die Regeln der pp Das DIW ermittelt die Wirtschaft bewerbsfähigkeit der Atomenergie Berechnung der Wirtschaftlichkeit lichkeit einer Investition in Kern bestätigt“ wird jedoch mit zwei (z. B. der IAS [18]) berücksichtigt kraftwerke anhand des Nettobar Literaturbelegen versehen, die diesen werden, welche Annahmen müssen werts (net present value, NPV Schluss überhaupt nicht zulassen. dann getroffen werden, um die Ergeb- [20]). Als wichtigste Erfolgskenn- [14] nisse des DIW zu reproduzieren? zahl dient in der Investitionsrech- Als empirische Hauptquelle nutzen Dieses Verfahren nennt sich Reverse nung indes nicht der Nettobarwert, die Autoren die DIW-eigene Daten- Engineering und wird häufig ange- sondern die interne Verzinsung des sammlung. Sie ist, abgesehen von wandt bei der Due Diligence von Unter- eingesetzten Kapitals (interner einem Überblick über Diffusions nehmen, also bei dessen sorgfältiger Zinsfuß, internal rate of return, phasen und -typen der Kernenergie- Überprüfung vor Kauf oder vor der IRR [21]). Diese Kennzahl erwähnt technik, ein unspektakuläres Werk. Gründung von Gemeinschaftsunter- das DIW nicht. Der Nettobarwert Sie gibt, nach Ländern geordnet, Aus- nehmen. Wir untersuchen also im bedarf zur Berechnung der IRR kunft über Standorte, Reaktortypen, Folgenden die Sinnhaftigkeit der vom eines zusätzlichen Zinsparameters, Blockleistung, Laufzeiten, die mit DIW getroffenen Annahmen. Dort, wo der willkürlich gewählt werden Informationen über die Entwicklung das DIW keine Aussagen über not muss, und den das DIW ebenfalls der einzelnen Atomwirtschaften wendige Annahmen macht, treffen simuliert: die gewichteten Kapital angereichert werden. Diese Daten wir eigene auf Basis von Industrie- kosten oder WACC (Weighted beziehen die Autoren nicht aus Pri- standards. Average Cost of Capital). In der Tat märquellen, sondern aus Überblicks- Vorab einige grundlegende Bemer- treffen Firmen Investitionsent darstellungen anderer Autoren sowie kungen über die Methodik des DIW. scheidungen durch den Vergleich statistischen Angaben von Organisa- pp Als relevanten Parameter zur des IRR einer spezifischen Investi- tionen wie der IAEA. Es wurden Darstellung der Investitionskosten tion mit ihren Kapitalkosten. Der keine einzelnen Anlagen einer tieferen setzt das DIW den Anlagenpreis an. NPV ist dabei nur eine unterge Analyse unterzogen, etwa auf Grund- Ob ein Kraftwerk als „teuer“ oder ordnete Hilfsgröße. lage von Geschäftsberichten. Wir „billig“ anzusehen ist, lässt sich pp Mehrere zentrale Berechnungs finden in der Publikation nur für sehr aber nicht allein am Anlagenpreis parameter werden vom DIW wenige Anlagen Informationen über ablesen. Entscheidend ist, wie sich nicht angegeben. Die fehlende An- Baukosten [15], und keine Angaben die getätigte Investition rentiert, gabe über die Anzahl der Energy Policy, Economy and Law Das DIW-Papier über die „teure und gefährliche“ Kernenergie auf dem P rüfstand ı Anna Veronika Wendland und Björn Peters
atw Vol. 64 (2019) | Issue 10 ı October Volllaststunden wurde bereits er- 30–35 Prozent Wirkungsgrad, ca. eine Laufzeit von 60 Jahren aus- wähnt. Von zentraler Bedeutung 100–140 EUR/MWh Gestehungs- gelegt, auch hier mit der Option 471 für die Berechnung des Nettobar kosten) den Hauptteil der Strom auf Verlängerung. [29] Die längere werts oder des IRR einer Investi- versorgung übernehmen in allen Laufzeit spielt für die Wirtschaft tion sind auch Annahmen über Jahresstunden, in denen Solar- und lichkeit vor allem dann eine a. die allgemeine Windenergie nicht genügend Strom wesentliche Rolle, wenn Preis- E N E R G Y P O L I C Y, E C O N O M Y A N D L A W Preissteigerungsrate, liefern. steigerungsraten im Rahmen der b. die Bauzeit und Nach unseren Simulationen betrifft allgemeinen Inflationserwartung den Baufortschritt, dies selbst bei rechnerischer Voll- eingerechnet werden, und wenn c. Abschreibungsregeln und versorgung aus Sonne und Wind niedrige Abzinsungsfaktoren für d. die Unternehmensbesteuerung. etwa 6.000 der insgesamt 8.760 künftige Zahlungsströme ange pp Zusätzlich ist betriebswirtschaft- Jahresstunden. In der weit über- nommen werden. lich relevant, ob und wie ein Kraft- wiegenden Zeit des Jahres wären Die oben genannten Punkte doku- werksbetreiber neben eigenem damit die Gaskraftwerke preis mentieren, dass das DIW Verfahren Geld („Eigenkapital“) auch Fremd- setzend. Alle seriösen Schätzungen verwendet, die fern von der energie- kapital in Form von Bankdarlehen für einen Strompreis ab Mitte der wirtschaftlichen Praxis sind. oder Unternehmensanleihen zur 2020er-Jahre gehen daher von Um nun die Methodik des DIW zu Finanzierung der Investitionen mittleren Strompreisen von 80– überprüfen, haben wir den einzigen einsetzt. Dieser Faktor wurde von 120 EUR/MWh aus. Hierin noch Fixpunkt in den DIW-Berechnungen den DIW-Autoren ignoriert. nicht eingerechnet sind die Kosten als Vergleich herangezogen. Dies ist Im Detail wurden die vom DIW ange- künftiger CO2-Besteuerung oder der Nettobarwert (NPV) von minus gebenen und gewählten Parameter in CO2-Emissionshandels, die je nach 1,5 Milliarden Euro als „bestes“ Ergeb- einigen Fällen sehr willkürlich und politischer Strategie weitere 20– nis der DIW-Simulation, das sich ohne Bezug zur heutigen Investitions- 150 EUR/MWh an Zusatzkosten ergibt bei genannten Investitionspara- praxis, aber auch ohne historische verursachen können. metern von vier Milliarden Euro Kontextualisierung gewählt. 2. Die DIW-Autoren berücksichtigen Errichtungskosten für ein Kernkraft- 1. Der Parameterbereich für die weder Rückbau- noch End- werk mit 1.000 MW elektrischer Simulation des Ertrags je Mega- lagerungskosten, was unüblich ist. Leistung, 80 Euro je Megawattstunde wattstunde des KKW-Betreibers Diese sind gesetzlich während der Verkaufserlös und 4 Prozent an beginnt bei 20 EUR/MWh und gesamten Betriebszeit in Form von gewichteten Kapitalkosten (WACC) endet bei 80 EUR/MWh. Dies ist Rücklagen aufzubauen und stehen für das Betreiberunternehmen. [30] zwar eine historisch korrekte, aber für keine anderen Zwecke zur Neben den von den DIW-Autoren praxisferne Angabe. Marktteil Verfügung. genannten Investitionsparametern nehmer wissen, dass die Unter- 3. Kein Kernkraftwerk darf ohne eine sind für die Investitionsrechnung grenze, ab der andere thermische ausreichende Vorsorge für die jedoch weitere Parameter relevant, die Kraftwerke profitabel werden, bei Erfüllung gesetzlicher Schadens die Autoren nicht nennen. Im Rahmen etwa 50 EUR/MWh beginnt. [24] ersatzverpflichtungen (Deckungs von Reverse Engineering haben wir für Dies gilt für Kohlekraftwerke; vorsorge) in Schadensverläufen, diese Parameter Annahmen getroffen, Gas- und Ölkraftwerke liegen noch die ein Kernkraftwerk durchlaufen die so gewählt sind, dass sie mit den deutlich teurer, und CO2-Preise kann, betrieben werden. [25] Die quantitativen Angaben des DIW- sind hierin noch nicht eingerech- DIW-Autoren behaupten das Papiers übereinstimmen. Mit allge- net. Dass Großhandelspreise unter Gegenteil [26], führen dafür je- mein gängigen Methoden der Investi- 20 EUR/MWh vor zwanzig Jahren doch keine wissenschaftlichen tionsrechnung haben wir das DIW- nicht zur Insolvenz der Energie Quellen an, sondern ein von der Ergebnis reproduziert und dazu versorger führten, liegt daran, dass Erneuerbaren-Lobby in Auftrag diejenigen Parameter errechnet, die die Gestehungskosten damaliger gegebenes Gutachten. Dieses ver- die DIW-Studie nicht explizit nennt, Kohle- und Kernkraftwerke deut wendet Schadensszenarien weit aber notwendigerweise in die Model- lich niedriger lagen als heute. jenseits dessen, was in der seriösen lierung des Nettobarwerts einfließen Die obere Ertragsgrenze für Grund- Literatur angenommen wird, und müssen. Um zum gleichen Ergebnis laststrom wird von den DIW-Auto- kommt dadurch hypothetisch zu wie die DIW-Autoren zu kommen, ren unterschätzt. Gerade in exorbitant hohen Versicherungs ergaben sich für diese Parameter Deutschland würden bei einem kosten, die in der Praxis irrelevant jedoch Werte, die in der Investitions- weiteren Ausbau der Solar- und sind. [27] praxis irrelevant sind. Windenergie und nach einem Gegen die energietechnische Kom- Im Folgenden nennen wir für gelungenen Kohleausstieg als zuver- petenz der DIW-Autoren spricht, sieben Parameter, für die die DIW- lässige Stromerzeuger im wesent dass sie als Laufzeit eines Leis Studie keine Angaben macht, jeweils lichen nur Gaskraftwerke übrig blei- tungskernreaktors 40 Jahre zu- die Werte, die diese Parameter ben, um den Zusammenbruch der grunde legen. [28] Erfahrungs- annehmen müssen, um zum DIW- Stromversorgung zu vermeiden. Da gemäß lassen sich Kernkraftwerke Ergebnis zu führen. Die DIW-Autoren die sehr effizienten Gas- und Dampf- jedoch weit länger sicher betrei- werden bei ihrer Simulation folglich kraftwerke (GuD, bis zu 60 Prozent ben. Ein ausreichendes Niveau an explizit oder implizit mit diesen von Wirkungsgrad, ca. 60 bis 80 EUR/ Wartungs- und Reinvestitions- uns vermuteten Parameterwerten MWh Gestehungskosten) nicht budgets vorausgesetzt, können sie gearbeitet haben. Dem stellen wir flexibel genug auf Laständerungen durchaus 20 – 40 Jahre längere jeweils die üblichen Parameterwerte reagieren können, müssten viel Betriebsdauern erreichen. Neuere aus der Praxis gegenüber. weniger effiziente Gasmotoren- Reaktormodelle wie beispielsweise pp Bauzeit: Kernkraftwerke können oder Gasturbinenkraftwerke (ca. der EPR sind von vornherein für zwar in sechs Jahren errichtet Energy Policy, Economy and Law Das DIW-Papier über die „teure und gefährliche“ Kernenergie auf dem P rüfstand ı Anna Veronika Wendland und Björn Peters
atw Vol. 64 (2019) | Issue 10 ı October werden, zumal wenn die Standar- globalen Praxis werden Kernkraft- und Zinsen entspricht. Diesen disierung bei Errichtung und Auf- werke so eingesetzt, dass sie im Steuersatz übernehmen wir, auch 472 sichtswesen hoch ist und die Betei- Durchschnitt 6.000 bis 7.000 Voll- wenn er am oberen Ende in Europa ligten routinisierte Formen der Zu- laststunden erreichen. [31] liegt. Außerdem modellieren wir sammenarbeit entwickeln. Wir ge- pp Wärmeverkauf: Kernkraftwerke mit einer Abschreibungsdauer von hen aber davon aus, dass das DIW werden in vielen Ländern dazu 40 Jahren, ohne auf die unter- E N E R G Y P O L I C Y, E C O N O M Y A N D L A W zehn Jahre angenommen hat und eingesetzt, die lokale Bevölkerung schiedlichen Abschreibungsdau- die Baukosten gleichmäßig auf die mit Nah- und Fernwärme zu ver- ern verschiedener Komponenten Jahre der Bauphase verteilt hat. sorgen. Wir gehen davon aus, dass wie Bauwerke, technische Anlagen Tatsächlich verteilen sich die Bau- das DIW diese Tatsache nicht und Schaltelektronik einzugehen. kosten in der Praxis ungleich über berücksichtigt und das aus dem Beide Parameter sind notwendig die Jahre; die letzten Zahlungen Wärmeverkauf resultierende zu für die Modellierung, werden im bei Kraftwerksneubauten fallen in sätzliche Einnahmepotential außer DIW-Papier aber nicht angegeben. der Regel erst einige Zeit nach Be- Acht gelassen hat. Wärme kann pp Technische Lebensdauer: Das triebsbeginn an. Wir gehen zudem typischerweise mit 10–15 EUR/ DIW nimmt 40 Jahre als technische davon aus, dass auch das DIW an- MWh verkauft werden. Werden in- Lebensdauer von Kernkraftwerken genommen hat, dass eventuell an- dustrielle Wärmekunden bedient, an. Wir modellieren sie mit 60 fallende Bauzeitzinsen (im Fall der kann durch den Wärmeverkauf in Jahren und haben dies oben be- teilweisen Fremdfinanzierung der der Regel zusätzlich so viel zu gründet. Investition) aktiviert werden, d. h. sätzlich erlöst werden, wie etwa Bei einigen weiteren Parametern nach und nach abgeschrieben wer- der Hälfte des Absatzes an elek- halten wir die Annahmen des DIW für den. trischer Energie entspricht. Weil realistisch und haben sie in unser pp Preissteigerungsrate: Wir gehen elektrische Energie viel höher eigenes Modell übernommen: davon aus, dass das DIW eine wertiger ist und höher vergütet Für Wartung und Instandhaltung Preissteigerungsrate von null wird, spielt Wärmeverkauf aber nimmt das DIW 90 Euro je Kilowatt modelliert hat. Tatsächlich ist ein nur eine untergeordnete Rolle und Jahr an, mithin 90 Mio. Euro jähr- Erwartungswert für die Teuerungs- beim Umsatz. lich, was wir als zutreffend ein rate von 1 bis 2 Prozent üblich. pp Fremdfinanzierung: Üblicherwei- schätzen. Dies entspricht 2,25 Prozent Je höher sie liegt, desto stärker se werden Kraftwerke zum größer- der Bausumme von mindestens 4 Mrd. steigen die Umsatzerlöse aus dem en Teil mit Fremdkapital finanziert Euro. In der Praxis gilt ein Erfahrungs- Stromverkauf, und desto leichter (zu ca. 50 bis 70 Prozent). Dies wert von 2,50 Prozent der Bausumme fällt es, eventuell eingesetztes scheint das DIW außer Acht ge als Richtwert, hier hat das DIW den Fremdkapital zurückzuzahlen. Aus lassen zu haben. Aus volks Wert nicht zu eigenen Gunsten aus der Praxis empfehlen wir, als Preis- wirtschaftlicher Sicht könnte man gereizt. steigerungsrate 1,5 Prozent anzu- das sogar zurecht tun, denn Als Betriebs- und Kernbrenn- setzen. während die teilweise Fremd stoffkosten nimmt das DIW etwa pp Volllaststunden: Kernkraftwerke finanzierung zwar aus betriebs 12 Euro je Megawattstunde an. Dies laufen typischerweise in der wirtschaftlicher Sicht ein wesent ist ein Wert, der die hohen Fixkosten- Grundlast und erreichen leicht liches Mittel zur Gewinnsteigerung anteile Personal und Versicherung mit 7.500 und mehr Volllaststunden ist, verteilt sie volkswirtschaftlich einschließt. Tatsächlich sollte der pro Jahr (h/a, das Jahr hat 8.760 gesehen doch nur die Gewinne Wert bei steigender Anzahl von Voll Stunden). Werden Kernkraftwerke einer Unternehmung ungleich auf laststunden degressiv verlaufen, da im Lastfolgebetrieb eingesetzt, die verschiedenen Finanzierer. Die die Brennstoffkosten selbst nur eine erreichen sie nur ca. 6.000 h/a, DIW-Studie hat allerdings den untergeordnete Rolle spielen. Wir können dann aber ihre elektrische Anspruch, zu ergründen, welchen halten den Wert, der sich bei einer Energie teurer verkaufen. Dem Gewinn oder Verlust ein Kernkraft- realistisch angesetzten Anzahl von gegenüber dürfte das DIW die An- werksprojekt für den Auftraggeber Volllaststunden (6.000 h/a) mit zahl der Volllaststunden mit nur erzielen wird. Ist dieser ein privates 72 Mio. Euro jährlich errechnet, für etwa 3.400 h/a angesetzt haben. Unternehmen, ist die betriebs übertrieben hoch, haben diesen aber Dies entspricht dem Erwartungs wirtschaftliche Perspektive maß dennoch konservativ übernommen wert des deutschen Kraftwerks geblich. Daher modellieren wir mit und begründen das weiter unten. parks als Ganzem, wie wir aus 60 Prozent Fremdfinanzierung, Die Variation des Nettobarwerts, eigenen Berechnungen wissen. lassen die Bauzeitzinsen aber vom des IRR und des LCoE (Levelized Cost Dieser niedrige Wert ergibt sich vor Eigenkapitalgeber finanzieren. Zu of Electricity) gibt die folgende allem aus der Tatsache, dass Wind- dem kalkulieren wir marktüblich Tabelle für den besten Fall, den das und Solarkraftwerke tageszeit- mit einem Zinssatz von 2,5 Prozent DIW berechnet hat, an (80 EUR/MWh und wetterbedingt nur eine ver- [32], einer Laufzeit von 35 Jahren, Verkaufserlös je Megawattstunde, vier gleichsweise geringe Anzahl von gerechnet ab Betriebsbeginn, einer Prozent WACC und 4.000 Euro je kW Volllaststunden beitragen können Auszahlung parallel mit dem Eigen Errichtungskosten). – eine Einschränkung, der Kern kapital und einer gleichmäßigen Durch Anpassung der Parameter kraftwerke nicht unterworfen sind. Tilgung über die gesamte Laufzeit. der DIW-Investitionsrechnung auf Die Wahl des Parameters Voll pp Steuern und Abschreibungen: branchenübliche Werte steigt der laststunden des DIW steht im Wir gehen davon aus, dass das DIW Nettobarwert einer Investition in ein Übrigen im Widerspruch zum vom Steuern mit 30 Prozent des steuer- Kernkraftwerk für den berechneten DIW selbstformulierten Anspruch, lichen Ergebnisses modelliert Fall also um fast fünf Milliarden Euro. historische und internationale hat, was Umsatzerlösen minus Allerdings werden die Betriebs Daten verwendet zu haben. In der Betriebskosten, Abschreibungen kosten vom DIW wie oben erwähnt Energy Policy, Economy and Law Das DIW-Papier über die „teure und gefährliche“ Kernenergie auf dem P rüfstand ı Anna Veronika Wendland und Björn Peters
atw Vol. 64 (2019) | Issue 10 ı October Parameter Einheit DIW-Wert Realistischer Beitrag Neu berechneter IRR anf. LCOE Wert zum NPV NPV (in Prozent) in EUR/MWh 473 (in Mio. EUR) Nettobarwert DIW Mio. EUR Ausgangswert -1.503 1,30 86,91 Bauzeit Jahre 10 6 57 -1.446 1,42 86,91 Preissteigerungsrate Prozent 0 1,5 460 -986 2,45 86,91 E N E R G Y P O L I C Y, E C O N O M Y A N D L A W Anzahl Volllaststunden h/a 3600 6000 2.319 1.333 5,72 65,11 ja, 2000 h/a Abverkauf Wärme Nein 287 1.620 6,05 62,78 zu 10 EUR/MWh Laufzeit Jahre 40 60 1.140 2.760 6,61 62,78 Eigenkapitalquote* Prozent 100 40 498 3.258 8,94 61,29 *) Fremdkapital für 35 Jahre Laufzeit, gleichmäßige Tilgung und zu 2,5 % Zinssatz vermutlich zu hoch angesetzt. nicht für militärische Zwecke, wie das von 2018 ein differenziertes Bild ab- Andererseits hat das DIW die ver- DIW durch eine unklare Wortwahl leiten – keineswegs das einer aus- pflichtende Bildung von Rücklagen suggeriert. schließlich militärisch motivierten für den Rückbau nicht berücksichtigt, Informationen über die Kern globalen Kernenergiewirtschaft. was die zu hoch angenommenen energie-Diskussionen innerhalb der Betrachtet man darüber hinaus Betriebskosten teilkompensiert. Ins- jeweiligen Länder, die Aufschluss über einzelne Beispielfälle im Detail – d. h. gesamt wollen wir den Betriebskosten militärische und andere Motive hätten mit Kenntnis der nationalen Diskus- ansatz daher nicht in Frage stellen, geben können, gibt es weder in der sionen und Entscheidungsprozesse sind uns aber sicher, dass mit diesen DIW-Publikation selbst noch in der über die Kerntechnik –, so stellt sich Kostenansätzen der Rückbau so ge- „Data Documentation“. Dafür finden rasch heraus, dass die Darstellung des leistet werden kann, dass keine sich aber in der „Data Documenta- DIW-Papiers auf einer sehr oberfläch- weiteren Kosten auf die Allgemeinheit tion“ physikalisch-technikhistorische lichen und selektiven Rezeption von zukommen. Über Investitionen wird Eigentore wie die Behauptung, in Quellen und Fachliteratur beruht. in der Praxis schließlich unter Berück- grafitmoderierten Reaktoren werde Grundlegende Arbeiten und Fach sichtigung aller Chancen und Risiken aus Grafit durch Neutronenbeschuss aufsätze, die reiche Auskunft über entschieden. Das bedeutet, auch an- Plutonium [38], die Verwechslung außermilitärische Faktoren in der dere Strompreisszenarien ins Kalkül von Containment (Sicherheitsbe Kerntechnikgeschichte geben könn- zu ziehen, beispielsweise solche mit hälter) mit Reaktordruckbehälter ten, wurden erst gar nicht wahr hoher CO2-Bepreisung. [39] oder die visuelle Darstellung der genommen. [42] Das Ergebnis ist eine Implementierung der Kernenergie schablonenhafte, pauschale Darstel- 2 „Atomkraft war nie in der westlichen Sowjetunion als lung. auf die kommerzielle Technologietransfer von der Sowjet- Nehmen wir das Beispiel der Stromerzeugung union in die Ukraine. [40] Sowjetunion und ihrer Nachfolge ausgelegt, sondern auf Die einzig valide Information über staaten. Deren Kernenergiewirt Atomwaffen“ [33] den Zusammenhang von ziviler und schaften sind – aufgrund ihrer Gene Die DIW-Autoren behaupten, ihre militärischer Kerntechnik, welche die alogie im sowjetischen Atomwaffen- empirische Untersuchung zeige, dass DIW-Datensammlung gibt, ist keine programm – für das DIW ein klarer „militärische Interessen“ das Haupt- neue Erkenntnis: Insbesondere in der Fall; es ordnet diese Fälle in sein motiv zur Errichtung der „aller frühen Kerntechnikgeschichte domi- Schema militärischer Motivierung jemals gebauten 674 Atomkraftwerke“ nierten die militärischen Atompro- ein. Das heutige Russland wird als gewesen seien. Später sprechen sie gramme weniger Staaten und die Paradebeispiel für die These ange- jedoch nur noch vage von „politischen daraus erwachsenen Reaktorkon führt, nur in staatsdominierten, „nicht und institutionellen Rahmenbe zepte. In der Kerntechnik der Atom- marktbestimmten“ Atomwirtschaften dingungen … militärischer Natur“, waffenstaaten berühren sich militäri- werde heute noch in Kernenergie was aber für die Qualifizierung von sche und zivile Nutzungen an be- investiert. [43] 674 Reaktoranlagen als militärisch stimmten Schnittstellen wie der Doch der historische Befund sieht motiviert unzureichend ist. [34] Auch Wiederaufarbeitung, seltener in Zwei- anders aus. Selbst in der Sowjetunion für diese Aussage stützen sie sich auf zweck-Reaktoranlagen. Aber es gibt stand nicht in erster Linie die mili die bereits erwähnte „Data Documen auch viele Beispiele für Kernener tärische Option an der Wiege der Leis- tation“ von 2018. [35] Diese liefert giewirtschaften, die nicht aus tungskernkraftwerke, denn für die aber außer allgemeinen Angaben zur einer militärischen Vorgeschichte er Produktion von Waffenplutonium ursprünglich militärischen Herkunft wuchsen, z. B. die kanadische, die hatte man spezielle Anlagen. Einige bestimmter Leistungsreaktorkonzepte japanische, die südkoreanische, die davon waren Zweizweck-Reaktoren [36] nur sehr sporadische Informatio- finnische und die schweizerische, und lieferten Strom für den Eigen nen über die militärische Nutzung oder solche, in denen mit der militäri- bedarf der Militärbetriebe und der oder Kontextualisierung einzelner zi- schen Option geliebäugelt wurde, sie zugehörigen geheimgehaltenen, von viler Anlagen und erst recht nicht für aber fallengelassen wurde, bevor sie der Außenwelt isolierten Werks „alle 674“. [37] Und zwar nicht, weil sich in stabilen nationalen Reaktor siedlungen. [44] Doch Leistungs man diese Informationen ignoriert linien hätte manifestieren können – reaktoren für das öffentliche Netz hätte, sondern weil es sie in der Mehr- Beispiele sind die Bundesrepublik wurden völlig neu konzipiert, und die heit der Fälle nicht gibt, weil diese Deutschland und Schweden. [41] sowjetische Atomlobby aus Wissen- konkreten Anlagen eben für die Insgesamt kann man also bereits aus schaftlern und Reaktorkonstruk Stromproduktion geplant wurden und der DIW-eigenen Datensammlung teuren hatte in den 1960er Jahren Energy Policy, Economy and Law Das DIW-Papier über die „teure und gefährliche“ Kernenergie auf dem P rüfstand ı Anna Veronika Wendland und Björn Peters
atw Vol. 64 (2019) | Issue 10 ı October erhebliche Probleme, der knauserigen dass in dem in ihm enthaltenen Pluto- der gesamten anthropogenen Treib- Staatsplanbehörde die Kernenergie nium die Anteile unerwünschter hausgas-Emissionen verantwortlich. 474 schmackhaft zu machen. Daher Plutonium-Isotope, vor allem Pu-240, Das DIW möchte die CO2-arme Kern- suchte man nach Möglichkeiten öko- zu hoch sind, um RBMK-Brennstoff stromproduktion aus dem Portfolio nomischer Optimierung. [45] attraktiv für militärische Zwecke zu der weltweiten Klimamaßnahmen Die Entwicklung der zivilen sow machen. [50] ausschließen und stellt sich damit E N E R G Y P O L I C Y, E C O N O M Y A N D L A W jetischen Kernenergie gründete vor Ähnliche Nuancen und Interessen- auch gegen die Sachstandsberichte allem auf strategischen energiewirt- konflikte kann man für viele Kern- und Szenarien des IPCC, die sich zur schaftsgeografischen Erwägungen. energiewirtschaften darstellen – Kernenergie zwar nicht euphorisch Die enormen Wasserkraftressourcen wenn man sich mit den Einzelheiten äußern, ihr aber eine wichtige Rolle in im asiatischen Teil des Landes hätten beschäftigt, statt sich aufgrund eines einer erfolgreichen Klimastrategie nur unter großen Leitungsverlusten an prinzipiellen Vorbehaltes von vorn zuweisen. [54] Das DIW begründet die Industriezentren der westlichen herein für eine bestimmte Interpreta- seine Position mit der Behauptung, Sowjetunion angebunden werden tionslinie zu entscheiden. Das betrifft Kernenergie sei „gefährlich“ bzw. können. Die harten osteuropäischen auch das deutsche Beispiel: Gerade „nicht sauber“ [55], womit es drei Winter sorgten immer wieder für dieses zeigt die Brechungen und Sachverhalte umschreibt: Erstens sei Transportprobleme in der traditionel- Wendungen in der Geschichte einer die Kernenergie gar nicht so CO2-arm len, kohlebasierten Energiewirtschaft. zivilen Kernenergiewirtschaft, die wie behauptet. Zweitens seien radio- Schließlich spielten auch Umwelt sich nicht auf das DIW-Narrativ von aktive Immissionen von KKW – insbe- erwägungen wie die enorme Luftver- der Atombombe als Mutter aller Kern- sondere Niedrigdosis-Expositionen schmutzung durch Kohleverstromung kraftwerke reduzieren lässt. In aus Normalbetrieb und Unfällen – ge- eine Rolle. Das bewog die sowjetische Deutschland übernahm die Elektrizi- sundheitsschädlich oder gar tödlich. Führung, die Elektrizitätswirtschaft tätswirtschaft früh die Diskurshege- Drittens fördere die zivile Kernener- insbesondere in der westlichen Sow- monie in der Kerntechnik, was zuerst gienutzung die Proliferation. jetunion auf Kernenergie umzustellen. zu einer ökonomisch motivierten Anders als in den anderen Ab- [46] Ideologische Begründungen von Pfadentscheidung für Druckwasser schnitten bemüht sich die Autoren- der Kernenergie als fortschrittlichster reaktoranlagen mit hoher Einzel- gruppe hier gar nicht mehr, eine Produktivkraft im Kommunismus tra- blockleistung führte, später zu einer seriöse Forschungsdiskussion zu ten hinzu, außerdem zeichnete sich ab reservierten Haltung gegenüber der führen. Ihre Ausführungen sind den 1970er Jahren eine neue Arbeits- teuren Wiederaufbereitung. Gerade plakativ, ihre Literaturauswahl spär- teilung ab, in der Kernenergie für das belegt das Desinteresse an militä- lich; größtenteils beruht sie auf heimische Zwecke genutzt werden rischen Nutzungsformen. [51] Der Werken dezidierter Atomkritiker und sollte, Öl und Gas jedoch vor allem Technikhistoriker Joachim Radkau NGO-Vertreter. Der Uranabbau in für den Export gefördert wurden, um sieht in den früh „verdrängten Alter- Afrika und in der DDR wird als Devisen zu erwirtschaften. nativen der Kerntechnik“ einen Grund Beispiel für die Gesundheitsschäd Selbst im Falle des sowjetischen für die nukleare Kontroverse in lichkeit des Uranbergbaus erwähnt Nationalreaktors, des grafitmode Deutschland, doch das DIW zitiert ihn – doch Literatur zur DDR oder gene- rierten Druckröhren-Siedewasser nur selektiv als Gewährsmann für die relle Fachliteratur zur Gefahrenbe- reaktors RBMK, den selbst Fachleute eigene Aussage, es sei „bereits Ende wertung fehlt. [56] Als Beleg für rela- gerne als Zweizweck-Reaktor be der 1950er Jahre klar“ gewesen, dass tiv hohe CO2-Emissionen der Kern zeichnen [47], dominierten in der „Atomkraft keine Chancen auf ökono- energie in ihrer gesamten Wertschöp- sowjetischen Diskussion ökonomische mische Wettbewerbsfähigkeit hatte“. fungskette wird eine einzige Publi Motive und Begründungen für die [52] Tatsächlich sicherte der Staat aus kation zitiert [57], die einen sehr Wahl und Auslegung eben dieses diesem Grunde die frühe Entwicklung hohen Wert angibt. Die Autoren igno- Reaktortyps. Seine Komponenten der Kernkraftwerke mit Risikobürg- rieren sämtliche Literatur, welche konnte der herkömmliche Energiean- schaften und Forschungsförderung diese Aussagen widerlegt, auch die lagenbau leicht fertigen und war dazu ab. Doch gleichzeitig gab es in dieser des IPCC. [58] nicht auf eine aufwendige Druck Zeit in Deutschland und anderen Als Beleg für die angeblich gesund behälterproduktion angewiesen. Ob- Ländern gar keine freien Strom heitsschädliche Wirkung von KKW- wohl der RBMK konzeptuell tatsäch- märkte, auf denen die KKW (aber Emissionen zitiert das DIW eine lich von den Plutoniumreaktoren der auch ihre fossile Konkurrenz) sich Kinderkrebsstudie, die eine Kausal 1940er Jahre abstammte, wurde er hätten beweisen müssen, sondern nur beziehung nach Aussage ihrer Auto- explizit als Leistungsreaktor geplant die Gebietsmonopole staatlicher oder ren eben gerade nicht belegt, weil die und genutzt; sein technologisches quasi-staatlicher Elektrizitätsver Dosis der Zivilbevölkerung aus KKW- Potenzial als Plutoniumreaktor wurde sorger. Nach der Liberalisierung des Emissionen nur einen Bruchteil der beiseitegeschoben. [48] Denn die An- europäischen Strommarktes konnten Effektivdosis aus natürlichen Strah- forderungen einer ökonomischen die Energieunternehmen, schon bevor lenquellen beträgt [59]; die Ergebnis- Stromproduktion vertragen sich nicht die Anlagen abgeschrieben waren, mit se beruhten vermutlich auf statis mit den geringen Abbrandtiefen für KKW hohe Gewinne einfahren. [53] tischem Zufall. [60] Im Falle der die Extraktion von waffengrädigem drei großen kerntechnischen Unfälle Plutonium. Zudem bringen Kern 3 „Atomkraft Three Mile Island-2 (Harrisburg), auslegung und -abmessungen des ist gefährlich“ Tschernobyl-4 und Fukushima- RBMK eine für militärische Zwecke In der Klimadebatte geht es vor allem Daiichi-1-4, welchen das DIW alle- ungünstige Neutronenflussverteilung um die Frage, wie eine möglichst samt „katastrophale“ Folgen beschei- mit sich, die sich im Plutoniumvektor effiziente Dekarbonisierung der nigt [61], sind die Auswirkungen in des abgebrannten RBMK-Kernbrenn- Energiewirtschaft zu erreichen ist, zwei von drei Fällen nicht katastro- stoffs abbildet. [49] Das bedeutet, ist diese doch für knapp die Hälfte phal; in TMI kam niemand zu Energy Policy, Economy and Law Das DIW-Papier über die „teure und gefährliche“ Kernenergie auf dem P rüfstand ı Anna Veronika Wendland und Björn Peters
atw Vol. 64 (2019) | Issue 10 ı October Schaden, in Fukushima gibt es ledig- verfügt, sondern sind von umfang moderner Nationalstaaten und ins lich einen Fall einer tödlich verlaufe- reichen Modernisierungsprogram- besondere in ihren Kernenergiewirt- 475 nen Lungenkrebserkrankung, die be- men begleitet. Dazu gehört auch das schaften ein „rein betriebswirtschaft- hördlich als Folge der aufgenomme- in Osteuropa praktizierte Wieder liches“ [70] Handeln in einem freien nen Dosis anerkannt wurde. [62] Für holungsglühen der Reaktordruck Markt, der vom Staat nicht beeinflusst Tschernobyl liegen die Opferzahlen behälter, das die Versprödung redu- wurde, überhaupt je möglich war und E N E R G Y P O L I C Y, E C O N O M Y A N D L A W nach den Befunden seriöser For- ziert. [69] ist. Oder anders ausgedrückt, ob das schung weit niedriger, als von In der Proliferationsfrage schließ- DIW hier nicht absichtlich eine den Anti-Atom-Narrativen behauptet. lich ist zutreffend, dass sich etliche im spezifischen Kontext unerfüllbare [63] Auch die Forschungsdiskussion heutige Atommächte unter dem Vor- Forderung formuliert hat, um sodann zum Paradigmenwechsel bei der wand ziviler Atomprogramme die die Kernkraft für inakzeptabel er Bewertung der Auswirkungen von Atomwaffe verschafft haben – aber klären zu können. Niedrigstrahlung [64] wird unter- um Atombomben, gar die für Terroris- Die Antwort ist: In jeder nationalen schlagen, vergleichende Aussagen ten attraktiven „schmutzigen“ Bom- Energiewirtschaft sowie bei der Ent- über die Gesundheitsrisiken und ben zu bauen, ist das Betreiben ziviler stehung und Wahrnehmung jeden Opfer der unterschiedlichen Strom- KKW keine notwendige Voraus energietechnischen Artefakts, ganz erzeugungstechnologien fehlen. [65] setzung. Die Antwort auf diese Her- gleich, ob Kernreaktor oder Wind- Die Aussagen der DIW-Autoren zur ausforderung kann daher nur eine kraftanlage, spielten immer auch Reaktorsicherheit sind oberflächlich gute Nonproliferationspolitik durch außertechnische und außerökono und alarmistisch, teilweise unrichtig. Herstellung politischer Sicherheit mische Festlegungen ihre Rolle. Das Ihre Einlassungen über sogenannte sein, nicht aber die Abwicklung der kann in Form eines Strebens nach Precursor-Ereignisse in Kernkraftwer- Kernenergie. Staaten, die sich nicht Konsolidierung innenpolitischer ken zeugen von mangelnder Kenntnis bedroht fühlen, bauen auch keine Macht, Technologieführerschaft, na- der Definition und Rolle solcher Atomwaffen – doch Staaten, die sich tionalem Prestige oder geopolitischen Ereignisse in der Reaktorsicherheits- bedroht fühlen, werden, wie es Nord- Machtpositionen geschehen: „Arti- forschung und -praxis. Es wird fälsch- korea und Israel taten, auch ohne facts have politics“ [71]. In diesen lich der Eindruck erzeugt, ein Per zivile Kernkraftwerke alles tun, um Kontext gehören auch die deutschen cursor-Ereignis sei ein „Beinahe- sich die Nuklearwaffe zu beschaffen. Imagebildungen rund um technische Unfall“ [66]. In Wirklichkeit sind Im Lichte dieser Auswertung der Artefakte der Energiewirtschaft, die Precursor-Ereignis-Bewertungen eine Forschungsliteratur zu den vom DIW in Diskursen um politische Partizi Sonderform probabilistischer Sicher- angesprochenen Fragen sehen wir die pation eingesetzt wurden: etwa die heitsanalysen, bei denen ein tatsäch- Behauptung der Autoren von der Propagierung „erneuerbarer“ Umge- lich geschehenes Ereignis den Aus- „gefährlichen“ Kernenergie als wider- bungsenergie-Anlagen als qua Tech- gangspunkt der Betrachtung bildet. legt an. In Wirklichkeit ist sie auf nologie (und nicht qua Besitzver Die Bewertung eines Ereignisses als Basis wissenschaftlicher Evidenz als hältnis) demokratisch, bürgerfreund- Vorläuferereignis eines schweren Niedrigrisikotechnologie einzustufen. lich und dezentral, oder der Kernener- Kernschadensunfalls ist an viele Auch die wenigen Industrieunfälle, gie als Bedrohung für Bürgerrechte Voraussetzungen gebunden und dient die es im Zusammenhang mit Uran- und Demokratie. [72] der Auffindung von Systemschwach- bergbau und Kernkraftwerksbetrieb Die Kerntechnik ist ohne Zweifel stellen; sie ist nicht gleichbedeutend gab, ändern nichts an diesem Befund. eine Polittechnik und somit nicht nur mit einem Beinahe-Unfall. [67] Im Verhältnis zu anderen Tech ökonomisch erklärbar. Doch das DIW Des Weiteren bemängelt das DIW nologien wie Luftfahrt, Individual verengt seine Sicht auf eine rein pri- „fehlende Sicherheitsbehälter“ einiger mobilität, Wasserkraft und Kohlever vatwirtschaftliche Perspektive [73] Anlagen sowjetischer Bauart in den stromung hat sie ausweislich des und behauptet, die Kernenergie ostmitteleuropäischen EU-Ländern, aktuellen Forschungsstands zu viel nutzung sei gar nicht ökonomisch, fragt sich aber gar nicht, warum diese weniger Todesopfern und Umwelt- sondern nur militärisch erklärbar. Die Anlagen unter den strengen EU- schäden beigetragen. DIW-Autoren verkennen außerdem, Anforderungen trotzdem betrieben dass die Kernenergie nicht die einzige werden dürfen. Richtig ist, dass die 4 Der isolierte und system- Technologie ist, die sich zur politi- VVER-440-Druckwasserreaktoren des blinde Ansatz des DIW schen Integration oder als Identitäts- Typs V-213 in Ost- und Ostmittel Das DIW behauptet, es habe eine anker eignet, und die daher auch europa, auf die die Autoren anspielen, gründliche „wirtschaftshistorische aus außerökonomischen Erwägungen keine Volldruckcontainments be Betrachtung“ durchgeführt. Zu einer von Staaten gefördert und subven sitzen. Doch sie verfügen über herme- historischen Betrachtung gleich tioniert und von Gesellschaften tische Primärkreislauf-Druckräume welcher Subdisziplin der Geschichts- akzeptiert wird. Russland zieht aus und Nasskondensationssysteme sowie wissenschaften, ob Wirtschafts-, ob seiner fossilen Staats-Rohstoffwirt- ein Sprühsystem zum kontrollierten Technikgeschichte, gehört jedoch die schaft nicht nur Exporterlöse, sondern Druckabbau im Falle eines Kühlmittel- historische und systemische Kontex- auch das symbolische Kapital einer verlustunfalls, die für einen voll tualisierung. Technosoziale Systeme Selbstbeschreibung als „hydrocarbon ständigen Abriss einer Hauptkühlmit wie die Kernenergie lassen sich daher superpower“ [74]. Die Raumfahrt ist telleitung ausgelegt sind. Diese Ein- nie rein ökonomisch oder rein tech- neben der Kerntechnik ein weiteres richtungen übernehmen jene Funk nisch beschreiben. Sie müssen als globales Beispiel für eine Polittech tionen zur Aktivitätsrückhaltung, Systeme aus menschlichen Akteuren, nologie. [75] welche bei uns ein Containment er- Wissensformen, Maschinen, Normen Doch ein besonders augenfälliges füllt. [68] Die Laufzeitverlängerungen und Wertvorstellungen verstanden Beispiel außerökonomischer Treiber dieser Anlagen werden, anders als werden. Damit wären wir bei der für Technologie-Diffusion ist Deutsch- vom DIW angenommen, nicht einfach Frage, ob in den Energiewirtschaften lands „Energiewende“. Diese ist Energy Policy, Economy and Law Das DIW-Papier über die „teure und gefährliche“ Kernenergie auf dem P rüfstand ı Anna Veronika Wendland und Björn Peters
atw Vol. 64 (2019) | Issue 10 ı October keinesfalls primär ökonomisch und wahrgenommen, sondern als ener gut entgolten. [84] Die Erneuerbaren- schon gar nicht privatwirtschaftlich getisches Instrumentarium eines Betreiber wiederum verdanken ihren 476 begründbar: Sie erzeugt durch den „neuen Gesellschaftsvertrags“, was hohen Anteil am deutschen Energie- brachialen Umbau unserer Energie- im Grunde eine Paraphrase der „Ge- mix – und ihre derzeitigen Gewinne – wirtschaft derzeit mehr strukturelle meinschaftswerk“-Interpretation der nicht nur dem bereits erwähnten Probleme und Kosten als ökono Bundesregierung ist. [80] Die deut- staatlich etablierten System aus Ein- E N E R G Y P O L I C Y, E C O N O M Y A N D L A W mische Erfolgserlebnisse. Die Um sche Industrie war in diesem Projekt speiseprivilegien und Strompreis gebungsenergie-Technologien Wind- nie die treibende Kraft – das haben die subventionierung. Sie verdanken ihn kraft und Photovoltaik hätten sich Erneuerbaren also mit der Frühphase auch der Tatsache, dass planbare ohne massive staatliche Unterstüt- der Kernenergie-Einführung in Erzeuger, unter anderem Kernkraft- zung in Form von Einspeiseprivilegien Deutschland gemeinsam. Rein be- werke, jenes stabile Verbundnetz erst und EEG-Umlage in Deutschland nie triebswirtschaftlich ist die politisch herstellen, in das wetterabhängige am Markt durchsetzen können. [76] beschlossene und staatlich geförderte Stromproduzenten jederzeit ein Die Energiewende vereint ein Implementierung der Erneuerbaren speisen können. Allerdings werden ganzes Bündel außerökonomischer auf deutschem Boden bis heute nicht die Umgebungsenergie-Betreiber an Motive auf sich. Sie wurde ganz begründbar. Selbst die erhoffte Markt- den Kosten teurer Systemleistungen wesentlich moralisch begründet, führerschaft wurde den Deutschen nicht beteiligt – und auch nicht an den worauf bereits die Umkehr-Meta auf dem Gebiet von Solar- und Wind- Risiken der fossilen und nuklearen phorik des Wende- Begriffs verweist. kraft von asiatischen Anbietern sehr Erzeuger. [85] Das manifestiert sich nicht nur an der schnell wieder abgenommen. [81] Folgt man nun konsequent der Engführung der Atom-Ausstiegs- Doch auch aus einem explizit ener- Kritik des DIW an der angeblich Begründung von 2011 auf eine giewirtschaftlichen Grunde kann man mangelnden Versicherung von Kern- „ethische“ Frage, die folglich zum den Ansatz des DIW als kontextblind kraftwerken, und fordert man für alle Gegenstand einer „Ethik-Kommis- zurückweisen. In der Verabsolu Stromerzeuger eine volle Internalisie- sion“ gemacht wurde. Das zeigt sich tierung ihres Urteils über die Kern- rung externer Kosten, so müssten auch an der Begründungslogik der energie als „zu teuer“ unterschlagen wetterabhängige Umgebungsener- Energiewende selber in den Berichten die Autoren der Studie, dass nukleare gien, die keine gesicherte Leistung lie- der „Ethikkommission“ [77] zum Stromerzeuger nicht isoliert in einem fern, folglich auch an künftigen Atomausstieg und der „Kohlekommis- idealtypischen System arbeiten, son- CO2-Abgaben von fossilen Kraft sion“ [78] zum Kohleausstieg. Diese dern zusammengespannt mit anderen werken, an hypothetischen Entschä Begründungslogik beruht vor allem Erzeugern und unter den Bedingun- digungssummen für die Opfer von auf dem internationalen Vorbildcha- gen gesetzlicher Regulierungen und Luftverschmutzung oder eben an den rakter Deutschlands für den ökologi- öffentlicher Diskurse. Die deutsche erhöhten Versicherungsprämien für schen Umbau von Industriegesell Leistungsreaktortechnik – und somit Kernkraftwerke beteiligt werden – schaften auf der ganzen Welt, d. h. auch ihre „steigenden Kosten“ – ist oder eine Netzsystemabgabe leisten, einem weichen Faktor deutscher nicht nur von Technikern und Inge- aus der die Erzeuger gesicherter Leis- nationaler Grandeur. Darüber hinaus nieuren geschaffen worden, sondern tung Kompensationen erhalten. Um- soll die Energiewende auch nach auch von Aufsichtsbehörden, Gerich- gekehrt könnten KKW von einer innen eine Art national-ökologischen ten, gesetzlichen Auflagen, Brenn CO2-Bepreisung genauso profitieren Kitt für eine zunehmend auseinander- elementsteuern, der Atomkontrover- wie Umgebungsenergien, was wie driftende Gesellschaft produzieren, se, der Expertenkommunikation. [82] derum ihre Marktposition verbessern was sich in der Bezeichnung der Ener- Es fällt auf, dass das DIW nur könnte. In einer OECD-Studie wurden giewende als „Gemeinschaftswerk“ in einem einzigen Fall von einer verschiedene Szenarien einer CO2- [79] niederschlägt. Vermutlich spielte „gesamtwirtschaftlichen“ Rechnung armen Energiewirtschaft mit unter- gerade in dieser Gemeinschafts- spricht, nachdem es vorher rein schiedlichen Anteilen von Kernener- werks-Motivierung auch der Wunsch „privatwirtschaftlich“ die Kernener- gie und intermittierend einspeisenden eine Rolle, die langjährige gesell- gie teuer gerechnet hat. Das ist der Umgebungsenergien betrachtet; sie schaftliche Kontroverse um die Kern- Fall bei der Erwähnung der – seiner kommt zu dem Schluss, dass die energie zu befrieden, indem man die Auffassung nach – mangelhaften Systemkosten solcher gemischten angebliche Konfliktursache aus dem Haftung der KKW-Betreiber für po Systeme steigen, je mehr wetterab- Spiel nahm. Das mag eine ehrenwerte tenzielle Atomunfälle, die im Ab- hängige Erzeuger einspeisen, und Begründung sein – eine wirtschaft schnitt 1 thematisiert wurde. [83] fallen, je höher der Kernenergieanteil liche ist es nicht. Auch bei dieser Gedankenoperation ist. Aufgabe einer guten Energie- und Erst in zweiter Linie wurde das schlagen sich die DIW-Autoren vorbe- Klimastrategie sei es, die bislang Jahrhundert- und Gemeinschafts- haltlos auf die Seite der Atomkritik, externalisierten und ungerecht ver- werks- Argument in ein ökonomisch verkennen aber, dass „gesamtwirt- teilten Systemkosten strukturell in das anschlussfähiges Standortargument schaftliche“ Rechnungen und Forde- System einer funktionierenden Ener- umgemünzt, das mit der Erwartung rungen nach der Internalisierung giewirtschaft zu integrieren. [86] künftiger Profite und Arbeitsplätze externer Kosten keine Einbahnstraße durch deutsche Marktführerschaft im sind. Die Kernenergie stellt im real 5 Fazit Umgebungsenergie-Sektor hantierte. existierenden Energiemix und Ver- Betrachtet man moderne Energiewirt- Gleichzeitig wird die Umstellung auf bundnetz nicht nur CO2-freie, son- schaften integriert als soziotechnische „erneuerbare“ Energien von den dern auch gesicherte und steuerbare Systeme, dann erkennt man, dass wissenschaftlichen und politischen Leistung bereit, d. h. wertvolle Sys- Entscheidungen in solchen Systemen Apologeten der Postwachstumsge temleistungen. Entsprechend wird die nie nur von ökonomischen oder tech- sellschaft keinesfalls als ökonomi- Bereitstellung von Regelenergie durch nischen, sondern immer auch von sches oder technologisches Projekt den Lastfolgebetrieb von KKW sehr politischen oder gar ethischen Energy Policy, Economy and Law Das DIW-Papier über die „teure und gefährliche“ Kernenergie auf dem P rüfstand ı Anna Veronika Wendland und Björn Peters
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