Nobile und die freie Anwaltswahl in der - Legal Protection International

Die Seite wird erstellt Henrietta-Louise Philipp
 
WEITER LESEN
Nobile und die freie Anwaltswahl in der - Legal Protection International
4

    Nobile und die freie Anwaltswahl in der

    Kritik am Urteil des EFTA-Gerichtshofes vom 27. Oktober 2017
    Christoph Arnet

      Das Recht auf freie Anwaltswahl von rechtsschutz-                     Le droit des assurs dune assurance de protcction
      versicherten Personen wird sowohl in der Schweiz                      juridique de ehoisir libretncnt kur avocat fait lob-
      als auch im EU-Raum seit Jahren kontrovers dis-                       jet d'un dhat controers depuis des annes en
      kutiert. Ein das Fürstentum Liechtenstein betref-                     Suisse et dans IUE. Un arrt de la Cour dejustice
      fendes Urteil des EFTA-Gerichtshofes vom 27. Ok-                      AELE du 27 octohre 2017 concernant la Princi-
      tober 2017, welches sich mit den einschlägigen                        paut de Liechtenstein. qui traite des disposirions
      Bestimmungen der Solvabilität-Il-Richtlinie aus-                      pertinentes de la directive So1vabilit 11 et dflnir
      einandersetzt und das Recht auf freie Anwaltswahl                     largement lc droit au Lihre chok de l'aocat. a cl-
      weit fasst, hat in Fachkreisen zu Verwirrung und                      tuain une contusion dans [es milieux prolssion-
      in Anwaltskreisen zu Zustimmung geführt. Das                          nels et un consentement dans le milieu des aocats.
      Urteil basiert nach Ansicht des Autors auf einem                      De 1avis de l'auteur. la dcision est fonde sur une
      Subsumtionsfehler und auf einer unausgewogenen                        errcur de suhsotnption et sur une pondration des-
      Abwägung der Interessen der am Rechtsschutzver-                         quilibr& des intrts des parties concernscs par la
      hältnis beteiligten Parteien. Es manifestiere auch                    relation de protection juridiquc. Eile se manifeste
      ein gewisses Misstrauen gegenüber Rechtsschutz-                         ualcment une ccrtaine mefiance i tgard de l'as-
      versicherungen.                                                       surance de protectionjuridique.

            Einleitung                                                    und nicht mehr der Rechtsschutzversicherungen (sie!)
                                                                          bestehe und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen
    Obgleich die Schweiz weder Mitglied der Europä-
                                                                          der schweizerischen Rechtsschutzversicherungen wie
    ischen Union noch des Europäischen Wirtschaftsraums
                                                                          auch die Aufsichtsverordnung4 nicht mehr mit inter-
    EWR ist, hat ein durch das Obergericht des Fürsten-
                                                                          nationalem Recht in Einklang stünden.' In die gleiche
    tums Liechtenstein initiiertes Urteil des EFTA-Ge-
                                                                          Richtung geht UNGERAK, welcher verlangt, dass die
    richtshofes vom 27. Oktober 2017 auch in Schweizer
                                                                          Allgemeinen Versicherungsbedingungen auch bloss
    (Rechtsschutz-)Versicherungskreisen grosse Beach-
                                                                          dienstleistungserbringender (ausländischer) Rechts-
    tung gefunden.' Angesichts des generellen Einflusses
                                                                          schutzversicherungen der Rechtslage gemäss EFTA-
    des EU-Rechts auf die Schwei22 und der Folgerungen,
                                                                          Urteil anzupassen seien, ansonsten zumindest im
    welche aus diesem Urteil mit zumindest mittelbarer
                                                                          Fürstentum (versicherungs-)aufsichtsrechtliche Mass-
    Auswirkung flur die Schweiz gezogen werden,' lohnt
                                                                          nahmen in Erwägung gezogen werden könnten.'
    sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Kern-
    aussagen und allfälligen Folgen. SCHUPP/DÄIILER ver-                  Das Urteil hat vor allem im einschlägigen ausländi-
    wiesen anlässlich des letztjährigen Schweizerischen                   schen Schrifttum zu zahlreichen, namentlich seitens
    Anwaltskongresses auf das zu besprechende Urteil und                  der Anwaltschaft befürwortenden, Beiträgen geführt.7
    hielten unter dem Titel «Hoffnungsschimmer?» fest,                    In der Schweiz hat sich soweit ersichtlich einzig Lu-
    dass in Europa und dem Fürstentum Liechtenstein nun-                  TERBACHER mit zu Recht kritischer Stimme publizis-
    mehr eine freie Anwaltswahl der Versicherungsnehmer                   tisch dazu geäussert.'

*   Fürsprecher/MLP-HSG, General Counsel Coop Rechtsschutz AG,
    Aarau.
    Urteil des EFTA-Gerichtshofes vom 27. Oktober 2017 in der Rechts-     Verordnung über die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsun-
    sache E21/16 auf Antrag des Fürstlichen Obergerichts an den Ge-       ternehmen vom 9. November 2005, AVO, SR 961 .011.
    richtshof gemäss Artikel 34 des Abkommens der EFTA-Staaten über       PIERRE-DOMNIaUE ScHUPP/MANFREC DÄHLER, Anwalt und Rechts-
    die Errichtung einer EFTA-Überwachungsbehörde und eines EFTA-         schutzversicherung, Vortrag am SAV-Anwaltskongress 2019, Luzern,
    Gerichtshofs («Urteil Nobile»).                                       , zuletzt besucht am 22.8.2019.
    LUTERBACHER, Rechtsschutzversicherungen, Basel 2018, 76 ff.         8 UNGERAK (Fn. 3), 217.
    WILHELM UNGERAK, Einmal Luxemburg und retour der lange Weg des
                                                 -                        Vgl. die Nachweise bei UNGERAK (Fn. 3), 216.
    Rechtsschutzversicherten zu seinem Recht, LJZ 4/2018, 215 ff.       8 LUTERBACHER (Fn. 2),17 f.

                                                                                                                        1/2020 HAVE/REAS
Nobile und die freie Anwaltswahl in der - Legal Protection International
1           Noble und die freie Anwaltswahl in der Rechtsschutzversicherung                                                              leun
            Im Folgenden sollen nach einem Kurzüberblick über                    Allgemeinen Versicherungsbedingungen die exklusive
            die Prozessgeschichte die Kernaussagen des Urteils                   Fallführung zukomme, mangle es an einem aktuellen
            hinausgefiltert und diese einer kritischen Prüfung                   Feststellungsinteresse.
            unterzogen werden. Alsdann ist mit Blick auf das im
                                                                                 Hierauf gelangte Herr Nobile an das Fürstliche Ober-
            Fürstentum geltende strenge Anwaltsmonopol auf die
                                                                                 gericht, welches erwog, die Antwort auf die Frage, ob
            Auswirkungen der grenzüberschreitenden Dienstleis-
                                                                                 der Kläger ein rechtliches Interesse an der anbegehr-
            tungserbringung von schweizerischen Rechtsschutz-
                                                                                 ten Feststellung habe, hänge davon ab, ob er durch
            versicherungen einzugehen.
                                                                                 die Mandatierung des freiberuflichen Rechtsanwalts
                                                                                 gegen seine versicherungsvertraglichen Pflichten vers-
            II.     Prozessgeschichte                                            tossen habe oder nicht. Dies wiederum hänge von der
            Pascal Nobile hatte ab 1. September 2014 in Liech-                   Auslegung von Art. 201 Abs. 1 Bst. a der Solvabilität-
            tenstein ein Einfamilienhaus gemietet.' Dessen                       11-Richtlinie ab. 1 In der Folge ersuchte das Fürstliche
            Eigentümerin kündigte dieses Mietverhältnis auf den                  Obergericht mit Schreiben vom 20. und 22. Dezember
            30. September 2015, worauf es zu einer Auseinander-                  2016 den EFTA-Gerichtshof um Vorabentscheidung zu
            setzung «betreffend die finanziellen Regelungen nach                 folgenden Fragen:
            der Kündigung» kam. Ab März 2015 stand Herr No-                          1. Steht Art. 201 Abs. 1 Bst. a der ('Solvabilität-
            bile in mehrfachem telefonischem Kontakt mit seiner                         11-Richtlinie) einer vertraglichen Vereinbarung
            schweizerischen Rechtsschutzversicherung, der DAS                           zwischen der Rechtsschutzversicherung und
            Rechtsschutz-Versicherungs AG, bezüglich möglichen                          dem Versicherten entgegen, wonach es eine
            Schimmels im Haus, aber auch bezüglich der Kündi-                           Obliegenheitsverletzung des Versicherten
            gung und der Mietkaution. Die DAS intervenierte bei                         darstellt, die zur Leistungsfreiheit der
            der Eigentümerin, worauf diese einen Teil der Miet-                         Versicherung führt, wenn der Versicherte zu
            kaution zurückerstattete.                                                   einem Zeitpunkt, zu welchem er einen Anspruch
            Im Herbst 2015 erteilte Herr Nobile ohne vorherige                          gemäss Rechtsschutzversicherungsvertrag
            Unterrichtung der DAS einem freiberuflichen Rechts-                         geltend machen kann, ohne Zustimmung
            anwalt Mandat und Vollmacht. Dieser ersuchte die                            der Rechtsschutz-Versicherung selbst einen
            DAS um Kostendeckung für ein Gerichtsverfahren ge-                          Rechtsanwalt zur Wahrung seiner Interessen
            gen die Eigentümerin zur Rückzahlung der verbleiben-                        mandatiert?
            den Kaution und zur Geltendmachung einer nachträg-                       2. Für den Fall, dass die Frage 1 verneint wird:
            lichen Mietzinsreduktion wegen Schimmels. Die DAS                           Wann beginnt bei einem Aktivprozess das
            wies dieses Ersuchen mit der Begründung ab, Herr                            in Art. 201 Abs. 1 Bst. a der (‚Solvabilität-
            Nobile habe seine Verpflichtungen aus dem Rechts-                           11-Richtlinie) erwähnte Gerichts- oder
            schutzversicherungsvertrag in schuldhafter Weise ver-                       Verwaltungsverfahren, das zur freien
            letzt, indem er die Führung des Falles nicht exklusiv                       Anwaltswahl führt? Ist bloss auf dessen
            der DAS überlassen habe.                                                    formellen Beginn (auf das Einlangen der Klage
            Hierauf strengte Herr Nobile vor dem Fürstlichen Land-                      bei Gericht) abzustellen oder sind davon auch
            gericht ein Verfahren gegen die DAS an und begehrte                         schon vorgängige Schritte umfasst, wenn ja
            die Feststellung der Gewährung des Rechtsschutzes.                          welche?
            Das erstinstanzlichc Gericht wies allerdings mit Urteil              Der EFTA-Gerichtshof beantwortete die vom Fürstli-
            vom 27. Juli 2016 die Klage unter Hinweis auf Art. 60                chen Obergericht aufgeworfene Frage 1 im Urteil vom
            des liechtensteinischen Versicherungsvertragsgeset-                  27. Oktober 2017 bejahend und hielt in Rz. 41 fest,
            zcs'° ab und erwog, dass die freie Anwaltswahl nur                   «dass die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der
            für Gerichts- und Verwaltungsverfahren greife, nicht                 DAS für den Versicherten kein Recht auf die freie Wahl
            aber bereits für die Fallanmeldung, die Überprüfung                  des Rechtsanwalts in Gerichts- oder Verwaltungsver-
            der Sach- und Rechtslage und für aussergerichtliche                  fahren vorsähen, wie es in Artikel 201 Absatz 1 Buch-
            Vergleichsbemühungen. Da sich der Rechtsstreit zwi-
            schen Herrn Nobile und der Eigentümerin noch in ei-
            ner Phase befinde, in welcher der DAS aufgrund der
                                                                                 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
                                                                                 vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der
                                                                                 Versicherungs- und oder Rückversicherungstätigkeit, ABI L 335.1.
                                                                                 Diese Richtlinie wurde mittels Beschlusses des Gemeinsamen EWR-
            Die Namen der Prozessbeteiligten sind öffentlich bekannt, weshalb    Ausschusses Nr. 78/2011 vom 1. Juli 2011 unter Nummer 1 des An-
            vorliegend auf eine Anonymisierung verzichtet wird.                  hangs IX (Finanzdienstleistungen) in das Abkommen über den Euro-
       10
             Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 16. Mai 2001, VersVG, LR   päischen Wirtschaftsraum (EWR) aufgenommen, womit sie auch für
            215.229.1.                                                           das Fürstentum Liechtenstein gilt.

    HAVE/REAS 1/2020
Nobile und die freie Anwaltswahl in der - Legal Protection International
4                                                                                                     Christoph Arnet

     stabe ader Solvabilität-Il-Richtlinie verankert» sei. Die               der Versicherte bereits im Zeitpunkt, «zu welchem er
     AVB seien entsprechend nicht Richtlinien-konform, da                    einen Anspruch gemäss dem Versicherungsvertrag gel-
                                                                             tend machen kann», selber einen Rechtsanwalt mit der
     -        das Recht des Versicherten gemäss Art. 201 Abs. 1
                                                                             Wahrung seiner Interessen beauftragen kann. Auf die-
              Bst. a der Richtlinie auf die freie Wahl des Rechts-
                                                                             sen nach hier vertretener Ansicht unzulässigen Schluss
              anwalts nicht von der vorherigen Zustimmung
                                                                             soll im Folgenden vertieft eingegangen werden. Als-
              des Versicherers abhängig gemacht werden könne
                                                                             dann sind die Konsequenzen der Würdigung für die
              (Rz. 42);
                                                                             weiteren Feststellungen des Gerichts (EFTA-Urteil
     -        die Rechtsschutzversicherung nicht beurteilen dür-             Rz. 42-46) zu diskutieren.
              fe, ob ein Gerichtsverfahren unnötig, unverhältnis-
                                                                             A.      Keine freie Anwaltswahl ausserhalb
              mässig oder verfrüht sei (Rz. 43);
                                                                                     Behördenverfahren und Interessen-
     -        der Anwaltsbeizug nicht auf Fälle beschränkt wer-                      kollisionen"
              den dürfe, in denen Anwaltszwang bestehe (Rz. 44);             Art. 200 und 201 der Solvabilität-lI-Richtlinie gelten
     -        unzulässig sei, die freie Anwaltswahl auf im Ge-               speziell für Rechtsschutzversicherungen und verfolgen
              richtskreis ansässig Rechtsanwälte zu beschränken              das Ziel der Vermeidung von Interessenkollisionen, die
              (Rz. 45);                                                      sich für die Versicherten nachteilig auswirken könnten.
                                                                             Allerdings befassen sich die beiden Artikel mit völlig
     -.       unzulässig sei, dass die Rechtsschutzversicherung
                                                                             unterschiedlichen Problematiken, weshalb vorab kurz
              die Auswahl treffe, wer aus drei vom Versicherten
                                                                             auf Sinn und Zweck dieser Bestimmungen eingegan-
              vorzuschlagenden Rechtsanwälten zu mandatieren
                                                                             gen werden soll.
              sei (Rz. 46).
                                                                             Art. 200 der Solvabilität-II-Richtlinie ist Folge der
     Das EFTA-Gericht schloss in Beantwortung der ers-
                                                                             bereits mit der Vorgängerrichtlinie eingeführten Ab-
     ten Vorlagefrage daher, dass Art. 201 Abs. 1 Bst. a der
                                                                             schaffung der bis anhin im deutschen Recht gelten-
     Solvabilität-Il-Richtlinie Vertragsbedingungen von
                                                                             den Branchentrennung bzw. Spartentrennung, mithin
     Rechtsschutzversicherungen entgegenstehe, wonach
                                                                             des Verbots an Versicherungsunternehmen, neben der
     es zur Leistungsfreiheit des Versicherungsunterneh-
                                                                             Rechtsschutzversicherung auch andere Versicherungs-
     mens im Hinblick auf seine Verpflichtungen führe,
                                                                             branchen zu betreiben.` Diese Spartentrennung war
            «wenn der Versicherte zu einem Zeitpunkt, zu                     allerdings nicht Selbstzweck, sondern diente der Ver-
            welchem er einen Anspruch gemäss dem                             meidung von Interessenkollisionen, die sich aus dem
            Versicherungsvertrag geltend machen kann, ohne                   Betrieb von zur Rechtsschutzversicherung zusätzli-
            Zustimmung des Versicherungsunternehmens                         chen Versicherungszweigen, z.B. der Haftpflichtver-
            selbst einen Rechtsanwalt mit der Wahrung seiner                 sicherung, ergeben können. Das Gemeinschaftsrecht
            Interessen beauftragt».                                          versuchte daher, die Funktion der nun weggefallenen
                                                                             Spartentrennung durch andere Massnahmen zu sub-
     Hierauf hob das Fürstliche Obergericht das angefoch-
                                                                             stituieren und stellt den Mitgliedstaaten nunmehr mit
     tene landgerichtliche Urteil auf und wies die Angele-
                                                                             Art. 200 der Solvabilität-11-Richtlinie drei Alternativ-
     genheit an dieses zurück, damit es nach Verfahrenser-
                                                                             modelle zur institutionellen Vermeidung von Interes-
     gänzung neuerlich entscheide. Mit Urteil vom 28. Juni
     2018 verhielt das Fürstliche Landgericht die DAS, für                   senkollisionen für «branchenübergreifende» Versiche-
                                                                             rungen zur Wahl («good governance»).'6 Unter dem
     das Verfahren betreffend zurückgehaltener Mietzins-
                                                                             Titel «Verwaltung der Schadensfälle» geht es dabei um
     kaution und rückwirkender Geltendmachung einer
                                                                             organisatorische Vorschriften, welche Interessenkolli-
     Mictzinsreduktion Kostengutsprache zu erteilen und
     die bisherigen Kosten zu übernehmen. 2                                  sionen verhindern sollen, die sich aus enger personeller
                                                                             und/oder organisatorischer Verflechtung bei Versiche-
                                                                             rungsunternehmen, die neben der Rechtsschutzversi-
     III.        Kritik                                                      cherung auch andere Versicherungsbranchen betreiben,
     Das Urteil des EFTA-Gerichtshofes vermag nicht zu                       ergeben können.
     überzeugen und ist zumindest missverständlich.' Es
     beruht nach hier vertretener Ansicht auf einer unzu-               14
                                                                              Der Ausdruck «Behördenverfahren» entstammt der sehr lesenswer-
     lässigen Vermengung des Inhalts von Art. 200 Abs. 4                     ten Dissertation von MAXIMILIAN BAUNNER, Die freie Anwaltswahl in
                                                                             der Rechtsschutzversicherung, Diss. Klagenfurt, Wien 2017.
     und Art. 201 Abs. 1 Bst. ader Solvabilität-1I-Richtlinie.          >    Eine solche Spartentrennung (»kleine Spartentrennung») galt auf
     Kernpunkt der Kritik ist die Aussage des Gerichts, dass                 der Basis der frühen Rechtsschutzverordnungen während der Jahre
                                                                             1945 bis 1986 auch in der Schweiz. Hinweise dazu bei LLJTERBACHEA
                                                                             (Fn. 21,4ff.
11   OB CG.2017.584.                                                    16
                                                                              Personaltrennungsmodell/Auslagerungsmodell/Anwaitsmodell. Vgl.
13   VgL auch die berechtigte Kritik von   LLJTERBACHER   (Fn. 2), 17        BRUNNER (Fn. 14), 15.

                                                                                                                           1/2020 HAVE/REAS
Nobile und die freie Anwaltswahl in der - Legal Protection International
1           Nobile und die freie Anwaltswahl in der Rechtsschutzversicherung                                                                           eVE
                                                                                                                                                        -

            Die vom Gericht in Beantwortung der Anfrage des                               Die Solvabilität-1I-Richtlinie lässt nämlich die Eigen-
            Fürstlichen Obergerichts übernommene Formulierung                             bearbeitung der Rechtsfälle durch Mitarbeitende der
            «sobald sie einen Anspruch gemäss Vertrag geltend                             Rechtsschutzversicherung ausserhalb von Behörden-
            machen kann» findet sich Art. 200 Abs. 4 Solvabilität-                        verfahren und Interessenkollision ausdrücklich zu.
            11-Richtlinie, welche für Mehrbranchenversicherer vor-                        Art. 198 Abs. 1 definiert die Rechtsschutzversicherung
                                                                                                                                                                   2JJ
            schreibt, die Schadenregulierung aus der Rechtsschutz-                        als Versicherung, die gegen Zahlung einer Prämie die
            versicherung von Beginn weg einem freiberuflichen                             Kosten des Gerichtsverfahrens übernimmt und andere
            Anwalt zu übergeben, falls keine Personaltrennung                             aus dem Versicherungsvertrag sich ergebende Leis-
            nach Abs. 2 oder Auslagerung nach Abs. 3 vorliegt.                            tungen erbringt. Letztere bestehen gemäss Bst. b der
                                                                                          erwähnten Bestimmung in der Vertretung oder Vertei-
            Die allermeisten Versicherungen, welche die Branche
                                                                                          digung in einem Zivil-, Straf-, Verwaltungs- oder ande-
            Rechtsschutzversicherung anbieten, sind allerdings als
                                                                                          ren Verfahren oder im Fall einer gegen den Versicher-
            sogenannte Monoliner mit eigener Rechtspersönlich-
                                                                                          ten gerichteten Forderung. Die Richtlinie unterscheidet
            keit organisiert oder verfügen über spezielle Schaden-
                                                                                          mithin zwischen Naturalleistungen und Kostenersatz.
            erledigungsunternchmen,'7 weshalb Art. 200 Abs. 4
                                                                                          Damit kann sich der Anspruch des Versicherten aus
            der Solvabilität-11-Richtlinie, mithin das vorerwähnte
                                                                                          dem Rechtsschutzvertrag nicht ausschliesslich auf die
            «Anwaltsmodell», nur selten zur Anwendung gelangen
                                                                                          Beistellung eines freiberuflichen Rechtsanwalts und
            dürfte. Auch das Fürstentum Liechtenstein kennt die-
                                                                                          die Übernahme von dessen Kosten beschränken. Der
            ses Verfahren wie der EFTA-Gerichtshof in Rz. 39
                              -

                                                                                          Anspruch des Versicherten geht auch auf Eigenbearbei-
            selber festhält nicht18. Aus diesem Grund kommt
                                  -

                                                                                          tung und Beratung im Sinne von Realleistungen durch
            Art. 200 Abs. 4 Solvabilität-IJ-Richtlinie und dem dar-
                                                                                          die Rechtsschutzversicherung selber und ist damit re-
            in verankerten Recht auf freie Anwaltswahl der ver-
                                                                                          gelmässig den Ansprüchen bei Gerichts- und Verwal-
            sicherten Person, «sobald sie einen Anspruch gemäss
                                                                                          tungsverfahren vorgelagert. Bezüglich der zu Art. 201
            dem Vertrag geltend machen» kann, für die vorliegend
                                                                                          Abs. 1 Bst. a Solvabilität-II-Richtlinie inhaltsgleichen
            zu beantwortenden Fragen keine Bedeutung zu.
                                                                                          Vorgängerbestimmung` hatte der Europäische Ge-
            Art. 201 Abs. 1 Bst. a der Solvabilität-ll-Richtlinie,                        richtshof denn auch bereits im Jahre 2009 festgehalten,
            welcher eigentlicher Gegenstand der Auslegungsfrage                           dass die freie Anwaltswahl (mit Ausnahme bei Interes-
            war, beschlägt demgegenüber die freie Anwaltswahl                             senkollisionen) auf Gerichts- und Verwaltungsverfah-
            im Rahmen der reinen Interessenvertretung des rechts-                         ren beschränkt ist." An dieser Rechtslage hat sich mit
            schutzversicherten Mandanten in Behördenverfahren                             der Solvabilität-I1-Richtlinie nichts geändert.
            und bei Vorliegen von (anderen als durch Art. 200
                                                                                          Wenn der EFTA-Gerichtshof somit die freie Anwalts-
            Solvabilität-1I-Richtlinie geregelten) Interessenkollisi-
                                                                                          wahl des Versicherten auf den Zeitpunkt, «zu welchem
            onen. Hier wird die freie Anwaltswahl nicht auf den
                                                                                          er einen Anspruch gemäss dem Versicherungsvertrag
            Zeitpunkt bezogen, in welchem der Versicherte gegen
                                                                                          machen kann» festsetzt, vermischt er in unzulässiger
            den Rechtsschutzversicherer aus dem Versicherungs-
                                                                                          Weise den Zeitpunkt für den Anwaltsbeizug bei ins-
            vertrag einen Anspruch geltend machen kann, son-
                                                                                          titutioneller Interessenkollision nach Art. 200 Abs. 4
            dern analog zur schweizerischen Regelung gemäss
                  -

                                                                                          Solvabilität-ll-Richtlinie mit der Regelung der freien
            Art. 167 Abs. 1 Bst. a AVO auf den Zeitpunkt, in wel-
                                              -

                                                                                          Anwaltswahl bei Behördenverfahren oder gegebener
            chem ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ansteht.
                                                                                          konkreter Interessenkollision gemäss Art. 201 Abs. 1
            Es geht in Art. 200 Abs. 4 und Art. 201 Abs. 1 Bst. a
                                                                                          Bst. a der Solvabilität-II-Richtlinie. Die vom Gerichts-
            Solvabilität-II-Richtlinie daher um völlig unterschied-
                                                                                          hof zur Beantwortung der Vorlagefrage gewählte For-
            liche Tatbestände und zeitliche Anknüpfungspunkte.
                                                                                          mulierung ist daher zumindest missverständlich. Es ist
            Letztere können zum einen zeitlich weit auseinan-
                                                                                          festzuhalten, dass gemäss der Solvabilität-11-Richtlinie
            derliegen. Zum andern kommt es in den allermeisten
                                                                                          die freie Anwaltswahl sofern nicht (andere) Grün-
                                                                                                                        -

            Rechtsschutzfällen überhaupt nicht zu einem Gerichts-
                                                                                          de von Interessenkollisionen vorliegen für Gerichts-
            oder einem Verwaltungsverfahren, sondern zu einer
                                                                                          und Verwaltungsverfahren, nicht aber für versicherte
            aussergerichtlichen Einigung der Parteien.
                                                                                          Rechtsstreitigkeiten im ausserprozessualen Stadium
                                                                                          gilt.

                                                                                     19
                                                                                          Art. 4 Abs. 1 Bst. a der Richtlinie 87/344/EWG des Rates vorn 22. Juni
       1
            «Auslagerungsmodell».                                                         1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für
       18
            So auch die Schweiz: Art. 32 Abs. 1 BsL b VAG enthalt eine zu Art. 200        die Rechtsschutzversicherung. ABI L 185.77.
            Abs. 4 Solvabilität-ll-Richtlinie analoge Bestimmung, vgl. auch LUTER-        EuGH C-199108 vom 10. September 2009, Rz. 58. Vgl. auch die Hinwei-
            BACHER (Fn. 2), 7.                                                            se bei BRUNNER (Fn. 14). 30 ff.

    HAVE/REAS 112020
Nobile und die freie Anwaltswahl in der - Legal Protection International
4                                                                                                           Christoph Arnet

     Allerdings spielt es hinsichtlich Gerichts- und Ver-                      Gegenpartei durch einen Anwalt vertreten ist.25 Das
     waltungsverfahren keine Rolle, ob das innerstaatliche                     Versicherungsvcrtragsrecht des Fürstentums Liech-
     Recht hierfür eine zwingende Rechtsverbeiständigung                       tenstein sieht in Art. 60 VersVG eine Art. 201 Abs. 1
     vorsieht oder nicht. Der Anspruch auf freie Anwalts-                      Bst. a Solvabilität-1I-Richtlinie analoge Bestimmung
     wahl gilt nach EU-Recht auch für Behördenverfahren                        vor. Allerdings besteht im Fürstentum wie in Deutsch-
     ohne Anwaitszwang.21                                                      land ein sehr weitgehendes Anwaltsmonopol, welches
                                                                               auch die berufsmässige Rechtsberatung umfasst. 16 Das
     B.      Zustimmungsvorbehalt der Rechtsschutz-
                                                                               bedeutet, dass die Rechtsschutzversicherung den ver-
             versicherung zum Anwaltsbeizug:
                                                                               sicherten Rechtsfall in diesen Ländern spätestens vor
             Ausserhalb von Art. 201 Abs. 1 Bst. a
                                                                               der Kontaktaufnahme mit der Gegenpartei einem frei-
             der Solvabilität-H-Richtlinie herrscht
                                                                               beruflichen Anwalt übergeben muss, wobei sie diesen
             Privatautonomie
                                                                               allerdings solange noch kein Gerichts- oder Verwal-
                                                                                            -

     Der EFTA-Gerichtshof hält in Rz. 42 des Urteils fest,                     tungsverfahren ansteht frei wählen kann.
                                                                                                            -

     dass die freie Anwaltswahl im Rahmen von Art. 201
     Abs. 1 Bst. a Solvabilität-ll-Richtlinie nicht von der                    Soweit mithin nicht staatliche Regelungen Einschrän-
     vorherigen Zustimmung des Rechtsschutzversicherers                        kungen stipulieren, muss die Vertragsfreiheit, hier
     abhängig gemacht werden kann. Das trifft zu, aber:                        namentlich in ihrer konkreten Ausgestaltung als In-
                                                                               haltsfreiheit, gelten. Es ist daher zulässig, dass eine
     Ausserhalb des Anwendungsbereichs von Art. 200                            Rechtsschutzversicherung sich das exklusive Faliflih-
     Abs. 4 und Art. 201 Abs. 1 Bst. a und b Solvabilität-                     rungsrecht für ausserprozessuale Rechtsdienstleistun-
     11-Richtlinie kann der Beizug eines freiberuflichen An-                   gen vorbehält. Damit der Versicherer im Rahmen der
     walts demgegenüber sehr wohl von der Zustimmung                           Eigenbearbeitung der Rechtsfälle seine Aufgaben se-
     der Rechtsschutzversicherung abhängig gemacht wer-
                                                                               riös wahrnehmen kann, ist er auf die Information und
     den. Die Solvabilität-ll-Richtlinie schränkt die privat-                  Mitwirkung des Versicherten angewiesen. Die in allen
     autonome Ausgestaltung der Rechtsschutzversiche-                          Rechtsordnungen als allgemeines Prinzip anerkannte
     rungsverträge nicht weiter ein. Wie vorerwähnt, lässt
                                                                               und soweit ersichtlich auch gesetzlich verankerte Scha-
     das EU-Recht die Eigenbearbeitung von versicherten                        denininderungspflicht erheischt sodann, dass die Versi-
     Rechtsstreitigkeiten ausdrücklich zu und überlässt es                     chertengemeinschaft, welche letztlich die Prämien be-
     den rechtsunterworfenen Staaten selber, weitergehen-                      zahlt, nur für gebotene und sinnvolle Rechtsvorkehren
     de Regelungen zu erlassen. Die verschiedenen Staa-                        aufkommen muss. Dabei geht es nicht nur darum, dass
     ten haben von ihrer Regulierungsmöglichkeit ganz                          keine aussichtslosen Ansprüche durchgesetzt werden,
     unterschiedlich Gebrauch gemacht: Deutschland zum                         sondern auch um die Frage des angemessenen Vorge-
     Beispiel sieht nicht nur aus berufsrechtlicher Sicht                      hens. Wie das Bundesgericht für das schweizerische
     die freie Anwaltswahl des Mandanten vor,22 es räumt                       Recht festgehalten hat, ist deshalb auch zulässig, dass
     auch in der Rechtsschutzversicherung das Wahlrecht                        die Rechtsschutzversicherungen die Kostengutspra-
     zwingend dem Versicherten ein23 und verbietet Rechts-
                                                                               ehen auf einzelne Verfahrensschritte (z.B. vorab auf
     schutzversicherungen die Eigenbearbeitung.24 Rechts-                      die aussergerichtliche Geltendmachung von Rechtsan-
     schutzversicherungen in Deutschland sind damit reine                      sprüchen) beschränken.` Wie nachfolgend noch auf-
     Kostenversicherungen, während die Rechtsschutzver-                        zuzeigen sein wird, beinhaltet diese Verfahrenshoheit
     sicherungen in anderen EU-Staaten wie z.B. Österreich                     des Rechtsschutzversicherers deshalb auch das Recht
     und den Niederlanden gleich wie in der Schweiz weit-                      auf Prüfung, ob vom Versicherten vorgeschlagene
     gehende Natural- bzw. Eigenleistungen erbringen kön-                      Rechtsmassnahmen bzw. Rechtshandlungen geboten
     nen. In Frankreich muss die Rechtsschutzversicherung                      bzw. notwendig und zeitadäquat sind. Meinungsver-
     ihrem Versicherten demgegenüber auch ausserprozes-                        schiedenheiten hierüber sind über das Schiedsverfah-
     sual einen freiberuflichen Anwalt finanzieren, wenn die                   ren zu lösen, welches in der Solvabilität-II-Richtlinie
                                                                               in Art. 203 ausdrücklich vorgesehen ist. 28
                                                                               Richtig ist, dass bei Hängigkeit eines Gerichts- und
                                                                               Verwaltungsverfahrens die Mandatierung eines exter-
21 Vgl. hierzu das bekannte Urteil «Sneller», EuGH C-442/12 vom 7. No-

     vember 2012.
                                                                               nen Rechtsanwalts durch den Versicherten nicht mehr
22
     § 3 Abs. 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959
                                                                          25
     (BRA0).                                                                   Loi n° 2007-210 du 19 fvrier 2007 portant rforme de l'assurance de
11    § 127 i,V.m. § 129 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom        protection juridique. Vgl. zu den internationalen Regelungen: LUTER-
     23. November 2007 (VVG).                                                  BAUIER (Fn. 2), 15 ff.
24
     § 4 des Gesetzes über aussergerichtliche Rechtsdienstleistungen      26    Art. 8 des Rechtsanwaltsgesetzes vom 8. November 2013 (RAG), LR
     vom 12. Dezember 2007 (RDG); vgl. auch: MANFRED KÜNG/NiklAus              173.510.
                                                                          21
     SCHaCH, Anwaltsmonopol als Sperrzone für Rechtsschutzversiche-            BGE 119 11368 E. 7a.
                                                                          21
     rungen?, Anwaltsrevue 4/2009,180 ff., 182.                                Für die Schweiz: Art. 169 AVO.

                                                                                                                               1/2020 HAVE/REAS
Nobile und die freie Anwaltswahl in der - Legal Protection International
1        Nobile und die freie Anwaltswahl in der Rechtsschutzversicherung                                                         " VE
        von der Zustimmung der Rechtsschutzversicherung                  Dies ist zu bestreiten. Der Versicherte wird durch das
        abhängig gemacht werden kann, da hierauf gemäss der              durch die Privatautonomie gewährte Recht von Rechts-
        Solvabilität-II-Richtlinie wie erwähnt ein Rechtsan-             schutzversicherungen, Zustimmungsvorbehalte für
        spruch besteht. Allerdings stellt sich in einer solchen          einzelne Rechtshandlungen zu formulieren, in keiner
        Konstellation die Frage, ob der Versicherte den Fall             Weise seiner Deckung noch seines Rechtsschutzes be-
        nicht bereits schon früher hätte der Rechtsschutzver-            raubt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Fra-
        sicherung melden müssen, womit dieser wo im in-
                                                    -                    ge des gebotenen Vorgehens sich nur in versicherten
        nerstaatlichen Recht erlaubt— die Möglichkeit zu einer           Fällen stellt und daher keine Deckungsfrage darstellt.
        aussergerichtlichen und unter Umständen prozessver-              Wie bereits mehrfach erwähnt, lässt die Solvabilität-
        meidenden Lösung eröffnet worden wäre. Auch liegt                11-Richtlinie die Eigenbearbeitung von versicherten
        es nicht im Belieben des Versicherten, in einem rechts-          Rechtsfällen durch Mitarbeitende von Rechtsschutz-
        schutzversicherten Fall ohne Zustimmung des Rechts-              versicherungen ausdrücklich zu. Die Fallfiihrungsho-
        schutzversicherers ein Klage- oder Verwaltungsverfah-            heit liegt hier bei der Rechtssehutzversicherung, wobei
        ren anhängig zu machen, um damit in den Genuss der               dem Versicherten allerdings ein Weisungsrecht zu-
        freien Anwaltswahl nach Art. 201 Abs. 1 Bst. a Solva-            kommt.29 Sind sich Versicherung und Versicherter über
        bilität-1I-Richtlinie zu kommen. Denn damit könnte er            das einzuschlagende Vorgehen bzw. die zu ergreifen-
        die gemäss Richtlinie zulässige Eigenbearbeitung des             den Rechtsbehelfe nicht einig, steht das Meinungsver-
        Versicherers ohne Weiteres umgehen und diesen zum                schiedenheitsverfahrcn gemäss Art. 203 Solvabilität-
        reinen Kostenerstatter degradieren.                              11-Richtlinie zur Verfügung. Dieses ist nicht auf Fälle
                                                                         beschränkt, in welchen Rechtsschutzversicherungen
         Nichts anderes ergibt sich aus dem unter Fn. 21 oben
                                                                         die Aussichtslosigkeit einer Klageeinleitung ausspre-
         erwähnten EuGH-Urteil «Sneller», auf welches der
                                                                         chen, sondern aufjegliche Meinungsverschiedenheiten
         EFTA-Gerichtshof in der besprochenen Randziffer 43
                                                                         zwischen Versichertem und Rechtsschutzversicherer
         referenziert. Obgleich auch in diesem Urteil die Aus-
                                                                         über gebotene Rechtshandlungen und andere (kosten-
         sage gemacht wird, dass die freie Wahl eines Rechts-
                                                                         auslösende) Schadenregelungsmassnahmen, wie z.B.
         vertreters nicht von der vorherigen Zustimmung der
                                                                         die Einholung eines externen Fachgutachtens. Art. 61
         Rechtsschutzversicherung abhängig gemacht werden
                                                                         des liechtensteinischen Versicherungsvertragsgeset-
         könne, geht aus dem Sachverhalt und den Erwägun-
                                                                         zes adressiert das Meinungsverschiedenheitsverfahren
         gen mit wünschenswerter Deutlichkeit hervor, dass die
                                                                         denn auch an «jede Meinungsverschiedenheit, [ ... ]
         Feststellung auf Gerichts- und Verwaltungsverfahren
                                                                         die zwischen dem Versicherungsunternehmen oder
         beschränkt ist und nicht auch ausserprozessuale Wir-
                                                                         dem Schadenabwicklungsunternehmen und der ver-
         kung hat.
                                                                         sicherten Person hinsichtlich der zur Beilegung des
        Es bleibt damit dabei, dass Rechtsschutzversicherun-             Streitfalles zu ergreifenden Massnahmen auftritt». Es
        gen ausserhalb von Gerichts- und Verwaltungsverfah-              geht gleich wie im schweizerischen Recht daher
                                                                               -                                                  -

        ren sowie Interessenkollisionen gemäss der Solvabili-            nicht nur um aussichtslose Rechtsvorkehren, sondern
        tät-ll-Richtlinie berechtigt sind, selber zu entscheiden,        um sämtliche Meinungsverschiedenheiten bezüglich
        ob ein freiberuflicher Rechtsanwalt beigezogen wird              angebrachtem, gebotenem und zeitadäquatem Vorge-
        oder nicht. Entsprechend dürfen in den Allgemeinen               hen im versicherten Grundfall.31 Insofern erweisen
        Versicherungsbedingungen auch das Recht auf exklu-               sich auch die Feststellungen in den dem EFTA-Ge-
        sive Fallführung sowie Zustimmungsvorbehalte stipu-              richtshof-Urteil nachfolgenden Urteilen des Fürstli-
        liert werden. Dazu gleich mehr.                                  chen Obergerichts und des Fürstlichen Landgerichts,
         C.    Rechtsschutzversicherungen dürfen in ihren                wonach eine «Kostengutsprache einzig bei Aussichts-
               Allgemeinen Versicherungsbedingungen                      losigkeit der beabsichtigten Klageerhebung» abgelehnt
               vorsehen, dass der Versicherte ohne                       werden könne und eine «vorgängig erfolgte ausserge-
               Zustimmung keine Verfahren einleiten oder                 richtliche Geltendmachung [ ... ] keine notwendige Vor-
               Rechtsmittel ergreifen darf                               aussetzung für eine allfällige Deckungszusage/Kosten-
                                                                         gutsprache» darstelle, als nicht nachvollziehbar.' Sie
        Der EFTA-Gerichtshof führt in Rz. 43 aus, es sei nicht
                                                                         widersprechen nicht nur der privatautonomen Ausge-
        Aufgabe der Rechtsschutzversicherung, zu beurteilen,
        ob ein Gerichtsverfahren unnötig, unverhältnismässig '°
                                                                         CHRISTOPH ARNET,     Umgang mit Rechtsanwältinnen und Rechtsan-
        oder verfrüht sei. Wäre dem so, habe die Rechtsschutz-           wälten aus Sicht des Rechtsschutzversicherers, in: Walter Fellmann
        versicherung einen Anreiz, die Deckung abzulehnen,               [Hrsg.]: Rechtsschutzversicherung und Anwalt, 2011, 35; gl.M. LuTER-
                                                                         BACHER (Fn. 2), 18.
        wodurch der Versicherte des durch den Rechtsschutz- 3°
                                                                         Vgl. auch: DURI POtTERA, Der Rechtsschutzversicherungsvertrag und
        Versicherungsvertrag gewährten Schutzes beraubt                  das Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten in der Schadenab-
        würde.                                                           wicklung, Diss. St. Gallen 1999,129 ff.
                                                                    3°   Vgl. das in Fn. 12 erwähnte Urteil des Fürstlichen Landgerichts, 26.

    HAVE/REAS 1/2020
Nobile und die freie Anwaltswahl in der - Legal Protection International
Christoph Arnet

     staltung von Allgemeinen Vcrsicherungsbedingungen                Interessant ist die Frage deshalb, weil beispielsweise
     ausserhalb von Gerichts- und Verwaltungsverfahren,               Österreich in § 158k Abs. 2 des Versicherungsvertrags-
     sie widersprechen auch der Schadenminderungspflicht              gesetzes es den Rechtsschutzversicherungen in Nach-
     des Versicherten, welche in Art. 49 Abs. 1 VersVG FL             vollzug der Solvabilität-II-Richtlinie expressis verbis
     ausdrücklich festgehalten ist und im Übrigen als allge-          zugesteht, das Anwaltswahlrecht für Gerichts- und
     meiner Rechtsgrundsatz gilt.                                     Verwaltungsverfahren versicherungsvertraglich auf
                                                                      «ortsansässige Rechtsvertreter einzugrenzen».33 Als
     Falsch ist deshalb auch, bei Meinungsverschiedenhei-
                                                                      Grund hierfür wurde in Beratungen angegeben, dass
     ten über das einzuschlagende Vorgehen eine Interes-
                                                                      dies «kostensparend [...] und somit auch prämiensen-
     senkollision zu stipulieren, welche dann über Art. 201
                                                                      kend» wirke .34 Offenbar geht damit der österreichische
     Abs. 1 Bst. b Solvabilität-ll-Richtlinie wiederum zur
                                                                      Gesetzgeber davon aus, dass die freie Anwaltswahl
     freien Anwaltswahl führte.
                                                                      durch die Beschränkung auf ortsansässige Rechtsver-
     Der Grundsatz, dass aussichtslose Verfahren nicht zu             treter nicht eingeschränkt werde. Die österreichischen
     fuhren sind, hat auch Wirkung auf die Frage, ob gegen            Rechtsschutzversicherungen haben diese Möglich-
     einen Entscheid ein Rechtsmittel eingelegt werden soll           keit allerdings nicht wortwörtlich umgesetzt, sondern
     oder nicht. Es ist deshalb den Rechtsschutzversiche-             beschränken in den Musterbedingungen zur Rechts-
     rungen zuzugestehen, dass sie Kostengutsprachcn für              schutzversicherung (ARB 2015) die Leistungspflicht
     einzelne Verfahrensschritte erteilen und weitere Schrit-         auf die Kosten eines ortsansässigen Rechtsanwalts.35
     te einem Zustimmungsvorbehalt unterstellen. Das be-              Dies ist unproblematisch, hat der EuGH einer derar-
     deutet, dass der Versicherte auch bei versicherter Ver-          tigen Leistungsbeschränkung im Hinblick auf das
     tretung durch einen freiberuflichen Rechtsanwalt nicht           Unionsrecht doch ausdrücklich seinen Segen erteilt.36
     ohne Bcizug der Rechtsschutzversicherung über einen              in diesem Sinne hält auch der EFTA-Gerichtshof in
     Weiterzug eines Urteils entscheiden kann. Bei Mei-               Rz. 49 fest, dass die Solvabilität-II-Richtlinie generell
     nungsverschiedenheiten steht wiederum das Verfahren              keine volle Versicherungsdeckung für die tatsächlich
     nach Art. 203 Solvabilität-H-Richtlinie bzw. gemäss              in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren anfal-
     den innerstaatlichen Vollzugsbestimmungen zur Ver-               lenden Kosten vorsehe. Das Recht auf freie Anwalts-
     fügung.                                                          wahl könne daher nicht so weit gehen, dass ein Mit-
     D.     Die freie Anwaltswahl darf nicht auf                      gliedstaat verpflichtet sei, «von Versicherern die volle
            Verfahren beschränkt werden, in welchen                   Kostendeckung für die Verteidigung eines Versicherten
            Anwaltszwang besteht                                      zu fordern».
     Zuzustimmen ist dem EFTA-Gerichtshof, wenn er in                 Versicherungsbedingungen dürfen mithin finanzielle
     Rz. 44 festhält, dass die freie Anwaltswahl nicht erst           Deckungseinschränkungen im Zusammenhang mit der
     bei notwendigem Beizug in einem Gerichts- oder Ver-              freien Anwaltswahl vorsehen. So sind auch Selbstbe-
     waltungsverfahren besteht. Bereits der EuGH hatte im             haltsregelungen erlaubt, soweit diese keinen unzuläs-
     vorerwähnten Urteil «Sneller» bezüglich der Art. 201             sigen psychischen Druck auf den Versicherten bewir-
     Abs. 1 Bst. a Solvabilität-I1-Richtlinie inhaltlich ent-         ken.37 AVB-Bestimmungen, die die freie Anwaltswahl
     sprechenden Vorgängerbestimmung festgehalten, es                 expressis verbis auf Rechtsanwälte im Gerichtskreis
     sei nicht massgeblich, ob nach nationalem Recht spezi-           beschränken, verstossen allerdings gegen Art. 201
     eller rechtlicher Beistand vorgeschrieben sei oder nicht.        Abs. 1 Bst. a Solvabilität-II-Richtlinie. Selbiges hatte
     Entscheidend ist mithin allein, ob ein Gerichts- oder
     Verwaltungsverfahren angestrengt wird, und nicht, ob
     diesbezüglich Anwaltszwang besteht.32                       33  Bundesgesetz vom 2. Dezember 1958 über den Versicherungsver-
                                                                    trag (Versicherungsvertragsgesetz), BGBl. Nr. 211959. § 158k Abs. 2
     E.     Versicherungsvertragliche Beschränkung                  lautet: «Im Versicherungsvertrag kann vereinbart werden, dass der
                                                                    Versicherungsnehmer zu seiner Vertretung in einem Gerichts- oder
            der freien Anwaltswahl auf den
                                                                    Verwaltungsverfahren nur solche zur berufsmäßigen Parteienvertre-
            Gerichtskreis unzulässig                                tung befugte Personen wählen darf, die ihren Kanzleisitz am Ort der
     Interessant ist die Frage, oh Rechtsschutzversiche-            Gerichts- oder Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzufüh-
                                                                    rende Verfahren in erster Instanz zuständig ist. Für den Fall, dass an
     rungen die zu gewährende freie Anwaltswahl auf                 diesem Ort nicht mindestens vier solcher Personen ihren Kanzleisitz
     Rechtsanwälte aus dem massgeblichen Gerichtskreis              haben, muss sich das Wahlrecht auf Personen im Sprengel desjeni-
     beschränken dürfen oder nicht. Der EFTA-Gerichtshof            gen Gerichtshofs erster Instanz erstrecken, in dem sich die genannte
                                                                    Behörde befindet.))
     verneint und sieht dies als Verletzung des Rechts auf
                                                                 34  Hinweise bei BRUNNER (Fn. 14), 21.
     freie Anwaltswahl (EFTA-Urteil Rz. 45).                     15 Art. 6.6.1, ARB 2015.
                                                                  « Urteil des EuGH C-293/10 vom 26. Mai 2011 ((Stark,).
                                                                 31 Vgl. für Deutschland: Urteil des BGH IV ZR 215/12 vom 4. Dezember
                                                                    2013; für Österreich: OGH Urteil «Melkowitsch« vom 11. Dezember
32   VgLFn.21.                                                      2013,7 Ob 50/13v.

                                                                                                                     1/2020 HAVE/REAS
Nobile und die freie Anwaltswahl in der - Legal Protection International
Nobile und die freie Anwaltswahl in der Rechtsschutzversicherung                                                                   .~VE
                                                                                                                                         "
                                                                                                                                         -

      vor dem EFTA-Gerichtshof bereits der EuGH im vor-                        bilität-II-Richtlinie eng auszulegen.4' Unzulässig sind
      erwähnten Urteil «Starb> festgehalten38 und wird in                      daher Bestimmungen, die das eingeräumte Wahlrecht
      Bezug auf die Schweiz analog auch hei der Auslegung                      aushöhlen würden. Das ist nach vorliegend vertretener
      von Art. 167 Abs. 1 AVO zu berücksichtigen sein.39                       Auffassung beim Ablehnungs- und Vorschlagsrecht,
                                                                               welches im schweizerischen Recht verankert ist und
      F.       Ist das Ablehnungsrecht des Rechtsschutz-
                                                                               über die sich darauf stützenden Allgemeinen Versiche-
               versicherers gemäss Art. 167 Abs. 2 AVO
                                                                               rungsbedingungen Wirkung auf Kunden im Fürsten-
               mit der freien Anwaltswahl gemäss der
                                                                               tum Liechtenstein haben kann, nicht der Fall.
               Solvabilität-H-Richtlinie vereinbar?
      Die Frage ist eigentlich falsch gestellt, da die Solvabili-              Das Ablehnungsrecht des Rechtsschutzversicherers
      tät-ll-Richtlinie für die Schweiz nicht gilt und insofern                beinhaltet nicht nur rein quantitative, sondern auch
      auch kein übergeordnetes Recht darstellt. Auch entfal-                   qualitative Aspekte, wobei beide Aspekte nicht strikt
      tet Art. 169 AVO keine extraterritoriale Wirkung. Die                    voneinander getrennt werden können. Die für die
      meisten schweizerischen Rechtsschutzversicherungen                       Rechtsschutzversicherungen teuersten Rechtsstreitig-
      haben sich allerdings gestützt auf die entsprechende                     keiten sind diejenigen, die in dritter Instanz verloren
      Ermächtigung von Art. 167 Abs. 2 AVO in ihren All-                       gehen, da hier sämtliche Gerichts- und insbesondere
      gemeinen Versicherungsbedingungen das Recht ausbe-                       aber auch die Gegenparteikosten zu den Kosten der
      dungen, einen vom Versicherten vorgeschlagenen An-                       «eigenen» Partei hinzukommen. Zeichnet sich daher
      walt ablehnen zu dürfen. Der Versicherte hat dann die                    ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ab ab hier    -

      Möglichkeit, drei andere Anwälte vorzuschlagen, von                      bestehen ja die freie Anwaltswahl und das Ablehnungs-
      denen einer von der Rechtsschutzversicherung akzep-                      recht des Versicherers hat der Rechtsschutzversiche-
                                                                                                          -‚

      tiert werden muss. Der EFTA-Gerichtshof hat hierzu in                    rer ein eigenes, neben demjenigen des Versicherten
      Rz. 46 mit Blick auf die grenzüberschreitende Anwen-                     stehendes Interesse an einer möglichst kompetenten
      dung der fraglichen AVB festgehalten, dass mit dieser                    und kosteneffizienten Rechtsvertretung für den Versi-
      Bestimmung «die Wahl des Rechtsanwalts letztlich der                     cherten. Anwälte mit einem sehr tiefen Stundenansatz,
      DAS und nicht der versicherten Person» zukomme.                          weiche in solchen Fällen aber allenfalls mehr Stun-
                                                                               den aufwenden und mangels kompetenter Leistung
     Die Problematik dürfte sich auf den grenzüberschrei-                      den Instanzenzug beflügeln, sind weder im Interesse
     tenden Dienstleistungsverkehr schweizerischer Rechts-                     der Rechtsschutzversicherung noch im Interesse des
     schutzversicherungen mit Kunden im Fürstentum                             Versicherten selber. Kostenrelevant ist das Leistungs-
     Liechtenstein beschränken. Die Solvabilität-11-Richtli-                   äquivalent und nicht der einzelne Stundenansatz. Es
     nie wie auch das liechtensteinische Recht kennen kei-                     ist daher falsch, zu meinen, die Rechtsschutzversiche-
     ne zu Art. 167 Abs. 2 AVO analoge Bestimmung. Zu-                         rungen würden ihr Ablehnungsrecht von welchem --

     dem gilt im Fürstentum wie erwähnt ein weitgehendes                       sie im Übrigen nur sehr selten tatsächlich Gebrauch
     Anwaltsmonopol auch ausserhalb von Gerichts- und                          machen lediglich in Anspruch nehmen, um einen
                                                                                         -

     Verwaltungsverfahren. Allerdings kann im ausserpro-                       im Stundenansatz günstigeren Rechtsanwalt durchset-
     zessualen Stadium die Rechtsschutzversicherung über                       zen zu können. Vielmehr geht es um Kompetenz und
     die Person des beizuziehenden Anwalts entscheiden,                        Kosteneffektivität. Kompetente und kosteneffiziente
     womit ihr gegenüber einem entsprechenden Vorschlag                        Anwälte werden von den Rechtsschutzversicherun-
     des Versicherten sachlogisch auch ein Ablehnungs-                         gen nicht abgelehnt. Sieht der Versicherte dies anders,
     recht zukommt.                                                            bleibt der Vorschlag von drei anderen Anwälten, von
      Zu prüfen ist, ob die Solvabilität-II-Richtlinie Bestim-                 denen die Rechtsschutzversicherung einen akzeptieren
      mungen in Allgemeinen Versicherungsbedingungen,                          muss. Ob      -wie der EFTA-Gerichtshof hierzu fest-
      die ein Ablehnungsrecht des Versicherers und ein                         hält damit das Wahlrecht schlussendlich dem Versi-
                                                                                    -

      Dreiervorschlagsrecht des Versicherten vorsehen, bei                     cherer und nicht dem Versicherten zusteht, erscheint
      Gerichts- und Verwaltungsverfahren in ihr unterwor-                      angesichts des Annahmezwangs eines der Vorschläge
      fenen Ländern zulässt oder nicht.40 Im Hinblick auf                      durch den Versicherer daher eher theoretischer Natur.
      die allgemeine Bedeutung und die Verbindlichkeit, die                    So hielt denn auch der deutsche Bundesgerichtshof in
      dem Recht auf freie Wahl eines Anwalts im Unions-                        dem unter Fn. 37 aufgeführten Urteil vom 4. Dezem-
      recht eingeräumt wird, ist Art. 201 Abs. 1 Bst. a Solva-                 ber 2013 fest, dass das Recht auf freie Anwaltswahl
                                                                               nach richtlinienkonformer Auslegung dann überschrit-
                                                                               ten werde, «wenn die streitgegenständliche Vertrags-

   ° Vgl. Fn. 36.
      So auch BSK-VAG   FUNRER,   Art. 32W 43, 472.
   4° Oder in den Worten von SCHUPP/DÄHLER (Fn.                                Vgl. dazu die EuGH-Urteile C-199/08 «Eschig» und das bereits mehr-
                                                5) Folie 42: «Schweizer   41

      RSV-Verträge und AVO halten im Ausland)..) nicht stand.»                 fach erwähnte Urteil «Sneller» (Fn. 21).

HAVE/REAS 1/2020
Nobile und die freie Anwaltswahl in der - Legal Protection International
4                                                                                                         Christoph Arnet

     gestaltung einen unzulässigen psychischen Druck zur                           Im Unionsrecht ist die freie Anwaltswahl gemäss der
     Mandaticrung des vom Versicherer vorgeschlagenen                              Solvabilität-II-Richtlinie demgegenüber auf Gerichts-
     Anwalts» ausübe. Diese Schwelle ist mit dem Dreier-                           und Verwaltungsverfahren und konkrete Interessen-
     vorschlagsrecht nach Ablehnung durch den Versicherer                          kollisionen beschränkt. Das auf einer unzulässigen
     zweifellos nicht überschritten. Es manifestiert sich im                       Vermischung der zeitlichen Anknüpfungspunkte für
     Ergebnis keine Verschlechterung der Situation des Ver-                        die freie Anwaltswahl gemäss Art. 200 Abs. 4 und
     sicherten im Hinblick auf einen möglichen Interessen-                         Art. 201 Abs. 1 Bst. a Solvabilität-II-Richtlinie basie-
     konflikt zwischen seinem Wunsch nach Rechtsdurch-                             rende Urteil des EFTA-Gerichtshofes ist zumindest
     setzung und dem Interesse des Versicherers nach einer                         missverständlich und hat in der Literatur zu unzutref-
     kosteneffizienten Regulierung. Die Regelung bietet                            fenden Folgerungen geführt. So ist festzuhalten, dass
     einen gewissen Interessenausgleich 41 wobei wie ge-       -                   den Rechtsschutzversicherungen das Recht zusteht,
     zeigt die Interessen des Versicherten und der Rechts-
               -                                                                   zu beurteilen, ob Gerichtsverfahren unnötig, unver-
     schutzversicherung bezüglich rechtsanwaltlicher Ver-                          hältnismässig oder verfrüht sind. Meinungsverschie-
     tretung in Gerichts- oder Verwaltungsverfahren nicht                          denheiten mit dem Versicherten hierüber sind über
     so weit auseinander liegen, wie man gemeinhin ver-                            das Schiedsverfahren zu lösen, welches nicht nur für
     muten könnte. Jedenfalls wird ein für den Versicher-                          Aussichtslosigkeitserklärungen zur Verfügung steht.
     ten allenfalls «illoyaler», weil mehr den Interessen des                      In den Schranken zwingenden Rechts steht es den
     Rechtsschutzversicherers zugetaner Rechtsanwalt mit                           Rechtsschutzversicherungen auch zu, die Allgemeinen
     der gewählten Regelung ohne Weiteres verhindert.41                            Vertragsbestimmungen privatautonom zu formulieren
     Mit anderen Worten stehen Art. 167 Abs. 2 AVO und                             und sich ausserprozessual ein exklusives Fallfiihrungs-
     sich darauf stützende Allgemeine Versicherungsbedin-                          recht einräumen zu lassen. Im ausserprozessualen
     gungen durchaus mit den Anforderungen der Solvabi-                            Stadium kann deshalb der Anwaltsbeizug von der Zu-
     lität-Il-Richtlinie im Einklang.                                              stimmung des Versicherers abhängig gemacht werden.
                                                                                   Entsprechende AVB-Bestimmungen halten mithin vor
     IV.           Fazit                                                           dem Unionsrecht stand und müssen für den grenzüber-
                                                                                   schreitenden Dienstleistungsverkehr mit Liechtenstein
     Dass die DAS schlussendlich gerichtlich verhalten                             nicht angepasst werden. Dasselbe gilt flirAVB-Bestim-
     wurde, Herrn Nobilc für die Mandatierung eines frei-                          mungen, die analog zu Art. 167 Abs. 2 AVO bezüglich
     beruflichen Anwalts Kostengutsprache zu erteilen,                             Anwaltswahl ein Ablehnungsrecht des Versicherers
     ist allerdings mit substituierter Begründung nicht
           -                                                       -.
                                                                                   und ein Dreier-Vorschlagsrecht des Versicherten mit
     zu beanstanden: Grund hierfür ist aber nicht, weil die                        nachfolgendem Zwangsakzept des Versicherers vorse-
     Solvabilität-11-Richtlinie das so verlangen würde, wie                        hen. Nicht zulässig dürften demgegenüber Vertragsbe-
     das besprochene Urteil des EFTA-Gerichtshofes fest-                           stimmungen sein, welche das Wahlrecht des Versicher-
     hält, sondern weil im Fürstentum Liechtenstein ein                            ten auf Rechtsvertreter im fraglichen Gerichtskreis und
     sehr weitgehendes, bereits die professionelle Rechts-                         nicht bloss auf im Gerichtskreis übliche Stundenansät-
     beratung umfassendes Anwaltsmonopol gilt. Spätes-                             ze beschränken. Ob eine solche Bestimmung aller-
     tens mit der Intervention bei der Gegenpartei hätte die                       dings als schwerer und systematischer Verstoss gegen
     DAS den Fall deshalb einem freiberuflichen Anwalt                             Rechtsvorschriften zu werten und aufsichtsrechtlich zu
     übergeben müssen, wobei sie diesen allerdings so-                  -
                                                                                   sanktionieren ist, darf bezweifelt werden, zumal die
     weit vorprozessual hätte selber auswählen können.
                             -
                                                                                   praktischen Auswirkungen im Fürstentum, welches als
                                                                                   Ganzes einen Gerichtskreis bildet, minim sein dürften.

42
     Oder wie es BAUNNER (Fn. 14), 25, ausdrückt: «Das Versichererinter-
     esse ist daher für die Interpretation der Anwaltswahl keinesfalls irre-
     levant.»
     BRUNNER (Fn. 14), 135, definiert als Funktion der freien Anwaltswahl
     für Gerichts- und Verwaltungsverfahren die Verhinderung eines zu-
     gunsten des Versicherers illoyalen Rechtsvertreters.                      "   Vgl. UNGERAK (Fn. 3), 217.

                                                                                                                          1/2020 HAVE/REAS
Sie können auch lesen