Palliative Versorgung: Leben bis zuletzt - MDS
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mdk forum Heft 1 /2021 � Die erste Palliativstation Deutschlands wurde 1983 an der Universitätsklinik Köln eröffnet. Das erste Hospiz in Deutschland nahm 1986 in Aachen seine Arbeit auf. Das erste Kinderhospiz in Deutschland öffnete 1998 in Olpe seine Pforten. � 13 188 Ärztinnen und Ärzte mit der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin verzeichnet die D eutsche Ärztestatistik zum Stichtag 31.12. 2019. 2005 waren es laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes erst 101 . � Mehr als 120 000 Menschen bundesweit kümmern sich laut des Deutschen Hospiz- und Palliativ Verbandes ehren- oder hauptamtlich um schwerstkranke und sterbende Menschen. � Für das Jahr 2020 meldeten die Standesämter bundesweit 982 489 Sterbefälle an die amtliche Statistik (Stand: 29. 01. 2021). � Die Online-Datenbank der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin listete Mitte Februar 2021 338 Palliativstationen sowie 245 stationäre Hospize für Erwachsene auf. Für Kinder und Jugendliche waren dort 3 Palliativsta tionen und 18 stationäre Hospize verzeichnet. � Bundesweit gibt es 361 Teams der Spezialisierten Ambulanten Palliativ versorgung, 35 davon für Kinder und Jugendliche. � Rund 1500 ambulante Hospizdienste sind für Schwerstkranke und ihre Familien da. Etwa 150 davon kümmern sich speziell um Kinder und Jugendliche. � In einer US-amerikanischen Studie lebten palliativ betreute Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs im Durchschnitt 3 Monate länger als Teilnehmer, die nur eine Krebstherapie erhielten.
palliative versorgung 7 Ein starkes Netz fürs Lebensende mdk forum Heft 1 /2021 Ziel der Palliativversorgung ist es, schwerkranken und sterbenden Menschen ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Lebensqualität zu erhalten und ihnen ein angst- und schmerzfreies Sterben zu ermöglichen. Oft wirkt dabei ein ganzes Netzwerk von Spezialisten zusammen. gut jeder zweite in Deutschland (58 %) möchte am liebs- ges Erkennen, Einschätzen und Behandeln von Schmerzen ten zu Hause sterben, im Krankenhaus hingegen nur etwa sowie anderer belastender Beschwerden körperlicher, psy- 4 %. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die der Deutsche chosozialer und spiritueller Art.« Hospiz- und PalliativVerband (dhpv) vor einigen Jahren durchführte. Tatsächlich stirbt aber etwa jeder Zweite im Lebensqualität erhalten Krankenhaus und nur jeder Vierte zu Hause. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts, so beschreibt es der Theologe und So- Das lateinische Wort pallium bedeutet Mantel, und wie ziologe Reimer Gronemeyer in seinem Buch Sterben in ein wärmender, schützender Mantel soll die Palliativversor- Deutschland, habe sich der Umgang mit dem Sterben und gung einen unheilbar kranken Menschen und seine Angehö- dem Tod radikal verändert: Parallel zum rasanten medizini- rigen einhüllen. »Wir können leider nichts mehr für Sie tun« schen Fortschritt sei innerhalb einer Generation aus dem – ein solcher Satz käme einem Palliativ- »unspektakulären, irgendwie selbstverständlichen Sterben« mediziner wie Prof. Dr. Sven Gottschling Die meisten zu Hause »ein medizinisch kontrolliertes Sterben geworden, nie über die Lippen. Der Chefarzt am M enschen möchten das meist im Krankenhaus oder Altenpflegeheim« stattfinde. Zentrum für Palliativmedizin und Kin- zu Hause sterben Der Anteil der Menschen, die im Krankenhaus verstarben, er- derschmerztherapie am Uniklinikum reichte im Jahr 1980 mit 55 % aller Todesfälle in der alten des Saarlandes sieht seine Aufgabe darin, die verbleibende Bundesrepublik Deutschland einen Höchstwert. Bis 2016 Lebenszeit seiner Patienten »mit der bestmöglichen Lebens- ging er im mittlerweile wiedervereinigten Deutschland auf qualität zu füllen«. Denn: »Wir behandeln nicht Sterbende, 46 % zurück. sondern Lebende, die bald sterben werden. Das ist ein rie- sengroßer Unterschied.« Unnötiges Leid vermeiden Palliative Care geht ihrem ganzheitlichen Verständnis entsprechend weit über eine reine Sterbebegleitung hinaus. Zu dieser Trendwende hat nicht zuletzt die Hospiz- und Im Idealfall ermöglicht sie den Schwerstkranken, bis zum Palliativbewegung beigetragen, die in den 1960er Jahren im Schluss selbst zu entscheiden, ihr Leben nach ihren eigenen angelsächsischen Raum einsetzte. Eine ihrer Pionierinnen, Wünschen selbst zu gestalten und schließlich ohne Angst die Ärztin Cicely Saunders, gründete 1967 in London ein ers- und Schmerzen zu sterben. Die Palliativversorgung zeichnet tes Hospiz, um schwerkranken Menschen ein würdiges, sich aus diesem Grund durch eine starke Interdisziplinarität selbstbestimmtes Lebensende zu ermöglichen. Im Vorder- aus. »Hospiz- und Palliativarbeit ist immer Netzwerkarbeit«, grund stand dabei die Vermeidung unnötigen Leidens. War betont auch Prof. Dr. Winfried Hardinghaus, der Vorsitzende eine Heilung nicht mehr möglich, so sollte zumindest die des dhpv. verbleibende Zeit so lebenswert wie möglich gestaltet wer- den. Dieser Gedanke fand nach und nach weltweite Verbrei- Schwerkranke besser betreuen tung. 2002 definierte die Weltgesundheitsorganisation who die Palliativversorgung (Palliative Care) als einen »Ansatz zur Die palliativen Versorgungsstrukturen im Gesundheits- Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren system in Deutschland sind in den vergangenen Jahrzehnten Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, die mit einer Zug um Zug erweitert worden. 1983 wurde in Köln die erste lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen, und zwar Palliativstation in Deutschland eröffnet, 1994 die Deutsche durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeiti- Gesellschaft für Palliativmedizin (dgp) gegründet. Seit 2003
p a l lki a otl iuvme nveenrtsi o tre lg u n g 8 können Ärztinnen und Ärzte die Zusatzweiterbildung Pallia- rbeiten multiprofessionelle Teams Hand in Hand, um a tivmedizin absolvieren, seit 2009 ist Palliativmedizin Pflicht- schwerwiegende Symptome zu mildern und Schmerzen wir- lehr- und Prüfungsfach im Medizinstudium. Die 2010 veröf- kungsvoll einzudämmen. Die Kosten für sapv oder die Be- fentlichte Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterben- treuung in einem Hospiz übernimmt die Krankenkasse; der der Menschen in Deutschland, die sich für eine bessere Betreu- Medizinische Dienst der Krankenversicherung (mdk) prüft ung der betroffenen Menschen einsetzt, haben inzwischen im Auftrag der Kassen, ob die sozialmedizinischen Voraus- weit über 2000 Organisationen und Institutionen unter- setzungen zur Erbringung der Leistungen im Einzelfall vor- zeichnet. Seit 2011 gibt es ein Nationales Hospiz- und Pallia- liegen. tivregister, 2015 wurde die S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung veröffent- Strukturen weiterentwickeln licht. Das seit Dezember 2015 geltende Gesetz zur Verbesse- rung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hos- Zum Ende seiner Amtszeit zog der scheidende Präsident piz- und Palliativgesetz – hpg) hat den flächendeckenden der dgp, Prof. Dr. Lukas Radbruch, im Januar dieses Jahres Ausbau der Palliativversorgung noch einmal forciert. eine positive Bilanz: »Palliativversorgung ist nicht mehr ein mdk forum Heft 1 /2021 Im Prinzip ist eine solche Begleitung mittlerweile fast ›Hobby‹ einer kleinen Zahl von Pionieren, sondern ist Teil überall möglich. Mit Hilfe einer ambulanten Palliativversor- der Gesundheitsversorgung in Deutschland geworden: Jeder gung kann die medizinische und pflege- Mensch hat mittlerweile einen Anspruch auf eine angemes- Jeder hat Anspruch rische Betreuung in den eigenen vier sene Palliativversorgung bei schwerer Erkrankung und bis auf eine angemessene Wänden organisiert werden. Hausärzte, zum Lebensende.« Angesichts der Debatte zum Thema Ster- Palliativversorgung Palliativmediziner und ambulante Palli- behilfe fordert die dgp jedoch eine breite gesellschaftliche ativpflegedienste begleiten Betroffene Diskussion über die Rahmenbedingungen am Lebensende in in ihrer vertrauten Umgebung. Auf Wunsch stehen zusätz- Pflegeheimen, Krankenhäusern und im häuslichen Umfeld. lich ambulante Hospizdienste Schwerstkranken und ihren Auch aus Sicht des Deutschen Hospiz- und PalliativVer- Familien mit ehrenamtlichen Kräften zur Seite. Versicherte bands besteht trotz großer Fortschritte auf dem Gebiet der mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortge- Palliativversorgung noch Handlungsbedarf: In strukturschwa schrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Le- chen Gebieten sind noch Versorgungslücken zu schließen. benserwartung, die eine besonders aufwendige Versorgung Eine stärkere Koordination und Vernetzung würde zu einer benötigen, haben seit der Gesundheitsreform im Jahr 2007 besseren Versorgung und Versorgungskontinuität beitragen. einen Rechtsanspruch darauf, ergänzend zu Hausärzten und Auch die palliativpflegerische Versorgung in Pflegeeinrich Pflegediensten eine Spezialisierte Ambulante Palliativversor- tungen sollte weiter ausgebaut werden. Außerdem fordert gung (sapv) in Anspruch zu nehmen. Die Versorgung über- der dhpv die Einführung obligatorischer Palliativdienste in nimmt ein spezialisiertes, multiprofessionelles Team, das allen Krankenhäusern und eine breite Informationskampag- an sieben Tagen pro Woche rund um die Uhr erreichbar ist. ne über die Angebote und Möglichkeiten der Palliativversor- Ist eine ambulante Versorgung zu Hause nicht mehr mög- gung. Denn, so Winfried Hardinghaus: »Damit jeder Mensch lich, bieten stationäre Hospize einen würdevollen Rahmen am Lebensende die bestmögliche Versorgung und Beglei- für den letzten Lebensabschnitt. Etliche Krankenhäuser ver- tung erhält, müssen die notwendigen Versorgungsangebote fügen mittlerweile entweder über eine Palliativstation oder nicht nur vorhanden, sondern auch bekannt sein.« einen Palliativdienst, der sich um die Versorgung schwerst- kranker Patientinnen und Patienten kümmert. Auch hier AnnoDr. Silke FrickeHeller-Jung ist Redakteur hatbei in der Frechen bei ä rzKöln t e z eein i t uRedaktionsbüro n g, Springer Medizin für Verlag GmbH, Hauptstadtbüro Gesundheitsthemen. Berlin redaktion@heller-jung.de
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