Ein links-grünes Ja zur Schweizer Ecopop-Initiative

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Ein links-grünes Ja zur Schweizer Ecopop-Initiative
http://www.ecopop.ch/de/

Die Ecopop-Initianten halten fest, dass es bei der Ecopop-Initiative rein um
die Anzahl Menschen in der Schweiz geht, nicht um deren Herkunft oder
Staatsangehörigkeit. Der Initiativtext ist dementsprechend neutral. Weil aber
diese Anzahl nicht durch Beeinflussung der Geburtenrate im Inland gesteuert
werden kann, ist eine Senkung der Rate der Zunahme der Bevölkerung in der
Schweiz nur mittels Einschränkung der Zuwanderung möglich.

Man kann von dieser Initiative nicht verlangen, dass sie selbst Kriterien für die
Auswahl dieser Zuwanderer aufstellt, was deshalb dem Staat überlassen wird.
Auch können die Initianten nichts dafür, wenn Andersmotivierte die Initiative
mit-befürworten um Leute anderer Herkunft fernzuhalten. Zumal die links-
grünen Gegner der Initiative jetzt am gleichen Strich wie das Rechtskapital
ziehen, das sich billige Arbeitskräfte und wachsende Absatzmärkte wünscht,
lassen wir lieber Scheinargumente beiseite, die dem Gegener Lotterbett-
Verhalten vorwerfen.

Ob gegenerische Argumente von der angeblichen Wirtschaftsfeindlichkeit
der Initiative, oder deren behaupteten EU-Unverträglichkeit, zutreffen, sei hier
dahingestellt. Aus der Sicht des langfristigen Umweltschutzes, oder der
Hebung der Lebensqualität, dürften wohl Verbesserungen auch etwas
‘kosten’.

Eine Schweizer Initiative, die eine Verminderung der Umweltbelastung
generell zum Ziel hat, kann auch fast nichts bewirken, was den globalen
Ressourcenverbrauch oder die Verschmutzung des globalen Commons
betrifft. Die Auswirkung bleibt lokal. Die Alternative zur Initiative ist aber ein
Nichtstun, wobei man gleichzeitig weiterhin das Umweltthema
Bevölkerungsgrösse unangesprochen lässt. Die Initiative hat also auf dieser
Ebene der planetären Umweltprobleme nur die (allerdings wichtige) Funktion,
eine Grundsatzdiskussion zu fördern. Durch solche Abstimmungen bilden wir
uns weiter.

Nach zwei Jahrzehnten Tabuisierung dieses Themas gilt es nämlich wieder zu
erkennen, dass die Umweltbelastung aus zwei Faktoren stammt – Konsum pro
Kopf und Anzahl Köpfe. Und wohl ist eine Verminderung von nur einer dieser
Grössen nicht hinreichend, um die Ausbeutung und Verschmutzung der Natur
zu bremsen. Beide zusammen sind dafür notwendig, und es macht keinen
Sinn, die zwei Faktoren gegeneinander auszuspielen. Um Nachhaltigkeit zu
erreichen muss man auch beim pro-Kopf Konsum ansetzen, aber im
Bewusstsein, dass dessen Senkung ein langsamer Prozess sei. Massnahmen,
die die Bevölkerungsgrösse steuern wollen, greifen wahrscheinlich schneller.

Zudem sei darauf hingewiesen, dass eine Schweizer Initiative mit dem Ziel,
den pro-Kopf Konsum von Ressourcen zu reduzieren, vor der gleichen
Sachlage wie die Ecopop-Initiative stehen würde: Was hier in der Schweiz
nicht verbraucht wird, wird nebenan in Europa oder sonstwo verbraucht.
Keine Umweltmassnahme, die ein einzelnes Land beschliesst, kann diesen so-
genannten Rebound-Effekt überwinden.

In ähnlicher Weise ist es nicht statthaft zu sagen, wir sollen eher bei der
Raumplanung oder der Verkehrspolitik ansetzen. Das wäre ein weiteres
Entweder-Oder, wobei, solche Vorstösse können gleichzeitig gemacht
werden. Sicher ist, dass Ecopop-Befürworter/innen entsprechende Initiativen
unterstützen würden. Diese Initiative steht aber jetzt auf dem Tisch. Es gilt
nicht, im Nachhinein zu sagen, was wir besser hätten machen können.

Es bleiben zwei Gebiete, wo die Initiative greift. Das eine ist die
Lebensqualität in der Schweiz, was ja zu einem Teil von der Grösse und Dichte
der Bevölkerung abhängt. Zwar ist die Messung der Lebensqualität subjektiv.
Es wäre aber m.E. verwegen, Mitbürger/innen das Recht abzusprechen, nach
ihr Empfinden abzustimmen. Wer ein ‘Singapur’ vorzieht, soll ruhig Nein
stimmen.
Einige Tatsachen sind jedoch einigermassen objektiv festzuhalten, zum
Beispiel, dass in der realen Schweiz heute eine grössere Bevölkerung eine
dichtere Bebauung, mehr Infrastruktur und weniger Platz für Pflanzen und
andere Tierarten bedeutet. Man kann dies natürlich als mehr, oder weniger,
schlimm empfinden. Es geht bloss um die Frage, ob es einer politischen
Gesellschaft zusteht, ihre Bevölkerungsgrösse zu steuern. Schön wäre eine
Welt mit völlig offenen Grenzen. Aber nicht einmal in links-grünen Kreisen wird
die unbegrenzte Zuwanderung verfochten.

Das Thema ‘Mensch in der Natur’ oder, ehrlicher ausgedrückt, der Krieg der
Menschen gegen andere Tiere, ist angesprochen. Die grösste Hürde der
Initiative ist wohl unsere erbarmungslose Menschenzentriertheit, die aus
Jahrhunderten menschlicher Überheblichkeit stammt. Bei heutigen
Verhältnissen in der Schweiz ist es aber eine Tatsache, dass jeder weiterer hier
wohnender Mensch mit Nicht-Menschen um Lebensraum und Ressourcen
konkurrenziert.

Es sind eher grüne Kreise, die Achtung vor und Schutz der nicht-menschliche
Natur das Wort reden – und nicht nur, weil dies für uns Menschen von
ästhetischem oder freizeiterfüllendem Vorteil ist, sondern auch, weil
Nichtmenschen ein Existenzrecht haben. Ob in der Schweiz oder weltweit, wo
die heutige Zahl von 7.3 Milliarden Menschen bis ca. 2080 mit 90% Sicherheit
auf fast 10.5 Milliarden wachsen wird, heisst ein weiterer Zuwachs von
Menschen den sicheren Untergang nicht nur von vielen anderen Tieren,
sondern auch von ganzen Tierarten.

Auch Einwände von links-grüner Seite gegen den zweiten Teil der Initiative
sind nichtig. Dieser Teil spricht mehr Geld für die Familienplanung im Ausland
zu, eine Sparte der so-genannten Entwicklungshilfe die heute schon in den
Budgets aller Geberländer einen festen Platz einnimmt. Sie umfasst
Aufklärung, ärztliche Versorgung, die Bereitstellung von Verhütungsmitteln,
Bildung, freiwillige Unterbindung, und den Schutz von Menschen-, bzw.
Frauenrechten. Vor der Einreichung dieser Initiative nahmen daran nur
religiöse Kreise Anstoss.

Es wäre unsinnig zu bestreiten, dass in sehr armen Gesellschaften eine
grössere Anzahl Leute eine schmerzhafte Verminderung des pro-Kopf
Konsums verursacht. Niger ist ein gutes Beispiel. Man kann sogar die Ansicht
vertreten, es sei eine Unterlassungssünde nur zuzuschauen, wie dort die
Wünsche vieler Frauen und Männer nach Verhütungsmitteln unbefriedigt
bleiben. Genau dieses Bedürfnis zu befriedigen ist aber das zweite Ziel der
Initiative, und zwar sowohl aus humanitären als auch aus
umweltschutzerischen Gründen. Um vielen Leuten das Leben zu verbessern
stehen solchen Massnahmen sehr kostengünstig zur Verfügung.

Dass ein Mitmachen bei allen solchen Programmen auf freiwilliger Art zu
geschehen hat, steht im Initiativtext und muss als selbstverständlich
betrachtet werden. Dass in der Praxis manchmal die Freiwilligkeit missachtet
wird, oder wurde, ist Tatsache. Reicht diese Erkenntnis aber aus, um Nein zu
stimmen?Nein. Erstens achten wohl die allermeisten Programme auf die
Freiwilligkeit; jedenfalls kenne ich keine Studien, die zeigen würden,
Missbrauch sei die Regel. Zweitens hält der Initiativtext fest, dass die von
Schweizern unterstützten Programme streng darauf achten müssen, und mehr
kann eine Schweizer Volksinitiative nicht machen.

Viele Entwicklungen, die zu einer Reduktion der Geburtenrate führen, sind an
sich, d.h. aus humanitären Gründen, zu fördern. Die von Ecopop
vorgesehene Erhöhung des Budgets für die ‘Familienplanung’ dient nämlich
bekannte Anliegen wie Bildung, Frauenrechte und eine generell bessere
Gesundheitsversorgung; eine Verbesserung der Umwelt ist eine Art
Nebenwirkung. Ferner können andere ergänzende Massnahmen getroffen
werden, die den Wohlstand heben und deshalb oft indirekt die Anzahl Kinder
pro Frau reduzieren, wie Fairtrade, Subventionierung der lokalen
Landwirtschaft, oder die Aufhebung von Patentrechten.
Wenn solche Massnahmen oder Entwicklungen also humanitäre sowie
Umwelt-Anliegen dienen, sind wir in einer seltenen win-win Lage. Geniessen
wir das mal. Sicher liegt hierin kein Argument gegen die Initiative. Ca.
215,000,000 Frauen wollen Zugang zu Verhütungsmitteln, haben diesen
Zugang aber nicht. Wäre dieses Unrecht behoben, gäbe es jährlich weltweit
ca. 35,000,000 weniger unerwünschte oder ungeplante Geburten, dies bei
einer Zunahme der Weltbevölkerung jährlich um ca. 80,000,000.

Niemand hat Freude daran, die Aus- und Einwanderungsfreiheit der
Menschen zu beschränken. Aber es stimmt auch, dass es niemand lange
aushält, sich mit der Problematik des übergrossen ökologischen Fussabdruck
der Menschheit zu befassen, und noch weniger mit einer seiner Ursachen,
nämlich der Anzahl menschlicher ‘ökologischer Füsse’. Dabei ist die Frage
nicht, wie viele Menschen sich auf dieser Welt füttern lassen auf
Subsistenzniveau und mit kaum Platz für Gärten, Sportplätze oder Wildnis.

Sondern, statt eine maximale Zahl hinzunehmen, dürfen wir uns ein Leben mit
Freiraum und bescheidenem Komfort vorstellen – und anstreben. Ist einmal
die Erkenntnis da, dass ein ewiges Wachstum weder des Umweltverbrauchs
noch der menschlichen Bevölkerung möglich ist, neigt man eh dazu, bei
Ecopop Ja zu stimmen. Ein wenig wird das Ja auch dazu beitragen, für einige
Leute, die es wollen, Familienplanung zu ermöglichen.

Dr Blake Alcott, Cambridge UK blakeley@bluewin.ch

Einige Literaturhinweise:

Martha Campbell, Why the silence on population? Population and Environment
(2007)

Eileen Crist and Kathleen Bedford, The theoretical and political framing of the
population factor in development. Philosophical Transactions of the Royal Society
(2009)

Robert Engelman, Worldwatch Report 183 (2010)
Eileen Crist and Phil Cafaro, Life on the Brink (2012)

Blake Alcott, Population Matters, Ecological Economics (2012)

Corey Bradshaw and Barry Brook, Human population reduction is not a quick fix for
environmental problems, PNAS (2014)

Partners in Population and Development http://www.partners-popdev.org/

Population Matters http://www.populationmatters.org/
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