Pandemie verzögert Aufschwung - Demografie bremst Wachstum - ifo Institut
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DATEN UND PROGNOSEN Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose Pandemie verzögert Aufschwung – Demografie bremst Wachstum Kurzfassung der Gemeinschaftsdiagnose 1/2021 IN KÜRZE teil der Bevölkerung in den fortgeschrittenen Volks- wirtschaften impfen lassen kann. Zusätzliche Impulse kommen von massiven finanzpolitischen Maßnahmen Das erste Jahr der Corona-Pandemie stand in Deutschland im in den USA. Zeichen extremer Schwankungen der ökonomischen Aktivi- tät und einer massiven Lähmung der Binnenwirtschaft. Der GLOBALE PRODUKTION STEIGT DEUTLICH kräftige Erholungsprozess nach dem Ende des Shutdowns im Schon in der zweiten Jahreshälfte 2020 hatte die glo- vergangenen Frühjahr kam im Zuge der zweiten Infektions- bale Produktion nach dem dramatischen Einbruch welle über das zurückliegende Winterhalbjahr insgesamt zum vom vergangenen Frühjahr wieder deutlich zugelegt. Erliegen, wobei der Konjunkturverlauf zwischen Industrie Rasch ist die Erholung vor allem in Ostasien in Gang und Dienstleistern große Unterschiede aufweist. Angesichts gekommen. In China ist die gesamtwirtschaftliche des aktuellen Infektionsgeschehens gehen die Institute da- Produktion bereits auf ihren alten Wachstumspfad zurückgekehrt, in anderen ostasiatischen Ländern, wie von aus, dass der derzeitige Shutdown zunächst fortgesetzt Japan und Korea, lag sie im vierten Quartal nur noch wird und dabei auch die zuletzt erfolgten Lockerungen wie- wenig mehr als 1% unter dem Vorkrisenniveau von der weitgehend zurückgenommen werden. Erst ab Mitte des Ende 2019. Demgegenüber fehlten bis zum Produkti- zweiten Quartals werden Lockerungsschritte unterstellt, die onsniveau von vor einem Jahr etwa 2½% in den USA es den im Shutdown befindlichen Branchen erlauben, ihre Ak- und sogar 4½% in der Europäischen Union, wo das tivitäten nach und nach wieder aufzunehmen. Bis zum Ende Bruttoinlandsprodukt im Zuge der zweiten Infektions- welle im Schlussquartal erneut zurückgegangen ist. des dritten Quartals sollten dann alle Beschränkungen auf- gehoben worden sein, weil bis dahin insbesondere mit einem GELD- UND FINANZPOLITIK WEITERHIN EXPANSIV weitreichenden Impffortschritt zu rechnen ist. Insgesamt AUSGERICHTET dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 3,7% und im kommenden Jahr um 3,9% zulegen. Die öffentlichen Haus- Die Geldpolitik trägt durch die weltweit ausgespro- halte dürften durch die anhaltenden Belastungen im Zuge chen expansive Ausrichtung wesentlich zur konjunktu- rellen Erholung bei. Seit vergangenem Frühjahr liegen der Corona-Pandemie im Jahr 2021 ein Defizit aufweisen, das die Leitzinsen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaf- mit 159 Mrd. Euro sogar noch etwas höher ausfällt als im ten um 0%, und die Zentralbanken haben signalisiert, Jahr 2020. Im kommenden Jahr dürfte es dann deutlich auf dass sie die Zinsen noch längere Zeit auf diesem Ni- 59 Mrd. Euro zurückgehen. Solide Staatsfinanzen sind eine veau belassen wollen. Die umfangreichen Anleihekäufe wichtige Voraussetzung, um angemessen auf makroökonomi- durch die Notenbanken sollen fortgesetzt werden. Die sche Krisen reagieren zu können. Auch deshalb ist ein struk- US-Notenbank will gemäß ihrer neuen geldpolitischen Strategie eine Zeit lang Inflationsraten über der Ziel- turell ausgeglichener Haushalt in normalen Zeiten sinnvoll. marke von 2% tolerieren, wenn die Preissteigerung wie gegenwärtig längere Zeit niedriger gewesen ist. Im Frühjahr 2021 ist die Weltwirtschaft weiter auf Die Kapitalmarktrenditen in den USA sind seit Jah- Expansionskurs, obwohl von der Corona-Pandemie resanfang gestiegen, für Staatstitel mit zehnjähriger weiterhin Belastungen ausgehen. So sind Teile der Laufzeit von etwa 0,9% auf 1,7% Anfang April. europäischen Wirtschaft erneut durch Infektions- Die Finanzpolitik bleibt global gesehen ebenfalls schutzmaßnahmen gelähmt, außerhalb Europas ist expansiv ausgerichtet. Vor allem in den USA sind die die Konjunktur aber im Aufschwung. Die Pandemie Impulse beträchtlich. Auch andernorts (etwa in den ist in Ostasien schon seit längerer Zeit weitgehend größeren Ländern des Euroraums, in Großbritannien unter Kontrolle, und in den USA ist die Zahl der täg- und in Japan) wurden im Winter finanzpolitische Pro- lichen Neuinfektionen seit Januar stark gesunken. gramme aus dem Jahr 2020 verlängert oder neue auf- Die internationale Konjunktur wird durch die Aussicht gelegt. Zwar fällt die Summe aus öffentlichen Mehr- beflügelt, dass sich im Laufe des Jahres 2021 ein Groß- ausgaben und Abgabensenkungen außerhalb der USA 82 ifo Schnelldienst 5 / 2021 74. Jahrgang 12. Mai 2021
DATEN UND PROGNOSEN zumeist deutlich geringer aus als im vergangenen Abb. 1 Jahr. Dennoch stützt die Finanzpolitik die Wirtschaft Reales Bruttoinlandsprodukt in der Welt auch im Jahr 2021 weltweit massiv. Saisonbereinigter Verlauf Index 2015 = 100 % 130 9 UNTERSCHIEDLICHE ENTWICKLUNGEN DER 4,1% 6,5% WELTREGIONEN 120 2,5% 6 3,4% 3,3% -3,2% 110 3 Die internationale Konjunktur dürfte rasch anziehen, 100 0 sobald sich der Bann der Pandemie löst. Allerdings 90 Laufende Rateᵃ -3 erholen sich die einzelnen Weltregionen zeitlich ver- Jahresdurchschnittᵇ setzt: In China ist die Konjunktur zur Jahreswende auf 80 Index -6 Hochtouren gelaufen, wieder niedrigere Einkaufsma- 70 -9 nagerindizes deuten auf eine moderate Verlangsa- 2017 2018 2019 2020 2021 2022 aVeränderung gegenüber dem Vorquartal in %. b Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr. mung im Frühjahr hin. Zu diesem Zeitpunkt werden fi- Quelle: Nationale Statistiken; Berechnungen der Institute; nanzpolitische Impulse und Erfolge der Impfkampagne ab 1. Quartal 2021: Prognose der Institute. © GD Frühjahr 2021 für eine sehr kräftige Konjunktur in den USA sorgen. Pandemiebedingt liegt der Euroraum weiter zurück, staatliche Zuschüsse und Kreditprogramme am Leben für das erste Quartal ist sogar mit einem deutlichen gehalten wurden. Die Zahl der Insolvenzen könnte Rückgang der Produktion zu rechnen. Das gilt auch im Prognosezeitraum deutlich stärker steigen, als in für Großbritannien, wo zudem der wichtige Handel dieser Prognose unterstellt. Schließlich ist die Han- mit der EU unter den Folgen des Brexit leidet. Der delspolitik nach wie vor mit einem Abwärtsrisiko ver- Produktionsrückgang in Europa schlägt sich zu Jah- bunden, da die Biden-Administration im Grundsatz resbeginn auch in einer langsameren Expansion der die gleichen wirtschaftspolitischen Ziele verfolgt wie Weltproduktion nieder. Im Sommerhalbjahr dürfte die Vorgängerregierung. Es gibt aber auch gewichtige die europäische Konjunktur zunehmend in Schwung Aufwärtsrisiken für die Konjunktur. Die Kombination kommen, in Großbritannien schneller als in der EU. von stark expansiver Wirtschaftspolitik und hoher zu- Dagegen sind die wirtschaftlichen Aussichten in den rückgestauter Ersparnis könnte dann, wenn die Infek- meisten Schwellen- und Entwicklungsländern dadurch tionsentwicklung eine nachhaltige Normalisierung der getrübt, dass der Großteil der Bevölkerung noch bis wirtschaftlichen Aktivität erlaubt, zu einem Konsum- ins Jahr 2022 hinein nicht geimpft sein wird. schub führen. In dem Fall dürfte nicht nur die Produk- Alles in allem legt die Weltproduktion im Jah- tion, sondern auch die Inflation rascher steigen, als resdurchschnitt 2021 voraussichtlich um 6,3% zu, in dieser Prognose erwartet. nach einem Rückgang von 3,6% im Jahr 2020. Für das Jahr 2022 erwarten die Institute eine wiederum IN DEUTSCHLAND STARKE SCHWANKUNGEN DER recht kräftige Zunahme um 4,1%. Im Vergleich zur ÖKONOMISCHEN AKTIVITÄT Gemeinschaftsdiagnose vom Herbst 2020 haben die Institute ihre Prognose für die Zunahme der Weltpro- In Deutschland stand das erste Jahr der Corona-Pan- duktion (gewichtet mit laufenden Wechselkursen) für demie im Zeichen extremer Schwankungen der öko- die Jahre 2021 und 2022 um jeweils 0,4 Prozentpunkte nomischen Aktivität und einer massiven Lähmung der nach oben revidiert. Der weltweite Warenhandel (CPB) Binnenwirtschaft. Besonders ausgeprägt war das Ab legt im Jahr 2021 mit 8,2% sehr stark zu und steigt im und Auf im industriellen Exportgeschäft. Anders als in nächsten Jahr voraussichtlich um 3,4%. Die Erholung früheren Krisen ist der private Konsum diesmal kein in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften nimmt bei stabilisierender Faktor, sondern seinerseits mitursäch- dem zugrunde gelegten Szenario im Verlauf dieses lich für die starken Schwankungen. Maßgeblich hier- Jahres Fahrt auf und erfasst zunehmend auch die Re- für ist, dass Infektionsschutzmaßnahmen zahlreiche gionen und Wirtschaftsbereiche, die derzeit noch sehr kontaktintensive Geschäftsmodelle vor allem in den von der Pandemie in Mitleidenschaft gezogen werden. konsumbezogenen Dienstleistungsbranchen behin- dern, so dass die privaten Haushalte ihre Ausgaben RISIKEN nicht wie gewohnt tätigen können. Der kräftige Erholungsprozess kam über das zu- Ein wesentliches Abwärtsrisiko für die internatio- rückliegende Winterhalbjahr im Zuge der zweiten In- nale Konjunktur geht weiterhin vom Pandemiegesche- fektionswelle insgesamt zum Erliegen, wobei der Kon- hen aus. Zwar zeichnen sich bereits erste Erfolge der junkturverlauf zwischen Industrie und Dienstleistern Impfkampagnen ab. In der kurzen Frist können aber gespalten ist. Die Industriekonjunktur war vor allem überall, wo noch keine Herdenimmunität erreicht ist, dank eines steigenden Auslandsgeschäfts bis zuletzt die jüngeren, besonders ansteckenden Virusmutatio- weiter aufwärtsgerichtet. Demgegenüber gab die Ak- nen weitere Infektionswellen auslösen. Eine weitere tivität in den konsumnahen Dienstleistungsbereichen Gefahr ist mit dem wirtschaftlichen Erholungspro- mit dem Eintritt in die zweite Shutdown-Phase aber- zess verbunden, da viele Unternehmen bislang durch mals deutlich nach. Diese begann im November 2020 ifo Schnelldienst 5 / 2021 74. Jahrgang 12. Mai 2021 83
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 2 men. Aufgrund der schrittweisen Aufhebung der Be- Reales Bruttoinlandsprodukt in Deutschland schränkungen dürfte die Aktivität im dritten Quartal Saison- und kalenderbereinigter Verlauf stärker zunehmen als im zweiten. Verwendungsseitig Verkettete Volumenangaben in Mrd. Euro % spielt dabei der private Konsum die Hauptrolle. Die Er- 850 30 fahrungen aus dem vergangenen Frühjahr legen nahe, 3,9% 1,3% 0,6% 3,7% 2,6% dass sich das wirtschaftliche Geschehen in vielen Be- 800 20 -4,9% reichen so rasch normalisiert, dass der Aufholprozess Laufende Rateᵃ 750 Jahresdurchschnittᵇ 10 im Verlauf dieses Jahres weitgehend abgeschlossen Volumen wird. In der Folge fallen dort die Produktionszuwächse 700 0 im kommenden Jahr wieder weitgehend normal aus. Die während der Pandemie beschränkten Kon- 650 -10 2017 2018 2019 2020 2021 2022 summöglichkeiten gehen mit einer erheblichen Er- a Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %. sparnisbildung der privaten Haushalte einher. Die b Zahlenangaben: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr. Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen der Institute; Institute schätzen die so aufgestaute Kaufkraft für ab 1. Quartal 2021: Prognose der Institute. © GD Frühjahr 2021 die Jahre 2020 und 2021 auf insgesamt über 200 Mrd. Euro. Es ist unklar, welcher Teil davon in den Kon- mit neuerlichen kontaktbeschränkenden Maßnahmen, sum fließt, sobald die Infektionsschutzmaßnahmen die bis Jahresende sukzessive verschärft wurden und aufgehoben werden. Die Institute nehmen hierzu an, dann im März 2021 allmählich gelockert wurden. Per dass es nicht zu nachholenden Konsumaktivitäten in saldo verzeichnete die Wirtschaftsleistung im Schluss- großem Stil kommen wird. Freilich ziehen die priva- quartal nur noch ein kleines Plus (0,3%), dem im ers- ten Konsumausgaben allein durch die Rückkehr zum ten Quartal ein deutliches Minus gefolgt sein dürfte, gewohnten Sparverhalten aus der Zeit vor der Pan- das die Institute auf – 1,8% veranschlagen. Neben dem demie kräftig an. Pandemiegeschehen prägt auch die am 1. Januar er- folgte Rückkehr zu den vormaligen Mehrwertsteuer- ERHOLUNG IM SOMMERHALBJAHR sätzen die wirtschaftliche Dynamik um den Jahres- wechsel, da Käufe von langlebigen Konsumgütern und Infolge der für das Sommerhalbjahr erwarteten kräf- Bauleistungen in das alte Jahr vorgezogen wurden. tigen Erholung dürfte das Bruttoinlandsprodukt in Zudem ist die Bauproduktion witterungsbedingt zu diesem Jahr um 3,7% zulegen. Die mit 3,9% sogar Jahresbeginn kräftig gesunken. noch etwas höhere Rate im kommenden Jahr ist ganz überwiegend (3,1 Prozentpunkte) dem statistischen AUFHOLPROZESS IM VERLAUF DIESES JAHRES Überhang geschuldet (die Verlaufsrate beträgt 1,4%). ABGESCHLOSSEN Grund dafür ist im Wesentlichen das veränderte Pan- demiegeschehen. Etwa zur Mitte des Prognosezeit- Trotz des immer wieder verlängerten zweiten Shut- raums dürften die gesamtwirtschaftlichen Produkti- downs haben sich eine Reihe von Indikatoren zuletzt onskapazitäten normal ausgelastet sein und dies bis wieder deutlich verbessert. Dabei ist bemerkenswert, zum Prognosehorizont auch bleiben. dass sich die ifo Geschäftserwartungen im Dienst- Die bisher niedrigen Zahlen bei den Unterneh- leistungssektor und im Handel aufgehellt haben. mensinsolvenzen dürften vor allem auf die staatli- Darin dürfte vor allem die Erwartung zum Ausdruck chen Unterstützungsmaßnahmen und das Aussetzen kommen, dass die zunehmende Immunisierung der der Anmeldepflicht für Insolvenzen zurückzuführen Bevölkerung die Infektionsschutzmaßnahmen in ab- sein, das derzeit noch bis Ende April dieses Jahres sehbarer Zeit entbehrlich macht. Dies wird auch für vorgesehen ist. Durch den Corona-Schock sind die diese Prognose angenommen. Konkret gehen die Ins- Geschäftsmodelle der davon betroffenen Wirtschafts- titute angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens- bereiche für die Zeit nach der Pandemie aber ganz davon aus, dass der derzeitige Shutdown zunächst überwiegend nicht obsolet geworden, sondern dürften fortgesetzt wird und dabei auch die im März erfolgten dann weiterhin marktfähig sein. Allerdings zeigen die Lockerungen wieder weitgehend zurückgenommen Erfahrungen aus der Finanzkrise, dass die Insolvenzan- werden. Erst ab Mitte des zweiten Quartals setzen meldungen erst mit einiger Verzögerung auf den Ein- Lockerungsschritte ein, die es den im Shutdown be- bruch der Wirtschaftsaktivität erfolgen. Weil ein Teil findlichen Unternehmen erlauben, ihre Aktivitäten der Anzeigen diesmal durch die wirtschaftspolitischen nach und nach wieder aufzunehmen. Bis zum Ende Maßnahmen verhindert wurde, wird es wohl vorüber- des dritten Quartals sollten dann alle Beschränkun- gehend zu einem deutlichen Anstieg der Insolvenzen gen aufgehoben worden sein, weil bis dahin insbe- kommen, wenn die staatlichen Hilfsmaßnahmen aus- sondere mit einem weitreichenden Impffortschritt laufen und die Pflicht zur Insolvenzanmeldung wieder zu rechnen ist. vollumfänglich gilt. Unter dieser Voraussetzung wird es in den Dienst- Auf die Beschäftigung dürfte der Anstieg des In- leistungsbereichen zu einer kräftigen Ausweitung der solvenzgeschehens nur geringe Auswirkungen haben, wirtschaftlichen Aktivität im Sommerhalbjahr kom- da viele betroffene Betriebe, z.B. in der Gastronomie, 84 ifo Schnelldienst 5 / 2021 74. Jahrgang 12. Mai 2021
DATEN UND PROGNOSEN relativ klein sind. Zudem hat sich die Einstellungsbe- Jahr 2021 mit 4,5% in etwa konstant bleiben und im reitschaft der Unternehmen in den vergangenen Mo- Jahr 2022 auf 1,6% deutlich zurückgehen. naten stark verbessert, vor allem im Verarbeitenden Gewerbe. Dies spricht dafür, dass die Erholung der Er- RISIKEN werbstätigkeit im Sommerhalbjahr an Fahrt gewinnen dürfte. Im Jahresdurchschnitt ist für das Jahr 2021 Die Corona-Pandemie stellt weiterhin das bedeu- ein Anstieg der Erwerbstätigkeit um 26 000 Personen tendste Abwärtsrisiko für die Prognose dar. Nach wie zu erwarten. Im kommenden Jahr dürfte der Anstieg vor kann es bei der Lieferung von Impfstoffen und 539 000 Personen betragen, wobei das Vorkrisenni- Tests zu Engpässen und Verzögerungen kommen. Dar veau im ersten Halbjahr wieder erreicht wird. Im Zuge über hinaus könnte das Auftreten neuer Mutationen der Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen des Virus die Wirksamkeit der Impfstoffe reduzieren, ab Mai wird die Zahl der Arbeitslosen wohl verstärkt wodurch der Öffnungsprozess möglicherweise ge- zurückgehen. stoppt werden müsste und damit die wirtschaftliche Die Verbraucherpreise unterliegen im laufenden Erholung abermals zurückgeworfen würde. Zudem Jahr mehreren Sondereffekten, die die Inflations- besteht die Gefahr, dass die Erholung auch bei einer rate deutlich steigen lassen werden. Hierzu zählen Eindämmung der Corona-Pandemie nicht störungs- preiswirksame politische Entscheidungen (Rückkehr frei verläuft. In diesem Fall könnten steigende Insol- zu höheren Mehrwertsteuersätzen, Einführung der venzzahlen zusammen mit einem vermehrten Arbeits- CO2-Abgabe) und das kräftige Wiederanziehen wich- platzverlust die wirtschaftliche Aktivität auch deutlich tiger Rohstoffpreise. Die von den Instituten prognosti- stärker belasten, als in dieser Prognose unterstellt. zierte Rate von 2,4% fällt so hoch aus wie seit 13 Jah- Ein erhebliches Aufwärtsrisiko stellt die bei den pri- ren nicht mehr; in der zweiten Jahreshälfte dürfte vaten Haushalten während der Pandemie aufgestaute auch die 3%-Marke erreicht werden. Im kommenden Kaufkraft dar. Sollten die privaten Haushalte stärker Jahr klingen die Sondereffekte jedoch ab, und die auf ihre Ersparnisse zurückgreifen, würde das Brutto- Verbraucherpreisinflation verlangsamt sich auf 1,7%. inlandsprodukt deutlich stärker ausgeweitet werden. In diesem Falle würden auch die Verbraucherpreise HÖHERES HAUSHALTSDEFIZIT deutlich stärker steigen. Die Corona-Pandemie hinterlässt auch Spuren Die öffentlichen Haushalte dürften im Jahr 2021 ein beim Produktionspotenzial. Nach der aktuellen Defizit aufweisen, das mit 159 Mrd. Euro noch etwas Schätzung dürfte es in den Jahren 2020–2024 durch- höher ausfällt als im Jahr zuvor. Zwar nehmen kon- schnittlich rund 1,1% unter dem Niveau liegen, das junkturell die Steuereinnahmen bereits wieder zu. Die vor der Coronakrise geschätzt wurde. Ursächlich hier- Ausgaben für Impfungen und Tests lassen jedoch die für sind insbesondere Revisionen des potenziellen sozialen Sachleistungen kräftig steigen. Die Investi- Arbeitsvolumens und des Trends der Totalen Fak- tionstätigkeit des Staates dürfte weiter expandieren, torproduktivität. Der Revisionsbeitrag des Kapitals insbesondre aufgrund der verfügbaren Mittel in Inves- ist hingegen verhältnismäßig gering und am Ende titionsprogrammen. In Relation zum Bruttoinlands der mittleren Frist aufgrund der veränderten Prog- produkt dürfte das gesamtstaatliche Budgetdefizit im nose für die Investitionstätigkeit sogar leicht positiv. Tab. 1 Eckdaten der Prognose für Deutschland 2018 2019 2020 2021 2022 a Reales Bruttoinlandsprodukt 1,3 0,6 – 4,9 3,7 3,9 Erwerbstätige b (1 000 Personen) 44 868 45 269 44 782 44 808 45 347 Arbeitslose (1 000 Personen) 2 340 2 267 2 695 2 630 2 382 c Arbeitslosenquote BA (in %) 5,2 5,0 5,9 5,7 5,2 Verbraucherpreisea,d 1,8 1,4 0,5 2,4 1,7 Lohnstückkostena,e 2,8 3,2 4,2 – 0,6 0,3 Finanzierungssaldo des Staatesf - in Mrd. Euro 61,6 52,5 – 139,6 – 159,3 – 58,8 - in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts 1,48 1,5 – 4,2 – 4,5 – 1,6 Leistungsbilanzsaldo - in Mrd. Euro 264,2 258,6 231,9 284,7 254,2 - in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts 7,9 7,5 7,0 8,1 6,8 a Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. b Inlandskonzept. c Arbeitslose in % der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß Bundesagentur für Arbeit). d Verbrau- cherpreisindex (2015 = 100). e Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstun- de. f In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG 2010). Quelle: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2021 bis 2022: Prognose der Institute. GD Frühjahr 2021 ifo Schnelldienst 5 / 2021 74. Jahrgang 12. Mai 2021 85
DATEN UND PROGNOSEN Diese vergleichsweise geringe Revision unterstellt, und 2017 könnte die Liquidität der durch die Krise ge- dass die bestehenden Produktionsstrukturen nicht troffenen Unternehmen ohne weitere Prüfung stärken. in beträchtlichen Umfang obsolet geworden sind. Für junge und neu gegründete Unternehmen bedarf es Allerdings sind Schätzungen des Produktionspotenzi- freilich gesonderter Programme. Um Unternehmens- als mit großer Unsicherheit behaftet, und die mittel- gründungen zu fördern, wäre beispielsweise auch und langfristigen Folgen der Coronakrise sind noch eine Weiterentwicklung des Gründungszuschusses schwer absehbar. eine Handlungsmöglichkeit. Solide Staatsfinanzen sind eine wichtige Voraus- DEMOGRAFISCHER WANDEL DÄMPFT setzung, um angemessen auf makroökonomische Kri- WACHSTUMSPERSPEKTIVEN sen reagieren zu können. Auch deshalb ist ein struk- turell ausgeglichener Haushalt in normalen Zeiten Bereits jetzt zeichnet sich deutlich ab, dass Deutsch- sinnvoll. Der demografische Wandel lastet aber mit- land in den kommenden Jahren ein folgenreicher tel- und langfristig auf den Wachstumsperspektiven. demografischer Wandel bevorsteht. Mit dem Ein- Für das Erreichen eines strukturell ausgeglichenen tritt der Babyboomer in das Rentenalter wird die Haushalts bleiben damit entweder die Möglichkeit der Erwerbsbevölkerung schrumpfen und der Anteil der Konsolidierung auf der Ausgaben- oder die Stärkung Älteren deutlich steigen. Die Folgen für das Poten- der Einnahmeseite. Die Abgabenquote in Deutschland zialwachstum sind beträchtlich: Bis zum Jahr 2030 ist bereits auf einem gesamtdeutschen Höchststand muss mit einer Verringerung der Potenzialwachs- – Bedarf für erhebliche Mehrausgaben gerade im in- tumsrate um rund einen Prozentpunkt gerechnet vestiven Bereich ist angemeldet. Vor diesem Hinter- werden. Dies ist das Ergebnis einer Schätzung, bei grund rückt ein höheres Renteneintrittsalter stärker der der empirische Zusammenhang zwischen demo- in den Fokus, würde dies doch die Einnahmeseite der grafischem Wandel und den Bestimmungsfaktoren Rentenversicherung stärken und zudem das Produk- des Potenzialwachstums explizit Berücksichtigung tionspotenzial erhöhen. Ein solcher Schritt brächte findet. Zusätzliche Szenariorechnungen zeigen, dass somit eine doppelte Rendite. etwa ein Anstieg des Wanderungssaldos um jährlich Zudem könnte die Zuwanderung in jüngere rund 100 000 Personen oder sogar eine Erhöhung des Alterskohorten gefördert und Maßnahmen ergrif- Renteneintrittsalters auf 70 Jahre diesen Effekt nur fen werden, um die Partizipationsquote weiter zu leicht abmildern, aber bei weitem nicht kompensie- erhöhen. ren könnten. Die Wirtschaftspolitik hat zügig und mit umfang- Abgeschlossen in Essen am 14. April 2021 reichen Maßnahmen auf die wirtschaftliche Krise re- agiert. Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass der Die Gemeinschaftsdiagnose wird erarbeitet vom DIW Bestand vieler durch die Krise getroffenen Unterneh- in Berlin, vom ifo Institut in München in Kooperation men bislang gesichert wurde. Insgesamt hat allein mit KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, der Bund Hilfen in Höhe von mehr als einer Billion vom IfW in Kiel, vom IWH in Halle und vom RWI in Euro zugesagt. Dabei spricht die Anatomie der Krise Essen in Kooperation mit dem Institut für Höhere für solche Instrumente, die schnell und zielgerichtet Studien Wien. wirken und sich zudem selbst dosieren. Hierzu zählt die Möglichkeit des steuerlichen Verlustrücktrags, Die Langfassung des Gutachtens der bereits jetzt genutzt wird, allerdings auf die Ge- Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, Pandemie ver- winneinkünfte des Jahres 2019 begrenzt und bis zu zögert Aufschwung – Demografie bremst Wachstum, einem Höchstbetrag von 10 Mio. Euro gedeckelt ist. Frühjahr 2021, Essen 2021, ist hier zu finden: Eine Ausweitung dieser Regelungen auf die Jahre 2018 https://www.ifo.de/node/62761 86 ifo Schnelldienst 5 / 2021 74. Jahrgang 12. Mai 2021
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