Pandemie verzögert Aufschwung - Demografie bremst Wachstum - ifo Institut

Die Seite wird erstellt Valentin Schwarz
 
WEITER LESEN
DATEN UND PROGNOSEN

                    Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose

                    Pandemie verzögert Aufschwung –
                    Demografie bremst Wachstum
                    Kurzfassung der Gemeinschaftsdiagnose 1/2021

IN KÜRZE                                                                         teil der Bevölkerung in den fortgeschrittenen Volks-
                                                                                 wirtschaften impfen lassen kann. Zusätzliche Impulse
                                                                                 kommen von massiven finanzpolitischen Maßnahmen
Das erste Jahr der Corona-Pandemie stand in Deutschland im                       in den USA.
Zeichen extremer Schwankungen der ökonomischen Aktivi-
tät und einer massiven Lähmung der Binnenwirtschaft. Der                         GLOBALE PRODUKTION STEIGT DEUTLICH

kräftige Erholungsprozess nach dem Ende des Shutdowns im
                                                                                 Schon in der zweiten Jahreshälfte 2020 hatte die glo-
vergangenen Frühjahr kam im Zuge der zweiten Infektions-                         bale Produktion nach dem dramatischen Einbruch
welle über das zurückliegende Winterhalbjahr insgesamt zum                       vom vergangenen Frühjahr wieder deutlich zugelegt.
Erliegen, wobei der Konjunkturverlauf zwischen Industrie                         Rasch ist die Erholung vor allem in Ostasien in Gang
und Dienstleistern große Unterschiede aufweist. Angesichts                       gekommen. In China ist die gesamtwirtschaftliche
des aktuellen Infektionsgeschehens gehen die Institute da-                       Produktion bereits auf ihren alten Wachstumspfad
                                                                                 zurückgekehrt, in anderen ostasiatischen Ländern, wie
von aus, dass der derzeitige Shutdown zunächst fortgesetzt
                                                                                 Japan und Korea, lag sie im vierten Quartal nur noch
wird und dabei auch die zuletzt erfolgten Lockerungen wie-                       wenig mehr als 1% unter dem Vorkrisenniveau von
der weitgehend zurückgenommen werden. Erst ab Mitte des                          Ende 2019. Demgegenüber fehlten bis zum Produkti-
zweiten Quartals werden Lockerungsschritte unterstellt, die                      onsniveau von vor einem Jahr etwa 2½% in den USA
es den im Shutdown befindlichen Branchen erlauben, ihre Ak-                      und sogar 4½% in der Europäischen Union, wo das
tivitäten nach und nach wieder aufzunehmen. Bis zum Ende                         Bruttoinlandsprodukt im Zuge der zweiten Infektions-
                                                                                 welle im Schlussquartal erneut zurückgegangen ist.
des dritten Quartals sollten dann alle Beschränkungen auf-
gehoben worden sein, weil bis dahin insbesondere mit einem                       GELD- UND FINANZPOLITIK WEITERHIN EXPANSIV
weitreichenden Impffortschritt zu rechnen ist. Insgesamt                         AUSGERICHTET
dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 3,7% und
im kommenden Jahr um 3,9% zulegen. Die öffentlichen Haus-                        Die Geldpolitik trägt durch die weltweit ausgespro-
halte dürften durch die anhaltenden Belastungen im Zuge                          chen expansive Ausrichtung wesentlich zur konjunktu-
                                                                                 rellen Erholung bei. Seit vergangenem Frühjahr liegen
der Corona-Pandemie im Jahr 2021 ein Defizit aufweisen, das
                                                                                 die Leitzinsen in den fortgeschrittenen Volkswirtschaf-
mit 159 Mrd. Euro sogar noch etwas höher ausfällt als im                         ten um 0%, und die Zentralbanken haben signalisiert,
Jahr 2020. Im kommenden Jahr dürfte es dann deutlich auf                         dass sie die Zinsen noch längere Zeit auf diesem Ni-
59 Mrd. Euro zurückgehen. Solide Staatsfinanzen sind eine                        veau belassen wollen. Die umfangreichen Anleihekäufe
wichtige Voraussetzung, um angemessen auf makroökonomi-                          durch die Notenbanken sollen fortgesetzt werden. Die
sche Krisen reagieren zu können. Auch deshalb ist ein struk-                     US-Notenbank will gemäß ihrer neuen geldpolitischen
                                                                                 Strategie eine Zeit lang Inflationsraten über der Ziel-
turell ausgeglichener Haushalt in normalen Zeiten sinnvoll.
                                                                                 marke von 2% tolerieren, wenn die Preissteigerung
                                                                                 wie gegenwärtig längere Zeit niedriger gewesen ist.
                    Im Frühjahr 2021 ist die Weltwirtschaft weiter auf           Die Kapitalmarktrenditen in den USA sind seit Jah-
                    Expansionskurs, obwohl von der Corona-Pandemie               resanfang gestiegen, für Staatstitel mit zehnjähriger
                    weiterhin Belastungen ausgehen. So sind Teile der            Laufzeit von etwa 0,9% auf 1,7% Anfang April.
                    europäischen Wirtschaft erneut durch Infektions-                  Die Finanzpolitik bleibt global gesehen ebenfalls
                    schutzmaßnahmen gelähmt, außerhalb Europas ist               expansiv ausgerichtet. Vor allem in den USA sind die
                    die Konjunktur aber im Aufschwung. Die Pandemie              Impulse beträchtlich. Auch andernorts (etwa in den
                    ist in Ostasien schon seit längerer Zeit weitgehend          größeren Ländern des Euroraums, in Großbritannien
                    unter Kontrolle, und in den USA ist die Zahl der täg-        und in Japan) wurden im Winter finanzpolitische Pro-
                    lichen Neuinfektionen seit Januar stark gesunken.            gramme aus dem Jahr 2020 verlängert oder neue auf-
                    Die internationale Konjunktur wird durch die Aussicht        gelegt. Zwar fällt die Summe aus öffentlichen Mehr-
                    beflügelt, dass sich im Laufe des Jahres 2021 ein Groß-      ausgaben und Abgabensenkungen außerhalb der USA

               82   ifo Schnelldienst   5 / 2021   74. Jahrgang   12. Mai 2021
DATEN UND PROGNOSEN

zumeist deutlich geringer aus als im vergangenen         Abb. 1
Jahr. Dennoch stützt die Finanzpolitik die Wirtschaft    Reales Bruttoinlandsprodukt in der Welt
auch im Jahr 2021 weltweit massiv.                       Saisonbereinigter Verlauf

                                                                  Index 2015 = 100                                                                          %
                                                         130                                                                                                     9
UNTERSCHIEDLICHE ENTWICKLUNGEN DER                                                                                                                  4,1%
                                                                                                                                            6,5%
WELTREGIONEN                                             120
                                                                                                        2,5%
                                                                                                                                                                 6
                                                                       3,4%            3,3%                         -3,2%
                                                         110                                                                                                     3
Die internationale Konjunktur dürfte rasch anziehen,
                                                         100                                                                                                     0
sobald sich der Bann der Pandemie löst. Allerdings
                                                             90           Laufende Rateᵃ                                                                         -3
erholen sich die einzelnen Weltregionen zeitlich ver-                     Jahresdurchschnittᵇ
setzt: In China ist die Konjunktur zur Jahreswende auf       80           Index                                                                                  -6
Hochtouren gelaufen, wieder niedrigere Einkaufsma-           70                                                                                                  -9
nagerindizes deuten auf eine moderate Verlangsa-                       2017           2018              2019             2020               2021     2022
                                                         aVeränderung gegenüber dem Vorquartal in %. b Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr.
mung im Frühjahr hin. Zu diesem Zeitpunkt werden fi-
                                                         Quelle: Nationale Statistiken; Berechnungen der Institute;
nanzpolitische Impulse und Erfolge der Impfkampagne      ab 1. Quartal 2021: Prognose der Institute.                                              © GD Frühjahr 2021

für eine sehr kräftige Konjunktur in den USA sorgen.
Pandemiebedingt liegt der Euroraum weiter zurück,        staatliche Zuschüsse und Kreditprogramme am Leben
für das erste Quartal ist sogar mit einem deutlichen     gehalten wurden. Die Zahl der Insolvenzen könnte
Rückgang der Produktion zu rechnen. Das gilt auch        im Prognosezeitraum deutlich stärker steigen, als in
für Großbritannien, wo zudem der wichtige Handel         dieser Prognose unterstellt. Schließlich ist die Han-
mit der EU unter den Folgen des Brexit leidet. Der       delspolitik nach wie vor mit einem Abwärtsrisiko ver-
Produktionsrückgang in Europa schlägt sich zu Jah-       bunden, da die Biden-Administration im Grundsatz
resbeginn auch in einer langsameren Expansion der        die gleichen wirtschaftspolitischen Ziele verfolgt wie
Weltproduktion nieder. Im Sommerhalbjahr dürfte          die Vorgängerregierung. Es gibt aber auch gewichtige
die europäische Konjunktur zunehmend in Schwung          Aufwärtsrisiken für die Konjunktur. Die Kombination
kommen, in Großbritannien schneller als in der EU.       von stark expansiver Wirtschaftspolitik und hoher zu-
Dagegen sind die wirtschaftlichen Aussichten in den      rückgestauter Ersparnis könnte dann, wenn die Infek-
meisten Schwellen- und Entwicklungsländern dadurch       tionsentwicklung eine nachhaltige Normalisierung der
getrübt, dass der Großteil der Bevölkerung noch bis      wirtschaftlichen Aktivität erlaubt, zu einem Konsum-
ins Jahr 2022 hinein nicht geimpft sein wird.            schub führen. In dem Fall dürfte nicht nur die Produk-
     Alles in allem legt die Weltproduktion im Jah-      tion, sondern auch die Inflation rascher steigen, als
resdurchschnitt 2021 voraussichtlich um 6,3% zu,         in dieser Prognose erwartet.
nach einem Rückgang von 3,6% im Jahr 2020. Für
das Jahr 2022 erwarten die Institute eine wiederum       IN DEUTSCHLAND STARKE SCHWANKUNGEN DER
recht kräftige Zunahme um 4,1%. Im Vergleich zur         ÖKONOMISCHEN AKTIVITÄT
Gemeinschaftsdiagnose vom Herbst 2020 haben die
Institute ihre Prognose für die Zunahme der Weltpro-     In Deutschland stand das erste Jahr der Corona-Pan-
duktion (gewichtet mit laufenden Wechselkursen) für      demie im Zeichen extremer Schwankungen der öko-
die Jahre 2021 und 2022 um jeweils 0,4 Prozentpunkte     nomischen Aktivität und einer massiven Lähmung der
nach oben revidiert. Der weltweite Warenhandel (CPB)     Binnenwirtschaft. Besonders ausgeprägt war das Ab
legt im Jahr 2021 mit 8,2% sehr stark zu und steigt im   und Auf im industriellen Exportgeschäft. Anders als in
nächsten Jahr voraussichtlich um 3,4%. Die Erholung      früheren Krisen ist der private Konsum diesmal kein
in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften nimmt bei     stabilisierender Faktor, sondern seinerseits mitursäch-
dem zugrunde gelegten Szenario im Verlauf dieses         lich für die starken Schwankungen. Maßgeblich hier-
Jahres Fahrt auf und erfasst zunehmend auch die Re-      für ist, dass Infektionsschutzmaßnahmen zahlreiche
gionen und Wirtschaftsbereiche, die derzeit noch sehr    kontaktintensive Geschäftsmodelle vor allem in den
von der Pandemie in Mitleidenschaft gezogen werden.      konsumbezogenen Dienstleistungsbranchen behin-
                                                         dern, so dass die privaten Haushalte ihre Ausgaben
RISIKEN                                                  nicht wie gewohnt tätigen können.
                                                              Der kräftige Erholungsprozess kam über das zu-
Ein wesentliches Abwärtsrisiko für die internatio-       rückliegende Winterhalbjahr im Zuge der zweiten In-
nale Konjunktur geht weiterhin vom Pandemiegesche-       fektionswelle insgesamt zum Erliegen, wobei der Kon-
hen aus. Zwar zeichnen sich bereits erste Erfolge der    junkturverlauf zwischen Industrie und Dienstleistern
Impfkampagnen ab. In der kurzen Frist können aber        gespalten ist. Die Industriekonjunktur war vor allem
überall, wo noch keine Herdenimmunität erreicht ist,     dank eines steigenden Auslandsgeschäfts bis zuletzt
die jüngeren, besonders ansteckenden Virusmutatio-       weiter aufwärtsgerichtet. Demgegenüber gab die Ak-
nen weitere Infektionswellen auslösen. Eine weitere      tivität in den konsumnahen Dienstleistungsbereichen
Gefahr ist mit dem wirtschaftlichen Erholungspro-        mit dem Eintritt in die zweite Shutdown-Phase aber-
zess verbunden, da viele Unternehmen bislang durch       mals deutlich nach. Diese begann im November 2020

                                                                               ifo Schnelldienst   5 / 2021   74. Jahrgang   12. Mai 2021     83
DATEN UND PROGNOSEN

Abb. 2                                                                                                                 men. Aufgrund der schrittweisen Aufhebung der Be-
Reales Bruttoinlandsprodukt in Deutschland                                                                             schränkungen dürfte die Aktivität im dritten Quartal
Saison- und kalenderbereinigter Verlauf
                                                                                                                       stärker zunehmen als im zweiten. Verwendungsseitig
         Verkettete Volumenangaben in Mrd. Euro                                                            %           spielt dabei der private Konsum die Hauptrolle. Die Er-
850                                                                                                            30      fahrungen aus dem vergangenen Frühjahr legen nahe,
                                                                                                   3,9%
                               1,3%              0,6%                              3,7%
               2,6%                                                                                                    dass sich das wirtschaftliche Geschehen in vielen Be-
800                                                                                                            20
                                                                   -4,9%                                               reichen so rasch normalisiert, dass der Aufholprozess
                      Laufende Rateᵃ
750                   Jahresdurchschnittᵇ                                                                      10      im Verlauf dieses Jahres weitgehend abgeschlossen
                      Volumen                                                                                          wird. In der Folge fallen dort die Produktionszuwächse
700                                                                                                            0       im kommenden Jahr wieder weitgehend normal aus.
                                                                                                                            Die während der Pandemie beschränkten Kon-
650                                                                                                            -10
               2017            2018              2019               2020           2021            2022                summöglichkeiten gehen mit einer erheblichen Er-
a   Veränderung gegenüber dem Vorquartal in %.                                                                         sparnisbildung der privaten Haushalte einher. Die
b Zahlenangaben: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr.

Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen der Institute;
                                                                                                                       Institute schätzen die so aufgestaute Kaufkraft für
ab 1. Quartal 2021: Prognose der Institute.                                                       © GD Frühjahr 2021   die Jahre 2020 und 2021 auf insgesamt über 200 Mrd.
                                                                                                                       Euro. Es ist unklar, welcher Teil davon in den Kon-
                                  mit neuerlichen kontaktbeschränkenden Maßnahmen,                                     sum fließt, sobald die Infektionsschutzmaßnahmen
                                  die bis Jahresende sukzessive verschärft wurden und                                  aufgehoben werden. Die Institute nehmen hierzu an,
                                  dann im März 2021 allmählich gelockert wurden. Per                                   dass es nicht zu nachholenden Konsumaktivitäten in
                                  saldo verzeichnete die Wirtschaftsleistung im Schluss-                               großem Stil kommen wird. Freilich ziehen die priva-
                                  quartal nur noch ein kleines Plus (0,3%), dem im ers-                                ten Konsumausgaben allein durch die Rückkehr zum
                                  ten Quartal ein deutliches Minus gefolgt sein dürfte,                                gewohnten Sparverhalten aus der Zeit vor der Pan-
                                  das die Institute auf – 1,8% veranschlagen. Neben dem                                demie kräftig an.
                                  Pandemiegeschehen prägt auch die am 1. Januar er-
                                  folgte Rückkehr zu den vormaligen Mehrwertsteuer-                                    ERHOLUNG IM SOMMERHALBJAHR
                                  sätzen die wirtschaftliche Dynamik um den Jahres-
                                  wechsel, da Käufe von langlebigen Konsumgütern und                                   Infolge der für das Sommerhalbjahr erwarteten kräf-
                                  Bauleistungen in das alte Jahr vorgezogen wurden.                                    tigen Erholung dürfte das Bruttoinlandsprodukt in
                                  Zudem ist die Bauproduktion witterungsbedingt zu                                     diesem Jahr um 3,7% zulegen. Die mit 3,9% sogar
                                  Jahresbeginn kräftig gesunken.                                                       noch etwas höhere Rate im kommenden Jahr ist ganz
                                                                                                                       überwiegend (3,1 Prozentpunkte) dem statistischen
                                  AUFHOLPROZESS IM VERLAUF DIESES JAHRES                                               Überhang geschuldet (die Verlaufsrate beträgt 1,4%).
                                  ABGESCHLOSSEN                                                                        Grund dafür ist im Wesentlichen das veränderte Pan-
                                                                                                                       demiegeschehen. Etwa zur Mitte des Prognosezeit-
                                  Trotz des immer wieder verlängerten zweiten Shut-                                    raums dürften die gesamtwirtschaftlichen Produkti-
                                  downs haben sich eine Reihe von Indikatoren zuletzt                                  onskapazitäten normal ausgelastet sein und dies bis
                                  wieder deutlich verbessert. Dabei ist bemerkenswert,                                 zum Prognosehorizont auch bleiben.
                                  dass sich die ifo Geschäftserwartungen im Dienst-                                         Die bisher niedrigen Zahlen bei den Unterneh-
                                  leistungssektor und im Handel aufgehellt haben.                                      mensinsolvenzen dürften vor allem auf die staatli-
                                  Darin dürfte vor allem die Erwartung zum Ausdruck                                    chen Unterstützungsmaßnahmen und das Aussetzen
                                  kommen, dass die zunehmende Immunisierung der                                        der Anmeldepflicht für Insolvenzen zurückzuführen
                                  Bevölkerung die Infektionsschutzmaßnahmen in ab-                                     sein, das derzeit noch bis Ende April dieses Jahres
                                  sehbarer Zeit entbehrlich macht. Dies wird auch für                                  vorgesehen ist. Durch den Corona-Schock sind die
                                  diese Prognose angenommen. Konkret gehen die Ins-                                    Geschäftsmodelle der davon betroffenen Wirtschafts-
                                  titute angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens-                                bereiche für die Zeit nach der Pandemie aber ganz
                                  davon aus, dass der derzeitige Shutdown zunächst                                     überwiegend nicht obsolet geworden, sondern dürften
                                  fortgesetzt wird und dabei auch die im März erfolgten                                dann weiterhin marktfähig sein. Allerdings zeigen die
                                  Lockerungen wieder weitgehend zurückgenommen                                         Erfahrungen aus der Finanzkrise, dass die Insolvenzan-
                                  werden. Erst ab Mitte des zweiten Quartals setzen                                    meldungen erst mit einiger Verzögerung auf den Ein-
                                  Lockerungsschritte ein, die es den im Shutdown be-                                   bruch der Wirtschaftsaktivität erfolgen. Weil ein Teil
                                  findlichen Unternehmen erlauben, ihre Aktivitäten                                    der Anzeigen diesmal durch die wirtschaftspolitischen
                                  nach und nach wieder aufzunehmen. Bis zum Ende                                       Maßnahmen verhindert wurde, wird es wohl vorüber-
                                  des dritten Quartals sollten dann alle Beschränkun-                                  gehend zu einem deutlichen Anstieg der Insolvenzen
                                  gen aufgehoben worden sein, weil bis dahin insbe-                                    kommen, wenn die staatlichen Hilfsmaßnahmen aus-
                                  sondere mit einem weitreichenden Impffortschritt                                     laufen und die Pflicht zur Insolvenzanmeldung wieder
                                  zu rechnen ist.                                                                      vollumfänglich gilt.
                                       Unter dieser Voraussetzung wird es in den Dienst-                                    Auf die Beschäftigung dürfte der Anstieg des In-
                                  leistungsbereichen zu einer kräftigen Ausweitung der                                 solvenzgeschehens nur geringe Auswirkungen haben,
                                  wirtschaftlichen Aktivität im Sommerhalbjahr kom-                                    da viele betroffene Betriebe, z.B. in der Gastronomie,

                          84      ifo Schnelldienst     5 / 2021    74. Jahrgang   12. Mai 2021
DATEN UND PROGNOSEN

relativ klein sind. Zudem hat sich die Einstellungsbe-                               Jahr 2021 mit 4,5% in etwa konstant bleiben und im
reitschaft der Unternehmen in den vergangenen Mo-                                    Jahr 2022 auf 1,6% deutlich zurückgehen.
naten stark verbessert, vor allem im Verarbeitenden
Gewerbe. Dies spricht dafür, dass die Erholung der Er-                               RISIKEN
werbstätigkeit im Sommerhalbjahr an Fahrt gewinnen
dürfte. Im Jahresdurchschnitt ist für das Jahr 2021                                  Die Corona-Pandemie stellt weiterhin das bedeu-
ein Anstieg der Erwerbstätigkeit um 26 000 Personen                                  tendste Abwärtsrisiko für die Prognose dar. Nach wie
zu erwarten. Im kommenden Jahr dürfte der Anstieg                                    vor kann es bei der Lieferung von Impfstoffen und
539 000 Personen betragen, wobei das Vorkrisenni-                                    Tests zu Engpässen und Verzögerungen kommen. Dar­
veau im ersten Halbjahr wieder erreicht wird. Im Zuge                                über hinaus könnte das Auftreten neuer Mutationen
der Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen                                        des Virus die Wirksamkeit der Impfstoffe reduzieren,
ab Mai wird die Zahl der Arbeitslosen wohl verstärkt                                 wodurch der Öffnungsprozess möglicherweise ge-
zurückgehen.                                                                         stoppt werden müsste und damit die wirtschaftliche
     Die Verbraucherpreise unterliegen im laufenden                                  Erholung abermals zurückgeworfen würde. Zudem
Jahr mehreren Sondereffekten, die die Inflations-                                    besteht die Gefahr, dass die Erholung auch bei einer
rate deutlich steigen lassen werden. Hierzu zählen                                   Eindämmung der Corona-Pandemie nicht störungs-
preiswirksame politische Entscheidungen (Rückkehr                                    frei verläuft. In diesem Fall könnten steigende Insol-
zu höheren Mehrwertsteuersätzen, Einführung der                                      venzzahlen zusammen mit einem vermehrten Arbeits-
CO2-Abgabe) und das kräftige Wiederanziehen wich-                                    platzverlust die wirtschaftliche Aktivität auch deutlich
tiger Rohstoffpreise. Die von den Instituten prognosti-                              stärker belasten, als in dieser Prognose unterstellt.
zierte Rate von 2,4% fällt so hoch aus wie seit 13 Jah-                              Ein erhebliches Aufwärtsrisiko stellt die bei den pri-
ren nicht mehr; in der zweiten Jahreshälfte dürfte                                   vaten Haushalten während der Pandemie aufgestaute
auch die 3%-Marke erreicht werden. Im kommenden                                      Kaufkraft dar. Sollten die privaten Haushalte stärker
Jahr klingen die Sondereffekte jedoch ab, und die                                    auf ihre Ersparnisse zurückgreifen, würde das Brutto-
Verbraucherpreisinflation verlangsamt sich auf 1,7%.                                 inlandsprodukt deutlich stärker ausgeweitet werden.
                                                                                     In diesem Falle würden auch die Verbraucherpreise
HÖHERES HAUSHALTSDEFIZIT                                                             deutlich stärker steigen.
                                                                                          Die Corona-Pandemie hinterlässt auch Spuren
Die öffentlichen Haushalte dürften im Jahr 2021 ein                                  beim Produktionspotenzial. Nach der aktuellen
Defizit aufweisen, das mit 159 Mrd. Euro noch etwas                                  Schätzung dürfte es in den Jahren 2020–2024 durch-
höher ausfällt als im Jahr zuvor. Zwar nehmen kon-                                   schnittlich rund 1,1% unter dem Niveau liegen, das
junkturell die Steuereinnahmen bereits wieder zu. Die                                vor der Coronakrise geschätzt wurde. Ursächlich hier-
Ausgaben für Impfungen und Tests lassen jedoch die                                   für sind insbesondere Revisionen des potenziellen
sozialen Sachleistungen kräftig steigen. Die Investi-                                Arbeitsvolumens und des Trends der Totalen Fak-
tionstätigkeit des Staates dürfte weiter expandieren,                                torproduktivität. Der Revisionsbeitrag des Kapitals
insbesondre aufgrund der verfügbaren Mittel in Inves-                                ist hingegen verhältnismäßig gering und am Ende
titionsprogrammen. In Relation zum Bruttoinlands­                                    der mittleren Frist aufgrund der veränderten Prog-
produkt dürfte das gesamtstaatliche Budgetdefizit im                                 nose für die Investitionstätigkeit sogar leicht positiv.

 Tab. 1
 Eckdaten der Prognose für Deutschland
                                                                2018                  2019                  2020                  2021                    2022
                                   a
 Reales Bruttoinlandsprodukt                                     1,3                   0,6                  – 4,9                  3,7                     3,9
 Erwerbstätige b (1 000 Personen)                              44 868                45 269                44 782                44 808                   45 347
 Arbeitslose (1 000 Personen)                                   2 340                 2 267                 2 695                 2 630                   2 382
                          c
 Arbeitslosenquote BA (in %)                                     5,2                   5,0                   5,9                   5,7                     5,2
 Verbraucherpreisea,d                                            1,8                   1,4                   0,5                   2,4                     1,7
 Lohnstückkostena,e                                              2,8                   3,2                   4,2                  – 0,6                    0,3
 Finanzierungssaldo des Staatesf
 - in Mrd. Euro                                                 61,6                  52,5                 – 139,6               – 159,3                  – 58,8
 - in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts                     1,48                   1,5                  – 4,2                 – 4,5                   – 1,6
 Leistungsbilanzsaldo
 - in Mrd. Euro                                                 264,2                 258,6                 231,9                 284,7                   254,2
 - in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts                      7,9                   7,5                   7,0                   8,1                     6,8
 a
  Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %. b Inlandskonzept. c Arbeitslose in % der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß Bundesagentur für Arbeit). d Verbrau-
 cherpreisindex (2015 = 100). e Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstun-
 de. f In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG 2010).

 Quelle: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2021 bis 2022: Prognose der Institute.                             GD Frühjahr 2021

                                                                                                            ifo Schnelldienst   5 / 2021   74. Jahrgang    12. Mai 2021   85
DATEN UND PROGNOSEN

     Diese vergleichsweise geringe Revision unterstellt,          und 2017 könnte die Liquidität der durch die Krise ge-
     dass die bestehenden Produktionsstrukturen nicht             troffenen Unternehmen ohne weitere Prüfung stärken.
     in beträchtlichen Umfang obsolet geworden sind.              Für junge und neu gegründete Unternehmen bedarf es
     Allerdings sind Schätzungen des Produktionspotenzi-          freilich gesonderter Programme. Um Unternehmens-
     als mit großer Unsicherheit behaftet, und die mittel-        gründungen zu fördern, wäre beispielsweise auch
     und langfristigen Folgen der Coronakrise sind noch           eine Weiterentwicklung des Gründungszuschusses
     schwer absehbar.                                             eine Handlungsmöglichkeit.
                                                                        Solide Staatsfinanzen sind eine wichtige Voraus-
     DEMOGRAFISCHER WANDEL DÄMPFT                                 setzung, um angemessen auf makroökonomische Kri-
     WACHSTUMSPERSPEKTIVEN                                        sen reagieren zu können. Auch deshalb ist ein struk-
                                                                  turell ausgeglichener Haushalt in normalen Zeiten
     Bereits jetzt zeichnet sich deutlich ab, dass Deutsch-       sinnvoll. Der demografische Wandel lastet aber mit-
     land in den kommenden Jahren ein folgenreicher               tel- und langfristig auf den Wachstumsperspektiven.
     demografischer Wandel bevorsteht. Mit dem Ein-               Für das Erreichen eines strukturell ausgeglichenen
     tritt der Babyboomer in das Rentenalter wird die             Haushalts bleiben damit entweder die Möglichkeit der
     Erwerbsbevölkerung schrumpfen und der Anteil der             Konsolidierung auf der Ausgaben- oder die Stärkung
     Älteren deutlich steigen. Die Folgen für das Poten-          der Einnahmeseite. Die Abgabenquote in Deutschland
     zialwachstum sind beträchtlich: Bis zum Jahr 2030            ist bereits auf einem gesamtdeutschen Höchststand
     muss mit einer Verringerung der Potenzialwachs-              – Bedarf für erhebliche Mehrausgaben gerade im in-
     tumsrate um rund einen Prozentpunkt gerechnet                vestiven Bereich ist angemeldet. Vor diesem Hinter-
     werden. Dies ist das Ergebnis einer Schätzung, bei           grund rückt ein höheres Renteneintrittsalter stärker
     der der empirische Zusammenhang zwischen demo-               in den Fokus, würde dies doch die Einnahmeseite der
     grafischem Wandel und den Bestimmungsfaktoren                Rentenversicherung stärken und zudem das Produk-
     des Potenzialwachstums explizit Berücksichtigung             tionspotenzial erhöhen. Ein solcher Schritt brächte
     findet. Zusätzliche Szenariorechnungen zeigen, dass          somit eine doppelte Rendite.
     etwa ein Anstieg des Wanderungssaldos um jährlich                  Zudem könnte die Zuwanderung in jüngere
     rund 100 000 Personen oder sogar eine Erhöhung des           Alterskohorten gefördert und Maßnahmen ergrif-
     Renteneintrittsalters auf 70 Jahre diesen Effekt nur         fen werden, um die Partizipationsquote weiter zu
     leicht abmildern, aber bei weitem nicht kompensie-           erhöhen.
     ren könnten.
          Die Wirtschaftspolitik hat zügig und mit umfang-        Abgeschlossen in Essen am 14. April 2021
     reichen Maßnahmen auf die wirtschaftliche Krise re-
     agiert. Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass der         Die Gemeinschaftsdiagnose wird erarbeitet vom DIW
     Bestand vieler durch die Krise getroffenen Unterneh-         in Berlin, vom ifo Institut in München in Kooperation
     men bislang gesichert wurde. Insgesamt hat allein            mit KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich,
     der Bund Hilfen in Höhe von mehr als einer Billion           vom IfW in Kiel, vom IWH in Halle und vom RWI in
     Euro zugesagt. Dabei spricht die Anatomie der Krise          Essen in Kooperation mit dem Institut für Höhere
     für solche Instrumente, die schnell und zielgerichtet        Studien Wien.
     wirken und sich zudem selbst dosieren. Hierzu zählt
     die Möglichkeit des steuerlichen Verlustrücktrags,           Die Langfassung des Gutachtens
     der bereits jetzt genutzt wird, allerdings auf die Ge-       Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, Pandemie ver-
     winneinkünfte des Jahres 2019 begrenzt und bis zu            zögert Aufschwung – Demografie bremst Wachstum,
     einem Höchstbetrag von 10 Mio. Euro gedeckelt ist.           Frühjahr 2021, Essen 2021, ist hier zu finden:
     Eine Ausweitung dieser Regelungen auf die Jahre 2018         https://www.ifo.de/node/62761

86   ifo Schnelldienst   5 / 2021   74. Jahrgang   12. Mai 2021
Sie können auch lesen