Parafiskalische Institutionen zur Finanzierung gesamtge-sellschaftlicher Aufgaben: das Beispiel Familienkasse

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Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

Parafiskalische Institutionen zur Finanzierung gesamtge-
sellschaftlicher Aufgaben: das Beispiel Familienkasse
C. Katharina Spieß

1. Problemstellung und Hintergründe1
Die Finanzierung familienbezogener Leistungen in Deutschland wird in
jüngster Vergangenheit vielfach diskutiert und kritisiert. Dies geschieht
vor dem Hintergrund unterschiedlicher Überlegungen und Hintergrün-
de. Zum einen geht es um die Finanzierung familienbezogener Leistun-
gen in den sozialen Sicherungssystemen, insbesondere in der gesetzli-
chen Kranken- und Pflegeversicherung. So wird beispielsweise disku-
tiert, die Beiträge für Kinder oder auch andere familienbezogene Kom-
ponenten über einen `Familienparafiskus` zu finanzieren (vgl. z.B. Wag-
ner 2003 und 20062). Bereits im Jahr 1997 hat Norbert Blüm als damaliger
Bundesarbeitsminister den Expertenvorschlag publik gemacht, eine Fa-
milienkasse einzurichten, die Rentenbeiträge für die Zeiten der Kinder-
ziehung finanziert. Diese sollten die bisher beitragsfreien Erziehungsan-
wartschaften ablösen. Die Familienkasse sollte steuerfinanziert sein.
Auch Winfried Schmähl (aktuell 2004) stellt seine Überlegungen zur Re-
form der sozialen Sicherungssysteme, insbesondere des deutschen Al-
terssicherungssystems und der gesetzlichen Pflegeversicherung in Ver-
bindung mit dem Vorschlag der Einführung einer steuerfinanzierten
Familienkasse. Schmähl schlägt vor, dass alle familienpolitischen Leis-
tungen über den allgemeinen Staatshaushalt in Form einer Familienkasse
finanziert werden sollten (vgl. auch Schmähl 1997, 2001 und 2002). Ne-
1
  Der Beitrag profitiert von den Arbeiten für das Projekt „Parafiskalische Modelle zur Finanzierung familienpoli-
tischer Leistungen“, das von der Hans-Böckler-Stiftung Düsseldorf gefördert wurde, vgl. auch den Endbericht
des Projektes Spieß (2004).
2
  Wagner (2006) schlägt darüber hinaus vor, dass ein Familienparafiskus bzw. eine Familienkasse auch Stipen-
dien aus Steuern finanzieren könnte, wie sie nach der Einführung nennenswerter Studiengebühren notwendig
werden.

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ben der Politik und Wissenschaft ist auch aus dem Bereich der Interme-
diäre der Vorschlag zu finden, familienbezogene Komponenten in den
sozialen Sicherungssystemen über eine Familienkasse zu finanzieren.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (vgl. Meyer 2001: 8) for-
dert z.B. eine Familienkasse aufbauend auf den Ideen von Oswald von
Nell-Breuning: Aus einer solchen Kasse sollten die Zahlungen zur Fi-
nanzierung von Rentenbestandteilen für Eltern fließen. Dies sollte ver-
hindern, dass Familien selbst für die Verbesserung der Familienleistun-
gen aufkommen.

Zum anderen sollen die monetären familienbezogenen Leistungen des
Bundes übersichtlicher und transparenter gestaltet werden. Auch vor
diesem Hintergrund wird die Einführung einer Familienkasse diskutiert,
welche die Leistungen für Familien bündeln soll. Der Koalitionsvertrag
der Grossen Koalition aus CDU, CSU und SPD erhält einen expliziten
Auftrag, dieses Vorhaben zu prüfen. Im Koalitionsvertrag wird festge-
schrieben, dass es die Zielperspektive ist, „Familienkassen“ neuen Typs
entstehen zu lassen, um eine gesetzliche Harmonisierung der Leistungen
und die organisatorische Bündelung ihrer Bearbeitung voranzutreiben.
Es wird erwartet, dass die „Konzentration und Zusammenführung fami-
lienpolitischer Leistungen in einer solchen „Familienkasse“ (...) mehr
Transparenz und die Grundlage für eine gerechtere und zielgenauere
Familienförderung schaffen“ kann (siehe CDU, CSU und SPD 2005:
101)3. Bereits im Vorfeld dieser Überlegungen hatten unterschiedliche
Parteien, insbesondere die Frauenunion und Bündnis90/Die Grünen die
Einführung einer solchen oder ähnlichen Kasse gefordert. In der Weima-
rer Erklärung vom November 2003 fordert die Frauenunion eine Fami-
3
  Der Koalitionsvertrag spricht bewusst von einer „Familienkasse neuen Typs“, um diese von den bereits existie-
ren Familienkassen abzugrenzen, die in Deutschland für die Durchführung des Bundeskindergeldgesetzes zu-
ständig sind.

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lienkasse, um die Leistungen für Familien zu bündeln, „um transparent
zu machen, wer was in welchen Lebensbereichen bekommt“. Grundsätz-
lich sollten dabei soziale Sicherungssysteme, Steuerkonzept und Fami-
lienpolitik zusammengefasst werden (CDU Frauenunion 2003)4. In ihrem
in Wiesbaden verabschiedeten Wahlprogramm zur Bundestagswahl
2002 sprechen sich Bündnis 90/Die Grünen für eine Bündelung der fami-
lienpolitischen Leistungen in einer Kinderkasse aus. Die Finanzierung
dieser Kinderkasse soll im Zuge der Neuordnung des föderalen Finanz-
ausgleichs allerdings nicht zu einer höheren Belastung für die Kommu-
nen führen.

Außerhalb der Parteien haben auch unterschiedliche Intermediäre Vor-
stellungen zu parafiskalischen Modellen der Familienförderung entwi-
ckelt, die nicht mit der Finanzierung familienbezogener Leistungen in
den sozialen Sicherungssystemen in Verbindung stehen. So hat sich z.B.
der Deutsche Städte- und Gemeindebund für die Einrichtung einer Fa-
milienkasse ausgesprochen, in die alle Bevölkerungsgruppen einzahlen
sollten (vgl. Deutscher Städte- und Gemeindebund 2001). Auch andere
Vertreter aus der Wissenschaft fordern eine Bündelung familienbezoge-
ner Leistungen bei einer Familienkasse, wie z.B. Rürup (vgl. Hoffmann
und Tillmann 2005). Franz (2001) dagegen spricht sich für eine Bünde-
lung von Ausgleichszahlungen für Kinder im Interesse von größerer
Transparenz und Treffsicherheit aus, ohne eine Familienkasse zu nen-
nen. Jüngst befürwortet auch die Sachverständigenkommission zum
siebten Familienbericht eine Familienkasse. Damit hätten Familien nicht
nur einen einzigen Ansprechpartner, sondern eine solche Institution
könnte einen dementsprechend größeren politischen Einfluss für die Be-
lange der Familien nehmen (vgl. BMFSFJ 2006).
4
 Im Jahr 2005 hat die Frauenunion ein Gutachten erstellen lassen, das sich mit den Zielen und Problemen einer
Zusammenfassung monetärer familienpolitischer Leistungen befasst, vgl. dazu Althammer und Romahn (2005).

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Eine nähere Betrachtung all dieser Vorschläge5 lässt erkennen, dass der
Vorschlag einer Familienkasse in der Regel mit einer Steuerfinanzierung
familienbezogener Leistungen verbunden ist. Ob es sich bei einer Fami-
lienkasse allerdings zwingend um einen Parafiskus handeln sollte, ist
aus den meisten Vorschlägen nicht eindeutig erkennbar, d.h. die ent-
sprechenden Autoren gehen auf diese Fragestellung nicht explizit oder
nur am Rande ein.

Vor dem Hintergrund dieser Lücke in der Auseinandersetzung um eine
Familienkasse setzt sich dieser Beitrag mit der Fragestellung auseinan-
der, ob familienbezogene Leistungen über einen Familienparafiskus zu
finanzieren und zu organisieren sind. Um eine fundierte Abwägung für
oder gegen einen Parafiskus zu erzielen, werden in den beiden folgen-
den Kapiteln des Beitrags zunächst die Fragen geklärt, durch was sich
ein Parafiskus im Allgemeinen kennzeichnet und was die grundsätzli-
chen Argumente für parafiskalische Gebilde sind, um dann im vierten
Kapitel darauf einzugehen, welche Argumente bei der Bewertung
parafiskalischer Modelle der Familienförderung heranzuziehen sind und
wie diese übertragen werden können. Der Beitrag schließt mit einem
Vorschlag für einen Familienparafiskus in Deutschland.

2. Was ist ein Parafiskus?
In der finanzwissenschaftlichen Forschung werden die außerhalb der
idealtypischen Dichotomie von „privat“ und „staatlich“ stehenden Para-
fisken6 nur wenig betrachtet. Dabei sind diese Körperschaften, die weder
staatlich noch privat sind, aber auch keine Genossenschaften darstellen,
mittlerweile zu einem prägenden Bestandteil der Bundesrepublik

5
  Für eine Darstellung weiterer Vorschläge einer Familienkasse im Bereich von Wissenschaft, Politik und Inter-
mediäre vgl. Spieß (2004, 2005 und 2006).
6
  Die Ursprünge des Wortes „Parafiskus“ kommen aus dem Griechischen und Lateinischen und können annä-
hernd als „Quasi Budget“ übersetzt werden.

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Deutschland geworden – dies wird deutlich, wenn man an die traditio-
nellen Parafisken, wie die Sozialversicherungen oder auch die Kirchen
denkt. Im Gegensatz zu der faktisch erheblichen Relevanz von parafiska-
lischen Institutionen steht der Befund, dass es in der wissenschaftlichen
Literatur keine einheitliche Auffassung darüber gibt, was konkret unter
einem Parafiskus zu verstehen ist, durch welche Merkmale Parafisken zu
charakterisieren sind bzw. wie sie definiert sind. Allgemein fristen Para-
fisken in der Finanzwissenschaft eher ein „Schattendasein“.7 Die ver-
schiedenen Parafisken werden in der Diskussion meist isoliert betrachtet
und nicht – ungeachtet ihrer spezifischen Unterschiede – als parafiskali-
sche Organe untersucht (vgl. Kirsch 1997: 167 oder auch Huppertz 1983).

In dem kleinen Forschungsfeld über parafiskalische Organisationen
wurde lange Zeit versucht, das Phänomen der Parafisken durch juristi-
sche und auch soziologische Begriffe und Instrumente zu erklären. Dabei
stand die definitorische Abgrenzung im Vordergrund und es ging weni-
ger um eine ökonomische Betrachtung und Analyse dessen, was der
Kern der Parafisken ist oder was ein Parafiskus zu leisten vermag und
was nicht. Vorrangig werden parafiskalische Institutionen anhand juris-
tischer und auch verwaltungswissenschaftlicher Kriterien beschrieben,
z.B. über den Status einer Körperschaft und das Recht der Zwangserhe-
bung von Mitteln. Somit sind auch die Ansatzpunkte für eine Definition
eines Parafiskus häufig rein juristisch-korporative Ansätze. Trotz der
Unterschiede in der Begriffsabgrenzung der Parafisken ist es unumstrit-
ten, dass zu den Parafisken im engeren Sinne die klassischen Sozialversi-
cherungen gehören, die von Tiepelmann auch als traditionelle Parafisken
bezeichnet werden. Andere Autoren bezeichnen die Sozialversicherun-

7
 Außerdem ist bemerkenswert, dass sich fundierte Forschungsarbeiten über Parafisken nahezu ausschließlich im
Bereich der kontinentaleuropäischen finanzökonomischen Literatur finden. In der anglo-amerikanischen finanz-
wissenschaftlichen Literatur finden sich Parafisken nicht als Forschungsgegenstand.

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gen als Sozialfisken (vgl. z.B. Dickertmann und Piel 2002: 328). Daneben
zählen berufständische Vertretungen von Handel, Handwerk, Industrie
und Landwirtschaft, die sogenannten Ständefisken, ebenfalls zu den Pa-
rafisken. Ebenso bezeichnet man Kirchen als parafiskalische Institutio-
nen. Neben diesen Parafisken werden in einer weiter gefassten Definiti-
on auch sogenannte Hilfsfisken und Gruppenfisken zu den parafiskali-
schen Einrichtungen gezählt (vgl. z.B. Dickertmann und Piel 2002: 329
sowie Lepelmeier 1979).8

Ihre Anfänge findet die Auseinandersetzung mit den Parafisken in den
20er Jahren des 20. Jahrhunderts, insofern sie als Institutionen beschrie-
ben und analysiert wurden, die weder dem privaten noch dem öffentli-
chen Sektor zuzuordnen waren. Die Eigenschaften dieser Institutionen
wurden, der methodischen Grundidee nach, als Charakteristika von Pa-
rafisken genannt. Neben diesem eher etatistischen (oder auch finanzju-
ristischem) Ansatz um Mann (1928) bestand bis zu den 70er Jahren ein
finanzsoziologischer Ansatz (um Smekal 1980). Der spätere Ansatz, para-
fiskalische Gebilde über die Theorie der Kollektivgüter zu erklären (fi-
nanztheoretischer Zugang), wurde vorrangig von Tiepelmann (1975 und
spätere Arbeiten, siehe unten) eingeführt. Je nach konzeptionellen Zu-
gang können demnach auch verschiedene Definitionen von Parafisken
unterschieden werden, die im Folgenden charakterisiert werden.

8
 Zu den Hilfsfisken gehören staatliche Sonderfonds und Sondervermögen als auch öffentliche Unternehmen,
wie die frühere Post und Bahn, sowie nach wie vor die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Bei den Grup-
penfisken handelt es sich um Institutionen, wie die freie Wohlfahrtspflege, die Gewerkschaften und Arbeitgeber-
verbände (vgl. z.B. Dickertmann und Piel 2002: 329).

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2.1 Etatistische Ansätze
Etatistische Ansätze, deren Vertreter in Mann (1928), Hermann (1936)
oder Morselli (1951) zu finden sind, betrachten Parafisken als Ausfüh-
rungsagenturen des Staates. Bei Mann (1928) sind die Anfänge der Aus-
einandersetzung mit Parafisken zu sehen. Er näherte sich diesem Phä-
nomen über die „Inputseite“ an, indem er als konstitutive Eigenschaft
das „Recht der hoheitlichen Mittelbeschaffung“ und die „Zwangsmitg-
liedschaft“ wählte. Sein Ansatz wird vor diesem Hintergrund auch als
finanzjuristischer Ansatz bezeichnet, da es sich dabei um zwei juristische
Merkmale handelt. Mann sah Parafisken als „Handlanger des Staates“
und gleichsam als eine Verlängerung des Staatswillen, unabhängig von
der konkreten Erscheinungsform. Die Frage, ob die von Parafisken
zwangsweise erhobenen Mittel Steuern sind, steht für Mann nicht im
Vordergrund, entscheidender für ihn ist, dass sie seiner Auffassung nach
wie Steuern wirken.

Die Entstehung von Parafisken schreibt Mann einer allgemeinen Ten-
denz der Verwaltungsausgliederung aus dem staatlichen Bereich zu, de-
ren Begründung er in der „organisatorischen Überlegenheit mittlerer
Einheiten“, in der Ausschaltung von Widerständen gegen zusätzliche
Staatseinnahmen und Staatsausgaben sowie in der Gewinnung einer
größeren finanzpolitischen Flexibilität sieht. Herrmann (1936), ein Schü-
ler Manns, vervollständigt diese „input-orientierte“ Definition um das
Merkmal der „Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe“, wobei er unter öf-
fentlichen Aufgaben die per Gesetz bestimmten Aufgaben versteht. Mit
besonderer Blickrichtung auf die Entwicklung der Sozialversicherungen
im Wohlfahrtsstaat führen Morselli und Stefani (1959) den Begriff para-
fiskalischer Gebilde ein.

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Die erste Funktion von parafiskalischen Institutionen geht – so Morselli –
vom Staat aus. Zur Lösung neuer Problemstellungen und Erfüllung
neuer gesellschaftlicher Aufgaben wird eine neue eigene Institution au-
ßerhalb des Staatshaushaltes geschaffen. Die zweite Funktion geht mit
dem Ziel der Befriedigung der gemeinsamen Bedürfnisse von einer
Gruppe bzw. Gemeinschaft mit ökonomischen, sozialen und morali-
schen Interessen aus. Beide getrennten Prinzipien verschmelzen nach
Morselli im Parafiskus.

2.2 Finanzsoziologische Ansätze
Finanzsoziologische Ansätze, die insbesondere von Andreae und Smekal
vertreten werden, versuchen die einseitige staatswirtschaftliche Betrach-
tung (wie sie von Mann und Morselli eingenommen wurde) zu über-
winden, indem sie von einer Funktionsübernahme nach zwei Seiten
sprechen und damit eher eine „output-orientierte“ Analyse der Parafis-
ken vornehmen. Nach ihnen kann die Entstehung von Parafisken ent-
weder auf die staatliche Ausgliederung von Teilfunktionen oder auf die
Zusammenfassung von Einzelinteressen im nichtstaatlichen Raum zu
gesellschaftlich bedeutenden Gruppenorganisationen zurückgeführt
werden.

Andreae beginnt mit einer Verortung von Parafisken in der Gesellschaft.
Smekal (Andreaes Schüler) bricht endgültig mit der Auffassung von
Mann bzw. Herrmann, indem er auf die im etatistischen Ansatz ver-
wandten Kriterien der Hoheitlichkeit und staatsbezogenen Instrumenta-
lität vollständig verzichtet (Huppertz 1983: 30). Bei ihrer, so Smekal, ein-
seitigen Ausrichtung der Theorie auf die hoheitliche Mittelbeschaffung
als juristisches Kriterium werde allein das Instrument zur Zielerreichung
untersucht aber nicht das, was das eigentliche Ziel der Parafisken ist
(vgl. Smekal 1992: 27). Denn so Smekal: „Parafiskalität liegt nicht vor,

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weil Zwangsabgaben erhoben werden, sondern umgekehrt werden in
gewissen Fällen Zwangsabgaben erhoben, weil Parafiskalität vorliegt“
(1992: 27). Nach Smekal beziehen die intermediären Finanzgewalten ihre
Zielvorstellungen von ihrer Gruppe. In erster Line bestehen sie darin,
deren wirtschaftliche und soziale Lage zu verbessern und zu fördern.
Aus diesen Zielen ergibt sich ihr Entscheidungsbereich, der alle grup-
penrelevanten Interessen umfasst. Dadurch sind diese Gruppen eindeu-
tig vom Staat abzugrenzen, auf den sich zwar ihre politische Aktivität
vorwiegend ausrichtet, dem sie aber nicht angehören, da dem Staat die
Wahrnehmung einzelner Gruppeninteressen grundsätzlich fremd ist. Im
Unterschied zu den gebietskörperschaftlich organisierten Haushalten
handelt es sich bei Parafisken um gruppenbezogene Selbstverwaltungs-
haushalte, die zwischen dem Staat und dem Einzelnen gesellschaftliche
Aufgaben wahrnehmen. Nach Smekal (1980) können Parafisken als Er-
scheinungsformen des funktionalen Föderalismus verstanden werden.
Sie sind Ausdruck einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die zwischen
dem Staat und dem privaten Sektor angesiedelt ist.

Rinderer (1992) fasst die Charakteristika von Parafisken, wie sie von
Smekal und Andreae umschrieben werden, wie folgt zusammen: (1) fi-
nanzielle Autonomie (die genaue Art der Einnahmenerzielung ist nicht
maßgeblich), (2) auf Selbstverwaltung abgestellte innere Organisation,
(3) politische Relevanz (die Aufgabenbereiche müssen parallel zur oder
anstelle der staatlichen Bereitstellung öffentlicher Güter bestehen) (4)
funktionale Totalrepräsentanz, d.h. die Parafisken gelten als Repräsen-
tanz einer Gruppe, unabhängig davon, ob die Angehörigen der Gruppe
als Mitglieder des Parafiskus organisiert sind (nicht der Organisations-
grad ist entscheidend, sondern der Repräsentationsgrad), (5) Zwangs-
mitgliedschaft (zur Verhinderung von „Trittbrettfahrern“).

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2.3 Finanztheoretische Ansätze
Als wichtigster Vertreter finanztheoretischer Ansätze ist Klaus Tiepel-
mann zu sehen. Tiepelmann (1975) findet als erster einen ökonomisch-
finanztheoretischen Zugang zur Theorie der Parafisken. Wie auch Sme-
kal betont er die „Outputseite“, also die Erfüllung gesellschaftlicher
Aufgaben. Ausgangspunkt der Überlegungen von Tiepelmann ist es, ob
allgemeine und/oder gruppenbezogene Kollektivgüter oder private Gü-
ter mit eventuell bedeutsamen positiven externen Effekten angeboten
werden oder ob es sich eher um sogenannte meritorische Güter handelt.
Das Ausmaß der gesamtgesellschaftlichen externen Effekte und der
staatlichen Meritorisierungserfordernisse ist ein konstitutives Merkmal
von parafiskalischen Institutionen. Das Vorliegen dieser Bedingungen
wird von Smekal (1980: 6) auch als „Öffentlichkeitsgrad“ bezeichnet, der
sich darin ausdrückt, dass die entsprechende Gruppe Entscheidungs-
funktionen im Rahmen gesellschaftlicher Aufgabenerfüllung wahr-
nimmt. Für Tiepelmann ist die Entstehung von Parafisken oft mit der
Herausbildung neuer kollektiver Bedürfnisse verbunden, die aber nicht
allein in hoheitlich staatlicher Unterstützung münden müssen.

Auch in den Arbeiten mit van der Beek lehnt Tiepelmann Versuche ab,
das Phänomen „Parafiskus“ mittels „eines der Ökonomik fremden (juris-
tischen oder soziologischen) Instrumentariums“ zu erklären (Tiepel-
mann und van der Beek 1992a: 5). Sie plädieren für die Einbeziehung der
Parafiskus-Forschung in die allgemeine Theoriebildung der Ökonomie.
Ziel sollte eine Theorie der Parafisken im Sinne einer Theorie des funk-
tionalen Föderalismus als Ergänzung der Föderalismustheorie sein. Eine
solche Theorie müsste erklären, unter welchen Bedingungen eine effek-
tivere, effizientere oder politisch akzeptablere Organisationsform spezi-

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fischer kollektiver Aufgabenerfüllung gefunden bzw. empfohlen werden
kann (vgl. auch Tiepelmann und Dick 1995: 183f.).

Aufbauend auf den Überlegungen von Tiepelmann und van der Beek,
die als maßgebliche Eigenschaft der Parafisken die bei der Bereitstellung
des Kollektivgutes entstehenden positiven Externalitäten ansehen, be-
schreibt Priddat (1992) die Entstehung von parafiskalischen Institutionen
über die Nutznießer dieser Externalitäten: „Ein ‚klassischer’ Parafiskus
hat womöglich seinen Ursprung in einem freien Kollektiv, aber er ist ei-
ne andere Institution geworden“ (1992: 180). Priddat betont aber auch,
dass die Existenz von positiven Externalitäten bei der Aktivität eines
Kollektivs nur eine notwendige Bedingung für den Schritt von einem auf
freiwilliger Mitgliedschaft aufbauenden Kollektiv zu einem Parafiskus
ist. Die hinreichende Bedingung ist, dass „die positiven externen Effekte
der Kollektivgutproduktion (1) zu öffentlichen Gütern erklärt (werden)
und (2) eine Kompensationszahlung für diese Kollektive realisiert
(wird)“ (Priddat 1992: 182).

3. Was sind die Argumente zur Bewertung parafiskalischer
   Institutionen?
Eine Bewertung parafiskalischer Institutionen wurde in der finanzwis-
senschaftlichen Literatur weniger systematisch diskutiert, sondern es
finden sich nur vereinzelt Hinweise, nach welchen Kriterien diese Insti-
tutionen zu bewerten sind. Sie sollen im Folgenden als Argumente für
und gegen Parafisken systematisch zusammengeführt werden. Die Frage
inwiefern im Saldo von einer positiven oder negativen Bewertung para-
fiskalischer Modelle im Allgemeinen ausgegangen werden kann, kann
auf theoretischer Ebene allerdings nicht beantwortet werden. Diese Fra-
ge kann nur empirisch geklärt werden, indem real existierende Parafiski
bewertet werden.

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3.1 Was sind die Argumente gegen Parafisken?
Eine negative Beurteilung von parafiskalischen Organisationen geht be-
reits auf die Kritik an der älteren Fondswirtschaft zurück. Diese besagt,
dass eine Staatswirtschaft, die sich in zahlreichen Fonds mit einer mehr
oder weniger autonomen Verwaltung und Willensbildung verzweigt,
drohe, unübersichtlich und damit gesamtwirtschaftlich unkontrollierbar
und ineffizient zu werden. Den historisch herausgebildeten Grundsätzen
der Budgeteinheit und Nonaffektation liefen sie zuwider (vgl. z.B. Tie-
pelmann und Dick 1995: 183). Alle Kritik an der Fondswirtschaft treffe,
so die Kritiker, auch auf parafiskalische Institutionen zu.

Für den bundesdeutschen Kontext ist es jedoch bedeutsam, dass die in
der Bundeshaushaltsordnung (BHO) festgelegten Budgetgrundsätze, wie
z.B. das Nonaffektationsprinzip, keinen Verfassungsrang haben (vgl. z.B.
Stern 1980). So erlaubt z.B. § 8 Satz 2 BHO eine Durchbrechung des No-
naffektationsprinzips durch Gesetz oder Haushaltsplan. Beispiele für die
tatsächliche              Durchbrechung                     des        Nonaffektationsprinzips                            sind        in
Deutschland zahlreiche Sonderfonds, die zur Abwicklung besonderer
Finanzierungsanstrengungen eingerichtet wurden (vgl. z.B. Lastenaus-
gleich und die Einrichtung von Fonds infolge der Deutschen Einheit).
Auf theoretischer Ebene betont auch Huppertz (1983: 10), dass es die
vorherrschende Meinung sei, dass Parafisken die altbewährten Haus-
haltsgrundsätze der Finanzwissenschaft durchbrechen, wobei neben
dem Grundsatz der Nonaffektation insbesondere an die der Einheit,
Vollständigkeit und Klarheit gedacht sei. Dies erschwere die staatswirt-
schaftliche Planungs- und Kontrollfunktion des Parlaments. Die Existenz
von Parafisken könne folglich den Einsatz des Staatshaushalts für wirt-
schafts- und sozialpolitische Zwecke konterkarieren und damit die Ef-
fektivität staatlicher Programme beeinträchtigen. Ähnlicher Argumente

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bedienen sich auch diejenigen, die in parafiskalischen Institutionen die
Gefahr der Entstehung von Schattenhaushalten sehen, welche wiederum
mit Legitimationsproblemen behaftet sind.

Auch hinsichtlich der Selbstverwaltungskonstruktion von Parafisken
kann es zu negativen Begleiterscheinungen kommen: Wenn gesamtge-
sellschaftliche Aufgaben an einen Parafiskus delegiert werden, wird auf
der einen Seite die Selbstverwaltungskonstruktion ständig der Tendenz
staatlicher Intervention ausgesetzt sein. Auf der anderen Seite werden
die Selbstverwaltungskörper geneigt sein, ihr beträchtliches finanzielles
und funktionales Gewicht einzusetzen, um im Rahmen der allgemeinen
budgetpolitischen Prioritäten eine Sonderstellung zu erhalten und aus-
zubauen. Anstelle von Entlastungseffekten im gesamtwirtschaftlichen
Budget würde dann faktisch eine Einengung des budgetpolitischen
Handlungsspielraums die Folge sein.

Smekal (1980: 9) führt belastend für parafiskalische Organisationen an,
dass es aufgrund eines geminderten „Steuerdrucks“ (siehe Abschnitt 3.2)
wie auch der Unterschätzung der tatsächlichen Kosten des Leistungsbe-
reichs (durch die Beitragszahler) zu steigenden Anspruchsforderungen
bei denselben kommen kann. Als ein Beispiel dafür nennt er mögliche
„Moral-Hazard-Probleme“ in der gesetzlichen Krankenversicherung.

3.2 Was sind die Argumente für Parafisken?
Die Vorteile parafiskalischer Aufgabenerfüllung werden darin gesehen,
dass der Staatshaushalt von gruppenbezogenen Staatsausgaben entlastet
wird. Außerdem wird der unmittelbare staatliche Steuerdruck auf die
Staatsbürger gemildert, da Parafisken häufig Beiträge nehmen, die dem
Äquivalenzprinzip angeglichen sind (vgl. z.B. Smekal 1980: 15).

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Ferner wird positiv bewertet, dass im Allgemeinen die parafiskalische
Aufgabenerfüllung stärker als bei den Gebietskörperschaften mit dem
Äquivalenzprinzip verbunden ist. Dabei wird angenommen, dass die
Erhebung zweckgebundener Aufgaben die individuelle Zahlungsbereit-
schaft positiv beeinflusst und darüber hinaus die Abstimmung zwischen
Leistungsnachfrage und Leistungserstellung verbessern würde. Allge-
mein sollen Äquivalenzabgaben zu einer besseren Präferenzoffenbarung
und einem stärkeren Kostenbewusstsein der belasteten Wirtschaftssub-
jekte führen, was auch die Effizienz des staatlichen Angebots von öffent-
lich (mit)finanzierten Gütern erhöhen soll.

Im Kontext der bundesdeutschen Sozialversicherungsbeiträge spricht
Smekal (1980: 9) davon, dass sie das Aufrechterhalten der Illusion einer
Äquivalenzfinanzierung ermöglichen, mit deren Hilfe wiederum die fi-
nanzielle Belastbarkeit der Versicherten ausgedehnt werden kann. Die-
ser finanzpsychologische Effekt würde dadurch verstärkt, dass die Ar-
beitgeberbeiträge die Arbeitnehmer nicht direkt „belasten“, sodass der
Eindruck eines niedrigeren „Steuerpreises“ entsteht. Eine Reihe von Au-
toren sieht genau in diesem Äquivalenzprinzip9, insbesondere der Sozi-
alversicherungen, den wesentlichen Grund für die höhere Akzeptanz
dieser Systeme gegenüber steuerfinanzierten sozialen Sicherungssyste-
men. Empirische Belege gibt es für diese Hypothese allerdings nicht (vgl.
z.B. im Kontext der Rentenversicherung Köhler-Rama 2003: 4). Smekal
meint jedoch, dass insgesamt die finanzpsychologischen Vorteile einer
höheren Zahlungsbereitschaft durch die Nachteile kosten- und ans-
pruchserhöhender Effekte als Folge der Intransparenz des Finanzie-
rungs- und Leistungssystems überkompensiert werden.

9
 Im eigentlichen Sinne liegt bei den deutschen Sozialversicherungen keine vollkommene Äquivalenz vor. In der
gesetzlichen Rentenversicherung beispielsweise spricht man deshalb auch von einer Teilhabeäquivalenz.

                                                                  258
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

Außerdem ermöglicht eine parafiskalische Aufgabenerfüllung eine fach-
liche Spezialisierung und Arbeitsteilung im Staatssektor auch in Bezug
auf die Dezentralisierung der Entscheidungskompetenzen. Ferner kann
damit auch eine größere Beweglichkeit verbunden sein. Positiv zu be-
werten ist zudem, dass die Entscheidungen von einer unabhängigen,
nicht an zentralstaatliche Entscheidungsprozesse gebundenen selbstän-
digen Körperschaft getroffen werden können (vgl. Tiepelmann 1992: 34).
Damit ist letztlich eine Transaktionskostenreduktion bei Entscheidungs-
prozessen verbunden (vgl. Priddat 1992 sowie Tiepelmann und van der
Beek 1992b: 92). Dazu kommt, dass eine langfristige Aufgabenerfüllung
unabhängig von demokratischen Wahlzyklen gewährleistet werden
kann. Mit Parafisken werden organisatorische Arrangements kontinuier-
licher kollektiver Aufgabenerfüllung möglich, die einem sonst drohen-
den Staatsversagen vorbeugen können (vgl. Tiepelmann und Dick 1995:
183).

Die Tatsache, dass es sich bei parafiskalischen Organisationen um
Selbstverwaltungskörperschaften handelt, kann auf der Staatsseite zu
Entlastungseffekten führen. Ein Ausbau des finanziellen und funktiona-
len Gewichts der Parafisken kann also nicht nur wie oben negativ bewer-
tet werden, sondern auch positiv: Er kann die langfristige Aufgabener-
füllung sicherstellen, und sie auch gegenüber anderen Aufgabenfeldern
behaupten. Huppertz (1983: 11) betont ein weiteres positives Kriterium
parafiskalischer Modelle: Mit ihnen geht eine Ausweitung des gesell-
schaftlichen Organisationsvermögens einher, was im weiteren Sinne das
Sozialkapital einer Gesellschaft vergrößern kann.

In der folgenden Tabelle 1 werden die Bewertungskriterien von Parafis-
ken systematisch zusammengefasst.

                                                                  259
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

Tabelle 1:           Die Bewertung von Parafisken
   Argumente gegen Parafisken                    Argumente für Parafisken
Unübersichtlichkeit                          Entlastung des Staatshaushaltes (von grup-
                                             penbezogenen Aufgaben)
Gesamtwirtschaftliche Unkontrollierbarkeit   Vorbeugen von Staatsversagen
Ineffizienz                                  Kontinuierliche und langfristige Aufgaben-
                                             wahrnehmung (auch unabhängig von Wahl-
                                             zyklen)
Einengung des budgetpolitischen Handlungs- Dezentralisierung der Entscheidungskompe-
spielraums                                   tenz
Effektivität staatlicher Programme konterka- Transaktionskostensenkung bei Entscheidun-
riert                                        gen
Verletzung von Budgetgrundsätzen: insbe-     Verbesserung der Arbeitsteilung (zwischen
sondere Nonaffektation, Vollständigkeit,     unterschiedlichen Akteuren)
Klarheit, Einheitlichkeit
Verletzung der parlamentarischen Planungs- Fachliche Spezialisierung
und Kontrollfunktion
Steigende Anspruchsforderung                 Verbesserte Umsetzung des Äquivalenzprin-
                                             zips
                                             Ausdehnung der finanziellen Belastbarkeit der
                                             Betroffenen
                                             Milderung des Steuerdrucks
                                             Akzeptanzsteigerung bzgl. des Systems
                                             Verbesserung der Abstimmung zwischen
                                             Leistungsnachfrage und -erstellung
                                             Steigerung des gesellschaftlichen Organisati-
                                             onsvermögens
Quelle: Eigene Darstellung.

4. Die Argumente für Parafisken im Zusammenhang eines
   Familienparafiskus
Die Frage, inwiefern eine Finanzierung und Organisation familienbezo-
gener Maßnahmen über einen Parafiskus erfolgen soll, erfordert im Sin-
ne des finanztheoretischen Ansatzes eine Auseinandersetzung mit den
Gütereigenschaften familienbezogener Maßnahmen.10

Prinzipiell können marktfähige und kollektive Gruppengüter unter-
schieden werden. Sowohl von den marktfähigen als auch von den kol-
lektiven Gruppengütern können erhebliche gruppenübergreifende ex-

10
  Auf den etatistischen und finanzsoziologischen Erklärungsansatz parafiskalischer Modelle (vgl. Kapitel 2)
wird hier nicht vertiefend eingegangen, da m.E. aus den in Kapitel 2 genannten Gründen der finanztheoretische
Ansatz überlegen ist.

                                                                  260
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

terne Effekte ausgehen. Die externen Effekte von kollektiven Gruppen-
gütern treten in erster Linie in der Gesamtgesellschaft auf. Das Ausmaß
der gesamtgesellschaftlich externen Effekte ist ein konstitutives Merkmal
von parafiskalischen Institutionen. Es ist für diese Institutionen charak-
teristisch, dass die Bereitstellung des Gruppengutes in die Nutzenfunk-
tion der Gruppenmitglieder und der Mitglieder der Gesellschaft eingeht.
Tiepelmann (1992) fasst es weniger technisch auch so zusammen, dass
Parafisken eine gesamtgesellschaftlich wichtige Aufgabe wahrnehmen.
Demnach muss im familienpolitischen Kontext gefragt werden, inwie-
fern (positive) externe Effekte vorliegen, die in ihrem Ausmaß erheblich
sind bzw. inwiefern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe vorliegt.

Diese Frage ist, betrachtet man die ökonomischen Begründungen für fa-
milienbezogene Maßnahmen, mehrfach diskutiert worden. Nicht zuletzt
dann, wenn ökonomische Begründungen für den Familienleistungsaus-
gleich gesucht werden. Als allgemeiner Konsens kann zusammenfassend
festgehalten werden, dass die Leistungen, die Familien erbringen tat-
sächlich positive externe Effekte verursachen, die in ihrem Ausmaß auch
so erheblich sind, dass sie eine staatliche Internalisierung derselben rech-
tfertigen (vgl.                u.a. Bauer und Strub 2001, Berthold und Fehn 2002,
BMFSFJ 2001, Nachtkamp 2000, Mückl 2002, Lampert 2002 und Ott
2002). Lampert (2002: 1) bestätigt dies, wenn er schreibt, dass „nach
neuerem ökonomischem Verständnis und entsprechend der Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts (...) die Notwendigkeit einer Fa-
milienpolitik aus den positiven externen Effekten abgeleitet (wird), die
mit der Erfüllung der Aufgaben der Familie verbunden und für die Ent-
wicklung der Gesellschaft unverzichtbar sind.“ So haben Kinder nicht
nur einen direkten Nutzen für ihre Eltern, sondern die Gesamtheit der
nachwachsenden Generation hat eine große Bedeutung für die gesamte

                                                                  261
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

Gesellschaft. Häufig werden die positiven externen Effekte von Familien
auch unter dem Stichwort „Humanvermögen“ oder „Humankapital“
zusammengefasst. Dies wird deutlich, wenn man die drei in der Litera-
tur häufig genannten positiven externen Effekte von Familien betrachtet
(vgl. auch Bauer und Strub 2001): (1) Eine nachwachsende Generation ist
die Basis für die Finanzierung der künftigen Alterseinkommen und der
vom Staat bereitgestellten öffentlichen Güter. (2) Das langfristige Wach-
stum hängt von der Humankapitalbildung der nächsten Generation und
der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte ab, und (3) der Bestand der
Institution Familie ist selbst ein öffentliches Gut11, das als gelebte Norm
Stabilität in die Gesellschaft bringt.

In welchem Umfang diese Effekte anfallen oder auch andere damit in
Verbindung stehende Fragen werden in der ökonomischen Literatur da-
gegen durchaus konträr diskutiert. Für die betragsmäßige Schätzung der
positiven externen Effekte der Familien wird im Allgemeinen auf die di-
rekten und indirekten Kinderkosten abgestellt. Diese von der Belas-
tungsseite her abgeleiteten Summen werden als Annäherung des Bei-
trags der Familien zur Humanvermögensbildung betrachtet. Gleichwohl
sind solche Abschätzungen mit Grenzen behaftet, die zum Einen in der
Schwierigkeit der Bewertung von intangiblen Effekten bestehen und
zum Anderen in der Möglichkeit der empirischen Abbildung zu sehen
sind.12 Für die Frage, inwiefern finanztheoretisch die Einrichtung eines
Familienparafiskus gerechtfertigt werden kann, ist eine ausführliche
Diskussion solcher Fragen jedoch zweitrangig. Vielmehr kann an dieser

11
   Wenn man die Kriterien für öffentliche Güter analog ökonomischer Lehrbücher anlegt, so ist es nicht eindeu-
tig, inwiefern familiäre Leistungen als „öffentliche Güter“ zu bezeichnen sind. Im Siebten Familienbericht wird
deshalb der Begriff „gemeinsame Güter“ verwandt, die von und in Familien produziert werden (vgl. BMFSFJ
2006, insbesondere Kapitel I.1).
12
   Für eine aktuelle Studie, welche die volkswirtschaftlichen „Gewinne“ eines Kindes bilanziert, vgl. Werding
und Hofmann (2005). Ziel der Berechnungen der Studie ist es, die Höhe der "fiskalischen Externalität" abzu-
schätzen, die mit der Erziehung und Betreuung eines Kindes nach heute geltendem Recht verbunden ist.

                                                                  262
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

Stelle festgehalten werden, dass Familien erhebliche positive externe Ef-
fekte verursachen und darin – im Sinne der Kollektivgütertheorie – eine
Begründung für die Einrichtung parafiskalischer Institutionen im fami-
lienpolitischen Bereich gesehen werden kann. Im Sinne der von Priddat
(1992) formulierten hinreichenden Bedingungen für einen Parafiskus
kann davon ausgegangen werden, dass erstens familiäre Leistungen als
eine Art „öffentliches Gut“ angesehen werden können13. Zweitens müs-
sen die betroffenen Kollektive, in diesem Falle die Familien, Kompensa-
tionszahlungen für ihre Leistungen erhalten. Dies entspricht in unserem
Falle den familienbezogenen Maßnahmen, die öffentlich finanziert wer-
den. Lampert (2002: 8) fasst dies wie folgt zusammen: „Da der Gesell-
schaft (...) daran liegen muss, dass sie die positiven externen Effekte der
Familiengründung und der Erhaltung der Familien nutzen kann, muss
sie ein aus dem Ziel der Sicherung und Entwicklung der Gesellschaft
folgendes genuines Interesse haben, Familien zu schützen und zu för-
dern“.

Wenn es um weitere Argumente für parafiskalische Modelle speziell zur
Finanzierung familienbezogener Leistungen geht, so können grundsätz-
lich all jene Argumente verwandt werden, die für parafiskalische Institu-
tionen im Allgemeinen zutreffen (siehe vorangegangenes Kapitel 3). In
Gänze können sie auf den familienbezogenen Kontext übertragen wer-
den, was in diesem Kapitel an einigen Beispielen demonstriert werden
soll. Dies soll auch vor dem Hintergrund der Kritiken getan werden, wie
sie an der deutschen Familienpolitik geäußert werden. Anders formu-
liert soll es im Folgenden darum gehen zu skizzieren, welche Argumente
für einen Familienparafiskus sprechen (vgl. dazu auch Spieß 2004 und
2006).

13
     Vgl. die Fußnote 11.

                                                                  263
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

Vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Entscheidung für ein Kind
um eine langfristige Entscheidung handelt, muss insbesondere ein
Familienparafiskus                        eine          stetige,           langfristige               und           nachhaltige
Finanzierung gewährleisten. Dies kann unter dem Kriterium der
verlässlichen, langfristigen und kontinuierlichen, d.h. nachhaltigen
Aufgabenwahrnehmung zusammengefasst werden. Dies spricht für die
Bündelung von Leistungen bei einem Parafiskus, der unabhängig von
Wahlzyklen agiert. Das heißt, mit ihm wird ein organisatorisches
Arrangement                         einer               kontinuierlichen                          und                kollektiven
Aufgabenwahrnehmung möglich. Insbesondere dieser Aspekt einer
nachhaltigen Politik ist in jüngster Vergangenheit in Deutschland mit
dem          Begriff          der        „nachhaltigen                  Familienpolitik“                    stark         in       den
Vordergrund gerückt. Sie soll dazu beitragen, dass mehr Kinderwünsche
realisiert werden und damit die deutsche Geburtenrate ansteigt. Im
Kontext eines Familienparafiskus ist relevant, dass insbesondere diese
Organisations- und Finanzierungsform eine nachhaltige Finanzierung
gewährleisten kann, welche die Voraussetzung für eine nachhaltige
Familienpolitik ist (vgl. dazu auch unten).

Eine Voraussetzung dafür, dass ein Familienparafiskus seine Aufgaben
verlässlich und kontinuierlich wahrnehmen kann, ist die prinzipielle
Unabhängigkeit des Familienparafiskus, er sollte nach Smekal eine fi-
nanzielle Autonomie haben und eine auf Selbstverwaltung abgestellte
innere Organisation besitzen. Wie die deutschen Sozialversicherungsträ-
ger sollte ein Familienparafiskus deshalb nicht direkten Weisungen, z.B.
des Bundesfinanzministers, unterliegen. Damit ist eine stetigere Versor-
gung mit sozialen Leistungen auf hohem Niveau eher zu garantieren.
Dies zeigen auch internationale Erfahrungen.

                                                                  264
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

Eine solche Unabhängigkeit darf jedoch auch nicht dazu führen, dass der
Parafiskus vollkommen eigenständig sein Leistungsspektrum festlegt
und keinen weiteren Kontrollen unterliegt. Das Recht, den prinzipiellen
Leistungskatalog festzumachen, muss vielmehr beim Parlament verblei-
ben. Es dürfen die parlamentarischen Planungs- und Kontrollrechte
nicht vollkommen eingeschränkt werden.

Für einen Parafiskus spricht die Bündelung von Aufgaben bei einer nicht
rein staatlichen Institution, die – so das theoretische Argument – Staats-
versagen vorbeugen kann. Dies käme auf der einen Seite einer Dezentra-
lisierung von Entscheidungen gleich. Auf der anderen Seite liegt es in
Analogie zu bisherigen parafiskalischen Institutionen nahe, die Schaf-
fung eines Familienparafiskus auf Bundesebene anzustreben, also zu-
nächst bei einem zentralen Akteur. Dies erfordert eine neue Verwaltung
bzw. die Angliederung an bereits existierende Verwaltungen. Damit ist
grundsätzlich das Entstehen neuer Bürokratien nicht ausgeschlossen,
was in der heutigen Diskussion häufig als ein entscheidendes Argument
gegen einen neuen (Familien)Parafiskus genannt wird. Auf theoretischer
Ebene ist dieses Argument denen einer zunehmenden Unübersichtlich-
keit und auch Ineffizienz von Parafisken zuzuordnen. Zur Bewertung
dieses Argumentes müssen mehrere Aspekte berücksichtigt werden:
Zum einen können im Vorfeld – insbesondere vor dem Hintergrund bis-
heriger bundesdeutscher Erfahrungen – entsprechende Vorkehrungen
getroffen werden, um eine möglichst „schlanke“ Bürokratie zu schaffen.
Zum anderen wird im Kontext einer Familienkasse argumentiert, dass
sie dem Bürokratieabbau diene, da sie zu einer Entbürokratisierung der
Vielzahl familienbezogener Maßnahmen beiträgt. So ermöglicht die Ein-
richtung eines Familienparafiskus den Bürokratieabbau, wenn Leistun-
gen gebündelt und aufeinander abgestimmt werden. Hinzu kommt, dass

                                                                  265
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

die Schaffung einer neuen Institution den großen Vorteil hat, dass den
Belangen von Familien in der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit zu-
kommt. Dies ist auch in der theoretischen Auseinandersetzung mit Para-
fisken ein zentrales Argument für deren Existenz (siehe Kapitel 2 und 3).
Sie sollen zu einer Förderung und Verbesserung der wirtschaftlichen
und sozialen Lage der gesellschaftlichen Gruppe beitragen, deren Ziel-
vorstellungen sie vertreten. Auch real existierende Beispiele belegen die
Relevanz einer eigenständigen Institution, die familiäre Belange in der
Gesellschaft vertritt: Insbesondere das Beispiel Frankreich, wo die Fami-
lienpolitik über eine Familienkasse finanziert und organisiert wird, die
ein Teil des sozialen Sicherungssystems ist, zeigt dies. Hier hat Fami-
lienpolitik einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert (vgl. z.B. Veil 2004
und 2003). Würde man dagegen eine Umgestaltung der Familienförde-
rung so durchführen, dass keine neue Institution bzw. kein neuer Akteur
geschaffen würde, so ist ceteris paribus kein signifikanter Bedeutungs-
zuwachs familienbezogener Belange auf gesamtgesellschaftlicher Ebene
zu erwarten.

Die Herauslösung familienbezogener Maßnahmen aus dem allgemeinen
Haushalt hin zu einem Parafiskus kann zum Einen – und dies bemän-
geln die Kritiker von Parafisken – die allgemeinen budgetpolitischen
Spielräume des Bundes verengen und die Budgetgrundsätze verletzen.
Sie kann zum Anderen aber auch Kürzungen im Leistungsvolumen für
Familien verhindern bzw. diese reduzieren, da ein Familienparafiskus
als weitgehend eigenständiger Akteur agiert. Gerade in dieser größeren
finanzpolitischen Flexibilität wird ein großer Vorteil von Parafisken ge-
sehen.

In Abhängigkeit von der Finanzierung eines Familienparafiskus kann
durch eine Beitrags- bzw. Steuerfinanzierung ferner die Akzeptanz des

                                                                  266
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

Systems erhöht und die Finanzierungsnotwendigkeit eines solchen Sys-
tems besser verdeutlicht werden, da den Einnahmen direkt Ausgaben
zuzuordnen sind. Dieses finanzpsychologische Argument kann auch da-
zu beitragen, dass mehr Mittel für familienbezogene Maßnahmen zur
Verfügung stehen, da die finanzielle Belastbarkeit der Betroffenen erhöht
werden kann bzw. deren Steuerdruck gemildert wird. Es ist eine bessere
Umsetzung einer Äquivalenz von Einnahmen und Ausgaben möglich,
auch wenn sie tatsächlich nicht voll gewährleistet ist. Bisher ist im deut-
schen System keine eindeutige Zuordnung zwischen der Finanzierung
und den familienbezogenen Maßnahmen selbst möglich.

Wenn nur noch eine Institution, nämlich ein Familienparafiskus, für die
Organisation und Finanzierung familienbezogener Maßnahmen haupt-
verantwortlich wäre, wäre auch eine verbesserte Abstimmung zwischen
der Leistungsnachfrage und der Leistungserstellung möglich. Hinzu
käme, dass die tatsächliche Nettoförderung für Familien transparenter
wäre und ein gegebenenfalls nötiger Mehrbedarf oder auch Fehlbedarf
bei Familien im Allgemeinen bzw. bei einzelnen Gruppen von Familien
sichtbar würde. Ebenso würde transparenter, welchen Beitrag Kinderlo-
se zur Familienförderung leisten – dies ist gesellschaftspolitisch immer
wieder Gegenstand von Diskussionen. Mit einer größeren Transparenz
kann auch die Treffsicherheit familienpolitischer Leistungen erhöht
werden, da einzelne Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden kön-
nen. Wenn bei einer Institution die Maßnahmen für Familien zusam-
mengefasst werden, könnte außerdem verhindert werden, dass es zu
Überschneidungen von unterschiedlichen Leistungen bzw. unterschied-
lichen nicht zielgerichteten Schwerpunktsetzungen kommt. Bisher sind
einzelne Leistungen häufig abhängig von der Kassenlage und der politi-
schen Gewichtung familienbezogener Maßnahmen durch die jeweils zu-

                                                                  267
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

ständigen Akteure und nicht das Resultat einer zielgerichteten systema-
tischen Familienpolitik. Dies zeigen die Diskontinuitäten in der deut-
schen Familienpolitik aufgrund absoluter und relativer Leistungskür-
zungen, wenn z.B. familienbezogene Maßnahmen unterschiedlicher
Bundesregierungen betrachtet werden. Bereits im fünften Familienbe-
richt wird diese Diskontinuität bemängelt (vgl. BMFSFJ 1995).

Außerdem kann neben der Treffsicherheit auch die Effizienz der Leis-
tungen dadurch verbessert werden, dass die für familienbezogene Leis-
tungen zuständige eine Institution eine einheitliche Bedarfsermittlung
von und für Familien durchführt. Eine solche einheitliche Bedarfsermitt-
lung kann – gegenüber dem Status quo – auch eine Entlastung für Fami-
lien darstellen und auch zu einem Bürokratieabbau beitragen. Dies ist
dann der Fall, wenn diese ihre Bedarfslage nicht mehr – wie bisher – ge-
genüber unterschiedlichen Leistungserbringern darstellen bzw. nach-
weisen müssen. Insbesondere dies wird im Koalitionsvertrag der Großen
Koalition bemängelt. „Transferleistungen für Familien in Deutschland
werden derzeit an verschiedenen Stellen bearbeitet und ausgezahlt. Ih-
nen liegen zum Teil unterschiedliche Einkommensbegriffe und Ein-
kommensgrenzen zugrunde“ (vgl. CDU, CSU und SPD 2005: 101).

Wie die Ausführungen dieses Kapitels gezeigt haben, spricht vieles für
eine Finanzierung und Organisation familienbezogener Maßnahmen bei
einem Parafiskus. Eine abschließende Bewertung, ob familienbezogene
Maßnahmen über einen Parafiskus finanziert und organisiert werden, ist
allerdings letztlich dem politischen Entscheidungsprozess vorbehalten.

                                                                  268
Schwarze et al. (Hrsg.) (2007): Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag

5. Wie könnte ein Familienparafiskus für Deutschland
   ausgestaltet sein?14
Bei der Frage nach den grundsätzlichen Ausgestaltungsalternativen pa-
rafiskalischer Modelle der Familienförderung kann danach unterschie-
den werden, wie die Finanzierungsseite bzw. Einnahmenseite derselben
gestaltet ist. Prinzipiell wäre eine Beitragsfinanzierung vorstellbar, wie
sie bisher mehrheitlich bei den deutschen Sozialversicherungsträgern
praktiziert wird und der deutschen Tradition entspricht: Arbeitnehmer
und Arbeitgeber zahlen in Abhängigkeit vom Erwerbseinkommen der
abhängig Beschäftigten Beiträge. Eine weitere Beitragsvariante könnte
darin bestehen, dass die gesamte Wohnbevölkerung einkommensabhän-
gige Beiträge entrichtet. Dies hätte den Vorteil, dass alle Bevölkerungs-
gruppen in die Finanzierung einbezogen sind. Grundsätzlich hätte eine
Beitragsvariante den Vorteil, dass die Beitragszahler mit den Beiträgen
klar umrissene Leistungen verbinden können und dadurch die Zah-
lungsbereitschaft steigt. Eine „beitragsfreie“ Variante ist eine Finanzie-
rung von Parafisken über Steuermittel.15 Für eine solche Variante spre-
chen zum Einen systematische Gründe, da die staatliche Finanzierung
familienbezogener Leistungen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist,
die üblicherweise über Steuern finanziert ist. Zum Anderen würde eine
Beitragsfinanzierung in der öffentlichen Diskussion mit einem Anstieg
der Lohnnebenkosten verbunden sein, was aus politökonomischen
Gründen die Umsetzungschancen einer Reform verringern würde16. Für
eine Steuerfinanzierung kommen grundsätzlich die Einkommensteuer
14
   Zur Ausgestaltung eines Familienparafiskus kann auch die Organisationsform bereits existierender parafiskali-
scher Modelle der Familienförderung wertvolle Hinweise geben, vgl. dazu die Darstellungen der Beispiele in
Frankreich und Österreich bei Spieß (2004, 2005 und 2006).
15
   Wie bereits in den Kapitel 2 und 3 deutlich wurde, ist die Finanzierung über Beiträge kein konstitutives Ele-
ment von Parafisken. Insofern ist der Argumentation von Homburg und Schnabel (2005: 18) nicht zu folgen,
dass die Idee einer Bündelung familienbezogener Leistungen bei einer Familienkasse abwegig ist, wenn diese als
Parafiskus ausgestaltet ist, der Beiträge erheben muss.
16
   Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Tarifparteien ohnehin bei ihren Lohnverhandlungen bereits die
Höhe der Lohnnebenkosten berücksichtigen (vgl. z. B. Wagner 1999).

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