"Super Nanny" - Ratz Fatz, der Laden läuft!- Elisabeth Helming

 
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Abt. Jugend/Jugendhilfe
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                                                                in der Kinder- und Jugendhilfe
                                                                            Elisabeth Helming
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Elisabeth Helming

„Super Nanny“ - Ratz Fatz, der Laden läuft! –
Überarbeitete Version des Vortrags auf dem Fachtag der Arbeitsgemeinschaft Flexible
Hilfen, Erlangen, 9. 6. 2005

Der folgende Text bezieht sich auf die RTL-Fernsehserie „Super Nanny“ - und zwar auf
insgesamt acht Familienberatungen und auf Aussagen auf der RTL-Internetseite zur Serie.

Es sollen dabei folgende Themen angesprochen werden:
   a) Das Konzept des Eltern-Coaching: Wie handeln die Nannies, was tun sie?
   b) Ambulante Erziehungshilfen/Familienhilfen – „Super Nanny“ im Vergleich
   c) Familienberatung – im Kontext der medialen Präsentation
   d) Ratz fatz: Schnelligkeit von Veränderung – Nachhaltigkeit von Veränderung
   e) Die Serie bewegt: Was macht die Serie so erfolgreich, was bewirkt sie?

   a) Das Konzept des Eltern-Coaching: Wie handeln die Nannies, was tun sie?

Die „Super Nannies“ beraten Familien, in denen die Eltern große Probleme mit ihren Kin-
dern haben. Dabei ging es in den acht Familienberatungen, auf die sich dieser Text be-
zieht, um unterschiedliche Familiensituationen: um ältere und jüngere Kinder, um allein
erziehende Mütter oder auch mal um einen Vater, oder um Mütter und Väter, um Stief-
und Scheidungsfamilien; es ging um Familien mit vielen Kindern oder um einzelne Kinder,
mit denen die Eltern besondere Probleme haben. Aber es scheint sich ein roter Faden
hindurchzuziehen: Die Eltern wissen nicht mehr so genau, was eigentlich richtig ist, wie sie
den Kindern gegenüber handeln sollen. Sie sind gefangen in ihrem Bedürfnis, den Kindern
gegenüber „nett“ zu sein, ihnen viel zu geben – vermutlich auch in dem Entschluss, es
2

anders und besser zu machen als die eigenen Eltern - und sie wissen nicht mehr, was es
bedeutet ihre Elternrolle auszufüllen, ohne autoritär zu sein. Und aus diesem Wunsch her-
aus geben die Eltern den Kindern gar keine Orientierung mehr. Sie haben Schwierigkeiten
damit, Grenzen zu setzen, weil sie eine solche Haltung als viel zu hart empfinden. Daraus
entsteht ein typisches Beziehungsmuster: Sie lassen dem Kind zunächst sehr viel Spiel-
raum und explodieren dann irgendwann oder fangen an, an den Kindern zu zerren. Das ist
eine Situation, der auch die ambulanten Erziehungshilfen ständig begegnen1: Eltern las-
sen die Kinder in vielen Mikrosequenzen entscheiden, was läuft, sie vermitteln den Kin-
dern, dass diese entscheiden dürfen und sie selber lächerlich sind. Das kann zu diesem
Oszillieren führen zwischen schwachen, aber ständig wiederholten Verboten einerseits
und Ausrasten der Eltern andererseits. In der Art des Sprechens beim Verbieten kommt
bereits zum Ausdruck, dass die Eltern eigentlich nicht den Eindruck haben, sich durchset-
zen zu können, sie drohen, aber ihre Drohung bleibt ohne Konsequenz: „Wenn du das
noch mal machst, dann passiert aber was“, aber es passiert lange nicht wirklich etwas. Vor
allen Dingen reagieren sie hauptsächlich auf die Aktionen ihrer Kinder; sie gestalten die
Interaktionen wenig von sich aus.

Dies ist meines Erachtens ein Muster, das sich auch findet in den Interaktionen der Ju-
gendhilfe mit Eltern, insbesondere wenn SozialarbeiterInnen eine Kindeswohlgefährdung
längerfristig oder aktuell befürchten: Längere Zeit wird an die Eltern eher „hingebemst“:
„Tun Sie doch, machen Sie doch“ – auch hier gibt es ein Schwanken zwischen den Polen
Mitleid, Hilflosigkeit, Schuldgefühlen beim Umsetzen von Konsequenzen einerseits und
dann großem Ärger und moralischer Anklage andererseits, wenn es zu einer Inobhutnah-
me kommt. 2

Die Kinder nehmen die Androhung in der Regel zum Anlass, ihre Grenzen auszutesten
und tun das Verbotene. Bis dann die Eltern ausrasten und zu gewalttätigeren Handlungen
Zuflucht nehmen. Aber sie schlagen so, dass das Kind dennoch das Gefühl hat, der Stär-
kere zu sein. Gewalt entsteht oft aus der Hilflosigkeit. Wenn die Eltern die Idee haben,

1
    „Er hat mich zur Weißglut gebracht. Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Glauben Sie, dass mir das Spaß
    macht, ihn zu verdreschen? Aber er kapiert es nicht anders. - Ja ich glaube wir sind uns ähnlich.“ (Vater
    nach einer tätlichen Auseinandersetzung)
    „Er macht es mit Absicht, mich zu provozieren. Ich kann dieses laute Schreien nicht mehr ertragen. Meine
    Eltern beschweren sich auch schon laufend. Wir können ja gar nirgends anders wohnen. Das macht doch
    kein Vermieter mit. Er will es wissen, wo seine Grenzen sind und ich zeige sie ihm.“(Mutter bei einem der
    ersten Familienbesuche der Fachkraft der SPFH). (Aus: Helming 2001;
    siehe dazu auch Hoops/Permien/Rieker 2001)
2
    Siehe dazu Fallbeispiele in Hoops/Permien/Rieker 2001; Helming 2003
3

dass sie es nicht schaffen, ihre Kinder dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie wollen, drü-
cken sie es auf verschiedene Art und Weise aus: durch einen schwachen Tonfall, eine
schwache Körperhaltung, aber auch durch einen ärgerlichen Tonfall oder eine ärgerliche
Körperhaltung. Z.B. sagen sie: „Tu mir doch endlich den Gefallen, und geh in die Schule“
(in klagend-bittendem, fast schon resigniertem Tonfall) oder: „Nun geh doch endlich mal in
die Schule“ (laut schimpfend): Varianten, in denen das Bild transportiert wird, sie schaffen
es sowieso nicht. Das ist den Eltern nicht bewusst. Sie sehen die Reaktion des Kindes und
denken: „Ich tue doch alles.
Das ist zumeist die Ausgangssituation, in die die „Super Nannies“ kommen und anfangen,
mit den Eltern an Alltags-Situationen und Interaktionen zu arbeiten, indem sie u.a. diese
Haltungen analysieren, den Eltern deutlich machen. Und m.E. tun sie es nach den Regeln
der Kunst – es geht mir jetzt nur um das Konzept, um das, was sie konkret tun – nicht um
den medialen Kontext, in dem das Ganze geschieht, der in Punkt c) angesprochen wird.
Die Nannies verstehen sich als Unterstützerinnen der Eltern, so dass diese die Dinge, die
mit den Kindern erreicht werden müssen, selber bewerkstelligen, auch wenn sie ihnen
teilweise direktive Anleitungen geben3. Sie „coachen“ die Eltern. Ich finde diese Art der
Arbeit ganz konkret an den Alltagsinteraktionen mit den Kindern sinnvoll und produktiv,
denn das symptomatische Verhalten eines Kindes ist immer eingebettet in ein Netz von
bestimmten Interaktionen zwischen Eltern und Kind und dem anderen erwachsenen Um-
feld. Es interessieren die Eltern-Kind-Interaktionen, die rund um das symptomatische Ver-
halten des Kindes ablaufen und die im Alltag immer wieder auftreten. Saalfeld sagt in einer
Folge z.B.: „Die Kinder können nichts dafür, ihr müsst Eltern sein, und ihr müsst miteinan-
der reden.“4 – und macht damit den Eltern klar, dass diese die Verantwortung haben.
– Die Bildunterschriften auf der Internetseite zur Serie sprechen allerdings eine ganz an-

dere Sprache; hier geht es um „kleine Biester“ und „Problemkinder“, d.h., die Verantwor-
tung wird – bis auf wenige Ausnahmen - voll und ganz den Kinder zugeschoben. –

3
    Grawe/Grawe-Gerber (1999) betonen in ihrem Aufsatz über Ressourcenaktivierung auf der Basis ihrer
    empirischen Therapieforschung in Bezug auf Therapieerfolge, dass es nicht um eine bestimmte Form der
    Therapie geht, die erfolgreich oder weniger erfolgreich ist, sondern darum, dass die Therapie an die Er-
    wartungen, Motivationen, Fähigkeiten (Ressourcen) der PatientInnen anknüpft. Sie sprechen von der Not-
    wendigkeit einer komplementären Beziehungsgestaltung: Eine PatientIn bspw. die dazu neigt, sich ab-
    hängig zu machen braucht eine klare Richtung, Hausaufgaben z.B., hier muss die TherapeutIn sich
    eher direktiv verhalten. Bei einer PatientIn, die sehr misstrauisch ist und ein Kontrollbedürfnis hat, entwi-
    ckelt die TherapeutIn ihr Vorgehen mit großer Transparenz, sie fragt viel nach, stellt Alternativen vor; sie
    achtet sorgsam auf Zustimmung oder Ablehnung und wendet sich diesen Anzeichen positiv zu; sie zeigt,
    dass sie die PatientIn respektiert. Eine PatientIn, die sehr narzisstisch ist, erhält Gelegenheiten, sich im
    positiven Licht darstellen zu können.
4
    Alle Zitate von Nannies aus den Filmen sind nicht wörtlich, sondern sinngemäß wiedergegeben
    nach einer Mitschrift. E.H.
4

Die „Super Nannies“ üben konkret mit den Eltern, wie die ihre Stimme, ihre Haltung verän-
dern können. Sie stellen Regeln auf, sowohl für die Kinder als auch für die Eltern – was
immer betont wird – und helfen den Eltern damit, den Alltag zu strukturieren. Es ist eine
Art Trainingsprogramm; eingesetzt wird bspw. Video-Home-Training, auf das sich das
Konzept der Serie ja bezieht. Auch in Einrichtungen, die Familien stationär aufnehmen,
findet sich ähnliche konzeptionelle Elemente: Mit Video-Analysen und in Rollenspielen
wird mit den Eltern an Alltagssequenzen der Interaktion mit ihren Kindern gearbeitet. (vgl.
dazu Helming 2003, Kapitel 5.6: Grundsätze und Methoden der Elternaktivierung, S. 254
ff).

Wobei ich diese Art des Arbeitens auch für die Soziale Arbeit sinnvoll finde: Es gibt Projek-
te, bspw. der familientherapeutische Dienst im Ortenaukreis oder auch im Projekt Triangel
in Berlin, wo die Basis der Supervision bzw. Intervision die gemeinsame Analyse von
Interaktionssequenzen mit den KlientInnen auf Video oder in Rollenspielen ist (Hel-
ming 2003).

Und auch in der sozialpädagogischen Familienhilfe – so die Erfahrung unserer empiri-
schen Forschung – ist ja das genau die große Chance: am Alltag teilnehmen zu können
und direkt mit den Eltern konkrete Interaktionen zu besprechen. Das haben in den Inter-
views, die wir geführt haben mit Eltern, die SPFH erhalten haben, viele Eltern auch betont:
Im Gegensatz zur Erziehungsberatung, die für manche zu abstrakt war, deren „Tipps“ sie
nicht verstanden haben, waren ihnen die konkreten und direkten Besprechungen von Si-
tuationen viel hilfreicher.
Es wird von den Familien selbst an der Arbeitsweise der Sozialpädagogischen Familienhilfe in den Inter-
views als besonders hilfreich beschrieben, dass die FamilienhelferInnen Konflikte aktuell in bestimmten Situ-
ationen miterleben können, so dass - wie eine Mutter es ausdrückte - sie im Unterschied zu Erziehungsbera-
tung oder auch zu den Elterngesprächen im heilpädagogischen Hort nicht „ausgefragt“ wird, ihre Probleme
nicht „ausspucken“ musste. Statt „drüber“ zu reden, ist es dadurch möglich, an der konkreten Situation zu
bleiben. Die Eltern aus einer Familie beschrieben es folgendermaßen: Vater: "Das war einfach mehr familiär.
Es war nicht so, da sitzt jetzt jemand vor dir und schreibt dir so ungefähr vor, wie du es machen musst, und
alles andere, was du bisher gemacht hast, das kannst du sozusagen vergessen. Und der Herr X. (Familien-
helfer) hat das ein-fach ein bisschen so familiärer gemacht, so als Freund mit uns gesprochen, und das ist
halt dann ein bisschen anders, als in der Klinik (Therapie) oder wo anders". Mutter: "Ich seh den ganz krass
den Unterschied (zwischen SPFH und den anderen Hilfeformen vorher). ... Ich hab immer gedacht, das kann
einfach überhaupt nicht mehr schlimmer werden und dann wurde es immer schlimmer bei den anderen Sa-
chen, die wir gemacht haben (Erziehungsberatung, heilpädagogischer Hort, kurzfristige Heimunterbringung
der Tochter). ... Da (beim Familienhelfer) kommen auch mal Tipps, da kann ich mich auch hinwenden und
fragen: ´Was soll ich da jetzt machen?´ ... Er (der Familienhelfer) sagt, ´Sie könntens ja mal so probieren
oder so probieren, es gibt ja vielerlei Möglichkeiten´, und das ist eben, aus diesem eingleisigen Denken
rau-kommen. "Der Vater ergänzt: "Und vor allen Dingen macht er’s ja gleich vor (lacht), und das hat bis jetzt
noch kein anderer gemacht.“ Im Gegensatz zu den vorherigen Beratungen schätzen die Eltern ganz beson-
ders die unmittelbare Anwesenheit des Familienhelfers in der Familie, so dass in der Situation selbst verän-
derte Erfahrungen gemacht werden können: "Und vor allen Dingen macht er´s ja gleich vor". (In:
Blüml/Helming/Schattner 1994, S. 129ff)
5

Die eigene Erfahrung macht den Unterschied. Dass rein kognitive Einsicht nur in sehr
begrenztem Maß Verhalten verändert, ist ja schon seit langem kein Geheimnis mehr. Es
geht eben nicht um Hinweise: „Seien Sie doch mal konsequent“, oder: „Wecken Sie Ihren
Sohn doch mal so und so auf“, sondern darum, dass Eltern in bestimmten Situationen die
Erfahrung machen können, wie es sich anfühlt, aus der Mutter- bzw. Vater-Rolle heraus
zu handeln, was sie dazu tun müssen. Die Veränderung von mentalen Modellen muss,
wenn sie nachhaltig sein soll, mit Emotion verknüpft sein; und dieser affektive Anteil ist
vorhanden, wenn wirkliche Erfahrungen gemacht werden. Und das ist es, worum es bei
dieser Beratung geht: Die Veränderung eines mentalen Modells von Vätern und Müttern
im Verhältnis zu den Kindern, das beinhaltet, diesen letztlich nicht gewachsen zu sein.
Die Verhaltensweisen der Eltern haben zu tun mit ihren inneren Bildern – ihren mentalen Modellen – dar-
über, was Eltern tun sollten, was sie nicht tun sollten, wie man ein Kind richtig behandelt. Beispiel aus dem
Projekt Triangel: Ein Vater z.B. hat seinen Siebenjährigen, der massive Probleme in der Schule hatte (blieb
nicht am Platz sitzen, schlug nach seinem Lehrer, wurde für unbeschulbar gehalten) eher so behandelt, als
wäre er sein Kumpel, als hätte der Kleine dem Vater was zu sagen: Der Sohn konnte den Vater herbeipfei-
fen. Entsprechend hat der Kleine ebenfalls gedacht, er kann Lehrer herbeipfeifen. Aus der Logik des Kindes
verhält sich der Lehrer merkwürdig, wenn er das ablehnt: Papa ist ein Kumpel, wieso ist der Lehrer befrem-
det? Die Hypothese war, wenn der Vater dieses Verhalten in Bezug auf seinen Sohn verändert, gibt es in
der Schule weniger Probleme – und die Erfahrung hat diese Hypothese bestärkt. Nachdem im Projekt Trian-
gel in konkreten Situationen, beim Mittagessen bspw. der Vater geübt hat, den Sohn am Tisch zu halten –
ebenfalls mit einem Coaching der MitarbeiterInnen im Projekt, kamen die ersten kleinen Fortschritte, auch
wenn sie nicht ganz einfach zu erzielen waren: Der Junge wurde kindlicher, verhielt sich altersgemäß, und
plötzlich kamen Rückmeldungen aus der Schule, dass er sich auch da anders verhalten. Die Eltern hatten
über diese ersten Erfolge sehr große Motivation, weiterzumachen, da sie vorher die Vorstellung hatten, dass
es zu schwierig ist, Veränderungen zu bewirken. Wenn Eltern sich dem Kind gegenüber klein fühlen, dann
sind sie oft auch in anderer Hinsicht in einer kindlichen Rolle. Eine Erfahrung aus dem Projekt Triangel ist,
dass Eltern ihr gesamtes Leben verändern, wenn sie ihre Beziehung zum Kind verändern. Es scheint ziemli-
che Auswirkungen zu haben, wenn sie hier anfangen, Verantwortung zu übernehmen.
Leider wird oft auch von PädagogInnen dieser Zusammenhang nicht wahrgenommen. Gerade unqualifizierte
FamilienhelferInnen hinterlassen da negative Spuren: Diese sehen nur die Wutepisoden der Kinder und
sagen dann: „Das Kind kriegt zu wenig Liebe“. Statt Grenzen zu setzen, werden die Eltern noch mehr verun-
sichert, werden noch weicher, weil sie Angst haben, sie lieben ihr Kind nicht und werden noch mehr desori-
entierter in Bezug auf Grenzsetzung. Wenn eine Mutter überlegt, wie sie ihrem extrem ausflippenden Sohn
mehr Liebe geben kann und das Kind merkt das, dann kann man sich vorstellen, dass das Öl ins Feuer ist.
Das Hilfesystem bringt manchmal auch Lösungsideen in die Familien, die das Problem verstärken (Helming
2003: 255 ff)

Diese Art situationsbezogener Beratung enthält keine Patentrezepte, wenn auch – das ist
ein Aspekt der medialen Präsentation – die Serie teilweise im Sinne von Rezepten an-
kommt bzw. teilweise vom Sender auch so verkauft wird5, sei es der „stille Stuhl“ oder die
Familienregeln. Auf der Homepage von RTL wird „Super Nanny“ Saalfrank dagegen fol-

5
    „Was tun, wenn mein Kind ausflippt? Exklusive Tipps der 'Super Nanny': So überstehen Sie einen Ein-
    kauf mit dem Kind. So geht Ihr Kind friedlich ins Bett. So hält sich Ihr Kind an Familienregeln. Nadja
    Lydssan weiß Rat!“ http://www.rtl.de/ratgeber/familie_876804.php
6

gendermaßen zitiert6: "’Es ist wichtig zu verstehen, dass der 'stille Stuhl' kein Allheilmittel
ist’. Vielmehr gehe es darum zu erkennen, in welcher Situation sich das Kind gerade be-
findet und entsprechend zu reagieren. ‚Wenn sich ein Kind bockig verhält, bringt es nichts,
es einfach auf den 'stillen Stuhl' zu setzen’, so die 'Super Nanny'. Damit werde die Situati-
on nicht geklärt, sondern oft noch verschärft. ‚Eltern sollten nie etwas kritiklos und unre-
flektiert übernehmen. Unsere vorgeschlagenen Erziehungsmethoden, wie der 'stille Stuhl',
ersetzen nie das eigene Denken der Eltern.’ Vielmehr müssten Eltern stets selbst ent-
scheiden, was das Beste für ihr Kind sei.“
Die vorgestellten Instrumente – wie der Einsatz von Regeln und der „stille Stuhl“ bspw.
nützen – wie in manchen Beratungen sehr deutlich wird – an sich auch gar nichts, wenn
Eltern nicht in der Lage sind, sich den Kindern gegenüber mit Klarheit zu verhalten; und
das ist es, was sie anhand konkreter Situationen mit Unterstützung der „Super Nannies“
lernen sollen.

Es geht bei der Erziehungsberatung der „Super Nannies“ um eine Art Coaching der Eltern
dabei, dass sie wieder zu Eltern werden. Wobei die Betonung darauf liegt, dass sie nicht
aus einem Machtbedürfnis heraus handeln, Durchsetzung um der Durchsetzung, des
Herrschens willen, sondern um Kindern klare Regeln zu geben, die diese als Schutz brau-
chen. Und immer wieder wird von den „Super Nannies“ hingewiesen darauf, dass die Kin-
der klare Erklärungen erhalten sollen, was die Eltern von ihnen wollen. Ein Vater herrscht
seinen Sohn bspw. bei Tisch an: „Florian!“ Saalfrank, die das Essen beobachtet, fragt ihn,
was er denn von seinem Sohn wolle. Vater: „Er soll nicht so rumhampeln und nicht mit
dem Essen spielen“. Saalfrank erklärt ihm, dass er seinem Sohn genau sagen soll, was er
von ihm möchte. Aktionen, wie bspw. Schlafengehen, müssen rechtzeitig und klar ange-
kündigt werden usw. Den Kindern soll ebenfalls zugehört werden, sie müssen respektiert
werden. Die Nannies arbeiten mit den Eltern an deren Tonfall: Diese sollen weder – eher
verzagt – bitten noch aggressiv werden, was beispielhaft in einer Folge anhand des Ver-
haltens von einem Vater in einer sehr dichten Situation klar wird: Er schwankt zwischen
diesen zwei Polen hin und her, wobei Saalfeld ihn immer wieder auffordert: „Jetzt bitten
Sie Ihren Sohn. Sie brauchen ihn nicht bitten. Sagen Sie klar, was Sie möchten. Jetzt wird
Ihr Ton aggressiv“. In einer Folge ermahnt sie den Vater z.B., die Aktionen des Kindes
ernst zu nehmen; sie wiederholt mehrfach: „Es ist nicht lustig“ – das Kind hält seine Aktio-
nen sichtlich für ein Spiel – und der Vater bestätigt das durch sein Verhalten. Sie verhält

6
    Wobei dieses Zitat nicht so ganz einfach zu finden ist – im Gegensatz zu den Familienregeln und sonsti-
    gen Rezepten zur Kindererziehung, http://www.rtl.de/ratgeber/familie_896938.php
7

sich als eine Expertin für Kommunikation und bezieht sehr klar Position hinsichtlich des-
sen, was sie für eine hilfreiche bzw. weniger hilfreiche Kommunikationsform hält. Im Prin-
zip geht es um einen autoritativen Erziehungsstil.
Die Nannies loben die Eltern für ihre Bemühungen und Fortschritte, sie ermutigen sie: „Du
hast Dein Kind sehr gern, das sieht man, ich bin stolz auf Dich, dass Du durchgehalten
hast. Das ist toll, wie schnell Du einen Weg gefunden hast, mit den Kindern besser umzu-
gehen“, sie ermutigen die Mütter, Zeit für sich selbst zu nehmen. Und sie stellen die Ver-
haltensweisen der Kinder systemisch in einen Familienkontext und erklären z.B. bei einem
Kind, dass es sozusagen die Sündenbockrolle in der Familie übernommen hat; dass ver-
mutlich ein anderes Kind die Ehekonflikte der Eltern ausagiert usw.
      b) Ambulante Erziehungshilfen/Familienhilfen – Super-Nanny im Vergleich

Die Familien, die sich eingelassen haben auf die Beratung durch die „Super Nannies“, sind
in hohem Maße motiviert, bei der Beratung wirklich mitzumachen. Das ist oft ja schon ein
Unterschied zu den Erziehungshilfen, wo die Eltern erst mal überhaupt motiviert werden
müssen, wo es viel Geduld und wo es manchmal Druck von außen – durch das Jugend-
amt – braucht, um ein Einlassen auf Beratung, auf Unterstützung zu erreichen (vgl. Co-
nen 1996, Conen 1999). Und in den Erziehungshilfen geschieht es zwar – aber sollte nicht
geschehen – dass den Eltern die Schuld gegeben wird, „die sind halt zu blöd“ – wenn die
Motivation nicht im erwünschten Maß vorhanden ist. Die Jugendhilfe kann bzw. sollte sich
nicht leisten7, eine Mutter, die sich letztlich dann doch nicht einlässt, einfach öffentlich

7
    Erfahrungen aus dem Projekt „Triangel“: „Triangel wurde als Suchsystem konzipiert, d.h., bei Nicht-Erfolg
    geht man nicht davon aus, dass das Konzept grundlegend falsch ist, sondern dass man noch nicht richtig
    arbeitet. Die eigene Arbeitshaltung und die eigenen Arbeitsformen sollen immer weiterentwickelt werden.
    Am Beginn der Arbeit wurde für dieses Projekt von der Jugendamtsleitung kein Bedarf gesehen, da man
    annahm, die Eltern aus dem „Problem-Bezirk“ Berlin Neu-Kölln wären für so eine Arbeitsform nicht zu ge-
    winnen, man hielt sie für unmotiviert. Die MitarbeiterInnen dagegen gingen davon aus, dass es „unmoti-
    vierte“ Eltern nicht wirklich gibt, sondern dass dies eine Zuschreibung ist, die darauf beruht, dass die
    Angebote nicht attraktiv sind für Eltern. Soziale Arbeit muss also etwas tun, damit die Angebote für Eltern
    interessant werden, dann sind sie nicht mehr „unmotiviert“. Wenn also ein Vater, der als Alkoholiker einge-
    schätzt wird, Termine nicht wahrnimmt, dann wird nicht zugeschrieben: „Ein Alkoholiker ist eben nicht in
    der Lage, Termine wahrzunehmen“, sondern es wird gefragt, wie dieser Vater möglicherweise die HelferIn-
    nen erlebt hat, so dass er es nicht für sinnvoll hält, noch mal zu kommen. Dieser Frage wurde sehr detail-
    liert nachgegangen in Rollenspielen und in der Analyse von Videoaufnahmen von kleinen Interaktionsse-
    quenzen zwischen Eltern und den MitarbeiterInnen. Der Fokus wurde verschoben: weg von dem Tun
    der KlientInnen hin zum Verhalten der MitarbeiterInnen. Die Erfahrung führte dann zu einigen Thesen.
    Eine davon ist: Wenn Eltern im Hilfeprozess inaktiv sind, ist das in erster Linie durch Rollenzuwei-
    sung und den Hilfeprozess passiert! Es gibt motivierende und demotivierende Beziehungsformen
    zwischen KlientInnen und SozialarbeiterInnen: Mit der Haltung des Hilfesystems steht und fällt die Moti-
    vation von Eltern. Das ist nur als Arbeitshypothese zu sehen und sicher nicht die „ganze“ Wahrheit, aber
    nützlich, damit die HelferInnen nicht immer nur auf die Eltern „starren“, sondern eher darauf, wie durch die
    Gesprächsführung die Weichen gestellt werden.
    Die zweite These lautet: Entscheidend für die Art und den Erfolg der eingesetzten Hilfe ist die fachli-
    che Orientierung im Hilfesystem und nicht die Symptomatik der Familie! Vor 10 Jahren hätte man
    bspw. gesagt, ein Angebot wie Triangel ist für Neuköllner Familien nicht geeignet; heute werden diese Fa-
8

„auszustellen“, bloßzustellen, wie es auf der Homepage des Senders geschieht8 – und
damit hat sich die Sache (dass es Methoden des Bloßstellens auch durch die Jugendhilfe
gibt – ist eine andere Sache).
Zudem geht es in der Arbeit der „Super Nannies“ lediglich um Erziehungsprobleme und
manchmal – im Zusammenhang mit den Kindern – auch um Probleme der Eltern mitein-
ander. Aber in den Familienhilfen ist das Thema ja der gesamte Lebenszusammenhang,
da es sich um Familien in gravierenden Unterversorgungslagen in vielfältiger Hinsicht
handelt: Sie sind zumeist unterversorgt in Bezug auf Einkommen, Wohnung, Bildung, Be-
ruf, soziale und gesundheitsbezogene Dienstleistungen. Die Ausübung von Selbstverant-
wortung in der Erziehung hat Voraussetzungen: Menschen als aktive Gestalter ihres Le-
bens und ihrer Umwelt und Lebenskontexte haben und benötigen als Bedingungsrahmen
dieser Gestaltungsversuche Ressourcen - Ressourcen, die in den Personen selbst liegen
(Problemlösekompetenzen, Kontrollüberzeugungen, Selbstwertgefühl und Optimismus etc.
– worum es u.a. in der Serie geht) wie in den Kontexten (ökonomische Sicherheiten, Woh-
nen und Arbeit, soziale Beziehungen und Bindungen etc.). Der Auftrag insbesondere der
Familienhilfen und der Erziehungshilfen im Allgemeinen beinhaltet auch die Erschließung
von Ressourcen, vor allem für sozial benachteiligte Familien, Kinder und Jugendliche in
vieler Hinsicht: innerfamiliär, aber auch bezogen auf die Vermittlung zu Ressourcen im
Gemeinwesen; er beinhaltet, den Familien auch außerfamiliäre Ressourcen verfügbar zu
machen. Diese Dimension kommt in der Serie nicht vor: Wenn die Eltern es nicht schaffen,
ihre Kinder zu erziehen, dann ist es ihre alleinige Verantwortung, die nur auf der persönli-

    milien überwiesen und es wird durchaus erfolgreich mit ihnen gearbeitet; es haben sich aber nicht die Fa-
    milien geändert, sondern das Hilfesystem, das in wesentlich höherem Maß elternaktivierend arbeitet. Frü-
    her wurden die Kinder aufgenommen und mit Eltern wurde keine Arbeitsgrundlage gefunden, man sagte
    von ihnen, dass sie unkooperativ sind. Man kann in Bezug auf die Herausforderung an das Jugendhilfesys-
    tem, um die es hier geht, durchaus Analogien zu den Suchprozessen im Bereich der Beratung von Sucht-
    klientInnen sehen. In den 50er/60er-Jahren gab es die weit verbreitete Schulmeinung, dass Alkoholismus
    untherapierbar ist. Das hat sich radikal geändert: Die Alkoholiker sind die gleichen wie damals, was sich
    verändert hat, sind die Angebote des Suchthilfesystems. Elternaktivierung als grundlegendes Prinzip des
    Jugendhilfesystems ist nicht beschränkt auf bestimmte Familien, die zu diesem Prinzip passen, sondern es
    gilt, die Arbeitsform immer weiter zu entwickeln, so dass immer mehr Familien davon profitieren. Wenn et-
    was nicht klappt, dann ist es ein Kardinalfehler, auf individualpsychologische oder familiendynamische In-
    terpretationen der Persönlichkeit der Eltern zurückzugreifen, hilfreicher ist es zu fragen: Wie nehmen die
    Eltern uns wahr, so dass sie kein Interesse an der Zusammenarbeit haben?“ aus: Helming 2003
8
    Wie die folgenden Bildunterschriften zeigen: „Hier wird Katjas Arbeit boykottiert“
    (http://www.rtl.de/ratgeber/familie_888574.php). „Eigentlich sollten sich alle an diese Regeln halten. Doch nach
    nur kurzer Zeit lässt sich Mutter Nicole wieder gehen und wird lascher. Während sie anfänglich noch auf
    eine gesunde Ernährung für ihre Kinder achtet und Michel feste Grenzen setzt, verfällt sie schließlich wieder in
    alte Muster. ’Super Nanny’ Katja Saalfrank versucht, Nicole zu unterstützen - doch ohne Erfolg! Nicole will ein-
    fach keine Hilfe annehmen. “Wenn Eltern keine Veränderungen wünschen und nichts für ein besseres Familien-
    klima tun, kann sich einfach auch nichts verändern“, so die ’Super Nanny’. Statt Hilfe anzunehmen, arbeitet Ni-
    cole teilweise sogar gegen die ’Super Nanny’ und lässt ihre Kinder gewähren, statt ihnen Grenzen aufzuzeigen.
    Und so kommt es, wie es kommen muss: Michel gibt zuhause wieder den Ton an, sitzt wieder stundenlang am
    Computer und kommandiert seine Mutter herum“. http://www.rtl.de/ratgeber/familie_893414.php
9

chen Ebene, auf der Ebene der Interaktion thematisiert wird9. Ambulante Erziehungshilfen
haben die Aufgabe Vermittlungsprozesse in viele Richtungen in Gang zu bringen: Zu
Schulen, Ärzten, Sozialhilfeträger, Erzieherinnen im Kindergarten. Aber es geht auch um
eine Unterstützung der Eltern dabei, private Netzwerke aufzubauen bzw. vorhandene bes-
ser zu nutzen. Etliche empirische Untersuchungen haben auf den Aspekt der Prävention
durch soziale Unterstützung hingewiesen.10 Die „Nannies“ verstehen sich zwar auch als
Vermittlerinnen, aber lediglich innerfamiliär.11
Qualifizierte Familienhilfe beinhaltet u.a.:
• Mobilisierung von Rechtsansprüchen und materiellen Ressourcen: von der Sozialhilfe, Hilfe zum Le-
   bensunterhalt über sonstige Fördertöpfe, Stiftungsgelder, einmalige Hilfen bis hin zu günstigen Ein-
   kaufsmöglichkeiten, Sachmitteln; Unterstützung in Sorgerechtsangelegenheiten, Klärung von Unterhalts-
   problemen bzw. Vermittlung von Rechtsberatung, Unterstützung bei Wohnungsproblemen, Arbeitsuche
   usw.;
• Aktivierung von Vernetzung: Wissen um Institutionen und unterstützende Strukturen im Gemeinwesen,
   z.B. Hilfen zur Förderung von Frauen und Kindern (von der Hausaufgabenbetreuung über Hortplätze,
   Frühförderung, heilpädagogische Förderung, Babysitterdienste, Berufsqualifikationsmaßnahmen für Ju-
   gendliche, Gruppenangebote für Mütter, Volkshochschulkurse), Schuldnerberatung, gesundheitliche Un-
   terstützung, Therapien, aber auch Sportvereine, Bibliotheken, Freizeitmöglichkeiten für finanzschwache
   Familien usw.
• Organisation, Durchführung und Moderation von Netzwerkkonferenzen (wichtig in Bezug auf die Schule)
   und Hilfeplangesprächen (besonders, wenn Familien sehr negative Erfahrungen mit der Jugendhilfe ha-
   ben) mit vollem Einbezug der Familien;
• Soziale Gruppenarbeit (Unterstützung durch Frauengruppen, Aktivitäten wie z.B. Jahreszeitenfeste, ge-
   meinsame Ferienangebote);
• Gemeinwesenorientierte Aspekte: Teilnahme an psychosozialen Arbeitsgruppen, Lobbyarbeit für arme
   Familien im Gemeinwesen, Familien übergreifende Kooperationen, z.B. mit dem Allgemeinen Sozial-
   dienst; sonstige besondere Vernetzungs- und Kooperationsstrategien
• Coaching der Familien im Aufbau bzw. der besseren Nutzung von ihren privaten sozialen Netzwerken
(Aus dem Handbuch SPFH: Helming/Schattner/Blüml 1997, S. 98)

    c) Familienberatung – im Kontext der medialen Präsentation

Der Kontext, in dem die „Super Nannies“ handeln, ist die mediale Präsentation, die ver-
knüpft ist mit einer tendenziell reißerischen Inszenierung der Konflikte der Familien und
der Kinder als Problemkinder, wie in den folgenden Bildunterschriften deutlich wird. Eine
Mutter wird z.B. als „Eiskalter Engel“ bezeichnet: „Fehlende Mutterliebe wird zum Problem:
Schnell erkennt ’Super Nanny’ Katja Saalfrank, dass nicht Lukas das eigentliche Problem

9
   Rappaport (1985) spricht in diesem Zusammenhang von der „wohlwollenden Vernachlässigung“, die in
   dem Credo enthalten ist: „Jede ist ihres Glückes Schmied“, dass die Selbstverantwortung betont, ohne die
   Gestaltungsmöglichkeiten mit zu bedenken. Am anderen Pol des Handelns steht für ihn die „fürsorgliche
   Belagerung“, die er in einer Sozialen Arbeit am Werk sieht, die meint, genau zu wissen, was für ihre Klien-
   tel gut und richtig ist.
10
   Eine Stipendiatin am DJI hat ein Projekt durchgeführt, in dem FamilienhelferInnen geschult wurden, die
   Eltern zu coachen auch hinsichtlich eines Aufbaus bzw. einer besseren Nutzung von privaten Netzwer-
   ken, was zu einer verstärkten Wirksamkeit der Familienhilfe geführt hat.
11
   http://www.rtl.de/ratgeber/familie_874387.php
10

ist, sondern Mutter Nicole. Die 28-Jährige ist total überfordert, schimpft in jeder Situation
mit Lukas, bricht Versprechungen und vernachlässigt den Jungen“.12
Die Kinder dürfen sich in den Filmen inszenieren als kleine Horrorkids und sie werden
inszeniert. In manchen Sendungen habe ich den Eindruck, den Kindern wurde gesagt:
„Jetzt schmeiß mal ordentlich mit den Spielkarten rum, schrei mal richtig laut, tob rum, hau
mal Deine Schwester“ usw. Und minutenlang folgt die Kamera dem tobenden und die
Wohnung zerstörenden, seine Geschwister prügelnden Kind, ohne dass jemand eingreift.
Diese Inszenierung geriert sich natürlich als „Wahrheit“. Die Frage stellt sich, wie real ist
die „Reality“. Aber – um dramatisch genug zu sein für die Zuschauer – braucht es anschei-
nend krasse Schwarz-Weiß-Beschreibungen, zumindest zu Beginn jeder Folge. Auf diese
Art und Weise wird die „Besserung“ natürlich um so wunderbarer. Und da wird es m.E.
problematisch: Die Kinder vor allem sind ungeschützt und werden teilweise regelrecht vor-
geführt. Die Eltern sind in der Lage sich zu schützen und zeigen sich nur in dem Maß, in
dem sie bereit dazu sind, die Jugendlichen ebenfalls. Die Kinder aber nicht. Da setzt ja
auch die Kritik vom Kinderschutzbund zur Serie an, u.a. wenn kritisiert wird, dass die Dra-
maturgie des Zusammenschnitts sehr simpel ist: „Zu Beginn sind nur solche Szenen zu
sehen, die Max schwieriges unruhiges Verhalten demonstrieren und damit gleichzeitig die
vermeintliche Unfähigkeit der Mutter verdeutlichen sollen. So muss der Zuschauer den
Eindruck gewinnen, dass das Kind keine positiven und die Mutter keine Kompetenzen hat.
Zum Ende werden dann die Szenen aneinandergereiht, die Max als angepasstes, ruhige-
res Kind zeigen“. Die Kinder geben sich preis und werden von der Nannies auch preisge-
geben: In manchen Kommentaren, die sie zur Kamera hin spricht, spricht sie teilweise in
einem m.E. analysierenden und objektivierenden Ton über die Kinder wie über Dinge; eine
Art zu sprechen, die ich respektlos finde. Daniel Le Bon, ein belgischer Therapeut und Phi-
losoph, hat Eltern und LehrerInnen aufgefordert, über Kinder nicht so zu sprechen wie ü-
ber Tiere: Man sollte versuchen, sich über Kinder in einer Art zu äußern, dass es dabei um
die Beziehung zu diesem Kind geht13– das ist ja auch die Erkenntnis von systemischer
Theorie und Therapie. In einem Berliner Projekt, in dem Familien stationär aufgenommen
werden, sagte der Leiter: „Wir haben irgendwann die Regel für uns aufgestellt, dass wir
nur so über Menschen reden, ob es nun andere Fachkräfte oder Eltern sind, dass die im
Raum sein könnten, und sich wohlfühlen dabei. Das hat uns manchmal geholfen, dass wir
uns gefragt haben, fühlt sich der jetzt noch wohl, der Jugendamtsmitarbeiter z.B., wenn er

12
     http://www.rtl.de/ratgeber/familie_888574.php

13
     Mündliche Mitteilung
11

dabei wäre und dann zu merken, dass man in ein negatives Muster zum Hilfesystem
geht.“ (Helming 2003: 272).
Die Familie als privater Raum muss die Kinder schützen vor den Anforderungen des ge-
sellschaftlichen Lebens. Kinder brauchen persönlichen Stolz, d.h., das Gefühl, mit allem,
was sie durch den Zufall der Geburt eben sind, identisch sein zu dürfen. Bei den Familien-
beratungen in den Folgen, auf die sich dieser Text bezieht, hat Saalfrank weder die Eltern
noch die Jugendlichen in einer solchen verdinglichenden Art und Weise kommentiert14.
Über einen Jugendlichen sagt sie: „Ich finde ihn sympathisch“; sie erklärt die Probleme
eines jungen Mädchens damit, dass diese ihre Mutter vermisst; den jungen Frauen in der
dritten Familie sagt sie mitfühlend, dass sie sieht, dass diese sich große Sorgen um ihre
Mutter machen usw.
Allerdings gibt es Sequenzen, in denen die „Super Nannies“ sehr abwertend über die Fa-
milien und ihre Lebensverhältnisse insgesamt sprechen à la: „Wie schaut`s denn hier aus?
Das ist ja furchtbar, ich war geschockt“ – Wobei ich in den direkten Interaktionen sowohl
mit Eltern als auch mit Kindern eine sehr unterstützende, wohlwollende und freundliche
Haltung wahrgenommen habe und diese Kommentare als ziemlichen Bruch empfinde.
Dieser Bruch findet sich auch im Vergleich der direkten Äußerungen von Saalfrank im Ge-
spräch mit den Bildunterschriften auf der Internetseite. Über ein Kind steht auf der Home-
page: „Fabienne – ein echter Härtefall. Dass nicht nur Jungs kleine Biester sein können,
beweist dieser Fall der „Super Nanny“.15 Im Gespräch mit der Mutter sagt Saalfrank dage-
gen über dieses Kind und ihren Bruder in etwa: „Sie haben doch wunderbar lebendige
Kinder“.
Was das für Schulkinder z.B. bedeutet, dass so über ihre Familie und sie selbst gespro-
chen wird – das ist für mich schwer zu sagen; ich stelle mir vor, dass sowohl die Bilder als
auch die Kommentare sehr beschämend sein können für die Kinder und Jugendlichen.16

     d) Ratz fatz: Schnelligkeit von Veränderung – Nachhaltigkeit von Veränderung

14
   Anders allerdings die Kommentare auf der Homepage von RTL zur Serie; siehe oben
15
   http://www.rtl.de/ratgeber/familie_888574.php
16
   Der folgende Kritikpunkt bezieht sich nicht nur auf die Serie, sondern insgesamt auf die so genannten
   Reality-Shows: Privatheit geht verloren: Mit ihrem Schwinden droht das Leben in seiner Lebendigkeit mit
   zu verschwinden. Ein nur in der Öffentlichkeit verbrachtes Leben verflacht. Wir verstehen nicht mehr, dass
   es notwendig ist, sozusagen die Subjektivität in die Öffentlichkeit leidenschaftlich einzubringen, um ge-
   meinsame Belange zu behandeln, aber nicht die Privatheit. Diese Verwechslung von privaten Angelegen-
   heiten und Subjektivität ist eine, die in dieser Gesellschaft ständig geschieht; es geht nur noch um Selbst-
   darstellung und nicht mehr um Partizipation, Teilhabe an der Gestaltung der Welt. (vgl. dazu Arendt 2002)
12

In der Serie wird insbesondere durch die Bilder vorgegeben, eine nachhaltige Verände-
rung der Eltern sei innerhalb von zwei Wochen möglich. Das beginnt mit der Inszenierung
der „Super Nannies“: Bei allem Respekt davor, dass sie selbst in ihren konkreten Interakti-
onen nach den Regeln der Kunst arbeitet, wird Saalfrank zu Beginn als Superfrau vorge-
stellt: Sie hat selber vier Kinder, ist selbstverständlich berufstätig, geht energischen Schrit-
tes in die Familien, ein weiblicher Clint Eastwood, der jetzt den Saustall mal richtig auf-
räumen wird. Unsicherheit scheint sie nicht zu kennen, sie scheint immer zu wissen, was
richtig ist – zumindest wird es so gezeigt. (Wobei ihre Klarheit gerade in den tendenziell
chaotischen Familien vermutlich sehr heilsam ist, und sie damit den Eltern auch ein Vor-
bild im Umgang mit den Kindern sein kann). Abgesehen davon, dass sie auf eine Art und
Weise als Frau dargestellt wird, für die es kein Problem zu sein scheint, alles zu balancie-
ren, für die es anscheinend keine Doppelbelastung gibt, die immer strahlt und gut drauf ist
– und die Frau, die das nicht schafft, ist halt unfähig – gibt es keinerlei Thematisierung von
Rahmenbedingungen: z.B. vom eklatanten Mangel an Kinderbetreuung, der Müttern in
diesem Land das Leben schwer macht. (Wieso geht eine Vierjährige bspw., von der Saal-
feld meint, dass sie sich zu Hause mit ihrer Mutter vermutlich langweilt und deshalb über-
dreht durch die Wohnung rennt und die ständige Aufmerksamkeit der Mutter verlangt, die
am Rande ihrer Kraft ist, nicht in den Kindergarten? Wieso wird nicht thematisiert, dass die
Mutter dringend einen Kindergartenplatz bräuchte für dieses Kind?)
Und da so klar ist, was richtig und falsch ist, geht Veränderung auch ganz schnell, die Se-
rie gibt ein Heilsversprechen17, das so vermutlich nicht funktioniert. Hier gibt es allerdings
einen großen Unterschied zwischen dem, was die Bilder aussagen und wie solche Erwar-
tungen von RTL auf der Internetseite bedient werden und dem, wie die „Nannies“ Verän-
derungen kommentieren: Die „Super Nannies“ sprechen jedes Mal vorsichtig von Anfän-
gen von Veränderungen, von Rückfallgefahr: Zwar sei der erste Schritt getan, aber die
Familie habe noch einen langen Weg vor sich; der Stiefvater habe sich zwar gewandelt,
aber es werde sicherlich Rückfälle geben. In dem Fall eines Jugendlichen, dem Saalfrank
eine Lehrstelle verschaffen konnte, zu der sie ihn motiviert hat, sagt sie am Ende: „Ich
konnte ihm eine Tür öffnen, aber durchgehen muss er selber“. In einem weiteren Fall einer

17
     Das betrifft insgesamt unsere Kultur: Wir möchten – ebenso wie Instant-Kaffee oder Instant-Suppe auch
     Instant-Heilung, Instant-Veränderung: „Super Nanny“ – ein Aufguss, schnell löslich und schon ist alles an-
     ders – das zumindest versprechen die Bilder. Es gibt ja auch Therapieformen wie Encounter z.b., die ein
     säkularisiertes Erlösungsversprechen abgeben: Ein Wochenende, und ich bin erlöst – einmal Urschrei,
     zweimal Familienaufstellung, bzw. nur einmal, wenn es Hellinger selbst macht natürlich. Ich habe nichts
     gegen manche Instant-Produkte, die ich sehr praktisch finde, hätte z.B. keine Lust, Gemüsebrühe selbst
     herzustellen, aber dennoch gewöhnen wir uns insgesamt immer mehr daran, dass alles schnell gehen
     muss, schnell vergehen muss und werden ungeduldig, wenn Prozesse Zeit erfordern – wobei wiederum
     Zeit nicht einziges Kriterium von Qualität ist, siehe Fußnote 18.
13

allein erziehenden Mutter mit vier Kindern sagt sie ebenfalls am Ende: „Wenn ich wegge-
he, ist nicht alles gelöst“, und sie hofft, dass die Familie nicht wieder in alte Muster zurück-
fallen wird. In einer anderen Familie wird kommentiert: „Man kann die Verletzungen eines
ganzen Lebens nicht in 14 Tagen auflösen“. Der allein erziehende Vater einer 14jährigen
sagt am Schluss, dass er eine Familienberatung aufsuchen oder mit einer Schulpsycholo-
gin sprechen wird. Die Kamera jedoch zeigt zumeist am Ende der Beratung Bilder von
glücklichen, harmonisch miteinander umgehenden Mitgliedern der Kleinfamilie. Diese Bil-
der werden auf der Homepage wiederholt und durch die Bildunterschriften verstärkt, wenn
die „Super Nanny“ „Bilanz zieht“: „Problemkind Florian“: „Heute ist Florian wie ausgewech-
selt. (…) Heute sind Mutter und Sohn ein Herz und eine Seele. (…) Ohne Probleme kann
die Familie heute auch Einkaufsbummel machen. Vor ein paar Wochen wäre dies nicht
möglich gewesen.“ „Denn die Tipps der ’Super Nanny’ werden nun konsequent umgesetzt.
18

Einerseits zeigen z.B. Erfahrungen aus den Familienkriseninterventionsdiensten (wie z.B.
Familienaktivierungsmanagement oder Familie im Mittelpunkt), die auch zunächst so als
die neue schnelle und effektivere Hilfe daherkamen, dass es oft sinnvoll ist, wenn nach
dem Einsatz noch eine SPFH etabliert wird, die dann längerfristig weiter mit der Familie an
deren Stabilisierung arbeitet (Koch/Lambach 1999, 2000). Andererseits können die hinter
den Konzepten der Kurzzeittherapie19, - an die sich auch das Konzept der „Super Nanny“
anlehnt - stehenden lösungs- und kundInnenorientierten Haltungen und Methoden den-
noch gute Anregungen auch für die ambulanten Erziehungshilfen geben, selbst wenn sie
zunächst nicht auf die Jugendhilfe zu passen scheinen, da die Schwierigkeiten und Prob-
leme der KlientInnen längerfristige Aufmerksamkeit erfordern – ebenso die in der Serie
gezeigte Methode, sich sehr genau und konkret auf Situationen zu beziehen.
Und nicht zu unterschätzen ist, dass durch das vermutlich massive Aufgebot an Leuten,
die in der Wohnung sind, wenn die Filmaufnahmen gemacht werden und durch das Wis-
sen, wie viele Menschen einem später bei diesem Prozess zuschauen werden, ein enor-
mer emotionaler, affektiver Kick vorhanden ist, der eine Veränderung unterstützt und be-
schleunigt. Wenn wir davon ausgehen, dass wir immer für uns selbst plädieren, um so

18
     http://www.rtl.de/ratgeber/familie_884172.php
19
      Erfahrungen mit Formen der Kurzzeittherapie haben gezeigt, dass die Zeitdauer nicht unbedingt ein Krite-
     rium von Qualität und Wirksamkeit einer Beratung ist. Eine Untersuchung eines israelischen Therapeuten,
     der ca. 200 Leute befragte, die lediglich ein Erstgespräch einer psychotherapeutischen Beratung in An-
     spruch genommen hatten, hatte folgendes Ergebnis: Etwa 1/3 der Befragten zeigte sich zufrieden mit der
     Einmalberatung und fand sie ausreichend (hatten aber tendenziell ein schlechtes Gewissen, dass sie sich
     nicht noch einmal gemeldet hatten); während die BeraterInnen als Hauptgrund annahmen, es sei bei nur
     einem Kontakt geblieben, weil die Ratsuchenden unmotiviert seien. (Mündliche Mitteilung von Michael
     Märtens auf einer Tagung der DAJEB, 13.-15.5.1999, Berlin)
14

mehr, wenn uns Millionen Menschen dabei zuschauen. Die Motivation, die das bedeuten
kann, ist vielleicht auch ein erhebliches Heilmittel.20

Grawe/Grawe-Gerber 1999: Aus der empirischen Therapieforschung weiß man, dass bereits vor der Prob-
lembearbeitung sich die PatientInnen besser zu fühlen beginnen, wenn sie in Erwartung der Therapie sind,
d.h., es werden bereitliegende Motivationen, Erwartungen, Fähigkeiten aktiviert, die einen Rückkoppelungs-
prozess in Gang bringen: Hoffnung als wichtiges Prinzip. Wenn ein Patient den Eindruck hätte, dass er un-
fähig wäre, die mit dem Behandlungsvorgehen an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen, würde er vermut-
lich eher mutlos. Das Behandlungsvorgehen muss also vorhandene Bereitschaften, Erwartungen, Fähigkei-
ten aktivieren – das geschieht vermutlich auch in den Familienberatungen der Serie „Super Nanny“, ver-
knüpft mit der hohen Aufmerksamkeit, die die Familien eine Zeit lang erhalten.

Das betrifft die grundsätzliche Frage: Wie und wann geschieht Veränderung?
Unsere problematischen Reaktionsbereitschaften stellen nur einen kleinen Teil der im Ge-
dächtnis gespeicherten Wahrnehmungs-, Handlungs- und emotionalen Reaktionsbereit-
schaften dar, werden aber viel öfter aktiviert. Wenn man deprimiert ist, ruft man sich z.B.
eher emotional negative Erinnerungen ins Gedächtnis, was die Stimmung weiter ver-
schlechtert. Hier entstehen negative Rückkoppelungsprozesse. Ressourcenaktivierung
soll dagegen einen positiven, sich selbst aufrechterhaltenden Rückkoppelungsprozess in
Gang bringen und fördern. (Grawe/Grawe-Gerber 1999).
Und das geschieht in der Serie: die Eltern haben die Möglichkeit, durch das Coaching
konkrete Erfahrungen von erfolgreicher Erziehung der Kinder zu machen21. Aber wie

20
   Legt man zudem die Stunden, die eine „Super Nanny“ 14 Tage lang ganztags in der Familie verbringt
   (samt Vor- und Nachbereitung), auf die Arbeitszeit einer FamilienhelferIn um, so kommt vermutlich ein gu-
   ter Batzen an Zeit dabei heraus, die sie eh in einer Familie verbringt im Laufe einer SPFH, nur anders aufs
   Jahr verteilt; insofern ist es durchaus eine zeitintensive Beratung.
21
   Man findet diese Form der situationsbezogenen Analyse – weg von einem Reden über Probleme hin zu
  einer genauen Analyse von Situations-Sequenzen ja auch im Videohometraining.

 Franz Peterander schlägt in einem Aufsatz eine Übertragung von Erfahrungen aus Videoanalysen in eine
 interaktions- und kommunikationsorientierte Gesprächsführung vor: „Eine an konkreten Interaktionsepi-
 soden orientierte Analyse der Eltern-Kind-Beziehung führt weg von Fragen der Schuld und Verantwortung
 und lenkt die Aufmerksamkeit der Eltern auf zukünftige Möglichkeiten und Perspektiven für die Kindent-
 wicklung. ... 1. Arbeitsschritt: ... Eltern werden gebeten, über eine zeitlich zurückliegende konflikthafte All-
 tagssituation mit ihrem Kind zu berichten. Sie sollen kurz beschreiben, wie sie das Ereignis/Problem wahr-
 genommen haben, wie sich das Kind in dieser Situation verhielt sowie ihr eigenes Verhalten, welchen Ver-
 lauf die Interaktionssituation genommen hat und wie sie endete. ... 2. Arbeitsschritt: ... Es fällt den Eltern
 zumeist nicht leicht, den konkreten Verlauf der von ihnen belastend erlebten Interaktion mit ihrem Kind
 Schritt für Schritt zu schildern. In diesen Fällen ist es wichtig, dass Therapeuten durch gezieltes Nachfra-
 gen minutiös den sequenziellen Verlauf des Geschehens gemeinsam mit den Eltern herausarbeiten. ... 3.
 Arbeitsschritt: Die Erarbeitung der unterschiedlichen Ziele von Eltern und Kindern im Zusammenhang mit
 dem Verlauf einer spezifischen Interaktionssituation ist Inhalt dieses Schrittes. Sind Handlungsziele der In-
 teraktionspartner erkennbar, inwieweit können sie ihre Ziele formulieren bzw. realisieren, welche Hinder-
 nisse stehen möglicherweise dem Erreichen ihrer jeweiligen Ziele entgegen? ... 4. Arbeitsschritt: Die
 Herausarbeitung von Variablen, die das konkrete Verhalten der Partner in der beschriebenen Interaktions-
 episode bestimmen, steht hier im Vordergrund. ... Von Interesse sind in diesem Zusammenhang situative
 Komponenten, Erwartungen der Interaktionspartner, ihre psychischen Befindlichkeiten, individuelle Persön-
15

nachhaltig sind diese Veränderungen? Der Rückfall in alte Strukturen und Muster ist ver-
mutlich sehr nahe, vor allem, wenn es sich um alte Muster/lange schon funktionierende
mentale Modelle handelt, an denen sich das Verhalten ausrichtet. Und deshalb ist einige
Skepsis angebracht, deshalb brauchen Eltern längerfristige Unterstützung, so dass sie
ihre positiven Erfahrungen wiederholen können. Das wird bspw. berichtet aus dem Projekt
Triangel in Berlin: Selbst nach sechs Monaten stationärer Aufnahme von Eltern und Kin-
dern in das Projekt – eine Zeit, in der sehr intensiv an den Interaktionen gearbeitet wird mit
Videoaufnahmen, mit Rollenspielen, mit gegenseitiger kritischer Unterstützung der Eltern
in einer Elterngruppe usw. – fallen die Eltern, wenn sie mit ihren Kindern wieder nach
Hause gehen, nach ca. sechs Wochen erstmal in alte Muster zurück; danach beginnt noch
einmal eine intensive Zeit der Beratung. Ich fände es sehr spannend, wenn Sie in den am-
bulanten Erziehungshilfen diesen Aspekt intensiv evaluieren würden: Wann, wie, durch
was geschehen Veränderungen? Was bewirkt Nachhaltigkeit? Sehen Sie Momente, in
denen ein gewisses intensives „Aha-Erlebnis“ die Eltern ihre Muster relativieren lässt oder
sind es die kleinen Situationen, in denen Eltern sich und ihre Kinder über längere Zeiträu-
me immer mal wieder anders erleben? Oder ist es die längerfristige Erfahrung von Unter-
stützung? Oder wie wirken die verschiedenen Aspekte zusammen?

   e) Die Serie bewegt: Was macht die Serie so erfolgreich, was bewirkt sie?

Die Verunsicherung und Überforderung vieler Eltern ist heutzutage anscheinend groß:
Nach der einseitig autoritären auf der einen und der antiautoritären Erziehung auf der an-
deren Seite wird heute gesucht nach Möglichkeiten, sowohl die Bedürfnisse der Kinder als
auch die der Eltern zu balancieren, eine Balance zu finden von Gewährenlassen und
Durchsetzen von Regeln, die den Kindern einen Schutzraum geben. Es gibt noch wenig
Vorbilder, wie dieses geschehen kann, ohne in ein Schema von Herrschaft und Unterord-
nung zu geraten: sei es, dass sich die Eltern (vor allem allein erziehende Mütter sind hier

 lichkeitsmerkmale, Belastungsfaktoren etc. ...“ Im 5. Arbeitsschritt geht es um die Bewertungen und An-
 nahmen der Eltern hinsichtlich des Verhaltens der Kinder, darum, welche Gefühle und Verhaltensweisen
 das Kindverhalten in ihnen ausgelöst hat. Im 6. Arbeitsschritt sollen neue Ziele für den zukünftigen Um-
 gang der Eltern mit den Kindern herausgearbeitet werden. Im 7. Arbeitsschritt sollen neue Formen des
 Umgangs der Eltern mit ihrem Kind entwickelt und umgesetzt werden. (Peterander 1997: 67 - 78).

 Neben dieser sehr strukturierten Form der Gesprächsführung gibt es die einfache Variante: Wenn Eltern
 bspw. sagen: „Mein Kind ist immer so bockig und ich tue doch alles und komme nicht klar“ zu fragen:
 „Wann haben Sie das letzte Mal ihr Kind als bockig erlebt? Wie war das?“, die Situation erzählen lassen
 und im Gespräch immer wieder auf diesen konkreten Moment zurückkommen: Was lief da genau ab? Wer
 hat wie gehandelt? Wie haben die Eltern sich gefühlt, was erinnern sie, was sie gedacht haben usw.
16

in Gefahr) den Kindern unterordnen oder von den Kindern Unterordnung verlangen. Eltern
möchten zum Teil weniger Eltern als Kumpel für die Kinder sein, sie möchten sich sozusa-
gen ja nicht unpopulär verhalten, was nicht funktionieren kann, denn sie haben die Ver-
antwortung. In der Serie „Super Nanny“ werden Eltern gezeigt, die hilflos sind, nicht böse
oder dumm. Und mit dieser Hilflosigkeit können sich vermutlich viele Eltern identifizieren –
wenn möglicherweise auch ein gewisser Anteil an Häme über „die da“ und Abgrenzung
den gezeigten Familien gegenüber eine Rolle spielen mag für den Erfolg der Serie. Durch
die klar strukturierten Anweisungen werden sehr konkrete, situationsbezogene Möglichkei-
ten aufgezeigt, liebevoll Grenzen zu setzen, und das in bildhafter Form. Damit scheinen
sich Auswege aus der Hilflosigkeit und der Orientierungskrise von Eltern heute aufzutun –
jenseits von nur sprachlich formulierten Ratgebern, die es ja auch zuhauf gibt, wie z.B. die
Elternbriefe, die ich gut und klug formuliert finde, aber die für die KlientInnen der ambulan-
ten Erziehungshilfen und einen Teil des Publikums von RTL vermutlich viel zu anspruchs-
voll sind. Und sie geben keinen Rat für die vielen problematischen Mikro-
Interaktionssituationen, in denen die abstrakten Ratschläge nicht weiterhelfen: Wenn sich
das Kind im Supermarkt auf den Boden wirft und schreit, weil es einen Schokoriegel nicht
bekommen soll.
FamilienhelferInnen berichteten, dass Eltern, die sie beraten und denen vom Jugendamt
meist Beratung eher „angedient“ wurde, als dass sie diese selber gesucht hätten, durch
die Serie ermutigt werden, die Hilfe wirklich anzunehmen: die Serie stärkt die „Salonfähig-
keit“ ambulanter Erziehungshilfen. Mütter und Väter erleben es anscheinend als Entlas-
tung zu sehen, dass auch andere Eltern nicht wissen, wie sie ihre Kinder erziehen sollen.
Und sie entlasten sich, indem sie sagen: „Aber so schlimm ist mein Kind nicht.“ RTL er-
reicht viele Eltern, die die Jugendhilfe nicht erreicht22 – in den verschiedenen Elternkursen
finden sich bspw. bisher hauptsächlich Eltern aus der Mittelschicht – und macht so das
Thema Erziehung wieder populär. Die Eltern nehmen wahr, dass es sich lohnen kann, sich
konsequent – autoritativ – zu verhalten und dass Konsequenz eben nicht gewaltsames
Handeln bedeutet.
Aber die aufsuchenden Erziehungshilfen – insbesondere Familienhilfe – sind für mich da-
durch, dass sie ebenfalls vor Ort sind, dass sie auf die Zukunft gerichtet sind, auf Lö-
sungsmöglichkeiten, auf Ressourcen der Eltern und Kinder, und dass sie ein wesentlich
größeres Spektrum an Unterstützung umfassen, vor allem hinsichtlich einer Vernetzung
der Familien im Gemeinwesen und des Nutzbarmachens von Ressourcen für sie, keines-

22
     Und die Serie bewegt anscheinend auch viele Professionelle aus dem pädagogisch-sozialen Bereich, die
     durch den Erfolg aufgerüttelt sind und teils die Serie in hohem Maß verurteilen – man könnte annehmen,
     dass sie sich in ihrer eigenen Arbeit in Frage gestellt sehen.
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