Peabody beugt das Knie - Patrick Boman

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                 Patrick Boman

                 Peabody
                 beugt das Knie
                 Aus dem Französischen von Stefan Linster

                 zebu verlag · frankfurt am main 2006
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           Titel der Originalausgabe:
           Peabody met un genou en terre
           © 2000 by Editions du Rocher / Le Serpent à Plumes
           Deutsche Erstausgabe

           Für die deutschsprachige Ausgabe
           Copyright © 2006 by zebu verlag Winfried Zerwes
           Frankfurt am Main, www.zebu-verlag.de
           Deutsche Rechte vorbehalten

           Gestaltung: Thomas Dennerlein, Köln
           Cover und Satz: Lisa Flanakin, Köln

           ISBN-10: 3-937663-06-1
           ISBN-13: 978-3-937663-06-7
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                   Erstes Kapitel

                    Plötzlich stieß der halbnackte Knabe, der
      in einem Färbertrog Wolle umrührte, einen gellenden
      Schrei aus und zog hastig die Stange heraus. Voller
      Entsetzen rollte er die Augen, dass das Weiße sichtbar
      wurde. Ein Körper ohne Kopf und Gliedmaßen war
      soeben in dem indigoblauen Gebrodel aufgetaucht.
      Die Reiser prasselten, fachten die Hitze ringsum noch
      an, während Blasen an der Oberfläche wirbelnd zer-
      platzten. Das Kind brüllte:
          »Babudji! Babudji! Kommen Sie schnell!«
          Ein triefäugiger Mann unbestimmbaren Alters
      tauchte, auf einwärts gerichteten Füßen, im Halbdun-
      kel auf, das allein von dem knisternden Feuer unterm
      Trog erhellt wurde. Mit einem schwarzen Fingernagel
      kratzte er sich durch den Dhoti, seinen Lendenschurz,
      das Geschlecht und wischte sich dann die Stirn mit
      seinem unsauberen Turbanzipfel ab, ehe er den Bengel
      anfuhr:

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               »Was ist denn jetzt schon wieder? Warum störst du
           mich, oh Witwensohn?«
               Und schon hob er eine seiner knotigen Hände. Das
           Kind wich zurück, wobei es sein Gesicht schützte und
           auf den Trog wies. Beim Anblick des menschlichen
           Rumpfs, der im Übrigen nichts Menschliches mehr
           an sich hatte, breitete der Färber lamentierend die
           Arme aus:
               »Hab ich das verdient? Oh Allah, oh Prophet! Eine
           Leiche! Hilf mir, sie da rauszuziehen! Lösch das Feuer!
           Die ganze Wolle ist hin! Das ist deine Schuld! Wer hat
           mir bloß einen derart linkischen Dummkopf ange-
           dreht? Deine Mutter wird dich zurücknehmen müs-
           sen! Du wirst nach Hause gehen, um in deiner Hütte
           vor Hunger zu krepieren!«
               Der Lehrling, ein ganz kleiner und zarter Junge von
           vielleicht sechs oder sieben Jahren, mit wachem Blick
           und dunkler Haut, brach in lautstarkes Schluchzen
           aus:
               »Verzeih, Babudji, verzeih!«
               Grünlicher Rotz lief ihm über die Wangen.
               Jammernd löschten sie das Feuer. Wo doch das
           Holz so teuer war!
               Der gekochte und nachtblau eingefärbte Oberkör-
           per mit aufgeplatzter Haut war der eines mageren, eher
           unbehaarten Mannes. Das Geschlecht beschnitten.
           Kopf und Glieder waren mit Geschick abgetrennt, ohne
           Fleischfetzen stehen zu lassen, die herabgebaumelt

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      wären – davon abgesehen wies der Körper keinerlei
      sichtbare Verletzungen auf.

      Die Hitze in der Ganges-Ebene hatte, in Erwartung
      der Regenzeit, ihren Höhepunkt erreicht. Überall auf
      den Terrassen lagen die zum Trocknen ausgebreiteten
      Stränge zwischen einem Sammelsurium aus entzweige-
      gangenen Gurtbetten herum. Das Orange, Scharlach-
      rot, Smaragdgrün, Indigoblau und Safrangelb der
      Wolle hob sich gegen das krümelige Weiß der gekalk-
      ten Erde ab. Durch die in die gewölbten Dächer einer
      jeden Werkstatt gebrochenen Öffnungen zog Rauch ab.
          Krächzende Raben hüpften auf der Stelle. Ein aus
      einer Hindustraße kommendes Kalb kaute an einer
      Zeitungsseite, während es sich mit dem Schwanz die
      Flanken schlug, um die Fliegen fernzuhalten. Die
      Nachricht von der Entdeckung einer Leiche im Trog
      des Färbermeisters Sid ul-Cheyr hatte sich bereits wie
      ein Lauffeuer verbreitet, und das Viertel war schon
      bald darauf unter lautem Johlen zusammengelaufen.
      Die Müßiggänger strömten wie elektrisiert herbei,
      während die Handwerker von ihrer Arbeit abließen.
      Sie schubsten einander mit den Ellbogen, traten sich
      gegenseitig auf die Füße, um das Abscheuliche besser
      sehen zu können, und stießen dabei schrille Rufe aus.
      Schwarz verschleierte Frauen – auf Augenhöhe in ihre
      Purdahs gearbeitete Netze erlaubten ihnen ein wenig
      Sicht – ohrfeigten lärmende Bälger. Selbst die Alten

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           mit den hennagefärbten Bärten konnten sich, gleich-
           wohl sie sich um ein würdevolles Gebaren bemühten,
           nicht beherrschen und stürzten sich ebenfalls ins Ge-
           tümmel. Ein von der Lepra geschlagener Bettler, dem
           bereits die Fingerglieder abfaulten, nutzte die Gunst
           der Stunde, um unter großem Geschrei Almosen zu
           heischen, wobei er sich unverschämt an denen rieb, die
           er bestürmte. Am Eingang der Werkstatt stand barfü-
           ßig ein Polizist mit mächtigem schwarzem Schnurr-
           bart, bekleidet mit Wickelgamaschen, khakifarbenen
           Shorts und Uniformhemd, und drängte die Gaffer zu-
           rück, indem er gelegentlich seinen langen Bambus-
           knüppel auf den Schädel eines allzu aufgeregten Neu-
           gierigen niederfahren ließ, der daraufhin laut
           aufkreischte, ehe er sogleich einen neuerlichen Ver-
           such unternahm. Auf der Stirn des Polizisten prangte
           die mit Zinnober aufgemalte Tikka, die seine Zuge-
           hörigkeit zu einer Kaste bezeugte. Drinnen fuchtelte
           ein weiterer Gesetzeshüter, skeptisch dreinblickend,
           mit seinem Schlagstock herum.
               »Sid ul-Cheyr Babudji, da haben Sie sich aber in
           einen ganz bösen Schlamassel geritten. Warum haben
           Sie denn diesen Menschen in Ihrem Laden enthaup-
           tet? Selbst wenn er einer Ihrer Gläubiger war! Wie be-
           dauerlich ... Tss, tss, tss«
               »Aber ich hab’ doch mit der ganzen Sache über-
           haupt nichts zu schaffen – es war doch dieser Bengel,
           der ihn entdeckt hat.«

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