Predigt zu Jeremia 1,4-10 9. Sonntag nach Trinitatis, 9. August 2020 Pfarrer Dr. Fabian Kliesch

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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

Predigt zu Jeremia 1,4-10
9. Sonntag nach Trinitatis, 9. August 2020
Pfarrer Dr. Fabian Kliesch

Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel
suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem
wird man umso mehr fordern. Lk 12,48

Das klingt wie bei der Bewerbung um eine
Arbeitsstelle: die besten Bewerberinnen setzen
sich durch. Es hört sich an wie die Sprache eines
Headhunters, der nach guten Mitarbeiter*innen
auf Jagd ist. Es muss herausgefunden werden, wer
gute Kompetenzen aufweist, bei dem wird man
viel suchen. Und welcher Person viel anvertraut
ist, bei der wird man auch viel fordern.

Auch Gott ist auf der Suche nach
Mitarbeiter*innen, die von ihren Gaben etwas
einbringen. In Gottes Reich gibt es aber kein
Knock-out System, keine Bewerber*innen, die
ausgeschieden werden. Sondern es ist vielmehr
so, dass Gott dazu ermutigt bei sich selber Gaben
zu finden, die man vielleicht von sich selber noch
gar nicht kennt; dass wir uns Dinge zutrauen, von
denen wir selber noch nichts zu träumen gewagt
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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

hatten. Jeder hat was einzubringen, die eine diese
Gaben, der andere jene Kompetenzen.

Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel
suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem
wird man umso mehr fordern. Lk 12,48

Wenn Gott auf Mitarbeiter*innen Suche geht,
dann kommt es immer wieder dazu, dass den
Auserkorenen die Aufgabe zu groß erscheint.
Nämlich weil sie ihre Gaben und Fähigkeiten noch
nicht entdeckt haben.

Wenn es um den Beruf des Propheten oder der
Prophetin geht, dann ergibt sich daraus ein
Erzählschema, dass über die Jahrtausende immer
sehr ähnlich ist: Gott beruft einen Propheten ruft
ihn beim Namen und sagt: „Du sollst dies und das
tun.“ Der Prophet findet dann Gründe, warum er
dieses Amt nicht ausüben kann. Mose sagt zum
Beispiel, dass er nicht gut reden kann. Da stellt
ihm Gott seinen Bruder Aaron an die Seite. Der
übernimmt das Reden und Verhandeln mit dem
Pharao. Beim Propheten Jesaja ist es so, dass er in
einer Vision den Thron Gottes und Gott lobende
Engel sieht. Sein Einwand lautet: „Ich habe
unreine Lippen“. Nach einer rituellen Reinigung
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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

mit einer glühenden Kohle ist Jesaja dann aber
bereit. Im Neuen Testament wird Maria zur
Mutter des Kindes Jesus berufen. Ihr Einwand
lautet: „Wie soll das zugehen, da ich doch von
keinem Mann weiß?“. Dieser Einwand wird von
dem Engel mit dem Hinweis auf den Geist Gottes
entkräftet. Und beim Propheten Jona da wird das
Schema insofern noch überspitzt, als der Prophet
nicht nur Einwände vorbringt, sondern sogar vor
der Berufung davonläuft und dann im Bauch des
Walfisches zurück zu seinem Einsatzort gebracht
wird.

Der heutige Predigttext ist die
Berufungsgeschichte des Propheten Jeremia. Er ist
einer der sogenannten großen Propheten, 52
Kapitel umfasst sein Buch. Und auch historisch
war seine Wirkungsphase sehr lang: über 50 Jahre
hat er im Südreich Juda als Prophet gewirkt bis
Jerusalem von den Babyloniern belagert und
zerstört wurde. Seine Prophezeiungen und
Warnungen haben sich erfüllt, und deshalb sind
seine Worte aufbewahrt worden. Hört den Bericht
seiner Berufung zum Propheten, die auf das Jahr
627 vor Christus datiert ist:

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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

Predigttext: Jeremias Berufung

1,4 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 5 Ich
kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete,
und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter
geboren wurdest, und bestellte dich zum
Propheten für die Völker. 6 Ich aber sprach: Ach,
Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich
bin zu jung. 7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage
nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen,
wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich
dir gebiete. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn
ich bin bei dir und will dich erretten, spricht
der HERR. 9 Und der HERR streckte seine Hand aus
und rührte meinen Mund an und sprach zu mir:
Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und
Königreiche, dass du ausreißen und einreißen,
zerstören und verderben sollst und bauen und
pflanzen.

Im Vergleich zu anderen Berufungsgeschichten
fallen einige Besonderheiten auf: der Prophet wird
nicht erst mit diesem Ereignis zum Propheten,
sondern Gott hat ihn ausgesondert ehe er
Mutterleib gezeugt wurde. Das unterstreicht die
Besonderheit dieses Propheten. Anders als Mose
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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

oder Jesaja sieht Jeremia nichts von Gott, er hört
nur Gottes Stimme. Sein Einwand gegen seine
Berufung fällt recht schwach aus: „ich tauge nicht
zu predigen, denn ich bin zu jung“. Wenn er
wirklich nicht gewollt hätte, dann hätte er
vielleicht mehr entgegengesetzt. Dann kommt
auch eine Reinigung, wie bei Jesaja: Gott selbst
berührt seinen Mund und sagt zu ihm: „siehe ich
lege meine Worte in deinen Mund.“ Eine sehr
unmittelbare Gottes Berührung. - Was fangen wir
nun an, mit dieser über zweieinhalb Tausend
Jahre alten Berufungsgeschichte?

In einem Dreischritt möchte ich nach der
Bedeutung des Textes für uns heute fragen. (1)
Zunächst schauen wir uns an, wen wir heutzutage
als dem Propheten bezeichnen würden, (2) dann
frage ich, was der Auslöser ist, um ein Prophet zu
werden (3) und drittens was ein Prophet denn so
tut.

  (1)   Moderne Prophet*innen unserer Tage

Die Ideen haben wir in unserem telefonischen
Predigtvorgespräch gesammelt, und ich bin denen
dankbar, die sich daran beteiligt haben. Wir haben
zunächst danach geschaut, wen wir in unserer
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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

modernen Welt als Propheten und Propheten
bezeichnen würden.

Als erstes ist uns natürlich unser Namensgeber
Dietrich Bonhoeffer eingefallen. Eine seiner
Berufungsgeschichten war sein Auslandsjahr in
New York, woher in Harlem die Lebenswelt der
Afro Amerikaner kennen lernte. Mit dem was in
der Hand gelegen, das gottesdienstliche erleben
zu reformieren und sich für sozial benachteiligte
einzusetzen. Beten und tun des gerechten
gehörten seitdem für ihn zusammen. So wie die
Propheten damals, lebte er gefährlich, und wurde
für seinen politischen Widerstand inhaftiert und
ermordet.

Als weiteren Propheten haben wir den
evangelischen Pfarrer Martin Luther King.
Angesehen. Er war selbst betroffen und berührt
von den Schicksalen der strikten Rassentrennung
in den USA. Er wurde der bedeutendste Anführer
der US-Bürgerrechtsbewegung und wollte ohne
Gewalt eine gerechte Welt erkämpfen. Einige
hielten ihn deshalb für einen Träumer, andere
fürchteten ihn. Weiße Rassisten bedrohten ihn
und seine Familie massiv, und schließlich wurde er
ermordet 1968.
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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

Und dann sind uns noch drei Prophetinnen
eingefallen: Greta Thunberg, die als junge
Aktivisten mit ihrem Schulstreik für das Klima in
Schweden eine weltweite Bewegung auslöste und
den Unmut der jungenen Generation über die
Tatenlosigkeit der Erwachsenen auslöste.

Des Weiteren fiel der Name Malala Yousafzai. Mit
17 Jahren wurde sei im Jahr 2014 die jüngste
Friedensnobelpreisträgerin. Mit ihrem Einsatz für
die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen
in Pakistan wurde sie weltbekannt. Auf das
Mädchen hatten die Taliban einen Mordanschlag
verübt, weil sie sich für das Recht auf Bildung
einsetzte. Nachdem sie von dem Kopfschuss
genesen war, setzte sie ihren Kampf fort.

Und last not least kamen wir auf die britische
Verhaltensforscherin Jane Goodall, die im Jahr
1960 begann, das Verhalten von Schimpansen in
Tansania zu untersuchen. Durch ihre Forschungen
wurde sie so berührt durch die Nähe der
Menschenaffen zu den menschlichen Emotionen
und Sozialverhalten, so dass sie ihr Leben dem
besseren Verständnis und Schutz von
Menschenaffen verschrieb.
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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

Gemeinsam ist diesen Prophet*innen unserer
Tage mit den Propheten des Alten Testaments,
dass sie von einer Erfahrung berührt wurden, und
dass sie gegen ihr Gewissen verstoßen würden
wenn sie daraufhin nichts getan hätten.

Was diese Prophet*innen ebenfalls mit Jeremia
verbindet ist, dass sie auf Ablehnung stießen, bei
Menschen, die sich durch ihre Botschaft aus alten
Strukturen herausgerissen fühlten.

Und was noch auffällig ist, dass ich Propheten
ihrer Aufgabe anfangs nicht gewachsen fühlen,
dass sie ein Gespür dafür hatten, dass die Aufgabe
größer ist als das, was sie als einzelner Mensch
leisten könnten. Das ist eine gute Voraussetzung,
nicht übermütig werden. - Die Kraft nicht
aufzugeben kommt aus der Erfahrung und der
Berührung durch die Sache, für die sie eintreten.

  (2) Berührung: Auslöser, um prophetisch zu
    werden

Beim Propheten Jeremia war es die gefühlte
Berührung der Lippen durch Gottes Hand. „Ich
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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

lege meine Worte in deinen Mund.“ Bei den
zeitgenössischen Prophet*innen waren es auch
Erfahrungen und gerührt sein durch Schicksale
von Menschen oder Tieren, die sie ihrer Berufung
sicher gemacht haben.

Wenn wir nun bei uns nachforschen, wodurch wir
einmal gerührt waren; wenn wir nachdenken, was
uns schonmal angegangen ist, dass wir daraus die
Welt mit neuen Augen gesehen haben, dann sind
es vielleicht auch Erfahrungen, die uns in unserem
Handeln beeinflusst haben.

In unserem Predigtvorgespräch erzählte einer
davon, wie er durch einen Dokumentarfilm über
Gorillas so gerührt war, dass ein Tier sich
aufopferungsvoll für seine ganze Herde eingesetzt
hat. Da konnte er daraus auch Mut und Kraft
ziehen auch sich einzusetzen und mutig zu sein.

Ich persönlich denke an Momente, wo ich Kindern
beim Spielen zusehen konnte, und selber dadurch
so gerührt war, wie intensiv sie sich mit einer
Sache beschäftigen konnten, die keinen
ersichtlichen Zweck hat, er als einfach dieses
versunken sein und ganz bei sich selbst zu sein.
Das hat in mir die Sehnsucht geweckt auch in
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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

solche Phasen des ganz bei sich selbst seins zu
kommen zur Ruhe zu kommen, und nicht immer
zu denken, was mein Handeln dann gerade für
einen Zweck hat.

Den Propheten Jeremia hat seine berührende
Erfahrung dazu gebracht, dass er 50 Jahre lang als
Bußprediger unterwegs war und die Mächtigen in
ihren Entscheidungen kritisiert hat. Die
Prophet*innen unserer Tage haben sich auch zu
großen Taten inspirieren lassen. - Ich bin mir
sicher, dass jeder von uns schon einmal eine
berührende Erfahrung gemacht hat. Um dann ein
Prophet oder eine Prophetin zu werden braucht
es aber nicht unbedingt große Taten, von denen
die Welt noch in 100 Jahren sprechen wird. Ich
glaube, dass jede von uns prophetisch sein kann.

  (3) Was heißt Prophetisches Reden damals
    und heute?

Im letzten Vers des Predigttextes wird aufgezeigt,
was der Prophet Jeremia tun soll. Mit Worten soll
er „ausreißen und einreißen, zerstören und
verderben, bauen und pflanzen.“ Alles mit
Worten.

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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

Jeder der einen Garten oder Balkon hat, kann das
nachvollziehen: Bevor man was Neues anpflanzen
kann, muss Altes raus. Manchmal wird vielleicht
mehr ausgejätet, als nötig. Ausreißen und
ausjäten geht schnell. Das Anpflanzen und vor
allem das Wachsen dauert lange. Auch beim
Einreißen und Bauen ist das der Fall. Einen Turm
aus Bauklötzen umzuwerfen ist ein kurzes
Vergnügen. Ihn dann wieder aufzubauen ist
mühsam und braucht Zeit.

Beides gehört zum prophetischen Reden: das
Kritisieren, Einreißen und Ausreißen von
Aussagen, die nicht lebensdienlich sind. Dass sich
Entgegenstellen gegen Fakenews, die unsere
öffentliche Meinung verpesten.
Das Abschaffen von alten Gewohnheiten und
Sprachformen, die andere Menschen ausgrenzen.

Genau so bedarf es dann des Bauens und
Pflanzens. Kritik und Ausreißen alleine hilft nicht.
Was viel schwieriger ist, dass etwas prophetisch
neu gepflanzt und gebaut wird. Wenn wir eine
Aussage als falsches Vorurteil werten, müssen wir
auch sagen, warum und wie es wirklich ist. Wenn
jemand falsche Nachrichten in die Welt setzt,
dann müssen wir auch nachweisen, welche
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Predigt Jer 1,4-10, Pfr. Dr. Kliesch, 09.08.2020

Nachrichten richtig sind und warum wir sie für
richtig halten. Wenn wir eine Sprachausdruck
kritisieren, dann brauchen wir auch neue
Sprachformen. Ich finde es in der Hinsicht sehr
bemerkenswert, wie die Gender Forschung mit
neuen Sprachform spielt, dass man weibliche
männliche und diverse Geschlechterformen in
unserer Sprache unterbringen kann.

Meine These: Jeder, der berührt wurde, jede, die
einmal ihr Gewissen gespürt hat, kann
prophetisch werden. Durch Worte und Taten. Und
dann ist bei jeder von uns viel zu holen. Ein
Reichtum an Fähigkeiten und Ideen.

Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel
suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem
wird man umso mehr fordern. Lk 12,48

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle
Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in
Christus Jesus. Amen.

Ihr/Euer Pfarrer Kliesch

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