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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Thursday, December 17, 2020
PRESS REVIEW Thursday, December 17, 2020 DW, DIVAN, DB Daniel Barenboim dirigiert Beethoven-Jubiläum General-Anzeiger, DIVAN, DB Entspannt mit Beethoven. Daniel Barenboim probt in der Bonner Oper Süddeutsche Zeitung, DIVAN, DB Beethoven komponierte in einer Zeit, die den Halt verlor. Das hört man Frankfurter Allgemeine Zeitung Taufgedächtnis für Beethoven Die Welt Sie wissen alles über Beethoven? Von wegen! Berliner Morgenpost Das Humboldt Forum ist am Mittwoch teilweise eröffnet worden – bleibt für das Publikum zunächst aber nur virtuell erfahrbar Die Zeit Der leere Saal als Schwarzes Loch? Die Opernhäuser in München, Zürich und Berlin streamen ihre Dezember-Premieren Frankfurter Allgemeine Zeitung Die Capella de la Torre hat eine eigene Streaming-Plattform gegründet: „Studio4culture“ ist interaktiv Süddeutsche Zeitung Eigentlich wäre ich jetzt auf Tour. 28 Konzerte. Stattdessen beobachte ich die Vögel, zum ersten Mal seit meiner Kindheit
Internet Quelle: Deutsche Welle Online (de) vom 16.12.2020 (Internet-Publikation, Bonn) AÄW: 5.766€ @O Made for minds. Visits: 5.766.246 Reichweite: 192.207 Autor: k.A. Weblink Daniel Barenboim dirigiert Beethoven-Jubiläum Der Höhepunkt des Beethoven-Jubiläumsjahres? Nein, der Mittelpunkt: Das Jubiläum wurde wegen der Corona-Pandemie verlängert. Das meiste findet online statt. Es sollte Höhepunkt und Abschluss des Beethoven-Jubiläumsjahres sein. Nun rücken mit dem ver längerten Beethoven-Jahr die BeethovenNacht am 16. Dezember und das Festakt-Jubiläumskon zert mit dem West-Östlichen Divan Orchester unter der Leitung von Daniel Barenboim am 17. De zember in den Mittelpunkt. "Für mich ist es eine große Ehre, dass ich hier, in der Geburtsstadt Beethovens, zelebrieren darf", sagte Barenboim am 16. Dezember nach der Probe mit seinem Orchester aus arabischen und isra elischen Musikern in Bonn. "Seit dem Auftakt vor einem Jahr sind rund 6000 Zeitungsartikel zu Ludwig van Beethoven erschie nen," sagte Ralf Birkner, Kaufmännischer Geschäftsführer der Beethoven Jubiläums Gesellschaft am 9. Dezember. "Es wurde ein Publikum von 3,5 Milliarden Menschen erreicht." Hinzugekommen sind unzählige Fernseh- und Rundfunkprogramme, Onlineangebote und Konzerte, in denen der Komponist, der die ersten 22 Jahre seines Lebens in Bonn verbrachte, im Mittelpunkt stand und steht. Beethovens Stimme ist unglaublich stark Warum ist die Faszination für den Komponisten so groß? "In Beethovens Musik steckt eine Kraft und eine Innigkeit, die mit Werken anderer Komponisten nicht vergleichbar ist", formulierte es Dani el Barenboim. "Bei Beethoven gibt es alles, was die Musik ausdrücken kann. Er hat eine unglaub lich starke Stimme, fast gewaltig in der Intensität. Wenn wir noch in 50 Jahren ein musikalisches Leben haben, werden wir bestimmt Beethoven spielen", sagte er. 13
Print Quelle: General-Anzeiger, Bonn, Hardtberg, Beul (G 3201) vom 17.12.2020, S.13 (Tageszeitung/ täglich ausser Sonntag, Bonn) Auch in: 5 weiteren Quellen » 0enetol allmeiaet Auflage: 28.325 Reichweite: 60.899 Entspannt mit Beethoven Daniel Barenboim probt in der Bonner Oper von Guido Krawinkel und Barenboim "Es ist jetzt 21 Jahre nem Orchester gespielt und 25 Pro I n der Oper geht es zur Sache. Die her. 1999 habe ich das erste Konzert zent hatte noch nie eins gehört!" Bühne ist voll besetzt, das West- mit dem West-Eastern Divan Orchest Derzeit spielen unter anderem Mit Eastern Divan Orchestra ist angereist ra in Weimar gespielt, unter anderem glieder aus Palästina, Israel, der Tür und probt gerade Beethoven - was mit der siebten Sinfonie von Beetho kei, Syrien, dem Libanon und dem sonst? Das offizielle Festkonzert zum ven", so Barenboim. Dort war Boecker Iran zusammen, ein humanistisches 250. Geburtstag des Meisters steht an seinerzeit für das Kunstfest tätig. Nun Projekt, auf das sogar Politiker nei diesem Donnerstag, dem Tauftag treffen sich die beiden beim Beetho disch sind, wie Barenboim verriet; Beethovens, an, und kein geringerer ven-Jubiläum in Bonn wieder. denn die wiirden Menschen aus all als Daniel Barenboim wird es leiten "Es sind schwere Zeiten", fährt Ba diesen Ländern nie an einen Tisch be und als Solist Beethovens drittes Kla- renboim fort. "Alle sprechen erstens kommen. Ein mutiger Schritt, den Ba vierkonzert spielen. Auf Gäste wird über Corona und zweitens über die renboim da vor 21 Jahren mit diesem verzichtet, selbst Bundespräsident Wirtschaft. Danach wird es nebulös. Orchester gegangen ist, Mut, der sich Frank Walter Steinmeier wird seine Was ist mit der Kultur?" Außerdem auch in Beethovens Musik spielt, wie Grußbotschaft nur per Video aus Ber- konstatiert er "Spannungen und einen er meint: "Die Musik Beethovens hat lin senden können. Corona hat auch Mangel an Heiterkeit. Umso wichtiger mit Mut zu tun", sagt Barenboim und hier verhindert, dass ein großes Fest ist dieses Konzert für mich persön wird sehr energisch. "Beethoven hat gefeiert wird. Bei den Proben geht Ba- lieh." seine Musik nicht nur für seine Zeit renboim energisch zur Sache, fordert Ohnehin ist Beethoven nicht nur geschrieben, sondern für die Ewigkeit. den jugendlichen Musikerinnen und für Barenboim eine Konstante in sei Diese Musik ist zeitlos." Musikern alles ab. Er probt unerbitt- nem Leben. "Es ist sehr wichtig für Auf dem Programm stehen Beetho lieh, lässt erst locker, wenn die Stelle die musikalische Kultur, sich mit vens 3. Klavierkonzert in c-Moll op. sitzt. Beethoven im Detail zu beschäftigen. 37 sowie die Sinfonie Nr. 5 in c-Moll Danach, beim Pressegespräch ist er Bei Beethoven gibt es alles, was die op. 67. Das Konzert wird an diesem ganz entspannt. Kaum hat ihn Malte Musik ausdrücken kann." Das hält er Donnerstag ab 20.15 Uhr live im Ra Boecker, Direktor des Beethoven- auch mit seinem Orchester so, auch dio (WDR 3) und im Fernsehen (3sat) Hauses und künstlerischer Geschäfts- wenn es eine harte Schule ist. "Bei sowie auf diversen Streamingkanälen führer der BTHVN2020-Jubiläums Gründung des Orchesters hatten 60 übertragen. GmbH begrüßt, legt er los. Boecker Prozent der Mitglieder noch nie in ei- Alle weiteren Quellen: General-Anzeiger - Bad Godesberger Nachrichten• General-Anzeiger - Bonner Stadtanzeiger Königswinter• General-Anzeiger - Rhein-Ahr-Zeitung• General-Anzeiger - Rhein-Sieg Zeitung Rhein & Sieg• General-Anzeiger - Rhein-Sieg-Zeitung Voreifel zum Anfang dieses Artikels zum Inhaltsverzeichnis 8
17.12.2020 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/800141/10 Weil nichts mehr sicher ist Beet ho ven kom po nier te in ei ner Zeit, die den Halt ver lor. Das hört man An die sem Don ners tag vor 250 Jah ren wurde Ludwig van Beet hoven in Bonn ge tauft, das Ereig nis feiert Di ri gent Da - niel Ba ren boim zu sam men mit sei nem East Wes tern Divan Orches ter in der Oper Bonn, 3sat über trägt das Kon zert von 20.15 Uhr an. Wann Beet hoven ge bo ren wurde, weiß kein Mensch. Er selbst hielt sich für oder mach te sich ein Jahr, spä ter so gar zwei Jah re jün ger. Das war aber nicht nur Ei tel keit. Es ver weist auf ein da mals neues und bald al le Le bens be reiche be tref fen des Phä no men der Jah re vor der Fran zö si schen Revo lu tion. Ein Phä no men, das sich seit her noch verstärk te und auch das Heu te noch ein schnei dend prägt. Denn mit Beet hoven kam die Un sicher heit als exis ten ziell be stim men der Fak tor in die Welt. Un sicher heit präg te sein Œuvre, wie auch das der bei den eben falls im Jahr 1770 ge bo re nen Ju bi la re, des Dich ters Fried rich Höl derlin und des Phi lo so phen Ge org Fried rich He gel. Doch oh ne die Seuche, die der zeit die Welt ver wüs tet und auch die Klas sik- sze ne zum Erlie gen bringt, wä re die ses Phä no men Un sicher heit, das zen tral ist für Beet hovens Kom po nie ren, kaum ins Bewusst sein ge tre ten. Mit der Un sicher heit kor re spon diert bei Beet hoven das Zer bre chen von Sicher hei ten und For men. Das ist un über- seh bar beim Ver gleich der Klavier trios op.1 und den Klavierso na ten op.2 mit den letz ten So na ten und Streich quar- tet ten. An fangs füllt Beet hoven, so wie noch al le Kom po nis ten vor ihm, ei ne ge ge be ne Form. In den spä ten Stücken sind die For men nur mehr als vom Kom po nis ten zer bro che ne Ge spins te aus zu ma chen. Das bei ihm oft bru ta le Zer- bre chen, Durch bre chen, Stauchen und Überla den al ter und aus ge dien ter For men zeigt ei nen Kom po nis ten, der auf die Zer falls erschei nun gen in Po li tik, Re li gion, Phi lo so phie, Ge sell schaft re agiert. Weil Beet hovens Welt nach und nach je den re li giö sen, me ta physi schen und phi lo so phi schen Halt ein büßte, wird schon bei ihm und nicht erst bei Ri- chard Wag ner die Mu sik zu ei nem Sur ro gat, zu ei ner Ersatz re li gion. Ei ne So na te Beet hovens be deu tet des halb für Kom po nist wie Hö rer mehr als ei ne von Wolf gang A. Mo zart. Spie gel te Mo zarts Mu sik noch ei ne sta bi le Welt, in der sich wie im „Don Giovan ni“ kom men de Um brüche nur als Ah nun gen ab zeich ne ten, so trägt je des Beet hoven-Stück ein trot zi ges Jetzt-erst-recht in sich, das die Mu sik verän dert und zer- setzt. Beet hoven ist ein Trauern der. Er hät te gern die Unversehrt heit der Welt zu rück, in der sich Mo zart noch ge - bor gen fühl te. Die Zerstö run gen der Fran zö si schen Revo lu tion, vor be rei tet durch die Auf klä rung, aber lie ßen kein naives Le ben mehr zu. Re li gion, Lie be und Ge sell schafts ord nung wa ren an ge zählt. Beet hoven konn te nur durch kom po si to ri sche Gewalt ak te und ge gen bes se res Wis sen ih re Unversehrt heit be haup ten. Zeu gen die ses spä ter als idea lis tisch ver klär ten Rin gens sind die Oper „Fi de lio“, die Mis sa so lem nis und die Neun te Sin fo nie, al le samt Rie - sen un ter neh mun gen, de ren Zwang haf tig keit In ter pre ten, Mu si ker wie Phi lo so phen vor un lös ba re Pro ble me stel len. Die se Stücke über wäl ti gen durch Kraft und ge ben ei ne idea li sier te Wirk lich keit als re al aus. Ein Hauch von kom po - si to ri scher Falsch mün ze rei ist un über hör bar. Schon Wald stein-So na te und Ap pas sio na ta, zwei der be lieb tes ten Klavier wer ke des knapp 35-Jäh ri gen Sturm-und- Drang-Kom po nis ten, don nern lei den schaft lich, trot zig und ver zwei felt ge gen das Zer bre chen al ler Sicher hei ten an. Aber die Lei den schaft kann nicht über tün chen, dass in die sen So na ten et was Un er füll tes steckt, das seit her je der Kunst zu ei gen ist. Es ist ein Ma kel, den Su san Son tag in ih rem Es say über den Apho ris ti ker Emil Cioran (1911–1997) in der His to ri sie rung veror tet, die sich im frü hen 19. Jahr hun dert ma ni fes tiert. Son tag spricht von „ei ner raub tierar- ti gen Um ar mung“, von ei ner un er müd lichen Selbst bevor mun dung des Men schen, weil der Mensch nun mehr all sei- ne Pro duk tion bloß als ei ne Ent wick lung und Mo de versteht. Da durch konn te „un be streit bar das Kraft volls te, Dich - tes te, Sub tils te, das durchweg In teres san te und Wah re in der ge sam ten Ge schich te des Men schen ge schlechts“ ge - schaf fen werden. Doch da mit kop pelt sich das „Emp fin den, auf den Rui nen des Den kens und knapp vor den Rui nen der Ge schich te und des Men schen selbst zu ste hen“. Die se bei den sich be un ru hi gend be krie gen den Ge füh le löst auch Beet hovens cis-Moll-Quar tett im Hö rer aus: Es gibt kein kraft vol le res, dich te res, sub ti le res und wah re res Stück in der Mu sik ge schich te, das aus den Rui nen des Einst und zu dem am Ab grund des Da seins ge schaf fen wurde. Die ser Ge gen satz ist das gro ße und schwie ri ge Ver mächt nis Beet hovens, der nicht ganz leicht aus zu hal ten ist, we der emo tio nal noch in tel lek tuell. https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/800141/10 1/2
17.12.2020 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/800141/10 Die spä ten Quar tet te ha ben mit ih rer her me ti schen Rät sel haf tig keit nicht nur Mu si ker vor den Kopf ge sto ßen und in spi riert, son dern auch Dich ter. Die spä ten So net te Stépha ne Mall armés las sen sich mit Beet hoven im Kopf er hel- lend leich ter le sen. Der Phi lo soph José Or te ga y Gas set be rich tet von ei ner Ge denk feier 1923 zu Mall armés 25. To - des tag, zu der er ei ni ge Künst ler in Ma drids Bo ta ni schen Gar ten ein lud, gleich ne ben dem Pra do. Da bei soll ten kei ne Re den ge hal ten, son dern es soll te fünf Mi nu ten ge schwie gen werden: „Fünf Mi nu ten Schwei gen sind viel. Es bangt ei nem davor, sie wort los durch schwim men zu müs sen.“ Kaum dass das Schwei gen be ginnt, bricht sich in Or te ga ein in ne rer Mo no log Bahn, in dem er all das aus spricht, was er bei sei ner nicht ge hal te nen Ge denk re de auf den Dich ter ge sagt hät te. Er gip felt in ei ner Be haup tung, die Su san Son tags The se ein sei tig ra di ka li siert: „Ich bin schon seit ge - rau mer Zeit der Über zeu gung, dass die Poe sie sich erschöpft hat. Was heu te noch zu stan de kommt, ist nichts als das Rö cheln ei ner ab ster ben den Kunst.“ Zu letzt phi lo so phiert er noch kurz über „das aus ge spro che ne und un aus ge spro - che ne Den ken“. Und der Le ser, noch ganz im Ban ne Beet hovens, be schließt, es Or te ga gleich zu tun und am heu ti gen Tauf tag Beet hovens fünf Mi nu ten lang schwei gend zu ge den ken. Wer weiß, was das Schwei gen für Un ge heuer, für Pa ra die se ge biert.Rein hard J. Brem beck https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/800141/10 2/2
17.12.2020 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466085/13 F.A.Z. - Feuilleton Donnerstag, 17.12.2020 Taufgedächtnis für Beethoven Heute vor 250 Jahren wurde Ludwig van Beethoven in der alten Remigiuskirche in Bonn durch den Pfarrer Cornelius Metternich getauft. Die Kirche brannte im Jahr 1800 nach einem Blitzschlag nieder. Der Taufstein jedoch blieb erhalten. Er steht jetzt in der neuen Remigiuskirche, der ehemaligen Klosterkirche St. Ludwig. Dort findet heute um 16 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst zur Erinnerung an Beetho- vens Taufe statt. Es wird viel Musik dabei geben. Liturgen sind der Stadtdechant Wolfgang Picken und der Superintendent Dietmar Pistorius. Als Livestream ist der Gottesdienst über www.bthvn2020.de zu verfolgen.jbm. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466085/13 1/1
FEUILLETON Armin Mueller-Stahl Unser Mann in Hollywood wird 90 Jahre alt Seite 22 DIE WELT DONNERSTAG, 17. DEZEMBER 2020 SEITE 21 ERNÜCHTERNDES Beethovens sehr enge Lebensmenschen Sie wissen alles über Beethoven? schreibt und seine These, dass Beetho- In Beethovens angeblichem Bonner Ge- ven seine Naturerlebnisse als (romanti- burtszimmer steht keine Gipsbüste mit sche?) Inspiration zum Komponieren in- Lorbeerkranz mehr. Stattdessen eine folge der Ertaubung durch ein Hören zeitgenössische, technisch raffinierte nach Innen und auf andere ersetzt, wie Neoninstallation. In diesem von Coro- seinen bedeutendsten Schüler, den öster- na beinahe verhinderten Beethoven- reichischen Erzherzog Rudolph. Jahr, ohne allzu viel live gespielter Beet- SCHRIFTLICHES GETTY IMAGES/ UNIVERSALIMAGESGROUP; BEARBEITUNG: PHILIPPE KRUEGER/ WELT hoven-Musik, ist die längst historisch gewordene Figur angenehm auf Augen- höhe geschrumpft. Weggefegt scheint Uff!! 19.300 von Ludwig van Beethoven der Titan, der Revoluzzer, der Reforma- eigenhändig beschriebene, bekritzelte, tor, der Wüterich, der Eigenbrötler. verschmierte, verkratzte, Mühe und Beethoven ist endgültig im 21. Jahrhun- Ethos dieses Werks in jedem Federstrich dert angekommen. Er ist modernisiert erkennbar werden lassende Notensei- worden, aber das war gar nicht so ten. Plus weitere 10.000 Blätter hand- schwer. Und trotzdem hat er seine Grö- schriftlicher Konversationen, Briefe und ße und Singularität behalten. Neben andere Dokumente, ergänzt durch 965 Kant, Goethe, Bach und Wagner bleibt Erst- und Frühdrucke seiner Werke so- er eine der Landmarken der geistigen wie Teile seiner Handbibliothek. Das al- Nation der Deutschen. An der man sich lein ist die Beethoven-Sammlung der künftig viel besser reiben oder messen Berliner Staatsbibliothek. Dieser gewal- mag. Oder die man einfach nur lieben tige Materialhaufen ist online recher- kann. chierbar und kann in hoher Auflösung betrachtet werden. Man sollte das tun. ÜBERFLÜSSIGES Denn die Komponistenkrux ist ja im- mer: Man muss ihre Werke hören. Bei Ganz ist es wohl noch nicht weg. Das al- Beethoven sprechen aber, wie bei weni- lerschlimmste aller schlimmen Jubilä- gen anderen, schon die Noten und oft umslogos: „BTHVN2020“. Diese – aus- die Zettel, selbst die Einkaufsliste für gerechnet bei einem Musiker – vokallos die Haushälterin. Seine Aufzeichnungen verstolperte Marketingverirrung. Samt entfalteten immerhin, reichlich und im ihrer überquellenden Termin- und Akti- Original, ihre Faszination in den Aus- onsagenda. Denn das 250. Geburtsjahr, stellungen in Bonn, Berlin, Wien. Dort vor dessen geldsattem Überaktivismus vor den Vitrinen verbiss sich immer uns Corona einigermaßen bewahrt hat, mehr der Blick in die Noten, saugte sich es wird leider 2021 zumindest mit ge- fest an dieser schnellen, ungeduldigen bremster Kraft noch ein wenig weiter- Handschrift, die über Blätter huscht, an- laufen. Antragssteller müssen schließ- dere verletzt, zersticht, zerfetzt, nicht lich ihre Etatposten abarbeiten. Schon selten ein kaum mehr entzifferbares heute, am einzig sicher dingfest zu ma- Schlachtfeld von Partitur hinterlässt. Heute vor 250 Jahren kam in Bonn Ludwig van Beethoven zur Welt. Langweilig wurde das chenden Tauftag, ploppt da online wie- der viel zu viel Wichtigtuerisches auf UNGREIFBARES Jubiläumsjahr trotz Corona nicht. Es brachte unerwartete Erkenntnisse. Zum Beispiel diese neun, (inklusive Liveübertragung des ökume- mit denen man Beethoven ganz anders hört nischen Gottesdienstes vor dem Tauf- Ludwig van Beethoven wurde 2020 stein). Wir aber können uns gewiss sein: selbst durch die historische Entfernung Beethoven kommt auch ohne jeden und die Covid-Ausbremsung einigerma- Schmus zu uns. Er ist nah-, vor allem ist ßen nahbar. Denn jeder, der wollte, er hörbar. Einfach so. Egal, ob mit ei- musste sich mit seinem Beethoven be- nem Deutschen Tanz oder der kompli- fassen. Und trotzdem ist er nicht greif- zierten letzten Klaviersonate. Man Dabei konnte man sich einer gewissen Schubert und Wolfgang Rihm einrahmt, TRIVIALES Wissenschaften und sogar mit einem re- bar. Denn jeder hat einen anderen Beet- muss nur wollen. spirituellen Tröstung nicht verschlie- kontrastiert, tröstet. Ganz nah und ein- konstruierten mechanischen Mälzel- hoven. Von der verehrten Gipsbüste auf ßen. „Er hat die Überforderung förm- fach, zerbrechlich und sehnsuchtsvoll Wir haben uns angewöhnt, bei Beetho- Trompeter (alpha). dem Klavier, wie beim „Peanuts“-Linus, ÜBERGROSSES lich hineinkomponiert, hoffte, dass spä- tönt das. ven nur das Große zu sehen, die noten- über die Beethoven-Gummiente (auch tere Generationen sie realisieren kön- umtosten Gipfelstürmereien, die klin- VERWANDTSCHAFTLICHES im Bonner Beethovenhaus-Shop ein Auch wenn sie pandemiebedingt nicht nen“, sagt Riccardo Muti, der die Missa VARIANTENREICHES genden Sternstunden der Menschheit. Renner) bis zur gleich mehrfachen Gra- oft (Chöre und Aerosole!) zu hören war: zu seinem 80. Geburtstag im kommen- Sei es drum. Viele seine prägnantesten 2020 könnte immerhin, wenn auch viel phic Novel. Der Ludwig-van-Comic und Die Missa Solemnis, gerne weggescho- den Jahr erstmals dirigieren wird. Es geht auch ohne „e“. Oder gleich so: Einfälle und Themen sind von genialer für Beethoven Geplantes nichts wurde, der hehre „Kuss der ganzen Welt“. Gar ben als nicht nur Soprane killender Bethovn. Oder Bethowen. Oder Bet- Einfachheit. Und auch Beethoven, die als das Jahr gelten, an dem man sich lang- keine so weite Geschmacksspanne. Ei- Größenwahn zum Lobe des (aber wel- LIEDHAFTES hofn. Es gab damals schließlich keine Werkfülle lässt das zu, hat Missliches, sam doch damit abfindet, dass die die gentlich. Irgendwo dazwischen be- ches eigentlich?) Herren, sie erfuhr eine verbindliche Rechtschreibung. Und der Mediokres oder einfach nur Mist kompo- Adressatin jenes 1812 nie abgeschickten, kommt jetzt Patti Smith den mit 10.000 neue, gerechtere Einordnung. Der kluge Keine neue Erkenntnis: Auch kleine Name, er bedeutet „vom Rübengarten“, niert. Die vollständigen Beethoven-Bo- unscheinbar mit Bleistift dahingekritzel- Euro dotierten Internationalen Beetho- Jan Assmann widmete ihr ein noch klü- Dingen können uns entzücken. In die- liegt sowieso im flandrisch Nebulösen. xen (Naxos, Warner, vor allem Deutsche ten Briefs an „die unsterbliche Geliebte“ ven-Preis für Menschenrechte, Frieden, geres Buch: „Kult und Kunst. Beetho- sem konzertsaallosen Beethoven-Jahr Albrecht Selge hat daraus „Beethvn“ ge- Grammophon) erlauben da das Stöbern. mit ziemlicher Sicherheit Gräfin Josephi- Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklu- vens Missa Solemnis als Gottesdienst“ waren das die Lieder. Die gingen selbst macht (Rowohlt Berlin, 240 Seiten, 22 So findet sich Galantes wie die Serenade ne Brunsvik verwitwete Gräfin Deym, sion. Die Sängerin, Autorin und Aktivis- (C. H. Beck, 272 Seiten, 28 Euro). Da in der kleinsten Musizierhütte. So lern- Euro) Dabei handelt es sich um das ver- für Flöte, Violine und Viola Op. 25, die wiederverheiratete Baronin von Stackel- tin, die uns kurz vor dem Beethoven- dürfen wir, ein wenig widerständig zum te man etwa die – nur in feinen Dosen blichene Genre des biografischen Ro- gerade Emmanuel Pahud neu eingespielt berg gewesen ist. Die neuere Literatur Jahr noch in der Mailänder Scala bei ei- Zeitgeist, wieder glauben, auch wenn konsumierbare – Fülle der Auftragsbe- mans. Das der Autor, aus der Fülle der hat (Warner). Oder Triviales wie die bei- lässt das meist gelten, Ulrich Drüner hat ner Puccini-Premiere begegnet ist, sagt der Komponist selbst zeitlebens mit di- arbeitungen englischer, schottischer, Jubiläumsliteratur ausbrechend, origi- den frühen Habsburger-Huldigungskan- in seiner genauen Biografie „Die zwei Le- als bekennende Beethoven-Verehrerin, versen Theismen schwanger ging. Wäh- walisischer und irischer Lieder wertzu- nell variiert, indem er hier mehrere, taten, die freilich Nikolaus Harnoncourt ben des Ludwig van Beethoven“ (Bles- die Leidenschaft des Komponisten sei rend die Musikwissenschaft das Mons- schätzen. Und natürlich den berühmten auch geisterhafte Stimmen über Beet- zu vergolden wusste. Und natürlich ist sing, 528 Seiten, 24 Euro) im von der ihr stets ein Vorbild für das eigene mu- terwerk gern als artistisch geformte Er- Zyklus „An die ferne Geliebte“. Mat- hoven sprechen lässt: einen Bewunde- da der notorische Fehltritt, das sinfoni- Nachwelt schwer zensierten Briefwech- sikalische Schaffen gewesen. kenntnis von Bedingungen ansieht, von thias Goerne und Ian Bostridge haben rer, eine seiner Vorfahrinnen, die ver- sche Kriegsgemälde „Wellingtons Sieg sel immerhin fünf Belegstellen gefunden. Bleibt also nur noch eines für 2021 an- denen sich die Menschheit und selbst ihn neu eingespielt. Und kurz vor Tor- brannt wurde, die unsterbliche Gelieb- oder die Schlacht bei Vittoria“, freilich Und so könnte vermutlich auch deren zumerken: „Roll over Beethoven. And Beethoven nicht freimachen konnten, schluss auch noch der schräge, stimmi- te, Grillparzer, den Geiger Ignaz Schup- der heimliche Hit beim Wiener Kongress 1813 geborene Tochter Theresia Cornelia, dig to these rhythm and blues.“ 2027 ist ist Assmann von der Metaphysik der ge, absolut ins verzweifelt Schwarze panzigh, eine Grabennymphe (vulgo: und auch finanziell äußerst lukrativ. genannt Minona, das Kind Beethovens übrigens schon wieder das nächste reinen Musik nicht wirklich überzeugt. treffende Georg Nigl. „Vanitas“ nennt Prostituierte), den Neffen Karl. Das ist Martin Haselböck hat das ganz angstfrei gewesen sein. Ändert das aber etwas? Beethoven-Gedenkjahr. 200. Todestag. Covid-19 warf uns auf das wiederholte er seine Sammlung (alpha), die die skurril und einfühlsam. Braucht aber lärmig neu aufgenommen – am Urauf- Sentimental ja, objektiv nicht. Weit span- Die ersten neuen Sinfonieboxen sind Zuhören im stillen Kämmerlein zurück. sechs Lieder mit Werken von Franz Vorwissen für den vollen Genuss. führungsort der Wiener Akademie der nender ist hingegen, wie Drüner über schon in Planung. Hier klopft kein Schicksal an die Pforten, sondern der Geist der Freiheit N Niki Stein hatte es nicht leicht, sein Beethoven-Biopic in der ARD durchzukriegen. Er hat es geschafft – mit einem der besten Komponisten-Filme überhaupt un haben wirs ja bald hinter was man mit dem Medium kann und wie gentlichen Titanenjahre, den Rausch, was er wert ist, weiß, dass er niemals ein garantiert Kenntnis. Es ist nun aller- an den rasch aufleuchtenden Gesichtern uns. Sinfoniker können andere man mit den Redaktionen und Inten- den Erfolg. Beinahe alle herumstehen- finanziell derart Getriebener, Ausbren- dings so schön erfunden, dass es – nicht ablesen und dem Aufrauschen der Parti- Sinfonien spielen, Pianisten an- danzen umgehen muss, dass man das den Klischee-Fettnäpfchen, in denen nender werden will wie das andere Ge- nur das teilt Steins „Louis“ mit „The turen in den Lautsprechern abhören. dere Sonaten. Wir müssen keine Bilder auch können darf. man als Jubelfilmer Beethovens nahezu nie seiner Zeit, zu dem er 1787 in die Crown“ – ziemlich wahr wirkt. Das Unverständliche, Rätselhafte dieser mehr zeigen vom griesgrämigen Tita- Mit Beethoven hat er sich zwanzig unweigerlich landet (und die sind Legi- Lehre geschickt wird – Mozart. Wie der ganze Rest des Films ein Musik für Beethovens Zeitgenossen da- nen, nichts mehr hören über Taubheit Jahre lang auseinandergesetzt. Das on), lässt er unbetreten stehen. Dass Ob der Louis überhaupt sein Vorbild Höchstmaß an Authentizität atmet. Die mals und für die meisten Zeitgenossen und ihre Folgen, und das Schicksal, das wollte er unbedingt in einem Film un- der Soundtrack (frühe Klaviersonaten, traf, ist unbewiesen. Dass er sein Kopist Räume der Beethovens sind angemes- heute wird verständlich. immer und überall an die Pforte klopft, terbringen. Da hatte er eine Idee. In den späte Streichquartette, Große Fuge) oh- für „Don Giovanni“ war, nahezu ausge- sen elend. Die Räume des Adels im Um- Alles Relevante findet statt – die Lie- kann endlich seine gichtigen Knöchel Sendern klopfte er lange beinahe so tra- ne Smash-Hits, ohne Fünfte, fast ohne schlossen. Von dem fürstlich veranstal- bau begriffen. Das Barocktheater von be, die Frauen, von denen keine ihm in heilen lassen. Bis vielleicht in sieben gisch vergeblich an wie das Schicksal an Neunte, keine Helene-Fischer-Ver- teten Klavierduell zwischen dem 16-jäh- Český Krumlov an der Moldau ist ein seine Welt folgen mochte, der Neffe Jahren, dann ist wieder Beethoven-Jahr, die Pforte. „Beethoven!“ wurde da, geht kaufszahlen erreichen würde, war ihm rigen und dem 31-jährigen, vom „Figa- prima Double für das Bonner Hofthea- Karl, den Beethoven in seiner höllenvä- dann geht der ganze Rummel und dies- die Sage, geseufzt. Den kennt ja keiner gerade egal. Es ging ihm um die Freiheit ro“-Erfolg beflügelten, eigentlich fast ter. Alles wirkt so eng, dass Anselm terlichen Liebeshärte beinahe in den mal tatsächlich vor Publikum wieder mehr. Was man da alles erklären muss. und die Wahrheit. Um eine Figur, die schon todkranken Genie hätten wir, Bresgott als juveniler Beethoven mit Suizidversuch trieb, der Alkoholismus von vorne los. Ein Rex-Gildo-Biopic wäre wahrschein- heute so aktuell ist wie schon lange hätte es so wie bei Stein stattgefunden, seinen rudernden Arm- und Denkbewe- (die Weinflasche ist Morettis ständiger lich leichter durch die Gremien ge- nicht mehr. gungen immer überall anecken muss. Begleiter), das Elend der am Ende doch VON ELMAR KREKELER bracht worden. Wir sind am kurfürstlichen Hof zu Die Musik – während des Drehs einge- abhängigen Musikerexistenz, die Geld- Aber wir wollen uns ja nicht aufregen. Bonn. Man spricht rheinisch in der Fa- spielt – klingt so authentisch wie noch feilscherei, die Pläne für eine Zehnte in Nun sollte man ja meinen, wenn es Es ist noch einmal gut gegangen. „Louis milie Beethoven. Der Vater will aus nie eine in einem Klassik-Biopic. Für je- c-Moll, extrem teuer verkauft nach Lon- ARD DEGETO/ WDR/ ORF/ EIKON MEDIA überhaupt neben Mozart einen klassi- van Beethoven“, Steins zweistündige Louis, dem veritablen Wunderkind, ein de Episodenzeit wurden die passgenau- don, das Soziopathische, Verzweifelte, schen Komponisten gibt, dessen Leben Exkursion durch die Künstler- und virtuoses Fürstenäffchen in mozart- en Klaviernachbauten bereitgestellt. Der das Unverstanden-, das Gefangensein in das gebührenfinanzierte deutsche Fern- Menschwerdung des politisch wie musi- scher Manier machen. Der will das aber 13-jährige Colin Pütz (der ganz junge sich selbst und seinem Schicksal. sehen, geradezu begeistert darüber, kalisch möglicherweise wichtigsten bald gar nicht mehr. Der hat sich im Louis), ein exzellenter Pianist, spielt Kann hinterher keiner mehr sagen, er endlich seinem Bildungsauftrag nach- Komponisten des Abendlandes kommt Theater, in der Künstlerkneipe anste- tatsächlich das, was man sieht. Tobias habe ihn nicht gekannt, diesen Beetho- kommen zu dürfen, mit der größten Be- pünktlich zum 200. Geburtstag, und cken lassen vom Geist der Freiheit und Moretti muss das alles nicht mehr, er ven. Und seufzen darf auch keiner reitwilligkeit verfilmt, dann Beethoven. passt perfekt in die Zeit. vom Kampf für die Gleichheit und Un- sitzt im Salon, hört Schuppanzighs mehr. Bis Januar 2027. Das dachte sich auch Niki Stein. Der ist Wagemutig ist er noch dazu. Stein abhängigkeit. Er hat gesehen, welche Streichquartett zu. Wie das geklungen einer der maßgeblichen deutschen umkreist das Leben Beethovens von Folgen das hat, dass man seine Existenz haben mag, im Kopf von Beethoven, T Louis van Beethoven: ARD Media- Fernsehregisseure und -drehbuchauto- den Rändern her, vom Anfang her und dafür verlieren kann, vielleicht sein Le- Nie hat ein Komponistendarsteller besser wird perfekt suggeriert. Wie man Musik thek, am 25. Dezember um 20.15 Uhr ren. Der weiß, was das Medium kann, vom Ende, lässt das Zentrum aus, die ei- ben, aber er brennt dafür. Und er weiß, gespielt: Colin Pütz ist Louis van Beethoven hört, während man sie liest, kann man im Fernsehen FEUILLETON-REDAKTION: TELEFON: 030 – 2591 71950 | FAX: 030 – 2591 71958 | E-MAIL: FEUILLETON@WELT.DE | INTERNET: WELT.DE/KULTUR © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
17.12.2020 Berliner Morgenpost KULTUR SEITE 19 | DONNERSTAG 17. DEZEMBER 2020 „Das ist ein Geschenk an die Stadt“ Das Humboldt Forum ist am Mittwoch teilweise eröffnet worden – bleibt für das Publikum zunächst aber nur virtuell erfahrbar Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hält nach der Eröffnung des Humboldt Forums ein Glasmodell des Hauses in den Händen. Reto Klar/ffs Felix Müller Man kann wohl sagen, dass es sich alle Beteiligten anders gewünscht hätten. Die Eröffnung des Humboldt Forums in Berlins historischer Mitte konnte nach fast elfjähriger Planungs- und Bauzeit aufgrund der Pandemie kein rauschendes Bürgerfest werden, es musste schlicht zugehen und vor allem: mit Abstand. Und so wechselten sich vor den Barockfassaden des Schlüterhofs in sicherer Distanz die Redner ab, nach einer halben Stunde war es vorbei – am Abend sollte das interessierte Publikum zumindest an den heimischen Rechnern das Gebäude virtuell betreten können. Man kann es auch positiv wenden: Vielleicht passt die bislang ungewöhnlichste Einweihung einer Großeinrichtung besonders gut zu einem Haus für Kultur, Wissenschaft und Bildung, das es in dieser Form in Deutschland noch nie gegeben hat. Das Dachrestaurant ist noch nicht fertig https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/787/articles/1266065/19/3 1/3
17.12.2020 Berliner Morgenpost Dass es dieses auch in bautechnischer Hinsicht ist, machte Hans-Dieter Hegner, Vorstand für den Baubereich der Stiftung Humboldt Forum, in seiner Ansprache klar, in der er eine eindrucksvolle Zahlenreihe präsentierte: Das für 677 Millionen Euro rekonstruierte Berliner Schloss hat eine Bruttogeschossfläche von 100.000 Quadratmetern bei mehr als 40.0000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, es verfügt über 750 Meter barocker Fassade mit 2800 figürlichen Darstellungen. Im Humboldt Forum weitgehend fertiggestellt ist die mit 750 Quadratmetern kleinste Ausstellung der Humboldt-Universität an der Lustgartenseite, die 4000 Quadratmeter umfassende Berlin-Ausstellung, die erste Wechselausstellung für Kinder, die über das ganze Haus verteilten Installationen zur Geschichte des Ortes, die Schau zu Alexander von Humboldt, der Schlosskeller und und einiges andere mehr. In den kommenden Monaten wird es darum gehen, mit 140 Lkw-Ladungen das Ausstellungsgut des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst zum Humboldt Forum zu bringen, in dessen Ostflügel sie im zweiten und dritten Obergeschoss zu sehen sein werden. Auch das Dachrestaurant harrt noch der Fertigstellung. Mit Blick auf das umstrittene museale Konzept des Hauses, Zeugnisse kolonialer Herkunft auszustellen, erinnerte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) an die Namensgeber Wilhelm und Alexander von Humboldt: „Das Vermächtnis der Humboldt-Brüder, sich die Welt mit eigenen Augen anzuschauen, dem Fremden zu begegnen statt es abzuwehren und abzuwerten, ist heute aktueller denn je. Gerade für den Umgang mit Kulturgütern aus kolonialen Kontexten sollte das Humboldt Forum in Deutschland Maßstab und Vorbild sein. Nicht unsere eigene Weltanschauung stellen wir hier in den Mittelpunkt, sondern die der Kulturen Afrikas, Amerikas, Asiens und Ozeaniens.“ https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/787/articles/1266065/19/3 2/3
17.12.2020 Berliner Morgenpost Ob diese multiperspektivische Zusammenschau gelingen kann, werden die kommenden Monate zeigen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) ging auch auf die Bedeutung des Neubaus für das Stadtbild ein: „Das Humboldt Forum und die Schlossfassade haben große Symbolik für die Berlinerinnen und Berliner, 30 Jahre nach der Einheit. Das Gesicht Berlins bekommt jetzt eine neue und gleichzeitig historische Facette, das ist ein Geschenk an die Stadt.“ Für dieses „Stück neues Berlin“ dankte Müller auch dem Engagement des Fördervereins Berliner Schloss und dessen Geschäftsführer Wilhelm von Boddien, der seit 2002 insgesamt 105 Millionen Euro für die Rekonstruktion der Barockfassaden eingesammelt hatte. Generalintendant Hartmut Dorgerloh verwies darauf, dass das Haus erst nach seiner vollständigen Öffnung seinen Charme entfalten und ein „lebendiger Ort der Begegnung und der Vielstimmigkeit“ werden könne. Und Architekt Franco Stella machte im Schlusswort darauf aufmerksam, dass das Ensemble um den Lustgarten erst jetzt, wo mit dem Schloss „der einstige Stadtregisseur als Lehrer der Stadtgeschichte zurückkehre“, wieder einen städtebaulichen Sinn stifte. Am Donnerstag fällt der Bauzaun, dann sind der Uferweg an der Spree, die Spreeterrassen, der Baumhain und die Terrasse zugänglich. Wann auch das Gebäude betreten werden kann, ist offen. Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2020 - Alle Rechte vorbehalten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/787/articles/1266065/19/3 3/3
17.12.2020 https://epaper.zeit.de/webreader-v3/index.html#/939203/60 Feuilleton · Christine Lemke-Matwey Lesezeit: 4 Min. Mattscheibenblues Der leere Saal als Schwarzes Loch? Die Opernhäuser in München, Zürich und Berlin strea- men ihre Dezember-Premieren VON CHRISTINE LEMKE-MATWEY Schwarze Löcher erzeugen einen Effekt, den die Astrophysik »Spaghettisierung« oder auch »Spaghettifizierung« nennt: Ein Mensch, der in die Nähe eines Schwarzen Lochs geriete, würde sehr lang und sehr dünn werden, da auf seine Füße andere Kräfte wirkten als auf seinen Kopf. Nun stellt weder der gute alte Fernseher ein Gravitationszentrum dar noch das Internet; die Vorstellung aber, das Betrachten von Mattscheiben würde, wenn nicht Verformungen aller Arten provozieren, so doch gravierende (sic!) Folgen haben, sie ist nicht ohne Reiz. Zumal wenn es sich beim Gezeigten um etwas so Mattscheibenuntaugliches wie eine große Opernpremiere handelt. Die Musik- und Theaterwelt mit Corona, das bedeutet im Dezember: Premieren wie Verdis Falstaff in München, sein Simon Boccanegra in Zürich oder Wagners Lohengrin an der Ber- liner Staatsoper finden statt. Allerdings »nur« als Livestream oder als TV-Übertragung und garantiert ohne Publikum, dafür termingerecht. Man sieht Dirigenten mit Gesichtsmasken in Orchestergräben huschen, als hätten sie dort wie Walt Disneys Panzerknacker Übles zu verrichten; man hört laut Stühle rücken und Füße scharren, wenn die Musiker sich zur Be- grüßung erheben, während man sich selbst gerade wider jedes Ritual die Sofadecke unters Kinn zieht; man sieht, wie Sängerinnen und Sänger sich beim Verbeugen gegenseitig Beifall spenden. Es ist ja sonst keiner da, dies zu tun, nach der Schwerstarbeit, die die Kameras notgedrungen mit einfangen, die pulsierenden Halsschlagadern, flatternden Gaumensegel, zuckenden Wimpern und zerlaufene Schminke. Das Klatschen zählbarer Hände ist gewiss der einsamste, verlorenste aller verlorenen Momente. Sind gestreamte Premieren nun besser als keine Premieren? Das kommt darauf an. Wem es um musikalische Belange geht, der hat’s nicht leicht. Wohl werden an den drei Häusern Unterschiede hörbar, Akustik und technisches Equipment vertragen sich nicht überall gleich gut. Und grundsätzlich gilt: Die Mikrofonierung eines Operngeschehens ist keine Kleinigkeit (von der Qualität der jeweiligen Endgeräte einmal abgesehen). Wie kann sich im Lohengrin-Vorspiel silbrig-sphärischer Zauber einstellen, wenn die Mikros hauptsäch- lich die E-Saiten der ersten Geigen einfangen? Wie soll man an Falstaffs Lüsternheit glau- https://epaper.zeit.de/webreader-v3/index.html#/939203/60 1/3
17.12.2020 https://epaper.zeit.de/webreader-v3/index.html#/939203/60 ben oder an die Bigotterie der Gesellschaft, wenn alles gleich laut klingt, jedes Parlando, je- des Kichern, jede Kantilene, jedes Auf-die-Pauke-Hauen? Und überhaupt: Wie kommt der Raum, das Musizieren über räumliche Distanzen in die heimischen Lautsprecher? Gewisse Pauschalisierungen mögen auch den Interpreten zuzuschreiben sein, und dass man als Sofa-Zuschauerin nicht recht beurteilen kann, an wem oder woran es liegt, schürt nicht gerade das Zutrauen zum Experiment »Oper online«. Matthias Pintschers Lohengrin- Dirigat an der Berliner Lindenoper besticht durch Schnörkellosigkeit, so viel lässt sich sa- gen, und Falstaff hat man in München wahrscheinlich schon eloquenter gehört, federnder, bissiger (Leitung Michele Mariotti). Da bieten Fabio Luisi, der Chor des Zürcher Opernhau- ses und die Philharmonia Zürich mit Simon Boccanegra eine weitaus differenziertere, idio- matischere Leistung. Ausgerechnet die Zürcher, möchte man ausrufen, die aus Gründen des Pandemieschutzes im etwa 1000 Meter entfernten Probensaal des Orchesters singen und spielen und live ins Opernhaus übertragen werden. Oder ist es genau das, was dem Musiktheater in Corona-Zeiten abverlangt wird: sich in seine Einzelteile zu zerlegen, um weiter existieren zu können – so wie der Mensch auch ohne soziale Gepflogenheiten in ge- wisser Weise Mensch bleibt? Luisi ist Verdi-Spezialist, und dass ihm mit dem Bariton Christian Gerhaher ein Rollende- bütant zur Seite steht, der die Partie zwar nicht sonderlich italienisch angeht, dafür aber tief schürft, macht die Aufführung interessant. Sein Boccanegra zerbricht am klassischen Verdi-Widerspruch zwischen Macht und Liebe – und unweigerlich auch an der Einsamkeit des Sängers vor leeren Rängen. Der Regisseur Andreas Homoki macht aus dieser Not eine Tugend, indem er nicht vorrangig die Bühnentotale bedient, sondern Nahaufnahmen mit- reflektiert, Close-ups und Fragen des Bildschnitts. Wie es aussieht, wenn Kamera-Ästhetik und Opernsitte ungebremst aufeinanderprallen, zeigt der Berliner Lohengrin. René Papes hysterische Grimassen jedenfalls als (ansonsten profunder) König Heinrich wären auch in Reihe 27 noch gut zu erkennen, und dass der Heerrufer (Adam Kutny) mit Joker-Maske die Fäden des albtraumatischen Geschehens zieht, ist so wenig überraschend wie die Tatsache, dass Roberto Alagnas Schwanenritter-Debüt erstens laut und zweitens belcantistisch aus- fällt, mit Schleifern und Schluchzern aller Art. Das Piano auf »Taube« in der Gralserzählung klingt trotzdem schön. Und die litauische Sopranistin Vida Miknevičiūtė ist für ihr beherz- tes Einspringen als Elsa nur zu bewundern. Alle drei Inszenierungen werden von betont kalten Räumen beherrscht, von Türen und Tri- bünen, die nichts anderes verheißen als noch mehr Türen und Tribünen. In München lässt https://epaper.zeit.de/webreader-v3/index.html#/939203/60 2/3
17.12.2020 https://epaper.zeit.de/webreader-v3/index.html#/939203/60 die Regisseurin Mateja Koležnik mit der Schlussfuge des Falstaff jede Livemusik ersterben. Die Fuge scheppert weiter vom Band, Sängerinnen und Sänger grüßen in Alltagsklamotten via Zoom-Bildschirm, um dann zu »tutti gabbati« (»lauter Betrogene«) leibhaftig, aber stumm und mit Mund-Nasen-Schutz an die Rampe zu treten. Der leere Saal, in den die Ka- mera nun schwenkt, als Sinnbild für ein Schwarzes Loch? Die neuen Dimensionen fragen nicht lange, ob wir sie denken wollen. Das Zeitalter der Spaghettisierung aber hat begon- nen. »Simon Boccanegra« und »Lohengrin« finden sich bis Anfang Januar kostenfrei in der Ar- te- Mediathek, »Falstaff« läuft unter operlive.de www.zeit.de/audio Foto: Monika Rittershaus Wer ist hier die Braut? Szene aus Calixto Bieitos Berliner »Lohengrin«-Inszenierung mit Ekaterina Gubanova als Ortrud (links) und Vida Miknevičiūtė als Elsa https://epaper.zeit.de/webreader-v3/index.html#/939203/60 3/3
17.12.2020 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466085/14 F.A.Z. - Feuilleton Donnerstag, 17.12.2020 Viel mehr als Weihnachtskaraoke Die Capella de la Torre hat eine eigene Streaming-Plattform gegründet: „Studio4culture“ ist interaktiv Die Angst, wie es weitergehe in den kommenden Monaten, sei jetzt eigentlich größer als während des ersten Lockdowns, meint die Oboistin und Schalmeienspielerin Katharina Bäuml. Wann wird ein halbwegs normaler Konzertbetrieb wieder möglich sein? Kann ihr Ensemble, die auf Alte Musik spezialisierte Capella de la Torre, überleben? Die freie Szene trifft es hart. Konzerte entfallen, die damit verbundenen Einnahmen ebenso. „Wir dürfen klagen“, sagt Bäuml „aber wir müssen auch selbst etwas tun.“ Sie hat eine neue Streaming-Plattform initi- iert, die im September freigeschaltet wurde. Keine reine Corona-Idee: Bäuml hatte sich schon vor der Pandemie-Zeit gefragt, wie ein direk- teres Zusammentreffen mit dem Publikum möglich sein könnte. Die Nöte der konzertfreien Zeit beförderten den Planungsprozess. Auftritte kostenlos über soziale Medien zu streamen kam für die Ensembleleiterin aus Prinzip nicht in Frage: Als freier Musiker sollte man nicht auch noch aktiv zum Werteverfall der eigenen Leistung beitragen. Ein Streaming-Portal mit Bezahlschranke also, wobei derzeit ein fester Betrag noch entfällt und stattdessen um Spenden gebeten wird. Die Plattform soll offen sein für weitere Ensembles, weshalb ein eher neutraler Name gewählt wurde: Bei „Studio4culture“ soll Platz sein nicht nur für Alte Musik, sondern auch für zeitge- nössische Musik oder Jazz, ähnlich wie es die Capella de la Torre auch schon in ihren Konzer- ten erprobt. Der Rias-Kammerchor als befreundetes Ensemble ist bereits mit im Boot. Zwei Konzerte des Chores lassen sich bislang in der Mediathek abrufen neben den Auftritten der Capella. Ähnlich wie in der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker gibt es Begleitprogramm: erläu- ternde Interviews mit den Künstlern etwa und Informationen zum Programm in wählbarer Länge. Gar der Blick in die Partitur, die die Musikerinnen und Musiker der Capella meist selbst aus den Originalquellen erstellen, wird ermöglicht. Nach dem gestreamten Konzert stehen die Protagonisten eine weitere halbe Stunde vor der Kamera, die Zuschauer können per Chat Fragen stellen. Eine Art der direkten Zuschauerbeteiligung, wie sie in Talkshows im Fernsehen mittlerweile üblich ist, im Bereich des Klassik-Streamings aber durchaus neu. Was die Beteiligung des Publikums angeht hat Katharina Bäuml, die nicht müde wird zu beto- nen, dass Streaming kein Ersatz für ein echtes Konzerterlebnis sein kann, einen weiteren Versuchsballon gestartet und lädt in chorfeindlichen Zeiten zur „Winterkaraoke“ ein: Sänger des Rias-Kammerchores und Instrumentalisten der Capella de la Torre haben Advents- und Weihnachtslieder aufgenommen und laden zum Mitsingen ein. Texte und Noten werden bereitgestellt, singfrohe User können ihre Heimvideos einsenden. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466085/14 1/2
17.12.2020 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466085/14 Bei der Finanzierung der Plattform helfen neben Spenden vor allem Mittel aus dem Rettungs- programm, das die Kulturstaatsministerin für die freie Szene aufgelegt hat. Doch kostet die Realisierung eines Streamings wie die Betreuung der Homepage viel Geld: Techniker und Programmierer arbeiten selten zu Tagessätzen, wie sie freie Musiker gewohnt sind. Etwa doppelt so teuer werde ein Konzertauftritt durch das Streaming, sagt Bäuml. Gelder, die auf lange Sicht erst einmal bereitgestellt werden müssen. Gleichwohl glaubt die Ensembleleiterin an die Zukunft des Projekts. Weitere Ensembles, die gerne über die neue Plattform senden würden, haben bereits Interesse angemeldet. Derweil ist der Capella de la Torre eine Präsenz im Internet sicher, während die Konzerthäuser geschlossen sind: Am 16. Dezember wurde bereits ein Weihnachtskonzert freigeschaltet, am 23. Dezember wird ein nächstes folgen, weite- re sind bereits aufgenommen worden. Katharina Bäumls Jahresbilanz fällt derweil deutlich aus: Sie habe noch nie so viel gearbeitet wie in diesem Jahr. Weniger im musikalischen Bereich als bei der Beschäftigung mit technischen und rechtlichen Fragen. Clemens Haustein https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/466085/14 2/2
17.12.2020 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/800141/9 Das Jahr der Mauersegler Ei gent lich wä re ich jetzt auf Tour. 28 Kon zer te. Statt des sen be ob ach te ich die Vö gel, zum ers ten Mal seit mei ner Kind heit. Von Nils Land gren Im ver gan ge nen März, als deut lich wurde, wie ernst die Be dro hung der Men schen durch das Co ro navi rus tat säch lich ist, ver häng te der NDR ei ne Verord nung für al le bei die sem Sen der be schäf tig ten Mu si ker: Vor Blech blä sern, so hieß es, müs se beim Mu si zie ren ein Raum von zwölf Me tern Län ge frei ge hal ten werden. Zu den Nach barn rechts und links sei ein Ab stand von drei Me tern zu wah ren. Ich bin da mals tief erschro cken, nicht nur, weil die Forde rung so ra di kal, son dern auch, weil sie so ab surd war. Hin und wie der ha be ich es pro biert: Ei ne Po sau ne kann laut sein, aber es ist nicht mög lich, da mit auch nur ei ne Ker ze aus zu bla sen. Das ei gent liche Blas rohr ist schmal, es geht nicht viel Luft hin durch. Die Verord nung wurde bald zu- rück ge nom men. Aber da nach wuss te ich, dass die kom men den Wo chen, viel leicht Mo na te schwie rig werden würden, nicht nur, weil die Seuche so ge fährlich ist, son dern auch, weil sie so viel Un be re chen ba res, ja Fan tas ti sches her vor- bringt. Ei gent lich hät te ich jetzt im De zem ber in Deutsch land auf Tour nee sein sol len. 28 Kon zer te wa ren für „Christ mas with my Friends“ ge bucht, für die Mat thä us kirche in Mün chen zum Bei spiel oder für den Berli ner Dom. Es wä re das sieb te Mal gewe sen, dass wir mit ei ner eher stil len, vom Ge sang ge präg ten Mu sik un ter wegs gewe sen wä ren. Ich moch te die se Rei sen im mer sehr. Zum ei nen, weil mir an Weih nach ten et was liegt, an der Freund lich keit, die zu die sem Fest ge hört, an der Ru he, die es dann für ein paar Ta ge gibt, ge gen Brat wurst und Glühwein ha be ich auch nichts. Zum an de ren, weil wir auf die sen Rei sen tat säch lich im mer in ei ner Grup pe von Freun den un ter wegs wa ren, zu de nen dann oft noch ein paar Le bens ge fähr ten und Kin der hin zu stie ßen. Der Bus mit den In stru men ten und den Verstär keran la gen fuhr voran, wir be setz ten ei nen hal ben Groß raumwa gen im Zug, ei ne gro ße Ge mein schaft. Jetzt sit ze ich zu Hau se und ord ne al te Fo to gra fien, zu sam men mit Bea, mei ner Frau. Ei ni ge wer fen wir weg, die miss ra te - nen Bil der und sol che, bei de nen wir nicht mehr wis sen, wel che Men schen darauf zu se hen sind. Im mer hin konn ten wir nun noch das Al bum zur Tour nee veröf fent lichen. Ein Trost, aber kein gro ßer. Seit mehr als vier zig Jah ren bin ich Be rufs mu si ker. In all die ser Zeit bin ich sel ten mal ei ne Wo che an nur ei nem Ort gewe sen. Ich war auch sel ten län ger mit Bea zu sam men, ich mei ne: in ein- und dem sel ben Haus. Mei ne Frau ist Schau spie le rin und hat ih re ei ge nen Ter mi ne. Am 13. März kam ich aus Ham burg zu rück, mit dem letz ten Flug zeug nach Ko pen ha gen, bevor Dä ne mark die Gren - zen schloss. Am Tag darauf reis te Bea aus Stock holm an. Wir ver mu ten, dass sie sich un ter wegs mit dem Vi rus in fi- zier te. Die Wo chen da nach ver brach ten wir haupt säch lich lie gend. Jetzt le ben wir seit acht Mo na ten un ter ei nem Dach, mit nur we ni gen und stets kur zen Un ter bre chun gen, wir ko - chen, räu men auf, ge hen spa zie ren. Viel leicht soll te ich mich dar über wun dern: Aber es ist gut so, wie es ist. Wir le - ben in ei nem klei nen Haus, nicht weit vom Meer im äu ßers ten Sü den Schwe dens. Das Haus ist alt, die Mauern be ste - hen aus un ge brann ten Zie geln, und wenn der Ost wind drückt, reicht die Hei zung nicht aus, und wir müs sen den Ka - min an ma chen. Wenn wir un se re täg liche Run de ge hen, prü fen wir erst mal, wo her es bläst. Bei star kem West wind ge hen wir zuerst in Rich tung Ystad, am Meer ent lang, weil es dort Wind schat ten gibt, und dann durch den Wald. Mehr als hun dert Auf trit te ha be ich verlo ren. Selbst verständ lich ist das ein gro ßer öko no mi scher Verlust. Aber ich weiß, dass die verlo re nen Kon zer te für an de re Mu si ker viel schwe rer wie gen. Und es geht nicht nur ums Geld. Mu si zie ren ist ein so zia ler Be ruf. Es macht mir Freu de zu erle ben, wenn ein Pu bli kum mit geht. Es spielt sich dann leich ter und auch bes ser. Au ßerdem gleicht die Mu sik in vie lerlei Hin sicht dem Sport. All das verlangt Kraft, und das Pu bli kum sorgt da für, dass die se Kraft auch ge fordert wird. Ich glau be ge ra de zu spü ren, dass die Mus ku la tur mei- ner Lun gen schwä cher wird, oder dass es mir schwe rer fällt, Lip pen und Wan gen in Span nung zu hal ten. Die Fein - https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/800141/9 1/3
17.12.2020 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/800141/9 hei ten ge hen verlo ren, viel leicht auch das Ge fühl, et was Au ßerordent liches er reichen zu kön nen. Ich übe je den Tag, ei ne Stun de, manch mal zwei Stun den, hin ter dem Haus, in ei nem Schup pen, der ge nau so groß ist, dass ich dar in die Po sau ne zur Gän ze aus zie hen kann. Ich ha be nicht das Ge fühl, dass die se Übun gen aus reichen. Wenn man nicht mehr rei sen kann, scheint die Zeit schnel ler zu ver ge hen. Merk würdig. Zu ei nem Teil geht die se nur schein ba re Be schleu ni gung ver mut lich darauf zu rück, dass Rou ti nen ent ste hen, die es in ei nem Wan derle ben nicht ge ben kann. Zum an de ren versucht man, Verlo re nes aus zu gleichen. Ich weiß nicht, wie vie le Vi deo bot schaf ten ich in den ver gan ge nen Mo na ten verschickt ha be, klei ne, auf mun tern de Nach rich ten mit ein biss chen Po sau ne, oft zur Un terstüt zung von verscho be nen Pro jek ten. Au ßerdem ent wickelt man Tech ni ken, die man zuvor für un mög lich ge hal ten hat te. Ei gent lich hät te die Funk Unit , mei ne äl tes te und ver mut lich auch er folg reichs te Band, in die sem Jahr ein neues Al bum ein spie len sol len, in ei nem Stu dio auf Mal lorca. Daraus wurde nichts. Dann woll ten wir in ein Stu dio in Bad Mein berg aus weichen. Auch das ging nicht. Schließ lich ha ben wir uns in Stock holm ge trof fen, in ei nem al ten Stu dio, das nach ver gilb tem Kie fern - holz und ab gewetz tem Tep pich bo den roch. Dort ent stand das Fun da ment des Al bums. Seit dem schicken wir uns die ein zel nen Tracks per Da ten lei tung zu, um sie zu ver voll stän di gen. Der ei ne Mu si ker fuhr in den ver gan ge nen Mo na ten Le bens mit tel aus, um sei nen Le bens un ter halt zu verdie nen, der an de re ar bei te te als Elek tri ker. Das Al bum ent steht trotz dem. Auch dar in liegt nur ein klei ner Trost. In den ver gan ge nen Mo na ten ist un end lich viel Gu tes und Schö nes verlo ren ge gan gen, we ni ger ver mut lich für die be kann tes ten Mu si ker als für die halb be kann ten und kaum be kann ten. Aber oh ne sie gä be es die se Kul tur nicht. Im ver gan ge nen Som mer ge lang es, die „Jazz Bal tica“, das Mu sik fes tival in Schles wig-Hol stein, des sen künst le ri scher Lei ter ich bin, als Veran stal tung nur für das Fern se hen zu er hal ten. Im mer hin wurden bei die ser Ge le gen heit fast 50 000 Eu ro ein ge sam melt, zur Un terstüt zung der Mu si ker, die hät ten auf tre ten sol len, es aber nicht konn ten. Es gin gen un terdes sen, nur zum Bei spiel, verlo ren: die Urauf füh rung ei nes Werks des schwe di schen Kom po nis ten Sven-David Sand ström für Po sau ne und ge misch ten Chor in Kiel oder ein Kon zert für Po sau ne und sym pho ni sches Blas orches ter, das in Heil bronn hät te statt fin den sol len. Man mag sol che Ereig nis se für Klei nig kei ten hal ten an ge - sichts der gro ßen Verlus te, die in den be rühm ten Häu sern und mit den be rühm tes ten Mu si kern ein ge tre ten sind. Aber es ist ein Irr tum zu glau ben, dass sich Kul tur über ih re größten Spek ta kel de fi niert. Kul tur, das heißt zuerst: Reich tum an In itia tiven, an Ge le gen hei ten und an Mög lich kei ten. In die sem Jahr ha ben wir erlebt, wie die Mauerseg ler in un ser Dorf ein zo gen, und wir wa ren da bei, als sie wie der nach Sü den verschwan den, nicht al le auf ein mal, son dern in ein zel nen Grup pen und nach ein an der. An fang Ok to ber sa hen wir, wie die Kra niche nach Sü den flo gen, Rich tung Born holm oder Vor pom mern oder Spa nien, wo hin auch im - mer. In mei ner Kind heit ha be ich sol che Ereig nis se von ei nem fes ten Ort aus erlebt, seit dem nicht mehr. Wir er war- ten, dass die Vö gel zu rück keh ren werden, im kom men den Jahr. Dann, so heißt es, werden die meis ten Kon zer te statt fin den, die in die sem Jahr hät ten dar ge bo ten werden sol len und verscho ben wurden. Hin zu kom men al le Kon - zer te, die von vorn herein für das Jahr 2021 ge plant wa ren. Das wird ein Ge tö se ge ben. Mein nächs tes Kon zert soll ich an geb lich im Fe bru ar ge ben, in der nor we gi schen Klein stadt Bodø, knapp nörd lich des Po lar krei ses, mit ei ner Kom po si tion, die Vin ce Men do za für mich schrieb, der Mann, der für Elvis Co s tel lo ar- ran gier te und der für sei ne Ar beit mit Jo ni Mit chell ei nen Gram my be kam. Wenn wir Glück ha ben, werden wir dort sein. Im Grau ei ner lan gen Win ter nacht. Wenn wir Pech ha ben, werden wir auf das Früh jahr war ten müs sen. Oder auf den Som mer. Der Po sau nist Nils Land gren ist ei ner der er folg reichs ten eu ro päi schen Jazz mu si ker. Er wurde 1956 im schwe di- schen De ger fors ge bo ren. Zu letzt erschien von ihm „Christ mas With My Friends VII“. https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/800141/9 2/3
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