Principiis obsta Der Fall Julia Pink

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Principiis obsta
                    Der Fall Julia Pink
Es ist Sommer 2013 und ich verbringe mit meiner Freundin
zusammen unseren Sommerurlaub in Cap d’Agde, Südfrankreich.
Für diejenigen, die das nicht wissen, was Cap d‘Agde ist: Es ist
eine ganze Kleinstadt von Nudisten. Alle sind nackt. Wie Gott uns
geschaffen hat sozusagen. In den letzten Jahren hat es sich etwas
verändert. Die Menschen laufen nicht nur noch nackt herum, nein
auch aufreizend und sexy gekleidet. Der Grundtenor jedoch lautet:
Toleranz gegenüber Anderen, Offenheit gegenüber Allem.

Innerhalb der Stadtgrenzen gibt es Restaurants, Shops, Clubs und
einen Strand. Dort wird naturgemäß auch gerne gefickt. Es ist ein
Ort Gleichgesinnter aus der ganzen Welt. Ich selbst habe dort
alles kennengelernt, was es kennenzulernen gibt. Von der
Chinesin bis zur Peruanerin. Dazwischen Amerikanerinnen und
Mexikanerinnen. Alles in Eintracht, ohne Gewalt, ohne Stress,
ohne Eifersucht. Einfach nur eine gute Zeit unter der Sonne
Südfrankreichs verbringen. Durch einen Zufall am Strand lerne
ich Tom und Julia kennen. Ein Paar aus Deutschland. Wir
kommen ins Gespräch und irgendwann sage ich, was ich so
mache. Ich drehe Pornos. Beide sind sofort angefixt und klagen
mir ihr Leid:

„Wir haben uns bei verschiedenen Pornofirmen beworben, Julia
wollte das schon immer mal probieren. Sie ist so lange schon
scharf darauf, mal einen Porno zu drehen. Überall wo wir uns
beworben haben entweder Absagen oder ein unseriöser
Eindruck.“ Ich lerne die beiden ein paar Tage lang kennen, um

[Auszug aus der Autobiografie von Chris Hilton, zweimaliger Venus Award
Gewinner. Das Buch heißt: Der Hamster hat Schluckauf. www.chrishilton.de]
herauszufinden, ob das eine Phantasie bleiben soll oder die
Beiden das wirklich machen möchten. Und ob beide psychisch
stabil sind. Sie sind es und sie wollen es. Ich mache den beiden
ein Angebot über eine einzige Filmszene, um festzustellen, ob das
Julias Ding ist. Am Ende werden es sogar drei Szenen. Julia ist
ein Naturtalent und eine attraktive Frau. Sie will mehr. Dreht für
andere. Ich empfehle sie weiter und alles geht seinen Gang.

Hauptberuflich ist Julia Pflegerin in einer Diakonie für behinderte
Menschen. Sie macht das seit 17 Jahren und sie liebt ihren Beruf.
Sie liebt die Arbeit mit behinderten Menschen sehr. Ich persönlich
könnte so etwas nicht. Mich würde das zu viel Kraft kosten.
Deshalb arbeite ich in der Technik. Nicht so Julia. Der
Kraftaufwand für diesen Beruf kann nicht hoch genug geschätzt
werden. Auch für Kinder im Erziehungsheim oder als Pflegekraft
im Krankenhaus. Für mich sind das alles Helden, die sich selbst
aufarbeiten für andere Menschen. Leider wird das in unserer
Gesellschaft kaum gewürdigt. Neben regelmäßigen Swingerclub-
besuchen hat Julia nun ein neues Hobby, woraus sie einen
erheblichen Teil dieser Kraft schöpft. Sie dreht gerne Pornos.
Jemand, der das noch nicht gemacht hat, wird dies nicht
nachvollziehen können, das muss auch nicht sein, wichtig ist nur
eines: Was Julia in ihrer Freizeit tut, ist allein Julias Sache. Es sei
denn, es wäre illegal. Es sei denn, Julia würde gegen Gesetze
verstoßen. Es sei denn, Julia wäre eine Kriminelle.

Doch das ist sie nicht. Julia verstößt gegen keine Gesetze, Julia
macht nichts Illegales, Julia ist keine Kriminelle. Julia bewegt
sich zu 100% in unseren Systemgrenzen, innerhalb unserer
Gesetze. Sie bezahlt pünktlich ihre Steuern, führt Sozialabgaben
ab und bezahlt ihre Krankenversicherung. Ja, sie bezahlt sogar
ihre Kirchensteuer. Doch Julia tut etwas, was sie besser nicht

[Auszug aus der Autobiografie von Chris Hilton, zweimaliger Venus Award
Gewinner. Das Buch heißt: Der Hamster hat Schluckauf. www.chrishilton.de]
getan hätte. Sie nimmt sich das Recht heraus, ihre Sexualität
auszuleben. Das zu tun, was sie gerne tun möchte. Das zu tun,
was nicht in die Norm unserer Gesellschaft passt. Es war nur eine
Frage der Zeit. Jetzt einfach zu behaupten, irgendein verkappter
Wichser habe sie bei einem Streifzug durchs Internet entdeckt und
ihrem Arbeitgeber gemeldet, wird der Sache wahrscheinlich nicht
gerecht. Derlei Zufälle gibt es nicht. Ich behaupte, das hat System.
Selbsternannte Sittenwächter durchpflügen das Netz ebenso wie
Ned Flanders sich TV-Aufzeichnungen nach zweifelhaften sowie
anrüchigen Inhalten ansieht, diese bewertet und der Obrigkeit
meldet. Und irgendwer hat Julia gesehen und bewertet, dass dies
nicht zusammenpasst mit ihrem Job als Behindertenpflegerin.
Warum eigentlich nicht? Nur mal so in den Raum geworfen,
meine Frage. Der Effekt jedoch ist folgender:

Julia wird in das Büro der Heimleiterin zitiert und vor die Wahl
gestellt, das Hobby aufzugeben oder eine fristlose Kündigung zu
kassieren. Spätestens hier hätte der Normalbürger aus rein
monetären Gesichtspunkten heraus beschlossen, den Porno
hinzuwerfen und sich weiterhin dem Beruf – finanziell gesichert
sowie gesellschaftlich akzeptiert – Behindertenpfleger der
Diakonie, zu widmen. Nicht so Julia. Vielleicht ist sie zu reif, um
sich Dinge vorschreiben zu lassen. Julia ist jenseits der Dreißig
und kein kleines Mädchen mehr. Sie lässt sich ihr Privatleben
nicht vorschreiben. Ich sage: Recht so! Principiis obsta - wehret
den Anfängen. Julia verneint und kassiert die fristlose Kündigung.
Und weil der Arbeitgeber sich wohl so recht nicht auskennt in
Recht und Gesetz, insbesondere in der Mitarbeiterführung,
bekommt Julia zusätzlich eine ordentliche, fristgerechte
Kündigung obendrauf – sozusagen zur Sicherheit, falls die

[Auszug aus der Autobiografie von Chris Hilton, zweimaliger Venus Award
Gewinner. Das Buch heißt: Der Hamster hat Schluckauf. www.chrishilton.de]
fristlose Kündigung rechtlich nicht greifen sollte. Zur Sicherheit,
falls die fristlose Kündigung rechtswidrig sein sollte.

Warum wird eine Frau, die seit 17 Jahren mit behinderten
Menschen arbeitet, kurz vorher am Anfang des Jahres noch eine
Zusatzausbildung spendiert bekommt, in Zeiten des
Pflegenotstandes, ohne gegen Gesetze verstoßen zu haben,
überhaupt gekündigt? Kann mir das mal bitte einer erklären?
Natürlich könnte ich jetzt mit der Keule draufhauen. Schreiben
über die Verfehlungen der Kirche. Stichwort Ettal. Stichwort
Domspatzen. Ich möchte jedoch einen anderen Weg gehen.

Liebe Kirche, Euer Boss hat es doch bereits gesagt:

Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.

Das gefällt mir. Was er auch sagte:

Richte nicht, auf dass Du nicht gerichtet wirst.

Habt Ihr das schon vergessen? Habt Ihr vergessen, wessen
Botschaft Ihr verbreitet?

Ich frage die Kirche: Wenn nicht der Größte aller Sünder braucht
Euch überhaupt?

[Auszug aus der Autobiografie von Chris Hilton, zweimaliger Venus Award
Gewinner. Das Buch heißt: Der Hamster hat Schluckauf. www.chrishilton.de]
Und er lehrte sie und sprach zu ihnen:
           Sehet euch vor vor den Schriftgelehrten,
                 die in langen Kleidern gehen
         und lassen sich gern auf dem Markte grüßen
            und sitzen gern obenan in den Schulen
               und über Tisch beim Gastmahl.

                 Sie fressen der Witwen Häuser
                 und wenden langes Gebet vor.

     Diese werden desto mehr Verdammnis empfangen.

                                  Markus Evangelium, Vers 12, Kapitel 38-40

[Auszug aus der Autobiografie von Chris Hilton, zweimaliger Venus Award
Gewinner. Das Buch heißt: Der Hamster hat Schluckauf. www.chrishilton.de]
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