SWR2 Glauben PROVOKANTER ROCKPFARRER

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SWR2 Glauben
PROVOKANTER ROCKPFARRER
CLEMENS BITTLINGER FROMM UND POLITISCH
VON ANDREAS MALESSA

SENDUNG 4.8.2019 / 12.05 UHR
Redaktion Religion, Migration und Gesellschaft

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1.Musik 1          Zeit, dass sich was dreht H. Grönemeyer live

2. Autor AM Zigtausende sind zu stolzen Eintrittspreisen ins Stadion geströmt, um das
Können eines Stars und seiner Band zu bewundern. Sie sollen und wollen aber –
erstmal selber singen!

3.Musik 2          Zeit, dass sich was dreht H. Grönemeyer live

4.O-Ton I CBDie Sehnsucht zu singen, ist auf jeden Fall da bei den Leuten. Das merkt
man ja bei diesem Phänomen wie „Rudelsingen“, aber auch bei Konzerten wie
Grönemeyer oder „Pur“ z.B., da singen die Leute ja von A bis Z mit und haben eine
große Lust zu singen.

5. Autor AM Sagt der evangelische Pfarrer und Musiker Clemens Bittlinger.
6.O-Ton II CB     Die identifizieren sich auch, werden Teil des Konzerts und es ist ja
auch ein unglaubliches Gemeinschaftserlebnis, dann mit 20.000 Leuten „Du siehst
mich an mit Deinen Funkelperlenaugen“ zu singen.

7. Musik 3         Funkelperlenaugen              Pur live

 8. Autor AM       In den Gottesdiensten evangelischer und katholischer Kirchen ist
das nicht so. Der Eintritt ist frei; gemeinsames Singen wird vorausgesetzt; ein
Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen ist erklärtes Ziel der Programmgestalter. In den
Versen der Kirchenlieder ist von „jubeln“, „jauchzen“ und „lobpreisen“ die Rede,
aber selbst in der beseligenden Stimmung einer Weihnachtsfeier beim Text „Fröhlich
soll mein Herze springen“ springt kein Funke über.

9. Musik 4         Fröhlich soll mein Herze springen
                   24.12. 2017, Zionskirche Bielefeld-Bethel ab 33`40“
                   bis 34`19

10. O-Ton III PB  Es gibt verschiedene Gründe, warum in der Kirche nicht so
gesungen wird wie unter der Dusche. Der Anspruch eines Gottesdienstes ist ja
gerade, Milieu-übergreifend verschiedenartige Menschen zusammen zu führen.
Dann kann ich nicht automatisch davon ausgehen, dass mein Lieblingslied auch
dasjenige der anderen ist. Wir haben das Problem, dass die Gemeinden faktisch
zerfallen in Geschmacksgemeinden und dann aufeinandertreffen und dann einigt
man sich auf die Tradition. Zum anderen gibt es eine konventionelle Vorstellung
davon, dass der Gottesdienst nicht laut und nicht ekstatisch sein solle, sondern
gedeckt.

12. Autor AM       Peter Bubmann ist Professor für praktische Theologie an der
            Universität Erlangen-Nürnberg und beobachtet seit drei Jahrzehnten
            ein Phänomen, über das er seine Doktoranden sogar schon
            Promotionsarbeiten schreiben ließ: Während in der säkularen Pop-
            Szene und in der Unterhaltungsindustrie der Volksmusik- und
            Schlagerfestivals aus Zuhör-Konzerten immer häufiger Mitsing-Events
            werden; das Publikum sich also wie ein Massenchor verhält, der den
            vortragenden Solisten begleitet – verkümmert der Gemeindegesang in
            der Kirche selbst bei gut besuchten Gottesdiensten zu halbherzigem
            Aussitzen. Man blättert ratlos durchs Kirchengesangbuch, bestaunt
            Powerpoint-Folien unbekannter Liedtexte an der Wand, goutiert
bestenfalls die musikalische Leistung des Kantors an der Orgel oder der
              Band im Altarraum.

13. O-Ton IV AW Die Bekanntheit der Choräle nimmt dramatisch ab, die
Verständlichkeit der mittelalterlichen Texte nimmt mindestens so sehr ab wie die
Kenntnis der Melodie, die inhaltliche Übereinstimmung dessen, was man singt und
was man selber erlebt, passt nicht mehr zusammen.

14. Autor AM        … sagt Pfarrer Andreas Weidle aus Göppingen, der knapp 20
Jahre lang seine riesige Kirche zu füllen wusste, sobald er prominente und
hochkarätige Künstler auftreten ließ, denen das Publikum gern zuhörte. Aber
mitsingen? Schmetternd mitgesungen hätten die Leute nur bei einem, der keinen
Hit in den Charts hat, keine Samstagabendshow im Fernsehen füllt und unter
traditionellen Kirchen-Musikern umstritten ist: Pfarrer und Liedermacher Clemens
Bittlinger.

15. O-Ton V AW Ich hab das erlebt, x-mal bei uns in der Kirche: 600 Menschen, er
kommt mit einem völlig neuen Programm, keiner kennt seine Lieder und er sagt nur
ein Mal: Singt mit. Und die ganze Kirche singt! Was isses?

16. Musik 5         Leise klopft der Regen           C.Bittlinger
                    Text: C.B., Mel.: Joachim Neander 1860
                    CD „Ihr sollt ein Segen sein“ Track 3 – 2`44“ bis 3`13“
                    LC-Nr 06190

17. O-Ton VI CB Eine Sache, die ich die letzten Jahre gemacht hab´, dass wir auf
die wunderbaren Melodien der alten Choräle neue Texte getextet haben, die die
Leute auf einmal wieder mitsingen und mich verwundert angucken und sich
fragen: „Welcher Choral war das denn?“

18. Autor AM     Es war der Choral „Gott ist gegenwärtig“ von Gerhard
Tersteegen und Joachim Neander aus dem Jahre 1680.

19. Musik 6         Ihr sollt ein Segen sein         C.Bittlinger
                    Text: C.B., Mel.: Heinrich Schütz 1628
                    CD „Ihr sollt ein Segen sein“, Track 8 – 1`38“ bis 2`19“
                    LC-Nr 06190

20. Autor AM       Musikalisch der Choral „Wohl denen, die da wandeln vor Gott in
            Heiligkeit“ von Heinrich Schütz aus dem Jahr 1628, verbunden mit dem
            Gospel „Amen“ aus dem 19.Jahrhundert, textlich eine Kritik an
            wissenschaftlicher Forschung ohne ethische Grenzen. Die
            naheliegende Frage „Darf man das?“ – also die 400 Jahre bewährte
            „Heiligkeit“ eines Heinrich Schütz entweihen – beantwortet Konzert-
            Gottesdienst-Veranstalter Andreas Weidle nach dem Prinzip „Angriff ist
            die beste Verteidigung“:

21.O-Ton VII AW Ha ja! Dann würd´ ich zuerst dafür sorgen, dass von der
Matthäus-Passion“ bis zur „h-moll-Messe“ die Texte mal so durchgearbeitet werden,
dass man sie überhaupt noch verantworten kann. Wir singen und hören da zum Teil
Schreckliches und das noch auf historischen Instrumenten, also das zieht dann
allem voll die Schuhe aus!
22. Autor AM       Aber was ist mit der schlagerhaft umarrangierten
Choralmelodie?

23. O-Ton VIII AW Luther hat damals Gassenhauer genommen und in seine Zeit
umgedichtet.       Bittlinger komponiert im besten Sinne Gassenhauer und macht
Texte aus unserer Zeit dazu, es ist das gleiche Strickmuster wie bei Martin Luther.

24. Musik 7        Mein Sonntag                  C.B.
                   Text u. Mel.: C.Bittlinger
                   CD „Bitte freimachen“, Track 7 – ab 2`22“ bis 2`58“
                   LC-Nr 00600

25. Autor AM     Ein Lied für mehr „Heiligkeit“ des Feiertags, gegen verkaufsoffene
Sonntage. Clemens Bittlinger, unterstützt von der verstorbenen Sängerin Joy
Fleming und dem „Pur“-Frontmann Hartmut Engler. Hört der volksnahe
Musikprediger das gelegentliche Schaudern des protestantischen
Bildungsbürgertums?

26. O-Ton IX CB    Wenn ich solche Stimmen höre, dann sag´ ich immer: Ja, mach´s
doch mal besser und zeig´ mir, wie Du die Leute zum Mitsingen bekommen
würdest! Und zwar so, dass sie einen sinnvollen, einen geistlich tröstenden oder
heraus-      fordernden Text aufgreifen, verstehen und mitsingen können!

27. Autor AM       Fairerweise muss man hinzufügen, dass seine – mehrheitlich in
Kirchen stattfindenden – rund 120 Auftritte pro Jahr auch konzertant ihr Eintrittsgeld
wert sind: Keyboarder David Plüss, Gitarrist Adax Dörsam und Percussionist David
Kandert bringen als virtuose Instrumentalisten ihre Fans zum Staunen und falls es
trotzdem mal gottesdienstähnlich schwergängig werden sollte mit der
Begeisterung, hat der Herr Pfarrer einen augenzwinkernden Spruch parat:

28. O-Ton X CB    Je schöner Sie mitsingen, desto schöner wird dieses Konzert.
Wenn Sie also nachher nach Hause gehen und sagen: „Na ja, so doll war`s nicht“ –
es hat auch an Ihnen gelegen!

29. O-Ton XI PB      Er könnte auch anspruchsvolle Chansons singen, er hat jetzt sehr
viel in              Richtung Schlager gemacht und damit eine typische Milieumusik
fabriziert. Das Milieu der mittleren Generation, die jetzt nicht zu hohe Ansprüche an
Ästhetik haben und einfach gern mal einen Schlager hören.

30. Autor AM      Sagt der evangelische Theologieprofessor und
Liturgiewissenschaftler Peter Bubmann ganz ohne bildungsbürgerliches
Naserümpfen, denn:

31. O-Ton XII PB    Was Clemens Bittlinger mit seinen ganz populären Melodien
macht, ist im Prinzip nicht so viel anders als „Stille Nacht, heilige Nacht“ oder „So
nimm denn meine Hände“. Wir brauchen ja auch ganz populäre Liedmelodien,
insofern will ich da nicht kritischer sein als diesen Liedern gegenüber.

32. Musik 8        Was für ein Vertrauen               C.Bittlinger
                   Text u. Mel.: C.B.,
                   CD „Bleibe in Verbindung“, Track – 4, 0`53“ bis 1`13“
                   LC-Nr 00600
33. Autor AM        Das Themenlied des Deutschen Evangelischen Kirchentags 2019
in Dortmund. Alle zwei Jahre findet das größte Protestantentreffen der Welt statt. Es
hat den singenden Theologen aus dem Odenwald bekannt gemacht. Hier hat er
sich als Markenzeichen etabliert für mindestens drei Sorten Gesang:
             1. Mitsingbare „neue geistliche Lieder“ für die Gemeinde im
             Gottesdienst.
             2. Gefällige, radiotauglich schlagerhafte Pop-Hits für Haus und Garten.
             Und 3. den politisch ambitionierten Protestsong der 70er-Jahre für die
             Foren und Podien der Akademien und Tagungshäuser.
             Auf Clemens Bittlingers rund 50 LPs und CDs seit 1979 finden sich Texte
             gegen Berlusconi und Ghaddafi, gegen Atomstrom und
             Rüstungsexporte, gegen die Marktmacht der Lebensmitteldiscounter,
             gegen Fremdenhass und Internetsucht. Klagelieder über die defekte
             Ölbohrinsel Deep Water Horizon im Golf von Mexiko und das
             geborstene Kernkraftwerk Fukushima in Japan. Sein papst-kritisches
             Lied „Mensch Benedikt“ auf dem Katholikentag Osnabrück 2008
             brachte ihm sogar Morddrohungen von konservativ katholischen
             Internetseiten ein. Clemens Bittlinger sang schon gegen
             Brandanschläge auf Flüchtlingsheime und gegen Hetzjagden auf
             Dunkelhäutige, bevor gewählte Abgeordnete im Bundestag solche
             Verbrechen verharmlosten.

34. Musik 9

35. O-Ton XIII CB Dann kam irgendwann Ende der 70er ein Konstantin-Wecker-
Konzert, was mich vom Stuhl gehauen hat, weil ich gemerkt habe, was man mit
Zwischentexten machen kann. Mit der Prämisse, zu sagen: Du musst vor allem eines
sein: Authentisch. Sei Du selbst und bring das in Liedern und Texten, mit Deiner
ganzen Wut, mit Deiner Zärtlichkeit, mit Deiner Freude, Deinem Glauben, rüber. Das
ist seitdem die Prämisse, dass ich dann ab 1981 mit einem wunderbaren Musiker
David Plüss zusammenarbeiten durfte und eine Symbiose entstanden ist ganz vieler
Kompositionen, das ist ein Geschenk. Mein Beruf ist: Clemens Bittlinger sein. Und
diesen Beruf gibt´s nur ein Mal.

36. Musik 10         Kleider machen Leute          C.B.
                     Text: C.B., Mel.: David Plüss
                     CD „Bleibe in Verbindung“, Track 6 – 0`24“ bis 0`46“
                     LC-Nr 00600

37. Autor AM        Seinen chic und modisch gekleideten, aber vom Textil-Discounter
billig ausgestatteten Zuhörern könnte es bei solchen Liedtexten unwohl werden.
Genau        das aber ist beabsichtigt. Clemens Bittlinger will nicht „Everybody´s
Darling“ sein. Seine Tonträger werden auf eigenem Label vermarktet, also kann ihn
keine Plattenfirma zwingen, doch bitte nirgends anzuecken. Im Gegenteil: Er hat
sogar eine gewisse Routine darin, souverän zu bleiben bis hin zur
Kompromisslosigkeit. Eine Mischung aus Rührung und Befremden empfindet das
Publikum z.B. auch bei diesem Lied:

38. Musik 11         Dieses Land (Nationalhymne) C.Bittlinger
                     Mel: trad., public domain
                     Text: C.B. CD „Bleibe in Verbindung“, Track 12 – 0`52“
               LC-Nr 00600
39. Autor AM        Clemens Bittlinger weiß natürlich, dass politische Poesie aus dem
eher linksliberal-grünen Spektrum denjenigen am besten gefällt, die ohnehin seiner
Meinung sind. Dass also „Protestsänger“ wie er, wie Konstantin Wecker, Reinhard
Mey, Hermann van Veen oder Peter Horton, ihre Botschaft meistens den bereits
Bekehrten predigen. Als „unzulässige Politisierung der Kanzel“ beklagt ein
rechtskonservativ evangelikales Wochenblatt das immer dann, wenn nicht die
eigene Politik gepredigt wird. Clemens Bittlinger kann derlei fadenscheiniger Tadel
egal sein. Seine Fanbasis ist groß und ökumenisch genug und – seine Veranstalter
vor Ort glauben ihm, dass er aktuelle politische Missstände authentisch aus
persönlichem Betroffensein kommentiert. Als ein gläubiger Christ eben,

40.O-Ton XIV …der dann protestiert, wenn er den Eindruck hat, er hat vom
Evangelium her zu protestieren! Er übernimmt psychologische Erkenntnisse wie
Naturwissenschaftliche Erkenntnisse und überträgt sozusagen die Theologie in die
heutige Welt. Also ich sag mal so: Seelsorgliche Theologie am Küchentisch. Das
transportiert für mich Clemens Bittlinger: ´ne Christologie, ne Verkündigung von
Jesus Christus, der Mensch ist.

41.Autor AM       Sagt Konzertveranstalter Andreas Weidle aus Göppingen.
Theologen einzubinden, die sich als Verkündiger des Evangeliums verstehen, aber
eben auch Künstler sind; die ihrer Kirche dienen wollen, sich aber auch auf eigene
Rechnung profilieren möchten – das gelingt den Kirchen höchst selten. Der
evangelischen Landeskirche von Hessen-Nassau ist es gelungen:

42.Musik 12       Ich bin das Brot / Kyrie eleison C.Bittlinger
                  Text: C.B., Mel. David Plüss
                  CD „Bilder der Passion“, Track 13
                  0`00“ bis 1`01“                 LC-Nr 00600
0`05“ darüber

43. O-Ton XV CB Wenn man es kirchlich ausdrückt, ist mein Beruf natürlich nicht,
„Clemens Bittlinger“ zu sein, sondern ich bin mit einer halben Stelle angestellt als
Pfarrer für Mission und Ökumene in einem Dekanat. Und mit der anderen Hälfte frei-
beruflich als Liedermacher unterwegs, aber von meiner Landeskirche „freigestellt in
dienstlichem Interesse.“

Musik hoch bis 1`01“

44. Autor AM        Mission und Ökumene – mehrmals im Jahr und dann in meist
großen Hallen kommt er dieser Beauftragung seiner evangelischen Landeskirche
nach, indem er mit dem prominentesten Katholiken Deutschlands gemeinsam
auftritt: Pater Anselm Grün:

45. O-Ton XVI AG Wenn ich Vorträge halte, kommen Menschen, die in der Kirche
sind katholisch, evangelisch, die engagiert sind. Es kommen Menschen, die mal in
der Kirche waren und sich etwas distanziert haben, aber interessiert sind, die nicht
religiös sind.

46. Autor AM       Benediktinerpater Anselm Grün aus dem Kloster
Münsterschwarzach bei Würzburg erhöht den Anteil säkularer, kirchenferner Zuhörer
in Clemens Bittlingers Konzerten. Aber – singen die dann tatsächlich ein „Kyrie
Eleison“    mit?
47. O-Ton XVII AG Wenn einer eine gewisse Popularität erlangt hat, hat er es
natürlich einfacher, Menschen zu animieren. Wenn ich Menschen einlade zu einem
Ritual, dann machen sie mit, weil sie denken: Der wird`s schon richtig machen. Bei
Clemens Bittlinger ist es ähnlich: Er ist natürlich bekannt als Liedersänger, aber
außerdem hat er Lieder, die man mitsingen kann, die nicht so schwierig sind und er
hat einfach ´ne freundliche Art, die Menschen zu motivieren, mitzusingen.

48. Autor AM Die rund 300 Bücher des unbremsbar fleißigen Autors Anselm Grün
haben eine Gesamtauflage von rund 19 Millionen Exemplaren und sind in jeder
Buchhandlung zu finden. Die CDs von Clemens Bittlinger sind es nicht. Warum der
eine im säkularen Markt mehr Erfolg hat als der andere, erklärt er kurz und knapp so:

49. O-Ton XVIII    Ein Lied mitsingen bedeutet mehr Bekenntnis als ein Buch zu
            lesen. Viele trauen sich nicht, mitzusingen, weil Singen ja immer
            bedeutet: Ich zeige meine Gefühle und heute sind viele eher dazu
            geneigt, cool zu sein und ja keine Gefühle zu zeigen. Ein Buch zu lesen
            ist noch kein so großes Bekenntnis.

50. Autor AM      Warum willigt Anselm Grün dann ein, die Redezeit seiner eigenen
Texte drastisch   einzuschränken und lediglich Gast in einem mehrheitlich
musikalischen Programm zu sein?

51. O-Ton XIX        Wir beide sind befreundet seit einigen Jahren und wir machen
schon lange gemeinsam Konzerte. Wir ergänzen einander und das hat sich als gut
erwiesen. In meinen Büchern und meinen Vorträgen glaube ich immer an die
Sehnsucht der Menschen und vielleicht spüren die Menschen, dass ich an sie
glaube. Dass ich sie nicht belehren will, sondern vertraue, dass in jedem ´ne
Sehnsucht nach dem Spirituellen ist, nach Gott ist, nach einer Geborgenheit, die
größer ist als wir selber. Clemens schöpft sicher auch aus dem Glauben und für ihn
ist es wichtig, den Glauben in Liedern auszudrücken, weil Lieder den Glauben
nochmal auf ´ne andere Ebene heben, nicht nur rein rational, sondern emotional
und Singen berührt nicht nur die Emotionen, sondern geht auch tiefer ins
Unbewusste.

52. Musik 13    Klug werden (Psalm 90)        C.Bittlinger
                Text: C.B., Mel.: David Plüss
                CD „Unerhört“, Track 11 – 0´31“ bis 1`14“
                LC-Nr 00600
Nach 0`05“ darüber

53. Autor AM        Pater Anselm Grün wird 2020 fünfundsiebzig Jahre alt, Clemens
            Bittlinger im August 2019 sechzig. Beide, der katholische Mönch und der
            evangelische Popsänger, garantieren ihrem ebenfalls sichtlich älter
            werdenden Publikum vor allem eins: Eine vitale Spiritualität, die
            erfahrungsgesättigt und altersweise kein Thema mehr vermeidet. Nicht
            mal das des eigenen Sterbens.
Musik hoch bis Abblende 1`14“

54. O-Ton XX PB Ich habe eine Veranstaltung erlebt mit Clemens Bittlinger und
Anselm Grün auch beim Kirchentag, wo sich seine Popularmusik und die allzu
populären Lebensweisheiten von Anselm Grün in einer für mich persönlich unguten
Weise verbunden haben zu einer sehr einfach gestrickten Lebensberatung. Da
kann man auch zu viel der Harmonieseligkeit des Schlagers erleben. Aber wenn`s
gut gemacht ist?!

55. Autor AM         Professor Peter Bubmann von der evangelisch-theologischen
Fakultät der Uni Erlangen-Nürnberg formuliert eine Kritik, die von den Buchauflagen
Anselm Grüns, den CD-Verkäufen Clemens Bittlingers und den brechend vollen
Kirchen bei beiden quantitativ widerlegt, qualitativ aber nicht ganz entkräftet wird:
Seelsorgliche Harmlosigkeit. Geistlicher Rat, der den realen Härtefällen im Alltag
      der Zuhörer nur unzureichend gerecht wird. Clemens Bittlinger korrigiert
diesen Eindruck mit inhaltlich ambitionierten Themenabenden: „Atem. Klang der
Seele“, „Urknall und Sternenstaub“, „Perlen des Glaubens“ heißen z.B.
Konzertprogramme, in denen die seelsorglich-therapeutische Wirkung nicht durch
      intellektuell-rhetorische Glanzleistungen, sondern durch gemeinsames
Erleben, durch Atmosphäre, durch Rituale, Gebete und – eben das gemeinsame
Singen erzeugt wird.
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