Klinische Psychologie, Psychodiagnostik und Psychotherapie - Content-Select

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1 Klinische Psychologie, Psychodiagnostik und Psychotherapie

1      Klinische Psychologie, Psychodiagnostik
       und Psychotherapie
       Martin Hautzinger

 Einleitung und Gegenstandsbestimmung
 1 Eigener Werdegang
 2 Aufgaben und Tätigkeiten
 3 Tagesablauf, Wochenablauf
 4 Ausbildung
 5 Institutionen, Berufsfelder, Karrieren und Vergütungen
 6 Was braucht man, um erfolgreich zu sein
 7 Zukunftsperspektive
 8 Informationsquellen, Fachgesellschaften, Fachzeitschriften
 Literatur

Einleitung und Gegenstands-                        schulabsolventen. Etwa die Hälfte aller
                                                   Diplompsychologen arbeitet später im kli-
bestimmung                                         nischen Bereich.
                                                   Klinisch-psychologische    Wissenschaftler
Klinische Psychologie ist jener Teilbereich        beschäftigen sich mit Fragen der Verteilung
der Psychologie, der sich mit der Epide-           und der Häufigkeit von (psychischen)
miologie, der Klassifikation, der Diagnos-         Krankheiten, den sozialen, biologischen
tik, der Ätiologie, dem Verlauf und der            und psychologischen Risiko-, Entstehungs-
Entwicklung, der Vorbeugung und der Be-            und Auslösefaktoren von seelischen und
handlung psychischer und physiologischer           körperlichen Krankheiten sowie der Ent-
Störungen (Krankheiten) zu allen Lebens-           wicklung und Evaluation von Therapie-,
phasen und über die gesamte Lebensspan-            Rehabilitations- und Präventionsprogram-
ne hinweg wissenschaftlich und praktisch           men. Dazu benützen sie Methoden, die von
beschäftigt. Zwar kann der Begriff »klini-         der Einzelfallbetrachtung über Gruppen-
sche Psychologie« schon auf eine hundert-          studien bis hin zu Experimenten an Tieren
jährige Geschichte zurückblicken (Haut-            und am Menschen reichen. Als Informati-
zinger, 2007a), doch entwickelte sich die-         onsquelle werden Beobachtungen, Befra-
ser Anwendungsbereich der Psychologie              gungen, Einschätzungen, Tests, Apparate,
erst seit etwa 50 Jahren. Heute gehört er          elektrophysiologische und bildgebende Ver-
zu dem wissenschaftlich dominierenden              fahren sowie Verhaltensproben erdacht
Teilgebiet der Psychologie mit Verbindun-          und eingesetzt. Klinisch-psychologische
gen zu allen Bereichen der Medizin, doch           Wissenschaftler greifen auf endokrinologi-
insbesondere zur Psychiatrie und Psycho-           sche, humorale, physiologische, neurobio-
somatik (Verhaltensmedizin), und ist der           logische, sozial- und persönlichkeitspsy-
Hauptbeschäftigungsbereich der Hoch-               chologische, entwicklungspsychologische,

                                                                                           11
Klinische Psychologie

kognitive, lern-, emotions- und motivati-      tionspsychologischen Fachliteratur zu be-
onspsychologische Theorien zurück, ohne        fassen. Eine kleine Gruppe von interessier-
die wissenschaftliche Erkenntnisse nicht       ten fortgeschrittenen Studenten traf sich
möglich sind.                                  regelmäßig, um die gelesenen Forschungs-
Klinisch-psychologische Praktiker wenden       berichte zu diskutieren. Dies fand ich faszi-
psychologische Erkenntnisse der Diagnos-       nierend. Vor allem fand ich es spannend,
tik und der Intervention auf die unter-        dass es möglich wurde, mit den experimen-
schiedlichsten klinischen Probleme bei         tellen und empirischen Methoden die Ent-
Zielgruppen jeden Lebensalters an. Die Tä-     stehung und die Behandlung psychischer
tigkeitsfelder befinden sich in Kliniken und   Störungen zu untersuchen. Bei klassischen
Krankenhäusern, Rehabilitationseinrich-        psychiatrischen Erkrankungen (Depressio-
tungen, Heimen, Beratungsstellen, Justiz-      nen, Ängste, Zwänge, Autismus, geistige
vollzugsanstalten, Versicherungen, Gesund-     Behinderung, Alkoholismus usw.) waren
heitsämtern, Betrieben, Verwaltungen und       plötzlich psychologische Konzepte verfüg-
Organisationen, Schulen und Hochschulen        bar, die außerdem Interventionen ermög-
sowie niedergelassen in eigener Praxis als     lichten, die sich in kontrollierten Studien
Psychotherapeuten oder als klinisch-psy-       den klassischen bzw. medizinischen Maß-
chologische Gutachter. Diese Vielfalt an       nahmen als ebenbürtig oder sogar überle-
Tätigkeitsfeldern bringt höchst unter-         gen erwiesen. Ich bekam die Möglichkeit,
schiedliche Aufgaben hervor, die im weite-     diese Methoden zu erlernen und an Patien-
ren Verlauf des Berufslebens zur Speziali-     ten unter Anleitung zu erproben und an
sierung und – durch z. T. durch gesetzliche    Forschungsprojekten als studentische Hilfs-
Regelungen erzwungene Fort- und Weiter-        kraft, später als Doktorand, mitzuarbeiten.
bildungen (Psychotherapie, Neuropsycho-        Einige der mich interessierenden ausländi-
logie) – zur vertiefenden Professionalisie-    schen Wissenschaftler kamen sogar an
rung und Qualifizierung führen.                mein damaliges Institut, und so konnte ich
                                               aus erster Hand erleben, wie Neues ent-
                                               stand und wie faszinierend die Verbindung
                                               von Forschung und Praxis war.
1      Eigener Werdegang                       Da die damalige Ausbildung in klinisch-
                                               psychologischer Diagnostik und in psycho-
                                               therapeutischen Methoden noch fest in den
Bereits während meines Studiums (1971–         traditionellen psychiatrischen bzw. psycho-
1976) begann ich mich für psychische Er-       analytischen Händen war, blieb mir nur das
krankungen, damals besonders für die Ent-      »Ausweichen« zu den Erneuerern, also in
stehung und die Behandlung von Agora-          die USA. Dort lernte ich aus erster Hand,
phobien, Zwangsstörungen und Depressio-        wie moderne klinische Forschung und The-
nen zu interessieren. Das lag vor allem an     rapie funktioniert, und konnte sehen, wie
den Dozenten, die es schafften, einen Bo-      mir das gefiel. Meine klinisch-diagnostische
gen von den Grundlagenfächern und den          und psychotherapeutische Ausbildung er-
Theorien zur Praxis, zu Krankheiten, zu        hielt ich dadurch, dass wir uns die Metho-
Verhaltensänderungen und zu Behand-            den wechselseitig beibrachten, Workshops
lungsmöglichkeiten zu schlagen. Ich wurde      bei den Erfindern bzw. Autoren dieser Me-
von einem Dozenten eingeladen, an einer        thoden (wo immer diese Workshops auch
kleinen, privaten Runde teilzunehmen, um       stattfanden) besuchten, und bei den jeweili-
mich mit der aktuellen, damals erst entste-    gen Kliniken und Wissenschaftlern einige
henden verhaltenstheoretischen und kogni-      Zeit verbrachten, um Anleitung zu erfah-

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1 Klinische Psychologie, Psychodiagnostik und Psychotherapie

ren. Ich hatte das Glück, dass ich fast un-    körperlichen und seelischen Vorgängen zu
mittelbar das Gelernte in der Praxis erpro-    begreifen, alte Konzepte aufzugeben und
ben konnte. Dabei bestand die Praxis nicht     Neues zu entwickeln, das Erleben und Ver-
nur aus der Durchführung von Behandlun-        halten von Menschen und insbesondere
gen, sondern aus diagnostischen Untersu-       Krankheitsprozesse zu verstehen, dafür Be-
chungen (Interviews, Tests, Verhaltens-        handlungsprogramme zu entwickeln, diese
beobachtungen) und vor allem auch aus der      zu evaluieren und, wenn nötig, wieder auf-
Beteiligung an Forschungsprojekten, der        zugeben bzw. zu verändern. Ich gebe mein
Entwicklung von Fragestellungen sowie          Wissen und die Forschungsergebnisse gerne
von Versuchsplänen. Bis zu meiner Promo-       weiter, sehe Patienten und wende dort un-
tion arbeitete ich in der Erwachsenenpsy-      terschiedliche diagnostische und psychothe-
chiatrie, in der Kinder- und Jugendpsychiat-   rapeutische Methoden an. Ich freue mich
rie, in der Hochschulambulanz, bei einer       darüber, wenn dies zu Verbesserungen und
niedergelassenen Psychiaterin und im Psy-      Problemüberwindung führt. Ich schreibe
chologischen Institut als wissenschaftlicher   gerne (außer Gutachten!), halte Vorlesun-
Mitarbeiter und Dozent für die praxisnahen     gen und Vorträge, führe Workshops und Se-
Fallseminare der Hauptfachstudierenden.        minare durch und stelle mich den Fragen
Ein Stipendium (1981–1983) erlaubte mir        der Studenten und der Praktiker. Der Aus-
dann, für fast zwei Jahre in den USA zu for-   tausch mit und die vielfältigen Kontakte zu
schen, Patienten zu sehen und zu versorgen,    Kolleginnen und Kollegen in der ganzen
Studenten zu unterrichten, mich in neue Be-    Welt verstärken und erzeugen ein Gefühl
reiche (z. B. die klinische Gerontopsycho-     der Befriedigung. Dies alles füllt mich nun
logie) einzuarbeiten und dazu praktische       seit 30 Jahren aus und hat zu keiner Zeit an
Erfahrungen zu sammeln. Seit dieser Zeit       Faszination verloren, auch wenn mein Ar-
hat mich die Verbindung von Wissenschaft       beitstag oft zwölf und mehr Stunden hat
und Praxis, von Lehre und Forschung nicht      und ich selten ein Wochenende oder einen
mehr losgelassen.                              Urlaub ohne »Arbeit« verbringe.
Heute bin ich seit über 20 Jahren an ver-
schiedenen Universitäten als Hochschulleh-
rer in der Entwicklung und Evaluation
diagnostischer Instrumente und Beurtei-
lungssysteme und unterschiedlichster Prä-      2       Aufgaben und
ventions- und Therapieverfahren sowie in               Tätigkeiten
der Unterrichtung von Studierenden und
Doktoranden tätig. Ich sehe Patienten, leite
                                               Als verantwortlicher Klinischer Psycholo-
Studierende an, supervidiere Therapeuten,
                                               ge, Psychodiagnostiker und Psychothera-
beantrage und verwirkliche klinische For-
                                               peut an einem Universitätsinstitut ergeben
schungsprojekte, schreibe Anträge auf For-
                                               sich folgende Aufgaben:
schungsmittel, verfasse Berichte und wis-
senschaftliche Veröffentlichungen, publizie-   ●   Durchführung von Lehrveranstaltungen
re Lehrbücher und praktische Anleitungen           für Haupt- und Nebenfachstudierende
(sog. Therapiemanuale). Ein großer Teil            in den Fächern klinische Psychologie
meiner Zeit ist auch durch Verwaltung, Sit-        (Vorlesung, Seminare, Praktika, Kollo-
zungen, Besprechungen, Begutachtungen              quien), klinisch-psychologische Dia-
und Prüfungen gefüllt.                             gnostik (Seminare, Praktika), psycholo-
Ich finde es unverändert bereichernd, Dinge        gische Interventionen (Vorlesung, Semi-
zu ergründen, das Zusammenwirken von               nare) und Psychosomatik (Vorlesung,

                                                                                        13
Klinische Psychologie

     Seminar) im Umfang von neun Stunden             fassung von wissenschaftlichen Publika-
     pro Woche in jedem Semester;                    tionen und Fachbüchern (wöchentlich
●    Abnahme von mündlichen und schrift-             ca. zehn Stunden);
     lichen Prüfungen in diesen Fächern (ein     ●   Verwaltungstätigkeiten und Sitzungen
     Prüfungstag mit acht Stunden pro Mo-            im Institut, in der Fakultät und im Rek-
     nat);                                           torat (wöchentlich ca. sechs Stunden).
●    Beratung von Studierenden in den ge-
     nannten Fächern (wöchentlich ca. drei       Es ist unschwer zu erkennen, dass diese
     Stunden);                                   Aufgaben nicht innerhalb einer normalen
●    Betreuung von Diplomarbeiten und Dis-       Arbeitswoche zu schaffen sind. Klinische
     sertationen (wöchentlich ca. acht Stun-     Psychologie und Psychodiagnostik ist ein
     den);                                       sehr vielfältiges und lebendiges, ein sehr (!)
●    Begutachtung von Manuskripten für           beliebtes Fach, das den Absolventen inte-
     Fachzeitschriften,    Herausgeberschaft     ressante Berufsperspektiven bietet. Dem-
     von Fachzeitschriften und Büchern, Be-      entsprechend ist die Zahl der Studierenden
     gutachtung von Forschungsanträgen           und Doktoranden groß, die Nachfrage
     und Schreiben von Gutachten für Studie-     nach Betreuung (Supervision) auch der Be-
     rende, für nationale und internationale     rufstätigen (Postgraduierten) in unter-
     Stiftungen und Forschungsorganisatio-       schiedlichen Bereichen hoch, die Nachfrage
     nen u. Ä. (wöchentlich ca. sechs Stun-      nach Beratung und Behandlung von Patien-
     den);                                       ten wachsend und kaum zu bewältigen und
●    Supervision und Betreuung der Mitar-        die Möglichkeiten für Forschung bzw. An-
     beiterinnen und Mitarbeiter, Therapeu-      tragstellung auf Forschungsmittel vielfältig.
     tinnen und Therapeuten, Ärzte und Ärz-      Selbst wenn man als klinischer Psychologe
     tinnen der psychotherapeutischen Hoch-      vor allem psychotherapeutisch tätig ist, er-
     schulambulanz und anderer klinischer        geben sich die unterschiedlichsten Aufga-
     Einrichtungen. In der zur Abteilung ge-     ben und Anforderungen, die beispielhaft an
     hörenden psychotherapeutischen Hoch-        einem Ablaufdiagramm erkennbar werden
     schulambulanz werden pro Jahr ca. 300       (siehe Abb. 1). In dem Schaubild sind bezo-
     Patienten (Kinder, Erwachsene, Famili-      gen auf einen Patienten in einer Ambulanz,
     en, Gruppen) psychodiagnostisch und         einer Beratungsstelle oder einer klinischen
     psychotherapeutisch betreut (ca. zehn       Einrichtung die diagnostischen und thera-
     Stunden wöchentlich);                       peutischen Aufgaben dargestellt, ferner die
●    Untersuchung und Behandlung von (ei-        Evaluation und Erfolgskontrolle sowie die
     genen) Patienten (wöchentlich ca. vier      Antrags- bzw. Berichterstellung. Wenn man
     Stunden);                                   sich nun klar macht, dass in einer Einrich-
●    Planung und Durchführung von wissen-        tung oder einer Praxis pro Woche sehr viele
     schaftlichen Forschungsprojekten, Be-       Patienten gesehen werden, und man sich
     treuung der darin tätigen Mitarbeiter,      außerdem verdeutlicht, dass auch die Prak-
     Besprechung mit Fachkollegen und an-        tiker und Therapeuten angehalten sind,
     deren Wissenschaftlern (wöchentlich ca.     Fortbildungskurse zu besuchen, Fachlitera-
     sechs bis acht Stunden);                    tur zu lesen, Berichte und Gutachten zu er-
●    Vorträge und Einladungen an andere          stellen und Vorträge und Informationsver-
     Institutionen (wöchentlich ca. vier Stun-   anstaltungen zu halten, dann wird schnell
     den);                                       deutlich, dass viele der zuvor genannten
●    Vorbereitung der Lehrveranstaltungen,       Aufgaben auch dort, wenngleich mit unter-
     der Vorträge und Präsentationen, Ver-       schiedlichem Umfang, anfallen.

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1 Klinische Psychologie, Psychodiagnostik und Psychotherapie

                    Anmeldung, Voranalyse, allgemeine Orientierung
                    Planung der Informationserhebung

  Abklärung         Analyse von           Beschreibung          Funktionale        Status- und
  körperlicher      Lebensbe-             der Symptome,         Problem-           Eigenschafts-
  Faktoren          dingungen             Diagnose              analyse            diagnostik
  Physiologie,      Anamnese, ob-         Beschwerden           Bedingungs-        Neuropsycho-
  Endokrinologie,   jektive Beding-       und Symptome          analyse auf        logische
  körperliche       ungen ökonomi-        auf allen             horizontaler       Diagnostik,
  Parameter,        scher, sozialer,      Ebenen,               und vertikaler     Leistungs- und
  Laboranalysen     räumlicher, gesell-   Komorbiditäten,       Ebene, Selbst-     Fertigkeiten-
  Kontakt bzw.      schaftlicher Art,     Dauer, Schwere,       kontrolle, Ziel-   diagnostik,
  evtl. Koopera-    Stress (akut, chro-   Verlauf und           analyse, Thera-    Persönlichkeits-
  tion mit          nisch), Manage-       Entwicklung der       pieplanung         diagnostik
  Haus- bzw.        ment, Belas-          Beschwerden
  Facharzt          tungen, sozialer      und Symptome
                    Stützsysteme

                        Beurteilung, Indikationsentscheidung, Prognose
                        erforderlich sind Änderungswissen, Therapieplanung,
                        Veränderungsmotivation

                        Behandlung, Psychotherapie wird durchgeführt,
                        meist ein- bis zweimal pro Woche über begrenzten
                        Zeitraum

                        Kontrollmessungen, Prä-post-Evaluation,
                        Prozess- und Verlaufsbeurteilungen

                        Ergebnisbeurteilung, Zielerreichung, Effektivität

                        Ende (Zielerreichung), Fortführung (Intensivierung,
                        Änderung der Maßnahmen)

Abb. 1: Diagnostische Aufgaben und Entscheidungen im Rahmen einer Psychotherapie. Die
        hervorgehobenen Aspekte bezeichnen die Aufgaben eines klinischen Psychologen im
        Rahmen einer Beratung bzw. Therapie (nach Hautzinger 2004).

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Klinische Psychologie

Montag          Dienstag         Mittwoch        Donnerstag     Freitag         Samstag
9:00–10:00      9:00–12:00       9:00–12:00      9:00–12:30     9:30–14:00      7:00
Büro Verwal-    Hochschul-       Büro Verwal-    Vorlesung      Büro Verwal-    Abflug nach
tung            ambulanz,        tung, Vor-                     tung, Bespre-   Hamburg
                Fallkonferenz,   standsitzung                   chung, Anru-
10:00–13:00     Supervision                                     fe, Gutachten   10:00–17:30
Prüfungen                                                                       Fortbildungs-
                                                                                veranstaltung
13:00–14:00     12:00–13:00      12:00–13:00     13:00–14:00                    (Kurs) für Psy-
Pause           Pause            Doktorandin     Pause Büro,                    chologische
                                                 Anrufe                         Psychothera-
14:00–16:00     13:00–17:00      13:00–14:00     14:00–18:00    14:00–15:00     peuten (im
Prüfungen       Sprechstunde     Doktorandin     Seminare       Patient         Rahmen der
                Doktoranden                                     (Notfall)       staatlichen
                Diplomanden                                                     Ausbildung
16:00–18:00                      14:00–15:00                    15:00–18:30     Psychothera-
(Nebenfach-)                     Büro Verwal-                   Forschungs-     pie)
Vorlesung                        tung                           besprechung
                                                                im Klinikum
18:00–20:00  17:00–18:00         15:00–18:00     18:00–20:00
Diplomanden- Büro Verwal-        stündlich Pati- Büro Verwal-
kolloquium   tung                enten           tung
20:00–22:00     18:00–21:00      18:00–21:00     20:00–21:30    19:00–20:00     19:00
Büro,           Instituts-       Büro Verwal-    Therapeuten    Büro Verwal-    Rückflug
Verwaltung,     kolloquium       tung, Vorbe-    Supervision    tung, Vorbe-
Gutachten       Abendessen       reitung der     (Psychiater,   reitung für     22:00
                mit Gast         Lehre für den   Psychologen)   den nächsten    Rückkehr
                                 nächsten Tag                   Tag             nach Hause

Abb. 2: Typische Woche eines klinischen Psychologen an der Universität

3      Tagesablauf,                               Der Dienstagvormittag ist verplant für Be-
                                                  sprechungen und die Supervision der Hoch-
       Wochenablauf                               schulambulanz. Es werden Patienten vorge-
                                                  stellt, diagnostische und therapeutische
Die oben geschilderten Aufgaben lassen            Fragen besprochen und Eingangs- und Ab-
sich gut an einer typischen Woche illustrie-      schlussuntersuchungen diskutiert. Ab 13
ren (siehe Abb. 2). Der Montag ist von 10         Uhr kommen Diplomanden und Doktoran-
bis 16 Uhr verplant mit (mündlichen) Di-          den, doch auch alle möglichen anderen
plomprüfungen in klinischer und in diagnos-       Leute, während der wöchentlichen Sprech-
tischer Psychologie. Bei jeder dieser Prüfun-     stunde zu mir, um Fragen und Anliegen zu
gen muss eine Mitarbeiterin oder ein Mit-         klären, Pläne und Vorhaben zu diskutieren
arbeiter als Protokollant anwesend sein.          und Auswertungen vorzustellen. Je nach
Davor fallen bereits Verwaltungsaufgaben          Anliegen habe ich für jeden zwischen 15
an. Nach den Prüfungen finden Lehrveran-          und 30 Minuten Zeit. Dazwischen klingelt
staltungen (Nebenfachvorlesung und Di-            immer wieder das Telefon. Diese Sprech-
plomanden- und Doktorandenkolloquium)             und Beratungszeit geht bis 17 Uhr. Schnell
statt. Erst nach 20 Uhr komme ich dazu,           erledige ich noch einige Verwaltungsdinge,
die im Laufe des Tages eingegangene Post          leiste Unterschriften und telefoniere, bevor
zu beantworten, was mich noch bis nach            um 18 Uhr das Institutskolloquium mit ei-
22 Uhr beschäftigt.                               nem ausländischen Gast beginnt, was mich
                                                  bis 20 Uhr beschäftigt. Der Mittwoch ist

16
1 Klinische Psychologie, Psychodiagnostik und Psychotherapie

am Vormittag mit Verwaltungsaufgaben,          logische Psychotherapeuten verabredet.
Briefen und Telefonaten gefüllt. Um 12 Uhr     Ohne viel von der Stadt gesehen zu haben,
kommt eine auswärtige Doktorandin vor-         fliege ich danach, abends um 19.30 Uhr,
bei. Sie stellt mir ihre Untersuchungsergeb-   zurück. Für den Sonntag habe ich mir
nisse vor, und wir besprechen weitere Aus-     nichts vorgenommen, doch liegen noch
wertungsmöglichkeiten. Gegen 13 Uhr            drei Diplomarbeiten zur Benotung und
folgt eine weitere Doktorandin, die jedoch     zwei Forschungsanträge zur Stellungnahme
noch in der Planungs- und Vorbereitungs-       für eine Forschungsförderorganisation auf
phase ihres Forschungsvorhabens ist. Sie       meinem Schreibtisch.
überrascht mich damit, dass sie möglichst      In der darauf folgenden Woche war ich am
bis Ende der Woche ein Gutachten von mir       Mittwochnachmittag in Frankfurt als Mit-
braucht, damit sie sich bei einer Stiftung     glied einer Berufungskommission, am Frei-
um ein Stipendium bewerben kann. Ab 15         tag in München in einer Leitungsgremi-
Uhr habe ich bis 18 Uhr im Stundentakt Pa-     umssitzung des Kompetenznetzes Depressi-
tienten einbestellt. Zwei davon sehe ich       on (Forschungsverbund) und am Samstag
schon längere Zeit, während eine Patientin     in Zürich (Supervision von Psychothera-
zur Abklärung und Diagnostik von einer         peuten). In der Woche zuvor war ich von
lokalen Nervenärztin überwiesen wurde.         Donnerstagnachmittag (gleich nach der
Erst danach komme ich dazu, mich für die       Vorlesung) bis Samstagabend in Berlin auf
Vorlesung und die Seminare am nächsten         einem großen Kongress mit zwei Vorträgen
Tag vorzubereiten. Es wird wieder fast 23      und einem halbtägigen Forschungstreffen
Uhr, bis ich zu Hause bin. Der gesamte         zur Organisation eines neu bewilligten
Donnerstag (von 9 bis 18 Uhr) ist mit Lehr-    multizentrischen Forschungsprojekts be-
veranstaltungen gefüllt. Danach bin ich        schäftigt. Dementsprechend mussten Pati-
»geschafft«, und ich erledige rasch noch       ententermine verlegt und für zwei Seminare
meine Post, bevor ich um 20 Uhr das Büro       Vertretungen organisiert werden.
verlasse. Der Freitag fängt später (9:30
Uhr) an. Ich habe in der Verwaltung und
im anderen Institutsgebäude zu tun. Gegen
Mittag habe ich mich mit einem früheren        4      Ausbildung
Doktoranden verabredet, der mit mir zu-
sammen ein Forschungsvorhaben plant,
dessen Antrag bis Monatsende fertiggestellt    Klinische Psychologie und Psychodiagnos-
sein muss. Um 14 Uhr habe ich einen Pati-      tik sind wichtige Teile des Psychologiestu-
enten »dazwischen geschoben«, daher            diums, die nach dem Vordiplom im Di-
komme ich kurz nach 15 Uhr verspätet zu        plomstudiengang Psychologie oder im Ba-
einer Besprechung mit ärztlichen Kollegen,     chelorstudium und im Masterstudium
um einen Antrag für die Ausschreibung          Psychologie angeboten, besucht und ge-
»Gesundheit im Alter« zu überlegen und         prüft werden. Psychodiagnostik ist zum ei-
schließlich zu verabreden. Für diesen An-      nen ein grundlegendes Methodenfach der
trag haben wir immerhin noch vier Wochen       Psychologie und damit für alle Teil- und
Zeit, doch die Weihnachtsferien werden         Anwendungsbereiche der Psychologie rele-
wohl wieder darunter leiden. Am Samstag        vant. In jedem Anwendungsbereich gibt es
früh besteige ich bereits um kurz nach 7       jedoch spezifische psychodiagnostische
Uhr das Flugzeug, das mich nach Hamburg        Fragestellungen und Methoden, die meist
bringt, denn dort ist für den ganzen Tag       Teil der Ausbildung, z. B. in der klinischen
eine Fortbildungsveranstaltung für psycho-     Psychologie, sind.

                                                                                        17
Klinische Psychologie

Bachelorstudium                Vorlesung: Grundlagen der
Diplomstudium                  psychologischen Diagnostik
(meist im 5. und 6. Semester
bzw. im 3. Studienjahr)        Übung: Psychometrie, Test-
                               theorie, Testkonstruktion
                               Seminare (wahlweise):
                               Leistungsdiagnostik
                               Persönlichkeitsdiagnostik
                               Computergestützte
                               Diagnostik
Masterstudium                                                 Vorlesung: Psychologische
Diplomstudium                                                 Intervention
(Anwendungsbereiche meist
im 7. bis 9. Semester)                                        Seminare (wahlweise):
                                                              Klinische/Neuropsychologi-
                                                              sche Diagnostik,
                                                              Entwicklungs-/Pädagogische
                                                              Diagnostik,
                                                              Arbeitspsychologische
                                                              Diagnostik
                                                              Praktikum:
                                                              Begutachtung und
                                                              Gutachtenerstellung,
                                                              Diagnostik und Intervention
                                                              in diversen Anwendungs-
                                                              bereichen

Abb. 3: Mögliche (typische) Ausbildungsinhalte im Fach Psychodiagnostik und Intervention
        (Diplom und Bachelor/Master). Je nach lokalen Schwerpunkten und der damit verbun-
        denen Studienordnung variieren diese Veranstaltungen in Inhalt und Umfang.

Die Ausbildung in Psychodiagnostik um-          im Rahmen einer universitären Ausbildung
fasst Vorlesungen, Seminare und Übungen         aufgeführt.
zur Theorie des Diagnostizierens, zu den        Psychodiagnostik ist meist kein eigenstän-
Problemen und Merkmalen diagnostischer          diges Berufsfeld, sondern es ist eine zentrale
Entscheidungen, zur Psychometrie, zur           psychologische Tätigkeit in bestimmten
Testkonstruktion, zur Skalierung, zur Per-      psychologischen Tätigkeitsbereichen, etwa
sönlichkeits-, Leistungs- und Intelligenz-      in der Schulbehörde, in den Personalabtei-
diagnostik, zur apparativen und computer-       lungen von Betrieben, in medizinischen Kli-
gestützten Diagnostik und zur Begutach-         niken oder in der Begutachtung für Behör-
tung und Gutachtenerstellung sowie zu           den, Gerichte und Versicherungen. Die je-
Fragen der Indikation und Intervention.         weiligen psychodiagnostischen Aufgaben
Dabei beziehen sich diese Fragen auf            erfordern dabei immer das inhaltliche Wis-
grundlegende Probleme, z. B. welche Fol-        sen und die fachliche Kompetenz des Tätig-
gerungen aus dem diagnostischen Befund          keitsfeldes (z. B. Glaubwürdigkeit, forensi-
zu ziehen sind und welche Maßnahmen             sche Psychiatrie, berufliche Aufgaben in
zur Behebung von Defiziten, zur Errei-          dem Betrieb, Ergonomie, Werbepsycholo-
chung von Zielen oder zur Stabilisierung        gie, Verkehrspsychologie usw.).
des Erreichten sinnvoll und angezeigt sind.     Die Ausbildung in klinischer Psychologie
Beispielhaft sind in Abbildung 3 typische       umfasst Vorlesungen, Seminare und Fall-
Lehrveranstaltungen zur Psychodiagnostik        seminare (Übungen, Praktika). Die Vorle-

18
1 Klinische Psychologie, Psychodiagnostik und Psychotherapie

Bachelorstudium                  Vorlesung (zwei- bis drei-
Diplomstudium                    stündig): Klinische Psycholo-
(meist im 5. und 6. Semester     gie I und II
bzw. im 3. Studienjahr)
                                 Seminar (zweistündig):
                                 Vorlesungsbegleitendes bzw.
                                 vertiefendes Seminar zu aus-
                                 gewählten Themen der klini-
                                 schen Psychologie und Psy-
                                 chotherapie
Masterstudium                                                    Vorlesung/Übung (zwei- bis
Diplomstudium                                                    dreistündig):
(Anwendungsbereiche                                              Klinische Psychologie und Psy-
meist im 7. bis 9. Semester)                                     chotherapie (Vertiefung)
                                                                 Verhaltensmedizin und Psycho-
                                                                 somatik (Vertiefung)
                                                                 Forschungsseminare (zweistün-
                                                                 dig):
                                                                 ● Angststörungen

                                                                 ● affektive Störungen

                                                                 ● Störungen im Kindes- und Ju-

                                                                   gendalter
                                                                 ● Substanzabhängigkeiten

                                                                 ● psychophysiologische und so-

                                                                   matoforme Störungen
                                                                 ● schizophrene und psychoti-

                                                                   sche Störungen
                                                                 ● hirnorganische und kognitive

                                                                   Störungen
                                                                 Dabei kommt der Forschungsbe-
                                                                 zug neben dem Anwendungs-
                                                                 bezug stärker zur Geltung.
                                                                 Praktikum/Fallseminar (vier-
                                                                 stündig):
                                                                 Praxis und Anwendung ausge-
                                                                 wählter Themen der klinischen
                                                                 Psychologie und Psychothera-
                                                                 pie. Dabei können einzelne Stö-
                                                                 rungsbilder oder psychothera-
                                                                 peutische Methoden oder auch
                                                                 Diagnostik und Begutachtung
                                                                 im Mittelpunkt stehen.

Abb. 4: Typische Ausbildungsinhalte im Fach Klinische Psychologie und Psychotherapie (Diplom
        und Bachelor/Master). Je nach lokalen Schwerpunkten und der damit verbundenen Stu-
        dienordnung variieren diese Veranstaltungen in Inhalt und Umfang.

sungen befassen sich mit den wissenschaft-          krankungen, der Differentialdiagnostik,
lichen und theoretischen Grundlagen, der            den Behandlungsmöglichkeiten, der Psy-
klinischen und klassifikatorischen Diagnos-         chotherapie und der Prävention aller Stö-
tik, den Störungsbildern, den psychischen           rungen über die gesamte Lebensspanne hin-
und psychosomatischen Erkrankungen,                 weg. Die Seminare vertiefen diese diagnos-
den Forschungsbefunden zur Entstehung,              tischen, theoretischen, wissenschaftlichen
zum Verlauf und zu den Risikofaktoren               und therapeutischen Themen zu einem
psychischer und psychosomatischer Er-               Störungsbild (z. B. Substanzabhängigkeit)

                                                                                              19
Klinische Psychologie

 Ausbildungsteile                                             vorgeschriebene Stundenzahl

 Praktische Tätigkeit (1,5 Jahre)
        in psychiatrisch-klinischer Einrichtung                             1 200
        in psychosomatisch-psychotherapeutischer Einrichtung bzw.
        in kinder- und jugendlichen Einrichtung                               600

 Theoretische Ausbildung                                                      600

 Praktische Ausbildung in Krankenbehandlung                                   600
 unter Supervision (nach jeder vierten Sitzung)                               150

 Selbsterfahrung (Einzel- und Gruppenselbsterfahrung)                         120

 Weitere, nicht festgelegte Ausbildungsinhalte                                930

 Gesamtumfang der Weiterbildung (drei Jahre)                                4 200 Stunden

Abb. 5: Weiterbildung zum psychologischen Psychotherapeuten bzw. Kinder- und Jugendpsy-
        chotherapeuten (nach Hautzinger, 2007b)

oder zu einem Bereich (z. B. Kindes- und          versitären) Instituten. Diese theoretische
Jugendalter). Die praktischen Veranstaltun-       und praktische Ausbildung ist kostenpflich-
gen erlauben dann die konkrete und prakti-        tig und teuer (ca. 25 000 Euro), wenngleich
sche Erfahrung mit Praxisausschnitten, die        die Ausbildungskosten in der Regel durch
wiederum von der klinischen Diagnostik            therapeutische Tätigkeiten im Rahmen der
(z. B. standardisierte Interviews) bis hin        Ausbildung wieder komplett hereingeholt
zur Behandlung (z. B. Gruppentherapie für         (erwirtschaftet) werden. Eine Übersicht
Patienten mit einer Zwangsstörung) rei-           über diese dreijährige Ausbildung ist der
chen kann. Die Abbildung 4 illustriert eine       Abbildung 5 zu entnehmen.
typische Abfolge von Ausbildungsinhalten          Ein klinischer Psychologe muss diesen zu-
in der klinischen Psychologie.                    sätzlichen postgradualen Ausbildungsgang
Der Studienabschluss »Diplom« oder                zum Psychotherapeuten nicht unbedingt
»Master« in Psychologie (mit Schwerpunkt          absolvieren. Es gibt zahlreiche Berufs- und
in klinischer Psychologie) erlaubt dann den       Praxisfelder, für die diese Zusatzausbildung
Einstieg in eine postgraduale Ausbildung          nicht erforderlich ist. Mit dem Diplom
zum psychologischen Psychotherapeuten             bzw. dem Master ist eine erfolgreiche Tä-
bzw. zum Kinder- und Jugendpsychothera-           tigkeit in Kliniken, Heimen, Beratungsstel-
peuten. Diese Ausbildung ist durch ein            len, Betrieben, Organisationen und selbst-
Bundesgesetz geregelt und wird daher auch         verständlich auch an den Hochschulen und
durch staatliche Organe (Landesprüfungs-          in der Forschung im In- und Ausland mög-
ämter) kontrolliert. Die Ausbildung erfolgt       lich.
an dafür anerkannten (privaten oder uni-

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