Räume des Experimentierens: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft - GH
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supported by Geogr. Helv., 75, 325–336, 2020 https://doi.org/10.5194/gh-75-325-2020 © Author(s) 2020. This work is distributed under the Creative Commons Attribution 4.0 License. Räume des Experimentierens: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft Dennis Pauschinger and Francisco Klauser Institut de Géographie, Université de Neuchâtel, Neuchâtel, Switzerland Correspondence: Dennis Pauschinger (dennis.pauschinger@unine.ch) Received: 11 December 2019 – Revised: 3 June 2020 – Accepted: 10 August 2020 – Published: 14 October 2020 Kurzfassung. This article investigates how new digital technologies are established in agriculture. It does so by drawing upon empirical data from a qualitative case study with a Swiss based but internationally operating start- up that has recently obtained the first authorisation to spray crop protection products on vineyards and fruit plan- tations with their home-made drone. Conceptually the article takes inspiration in Actor-Network-Theory (ANT) and challenges common understandings of overly urban centred approaches of how new technologies find entry in public policies. The authors argue that instead of seeing a straightforward process of implementing the new drone technology, there has been a joint-effort between the private company and federal institutions to experi- ment, improve and regulate the functioning of the sprayer drone. A process that is, so is argued, heavily marked by knowledge transfers and formalisations of new private-public alliances, that have been channelled through three particular spatial categories, relating to policy experiments, socio-technical experiments and strategic ex- periments. 1 Einleitung ten privaten Unternehmen in der Schweiz mit einer Bewil- Im März 2020 gab das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) ligung zur Produktapplikation per Sprühdrohne. Basierend in einer Pressemitteilung bekannt, dass in der Schweiz auf den empirischen Resultaten zweier vom Schweizerischen ein innovatives und vereinfachtes Bewilligungsverfahren für Nationalfonds unterstützter Projekte („Power and Space in Sprühdrohnen etabliert wurde. Dem Bewilligungsverfahren the Drone Age“ und „Big Data in Agriculture: The Making ging eine lange Serie von Experimenten voraus, bei denen of Smart Farms“) wird dabei kritisch untersucht, welche For- sowohl private Unternehmen als auch verschiedene Bundes- men und Räume des Experimentierens und der Zusammen- behörden involviert waren. Das Versprühen von Flüssigkei- arbeit auf diese Prozesse einwirkten und welche privaten und ten aus der Luft ist normalerweise an strenge Auflagen ge- öffentlichen Interessen dabei berücksichtigt wurden. koppelt und zieht ein langwieriges Bewilligungsverfahren Diese Analyse reiht sich in die rasch wachsende For- mit sich. Sprühdrohnen jedoch, die bestimmte Voraussetzun- schung zur Digitalisierung der Landwirtschaft ein (Klerkx gen erfüllen, können mit dem neuen Verfahren als Boden- et al., 2019; Rotz et al., 2019; Dodge, 2018; Bronson und applikationen eingestuft werden. Somit obliegen sie nicht Knezevic, 2016). Die Literatur beschreibt sogenannte „smar- mehr den gleichen Reglementierungen, wie sie beispielswei- te“ (Bertschi, 2018; Vate-U-Lan et al., 2016) und mit „Big se Hubschrauber für die Ausbringung von Pestiziden aus der Fliesstextes zu vermeiden. Wir haben uns für diesen Namen ent- Luft erfüllen müssen (BAZL, 2020). schieden, weil zahlreiche Mitarbeiter um den Firmengründer des Der vorliegende Artikel analysiert die Entstehung dieser Start-Ups, mit dem wir unsere Fallstudie angefangen haben, inzwi- juristischen Sonderbehandlung, respektive die damit verbun- schen eine neue Firma gegründet haben (Aero41) und die alte noch dene Einführung von Sprühdrohnen in der Schweizer Land- immer existiert (AgroFly). Dies hatte zur Folge, dass nun zwei ver- wirtschaft, aus der Perspektive von AgroDrone1 , dem ers- schiedene Unternehmen mit einer eigens entwickelten Sprühdrohne in der Schweiz arbeiten. Wir haben unsere weiteren Untersuchun- 1 „AgroDrone“ ist ein von uns ausgewählter fiktiver Name, um gen nach der Trennung hauptsächlich mit der neu gegründeten Fir- Interessenskonflikte und komplizierte Namensspiele innerhalb des ma weitergeführt. Published by Copernicus Publications for the Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich & Association Suisse de Géographie.
326 D. Pauschinger und F. Klauser: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft Data“ (Protopop und Shanoyan, 2016) ausgestattete Land- Freeman und Freeland, 2014, 2015), und noch weniger wirtschaftsbetriebe als softwaregesteuerte Systeme von Ver- AutorInnen betrachten die Prozesse der Einführung und Eta- bindungen, Prozessen und Datenströmen, die auf sorgfältig blierung von Drohnen als neue Agrartechnologie. Genau die- orchestrierten Techniken der Sammlung, der Analyse und sen spezifischen Prozessen widmet sich der vorliegende Ar- des Transfers von Daten basieren (Carolan, 2018a; Ribarics, tikel und leistet damit einen Beitrag zur breiteren Diskus- 2016). sion der Entwicklungstendenzen in der digitalisierten Land- Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze, die Bedeutung des wirtschaft: Welche Interessen und AkteurInnen stehen hinter Smart Farming einzuschätzen. Auf der einen Seite finden dem Bestreben, digitale Technologien in der Landwirtschaft sich zahlreiche Veröffentlichungen, welche die Vorteile di- einzubringen? Wer hat Einfluss auf die Kontrolle zukünftiger gitaler Technologien zur Effizienzsteigerung und Risikomi- landwirtschaftlicher Prozesse und welche Arten der Zusam- nimierung in der Landwirtschaft unterstreichen (Jullien und menarbeit und Formen der Abhängigkeiten entstehen dabei? Huet, 2005; Bongiovanni und Lowenberg-Debower, 2004). Auf der anderen Seite werden verschiedene Risiken und Pro- bleme der Digitalisierung hervorgehoben, wie zum Beispiel 2 Theoretisch-konzeptueller Rahmen die Abnahme landwirtschaftlicher Arbeitsplätze (Van Es und Woodard, 2017), die steigende Ungleichheit zwischen digi- Der vorliegende Artikel bettet sich in die theoretische Denk- talisierten und nicht-digitalisierten Betrieben (Fraser, 2019), schule der Actor-Network-Theory (ANT) ein (z. B. Callon die fehlende Nachhaltigkeit digitaler Lösungen (Walter et und Law, 1997; Latour, 1987). Diese betrachtet spezifische al., 2017) oder die zunehmende Kontrolle und Macht von Technologien als sozio-technische Systeme, die aus dem Zu- Hightechunternehmen (Carolan, 2018b, c). Andere Arbeiten sammenspiel unterschiedlicher menschlicher (human) und wiederum untersuchen die Problematik des Dateneigentums nicht-menschlicher (non-human) Einheiten resultieren. Die (Dürr et al., 2005), der Datensicherheit (Wolfert et al., 2017) ANT untersucht dabei diejenigen Prozesse und Interaktio- sowie des Datenschutzes (Bronson und Knezevic, 2016) re- nen, welche diese sozio-technischen Kompositionen produ- spektive die Rolle softwaregestützter Programme zur Steue- zieren (Latour, 2005). rung landwirtschaftlicher Praktiken und Prozesse. Dabei ist Unsere Studie orientiert sich insbesondere an Literatur, die die Frage zentral, wie und von wem die Fülle an Daten sich auf Mikroräume konzentriert, in denen sozio-technische in eine Software übertragen wird beziehungsweise wer die- Assemblagen geschaffen und verfestigt werden (McCann, se reguliert und kontrolliert (Lyon, 2007:100). Dies impli- 2011; McCann und Ward, 2010). Diese Literatur betont, ziert, dass „intelligente“ Technologien in der Landwirtschaft wenngleich fast ausschliesslich auf städtische Räume be- schon in ihrer Entstehung von bestehenden Machtverhältnis- zogen (Shearmur, 2017), dass Innovation und Entwicklung sen und Interessen geprägt sind (Kitchin und Dodge, 2011; räumlich artikuliert und organisiert sind, respektive, dass die Graham, 2005; Thrift und French, 2002). Diese Problema- Räume, in denen erfunden, getestet, verfeinert und reprodu- tik beschäftigt auch ForscherInnen, welche das veränderte ziert wird, ihrerseits auf die Praktiken und Prozesse einwir- Verhältnis von Mensch und Maschine, bedingt durch den ken. Analog dazu wird im vorliegenden Artikel danach ge- steigenden Einsatz neuer Digitaltechnologien in der Land- fragt, welche spezifischen Räume – und welche darin ver- wirtschaft, untersuchen (Fortané und Keck, 2015). Dies übt ankerten Praktiken und Interaktionen – die Entwicklung und wiederum einen Einfluss auf die technisch-organisatorischen Regulierung von Sprühdrohnen in der Schweiz geprägt und Herausforderungen der Landwirtschaft aus (Kshetri, 2014) vorangetrieben haben. und tangiert Identitätsfragen im landwirtschaftlichen Sektor Von spezieller Bedeutung ist diesbezüglich die Arbeit von (Bolman, 2016). Bulkeley und Castán Broto (2013:363). Die Autorinnen zei- Innerhalb der Literatur zu Smart Farming werden Drohnen gen am Beispiel der Klimapolitik auf, dass spezifische stadt- oft als eine Schlüsseltechnologie eingeschätzt, die einen fes- politische Projekte und Innovationen als „Experimente“ zu ten Bestandteil der digitalisierten Landwirtschaft ausmacht verstehen und zu untersuchen sind. Stadtpolitische Projekte und den Sektor ökologisch und ökonomisch weiterbringen als Experimente sind laut den Autorinnen räumlich veranker- soll (Puri et al., 2017). Gerade Beiträge zu den technologi- te Versuche, Innovation voranzutreiben und zu erlernen und schen Aspekten von Drohnen und zum Potential der Techno- dadurch Erfahrung zu gewinnen (Bulkeley und Castán Bro- logie, die Präzision und damit die Produktivität in der Land- to, 2013:367). Die Ausführungen der beiden Autorinnen sind wirtschaft zu erhöhen, sind zahlreich (Mogili und Deepak, für unsere Analyse aus zwei Gründen von grosser Bedeu- 2018; Bolman, 2016:129). Auch hier findet sich Literatur, tung. Erstens gehen sie davon aus, dass sich neue Techno- welche Drohnen als symptomatisch für die steigende Tech- logien nicht durch gradlinige Prozesse etablieren, sondern nologieabhängigkeit und Vereinheitlichung landwirtschaftli- durch ständiges Experimentieren – im Zusammenspiel ver- cher Prozesse betrachtet (Bolman, 2016). schiedener privater und öffentlicher Interessen. Die Annah- Nur wenige Studien beschäftigen sich jedoch empirisch me, dass sich Dinge erst durch „Ausprobieren“ produzieren mit der Frage, wie Drohnen in die Landwirtschaft inte- und aus verschiedenen Elementen humaner und nicht hu- griert werden (Michels et al., 2020; Frankelius et al., 2019; maner Beschaffenheit zusammensetzen, spannt eine Brücke Geogr. Helv., 75, 325–336, 2020 https://doi.org/10.5194/gh-75-325-2020
D. Pauschinger und F. Klauser: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft 327 zur Actor-Network-Theory. Zweitens gehen Bulkeley und Weinanbau) getestet und vorangetrieben werden können. Der Castán Broto davon aus, dass die räumliche Dimension die- dritte Raum ergibt sich aus den „strategischen Experimen- ser Experimente für die Einführung und spätere Validie- ten“ als (3) Raum der Strategie, in dem die Innovation, die rung neuer Technologien und Politiken eine besondere Be- Zusammenarbeit und die Handlungsweisen strategisch for- deutung hat. Beide Punkte werden im vorliegenden Arti- malisiert werden. kel aufgenommen und aus der Perspektive des Fallbeispiels Wichtig ist hier auch die Verbindung zum übergeordne- der Schweizer Sprühdrohnen weiterverfolgt. Bulkeley und ten Begriff des „Labors“ als kontrollierter und strukturierter Castán Broto unterscheiden drei Arten von Experimenten, Raum, in dem Wissen produziert und gemanagt wird (La- welche für unsere Analyse relevant sind: tour, 1987). Entscheidend ist dabei, dass Labore zwar raum- gebunden sind – wobei nicht nur an geschützte Innenräume 1. Die „policy experiments“, in denen es um zu denken ist, sondern auch an offene Aussenräume wie Fel- Gesetzgebungs- und Regierungsinnovationen geht. der, Bauernhöfe und Weinberge in der Landwirtschaft (Be- Nicht selten finden diese Experimente ausserhalb der ar und Holloway, 2019; Rose et al., 2018; Holloway et al., offiziellen politischen Kanäle statt und schaffen neue 2014) –, sich aber auch durch eine gewisse „placelessness“ Räume des Staatlichen (McLean et al., 2016:3248). des generierten, frei zirkulierenden Wissens charakterisieren Für die Autorinnen stellt sich ausserdem die dringende (Guggenheim, 2012). Henkes (2008:114) Analyse der Inno- Frage, wer hinter derartigen Experimenten steckt, vationsprozesse in der Landwirtschaft Kaliforniens ist hier wie diese finanziert werden und wo diese Experi- besonders hervorzuheben. Ganz im Sinne einer relationalen mente genau stattfinden (Bulkeley und Castán Broto, Geografie, in der Raum erst durch die im Raum stattfinden- 2013:364). den sozialen Beziehungen produziert wird (Raffestin, 2012; Lefebvre, 1991), führt Henke in seiner Studie aus, dass Feld- 2. „Sozio-technische Experimente“, in denen es um die versuche zeigen, wie der Raum mehr sein kann als nur „a Entwicklung neuer Technologien in Nischen oder be- collection of soil, climate, bugs, and other local conditions; schützten Räumen geht (siehe auch McLean et al., places are partly constituted by the practices that happen the- 2016:3249). Die in diesen Nischen stattfindenden Ex- re“. Dies ist besonders für unser Fallbeispiel relevant, da perimente lassen Räume der Interaktion für die ver- in der Schweiz Experimente mit der Sprühdrohnentechno- schiedenen AkteurInnen zu. Auch ermöglichen sie, dass logie in Feldversuchen stattgefunden haben. Die Begrifflich- sich soziale Netzwerke zwischen diesen AkteurInnen keit des Labors expandieren wir demnach auf „Feldversu- bilden, um Ideen auszutauschen und heterogene Prak- che“ und können somit den Weinberg selbst als einen Raum tiken, Wissen und Werkzeuge anzugleichen (Bulkeley des Experimentierens verstehen. Für uns bietet dies die ana- und Castán Broto, 2013:365). lytische Möglichkeit, die Prozesse des Entstehens, des Expe- 3. „Strategische Experimente“ – auch als „living labo- rimentierens und der Anwendung der Sprühdrohnentechno- ratories“ bezeichnet –, welche ausserhalb geschützter logie durch die verschiedenen Räume des Experimentierens Räume stattfinden und in denen die Innovations- zu erörtern. und Lernprozesse formalisiert werden (McLean Entscheidend ist sowohl bei Bulkeley und Castán Broto et al., 2016:3249). Bulkeley und Castán Bro- also auch bei Henke die Frage, wo, wie und von wem Wis- to (2013:366) beziehen sich hier vor allen Dingen sen produziert und verbreitet wird. Diesbezüglich wird unse- auf James Evans (2011) und dessen Analyse des re Analyse vor allem zwei Schwerpunkte setzen. Einerseits Regierens durch Experimente an „echten Orten und in konzentriert sich der vorliegende Beitrag auf die unterschied- echter Zeit“. lichen Formen von Expertise (ExpertInnenwissen). In ihrer räumlich verankerten Interaktion werden neue „Koalitionen Angelehnt an diese Typologie fokussiert unsere Analyse auf der Autorität“ begründet, welche die Produktion von Wissen grundsätzlich drei Typen von Experimentierräumen, in de- bezüglich neuer Technologien prägen (Akrich and Méadel, nen die Sprühdrohnentechnologie in der Schweiz getestet 1999; Lippschutz, 1999; Czempiel, 1992). Wir gehen dem- und schliesslich etabliert wurde. Wenn die Autorinnen von nach davon aus, dass neue Technologien, in unserem Fall die „Experimenten der Gesetzgebung“ sprechen, verstehen wir Sprühdrohne, auch in der Landwirtschaft nicht in einem Wis- hier einen expliziten (1) Raum des Institutionellen. In die- sensvakuum entstehen, sondern das Resultat von komplexen sem Raum suchen die handelnden AkteurInnen der verschie- Beziehungen zwischen den verschiedenen ExpertInnen sind, denen Bundesämter neue Wege, um die Drohnentechnolo- die in die Planungen, Entwicklungen und Etablierung der be- gie im Allgemeinen, und die Sprühdrohnentechnologie im troffenen Technologie involviert sind (Lubell et al., 2014; In- Speziellen, auf bürokratischer Ebene zu regulieren. Bei den gram, 2008). „sozio-technischen Experimenten“ handelt es sich in unse- Andererseits betrachtet der vorliegende Beitrag die Fra- rem Fallbeispiel um einen spezifisch (2) sozio-technischen ge der Wissensproduktion auch explizit in Verbindung zu Raum, in dem Innovationen (die Sprühdrohnentechnologie) Materialität, was wiederum einen direkten Bogen zur ANT in ganz speziellen Konfigurationen und Nischen (Schweizer schlägt. Law und Mol (1995) folgend ist Materialität nicht https://doi.org/10.5194/gh-75-325-2020 Geogr. Helv., 75, 325–336, 2020
328 D. Pauschinger und F. Klauser: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft die simple Beschreibung von Gegenständen (Körpern, Ar- aus vorigen Projekten zu den Chancen und Risiken von zi- tefakten etc.), sondern entsteht erst durch relationale Ver- viler Drohnennutzung wussten wir, dass auch der institutio- bindungen. Auch Hecht (2011:3) argumentiert, dass Mate- nelle Gesetzgebungsprozess bei der Drohnentechnologie in rialität eine entscheidendere und aktivere Rolle in der Ko- der Landwirtschaft eine grosse Rolle spielt, und haben diesen produktion von Dingen zugeschrieben werden kann (sollte), mit einbezogen (SNF-Projekt „Power and Space in the Drone denn „[technologies] exceed or escape the intentions of sys- Age“). Die Interviews wurden nach sozialwissenschaftlichen tem designers. Material things can be more flexible – and Standards transkribiert und anschliessend mit MAXQDA co- more unpredictable – than their builders realize“. Es wird diert. Die Codierung der Interviews ist wichtig, um Narrati- im Folgenden dementsprechend speziell um die Materialität ve zu identifizieren, die wir als „temporally ordered, morally der jeweiligen Experimentierräume gehen. In unserem Fall suggestive statements about events and/or actions in the life wirft die Sprühdrohne die Frage auf, inwiefern diese Mate- of one or more protagonists“ verstehen (Presser, 2016:138). rialitäten ebenfalls auf die Prozesse der Einführung und der Das Ziel dabei ist, Narrative zu Tage zu fördern, die uns et- Entwicklung der Technologie einwirkten. Damit wollen wir was darüber sagen, wie bestimmte Regulierungspraktiken, einen Beitrag zu dem leisten, was Higgins et al. (2017:201) der Umgang mit der Drohnentechnologie und die Interessen als eine bis dato noch nicht genügend erforschte Nische be- der verschiedenen AkteurInnen verhandelt und gerechtfertigt trachten: werden. Wir haben das Start-Up AgroDrone für unsere Studie aus- Greater emphasis should be placed on ,knowled- gewählt, weil es das einzige Unternehmen der Schweiz ist, ge in action‘ – the relationality of materials and welches eine eigene Drohne zur Besprühung von Weinber- the multiple modes of ordering through which ma- gen entwickelt hat. Gleichzeitig gibt es eine kleine Anzahl terials intertwine with, shape, and are shaped by, weiterer Anbieter in der Schweiz, die ebenfalls die glei- farming knowledge and practices. chen oder ähnliche Serviceleistungen erbringen, jedoch ei- ne Standarddrohne von einem chinesischen Anbieter benut- 3 Angewandte Methoden und Hintergrund zen und teilweise auch dessen offizielle Retail-Rechte für die Schweiz innehaben. Empirisch basiert dieser Artikel auf einer Studie, die wir im Der Schweizer Weinanbau ist in der frankophonen West- Rahmen der vom Schweizer Nationalfonds finanzierten Pro- schweiz ein fest verankerter, kulturell bedeutender, aber doch jekte „Power and Space in the Drone Age“ und „Big Data eher kleiner Wirtschaftszweig. Das als Lavaux bekannte und in Agriculture: The Making of Smart Farms“ durchgeführt als UNESCO-Weltkulturerbe eingestufte Gebiet entlang des haben. Die erhobenen Daten basieren auf qualitativen, semi- Genfersees zwischen Lausanne und Vevey charakterisiert die strukturierten Interviews, die wir mit Mitarbeitern des Start- besondere Topographie des Weinanbaus in der Region. Die Ups AgroDrone (6), Weinbauern, die selber mit Drohnen ar- steilen Hänge stellen ganz aussergewöhnliche Anforderun- beiten oder den Service von AgroDrone in Anspruch neh- gen an die Kultivierung der Reben. Besonders die Pflege und men (3), Vertretern des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (2) Behandlung der Weintrauben stellt für die Weinbauern und - und dem staatlichen Forschungsinstitut Agroscope (2) ge- bäuerinnen einen erheblichen Aufwand dar und erfolgt nach führt haben. Dazu ist festzuhalten, dass die Interviewpart- klaren Reglementierungen, nicht selten, um den Erhalt des ner für unsere Studie ausschliesslich weisse Männer waren, Siegels für geschützte Ursprungserzeugnisse zu garantieren was auf das noch immer überwiegend männlich geprägte (Laesslé, 2018). Innerhalb dieses Gefüges hat sich AgroDro- Drohnentechnik-Milieu zurückzuführen ist (siehe auch Ol- ne mit seinem Angebot einen eigenen Markt geschaffen, da son und Labuski, 2018). Die Interviews entstanden in zwei die herkömmlichen Sprühweisen, manuell per Hand, maschi- Phasen im Zeitraum zwischen Mai 2018 und Mai 2019. In nell mit Sprühmaschinen oder aus der Luft per Helikopter, der ersten Phase 2018 wurden drei Piloten sowie Techni- mit verschiedenen Problemen zu kämpfen haben. ker und der CEO von AgroDrone interviewt. In dieser Pha- se wurde die Arbeit auch aus nächster Nähe beobachtet und 4 Analyse das Pilotenteam während der Arbeit, bei Experimenten an Weinbergen und in der Werkstatt begleitet. In der zweiten 4.1 Institutioneller Raum Phase Anfang 2019 wurde abermals ein Interview mit dem CEO von AgroDrone geführt. Weitere Interviews wurden mit Während die Europäische Union das Sprühen von Pestiziden Weinbauern und staatlichen Vertretern aufgenommen. aller Art aus der Luft seit 2009 verboten hat (Zwetsloot et al., Die methodologischen Überlegungen hinter der Auswahl 2018), hat die Schweiz einen Sonderweg eingeschlagen, der der Interviewpartner und der verwendeten Methoden basie- die Versprühung per Helikopter zwar erlaubt, aber stark limi- ren auf der Annahme, dass die Prozesse der Etablierung neu- tiert. Um eine Genehmigung für die Besprühung aus der Luft er Technologien in der Landwirtschaft sichtbar und unter- (selbst mit Wasser) zu erhalten, müssen Unternehmen einen suchbar werden, wenn diese in den Räumen ihrer Entstehung sehr komplizierten und über mehrere Monate dauernden Be- und Etablierung beobachtet werden. Durch unsere Erfahrung willigungsprozess durchlaufen, an dem nicht nur das BAZL, Geogr. Helv., 75, 325–336, 2020 https://doi.org/10.5194/gh-75-325-2020
D. Pauschinger und F. Klauser: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft 329 sondern auch das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), das kennen alle und wir sagen uns, man kann ja auch freundlich Bundesamt für Umwelt (BAFU) und drei weitere Behörden miteinander umgehen und einen guten Umgang und einen beteiligt sind. Nur ein Unternehmen in der Schweiz besitzt guten Kontakt miteinander haben, dass man miteinander eine solche Bewilligung. Ein Hauptaspekt des Verfahrens ist spricht und Probleme bespricht. Und trotzdem, dass sich alle der Abdrift der Sprühflüssigkeit in der Luft. Beim Versuch, ihrer Funktion in diesem Ökosystem bewusst sind (Co-Leiter diese Bewilligungslogik auch auf Sprühdrohnen anzuwen- Innovation und Digitalisierung BAZL, 30. April 2019). Das den, hat das BAZL durch viele verschiedene Experimente er- Selbstverständnis des BAZL scheint hier also ein Teil des- kannt, dass der Abdrift bei Drohnen deutlich geringer ausfällt sen zu sein, was u. a. Akrich und Méadel (1999) als die als bei Helikoptern. Dies hat den Weg für ein vereinfachtes „coalitions of authority“ betitelt haben. Bei diesen Koalitio- Bewilligungsverfahren bereitet (BAZL, 2020). nen handelt es sich um Netzwerke von ExpertInnen, die mit Bei den „policy experiments“ von Bulkeley und ganz bestimmtem Wissen ausgestattet sind und die gemein- Castán Broto geht es um die Entstehung von neuen sam zu einer innovativen Problemlösung beitragen. Der Mit- Räumen des Staatlichen und die Begehung neuer und arbeiter des BAZL zeigt, wie alle AkteurInnen eine spezifi- informeller Wege spezifischer Akteur-Netzwerke innerhalb sche „Funktion“ innerhalb des gemeinsamen „Ökosystems“ dieser Räume. In Bezug auf die Vereinfachung des Bewilli- erfüllt. Mit anderen Worten tragen hier die ExpertInnen, mit gungsprozesses argumentieren wir, dass hier ein spezieller jeweils spezifischer Expertise, dazu bei, dass die angespro- Raum des staatlichen Experimentierens entstanden ist, der chene Flexibilität und Kreativität innerhalb des Netzwerkes entscheidend zur Einführung der Drohnentechnologie im angewandt und durchgesetzt werden kann. Was in unserem Schweizer Weinanbau beigetragen hat. Ein Mitarbeiter des Beispiel zur innovativen Definitionslösung von Sprühdroh- BAZL formulierte dies im Gespräch wie folgt: nen als Bodenapplikation geführt hat, ist in der Landwirt- schaft nicht unüblich. Wissen über landwirtschaftliche Vor- Wir haben, das ist ja das Gute daran, und das schät- gänge aller Art, die durchaus auch durch experimentelles ze ich an den Kolleginnen und Kollegen, einen Lernen geprägt sind (Lubell et al., 2014:1089–1090), wird bestehenden rechtlichen Rahmen. Und es ist der zunehmend von einem Netzwerk aus privatwirtschaftlichen Wille da, in diesem bestehenden rechtlichen Rah- und staatlichen ExpertInnen produziert (Ingram, 2018:118). men sich so flexibel wie möglich zu bewegen, und Der Prozess der Flexibilität, der dann letztendlich zur dass man die Energie darauf verwendet etwas zu Kreativität und Innovation führt, findet nicht immer in den ermöglichen und nicht etwas zu verhindern. Und offiziell dafür vorgesehenen Räumen statt. So konnte die dann gibt es vielleicht etwas ungewohnte Lösun- Schweiz einen grossen Einfluss auf die im Januar 2021 in gen. Eben, dass eine Drohne eine Bodenapplikati- Kraft tretenden EU-Regeln zu Drohnenflügen ausüben. Ein on sein kann (Co-Leiter Innovation und Digitali- Mitarbeiter des BAZL erzählt im Interview, dass vor allen sierung BAZL, 30. April 2019)2 . Dingen die informellen Räume, wie Kaffeepausen oder Bars, die Orte sind, an denen „Ideen entwickelt“ werden, denn Der Mitarbeiter des BAZL spricht in diesem Zitat darüber, „immer dort, wo ein Protokoll geführt wird, lässt sich nie- wie innerhalb eines Netzwerkes von KollegInnen an innova- mand auf die Äste raus“ (Co-Leiter Innovation und Digitali- tiven Lösungen mit einem hohen Grad an Flexibilität gear- sierung BAZL, 30. April 2019). Dies gibt wieder, was Euge- beitet wurde. Innerhalb der bestehenden rechtlichen Klavia- ne McCann (2011:117) „microspaces of persuation“ genannt tur wurde ein gangbarer Weg gefunden, das Recht neu auszu- hat. Orte, in denen Gesetzgebungsideen entstehen, weiter- legen. Dadurch konnte eine innovative Möglichkeit geschaf- verfolgt, umgedacht und schliesslich erlernt und umgesetzt fen werden, das aktuelle Bewilligungsverfahren zu umge- werden. Informalität – als deutlicher Gegensatz zum ange- hen und somit ein in der Luft fliegendes Gerät juristisch wie sprochenen Formalismus – spielt hier eine tragende Rolle für ein am Boden fahrendes Werkzeug zu definieren. In Bezug die Entstehung von innovativen Ideen. Neue Lösungsansätze auf die Flexibilität spricht der Mitarbeiter hier an, was das für komplexe Probleme werden nicht selten in den Räumen BAZL auch in seiner Medienmitteilung zum neuen Verfahren des Informellen vorgedacht, bevor sie Eingang in Gesetz- verbrieft hat. Die Etablierung des Verfahrens war nur durch gebungsprozesse finden. Dies ist ein weiterer Hinweis auf „einen intensiven Austausch zwischen Behörden und Bran- die Wissensnetzwerke, die sich in verschiedenen räumlichen che sowie eine komplexe Koordination zwischen verschie- Dimensionen zusammengefunden haben. Aus Erzählungen denen schweizerischen Behörden“ möglich (BAZL, 2020). von AgroDrone-Mitarbeitern war gleichermassen herauszu- In einem weiteren Abschnitt fügt der Interviewpartner hin- hören, dass es durch viele Gespräche, durch das Treffen aus- zu: Es besteht ein Ökosystem bezogen auf Drohnen in der serhalb der Bundesämter und durch das aufgebaute gegen- Schweiz . . . und das ist vielleicht ganz neu. Aus der Sicht der seitige Vertrauen möglich geworden ist, die Idee der Sprüh- Verwaltung sehen wir uns als Teil dieses Ökosystems. Wir drohnentechnologie voranzutreiben und „Partner“ innerhalb 2 Alle Zitate wurden entweder aus dem Französischen eigens der staatlichen Strukturen zu gewinnen. Wie wir im folgen- übersetzt oder auf Deutsch leicht adaptiert, um sprachliche Klarheit den Analyseabschnitt zeigen, war dies auch durch die ganz zu gewährleisten. https://doi.org/10.5194/gh-75-325-2020 Geogr. Helv., 75, 325–336, 2020
330 D. Pauschinger und F. Klauser: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft spezifischen sozio-technischen Gegebenheiten innerhalb von da völlig unbedarft als Helikopterpilot, der hatte Nischen möglich. keine Ahnung von Pflanzenschutz vorher. Und ich denke, da haben wir uns gegenseitig doch sehr gut ergänzt (Gruppenleiter Digitale Produktion Agros- 4.2 Sozio-technischer Raum cope, 11. März 2019). Gemäss Bulkeley und Castán Broto (2013) handelt es sich bei „socio-technical experiments“ um die Entwicklung neu- Und unter dem gleichen Dach werde ich einen er Technologien in Nischen und geschützten Räumen. In- Agro-Ingenieur, einen Techniker und mich anstel- nerhalb dieser sozio-technischen Räume wird einerseits der len . . . Man darf nicht vergessen, vor zwei Jahren, Wissensaustausch und die Kooperation verschiedener Akteu- alles was ich da über Landwirtschaft kannte, war rInnen ermöglicht, andererseits wird der Einfluss des Ma- mein Gemüsegarten bei meinem Chalet . . . und teriellen für die Etablierung von technologischen Innova- dann hatten wir auch Glück, denn ich habe wirk- tionen in der Landwirtschaft verdeutlicht (Pigford et al., lich aussergewöhnlich tolle Leute in diesen Bunde- 2018:118–119). So führt Ingram (2018, p.119) am Beispiel sämtern getroffen, die auch bereit waren, Risiken der Permakultur-Bewegung in Grossbritannien aus, dass ge- einzugehen . . . (CEO AgroDrone, 21. Juni 2018). rade in der Landwirtschaft das Wissen aus Nischen das Hier sind zwei zentrale Prozesse zu beobachten. Erstens Potential hat, schon länger etablierte Wissensnetzwerke zu wird die Kooperation zwischen den öffentlichen Institutio- durchbrechen und Neues zu etablieren. Die Verankerung der nen und dem privaten Unternehmen deutlich. Innerhalb des Sprühdrohnentechnologie im schweizerischen Weinanbau ist sozio-technischen Raumes wird eine Kooperation eingegan- deshalb insbesondere durch die Linse des sozio-technischen gen, die es ermöglicht, miteinander zu arbeiten und vonein- Raumes spannend zu analysieren. ander zu lernen. Eine Nische für die Sprühdrohnentechnologie hat sich in Zweitens findet innerhalb des sozio-technischen Raums der Schweiz aus zwei Hauptgründen aufgetan. Der erste ein Wissensaustausch statt, den wir im Sinne der ANT verste- Grund ist laut des Winzers der Stadt Lausanne die „Umwelt- hen (Legun, 2015). Innerhalb dieser Wissenskoalitionen sind perspektive“, da der Helikopter einen zu grossen Abdrift- die verschiedenen Teilnehmer mit unterschiedlichem Wissen Radius produziert (Winzer Stadt Lausanne, 20. März 2019). ausgestattet, bringen dieses zusammen und lernen voneinan- Der zweite Grund ist der menschliche Faktor. Durch die der. Das öffentliche Forschungsinstitut Agroscope verfügte erhöhte Präzision der Drohne könnte diese Technologie über keinerlei Vorkenntnisse im Fliegen und der Initiator von die Handsprühmaschinen ersetzen und so die Arbeiter an AgroDrone hatte keine Erfahrung mit den Funktionsmecha- den Weinbergen entlasten. Wie ein Mitarbeiter des staat- nismen der Landwirtschaft. Beide Parteien haben ihr Wissen lichen Landwirtschaftsinstituts Agroscope beschreibt: „Mit an die jeweils andere Seite vermittelt und voneinander ge- einer Drohne [Sprühmittel] auszubringen, ist natürlich un- lernt, wodurch eine Assemblage aus ExpertInnen entstand. vergleichlich eleganter“ (Gruppenleiter Digitale Produktion Gemeinsam wurde ein neuer Weg erarbeitet, der die Sprüh- Agroscope, 11. März 2019). drohne juristisch als Bodenapplikation charakterisiert und Die Innovation wird erst durch die Nische ermöglicht. In- damit das Bewilligungsverfahren deutlich vereinfacht hat. nerhalb dieser kommt es zu spezifischen Kooperationen zwi- Innerhalb des sozio-technischen Raums spielt neben den schen öffentlichen Vertretern wie Agroscope, dem BAZL Wissenskoalitionen auch die Materialität eine entscheidende und AgroDrone. McLean et al. (2016:3249) definieren In- Rolle. Das folgende Zitat eines Weinbauern, der auch als Pi- novation als einen interaktiven Prozess des Wissensaustau- lot für und mit AgroDrone arbeitet, zeichnet diese Bedeutung sches zwischen Forschungsinstituten, Regierungseinrichtun- nach: gen und privaten NutzerInnen. Folgen wir Bulkeley und Castán Broto (2013:365), dann sind es die sozio-technischen Wir hatten ein grosses Problem mit der Firmwa- Experimente in den Nischen, die Räume der Interaktion zwi- re, die uns – natürlich – aus China geschickt wor- schen verschiedenen AkteurInnen ermöglichen, um Ideen den ist . . . und wir mussten die alte Firmware drauf auszutauschen und heterogene Praktiken, Wissen und Werk- spielen . . . , aber die hat vorher so gut funktioniert, zeuge zu vereinen. dass sie keine Probleme hatte, aber in der Höhe et- Wie diese Kooperationen in unserem Fallbeispiel ausse- was limitiert war. Denn es ist ja klar, dass sie in hen, zeigen die folgenden zwei Zitate: China nicht die gleichen Territorien haben wie wir hier . . . Denn in China, so stelle ich es mir vor, bei Also das war sicher ergänzend. Wir hatten kei- den flachen Reisfeldern, ist es kein Problem und ne Erfahrung mit Sprühdrohnen vorher und ha- sie haben sich sicher die Frage gestellt: „Warum ben dann von ihnen [AgroDrone] quasi das Flug- wollt ihr höher als 30 Meter fliegen?“ Aber da es Know-How mit der Drohne bekommen, haben dort bei uns alles steil ist, ist man schnell bei 30 Metern! viel gelernt und der [CEO AgroDrone] hat von uns (AgroDrone Pilot und Winzer, 20. August 2018). viel gelernt in Sachen Applikationstechnik. Er war Geogr. Helv., 75, 325–336, 2020 https://doi.org/10.5194/gh-75-325-2020
D. Pauschinger und F. Klauser: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft 331 Laut den Aussagen fast aller Interviewpartner wurden Sprüh- Mauer geflogen wurde und ein Propellerflügel ausgetauscht drohnen als Erstes in China für relativ flache und grosse werden musste. Der physische Kontakt mit der Materialität Reisplantagen entwickelt. So auch die Basis der Drohne von – sei es im Fluggebiet oder mit der Drohne selbst – ist mit- AgroDrone und die Flugsoftware, welche das Flugverhalten bestimmend für die sozio-technische Entstehung und Weiter- der Maschine steuert. Der Schweizer Weinanbau weist je- entwicklung der Technologie. doch andere Bedingungen auf als der Reisanbau in China. Zum anderen beobachteten wir, wie Software als etwas In der Schweiz wird Wein in teilweise hohen Lagen und an Immaterielles ebenfalls im Zusammenspiel mit der Materia- steilen Hängen kultiviert. Dies bedeutet, dass die mitgeliefer- lität der Drohne agiert. An einem der ersten Beobachtungs- te Firmware des Softwareunternehmens, mit dem AgroDro- tage hatte die Drohne mit der Schwierigkeit zu kämpfen, sta- ne zusammenarbeitet, auf die Schweizer Bedingungen einge- bil in der Luft zu bleiben, und musste schliesslich landen. stellt werden muss. Dazu beschäftigen sich die Piloten konti- Noch vor Ort wurden einige kleine Tests, sowohl mit der nuierlich mit der Handhabung der Technologie, um die Soft- Software als auch an der Hardware der Drohne, vorgenom- ware weiterzuentwickeln und an die topografischen Bedin- men. Schnell war das Problem erkannt und behoben. In ande- gungen anzupassen. Während das Chassis und die Software ren Situationen, so erzählte einer der Piloten, wird auch der der Drohne aus China importiert werden, entwickelte Agro- Cheftechniker im Atelier angerufen, um ihm das Problem zu Drone die gesamte Sprühtechnologie selbst: schildern. Je nach Schwere des Problems kann vor Ort einge- griffen werden, oder es muss später gemeinsam an einer Lö- Die Sprühvorrichtung wurde komplett von uns ge- sung in der Werkstatt gebastelt werden. In diesem Beispiel testet und entwickelt. Die Basis war wirklich, erst- konkretisiert sich das sozio-technische Verhältnis von Raum, mal eine gute Sprühvorrichtung hinzubekommen Technik und Mensch, die in einem voneinander geprägten und dann die Maschine in Angriff zu nehmen. Wir Wechselspiel agieren, sich beeinflussen und nur zusammen haben es umgekehrt gemacht, als dies die Leute existieren können. Das Wissen, welches hier generiert wird, normalerweise mit Drohnen machen: Die bauen ei- basiert auf dem materiell-experimentellen Ausprobieren. ne gute Drohne und danach setzen sie ein System Es besteht also ein Wechselspiel aus dem gegenseitigen drauf [z. B. eine Kamera, oder ein Sprühsystem]. Bedingen von Raum und Technologie. Ausgehend von der Wir haben mit dem System angefangen und da- Annahme des „Sozio-Technischen“ im Latourschen Sinne nach die Drohne verbessert. Denn die Bauern und als etwas, was sich aus der Technik und des Sozialen kon- Bäuerinnen hier wollen vor allen Dingen eine gute stituiert, entstehen Objekte stets erst durch die Assoziie- Sprühvorrichtung! (AgroDrone Chefpilot, 3. Okto- rung und Mediation verschiedener menschlicher und nicht- ber 2018). menschlicher Komponenten (Latour, 2005:9). Die Drohnen- Die lokal-räumlichen Bedingungen für die Entwicklung technologie als Gesamtes wird hier durch das Zusammenwir- der Drohne waren demnach von Bedeutung. Während die ken verschiedener AkteurInnen konstituiert. Der Raum fun- Flugtechnik an die lokalen Bedingungen – steile Hänge und giert dabei als wichtigster Mediator. Konzeptuell zeigt dies, Hindernisse – angepasst werden musste, war es laut dem dass Materialität wichtig ist für das Erlernen und den Um- Piloten mindestens genauso wichtig, eine gute und an die gang mit neuen Technologien. Krzywoszynska (2016:292– räumlichen Gegebenheiten angepasste Sprühtechnik zu ent- 293) beispielsweise beschreibt in ihrer Forschung über Wein- wickeln. bauern und -bäuerinnen, dass Materialität eine fundamentale Während der Feldforschung mit AgroDrone konnten wir Rolle in der Aneignung von experimentellem Wissen spielt, beobachten, wie verschiedene weitere materiell-räumliche was wiederum zur Ausbildung von spezifischem Wissen Dimensionen zum Tragen gekommen sind. Zum einen haben und Können („Enskillment“) führt, und dementsprechend als sich die Piloten vor jedem Drohnenflug dezidiert mit dem „ongoing exploration and alignment of properties and acti- Gelände beschäftigt. Es musste vor den Flügen zu Fuss abge- ons, a never-ending experimental engagement in which both steckt und geomarkiert werden, um die Daten in die Softwa- humans and materials change and mutate“ verstanden wer- re einzuspeisen, die der Drohne den automatischen Flugmo- den kann. Besonders hervorzuheben ist auch die Arbeit von dus ermöglicht. Die topografischen Bedingungen des Gelän- Higgins et al. (2017), in welcher am Beispiel von australi- des haben somit die Benutzung der Drohne gleichermassen schen Reisbauern und -bäuerinnen erörtert wird, dass Mate- beeinflusst. Denn in kaum einem Gelände kann die Droh- rialität einen starken Einfluss darauf hat, wie sich die Bauern ne im vollautomatischen Modus fliegen. Nicht selten sind und Bäuerinnnen auf neue Technologien einlassen. Materia- Weinfelder nah an Häusern lokalisiert, weisen Unebenhei- lität ist demnach konstitutiv für das Ordnen und Strukturie- ten auf und sind schwer zugänglich. Während der Flüge in ren („ordering“) des Umgangs der Bauern und Bäuerinnen solchen Gebieten muss sich der Pilot bzw. die Pilotin genau mit neuen Technologien (Higgins et al., 2017:195). mit dem Gelände auseinandersetzen, da die Flughöhe auch in den halb- und vollautomatischen Modi weiterhin manu- ell gesteuert werden muss. Wir konnten mehr als einmal be- obachten, wie die Drohne zu nah an einen Baum oder eine https://doi.org/10.5194/gh-75-325-2020 Geogr. Helv., 75, 325–336, 2020
332 D. Pauschinger und F. Klauser: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft 4.3 Strategischer Raum der Drohnentechnologie ist ein weiterer Schritt nötig, wie wir im folgenden Abschnitt herausarbeiten. Die dritte analytische Kategorie ist die des strategischen Die permanenten Experimente mit Agroscope, in Beglei- Raums. Diese Kategorie ermöglicht das Verständnis darüber, tung des BAZL, waren notwendig, um die Drohne als Boden- wie die anderen Aspekte aus dem institutionellen und sozio- applikation einzustufen. Erst nach der experimentellen Pha- technischen Raum zu einer Strategie zusammengeführt wer- se stand fest, dass die Sprühdrohne genauso präzise arbeitet, den. In diesem Abschnitt heben wir besonders zwei Punkte wie eine am Boden fahrende Maschine. Jedoch schon nach hervor, welche den strategischen, aber experimentellen Pro- der ersten Reihe von Experimenten wurde eine erste Bewil- zess der Bewilligung der Sprühdrohnentechnologie treffend ligung ausgestellt, wie einer der Agroscope-Mitarbeiter be- analysieren: Die Formalisierung des Unbekannten und das richtet: „living laboratory“. AgroDrone entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit von Während der Transitionsphase, also von dem Mo- einer kühnen Idee zu einem funktionstüchtigen Unterneh- ment an, wo es die ersten Anfragen für eine Au- men (CEO AgroDrone, 21. Juni 2018). Ein solch schneller torisierung gegeben hat, und dem Bestreben nach Aufstieg beinhaltet nicht nur die Ausarbeitung eines umfas- einem [vereinfachten] Verfahren, haben wir uns senden Businessplans, der Anstellung verschiedener Perso- gesagt, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir nen im administrativen, technischen und operationellen Be- verbieten alles, während wir ein Verfahren am Lau- reich, sondern auch das experimentelle Ausprobieren der fen haben und wir riskieren damit, den Markt Drohnentechnologie. Die Experimente, um das Flugverhal- zu töten und diese kleinen Unternehmen können ten, die Sprühmechanismen und die automatisierte Flugkon- nicht arbeiten. Oder – und das war die Entschei- trolle zu testen, wurden anfangs intern vorangetrieben. Um dung, die wir getroffen haben – wir autorisie- jedoch eine Flugautorisierung zu erlangen, waren ausführli- ren die Drohnennutzung, aber die Limitierungen che Experimente unter offizieller Aufsicht zum Abdriftver- [des Abstands] sind die gleichen wie bei Heliko- halten der Drohne notwendig. So wurde eine Zusammenar- ptern . . . Aber die Idee war, diese ersten Experi- beit mit Agroscope angestrebt, über die einer der Hauptpilo- mente – in Anführungszeichen – nicht zu verhin- ten von AgroDrone sagt: dern und es so zu bewilligen (Mykologie-Experte Agroscope, 20. März 2019). Und wir haben sehr viel mit Agroscope getes- Trotz des noch nicht vereinfachten Verfahrens wurde tet, um die Konsistenz der Produkte zu überprü- entschieden, die Drohnentechnologie im Feld anzuwenden. fen . . . denn weisst Du, mit Drohnen ist das so, Laut Zitat vor allem, um den Markt und die Existenz der Un- man testet die ganze Zeit. Es gibt viele Leute da ternehmen nicht zu gefährden. Vergegenwärtigen wir uns al- draussen, die sehr viel Blablabla von sich geben, so nochmals, was Michael Guggenheim (2012:3–5) über das sehr viel Theorie haben. Aber nur dort draussen „Laboratory“ geschrieben hat. Er bezeichnet das Labor als im „territoire“ [Gebiet] nimmt man wahr, das die einen Ort, an dem durch eine „chain of translations“ inner- Theorie mit der Realität nichts zu tun hat (Agro- halb eines mehr oder weniger geschützten Raumes Techno- Drone Pilot, 3. Oktober 2018). logie getestet und dann als „mobiles Wissen“ nach draussen entlassen wird. Es scheint, als würde hier ebendieser Prozess In dieser Interviewpassage spricht der Pilot von den vielen stattfinden. Als die Drohnen sich noch in der Phase des Ex- Experimenten, die AgroDrone mit Agroscope durchführte. perimentierens befunden haben, wurden sie bereits als so gut Der Pilot stellt dar, wie das Wissen über die eigene Droh- eingestuft, um unter realen Bedingungen arbeiten zu können. ne nur durch die vielen Experimente entstehen konnte. Er So berichtet der Gründer von AgroDrone, dass sie bereits im betont, dass erst die Praxis fundiertes Wissen über die Tech- Januar 2017 „die Bewilligung für die Saison für die Besprü- nologie ermöglichte. Hier scheint ein Prozess zu entstehen, hung mit Pflanzenschutzmitteln nach den bestehenden Re- den wir als die „Formalisierung des Unbekannten“ beschrei- geln für Helikopterflüge erhalten“ haben (CEO AgroDrone, ben. Denn die noch in den Kinderschuhen steckende Firma, 21. Juni 2018). die in der Anfangsphase noch mit sehr vielen Unbekannten Anhand dieses Beispiels lässt sich aufzeigen, dass sich im zu arbeiten hatte, tastet sich durch experimentelles Wissen strategischen Raum Prozesse des Lernens und der Innovati- an brauchbares und konkretes Wissen heran. Durch die Zu- on formalisieren, welche dazu beitragen, dass sich eine neue sammenarbeit mit öffentlichen Institutionen wie Agroscope Technologie etabliert. In Zusammenarbeit zwischen öffentli- bekommt das, was zuvor noch informell und im kleinen Rah- cher und privater Hand wird die Sprühdrohnentechnologie men stattgefunden hat, einen formalisierten Charakter. Das aus dem „Labor“ in die „wirkliche Welt“ entlassen. Dies Unbekannte entwickelt sich peut à peut zu etwas Bekannten. zeigt sich in der Beschreibung des Agroscope-Mitarbeiters, Wissen wird nicht mehr informell nur im Kleinen produziert, der erzählt, wie das Institut die Technologie bewilligt hat, um sondern wird in Zusammenarbeit zwischen Agroscope und die Experimente in der Praxis nicht zu verhindern. Im strate- AgroDrone erstellt und formalisiert. Bis hin zur Bewilligung gischen Raum wird daran gearbeitet, das Experimentelle in Geogr. Helv., 75, 325–336, 2020 https://doi.org/10.5194/gh-75-325-2020
D. Pauschinger und F. Klauser: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft 333 eine richtige Strategie umzuwandeln. Wir verstehen hier den die Technologie durch ein vereinfachtes Bewilligungsverfah- Begriff des Labors aber weniger als einen physisch geschlos- ren zum Einsatz gebracht werden kann. senen Raum, sondern als eine künstlich erschaffene Situati- An unsere Analyse knüpfen sich aus unserer Sicht drei on. In dieser ist es sodann möglich, Experimente mit neuer grössere Themenblöcke, welche nicht nur für unser Fallbei- Technologie durchzuführen, die später aus dieser künstlichen spiel, sondern für allgemeine Debatten um die Digitalisie- Situation herausgelöst und in Alltagssituationen als innova- rung der Landwirtschaft relevant sind. Erstens werfen die Er- tive Lösungen übertragen werden. Während unserer Feldfor- gebnisse unserer Untersuchung die Frage auf, welche Impli- schung hatten wir die Möglichkeit zu beobachten, wie Agro- kationen die Zusammenarbeit zwischen staatlichen und pri- Drone die in der Landwirtschaft durchaus üblichen Feldver- vaten AkteurInnen hat? Was bedeutet es, wenn einem Start- suche durchgeführt hat (Henke, 2008). Hierzu sprühten Pilo- Up geholfen wird, die eigene Erfindung zu verbessern, um ten bestimmte Produkte auf vorgegebene Art und Weise auf am Ende ein besseres und konkurrenzfähigeres Produkt prä- die verschiedenen Testfelder von Weinbauern, um die Ergeb- sentieren zu können? Was bedeutet dies für Unternehmen, nisse später kontrollieren zu können. Es lässt sich somit fest- die nicht über die gleichen Kontakte und Mittel verfügen? stellen, dass die „chains of translations“ nicht nur in einer Was bedeutet es wiederum für die Schweizer Bundesäm- festgelegten Abfolge von Experimenten zur realen Anwen- ter, einen weltweit beispiellosen Ansatz etabliert zu haben? dung stattfinden, sondern durchaus parallel ablaufen können, In den Interviews mit unseren staatlichen Gesprächspartnern und somit Experimente und Strategie nicht scharf voneinan- wurde stets betont, dass durchaus ein Interesse darin besteht, der abzutrennen sind. den Innovationsstandort Schweiz – und im Besonderen die Kantone Waadt und Wallis – zu erhalten, zu fördern und in- ternational konkurrenzfähig aufzustellen. Zukünftige Unter- suchungen sollten sich mit den dadurch entstehenden Macht- 5 Fazit fragen und eventuellen Ungleichheiten beschäftigen. Zweitens stellt sich ebenso die Frage nach der globalen Dieser Artikel hat mittels einer empirischen Fallstudie Dimension unseres Fallbeispiels und dem Innovationsstand- herausgearbeitet, wie die Sprühdrohnentechnologie in der ort Schweiz. Letzterer kann nur in einer globalisierten Welt Schweizer Landwirtschaft entwickelt, reguliert und einge- bestehen, wenn er auch global agiert und ausgerichtet ist. Der setzt wird. Der Artikel beschäftigt sich im Kern mit der Fra- globale Aspekt ist also von Bedeutung. Denn das Akteur- ge, anhand welcher Prozesse, in welchen Räumen und mit Netzwerk erstreckt sich nicht nur innerhalb der Schweiz, welchen AkteurInnen die neue Drohnentechnologie in die sondern geht weit darüber hinaus. Ein Teil der Sprühdrohne Landwirtschaft eingeführt wurde. Am Beispiel der Zusam- wird in China hergestellt und es bestehen enge Kontakte mit menarbeit zwischen dem Start-Up AgroDrone und verschie- den chinesischen Konstrukteuren und Softwarenentwicklern. dener öffentlicher Behörden haben wir in unserer Analy- Die „chain of translations“ und der Wissensaustausch, der se verdeutlicht, dass die Einführung der Drohnentechnolo- am Ende zum Funktionieren und der Etablierung der Droh- gie nur durch eine spezifisch sozio-technische Konfigurati- ne beiträgt, findet demnach auch auf globaler Ebene statt. on eines Akteur-Netzwerks möglich war. Das Netzwerk hat Hier schliessen ebenfalls spannende Fragen an, die sich mit einen erheblichen und innovativen Aufwand betrieben und der genauen Beschaffenheit dieses globalen Netzwerkes be- sich auch über konventionelle und schon etablierte Verfah- schäftigen und danach fragen, was dies für das Machtgefüge rensweisen hinweggesetzt, um neue und vereinfachte Lösun- innerhalb der Digitalisierung der Landwirtschaft bedeutet. gen zu finden. Drittens trägt der vorliegende Artikel zu einem besse- Ein weiterer Aspekt unserer Analyse beleuchtet, dass in- ren Verständnis bei, wie neue Drohnentechnologie in der nerhalb ganz spezifischer Räume des Experimentierens da- Landwirtschaft eingeführt und normalisiert wird. Nichtde- für gesorgt wurde, dass sich die Sprühdrohnentechnologie stotrotz geht es darum, die Dynamiken hinter diesen Norma- im Schweizer Weinanbau etabliert hat und fortlaufend ein- lisierungsprozessen zu entschlüsseln und sich verfestigende gesetzt werden kann. Wir haben drei verschiedene räumli- Machtstrukturen zu erkennen. Was sind die Absichten hinter che Dimensionen ausgemacht, welche für die Bewilligung der Etablierung neuer Technologien, was die Bedürfnisse der der Sprühdrohnentechnologie in der Schweiz relevant sind: NutzerInnen? Wie und mit welchen Mitteln soll die Land- (1) der institutionelle Raum, (2) der sozio-technische Raum wirtschaft zukünftig gestaltet werden? Und noch wichtiger, und (3) der strategische Raum. Innerhalb dieser Räume ha- wer hat welche Rolle in dieser Gestaltung? Die Digitalisie- ben wir anhand theoretischer Grundlagen der ANT analy- rung ist längst Teil der Landwirtshaft und bedarf einer kri- siert, wie sich die Entstehung, Weiterentwicklung und letz- tischen wissenschaftlichen Begleitung, um die Risiken und ten Endes die Regulierung der Sprühdrohnentechnologie Chancen von digitalen Technologien für den Sektor zu un- durch Wissenstransfers verschiedener ExpertInnen und den tersuchen. räumlich-materiellen Beziehungen der Technologie ergibt. Am Ende dieser Prozesse wurde die Sprühdrohne juristisch als eine Bodenapplikation eingestuft. Dies ermöglicht, dass https://doi.org/10.5194/gh-75-325-2020 Geogr. Helv., 75, 325–336, 2020
334 D. Pauschinger und F. Klauser: Die Einführung von Sprühdrohnen in der digitalen Landwirtschaft Datenverfügbarkeit. Die für diesen Artikel geführten Interviews Bongiovanni, R. and Lowenberg-Deboer, J.: Precision Agricul- können teilweise auf Anfrage beim Data & Service Center for the ture and Sustainability, Precis. Agricult., 5, 359–387, htt- Humanities DaSCH abgerufen werden. Nicht alle Interviews wur- ps://doi.org/10.1023/B:PRAG.0000040806.39604.aa, 2004. den für eine Aufbewahrung bei DaSCH von unseren Interviewpart- Bronson, K. and Knezevic, I.: Big Data in food and agri- nern freigegeben. culture, Big Data Soc., 3, 2053951716648174, htt- ps://doi.org/10.1177/2053951716648174, 2016. Bulkeley, H. and Castán Broto, V.: Government by experi- Autorenmitwirkung. DP und FK haben gemeinsam die Grundi- ment? Global cities and the governing of climate change, T. deen, Analysen und konzeptuellen Überlegungen des Artikels erar- Inst. Brit. Geogr., 38, 361–375, https://doi.org/10.1111/j.1475- beitet. Die Hauptverantwortung für die Verfassung des Artikels lag 5661.2012.00535.x, 2013. bei DP. Callon, M. and Law, J.: L’irruption des non-humains dans les sciences humaines: quelques leçons tirées de la sociologie des sciences et des techniques, in: Les limites de la rationalité. To- Interessenkonflikt. Die Autoren erklären, dass kein Interessen- me 2: Les Figures du Collectif, edited by: Reynaud, B., La Dé- konflikt besteht. couverte, Paris, 99–118, 1997. Carolan, M.: The politics of big data: Corporate agri-food gover- nance meets „weak“ resistence, in: Agri-Environmental Gover- nance as Assemblage: Multiplicity, Power, and Transformation, Danksagung. Die Autoren bedanken sich herzlich bei den Her- edited by: Forney, J., Rosin, C., and Campbell, H., Routledge, ausgeberInnen von Geographica Helvetica und zwei anonymen Be- London, 195–212, 2018a. gutacherInnen für die sehr hilfreichen Kommentare und Anregun- Carolan, M.: Big data and food retail: Nudging out citizens by gen. Dank geht auch an Laura Peer, die uns mit ihren exzellenten creating dependent consumers, Geoforum, 90, 142–150, htt- Korrekturen und der redaktionellen Arbeit sehr weitergeholfen hat. ps://doi.org/10.1016/j.geoforum.2018.02.006, 2018b. Die Autoren bedanken sich ausdrücklich bei den TeilnehmerInnen Carolan, M.: ,Smart‘ Farming Techniques as Political Ontology: des Workshops „Smart Farming: Between Traceability and Auto- Access, Sovereignty and the Performance of Neoliberal and mation“ im September 2019 in Neuchâtel. Die anregenden Kom- Not-So-Neoliberal Worlds, Sociolog. Rural., 58, 745–764, htt- mentare und Diskussionen zum Thema des Artikels waren ausge- ps://doi.org/10.1111/soru.12202, 2018c. sprochen hilfreich. Ausdrücklicher Dank geht an die TeilnehmerIn- Czempiel, E. O.: Governance and democratization, in: Governance nen der Interviews und insbesondere an das Drohnen-Team vom without Government: Order and Change in World Politics, edited Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL), an Aero41 und AgroFly. by: Rosenau, J. N. and Czempiel, E. O., Cambridge University Press, Cambridge, 250–271, 1992. Dodge, M.: Rural, in: Digital Geographies, edited by: Ash, J., Kit- Finanzierung. This research has been supported by the SNF chin, R., and Leszczynski, A., SAGE, London, 36–48,2018. (grant nos. 100017_162462 and FN 10DL1A_183037). Dürr, L., Kaufmann, R., and Meier, W.: Präzisionslandwirtschaft in Pflanzenbau und Tierhaltung, Agrarforschung, 12, 484–485, 2005. Begutachtung. This paper was edited by Nadine Marquardt and Evans, J. 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