Messung des tt -Wirkungsquerschnitts bei hohen - invarianten Masse am LHC
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Messung des tt -Wirkungsquerschnitts bei hohen invarianten Masse am LHC (Measurement of the tt cross section at high invariant masses at the LHC) von Marc Stöver geboren am 25.05.1989 Master-Arbeit im Studiengang Physik Universität Hamburg 2014 1. Gutachter: Prof. Dr. Johannes Haller 2. Gutachter: Prof. Dr. Peter Schleper
Zusammenfassung In dieser Masterarbeit wird die Messung des dierentiellen Wirkungsquerschnitts von Top-Quark-Paaren als Funktion der invarianten Masse präsentiert. Es wird dazu der vollständige Datensatz von Proton-Proton-Kollisionen bei einer Schwerpunktsenergie von 8 TeV und einer integrierten Luminosität von 19,7 fb−1 ausgewertet, welcher im Jahr 2012 mit dem CMS-Detektor aufgenommen wurde. Für die Analyse werden tt-Ereignisse im Lepton+Jets-Zerfallskanal selektiert. Die Se- lektion lässt eine Messung bis zu einer invarianten Masse von 2,5 TeV zu. Die Messung wird mit Hilfe einer regularisierten Entfaltungsmethode durchgeführt, durch die das rekonstruierte Spektrum von Detektoreekten wie Selektionsezienzen und Migratio- nen korrigiert wird. Das Ergebnis wird zum einen mit Standardmodell-Vorhersagen aus Monte-Carlo- Ereignisgeneratoren und zum anderen mit der bereits bis 1,6 TeV durchgeführten Mes- sung der CMS-Top-Gruppe verglichen. In beiden Fällen ist eine gute Übereinstimmung zu erkennen.
Abstract In this thesis the measurement of the dierential cross section of top quark pairs at the LHC is presented as a function of the invariant mass. The full LHC dataset of proton- proton collisions with a center of mass energy of 8 TeV and an integrated luminosity of 19.7 fb−1 , recorded by the CMS experiment in the year 2012, is used. For the analysis, tt events are selected in the lepton+jets decay channel. The selection allows to measure the cross section up to an invariant mass of the tt system of 2.5 TeV. The reconstructed spectrum is corrected for detector eects using a regularised unfol- ding method. The result is compared to standard model predictions from Monte-Carlo event gene- rators and to the result of the CMS-Top-Group, which reaches 1.6 TeV. In both cases a good agreement is observed.
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 9 2 Theoretische Grundlagen 11 2.1 Das Standardmodell der Teilchenphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1.1 Teilchen und Wechselwirkungen im Standardmodell . . . . . . . . . 11 2.1.2 Elektroschwache Symmetriebrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.2 Physik des Top-Quarks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.2.1 Top-Quark-Produktion am LHC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.2.2 Masse und Zerfall des Top-Quarks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.2.3 Das Top-Quark in Modellen jenseits des SM . . . . . . . . . . . . . 20 2.2.4 Bisherige Messungen des tt-Produktions-Wirkungsquerschnitts . . . 21 3 Experimenteller Aufbau 23 3.1 Der Large Hadron Collider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.2 Das CMS-Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.2.1 Spurdetektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.2.2 Elektromagnetisches Kalorimeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.2.3 Hadronisches Kalorimeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3.2.4 Myon-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.2.5 Trigger und Datenerfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 4 Rekonstruktion von Objekten und Ereignisselektion 31 4.1 Rekonstruktion von Teilchen und Jets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4.1.1 Particle-Flow-Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4.1.2 Myonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4.1.3 Elektronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.1.4 Jets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.1.5 Identikation von b-Jets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4.1.6 6E T und HT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4.1.7 Geboostete Top-Quarks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4.2 Datensatz und Ereignisselektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4.3 Kontrollverteilungen nach naler Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 5 Wirkungsquerschnittsmessung und Entfaltung 47 5.1 Bin-by-BinKorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5.2 Migrationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 5.3 Regularisierte Entfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 6 Systematische Unsicherheiten 61 7 Ergebnisse 67 8 Zusammenfassung und Ausblick 73
A Dierentieller Wirkungsquerschnitt in den verschiedenen Kanälen 77 B Modellabhängigkeit der Migrationsmatrix 81
1 Einleitung Die Teilchenphysik beschäftigt sich mit der Untersuchung der Bestandteile, aus denen wir und unser Universum geschaen sind. Genauer gesagt widmet sich die Teilchenphysik der Identikation und dem Studium der Elementarteilchen sowie deren Eigenschaften und Wechselwirkungen. Mit Elementarteilchen sind die Teilchen gemeint, die nach heutiger Auassung nicht weiter teilbar sind. Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt unser heutiges Verständnis der Elementarteilchen und derer Wechselwirkungen. Da viele seiner Voraussagen in den letzten Jahrzehnten experimentell bestätigt werden konnten, gilt das Standardmodell als eine äuÿerst erfolgreiche Theorie. Dennoch ist das Standard- modell in seiner jetzigen Form nicht vollständig, so ist beispielsweise die Gravitation nicht beinhaltet. Der weltweit gröÿte Teilchenbeschleuniger, der Large Hadron Collier (LHC), soll der Beantwortung fundamentaler Fragen zu den Grundkräften der Natur dienen. Nach einer Bauzeit von 10 Jahren konnten im November 2009 die ersten Proton-Proton-Kollisionen am LHC beobachtet werden. Der LHC ermöglicht aktuell ein Studium von Proton-Proton- Kollisionen bei einer Schwerpunktsenergie von 8 TeV. Voraussichtlich 2015 wird die Schwer- punktsenergie nach einer Umrüstungsphase 14 TeV betragen. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht das Top-Quark. Mit einer Masse von ungefähr 173 GeV ist es bislang das schwerste bekannte Teilchen. Es wurde 1995 am Tevatron entdeckt. Aufgrund seiner groÿen Masse stellt das Top-Quark eine besondere Rolle im SM dar. Beispielweise zerfällt das Top-Quark, im Gegensatz zu den leichteren Quarks, noch bevor es zu einem gebundenen Zustand hadronisieren kann. Auch im Hinblick auf die Suche nach neuer Physik ist das Top-Quark von groÿer Bedeutung, da in vielen Modellen neue schwere Eichbosonen vorzugsweise in Top-Quarks zerfallen. Bereits 2011 wurden 800 000 Top-Quark-Paare am LHC produziert, im Jahr 2012 waren es 5 Millionen. Der LHC, der aufgrund dieser Zahlen als Top-Fabrik bezeichnet wird, er- möglicht deshalb Präzisionsmessungen sowie die Vermessung der Eigenschaften des Top- Quarks mit einer bislang nicht erreichbaren Genauigkeit. Eine mögliche intrinsische Struktur des Top-Quarks wird durch seinen Radius und mag- netisches Dipolmoment charakterisiert. Mit Hilfe von Wirkungsquerschnitts-Messungen können Ausschlussgrenzen für diese Parameter bestimmt werden. Ferner ist die Messung des dierentiellen Wirkungsquerschnitts sensitiv auf die Parameter der Quantenchromo- dynamik (QCD), wie z.B. die Parton-Dichte-Funktion oder die starke Kopplungskonstan- te. Darüber hinaus ändern höhere QCD-Ordnungen die Rate und Form der Verteilungen des dierentiellen Wirkungsquerschnitts. Am CMS-Experiment wurde der normierte dierentielle Wirkungsquerschnitt bei einer −1 Schwerpunktsenergie von 8 TeV und einer integrierten Luminosität von 12,1 fb für ver- schiedene kinematische Variablen des tt-Systems gemessen.
10 1 Einleitung In dieser Arbeit wird die Messung des dierentiellen Wirkungsquerschnitts als Funktion −1 der invarianten Masse präsentiert. Dazu wird der vollständige Datensatz von 19,7 fb verwendet, der im Jahr 2012 bei einer Schwerpunktsenergie von 8 TeV mit dem CMS- Experiment aufgenommen wurde. Für die Messung wird eine regularisierte Entfaltungsme- thode verwendet. Im Gegensatz zu vorherigen Messungen wird der dierentielle Wirkungs- querschnitt für sehr hohe Massen bis zu 2,5 TeV vermessen. Nach einer Einführung in das Standardmodell der Teilchenphysik mit Schwerpunkt auf das Top-Quark in Kapitel 2 wird in Kapitel 3 der LHC und das CMS-Experiment vorgestellt. In Kapitel 4 geht es im die Methoden, die zur Teilchenrekonstruktion- und Identikation benutzt werden. In Kapitel 5 wird die Methode der regularisierten Entfaltung eingeführt. Anschlieÿend werden die Ergebnisse der Messung diskutiert. Dazu werden in Kapitel 6 die systematischen Unsicherheiten und in Kapitel 7 die Resultate präsentiert. Abschlieÿend enthält Kapitel 8 eine Zusammenfassung und einen Ausblick.
2 Theoretische Grundlagen In diesem Kapitel geht es um den theoretischen Hintergrund, der für diese Analyse rele- vant ist. Dazu wird das Standardmodell (SM) der Teilchenphysik, das die fundamentalen Bestandteile und Wechselwirkungen der Natur beschreibt, in Kapitel 2.1 vorgestellt. Eine detaillierte Einführung kann [1, 2] entnommen werden. Das Top-Quark spielt in dieser Analyse eine besondere Rolle. Es wird deshalb gesondert in Kapitel 2.2 eingeführt und diskutiert. 2.1 Das Standardmodell der Teilchenphysik Das SM beschreibt mit Hilfe einer Quantenfeldtheorie den Aufbau der Materie und derer 1 Wechselwirkungen. Mathematisch können alle seine Vorhersagen aus der Lagrange-Dichte abgeleitet werden. Die Theorie des SM ist deshalb so attraktiv, weil die Beschreibung der Wechselwirkungen auf Symmetrien beruht, was auf die Forderung zurückzuführen ist, dass die Lagrange-Dichte invariant unter lokalen Eichtransformationen sein soll. Die zugrunde liegende Eichsymmetriegruppe des SM ist das direkte Produkt SU (3)C ×SU (2)L ×U (1)Y . Aus experimenteller Sicht ist das SM sehr erfolgreich. So konnten zahlreiche Messungen in der Teilchenphysik durch das SM vorhergesagt und beschrieben werden. Dennoch kann das SM in seiner jetzigen Form nicht alle Beobachtungen abdecken. So ist z.B. die Gra- vitation nicht im SM implementiert. Des Weiteren gibt es Hinweise auf dunkle Materie und dunkle Energie, die bislang weder durch ein Experiment direkt beobachtet werden konnten noch durch das SM vorhergesagt sind. Die folgenden Unterkapitel geben einen Überblick über die Teilchen und Wechselwirkun- gen des SM. 2.1.1 Teilchen und Wechselwirkungen im Standardmodell Anhand des Spins unterscheidet man zwischen Fermionen und Bosonen. Während Fermio- 1 nen als Spin- -Teilchen die Bestandteile der Materie sind, stellen Bosonen die Austausch- 2 teilchen der Wechselwirkungen dar und haben ganzzahligen Spin. Eine Auistung der Fermionen und Bosonen ist in Tabelle 2.1 bzw. 2.2 zu nden. Fermionen werden in Leptonen und Quarks unterteilt. Innerhalb der Leptonen wird zwi- schen ungeladenen Neutrinos und geladenen Leptonen unterschieden, wohingegen Quarks 2 1 eine elektrische Ladung von + (up-artige Quarks) bzw. − (down-artige Quarks) be- 3 3 sitzen. Anhand ihrer aufsteigenden Masse sind Fermionen in drei Generationen unterteilt. Die Eichbosonen, zu denen W ±, Z 0, das Photon γ und die Gluonen g gehören, sind die Vermittler der Wechselwirkungen und tragen Spin 1. 1 Die Lagrange-Dichte dient der Beschreibung von Feldern durch Bewegungsgleichungen.
12 2 Theoretische Grundlagen Generationen 1. 2. 3. Neutral (Q = 0) νe νµ ντ Leptonen Masse
2.2 Physik des Top-Quarks 13 Eichboson Masse [GeV] Wechselwirkung Materieteilchen 8 Gluonen 0 stark Quarks mW = 80, 4 schwach, W ±- und Z 0 -Bosonen Quarks, Leptonen mZ = 91, 2 elektromagnetisch Photon 0 elektromagnetisch Quarks, geladene Leptonen Tabelle 2.2: Die Eichbosonen des SM mit ihren Massen, Wechselwirkungen und Materie- teilchen, an denen sie koppeln. Die Masse des Gluons ist indes ein theore- tischer Wert. tragen lediglich Quarks Farbladung. Darüber hinaus trägt das Gluon selbst Farbladung mit sich, sodass eine Selbstwechselwirkung unter Gluonen möglich ist. 2.1.2 Elektroschwache Symmetriebrechung Das Prinzip der Eichinvarianz, auf dem das SM basiert, verbietet Massenterme in der Lagrange-Dichte sowohl für Eichbosonen als auch für linkshändige Fermionen der elek- troschwachen Wechselwirkung. Es konnte jedoch experimentell nachgewiesen werden, dass ± 0 die Fermionen eine Masse besitzen und darüber hinaus die W - und Z -Bosonen sehr mas- siv sind (vgl. Tab. 2.1 und Tab. 2.2). Um das SM, inklusive der elektroschwachen Eichsymmetrie, aufrecht zu erhalten wurde deshalb der Higgs-Mechanismus [46] eingeführt, welcher ein zweikomponentiges kom- plexes Feld einführt und des Weiteren das Potential der Lagrange-Dichte neu postuliert. Während die Lagrange-Dichte invariant unter elektroschwachen Symmetrien bleibt, trit diese Eigenschaft nicht auf das Mininum des Potentials (Vakuum-Zustand ) zu. Man spricht von spontaner Brechung der elektroschwachen Symmetrie. Mit entsprechender Wahl des ± 0 Minimums werden die Massen der W - und Z -Bosonen konstruiert, während das Photon masselos bleibt. Der Higgs-Mechanismus führt mit dem massiven Higgs-Boson ein weiteres Teilchen im SM ein. Das Higgs-Boson ist neutral geladen, ein Spin-0-Teilchen und koppelt an Fermion- ± 0 Antifermion-Paaren, W - und Z -Bosonen und darüber hinaus an sich selbst. Im Juli 2012 wurde die Entdeckung eines Higgs-artigen Bosons beim ATLAS- und CMS- Experiment mit einer Masse von 126,0±0,6 GeV [7] bzw. 125,3±0,6 GeV [8] veröentlicht. Bislang deuten alle Messungen darauf hin, dass es sich um das SM Higgs-Boson handelt. Es werden aktuell Eigenschaften, wie z.B. Spin oder Kopplungen des Higgs-Bosons über- prüft, um zu validieren, ob es sich tatsächlich um das SM Higgs-Boson handelt oder ob es Diskrepanzen gibt, die auf neue Physik jenseits des SM hindeuten. 2.2 Physik des Top-Quarks Seit seiner Entdeckung durch das CDF [9]- und D0 [10]-Experiment am Proton-Antiproton- Beschleuniger Tevatron im Jahr 1995, spielt das Top-Quark eine bedeutende Rolle in der Teilchenphysik. Das liegt insbesondere daran, dass es mit einer Masse von mt = 173, 34 ± 0, 76 GeV [11] das Schwerste aller Quarks ist.
14 2 Theoretische Grundlagen Abbildung 2.1: Parton-Dichte-Funktionen (PDFs) des Protons als Funktion des Impuls- 2 2 bruchteils x. Für einen Viererimpulsübertrag von Q = 10000 GeV sind die PDFs der Valenzquarks (uv , dv ), Seequarks (S) und Gluonen (g) abge- bildet [14]. √ Während am Tevatron Top-Quarks bei einer Schwerpunktsenergie von s = 1, 96 TeV 3 erzeugt wurden, ist seit 2010 eine Produktion bei 7 TeV bzw. 8 TeV durch den Large Hadron Collider (LHC) möglich. Bereits 2011 wurden 800 000 Top-Quark-Paare am LHC erzeugt, was die Möglichkeit oenbart, die Eigenschaften des Top-Quarks sehr präzise zu untersuchen. Darüber hinaus ermöglicht es zahlreiche Suchen nach neuer Physik, bei der Top-Quarks umfangreich involviert sind. Im Folgenden geht es um die Erzeugung von Top-Quark-Paaren sowie um den Zerfall des Top-Quarks vorrangig unter den Voraussetzungen des LHC und darüber hinaus um das Top-Quark jenseits des SM. Ein umfangreicher Überblick zur Physik des Top-Quarks kann in [12, 13] gefunden werden. 2.2.1 Top-Quark-Produktion am LHC Die Produktion von Top-Quark-Paaren im SM wird hauptsächlich über die starke Wechsel- wirkung vermittelt. Der Wirkungsquerschnitt des Prozesses pp → tt, welcher von der Masse mt des Top-Quarks und der Schwerpunktsenergie abhängt, kann mit Hilfe der Störungstheorie der QCD berechnet werden. Als Formel ausgedrückt ist der Wirkungs- 4 querschnitt die Faltung der Parton -Verteilungs-Funktion (PDF) mit dem partonischen 3 Bei √ der Entdeckung des Top-Quarks entsprach die Schwerpunktsenergie am Tevatron s = 1, 8 TeV. Erst 2001 wurde die Schwerpunktsenergie auf 1,96 TeV erhöht. 4 Partonen bezeichnen zusammenfassend Quarks und Gluonen.
2.2 Physik des Top-Quarks 15 q t g t g g q t g t qq-Annihilation im s-Kanal gg-Fusion im s-Kanal g t g t g t g t gg-Fusion im t-Kanal gg-Fusion im u-Kanal g t g t g g g t g t gg-Fusion im s-Kanal mit ISR gg-Fusion im s-Kanal mit g-Schleife Abbildung 2.2: Feynman-Diagramme zur tt-Produktion in verschiedenen Kanälen. In den ersten beiden Reihen wird die tt-Produktion in führender Ordnung gezeigt. In der dritten Reihe ist, aufgrund der ISR bzw. g -Schleife, die tt-Produktion in der nächst-führenden Ordnung zu sehen. Wirkungsquerschnitt σ̂ : X Z 1 σpp = dxi dxj fi (xi , µ2f )fj (xj , µ2f )σ̂ij→tt (ŝ, mt , µf , µr , αs ). (2.2) i,j=q,q,g 0 Die Summe läuft über alle Quarks und Gluonen, das Integral über alle Impulsbruchteile xi des Protons. Die PDFs fi (xi , µ2f ) geben die Wahrscheinlichkeitsdichte an, mit der ein Parton i mit longitudinalen Impulsbruchteil xi im Proton gefunden werden kann (s. Ab- bildung 2.1). Die PDFs wurden dabei sowohl über tienelastische Streuung (vornehmlich am Experiment HERA [15]), Fixed-Target-Experimenten [16], als auch durch Neutrino- Nukleon-Streuung [17] experimentell gemessen. Die Parameter µr,f sind Skalen zur Fak- torisierung und Renormierung und deshalb frei wählbar, weil sie keine fundamentalen Parameter des SM sind. Mit ŝ = x1 x2 s ist die quadrierte Schwerpunktsenergie der Parto- nen gekennzeichnet, αs ist die Kopplungskonstante der starken Wechselwirkung. Top-Quark-Paare können sowohl in Quark-Antiquark-Annihilationen als auch in Gluon- Gluon-Fusionen produziert werden. Abbildung 2.2 veranschaulicht diese Prozesse. Zur
16 2 Theoretische Grundlagen Erzeugung eines tt-Paares muss die Schwerpunktsenergie der wechselwirkenden Parto- nen ŝ mindestens der doppelten Top-Quark-Masse (≈350 GeV) entsprechen. Aus diesem Grund müssen Partonen, unter der Annahme von x1 = x2 , den Impulsbruchteil 350 GeV 350 GeV x1,2 ≥ ≈ 0, 2 (Tevatron), x1,2 ≥ ≈ 0, 04 (LHC) (2.3) 1, 96 TeV 8 TeV besitzen, um tt-Paare erzeugen zu können. Abbildung 2.1 ist zu entnehmen, dass die Valenzquarks bei einem Impulsbruchteil von 0,02 in den PDFs dominant sind. Deshalb überwiegt die Quark-Antiquark-Annihilation zur tt-Paar-Produktion am Tevatron zu ei- nem Anteil von ungefähr 85 %. Am LHC liegt ein ähnlicher Anteil zugunsten der Gluon- Gluon-Fusion vor. Die dortige Schwerpunktsenergie von 8 TeV erlaubt zur tt-Produktion kleinere Impulsbruchteile, bei denen die Gluondichten steil ansteigen. Die Berechnung von Wirkungsquerschnitten in der Störungstheorie wird mit steigender next-to-next-to- Ordnung des Prozesses präziser. Inzwischen existieren Berechnungen in leading-order (NNLO) für den inklusiven tt-Wirkungsquerschnitt [1820]. Während in next-to-leading-order (NLO) maximal ein Parton oder eine Schleife emittiert wird (s. 5 Abbildung 2.2 unten), beinhalten NNLO insgesamt zwei Abstrahlungen oder Schleifen im Anfangs- bzw. Endzustand. √ Am LHC wird bei einer Schwerpunktsenergie s = 8 TeV ein inklusiver tt-Wirkungs- +24 +9 querschnitt von 229−26 pb in NLO [21] und 246−11 pb in NNLO vorhergesagt [20]. In Abbildung 2.3 ist der tt-Produktionswirkungsquerschnitt in genäherter NNLO-Präzision √ eingezeichnet. Die Messwerte bei √ √ s = 1, 96 TeV mit dem D0- und CDF-Experiment sowie bei s = 7 TeV und s = 8 TeV mit dem CMS-Experiment stimmen gut mit der Vorhersage überein. Zusätzlich zu der tt-Produktion können über die schwache Wechselwirkung einzelne Top- Quarks erzeugt werden. Die Produktionskanäle in niedrigster Ordnung sind Abbildung 2.4 zu entnehmen. Der t-Kanal, bei dem das Top-Quark über die Fusion eines W -Bosons und eines b-Quarks erzeugt wird, ist dabei der dominante Prozess. Der inklusive Wirkungsquer- schnitt des t-Kanals beträgt 87,2 pb am LHC bei einer Schwerpunktsenergie von 8 TeV. Da u-Quarks die dominanten Valenzquarks in den PDFs bei pp-Beschleunigern sind, ist die Top-Quark-Produktion im t-Kanal ladungsasymmetrisch. Es hat des Weiteren zur Folge, dass die Produktion von Top-Quarks (56,4 pb) der Produktion von Antitop-Quarks (30,7 pb) mit einem Verhältnis von ungefähr 2:1 überwiegt. Im s-Kanal liegt mit dem Zer- fall in ein Top und ein Antibottom (3,79 pb) und deren Antiteilchen (1,76 pb) der analoge Sachverhalt vor. Die assoziierte Produktion (tW -Kanal) einzelner Top-Quarks ist ladungssymmetrisch, weil im Anfangszustand ein Gluon und ein (Anti)b-Quark enthalten ist. Für beide Zustände beträgt der vorhergesagte Wirkungsquerschnitt 11,1 pb [22]. 2.2.2 Masse und Zerfall des Top-Quarks Die Polmasse des Top-Quarks ist ein fundamentaler Parameter des SM. Direkte Messun- gen am Tevatron ergeben einen Wert von mt = 173, 2 ± 0, 9 GeV [24]. Mit einer Unsicher- heit von 0,5 % ist die Top-Quark-Masse damit sehr präzise vermessen. 5 Die Abstrahlung eines Teilchens im Anfangszustand nennt man Initial State Radiation. Die Ab- strahlung eines Teilchens im Endzustand wird entsprechend als Final State Radiation bezeichnet.
2.2 Physik des Top-Quarks 17 Inclusive tt cross section [pb] -1 Tevatron combination* L = 8.8 fb ATLAS dilepton L = 0.7 fb -1 ATLAS+CMS Preliminary Feb 2014 -1 CMS dilepton L = 2.3 fb ATLAS lepton+jets* L = 0.7 fb -1 TOPLHCWG -1 CMS lepton+jets L = 2.3 fb -1 TOPLHCWG combination* L = 1.1 fb -1 ATLAS dilepton* L = 20.3 fb 102 CMS dilepton L = 5.3 fb -1 -1 ATLAS lepton+jets* L = 5.8 fb -1 CMS lepton+jets* L = 2.8 fb * Preliminary 250 200 10 NNLO+NNLL (pp) 150 NNLO+NNLL (pp) 7 8 Czakon, Fiedler, Mitov, PRL 110 (2013) 252004 mtop = 172.5 GeV, PDF ⊕ α S uncertainties according to PDF4LHC 1 2 3 4 5 6 7 8 9 s [TeV] Abbildung 2.3: Der tt-Produktionswirkungsquerschnitt in Abhängigkeit der Schwer- √ punktsenergie. Eingezeichnet sind die Messungen am Tevatron bei s= 1, 96 TeV, sowie die Messungen des CMS- und ATLAS-Experiments am LHC bei 7 TeV und 8 TeV in verschiedenen Zerfallskanälen [23]. Das Top-Quark kann im SM ausschlieÿlich in ein down-artiges Quark und ein W -Boson zerfallen. Die jeweilige Zerfallsrate ist proportional zum Quadrat der Elemente der CKM- 2 Matrix |Vtq | (q = d, s, b), sodass der Zerfall in ein W-Boson und ein b-Quark mit ca. 99,9% dominiert (vgl. Gleichung (2.1)). Die totale Zerfallsbreite Γt des Top-Quarks im SM ist gegeben durch [25] 2 Gf m3t m2W m2W 2αs 2π 2 5 2 Γt = √ |Vtb | 1 − 2 1+2 2 1− − = 1, 33 GeV, (2.4) 8π 2 mt mt 3π 3 2 wobei Gf die Fermikonstante und mW die Masse des W -Bosons ist. 1 Die groÿe Zerfallsbreite des Top-Quarks hat eine sehr kurze Lebensdauer von τt = Γt ≈ −25 5 · 10 s zur Folge. Die Zeitskala, die Quarks zur Hadronisierung benötigen, liegt in der −24 Gröÿenordnung τhad ∼ 10 s. Top-Quarks zerfallen demzufolge bevor sie hadronisieren können, sodass keine gebundenen tt-Zustände (Toponium ) existieren. Entsprechend des Zerfalls eines Top-Quarks hat der Zerfall eines tt-Paares, tt → bbW + W − , zwei W-Bosonen und b-Quarks im Endzustand. Die W-Bosonen zerfallen anschlieÿend entweder in ein geladenes Lepton und das zugehörige Neutrino oder in ein qq -Paar. Der Zerfall in Quark-Paare, die Top-Quarks enthalten, ist aus kinematschen Gründen ver- boten, da die Masse des Top-Quarks die Masse des W-Bosons übersteigt. Der Zerfall des W-Bosons lässt somit drei Zerfallskanäle für den tt-Zerfall zu, die in Abbildung 2.5 dargestellt sind. Die Verzweigungsverhältnisse der tt-Zerfallskanäle sind in Tabelle 2.3 zu nden.
18 2 Theoretische Grundlagen q t b W− q′ b g t s-Kanal Assoziierte tW -Produktion im s-Kanal q q′ b W− b t g t t-Kanal Assoziierte tW -Produktion im t-Kanal Abbildung 2.4: Feynman-Diagramme zur Produktion einzelner Top-Quarks in führender Ordnung. Voll hadronischer Kanal Die gröÿte Zerfallsrate mit 45,7 % liegt vor, wenn beide W -Bosonen hadronisch zerfallen: tt → bbW + W − → bbqq 0 q 00 q 000 Neben der groÿen Zerfallsrate hat dieser Kanal den Vorteil, dass alle Teilchen im End- zustand (zumindest prinzipiell) gemessen werden können. Dem entgegen steht ein sehr groÿer hadronischer Untergrund, der die Rekonstruktion von Quarks zum entsprechenden tt-Ereignis erschwert. Semileptonischer Kanal Die zweitgröÿte Rate (43,8 %) für einen Endzustand liegt vor, wenn eines der W -Bosonen hadronisch und das andere leptonisch zerfällt: tt → bbW + W − → bbqq 0 lν l
2.2 Physik des Top-Quarks 19 a) b) c) b b b q q l g t W+ q q νl g q′ l l′ − t W g q′ νl ν l′ b b b Abbildung 2.5: Feynman-Diagramm zur tt-Produktion in führender Ordnung durch gg - Fusion. Gezeigt ist auÿerdem der weitere Zerfall im voll hadronischen (a)), semileptonischen (b)) und dileptonischen (c)) Kanal. In der Praxis wird der semileptonische Kanal auf ein Elektron oder Myon im Endzu- stand beschränkt, weil das τ -Lepton weiter in Neutrinos und Hadronen bzw. Myonen 6 und Elektronen zerfällt, ehe es detektiert werden kann . Die Zerfallsrate für diesen Kanal reduziert sich damit auf 29,8 %. Dessen ungeachtet vereint der semileptonische Zerfalls- kanal die Vorteile einer groÿen Zerfallsrate und eines überschaubaren Untergrundes. Die Hauptuntergrundquellen sind W- und Z-Bosonen in Verbindung mit Jets (sogenannte W- bzw. Z-Jets ), einzelne Top-Quarks sowie QCD-Ereignisse. Des Weiteren wird die Rekon- struktion eines tt-Ereignisses dadurch erschwert, dass das Neutrino nicht detektiert wird. Die Mithilfe kinematischer Bedingungen bzw. sogenannter kinematischer Fits ist für die Rekonstruktion des tt-Ereignisses unabdinglich. Für die hier vorgestellte Analyse werden die semileptonischen tt-Zerfallskanäle mit einem Myon (Myon+ Jets-Kanal) bzw. einem Elektron (Elektron+Jets-Kanal) im Endzustand betrachtet und miteinander kombiniert. Dileptonischer Kanal Der dileptonische Zerfallskanal hat mit 10,5 % die kleinste Zerfallsrate. Beide W -Bosonen zerfallen leptonisch, sodass zwei verschieden geladene Leptonen sowie zwei Neutrinos im Endzustand vorliegen: 0 tt → bbW + W − → lν l l νl0 Da die geladenen Leptonen verhältnismäÿig leicht vom Untergrund unterschieden werden können, hat der dileptonische Zerfallskanal die reinste Signatur. Aufgrund der fehlenden Energie der beiden Neutrinos jedoch, kann die Struktur des tt-Ereignisses nur sehr schwer 6 Prozesse, bei denen das τ -Lepton in ein Myon oder Elektron zerfällt werden jedoch mit berücksichtigt.
20 2 Theoretische Grundlagen rekonstruiert werden. Des Weiteren besteht die bereits für den semileptonischen Zerfalls- kanal beschriebene Problematik, dass es sich bei einem geladenen Lepton oder beiden geladenen Leptonen um ein τ -Lepton bzw. zwei τ -Leptonen handelt. Schlieÿt man τ- Leptonen im Endzustand aus, reduziert sich die Zerfallsrate auf 4,6 %. Kanal Rate [%] Kanal Rate [%] Dileptonisch 10,50 ± 0,12 ee ± 0,02 1,16 µµ ± 0,02 1,12 ττ 1,27 ± 0,03 eµ 2,27 ± 0,04 eτ 2,42 ± 0,05 µτ 2,38 ± 0,05 Semileptonisch 43,80 ± 0,40 e+Hadronen 14,53 ± 0,19 µ+Hadronen 14,29 ± 0,21 τ +Hadronen 15,21 ± 0,28 Voll hadronisch 45,70 ± 0,26 Tabelle 2.3: tt-Zerfallskanäle und ihre Verzweigungsverhältnisse nach dem Zerfall der bei- den W-Bosonen [3]. 2.2.3 Das Top-Quark in Modellen jenseits des SM Trotz der Erfolge des SM sind noch einige Fragen ungeklärt, wie in Kapitel 2.1 bereits erwähnt. Um die oenen Fragestellungen und Probleme zu lösen, wurden zahlreiche Theo- rien neuer Physik jenseits des SM eingeführt. Viele mögliche Szenarien binden dabei Top- Quarks ein, da sich die Masse des Top-Quarks nah an der Skala der elektroschwachen Symmetriebrechung bendet. Einige Theorien gehen deshalb davon aus, dass das Top- Quark für die elektroschwache Symmetriebrechung verantwortlich ist. So z.B. das Topco- lor -Modell [26]. In diesem Modell ist die Skala der elektroschwachen Symmetriebrechung ein dynamischer Mechanismus des SM, der ein Top-Quark-Kondensat htti mit einbezieht und den Higgs-Mechanismus ersetzt. Dieses Modell hat jedoch ein Feinabstimmungsprob- lem und kann die groÿe Massendierenz zwischen Top- und Bottom-Quark nicht erklä- ren [27]. Im Topcolor-assisted-technicolor -Modell [2729] ist die Masse des Top-Quarks eine Kom- bination aus kleinen fundamentalen Komponenten, die von einem erweiterten Technicolor- Mechanismus generiert werden, und einer groÿen dynamischen Massenkomponente, gene- riert aus der Topcolor-Dynamik. Aufgrund der Technicolor-Kompenente wird eine kleinere Top-Masse, verglichen zum reinen Topcolor-Modell, vorhergesagt. Viele Theorien sagen neue schwere Resonanzen, z.B. in der invarianten tt-Massenverteilung, vorher. Das soeben vorgestellte Topcolor-assisted-technicolor -Modell beinhaltet ein lepto- 0 phobisches Z -Boson, das vorwiegend in tt-Paare zerfällt. Weitere Beispiele zur Verur- sachung schwerer Resonanzen sind Axigluonen [30] sowie Kaluza-Klein-Gluonen aus Ex- tradimensionsmodellen, wie etwa das Randall-Sundrum-Modell [31]. Darüber hinaus gibt es supersymmetrische Erweiterungen des SM [32,33], wie zum Beispiel das minimale supersymmetrische Standardmodell (MSSM) [34], das fünf Higgs-Bosonen vorhersagt, die in tt-Paare zerfallen können. Umgekehrt gibt es supersymmetrische Mo- delle, die ein geladenes Higgs Boson vorhersagen, in welches das Top-Quark anstelle des
2.2 Physik des Top-Quarks 21 W -Bosons zerfällt. Schlussfolgernd kann sich neue Physik jenseits des SM sowohl in der Produktion als auch im Zerfall des Top-Quarks oenbaren. 2.2.4 Bisherige Messungen des tt-Produktions-Wirkungsquerschnitts In dieser Analyse soll der tt-Produktions-Wirkungsquerschnitt für die invariante Masse gemessen werden. Noch vor der Zeit des LHC wurden dierentielle Wirkungsquerschnitts- messungen als Funktion der invarianten Masse des tt-Systems und des transversalen Im- pulses des Top-Quarks durchgeführt [3537]. Nach Inbetriebnahme des LHC wurden bereits 2010 erste dierentielle Wirkungsquer- schnittsmessungen als Funktion des Transversalimpulses und der Pseudorapidität η pT −1 des Myons mit dem CMS-Experiment bei einer integrierten Luminosität von 3 bis 36 pb vorgenommen [38, 39]. Zwei Jahre später lässt die hohe Statistik an produzierten Top- Quarks eine erheblich präzisere Messung zu. Abbildung 2.6 zeigt die aktuelle Messung des dierentiellen tt-Wirkungsquerschnitts mit dem CMS [40]- und ATLAS [41]-Experiment. Das Ziel der in dieser Arbeit vorgestellten Analyse ist eine Erweiterung der in Abbildung 2.6(a) gezeigten Wirkungsquerschnittsmessung bis hin zu einer invarianten Masse von 2,5 TeV. CMS Preliminary, 12.1 fb-1 at s = 8 TeV 1 dσ GeV-1 e/µ + Jets Combined Data -2 MadGraph 10 MC@NLO dmtt POWHEG σ 10-3 10-4 -5 10 10-6 400 600 800 1000 1200 1400 1600 mtt GeV (a) (b) Abbildung 2.6: Normierter dierentieller tt-Produktionswirkungsquerschnitt als Funktion der invarianten Masse für die Kombination des Elektron- und Myon+Jets- Kanal beim (a) CMS-Experiment [40] und (b) ATLAS-Experiment [41].
3 Experimenteller Aufbau Die vorgestellte Analyse basiert auf Daten von Proton-Proton-Kollisionen, die 2012 mit dem Compact Muon Solenoid(CMS)-Detektor am Large Hadron Collider (LHC) aufgenom- men wurden. Im Folgenden werden der LHC [43] sowie das CMS-Experiment [44, 45] vorgestellt. 3.1 Der Large Hadron Collider Der LHC ist mit einem Umfang von 26,7 km der bislang gröÿte von Menschen gebaute Teilchenbeschleuniger. Der Tunnel, bei dem Protonen zu einer Schwerpunktsenergie von 1 bis zu 14 TeV beschleunigt werden, liegt in 100 m Tiefe am CERN -Gelände und dessen Umgebung. Mit Hilfe eines Duoplasmatrons werden die Protonen durch Ionisation von Wassersto erzeugt [46]. Bevor die Protonen in zwei gegenläuge Röhren des LHC injiziert werden, durchlaufen sie eine Reihe von Vorbeschleunigern, welche in Abbildung 3.1 eingezeich- net sind. Diese Vorbeschleunigerreihe besteht aus verschiedenen Linearbeschleunigern (LINAC), dem Proton Synchrotron (PS) und dem Super Proton Synchrotron (SPS). Die Protonen werden am PS auf 25 GeV und anschlieÿend am SPS auf 450 GeV beschleunigt, ehe sie in den LHC eingespeist und an vier festgelegten Punkten zur Kollision gebracht werden. Diese Kollisionspunkte sind von den folgenden Detektoren ummantelt: • ALICE (A Large Ion Collider Experiment) • ATLAS (A Toroidal LHC Apparatus) • CMS (Compact Muon Solenoid) • LHCb (Large Hadron Collider beauty experiment) Die Multifunktionsdetektoren ATLAS [47] und CMS sind so konstruiert, dass eine Vielzahl von Standardmodell-Messungen und darüber hinaus Suchen nach Physik jenseits des Stan- dardmodells möglich sind. Auÿerdem konnten die ATLAS- und CMS-Experimente bereits die Existenz des Higgs-Bosons nachweisen. Im Gegensatz zu den Multifunktionsdetektoren sind ALICE [48] und LHCb [49] für speziellere Aufgaben konstruiert. So werden bei ALICE Blei-Ionen zur Kollision gebracht, um ein Quark-Gluon-Plasma zu erzeugen und zu untersuchen. Beim LHCb-Experiment wird die CP-Verletzung von B-Mesonen untersucht. Einer der groÿen Vorteile des LHC im Vergleich zu vorherigen Experimenten ist seine hohe Luminosität. Die Luminosität beschreibt die Anzahl der Teilchenbegegnungen pro Zeit und Fläche und ergibt sich aus nb Np2 f L= , (3.1) A 1 Europäische Organisation für Kernforschung. Formal Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire.
24 3 Experimenteller Aufbau Abbildung 3.1: Beschleunigerkomplex des CERN, inklusive der vier gröÿten Experimente des LHC [42]. wobei nb die Anzahl der Bündel im Teilchenstrahl, Np die Anzahl der Protonen im Bündel und f die Umlaurequenz der Bündel ist. Die Gröÿe A entspricht der eektiven Breite des Strahls in transversaler Richtung. Als Designparameter für den LHC sind dabei nb = 2808 Bündel mit Np = 1, 15 · 1011 Protonen pro Bündel, eine Umlaurequenz f = 11, 25 kHz und darüber hinaus eine Lu- 34 −2 −1 minosität von L = 10 cm s vorgesehen. Als ein Maÿ für die Gesamtzahl von Kollisionen und der damit gesammelten Gesamt- R datenmenge wird die integrierte Luminosität Lint = Ldt eingeführt. Abbildung 3.2 zeigt die im Jahr 2012 aufgenommene integrierte Luminosität bei einer Schwerpunktsenergie −1 −1 von 8 TeV. Der LHC lieferte 23,3 fb , wovon der CMS-Detektor 21,8 fb aufgenommen hat [50]. 3.2 Das CMS-Experiment Der CMS-Detektor ist einer der beiden Multifunktionsdetektoren am LHC. Trotz sei- ner groÿen Masse von 12 500 Tonnen ist der CMS-Detektor mit einer Länge von 21,6 m und einem Durchmesser von 14,6 m im Volumen wesentlich kompakter als der ATLAS- Detektor. Ein schematischer Überlick des CMS-Detektors mit den meisten seiner Kom- ponenten ist Abbildung 3.3 zu entnehmen. Die namensgebende Komponente ist der 13 m lange supraleitende Solenoid, welcher ein Magnetfeld von bis zu B = 4T parallel zum Teilchenstrahl generiert. Die weiteren Komponenten werden in den Unterkapiteln 3.2.1- 3.2.4 beschrieben. Das von CMS eingeführte Koordinatensystem hat seinen Ursprung am nominalen Kolli- sionspunkt im Zentrum des Detektors. Die x-Achse zeigt radial in Richtung des Zentrums des LHC, die y -Achse zeigt vertikal aufwärts und die z -Achse parallel, mit positiver Rich-
3.2 Das CMS-Experiment 25 Abbildung 3.2: Zeitliche Entwicklung der integrierten Luminosität, die vom LHC (blau) geliefert und vom CMS-Detektor (orange) 2012 aufgenommen wurde [50]. tung entgegen des Uhrzeigersinns, zur Strahlrichtung. Von der x-Achse ausgehend, ist der Azimutwinkel φ als der Winkel der xy -Ebene deniert. Der Polarwinkel θ wird von der θ positiven z -Achse aus gemessen. Anstelle von θ wird die Pseudorapidität η = − ln tan( ) 2 bevorzugt verwendet. Der Abstand zwischen zwei Teilchen wird über den ηφ-Phasenraum p als ∆R = ∆φ2 + ∆η 2 deniert. 3.2.1 Spurdetektor Zur Messung der Ladung, der Richtung und des Impulses von geladenen Teilchen ist eine präzise Spurrekonstruktion notwendig. Der Spurdetektor ist die innerste Komponente des CMS-Detektors und zylindrisch aufgebaut mit einer Länge von 5,8 m sowie einem Radius von 1,1 m. Des Weiteren wird ein Bereich von bis zu |η| = 2, 5 abgedeckt. Seine sensi- blen Bauteile sind auf Silizium basierende Sensoren, welche die durch Ionisation verloren gegangene Energie geladener Teilchen messen. In Abhängigkeit vom Teilchenuss bzw. von der Distanz zum Kollisionspunkt wird der Spurdetektor in zwei Bereiche aufgeteilt. Einen Überblick gibt die Abbildung 3.4. Nächstliegend zum Kollisionspunkt sind Pixeldetek- toren positioniert. Mit einem Abstand von 4,4 cm, 7,3 cm und 10,2 cm zum Teilchenstrahl sind die Pixeldetektoren in drei Schichten platziert. Um eine eindeutige Messung und −4 eine Belegung pro Kollision und Pixel von näherungsweise 10 zu erreichen, betragen die 2 Maÿe eines Pixeldetektors 100×150 µm . Insgesamt sind 66 Millionen Pixeldetektoren in 1 440 Modulen verbaut. Als Resultat folgt eine räumliche Auösung von 10-20 µm. In einem Abstand von 20-116 cm zum Teilchenstrahl werden die Pixeldetektoren von Streifendetektoren ummantelt. Der Streifendetektor als Ganzes besteht aus 15 148 Streifen- modulen mit über 10 Millionen Auslesekanälen und wird in verschiedene Bereiche un- 2 terteilt. Der innere Bereich des Zylinders (TIB ) erstreckt sich bis |z| < 65 cm und 2 Tracker Inner Barrel
26 3 Experimenteller Aufbau Abbildung 3.3: Der CMS-Detektor [45]. 3 wird vom TID , welcher drei kleine Scheiben beinhaltet, abgedeckt. Die Silizium-Sensoren haben eine Dicke von 320 µm, der Abstand der Streifen liegt im Bereich von 80-120 µm. Es resultiert eine Auösung von 23 bis 24 µm. Der äuÿere Bereich des Zylinders (TOB ) brei- 4 tet sich bis |z| < 110 cm 5 aus und wird von Endkappen (TEC ), die jeweils neun Scheiben pro Begrenzung enthalten, umfasst. Aufgrund des niedrigeren Strahlungsniveaus in diesem Bereich können dickere Silikon-Sensoren (500 µm) eingesetzt werden. Ebenso erhöht ist der Abstand der Streifen, der zwischen 120 und 180 µm liegt. Die resultierende Auösung in diesem Bereich beträgt 23-52 µm. 3.2.2 Elektromagnetisches Kalorimeter Das elektromagnetische Kalorimeter (ECAL) umgibt den Spurdetektor und dient zur Messung der Energie von Elektronen und Photonen, die im Material einen elektromag- netischen Schauer erzeugen. Es ist beispielsweise von wesentlicher Bedeutung zur Iden- tizierung eines Higgs-Bosons im Zerfallskanal H → γγ . Ein Viertel des ECALs ist in Abbildung 3.5 dargestellt. Das ECAL ist ein homogenes Kalorimeter und umfasst 61 200 Bleiwolframat(PbWO4 )- Kristalle im zentralen Bereich sowie 7 324 Kristalle in jeder der beiden Endkappen. Die Kristalle haben eine kurze Strahlungslänge mit X0 = 0, 89 cm, darüber hinaus wird Licht Photonen (80 % innerhalb 25 ns) sehr schnell emittiert. Jedoch ist die Lichtausbeute von 30 MeV 3 Tracker Inner Disks 4 Tracker Outer Barrel 5 Tracker End Cap
3.2 Das CMS-Experiment 27 Abbildung 3.4: Grundriss des Spurdetektors mit seinen Komponenten. Linien repräsen- tieren die Module der Pixel- und Streifensensoren [45]. verhältnismäÿig gering, sodass Photodioden, welche vom Magnetfeld unbeeinusst arbei- ten, mit instrinsischer Verstärkung benötigt werden. So werden Avalanche-Photodioden innerhalb des ECALs Silikon und Vakuum-Phototrioden in den Endkappen verwendet. Der innere Bereich des ECALs hat einen Abstand von 129 cm zum Teilchenstrahl und deckt dabei den Raum bis |η| < 1, 497 ab. Auf der Stirnseite beträgt die Abmessung der Kristalle ungefähr 22 × 22 mm2 . Die Länge von 230 mm entspricht einer Strahlungslänge von 25,8 X0 . Die Endkappen des ECALs reichen bis zu einem Abstand von 314 cm. Die 1, 497 < |η| < 3, 0. Die Abmessun- Reichweite der Pseudorapidität erstreckt sich hier von 28, 6 × 28, 6 mm2 , die Länge misst sich auf gen der Kristalle auf der Stirnseite betragen 220 mm (24,7 X0 ). Noch vor den Endkappen ist ein 3 X0 dickes Sampling-Kalorimeter mit Absorbern aus Blei sowie zwei Schichten aus Silikon Streifen-Sensoren als aktives Material angebracht. Dieses dient zur Identizierung von Pionen, die in zwei Photonen zerfallen. Die Leistungsfähigkeit des ECALs wurde mit Hilfe eines Teststrahls gemessen. Die En- ergieauösung für Elektronen als Funktion der Energie konnte daher wie folgt parametri- siert werden [45]: 2 !2 2 σ(E) 3, 6 % 12, 4 % = p + + (0, 26 %)2 . (3.2) E E/GeV E/GeV Der erste Term wird aufgrund der elektromagnetischen Schauer eingeführt und ist von statistischer Natur. Der zweite Term beschreibt das Rauschen der Elektronik. Der kon- stante Term ist beispielsweise auf Kalibrationsfehler oder das nichtlineare Ansprechver- halten zurückzuführen. 3.2.3 Hadronisches Kalorimeter Das hadronische Kalorimeter (HCAL) ist ein Sampling-Kalorimeter und dient der Mes- sung der Energie von geladenen und neutralen Hadronen. Da Hadronen bei gleicher Primärenergie tiefer in Material eindringen als Photonen und geladene Leptonen, liegt das HCAL auÿerhalb des ECALs und umgibt es. Messing dient im Groÿteil des HCALs als Absorber-Material, weil es leicht zu verarbeiten
28 3 Experimenteller Aufbau Abbildung 3.5: Anordnung eines Viertels des elektromagnetischen Kalorimeters [44]. und nicht magnetisch ist. Die Wechselwirkungs-Länge beträgt λI = 16, 42 cm. Zwischen den Messing-Absorbern sind Plastik-Szintillatoren als aktives Medium angebracht. Das HCAL lässt sich in mehrere Bereiche aufteilen. Der Zylinder im Inneren des HCALs deckt die Region bis |η| < 1, 4 ab und ist in 2304 Schächte mit ∆η × ∆φ = 0, 087 × 0, 087 aufgeteilt. Ein Schacht entspricht dabei genau 5×5 Kristalle des ECALs. Die scheiben- förmigen Endkappen erweitern die abgedeckte Region auf |η| < 3. Abschlieÿend deckt ein vorwärts gerichtetes Kalorimeter mit Absorbermaterial aus Stahl und einer Tiefe von näherungsweise 10 λI die Pseudorapidität von 3,0 bis 5,0 ab. Analog zum ECAL wurde die Leistungsfähigkeit des HCALs mit Hilfe eines Teststrahls gemessen. Folglich ist eine Messung der relativen Energieauösung des kombinierten ECAL- und HCAL-Systems möglich. Die entsprechende Parametrisierung lautet [45] 2 2 σ(E) 120 % = + (6, 9 %)2 (3.3) E E/GeV und entspricht einer Auösung von 18 % für Pionen mit einer Energie von E = 50 GeV. 3.2.4 Myon-System Die am weitesten auÿen liegende Komponente des CMS-Detektors ist das Myon-System. Das Myon-System wird benötigt, weil Myonen als minimal ionisierende Teilchen sowohl den Spurdetektor als auch die Kalorimeter ohne auällige Energieverluste durchqueren. Betrachtet man den Wechselwirkungspunkt als den Ursprung der Myonen, so ist die Be- stimmung des Ablenkswinkels im Myon-System essentiell für eine Messung des Impulses von Myonen. Drei Arten von Gasdetektoren werden zur Identizierung und Messung von Myonen ver- wendet. Im zentralen Bereich, wo der durch Neutronen induzierte Untergrund klein, die 6 Rate an Myonen gering und das Magnetfeld homogen ist, werden Driftröhren (DT ) be- nutzt. Diese Region erstreckt sich bis |η| < 1, 2. In den beiden Endkappen ist sowohl die 6 Drift Tube
3.2 Das CMS-Experiment 29 Abbildung 3.6: Grundriss der Komponenten des Myon-Systems für einen Viertel des CMS- Detektors [44]. Rate an Myonen als auch der durch Neutronen induzierte Untergrund hoch. Des Wei- teren ist das Magnetfeld weniger homogon als im zentralen Bereich des Myon-Systems. 7 Es werden deshalb Kathoden-Streifen-Kammern (CSC ) eingesetzt, welche die Region bis |η| < 2, 4 erfassen. Zusätzlich werden sowohl im zentralen Bereich als auch in den End- kappen (bis |η| < 1, 6) 8 Widerstandsplattenkammern (RPC ) verwendet. RPCs arbeiten kHz im Avalanche-Modus, um einen Betrieb bis hin zu hohen Raten von 10 zu gewährleis- cm2 ten. Darüber hinaus haben RPCs eine sehr gute Zeitauösung, jedoch eine ungenauere Positionsbestimmung als die DTs oder CSCs. RPCs werden deshalb hauptsächlich zur eindeutigen Zuordnung der Protonkollisionen eingesetzt. Der Aufbau des Myon-Systems ist in Abbildung 3.6 zu sehen. Die Regionen des Myon Bar- rel (MB) sind in vier zylinderförmige Detektor-Stationen eingeteilt und mit dem Eisenjoch verschachtelt. In jede der Endkappen sind die CSCs und RPCs in vier Scheiben senkrecht 2 zum Teilchenstrahl angeordnet. Insgesamt beinhaltet das Myon-System 25 000 m aktives Material mit annähernd einer Million Auslesekanäle. 3.2.5 Trigger und Datenerfassung Die Kollisionsrate der Teilchenbündel beträgt am LHC 40 MHz für die Designluminosität. 9 Diese Rate entspricht ungefähr 10 Wechselwirkungen pro Sekunde, wovon jedes Ereignis eine Datengröÿe von 1 MB hat. Es können jedoch lediglich einige hundert Wechselwir- kungen pro Sekunde gespeichert werden. Der Trigger hat deshalb die Aufgabe, potentiell interessante Ereignisse schnell und ezient zu selektieren. Das Trigger-System arbeitet 7 Cathode Stripe Chamber 8 Resistive Plate Chamber
30 3 Experimenteller Aufbau dabei in zwei Schritten. Zunächst wird im Level-1(L1) Trigger die Rate von weiter zu prozessierenden Ereignissen auf maximal 100 kHz reduziert. Dieses geschieht über eine vereinfachte Ereignisrekonstruk- tion, bei der einzig die Daten aus schnellen Detektorkomponenten, wie die Kalorimeter oder das Myon-System, ausgewählt werden. Die Zeit für eine Entscheidung ist im L1 Trigger auf 3,2 µs pro Ereignis beschränkt. Mögliche Teilchenkandidaten werden danach über vereinfachte Algorithmen rekonstruiert. Letzten Endes wird ein Ereignis auf Basis von festgelegten Grenzwerten, z.B. für die transversal Energie ET oder den transversalen Impuls pT von Photonen, Elektronen, Myonen oder Jets, selektiert. Im zweiten Schritt können mit Hilfe des auf Software beruhenden High-Level-Triggers (HLT) Informationen aus allen Komponenten des Detektors mit höher entwickelten Algo- rithmen analysiert werden. Potentiell interessante Ereignisse werden auf Basis umfangrei- cher Eigenschaften selektiert, sodass eine Ereignisrate von näherungsweise 300 Hz erreicht wird. Die Zeit für eine Entscheidung des HLTs ist dabei auf 50 ms pro Ereignis beschränkt. Um die nale Ereignisrate trotz ansteigender Luminosität auf dem Designwert zu halten, sind unterschiedliche Methoden möglich. Optimal wären verbesserte Algorithmen, die den Untergrund stärker unterdrückt. Anderenfalls können die Trigger Grenzen erhöht werden, wodurch jedoch die Ezienz des Signals verloren gehen kann. Des Weiteren besteht die Möglichkeit eine zu hohe Triggerrate mit festgelegten Grenzen aufrecht zu erhalten, indem Ereignisse mit einem prescale n aufgenommen werden, sodass lediglich jedes n-te Ereignis erfasst wird.
4 Rekonstruktion von Objekten und Ereignisselektion Bevor die Ereignisse eines bestimmten Prozesses analysiert werden können, müssen die Teilchen aus den Rohdaten des Detektors rekonstruiert und selektiert werden. Eine Be- schreibung der Rekonstruktion ist dem Kapitel 4.1 zu entnehmen. Die Ereignisselektion ist im Kapitel 4.2 zu nden. 4.1 Rekonstruktion von Teilchen und Jets Diese Analyse wird mit Ereignissen des Lepton+Jets-Kanal durchgeführt (siehe Kap. 2.2.2). Demnach bendet sich im Endzustand aus dem Zerfall des W -Bosons ein Myon bzw. Elektron sowie das entsprechende Neutrino, das sich in fehlender transversaler En- ergie (6E T ) äuÿert. Des Weiteren liegen zwei leichte Quarks und zwei b-Quarks vor, die zu Jets hadronisieren. Darüber hinaus ist ein QCD-Beitrag höherer Ordnung aus zusätz- lichen Jets möglich. Im Folgenden geht es um die Rekonstruktion dieser Teilchen und Objekte. 4.1.1 Particle-Flow-Algorithmus Der Particle-Flow-Algorithmus (PFA) [51] stellt die Basis zur Rekonstruktion von Ob- jekten dar. Das Ziel des PFA ist die Rekonstruktion und Identizierung aller Teilchen, die durch Proton-Proton-Kollisionen im CMS-Detektor entstehen, mit möglichst hoher Ezienz und niedriger Missidentikationsrate. Der PFA soll hierbei zwischen Myonen, Elektronen, Photonen, geladenen und neutralen Hadronen unterscheiden. Die Umsetzung erfolgt mit Hilfe von Informationen aus allen Detektorkomponenten in Form von Spuren geladener Teilchen, den Clustern der Kalorimeter und Spuren von Myonen. Die Spurrekonstruktion ist ein essentieller Bestandteil zur Identikation und Bestimmung des Impulses geladener Teilchen. Ferner ist die Spurrekonstruktion von groÿer Bedeu- tung, weil mehr als zwei Drittel der Energie eines Jets von geladenen Teilchen getragen wird. Die Teilchen werden im ersten Schritt mit sehr strengen Seed -Kriterien rekonstru- iert, was zu einer moderaten Ezienz und einer äuÿerst geringen Missidentikationsrate führt. Daraufhin werden diejenigen Teilchenkandidaten entfernt, die sich eindeutig einer Spur zuordnen lassen. Im nächsten Schritt werden die Seed-Kriterien zunehmend wei- cher, woraus eine steigende Ezienz der Spurrekonstruktion bei gering bleibender Miss- identikationsrate resultiert. Insgesamt beträgt die Ezienz der Rekonstruktion 99,5% 1 für isolierte Myonen und mehr als 90 % für geladene Hadronen in Jets innerhalb der Akzeptanz des Spurdetektors. Die Missidentikationsrate liegt in der Gröÿenordnung von 1 Isoliert meint, dass der Betrag der Energie innerhalb eines Kegels um das Myon deponiert ist.
32 4 Rekonstruktion von Objekten und Ereignisselektion 1 %, sofern mindestens drei geladene Teilchen und ein Transversalimpuls von mindestens 150 MeV vorliegt. Die Position des primären Vertex zum Proton-Proton-Wechselwirkungspunkt variiert auf- grund der Streuung der Protonen in den kollidierenden Bündeln. Ein primärer Vertex wird aus bestimmten Kriterien der Spuren rekonstruiert [52]. Insgesamt darf der primäre Ver- tex maximal 50 cm vom Kollisionspunkt entfernt sein. In den Kalorimetern werden einzelne Teilchen mit Hilfe von Cluster-Algorithmen rekon- struiert, indem elementare Signaturen aus verschiedenen Detektorkomponenten miteinan- der verbunden werden. Im Detail haben die Cluster-Algorithmen vielseitige Aufgaben. Eine Funktion ist die Detektion und Messung der Energie sowie der Richtung stabiler neu- traler Teilchen. Dabei können die elektromagnetischen Schauer von hadronischen Schauern unterschieden werden. Des Weiteren sollen Elektronen rekonstruiert und identiziert wer- den, ebenso wie Bremsstrahlung von Photonen. Der Cluster-Algorithmus verbessert die Energiemessung von geladenen Teilchen mit hohem transversalen Impuls. Von der CMS-Kollaboration wurde ein spezieller Cluster-Algorithmus entwickelt, welcher eine hohe Detektorezienz zur Ereignisrekonstruktion anstrebt und auÿerdem zwischen Energiedepositionen, die sehr nah beieinander liegen, unterscheiden kann. Der Algorith- mus wird separat für die Komponenten des ECALs und HCALs angewandt. Zunächst werden alle Kalorimeterzellen als Seed verwendet, die einen festgelegten En- ergiewert überschreiten. Anschlieÿend werden angrenzende Zellen, deren Energie zwei Standardabweichungen gröÿer als das durchschnittliche Rauschen des ECALs ist, zum Cluster hinzugefügt. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem topologischen Clus- ter. Dieser Prozess wiederholt sich bis keine weiteren angrenzenden Zellen diese Kriterien erfüllen. Es folgt eine iterative Bestimmung der Cluster-Energie und Position. Sich über- lagernde Cluster teilen ihre Energie in Abhängigkeit der Entfernung der Zelle zum Cluster. Im Allgemeinen werden mehrere Particle-Flow-Elemente rekonstruiert, die zu einem einzi- gen Teilchen gehören. So kann ein geladenes Teilchen, wie z.B. das Elektron, im Spur- detektor detektiert werden und anschlieÿend aufgrund von Bremsstrahlung Energie in mehreren Clustern des ECALs deponieren. Deshalb müssen die Detektorkomponenten mit Hilfe eines Algorithmus verbunden werden, um jedes einzelne Teilchen rekonstru- ieren zu können und um ein mehrfaches Zählen derselben Ereignisse zu vermeiden. Zu diesem Zweck wird die Spur mit einem Kalorimeter-Cluster verbunden, indem die Posi- tion der Spur zu dem Cluster der entsprechenden Kalorimeter-Komponente extrapoliert wird. Der Abstand wird in der η -φ-Ebene zwischen der extrapolierten Position der Spur und der Position des Clusters deniert. Endet die extrapolierte Spur in einem Cluster eines Kalorimeters, so werden die beiden Objekte einem Teilchen zugeordnet. Analog werden zwei Cluster aus unterschiedlichen Komponenten der Kalorimeter verbunden. In diesem Fall wird die Position derjenigen Komponente des Kalorimeters mit höherer Granularität zu der Komponente mit niedrigerer Granularität extrapoliert. Die durch den Algorithmus kombinierten Elemente bilden sogenannte Blöcke, die zur Iden- tizierung unterschiedlicher Teilchen verwendet werden. Sobald die Kriterien erfüllt sind, wird der Teilchenkandidat aus der Liste der Blöcke entfernt. Sofern die Cluster mit keiner Spur verbunden werden können, werden die entsprechenden Cluster und Spuren neutralen Teilchen (Photonen bzw. neutralen Hadronen) zugeord- net.
4.1 Rekonstruktion von Teilchen und Jets 33 4.1.2 Myonen Myonen werden zunächst sowohl im Spurdetektor als auch im Myon-System (sogenannte standalone-Myonen ) unabhängig voneinander rekonstruiert. Entsprechend unterscheidet man in der Rekonstruktion zwischen Spur- und globalen Myonen [53]. Zur Rekonstruktion globaler Myonen wird jede Spur eines standalone-Myons einer Spur im Spurdetektor zugeordnet. Hierbei wird ein Fit zur Kombination der beiden Spuren durchgeführt. Für Fits globaler Myonen ist insbesondere für hohe Transversalimpulse (pT & 200 GeV) die Auösung, im Vergleich zu einer nur mit dem Spurdetektor ver- richteten Messung, deutlich verbessert. Für die Rekonstruktion von Spur-Myonen werden alle Spuren des Spurdetektors mit pT > 0, 5 GeV und p > 2, 5 GeV als mögliche Myon-Kandidaten behandelt und darüber hinaus unter Berücksichtigung des Magnetfeldes, des erwarteten Energieverlustes und mul- tipler Streueekte im Detektormaterial zum Myon-System extrapoliert. Findet man eine Übereinstimmung im Myon-System, so wird der Kandidat als Spur-Myon selektiert. Da lediglich ein Ereignis im Myon-System zur Rekonstruktion benötigt wird, ist die Rekon- struktion von Spur-Myonen für kleine Impulse (p . 5 GeV) ezienter als die Rekonstruk- tion globaler Myonen. Nahezu alle Myonen werden als globale Myonen, Spur-Myonen oder in vielen Fällen als beides rekonstruiert. Für den letzten Fall werden die Myon-Kandidaten, die sich eine Spur teilen, zu einem einzigen Kandidaten zusammengefasst. Für die Selektion von tt-Ereignissen werden weitere Identikationskriterien in Form von verschiedenen Arbeitspunkten (loose, soft und tight ) benötigt [54]. Ein härterer Arbeits- punkt führt zu einer geringeren Missidentifkationsrate, gleichzeitig sinkt allerdings die Ezienz. Für den in dieser Analyse gewählten Arbeitspunkt tight gelten die folgenden Kriterien: • der Myon-Kandidat wird als ein globales Myon rekonstruiert • der Myon-Kandidat wird im PFA als Myon erkannt • in der Rekonstruktion globaler Myonen gilt für den Fit der Spur: χ2 ndof < 10, wobei ndof der Anzahl der Freiheitsgrade des Fits entspricht mindestens ein Ereignis im Myon-System • der transversale Stoÿparameter dxy der Spur des Myons zum primären Vertex ist kleiner als 2 mm • der longitudinale Abstand dz der Spur zum primären Vertex ist kleiner als 5 mm • der Myon-Kandidat erzeugt mindestens ein Signal im Pixel-Detektor • der Myon-Kandidat hinterlässt in mindestens fünf Schichten des Spurdetektors ein Signal Nach erfolgreicher Rekonstruktion kann überprüft werden, ob es sich bei dem Myon um ein isoliertes Myon handelt. Der relative Isolationsparameter Irel ist ein Maÿ dafür, ob sich bei einem Myon keine weiteren Objekte in der Nähe benden. Er ist deniert als die Summe ± 0 der Transversalimpulse der Photonen (γ ) sowie der geladenen (h ) und ungeladenen (h )
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