RECHTLICHES MINENFELD EINES PESTIZIDVERBOTS IN DER LANDWIRTSCHAFT

Die Seite wird erstellt Yanick Schlegel
 
WEITER LESEN
RECHTLICHES MINENFELD EINES PESTIZIDVERBOTS IN DER LANDWIRTSCHAFT
EX REKTORAT

              UNIVERSITÄTSLEITUNG

               RECHTLICHES MINENFELD
                EINES PESTIZIDVERBOTS
               IN DER LANDWIRTSCHAFT

                   ANALYSE DER ABGELEHNTEN
                    VOLKSINITIATIVE UND DES
                  INDIREKTEN GEGEN-ENTWURFS

                     PROF. EM. DR. PAUL RICHLI
              EM. ORDINARIUS FÜR ÖFFENTLICHES RECHT,
               AGRARRECHT UND RECHTSETZUNGSLEHRE
                    AN DER UNIVERSITÄT LUZERN

5. Mai 2022
RECHTLICHES MINENFELD EINES PESTIZIDVERBOTS IN DER LANDWIRTSCHAFT
Übersicht
1. Titelwahl für das Referat
2. Rechtliche Relevanz der Titelwahl
3. Was sind Pestizide?
4. Pestizidinitiative und Pestizid-Element in der Trinkwasserinitiative
  a. Wortlaut
  b. Botschaft des Bundesrates
  c. Parlamentarische Beratung
  d. Rechtliche Beurteilung
5. Gegenentwurf des Parlaments
6. Pestizidinitiative und Gegenentwurf im Spannungsfeld der Herausforderungen der Landwirtschaft
  a. Besonderheiten der Landwirtschaft als Wirtschaftssektor
  b. Möglichkeiten und Grenzen für die Marktorientierung
7. Erwartungen an den Bund und an die Landwirtschaft
8. Schlussbemerkungen

5. Mai 2022                                      Paul Richli                                       2
RECHTLICHES MINENFELD EINES PESTIZIDVERBOTS IN DER LANDWIRTSCHAFT
SRF 1 TV – DOK zum Pestizid vom 7. April 2022 – 20.05–21.05 Uhr

5. Mai 2022                        Paul Richli                        3
RECHTLICHES MINENFELD EINES PESTIZIDVERBOTS IN DER LANDWIRTSCHAFT
DOK SRF 1 TV – Erntesicherheit vs. Gesundheitsschutz

5. Mai 2022                             Paul Richli                  4
RECHTLICHES MINENFELD EINES PESTIZIDVERBOTS IN DER LANDWIRTSCHAFT
DOK SRF 1 TV – Mischen eines “Spritz-Koktails“

5. Mai 2022                          Paul Richli               5
RECHTLICHES MINENFELD EINES PESTIZIDVERBOTS IN DER LANDWIRTSCHAFT
DOK SRF 1 TV – Obstbau ohne und mit Pestiziden

5. Mai 2022                          Paul Richli               6
Aus den Medien

5. Mai 2022          Paul Richli   7
1. Titelwahl
Weshalb “Minenfeld“?
Ø “Minenfeld“ tönt dramatisch.
Ø Grund: existentielle Bedrohung der Landwirtschaft durch die
  Pestizidinitiative und Pestizidteil der Trinkwasserinitiative?
Ø Auch existentielle Bedrohung der Konsumentinnen und Konsumenten?
Ø Auch existentielle Bedrohung der Natur bzw. der Umwelt bzw. des
  Klimas?

Ausgangsthesen
Ø Die Notwendigkeit der Reduktion von Pestiziden ist unbestritten.
Ø Umstritten sind technische Möglichkeiten, Ausmass und Tempo der
  Reduktion bis zum Totalverbot.
Ø Die rechtliche Beurteilung muss sich in diesem Spannungsfeld bewegen.
5. Mai 2022                         Paul Richli                       8
2. Rechtliche Relevanz der Themenwahl (1)

Ø Vordergründig ökonomische Situation der Landwirtschaft angesprochen.
Ø Hintergründig rechtliche Situation: Art. 5 Landwirtschaftsgesetz (LwG; SR 910.1).
  Art. 5       Einkommen       à materielles Verfassungsrecht
  1 Mit den Massnahmen dieses Gesetzes wird angestrebt, dass nachhaltig wirtschaf-

  tende und ökonomisch leistungsfähige Betriebe im Durchschnitt mehrerer Jahre
  Einkommen erzielen können, die mit den Einkommen der übrigen erwerbstätigen
  Bevölkerung in der Region vergleichbar sind.
  2 Sinken die Einkommen wesentlich unter das vergleichbare Niveau, so ergreift der

  Bundesrat befristete Massnahmen zur Verbesserung der Einkommenssituation.
  3 Auf die andern Wirtschaftszweige, die ökonomische Situation der nicht in der

  Landwirtschaft tätigen Bevölkerung sowie die Lage der Bundesfinanzen ist Rücksicht
  zu nehmen.

5. Mai 2022                                Paul Richli                                 9
2. Rechtliche Relevanz der Themenwahl (2)

                Entwicklung der landwirtschaftlichen Einkommen in % der
               durchschnittlichen Einkommens anderer Berufe in der Region
                    Region andere Berufe %   Talgebiet %         Durchschnitt Landwirtschaft %      Berggebiet %

              120
                           100                 100                         100                     100
              100
                                                                                                    81
               80                                                           72
                                                67                                                  66
                           62                                               62
               60          51                   54                                                  54
                                                                            49
                           40                   41
               40

               20

                0
                        2002–2004            2007–2009                   2012–2014               2017–2019

5. Mai 2022                                                Paul Richli                                             10
3. Was sind Pestizide?

Definition Pestizid nur in EDI-Verordnung (SR 817.021.23; Art. 2):
Pestizide sind biologisch hochwirksame chemische Substanzen, die als Wirkstoffe in
Pflanzenschutzmitteln (PSM) und in Biozidprodukten (BP) zur Anwendung gelangen.

Parlamentarische Initiative 19.475, BBl 2020 6527)
PSM schützen Pflanzen und Erntegüter vor Schadorganismen oder regulieren deren
Wachstum, während BP ein sehr breites Anwendungsspektrum haben, das von
Desinfektionsmitteln über Mittel zum Materialschutz (z. B. Schutz von Hölzern oder
anderen Konstruktionsmaterialien, Konservierungsmittel etc.) bis hin zu Schädlings-
bekämpfungsmitteln reicht.

5. Mai 2022                                  Paul Richli                              11
4.a. Pestizidinitiative – Wortlaut und Zielsetzung (1)
Wortlaut
Art. 74 Abs. 2bis
2bis Der Einsatz synthetischer Pestizide in der landwirtschaftlichen Produktion, in der

Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und in der Boden- und Landschaftspflege ist
verboten. .. (internationaler Teil).
Art. 197 Ziff. 12
12. Übergangsbestimmung zu Art. 74 Abs. 2bis
1 Die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 74 Absatz 2bis tritt spätestens zehn Jahre nach

dessen Annahme durch Volk und Stände in Kraft.
2 Der Bundesrat erlässt vorübergehend auf dem Verordnungsweg die notwendigen

Ausführungsbestimmungen.

5. Mai 2022                                  Paul Richli                                12
4.a. Pestizidinitiative – Wortlaut und Zielsetzung (2)
Wortlaut (Fortsetzung)
3 Solange Artikel 74 Absatz 2bis nicht vollständig umgesetzt ist, darf der Bundesrat

vorübergehend unverarbeitete Lebensmittel, die synthetische Pestizide enthalten oder
mithilfe solcher hergestellt worden sind, nur dann bewilligen, wenn sie zur Abwehr einer
gravierenden Bedrohung von Mensch oder Natur unverzichtbar sind, namentlich einer
schweren Mangellage oder einer ausserordentlichen Bedrohung von Landwirtschaft, Natur
oder Mensch.

Zielsetzung
Die Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» verlangt, dass der
Einsatz von synthetischen Pestiziden in der landwirtschaftlichen Produktion, in der
Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und in der Boden- und Landschaftspflege
verboten wird. Auch die Einfuhr von Lebensmitteln, die synthetische Pestizide enthalten
oder mithilfe solcher hergestellt worden sind, soll verboten werden.
à «Synthetisch» ist unklar.

5. Mai 2022                                  Paul Richli                                  13
4.a. Pestizid-Element in der Trinkwasserinitiative – Wortlaut

Art. 104 Abs. 1 Bst. a, 3 Bst. a
3 Er richtet die Massnahmen so aus, dass die Landwirtschaft ihre multifunktionalen

Aufgaben erfüllt. Er hat insbesondere folgende Befugnisse und Aufgaben:
a. Er ergänzt das bäuerliche Einkommen durch Direktzahlungen zur Erzielung eines
angemessenen Entgelts für die erbrachten Leistungen, unter der Voraussetzung eines
ökologischen Leistungsnachweises, (und neu:) der die Erhaltung der Biodiversität, eine
pestizidfreie Produktion und einen Tierbestand, der mit dem auf dem Betrieb produzierten
Futter ernährt werden kann, umfasst.

Diese Bestimmung erfasst laut Bundesrat auch PSM, die in der biologischen Landwirt-
schaft eingesetzt werden. Betroffen sind etwa Kupferhydroxid, die insektizid wirkenden
Pyrethrine oder das als Schneckengift verwendete Eisen-III-Phosphat.

5. Mai 2022                                  Paul Richli                                   14
4.b. Botschaften des Bundesrates
Botschaft zur Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» vom 27. Februar 2019 (BBl 2019 2563 ff.);
Botschaft zur Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid-
und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» vom 14. Dezember 2018 (BBl 2019 1101 ff.)
Ablehnung beider Initiativen schwergewichtig mit folgenden Argumenten:
Ø Möglicher Konflikt mit der Ernährungssicherheit in Art. 104a Abs. 1 BV.
Ø Verletzung der Verhältnismässigkeit.
Ø Verstoss gegen WTO-Recht sowie gegen das Freihandelsabkommen von 1972 und das
  Agrarabkommen von 1999 zwischen der Schweiz und der EU.
Ø Verschärfung der Anforderungen für die Produktion mit damit verbundenen, weit-
  reichenden und nachteiligen Folgen für die Landwirtschaft.
Ø Beschränkung der öffentlich-rechtlichen Förderung der Forschung, inkl. Agroscope.
Ø Verteuerung der Rohstoffe für Verarbeitungsindustrie und Wettbewerbsbeeinträchtigung.
Ø Übergangsfrist könnte für bestimmte (gemischte) Betriebe problematisch werden.
Ø Erhöhung Konsumentenpreise und Einschränkung Wahlfreiheit der Konsumentinnen.

5. Mai 2022                                                  Paul Richli                                                 15
4.c. Parlamentarische Beratung der Botschaften
Argumente in der parlamentarischen Beratung (vor allem im Nationalrat) gegen die
Volksinitiativen, insbes. Pestizidverbot (AB 2019 N 1223–1278; AB 2020 S 812–814):
Ø Gemeinsame Beratung der beiden Botschaften.
Ø Beinahe vollständige Abwesenheit von rechtlichen Argumenten, abgesehen vom
  Hinweis auf Gefährdung der Ernährungssicherheit (für die Bevölkerung) in Art. 104a BV.
Ø 30–40 % weniger Produktion bzw. Ernteausfälle, teilweise sogar ganze Ernteausfälle.
Ø Verunmöglichen eines kommerziellen Obst-, Gemüse- und Ackerbaus.
Ø Verlagerung der Probleme ins Ausland.
Ø Vorschreiben des Bio-Standards für die gesamte pflanzenbauliche Produktion.
Ø Anstieg der Konsumentenpreise um 20–50 %.
Ø Auch Produktion von Bio-Qualität wäre durch Pestizidverbot betroffen, weil auch dort
  gewisse Pestizide eingesetzt werden (gemäss Bundesrat weniger eindeutig).

5. Mai 2022                                 Paul Richli                                16
4.d. Rechtliche Beurteilung (1)
Kritik an der Argumentation des Bundesrates (Richli, Blätter für Agrarrecht, 2021 43 ff.)
Ø Vor allem mögliche Widersprüche mit internationalem aber nicht mit CH-Recht erwähnt.
Ø Fehlen einer nennenswerten Auseinandersetzung mit der Vereinbarkeit mit bisherigen
   Bestimmungen der BV (praktische Konkordanz).
Ø Fehlen einer grundrechtsgestützten Argumentation, insbesondere unter Bezugnahme
   auf die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie.
Ø Keine Erwähnung des Erfordernisses des Investitionsschutzes, vergleichbar mit der
   Einführung von Lenkungsabgaben für die Überbestände in der Tierhaltung im Jahr 1978
   (heute Art. 47 f. LwG):
   à Art. 19a Abs. 1 Bst. a aLwG: Erhebung von Abgabe auf Überbeständen Tierhaltung.
   à Art. 19b Abs. 3 aLwG: Verzicht auf Abgabenerhebung während längstens 12 Jahren.
   à BGE 118 Ib 241 ff.: 77 Klagen von Bauern in Gesamtsumme von CHF 200 Mio.
     wegen materieller Enteignung angesichts von 12 Jahren Übergangsfrist abgewiesen.

5. Mai 2022                                  Paul Richli                               17
4.d. Rechtliche Beurteilung (2)
Ø Konflikt mit Sicherungsgebot für Vergleichseinkommen in Art. 5 LwG.
Ø Konflikt mit anszustrebendem Selbstversorgungsgrad von rund 60 % nach Art. 104a BV.
Ø Konflikt mit Grundrechten wegen Unmöglichkeit der Umsetzung des Pestizidverbots in
  10 Jahren (Urs Niggli, langjähriger Direktor des FIBL). Zeitbedarf mindestens 20 Jahre:
  à Frage nach Teilnichtigkeit mindestens der Pestizidinitiative mit Bezug auf
    Übergangsfrist.
  à Zu kurze Übergangsfrist mit Konsequenz der Frage nach einer materiellen
    Enteignung betr. Investitionen.
  à Konflikt mit Vertrauensschutz (Art. 5 Abs. 3 BV) + von Treu und Glauben (Art. 9 BV).
  à unverhältnismässige Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit nach Art. 27 in Verb. mit
    Art. 36 Abs. 3 BV.
Ø Konflikt mit Forschungsfreiheit nach Art. 20 BV.

5. Mai 2022                                  Paul Richli                                18
4.d. Rechtliche Beurteilung (3)

Fazit:
à Ungenügende Beachtung der Verpflichtung in Art. 141 Abs. 2 Bst. a
  Parlamentsgesetz, wonach Bundesrat insbesondere Rechtsgrundlage,
  Auswirkungen auf die Grundrechte, Vereinbarkeit mit übergeordnetem
  Recht und das Verhältnis zum europäischen Recht erläutern muss.
à Ungenügende rechtliche Problematisierung der Pestizidinitiaitive und
  des Pestizid teils der Trinkwasserinitiative.
à Zu einseitige nur (agrar-)politische Argumentation von Bundesrat und
  Parlament gegen die beiden Volksinitiativen.

5. Mai 2022                         Paul Richli                          19
5. Informeller indirekter Gegenentwurf Parlament (1)
(1) Parlamentarische Initiative 19.475 – Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren – Bericht Kommission für
    Wirtschaft und Abgaben des Ständerats vom 3. Juli 2020 (BBl 2020 6523 ff.)
(2) Entwurf BG über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden (Änderung des Chemikalien-
    gesetzes, des Landwirtschaftsgesetzes und des Gewässerschutzgesetzes) (BBl 2020 6557 ff.)
(3) Stellungnahme des Bundesrates vom 19. August 2020 zur Parlamentarischen Initiative (BBl 2020 6785 ff.)
(4) Verordnungspaket des Bundesrates vom vom 13. April 2022 zur Parlamentarischen Initiative 19.475 (Medienmitteilung)
Ziele gemäss Kommissionsbericht
Ø Neuregelung orientiert sich inhaltlich am Aktionsplan 2017 Pflanzenschutzmittel (PSM)
  des Bundesrates und am Fahrplan zur Risikoreduktion beim Einsatz von PSM und BP.
Ø Gesetzliche Verankerung der Ziele für Reduktion von PSM und BP im Anschluss an
  Aktionsplan.
Ø 50 % Reduktion bis 2027 der mit PSM und PM in Landwirtschaft, bei öffentlicher Hand
  und Privaten verbundenen Risiken für Oberflächengewässer, naturnahe Lebensräume
  und als Trinkwasser genutztes Grundwasser; Überprüfung durch Monitoring.

                                                           Paul Richli                                              20
5. Informeller indirekter Gegenentwurf Parlament (2)
Ziele gemäss Kommissionsbericht (Fortsetzung)
Ø Falls Risiken weiterhin zu hoch, kann Bundesrat den weiteren Absenkpfad festlegen.
Ø Bei Grenzwertüberschreitungen im Trink- und Grundwasser sind entsprechende
  Zulassungen von PSM und BP zu überprüfen.
Vernehmlassung zum Kommissionsbericht (BBl 2020 6541 ff.)
Ø Grundsätzlich Zustimmung zur Stossrichtung.
Ø Einzelne Vernehmlassende verlangen weitergehende Reduktion, andere Vernehm-
  lassende finden den in Aussicht genommenen Abbau schon sehr anspruchsvoll.
Ø Grosse Zustimmung dazu, dass in erster Linie die Branchen für Definition von
  Massnahmen zur Risikoreduktion verantwortlich sein sollen.
Ø Zahlreiche Stellungnahmen verlangen Konkretisierung der Massnahmen durch
  Bundesrat bei Zielverfehlung.
Ø Zahlreiche Forderungen nach Einführung einer Lenkungsabgabe auf PSM.

5. Mai 2022                                 Paul Richli                                21
5. Informeller indirekter Gegenentwurf Parlament – Gesetzesentwurf
Teil Chemikaliengesetz
Ø Art. 10a: Offenlegungspflicht für Biozidprodukte
Ø Art. 10b: Zentrales Informationssystem zur Verwendung von Biozidprodukten
Ø Art. 25a: Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Biozidprodukten
Teil Landwirtschaftsgesetz
Ø Art. 6b: Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln:
  Reduktion um 50 % bis 2027
Ø Art. 164b: Offenlegungspflicht für Pflanzenschutzmittel
Ø Art. 165fbis: Zentrales Informationssystem zur Verwendung von Pflanzenschutzmitteln
Teil Gewässerschutzgesetz
Ø Art. 9 Vorschriften des Bundesrates über das Einleiten und Versickern von Stoffen.
Ø Art. 27: Bodenbewirtschaftung (betr. Zuströmbereich Trinkwasserfassungen).

5. Mai 2022                                 Paul Richli                                 22
5. Informeller indirekter Gegenentwurf Parlament – Sicht Bundesrat
Stellungnahme Bundesrat zum Kommissionsbericht (BBl 2000 6785 ff.)
Ø Grundsätzlich Zustimmung zur Stossrichtung der Kommission.
Ø Entwicklung geeigneter Risikoindikatoren für Überprüfung elementar und komplex.
Ø Unterstützung der Kommissionsmehrheit betr. Widerruf der Genehmigung von
  Wirkstoffen und Einführung einer Lenkungsabgabe, falls Ziele voraussichtlich nicht
  erreicht werden.
Ø Von einem Zulassungs- bzw. Genehmigungsentzug von PSM soll abgesehen werden
  können, falls ein solcher die Inlandversorgung durch wichtige landwirtschaftliche
  Kulturen stark beeinträchtigen würde.
Ø Konkreter, von Kommission aufgenommener Vorschlag zur Ergänzung von Art. 9 Abs. 5
  GSchG: BR kann vom Entzug der Zulassung von Pestizidprodukten bzw. der
  Genehmigung von Wirkstoffen für PSM absehen, wenn sonst Inlandversorgung durch
  wichtige landwirtschaftliche Kulturen stark beeinträchtigt würde.

5. Mai 2022                                Paul Richli                             23
5. Informeller indirekter Gegenentwurf Parlament – Beratung SR+NR
Ø Teilweise hitzige Debatten zwischen (vereinfachend) SP+GPS+GLP vs.
  Mitte+FDP+SVP über Ausmass von Regulierung und Quantifizierung von Zielwerten.
Ø Neu aufgenommen: Offenlegungspflicht für Dünger- und Kraftfutter-Lieferungen
Ø Kontroversen insbesondere um folgende Punkte:
  à SP+GPS+GLP wollten Vorschriften für Absenkpfad für Stickstoff und Phosphor mit
    Zahlen und Fristen, ohne Erfolg; «angemessen reduziert» obsiegte.
  à Transparenz für Information über Lieferungen von Futter und Dünger an Bauern-
    betriebe als Grundlage für die Erstellung von Nährstoffbilanzen. SR erfolgreich mit
    Beschränkung auf Dünger und Kraftfutter. NR wollte neben Dünger alles Futter.
  à Frage, ob Vernehmlassung nötig sei für Pflicht zulasten Kantone, zusätzliche
    Zuströmbereiche für Grundwasserfassungen zu benennen. SR+BR mit Forderung für
    Vernehmlassung erfolgreich.

5. Mai 2022                                 Paul Richli                              24
5. Informeller indirekter Gegenentwurf Parlament – Ergebnis SR+NR
Ergänzungen Vorlage in parlamentarischer Beratung (BBl 2021 665; Referendums-
vorlage vom 8.7.2021; Inkraftsetzung auf 1.1.2023 vorgesehen, inkl. Verordnungspaket)

Teil Chemikaliengesetz
Ø Art. 11 Abs. 1: Ein Pflanzenschutzmittel wird zugelassen, wenn es bei der vorgesehenen
  Verwendung insbesondere keine unannehmbaren Nebenwirkungen auf die Gesundheit
  des Menschen oder von Nutz- und Haustieren oder auf die Umwelt hat.
Teil Landwirtschaftsgesetz
Ø Art. 6a betr. angemessener Absenkung von Stickstoff- und Phosphorverluste der
  Landwirtschaft bis 2030 im Vergleich zum Mittelwert der Jahre 2014–2016.
Teil Gewässerschutzgesetz
Ø Art. 9 Abs. 3: Einführung der Überprüfungspflicht der Zulassung für Pflanzenschutzmittel und
  Biozidprodukte (Pestizide) bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen.

5. Mai 2022                                       Paul Richli                                    25
6. Pestizidinitiative und Gegenentwurf – Herausforderungen
a. Besonderheiten der Landwirtschaft als Wirtschaftssektor
Kaum ein anderer Wirtschaftszweig wird von vergleichbar vielen Sonderfaktoren,
bes. Unsicherheitsfaktoren, belastet, nämlich insbesondere (siehe BlAR 2020 53 ff.):
Ø Viele kleine Produzierende stehen wenigen grossen Abnehmenden (Coop, Migros etc.)
  gegenüber.
Ø Geringe Preiselastizität der Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten auf ein sich
  ausweitendes Angebot.
Ø Meiste landwirtschaftliche Erzeugnisse sind homogen und damit austauschbar.
Ø Geringe Beeinflussbarkeit der wichtigsten Produktionsfaktoren: Boden, Wasser und
  Sonneneinstrahlung.
Ø Produktionsfaktor Boden pro Betrieb nicht einfach vermehrbar.
Ø Umstellung Produktion nicht kurzfristig möglich wegen Lebenszyklus der Tiere und
  Ernteperioden.
Ø Sehr hoher Investitionsbedarf je Arbeitskraft.
5. Mai 2022                                  Paul Richli                                26
6. Pestizidinitiative und Gegenentwurf – Herausforderungen
b. Möglichkeiten und Grenzen für die Marktorientierung
Ø Ab 1953 bis ca. 1992: staatliche Festlegung von Produzentenpreisen (Preisgarantien)
  für Milch, Getreide.
Ø Ab 1992 Teilung von Preis- und Einkommenspolitik à Aufgabe Preisgarantie zugunsten
  von Direktzahlungen à gegen teilweise harten Widerstand der Landwirtschaft.
Ø Bes. Economiesuisse, Avenir Suisse, NZZ und FDP plädieren für mehr Wettbewerb.
Ø Schweizer Landwirtschaft ohne Grenzschutz und ohne hohe Direktzahlungen nicht
  konkurrenzfähig wegen hohem Preis- und Lohnniveau.
Ø Problem rascher Änderungen der Agrarpolitik, weil Umstellung Zeit und Geld kostet und
  jede Umstellung Ertragswirkungen hat à z.B. Getreidebau viel weniger Ertrag als
  Gemüsebau oder Rebbau.
Ø Im Berggebiet grundsätzlich nur Viehwirtschaft möglich.

5. Mai 2022                                 Paul Richli                              27
7. Erwartungen an den Bund und an die Landwirtschaft
Erwartungen an den Bund (zwei Beispiele)
Ø Vermehrte Auseinandersetzung mit Wirtschaftsfreiheit und Eigentumsgarantie der
  Landwirtschaft in der Gesetzgebung, z.B. durch Verknüpfung von Beschränkungen und
  Auflagen an wirtschaftliche Tragbarkeit, wie z.B. im USG:
  à Art. 11 USG: Emissionen müssen nur so weit begrenzt werden, wie dies technisch
    und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar ist.
  à Übergangsbestimmungen bei neuen Beschränkungen und Vorschriften, wie in
     Art. 19a aLwG, wo 1978 Anpassungsfrist von 12 Jahren eingeräumt wurde.
Ø Auseinandersetzung mit “Marktohnmacht“ der Produzierenden von Agrarprodukten
  gegenüber den grossen Abnehmenden:
  à Mehr Orientierung am Agrarkartellrecht der EU.
  à Hinwirkung auf Einsatz des neuen Konzeptes der relativen Marktmacht nach
    Art. 4 Abs. 2bis KG durch das WBF (Art. 27 Abs. 1 KG).

5. Mai 2022                               Paul Richli                             28
7. Erwartungen an den Bund und an die Landwirtschaft
Erwartungen an die Landwirtschaft (Beispiele)
(1) Private Massnahmen
Ø Vermehrter Erwerb von Knowhow in den Bereichen Bestimmung der Produktions-
   bereiche, der Bodenbearbeitung, der Ausbringung von Dünger und von Pflanzenschutz-
   mitteln sowie der Vermarktungsmöglichkeiten.
Ø Vermehrte gemeinschaftliche Beschaffung und Nutzung von Maschinen und gemein-
   samer Vertrieb von landwirtschaftlichen Erzeugnissen.
Ø Vermehrte Diversifikation der Produktion zu Risikominderung und mehr Innovation.
(2) Verbandliche Massnahmen
Ø Vermehrter Zusammenschluss von Verbänden und Produktionsgenossenschaften zur
   Steigerung des Markteinflusses auf Nachfrage- und Angebotsseite.
Ø Überprüfung der Funktionsfähigkeit der Branchenorganisation Milch für die Produktion
Ø Vermehrte Beratung und Schulung in betriebsrelevanten Bereichen.

5. Mai 2022                                Paul Richli                              29
7. Erwartungen an den Bund und an die Landwirtschaft
                NZZ vom 6. April 2022, S. 19

5. Mai 2022                             Paul Richli    30
8. Schlussbemerkungen
Ø Landwirtschaft wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig unter Erwartungsdruck von Staat
  und Gesellschaft für umweltschonenderes Wirtschaften.
Ø Zu wenig Verständnis in Staat und Gesellschaft für Besonderheiten der Landwirtschaft
  als Wirtschaftszweig, insbes. für Anpassungskosten und mögliche negative
  Einkommenswirkungen von geforderten Veränderungen.
Ø Existenzgefährdende Forderungen in Pestizid- und Trinkwasserinitiative.
Ø Wirtschaftlich nicht tragbare Forderungen an Landwirtschaft auch existenzgefährdend
  für Versorgung der (Welt-)Bevölkerung mit Nahrungsmitteln wegen Rückgangs der
  Nahrungsmittelmenge trotz steigender (Welt-)Bevölkerung?
Ø Zu einseitige Zuweisung von Verantwortung an Landwirtschaft und zu wenig Zuweisung
  von Verantwortung an Staat und Gesellschaft, bes. Konsumentinnen und Konsumenten.
Ø Enormes Spannungsverhältnis zwischen ökologischen und tierschützenden Anforde-
  rungen an Produktion und Kaufbereitschaft von Konsumentinnen zu höheren Preisen

5. Mai 2022                                Paul Richli                               31
SRF 1 TV – DOK zum Pestizid vom 7. April 2022 – 20.05–21.05 Uhr

5. Mai 2022                        Paul Richli                        32
SRF 1 TV – DOK zum Pestizid vom 7. April 2022 – 20.05–21.05 Uhr
enormes Spannungsverhältnis Erntesicherheit – Gesundheitsschutz
           gegenseitiger Respekt der Akteure wichtig!

5. Mai 2022                     Paul Richli                    33
Sie können auch lesen