Konferenz zur Zukunft Europas - Ist die Europäische Union bereit für ein neues Kapitel?
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Konferenz zur Zukunft Europas –
Ist die Europäische Union bereit für ein
neues Kapitel?
Nr.6/2021
Dr. Hardy Ostry, Ludger Bruckwilder
Die Idee zur „Konferenz zur Zukunft Europas“ wurde bereits vor zwei Jahren geboren. Seitdem hat das Projekt
die ersten Hürden genommen, wurde aber zuletzt durch die Pandemie und einen interinstitutionellen Zwist
aufgehalten. Dieser Stillstand konnte nun überwunden werden, und die Konferenz nimmt konkrete Formen an.
Dieser Klartext.Europa liefert einen Überblick über die bisherige Genese der Konferenz und fasst zusammen, wie
die Konferenz aufgebaut sein wird, was sie auszeichnet und welche Möglichkeiten sie bietet. Der Startschuss für
die Konferenz fällt am Europatag, dem 9. Mai 2021. Die Konrad-Adenauer-Stiftung wird die Konferenz aktiv
begleiten.
Hintergrund Nominierung den Faden von Macron auf. In ihrer
Bewerbungsrede vor dem EU-Parlament kündigte
Vor fast exakt zwei Jahren brachte Frankreichs
sie die „Konferenz zur Zukunft Europas“ offiziell
Präsident Emmanuel Macron im Vorfeld der Wahl
an. Sie skizzierte in ihrer Rede eine zweijährige
zum Europäischen Parlament mit seinem Auf-
Konferenz, welche vorab von Parlament, Rat und
schlag „Für einen Neubeginn in Europa“ den Stein
Kommission vereinbarte eindeutige Ziele verfol-
für die Konferenz zur Zukunft Europas ins Rollen.
gen, Europäerinnen und Europäer zusammen-
Macron forderte darin „eine Europakonferenz ins
bringen und eine starke Stimme geben würde.
Leben [zu] rufen, um alle für unser politisches
Projekt erforderlichen Änderungen vorzuschla-
gen, ohne Tabus, einschließlich einer Überarbei- Konvent zur Zukunft Europas
tung der Verträge.“ Etwa zwanzig Jahre nach den Der Konvent zur Zukunft Europas, auch Eu-
Erfahrungen rund um den Europäischen Konvent ropäischer Konvent, stand unter der Leitung
mit dem Ziel, der EU eine Verfassung zu geben, des ehemaligen französischen Präsidenten
war eine Konferenz, die laut Macron Bürgerpa- Valéry Giscard d’Estaing und hatte von 2001-
nels umfassen sollte, ein kühner Vorschlag. 2003 den Auftrag eine europäische Verfas-
sung zu entwerfen.
Als nach der Wahl zum Europäischen Parlament
Der Vertragsentwurf wurde 2004 zwar un-
das maßgeblich von den politischen Parteien
terzeichnet, im nachfolgenden Ratifizie-
intendierte Spitzenkandidatenprinzip zur Frustra-
rungsprozess scheiterte er jedoch an Volks-
tion vieler Beteiligter doch nicht befolgt und
abstimmungen in Frankreich und in den
stattdessen Ursula von der Leyen überraschend Niederlanden. Stattdessen mündeten viele
als Präsidentin der Europäischen Kommission Ideen des Verfassungsentwurfs in den Ver-
nominiert wurde, nahm diese unter dem Ein- trag von Lissabon, welcher 2007 unterzeich-
druck des Kompetenzgerangels rund um ihre net und 2009 in Kraft trat.
Nr.6/ 16. März 2021 www.kas.de/bruessel
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
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Entwicklung In der zweiten Jahreshälfte 2020 während der
deutschen Ratspräsidentschaft befand sich die
Seit dem Sommer 2019 steht die Konferenz zur
EU im Krisenbewältigungsmodus. Die bis auf
Zukunft Europas also offiziell auf der Agenda der
Weiteres verschobene Konferenz war in diesem
EU. Obwohl es zu Beginn wenig konkrete Ideen
Zusammenhang verständlicherweise keine Priori-
gab, wie genau die Konferenz ausgestaltet wer-
tät, wenngleich Deutschland im Rahmen seiner
den sollte, wurden schnell aus verschiedenen
Ratspräsidentschaft weiterhin versuchte, das
Richtungen große Erwartungen an die Konferenz
Anliegen nach vorne zu bringen. Erst nach dem
geknüpft bzw. Hoffnungen in sie hineinprojiziert.
Jahreswechsel, mit Beginn der portugiesischen
Gleichzeitig mehrten sich aber auch die Stimmen
Ratspräsidentschaft und bedingt durch die Tatsa-
jener, die in der Konferenz ein wenig erfolgsver-
che, dass die anlaufende Impfkampagne den Weg
sprechendes Projekt sahen. Kommissionsseitig
aus der Pandemie zu ebnen begann, kam neuer
betraute die designierte Präsidentin von der
Schwung in den Prozess der Konferenz.
Leyen in ihrem Kolleg Věra Jourová, Maroš Šefčo-
vič, und Dubravka Šuica mit ihren jeweiligen Port-
folios mit dem Projekt. High hopes, low expectations – Brussels’
perspective on the future of Europe after
Im November 2019 schien die geplante Konfe-
COVID-19
renz dann konkretere Formen anzunehmen. Ein
gemeinsames Non-Paper aus dem Bundeskanz- Im Sommer 2020 führte das Europabüro der
leramt und dem Élysée-Palast präsentierte einen KAS zusammen mit Partnern eine groß ange-
groben zeitlichen Fahrplan und konkrete inhaltli- legte Studie unter Brüsseler Stakeholdern
che Schritte, bei denen die deutsche Ratspräsi- zur Zukunft Europas nach der Coronapan-
dentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 und demie durch. Die spannenden Ergebnisse
die französische Ratspräsidentschaft in der ers- flossen in den Abschlussbericht ein, den Sie
ten Jahreshälfte 2022 den Rahmen für einen hier finden können und zeigen ein sehr
zweijährigen Prozess bilden sollten. gemischtes Stimmungsbild. Dabei waren
besonders die zum Ausdruck gebrachten
In den Monaten Ende des Jahres 2019 und An-
Themenpräferenzen für die Konferenz zur
fang des Jahres 2020 veröffentlichten dann alle
Zukunft Europas ein wertvoller Blick voraus
drei großen EU-Institutionen – die Kommission,
auf die nun startende Konferenz.
das Parlament und der Rat – ihre Positionen hin-
sichtlich der Konferenz. Obwohl grundsätzlich
Einvernehmen bestand, dass die zweijährige
Konferenz am 9. Mai 2020 hätte beginnen sollen, Der Konflikt um die Führerschaft konnte nach EU-
manifestierte sich spätestens ab diesem Zeit- typischem längerem Hin und Her schließlich
punkt ein Konflikt über die Führung der Konfe- durch einen Kompromiss gelöst werden, auch
renz. wenn das Ergebnis von vielen Beobachtern kri-
Bevor der Konflikt gelöst werden konnte, begann tisch gesehen wird. Die Konferenz wird nun von
allerdings die Coronavirus-Pandemie und machte einer umfangreichen Führungsstruktur gesteuert,
jegliche Planung ohnehin hinfällig. Im Lichte der in der alle drei Institutionen paritätisch repräsen-
krisenhaften Entwicklung wurde der Start der tiert sein werden. Mit der am 10. März 2021 un-
Konferenz bis auf Weiteres verschoben. Gleich- terzeichneten gemeinsamen Erklärung haben die
zeitig brachten die Pandemie und der Krisenmo- drei Institutionen die Leitlinien für die Konferenz
dus allerdings insofern Bewegung in die Konfe- festgehalten.
renzidee, als dass auch unter vormaligen Kriti- Der Präsident des Europäischen Parlaments, der
kern ein Umdenken einsetzte, dass ein EU- jeweilige Präsident des Rates und die Präsidentin
Reformprozess durchaus geboten wäre und der der Kommission haben gleichberechtigt die Prä-
Zeitpunkt dafür nach Bewältigung der Pandemie sidentschaft inne. Unter ihnen wird ein ebenfalls
passend wäre. Das Europabüro der Konrad- aus jeweils drei paritätisch besetzten Vertreterin-
Adenauer-Stiftung hatte unter diesem Eindruck nen und Vertretern besetzter Exekutivausschuss
im Sommer 2020 eine Studie durchgeführt (siehe eingesetzt. Hinzu kommen ein gemeinsames
Infokasten). Welcher Moment schien – trotz Krise Sekretariat und eine Plenarversammlung der
bzw. eben wegen ihr – geeigneter zu fragen, wo- Konferenz. Letztgenannte setzt sich gleichberech-
hin das Projekt Europa steuern sollte? tigt aus Vertreterinnen und Vertretern des Euro-
päischen Parlaments, des Rates und der Europäi-Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
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schen Kommission sowie Vertreterinnen und prüfen, wie ein effektives weiteres Vorgehen im
Vertretern aller nationalen Parlamente und aus Anschluss an den Bericht zu gestalten sein wird.“
Bürgerinnen und Bürgern zusammen und wird
Die Grundsätze
mindestens alle sechs Monate tagen.
Für die Konferenz wurden eine Reihe von Grund-
Verfahren, Grundsätze und Themen säten definiert, die im Wesentlichen Inklusivität,
der Konferenz Offenheit und Transparenz gewährleisten sollen.
Wichtig ist die Tatsache, dass außerdem stark
Wie wird die Konferenz unter der skizzierten darauf geachtet werden soll, einen ausbalancier-
Führungsstruktur also konkret ablaufen? Auch ten Prozess zu ermöglichen, in welchem sich die
hierzu liefert die gemeinsame Erklärung Antwor- Vielfalt Europas widerspiegeln soll. Hierbei wird
ten, auch wenn sicher noch viele Details folgen es vor allem darum gehen, geografische Ausge-
müssen. wogenheit sicherzustellen, aber auch Menschen
Das Verfahren aller Alters-, Bildungs- und Einkommensschichten
die Teilnahme gleichermaßen zu ermöglichen.
Im Grundsatz wird die Konferenz „ein an die Bür- Außerdem wird es ein Branding mit hohem Wie-
gerinnen und Bürger gerichteter, nach dem Bot- dererkennungswert geben sowie eine von allen
tom-up-Ansatz geführter Prozess, mit dem es den Veranstaltern der einzelnen Events zu unter-
Europäerinnen und Europäern ermöglicht wer- zeichnende Konferenzcharta.
den soll, ihre Erwartungen an die Europäische
Union vorzutragen“, so die Erklärung. Es soll eine Die Themen
Vielzahl physischer und virtueller Veranstaltun- Dies ist bislang wohl der Bereich, der am wenigs-
gen und Debatten auf allen Ebenen geben, bei ten klar ausformuliert ist. Die dreigeteilte Präsi-
denen sowohl die Zivilgesellschaft als auch soge- dentschaft stellt allgemeingültig heraus, dass die
nannte Interessenträger (gemeint sind beispiels- Möglichkeit bestehen soll, die Themen zu adres-
weise Kirchen, Verbände oder Gewerkschaften) sieren, die die Bürgerinnen und Bürger für wich-
einbezogen werden. Bei allen Formaten gelten tig halten und zeigt hiermit zunächst große Of-
die Grundsätze, dass die Beteiligung inklusiv und fenheit. Dennoch zeigt die Erklärung auch, dass
ausbalanciert ermöglicht wird. Die EU-Organe die Themen, die die Kommission in ihren politi-
selbst verpflichten sich zur Organisation von schen Leitlinien für 2019-2024 definiert, den
sogenannten „europäischen Bürgerforen“. Mög- Rahmen bilden sollen. In der Erklärung heißt es
lich sind darüber hinaus in den Mitgliedsstaaten weiter: „Das Themenspektrum der Konferenz
sogenannte „nationale Bürgerforen“, die die Bei- sollte den Bereichen Rechnung tragen, die in den
träge von verschiedenen regionalen Veranstal- Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union
tungen bündeln. fallen, oder in denen das Handeln der Europäi-
Die gegebenen Impulse werden während der schen Union für die europäischen Bürgerinnen
gesamten Konferenz über eine mehrsprachige und Bürger von Nutzen wäre. Die Bürgerinnen
digitale Plattform gesammelt, analysiert, über- und Bürger können darüber hinaus weitere The-
wacht und veröffentlicht. Über diese Plattform ist men ansprechen, die ihnen am Herzen liegen.“
auch eine direkte Bürgerbeteiligung möglich. Die CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament
Gleichwohl soll die Digitalplattform über einen ist beispielsweise hinsichtlich der Themen, die im
Feedback-Mechanismus verfügen, der es ermög- Rahmen der Konferenz adressiert werden sollen,
licht, vorgebrachte Ideen zu möglichst konkreten schon viel weiter. Die Gruppe veröffentlichte
Empfehlungen für EU-Maßnahmen zu machen. bereits im November 2020 ein Positionspapier
Über die Plenarversammlung, die die Impulse mit ambitionierten Zielen. Gegliedert in die fünf
ordnet und erörtert, sollen die entwickelten Ideen Themenbereiche (1) Handlungsfähigkeit und de-
wiederum auf die nächsthöhere Ebene, den Exe- mokratische Legitimation, (2) Sicherheitsunion, (3)
kutivausschuss, gegeben werden, der sie ausar- ein Europa, das weltweit Maßstäbe setzt, (4) für
beitet und veröffentlicht. In der Erklärung heißt einen Wissenskontinent und Innovationsführerschaft
es: „Die endgültigen Ergebnisse der Konferenz und (5) Wohlstand für kommende Generationen
werden in einem Bericht an den gemeinsamen sichern wurden jeweils ein Bündel von konkreten
Vorsitz zusammengefasst. Die drei Organe wer- Zielen und Umsetzungsvorschlägen formuliert.
den innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbe- Finden solche Ideen Eingang und Unterstützung
reichs und im Einklang mit den Verträgen rasch in den Prozess der Konferenz, wird sie fast auto-
matisch der Anstoß zu einem ReformprozessKonrad-Adenauer-Stiftung e. V.
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werden müssen und weniger ein unverbindlicher würfe geprägt sein sollte, um den gegenwärtigen
Bürgerdialog. und künftigen Herausforderungen besser gerecht
zu werden.
Kommentar
Aktuell kann ganz sicher davon ausgegangen
Nachdem die Konferenz zur Zukunft Europas werden, dass die verschiedensten Stakeholder
zwischenzeitlich schon zu einer unliebsamen auch die verschiedensten Interessen hinsichtlich
Hängepartie zu verkommen schien, konnte der der Konferenz verfolgen. Die Frage, wie der Kon-
Zwist zwischen den drei großen EU-Institutionen ferenzprozess gesteuert wird, wird dementspre-
rund um die Führung des Prozesses mit einem chend von entscheidender Bedeutung sein. Klar
für die Brüsseler Politik typischen Kompromiss ist, dass all jene, die schon jetzt von einem basis-
endlich überwunden werden. Ist die Tatsache, demokratischen Bürgerkonvent träumen, ent-
dass die Konferenzidee gleich nach ihrer Geburt täuscht werden dürften. Dieses Versprechen
in ein langes Hin und Her abglitt, in dem es we- kann die Konferenz nicht halten. Das muss sie
sentlich auch um politische Karrieren und Ämter auch nicht, da mit dem Europäische Parlament
ging, bereits der beste Beweis dafür, wie notwen- bereits gewählte Volksvertreter im Sinne des
dig die Konferenz ist? Viele Beobachter sehen es Prinzips der repräsentativen Demokratie Teil des
genauso. Aufbaus der Europäischen Union sind.
Lässt man die missliche Vorgeschichte aber nun Viel spannender dürfte die Frage sein, ob durch
hinter sich und startet einen strukturierten Pro- die Konferenz tiefgreifende institutionelle Refor-
zess, liegt in der Konferenz eine große Chance zur men eingefordert werden. Sollte dies der Fall
rechten Zeit. Im Detail werden die Konferenz- sein, müsste die Konferenz logischerweise in
struktur und die gewählten Formate sich natür- einen nächsten Prozess münden, der Ver-
lich noch bewähren müssen. Der Zeitpunkt des tragsveränderungen ermöglicht. Aber das wäre
Starts in einer Phase, in der mit optimistischer dann die „Zukunft der Konferenz zur Zukunft
Sichtweise davon ausgegangen werden kann, die Europas“. Die Gegenwart mit der Einigung, die
Pandemie in Europa zeitnah zu überwinden, Konferenz am Europatag, dem 9. Mai 2021 zu
könnte besser nicht sein. Die Coronakrise, aber beginnen, markiert daher einen ersten Schritt,
auch die Jahre zuvor haben großen Reformbedarf um ein mögliches neues Kapitel im Integrations-
für die Europäische Union erkennen lassen. Au- prozess aufzuschlagen.
ßerdem besteht in weiten Teilen der EU Konsens
darüber, dass auch die mittel- und langfristige
Krisenüberwindung durch nachhaltigere und
innovativere Wirtschafts- und Gesellschaftsent-Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
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Mit dem Format Klartext.Europa greift das Europabüro der Konrad-Adenauer-Stiftung aktuelle
und relevante europapolitische Themen und Projekte auf, um sie präzise zu erläutern und ver-
ständlich darzustellen.
Unser Ziel ist es,
aktuelle europapolitische Themen verständlich zusammenzufassen,
den Hintergrund und die Entwicklung zu beschreiben,
Maßnahmen und Ziele präzise darzustellen,
relevante Aspekte zu analysieren
und über komplexe EU-Themen Klartext zu sprechen.
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Dr. Hardy Ostry
Leiter
Europabüro
www.kas.de/bruessel
hardy.ostry@kas.de
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