Rechtskonforme Bereitschaftsdienste einführen - Projektmanagement am Beispiel des Caritas-Verbundprojektes CAT

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Rechtskonforme Bereitschaftsdienste einführen - Projektmanagement am Beispiel des Caritas-Verbundprojektes CAT
Herrmann · Kutscher · Weidinger
                                     Arbeitszeitberatung

Lars Herrmann / Jana Jelenski / Marcus Proff / Gerd Fruchtmann1                     04/2006

      Rechtskonforme Bereitschaftsdienste einführen –
        Projektmanagement am Beispiel des Caritas-
                  Verbundprojektes CAT
      (erschienen in überarbeiteter Form in: „Das Krankenhaus“ Heft 5/2006“)

In einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld und gegen Widerstände insbesondere
der Betroffenen müssen die Krankenhäuser derzeit die Entwicklung rechtskon-
former Bereitschaftsdienste voranbringen. Der Gesetzgeber hat mit der Verlänge-
rung der gesetzlichen Übergangsfrist gemäß § 25 ArbZG bis zum 31.12.2006 den
zeitlichen Umsetzungsdruck gemildert; die Umsetzung in den Häusern, in denen
noch keine neuen Tarifverträge gelten, ist hierdurch hinausgezögert worden.2
Hierzu gehören insbesondere die katholischen Krankenhäuser, die den AVR Cari-
tas unterliegen, aber auch die Universitätskliniken und teilweise Häuser, in denen
Mitarbeiter auf ei-nen Tarifvertrag mit dem Marburger Bund spekulieren. Ohne
externen rechtlichen Druck sehen sich aber viele Krankenhäuser – und Ausnah-
men bestätigen diese Regel – nicht befähigt, grundlegende Veränderungen der
Bereitschaftsdienstorganisation durchzusetzen.
Umso interessanter ist die Frage, unter welchen Bedingungen Arbeitszeit-
Innovationen dennoch gelingen können. Mit der Entwicklung und Umsetzung
rechts-konformer Bereitschaftsdienstmodelle haben 10 Krankenhäuser des Diö-
zesan-Caritas-Verbandes des Erzbistums Köln im vom Verband initiierten Projekt
„CAT“ (= „Caritas Time“)

 Abbildung 1 – Projektstruktur
10 katholische Krankenhäuser aus der Kölner Region haben sich mit insgesamt
40 Fachabteilungen und 48 Funktionsdiensten am Projekt beteiligt. Ziel des Pro-
jektes war es, den Krankenhäusern durch eine Verbundstruktur mit zentraler Pro-
jekt-Koordination durch den Diözesan-Caritasverband Köln und mit fachlicher Be-
gleitung durch ein externes Beratungsunternehmen größtmögliche Synergiepo-
tentiale zu eröffnen.

1
  Lars Herrmann ist Partner, Jana Jelenski Mitarbeiterin der Arbeitszeitberatung Herrmann Kut-
scher Weidinger, Berlin (www.arbeitszeitberatung.de); Markus Proff ist Referent der Abteilung
Kran-kenhäuser des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln e.V. (www.caritasnet.de);
Gerd Fuchtmann ist Pflegedirektor der Vinzenz Pallotti Hospital GmbH, Bergisch-Gladbach
(www.vph-bensberg.de).
2
  Vgl. die ausführliche Würdigung der derzeitigen arbeitszeitrechtlichen Lage in: Lars Herrmann
(11/2005) „Verlängerung der Übergangsfrist: wie sie in den Krankenhäusern genutzt werden
sollte“ unter www.arbeitszeitberatung.de.

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Das Projekt startete Ende August 2005, um die seinerzeit noch geltende gesetzli-
che Frist zur Umsetzung arbeitszeitgesetzkonformer Bereitschaftsdienstmodelle
einhalten, also bis zum 31.12.2005 solche Modelle entwickeln zu können.
Der Projektablauf sah zwei Termine für krankenhausübergreifende Workshop-
Runden – je einen im August und im November – vor, in denen jeweils zwei bis
drei Krankenhäuser zusammentrafen. Die Teilnahme an den Workshop-Runden
war auf maximal fünf Personen pro Krankenhaus begrenzt – Projektleiter, Ärztli-
cher Direktor, Mitarbeitervertretung sowie bis zu zwei weitere Führungskräfte aus
Bereichen mit Bereitschaftsdiensten.
Zwischen den Workshop-Runden fanden sowohl interne Feedbackrunden als
auch Konzepterarbeitungsphasen vor Ort, letztere unter Begleitung des Bera-
tungsunternehmens,       statt.   Bis    zum     Projektabschluss    (Jahresende
2005)entwickelten die am Projekt teilnehmenden Krankenhäuser sukzessive ab-
teilungsspezifische Bereitschaftsdienstmodelle Seither sind die ersten erarbeite-
ten Modelle umgesetzt worden, so dass auf einer Projektleitersitzung am
07.02.2006 hierzu bereits erste Erfahrungen ausgetauscht werden konnten.

Abbildung 2 – Projektablauf

Auch in dieses Projekt wirkten die unsicheren äußeren Umstände, den arbeitszeit-
rechtlich ausgelösten Handlungsdruck bewältigen zu müssen, ohne die konkreten
rechtlichen Rahmenbedingungen zu kennen, hinein: So musste mangels neuer

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AVR-Regelungen mit einer arbeitszeitrechtlichen Arbeitshypothese auf Basis des
TVöD gearbeitet werden. Darüber hinaus verringerte sich der externe Druck durch
die Verschiebung des Beschlusses der Arbeitsrechtlichen Kommission infolge der
Verlängerung der gesetzlichen Übergangsfrist um ein Jahr.
Krankenhausübergreifende Organisationsprojekte wie „CAT“ ermöglichen immer
auch verallgemeinerungsfähige Erkenntnisse über die Bedingungen ihres Erfol-
ges. So kommt insbesondere unter unsicheren rechtlichen Rahmenbedingungen
und bei tradierten Organisationsstrukturen dem Projektmanagement ein erfolgs-
kritischer Faktor zu. Ein Indiz hierfür ist beispielsweise, dass Führungskräfte der
Fachabteilungen unterschiedlicher Häuser auch bei vergleichbaren Rahmenbe-
dingungen (hinsichtlich Fachdisziplin, Tätigkeitsspektrum, Abteilungsgröße und
Mitarbeiterstruktur) in der inhaltlichen Bewertung nahezu identischer Modellvari-
anten zu diametral unterschiedlichen Ergebnissen kommen – in einer Bandbreite
von Zustimmung bis Ablehnung. Die unterschiedliche Offenheit der Chefärzte ge-
genüber Modellen jenseits des tradierten Regeldienst-Bereitschaftsdienst-
Schemas ist dabei wohlgemerkt nur eine und nach unserer Beobachtung nicht die
wichtigste Erklärung. Vielmehr lassen sich eine Reihe kritischer Erfolgsfaktoren
finden:

1. Erfolgsfaktor – Umgang mit unständigen Bezügen
Die sensibelste Frage – was wird aus den unständigen Bezügen? – sollte zu Pro-
jektbeginn geklärt werden. Ihre Nichtbeantwortung droht sonst das ganze Projekt
zu lähmen. Dazu wird einfach ermittelt3, welche Arbeitszeit die Mitarbeiter errei-
chen, wenn die bisherigen unständigen Bezüge aus Bereitschaftsdienst in Wo-
chenarbeitsstunden umgerechnet und zur vertraglichen Wochenarbeitszeit addiert
wird. Nicht selten ist das Erstaunen groß, dass der errechnete Wert nicht oder
nicht wesentlich über durchschnittlich 48h/w liegt. Tatsächlich überschätzen die
Beteiligten die Einkommensverluste in Folge neuer Bereitschaftsdienstregelungen
in der Regel deuttich. Wird nun vereinbart, die unständigen Bezüge unabhängig
von der Modellausgestaltung in der bisherigen Größenordnung zu halten, steigt
die Bereitschaft der Beteiligten, an neuen Modellen mitzuwirken. Übrigens sind
24h-Dienste hierfür gerade nicht erforderlich: Unter der Woche generiert ein 24h-
Dienst üblicherweise nicht mehr als rund 5h unständiger Bezüge (16h/d [Bereit-
schaftsdienstzeit nach Regeldienst] x 0,8 [Stufe D] – 7,7h/d [Freizeitausgleich am
Folgetag] = 5,1h/d). In neuen Bereitschaftsdienst-Modellen wird dieser Wert
dadurch erreicht, dass kürzere Bereitschaftsdienste möglichst ohne Freizeitaus-
gleich ausgestaltet werden. Das ist aus wirtschaftlichen Gründen ohnehin eine
gute Idee, kostet doch dieser Freizeitausgleich andernfalls wertvolle Vollarbeits-
zeitkapazitäten. In den Krankenhäusern, in denen die Anfangskalkulation durch
zügige Berechnung anhand der entwickelten Modelle zeitnah bestätigt wurde,

3
 siehe hierzu ausführlich: Lars Herrmann: Bereitschaftsdienst am Scheideweg - Methodische
Grundkenntnisse zur Entwicklung positiver Perspektiven, in: „Der Personalrat“, Heft 3/2006
bzw. - geringfügig überarbeitet - unter www.arbeitszeitberatung.de.

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beurteilten die Beteiligten die neuen Modelle insgesamt positiver als in anderen
Häusern.

2. Erfolgsfaktor – Input der Krankenhaus-Leitung
Klare Erwartungen der Krankenhaus-Leitung befördern den Projekterfolg signifi-
kant – und zwar umso mehr, wenn das Arbeitszeitprojekt nicht allein als Reaktion
auf veränderte arbeitszeitrechtliche Grenzen kommuniziert wird, sondern als akti-
ve Gestaltungsoption zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen, Prozessorgani-
sation und Effizienz. Besonders überzeugend sind die CAT-Ergebnisse in den
Häusern, in denen die Krankenhausleitung von Beginn an keinen Zweifel daran
gelassen hat, dass eine zeitgemäße Arbeitszeitgestaltung für optimale Abläufe
und die Qualitätssteigerung der Patientenversorgung unverzichtbar ist. Zudem
sollte die Krankenhausleitung zu Beginn des Projektes dessen Rahmenbedingun-
gen klar definieren. Hierzu gehören unter anderem Kostenneutralität sowie die
Nutzung von formalen Spielräumen. Beispielsweise muss deutlich werden, ob und
unter welchen Bedingungen die sog. Opt-out-Regelung genutzt werden kann. In-
teressanterweise sahen im Rahmen des CAT-Projektes die Krankenhäuser (übri-
gens ihre Mehrheit), die die Opt-out-Regelung von Beginn an ausgeschlossen
hatten, am Ende der Konzeptarbeiten keinen Bedarf mehr für eine solche Rege-
lung.

3. Erfolgsfaktor – Frühzeitige Einbeziehung der Führungskräfte
Im ärztlichen Bereich müssen die Chefärzte von Beginn an am Projekt beteiligt
sein. In der Regel ist die – jedenfalls durchgehende – Delegation auf einen pro-
jektverantwortlichen Oberarzt, auch wenn dies der Dienstplanverantwortliche ist,
nur dann er-folgreich, wenn zwischen beiden Beteiligten die Projektergebnisse
und die zugrunde liegenden Überlegungen, die sich oft nur verbal vermitteln las-
sen, intensiv kommuniziert werden. Steht der Chefarzt bzw. die Pflegedienstlei-
tung hinter dem neuen Modell, wird dieses nach einer Erprobung auch von den
betroffenen Assistenzärzten deutlich positiver bewertet als ohne diese Unterstüt-
zung.

4. Erfolgsfaktor – Organisatorischer Projektrahmen
Erfolgreiche Bereitschaftsdienst-Projekte sollten für die Modellerarbeitung mit we-
nigen (d.h. konkret, nicht mehr als 5) Projektgruppensitzungen auskommen. Die-
se sollten gut vorbereitet und die Ergebnisse zwischen den Terminen breit intern
kommuniziert werden. Des Weiteren empfiehlt es sich, die gesamte Konzeptions-
phase bezüglich der Zeitplanung von vornherein komplett zu terminieren. Dazu
wird je Abteilung eine kleine Projektgruppe mit personell möglichst stabiler Beset-
zung gebildet, die sich im Abstand von ca. 3 Wochen trifft und die das nach jeder
Besprechung weiterentwickelte schriftliche Konzept schrittweise gemeinsam kon-

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kretisiert. In der Projektgruppe ist je ein Vertreter der Mitarbeitervertretung und
der Personalleitung zugegen. Die kontinuierliche Einbeziehung der Mitarbeiterver-
tretung trägt dazu bei, das Arbeitszeitprojekt in vertrauensvoller Zusammenarbeit
voranzutreiben. Für die Personalleitung kommt es insbesondere darauf an, die
mitunter zahlreich vorgetragenen Organisationsprobleme, die im Zusammenhang
mit der Arbeitszeitdiskussion ans Tageslicht gebracht werden, ernst zu nehmen
und, wo möglich, ihre Beseitigung auch im Interesse besserer Arbeitsbedingun-
gen auf die Tagesordnung zu setzen.

5. Erfolgsfaktor – Zügige Modellvorstellung
Die denkbaren Grundmodelle sollten den Projektbeteiligten zügig – in der Regel
nach der 1. Projektbesprechung – vorgestellt werden. Lange Problem- oder
„Grundsatzdiskussionen“ über den Projektzweck blockieren lösungsorientierte
Denkweisen von Beginn an. Letztlich geht es um eine überschaubare Auswahl an
Alternativen, die dann „nur noch“ an die konkreten Abteilungsgegebenheiten an-
gepasst werden müssen. So lassen sich alle im Rahmen des CAT-Projektes ent-
wickelten Modellvarianten wenigen Grundmodellen zuordnen – wie Abbildung 3
zeigt. Allerdings ist bei der insgesamt erfolgreicheren zügigen Vorgehensweise
darauf zu achten, dass die Projektbeteiligten sich nicht mit „fertigen“ Modellen
überfahren fühlen, in denen eigene Gestaltungsideen nur noch wenig Platz ha-
ben.

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Abbildung 3 - Synopse der entwickelten Bereitschaftsdienstmodelle, bisher
teilweise um-gesetzt, geordnet nach Fachabteilungen

Zwei Beispiel-Modelle stellen wir in Abbildung 4 vor.

Abbildung 4 – Zwei Dienstmodelle des Vinzenz Pallotti Hospitals Bensberg
Der ärztliche Anästhesiedienst im Vinzenz Pallotti Hospital Bensberg mit 7 Bereit-
schaftsdienst leistenden Assistenzärzten arbeitet seit dem 01.02.2006 entspre-
chend dem so genannten Grundmodell des TVöD4. MO-FR gelten folgende
Dienstzeiten:
• Tagdienst 07:45-16:00
• Langdienst 07:45-17:45 - 1x besetzt
• Versetzter Dienst 10:00-19:30 - 1x besetzt
• Nachtdienst 19:00-08:00 - 1x besetzt

4
  Das TVöD-Grundmodell ermöglicht im Rahmen einer Höchstarbeitszeit von 48h/w im 12-
Monats-Durchschnitt aus Vollarbeit und Bereitschaftsdienst zusammengesetzte Dienste von bis
zu 13h (Stufen C und D) bzw. 16h (Stufen A und B) Dauer, in denen bis zu 8h Vollarbeit enthal-
ten sein dürfen und 45min gesetzliche Pausenzeit enthalten sein müssen.

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Tag-, Lang- und versetzter Dienst sind reine Vollarbeitsdienste, in deren Gesamt-
dauer die gesetzliche Pausenzeit enthalten ist. Der Nachtdienst umfasst aufgrund
seiner Auslastung von 19:00-24:00 und von 07:30-08:00 Vollarbeit, von 24:00 bis
07:30 jedoch Bereitschaftsdienst der Stufe D.
Für die Wochenenden und Feiertage wurden nachstehenden Dienstzeiten verein-
bart:
• Tagdienst 07:30-20:00 – 1x besetzt
• Nachtdienst 19:30-08:00 – 1x besetzt

Der Tagdienst läuft von 07:30-13:00 und von 19:30-20:00 in Vollarbeit. Zwischen
13:00 und 19:30 handelt es sich um Bereitschaftsdienst der Stufe D. Im Nacht-
dienst sind lediglich die Übergabezeiten – 19:30-20:00 und 07:30-08:00 – in Voll-
arbeit zu leisten, die restliche Zeit – 20:00-07:30 – haben die Ärzte Bereitschafts-
dienst Stufe D.
Die Nachtdienste werden in Teilmodulen SA-DI und MI-FR organisiert, was be-
deutet, dass ein Assistenzarzt die Nächte SA-DI und ein anderer Assistenzarzt
die Nachtdienste MI-FR absolviert. Hierdurch ist jeder Assistenzarzt dieser Abtei-
lung im Durchschnitt jede 3. bis 4. Woche in einem der Teilmodule eingeteilt und
erbringt somit ca.15 Teilmodule/Jahr. Die anderen Wochen sind komplett nacht-
dienstfrei. Da angrenzende Bereiche wie OP-Pflege und der Ärztliche Dienst Chi-
rurgie ebenfalls nach dieser Teilmodullösung arbeiten, werden aufgrund der be-
reichsübergreifenden Personal-Minderbesetzung am MI das OP-Programm sowie
die ambulante elektive Patientenversorgung vom OP-Koordinator entsprechend
angepasst.
Nach obigem Modell leistet jeder der sieben Bereitschaftsdienst leistenden Assis-
tenzärzte im Durchschnitt eine arbeitszeitschutzrechtliche 48h-Woche, womit die
zu-lässige gesetzliche Höchstarbeitszeit pro Woche eingehalten wird.
Dr. Finkes, Assistenzarzt aus der Anästhesieabteilung des Vinzenz Pallotti Hospi-
tals Bensberg, fasst erste Erfahrungen zusammen:
„Zunächst war die Skepsis groß, ob wir mit den neuen Dienstzeiten das Tagesge-
schäft bewältigt bekommen. Doch das geht erstaunlich gut. Ich bin froh, dass ich
nach dem Nachtdienst wirklich nach Hause gehen darf und gegenüber meinen
Kollegen kein schlechtes Gewissen mehr haben muss. Das Nachtdienstmodul
und die damit einhergehenden Veränderungen im persönlichen Umfeld sind
schon gewöhnungsbedürftig, aber alle 4 Wochen erträglich. Ich könnte mir aller-
dings keine sieben Nachtdienste in Folge vorstellen, mit nur einem freien Tag im
Anschluss an so ein langes Modul. Dann käme ich völlig aus meinem Lebens-
und Arbeitsrhythmus. Vielleicht müssen wir den Nachtdienst ein wenig später be-
enden, da wir mit der morgendlichen Intensivübergabe nicht hinkommen. Zu-
nächst erproben wir die neuen Dienstzeiten.
Wir werden voraussichtlich alle ein paar Euro weniger in der Tasche haben, aber
dafür haben wir Verstärkung durch eine neue Kollegin bekommen und die Le-
bensqualität hat sich verbessert.“

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Auch die Hebammen im Kreißsaal des Vinzenz Pallotti Hospitals haben ihre
Dienstzeiten auf ein rechtskonformes Bereitschaftsdienstmodell umgestellt. Seit
dem 01.01.2006 arbeiten sie MO-FR wie folgt:
• Frühdienst 06:00-14:30 – 2x besetzt
• Zwischendienst 09:00-17:30 – 1x besetzt
• Spätdienst 14:00-22:30 – 1x besetzt
• Nachtdienst 22:00-06:30 – 1x besetzt
• Nachtbereitschaftsdienst 17:15-06:15 – 1x besetzt

Mit Ausnahme des Nachtbereitschaftsdienstes handelt es sich um Vollarbeits-
dienste (inkl. gesetzlicher Pausenzeit). Der Nachtbereitschaftsdienst wird – wie es
seine Bezeichnung schon beinhaltet – von 17:15-22:30 in Vollarbeit, anschließend
als Bereitschaftsdienst Stufe D geleistet. Die Pausenzeit beträgt eine Dreiviertel-
stunde.
An Wochenenden und Feiertagen wird nach folgenden Dienstzeiten gearbeitet:
• Frühdienst 06:00-14:30 – 1x besetzt
• Langdienst 07:00-17:30 – 1x besetzt
• Spätdienst 14:00-22:30 – 1x besetzt
• Nachtdienst 22:00-07:15 – 1x besetzt
• Nachtbereitschaftsdienst 17:15-06:15 – 1x besetzt

Für die Differenzierung der Dienste in Vollarbeits- und Bereitschaftsdienstanteile
gilt das oben Gesagte.
Für die Leiterin des Kreißsaals, Frau Becker, ist die öffentliche Aufregung um die
neuen Gesetzesanforderungen und deren Umsetzung nur schwer nachvollzieh-
bar: „Im Pflege- und Funktionsdienst arbeiten wir seit Jahren nach flexiblen und
bedarfs-orientierten Dienstplänen, so dass uns die Umstellung nicht schwer gefal-
len ist. Der von 16,5h auf 13h reduzierte Nachtbereitschaftsdienst wird von mei-
nen Mitarbeiterinnen sogar als Fortschritt erlebt. Allerdings werden die zusätzli-
chen Übergaben aufgrund der neu hinzugekommenen Dienste eher als Belastung
empfunden.
Ich versuche, die Nachtdienste und die Nachtbereitschaftsdienste sehr mitarbei-
ter-orientiert zu verplanen, so dass wir uns nicht in festen Modulen bewegen. Da
wir angesichts von mehr als 1.500 Geburten pro Jahr oft sehr belastende Dienste
absolvieren müssen, kann es zum Beispiel sinnvoll sein, bei einzelnen – oft jünge-
ren – Mitarbeiterinnen nur einzelne Nachtdienste, bei erfahrenen Hebammen hin-
gegen längere Nachtdienstrhythmen zu planen.
Auch an der „Vergütungsfront“ herrscht zur Zeit Ruhe: Die Differenz zu den bisher
durchschnittlich vergüteten Bereitschaftsdienststunden wird durch die neuen Zu-
schläge für Nacht- und Wochenendarbeit aufgefangen.
Insgesamt habe ich die Arbeit in der Projektgruppe als sehr fruchtbar erlebt, da
die Berufsgruppen viel voneinander lernen konnten und ihre Erfahrungen bei
schwierigen Themen wie „Gleichbehandlung der Teilzeitkräfte“ oder „Dienst- ver-

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sus Wunschplan“ miteinander austauschen konnten. Zudem bin ich froh, dass
dieses Thema für uns erledigt ist und wir am Ende diesen Jahres nicht wieder von
vorne beginnen müssen.“

6. Erfolgsfaktor – Zeitlich befristete Aufzeichnungen der Inanspruchnahmen
Hohes Konsenspotential besteht oft darüber, dass die bestehenden, formal auf den
einheitlichen Regeldienst konzentrierten „Servicezeiten“ (= Zeitspanne durchgehen-
der unverzüglicher Leistungserbringung einer Organisationseinheit in Vollarbeit) we-
der realistisch sind noch ausreichen. Daher finden Lösungen mit einzelnen längeren
und/oder versetzten Diensten oft gute Resonanz bei den Mitarbeitern. Nicht selten
neigen aber die Projektbeteiligten bezüglich der Beurteilung der bisherigen Arbeits-
zeitsituation zu Extremen – was angesichts der bislang im ärztlichen Dienst häufig
geringen Auseinandersetzung mit dem Thema auch nicht verwunderlich ist. So
schätzen die Ärzte oft ihre Inanspruchnahmen im Bereitschaftsdienst, wenn sie diese
pauschal beurteilen sollen, wesentlich höher ein, als sie es tatsächlich sind. Dies
kann, insbesondere wenn der Erhalt unständiger Bezüge modellunabhängig ange-
strebt wird – zu einer zu starken Verkürzung des Bereitschaftsdienstfensters inner-
halb von Nachtdiensten führen – unter Umständen mit der Folge eigentlich uner-
wünschter Stufenabsenkung. Daher kommen jene Krankenhäuser zu verlässlicheren
Modellen, die vor oder während der Konzepterstellung zumindest für einen Monat
Inanspruchnahmeaufzeichnungen durchführen – am besten zugleich mit inhaltlicher
Auswertungsmöglichkeit.

7. Erfolgsfaktor – Unterstützende Hilfsmittel
Der Einsatz einfacher EDV-Tools zur (zunächst fiktiven) Dienstplanung, in denen
auch die Entwicklung der Zeitkonten und die Einhaltung der arbeitszeitschutzrecht-
lich relevanten 48h-Woche unaufwändig überwacht wird, hat sich in CAT besonders
bewährt. Wohlgemerkt sollte es sich um einfache Tools handeln. Denn die Nutzung
von in der Pflege durchaus erfolgreichen komplexen Personaleinsatzplanungs-
Systemen gelingt nicht automatisch auch im ärztlichen Bereich bzw. wird hier zum
Teil – häufig zu Recht – abgelehnt, weil der Aufwand gegenüber der im ärztlichen
Dienst zur Dienstplanung eingesetzten unaufwändigen Papierliste einfach zu groß
ist5. Dem Funktionsdienst fällt der Umgang mit EDV-Tools häufig leichter; hier kommt
man nicht zuletzt deshalb zügiger zum neuen Arbeitszeitmodell als in ärztlichen Ab-
teilungen. Insgesamt sind die Krankenhäuser schneller zu für die Beteiligten ver-
ständlichen Lösungen gekommen, in denen die Personalleitung die Mitarbeiter beim
Tool-Einsatz bzw. insgesamt bei der transparenten Aufbereitung entwickelter Model-
le unterstützt hat, so dass diese die zunächst abstrakt entwickelten Modelle leichter
nachvollziehen konnten.

5
 Einfache EDV-Tools zur kostenlosen Nutzung finden sich unter www.arbeitszeitberatung.de im
Register „Tool-Box“; für die Planung von Bereitschaftsdiensten empfiehlt sich insbesondere das
Tool „Dienstplanung und Zeitkontenführung“.

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8. Erfolgsfaktor – Kopplung von Arbeitszeit- und Arbeitsorganisation
Die fortlaufende Beachtung der engen Wechselwirkungen zwischen Arbeitszeitges-
taltung und Arbeitsorganisation ist Kennzeichen erfolgreicher Arbeitszeitprojekte –
schließlich ermöglicht dies insbesondere Erkenntnisse über vermeidbaren Arbeits-
zeitverbrauch. Und dennoch wird daraus im Projektmanagement ein schwieriger Ba-
lanceakt, weil die Gefahr besteht, sich zu verzetteln bzw. Themenfelder zu öffnen, die
anschließend nicht befriedigend abgearbeitet werden. Mitunter kommt ein Ar-
beitszeitprojekt ganz zum Erliegen, wenn es an zu viele Organisationsvoraussetzun-
gen geknüpft ist, auch wenn diese inhaltlich sinnvoll sind. Insbesondere wenn die
Tagdienste von der Veränderung der Bereitschaftsdienstorganisation nicht grundle-
gend betroffen sind, ist es sinnvoll, beide Themen sorgfältig zu trennen, da sich die
Tagesbesetzung gegenüber bisher beim typischen Dienstaufbau mit Regeldienst,
langem Regeldienst und wochenweise erbrachten Nacht-Bereitschaftsdiensten oft
nicht verändern muss. In den Projekten sind diejenigen Häuser erfolgreicher und am
besten voran gekommen, die sinnvolle organisatorische Verbesserungsvorschläge
ernst nehmen, aber den Fortgang des Arbeitszeitprojektes nicht unmittelbar mit ihrer
Umsetzung verknüpfen. Zweckmäßig ist eine gesonderte Bearbeitung unter Einbe-
ziehung des Initiators – zum Beispiel während der Erprobung neuer Modelle, weil
dies am besten zeigt, dass das Arbeitszeitprojekt als Anstoßgeber für Organisations-
verbesserungen verstanden wird.

9. Erfolgsfaktor – Nutzung von Synergieeffekten
Abteilungsübergreifende oder – im Falle des CAT-Projektes – auch hausübergrei-
fende Synergiepotentiale bei der Projektdurchführung können dann genutzt werden,
wenn es einzelne, stark innovationstreibende Abteilungen bzw. Häuser gibt, die pi-
lothaft neue Entwicklungen voranbringen und dann als „Schaufenster“ für zunächst
Abwartende dienen. Allerdings dürfen gegenteilige Effekte nicht unterschätzt werden:
Im CAT-Projekt haben nicht wenige Zögerliche mit Verweis auf andere Abteilungen,
die gern das „alte“ Bereitschaftsdienstsystem – zumindest so lange wie möglich –
beibehalten wollten, Rechtfertigungen für die Aufrechterhaltung des Status Quo ge-
funden. Krankenhäuser mit erfolgreichen (Teil-)Projekten haben sich bemüht, wäh-
rend des Projektes sorgfältig danach zu differenzieren, wann eine abteilungsspezifi-
sche und wann eine übergreifende Diskussion sinnvoll ist.

10. Erfolgsfaktor – Erprobung und Pilotierung
Die Vereinbarung einer Probezeit und die pilothafte Einführung zunächst in einigen
Abteilungen – möglichst mindestens in je einer Abteilung des Funktionsdienstes und
des Ärztlichen Dienstes – erleichtert die Umsetzung neuer Bereitschaftsdienstmodel-
le wesentlich. Erfolgreiche Häuser setzen bei der Neugestaltung der Bereitschafts-
dienste auf die positiven Wirkungen einer möglichst frühzeitigen Erprobung, weil sie
wissen, dass die Beurteilung neuer Modelle durch die Beteiligten nach ca. 6 Monaten
Erprobung in den meisten Fällen deutlich positiver ausfällt als in der Diskussionspha-
se davor.

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