Recycling versus Sicherheit - chemisch-analytische Betrachtungen - Dr. Thomas Gude

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Recycling versus Sicherheit - chemisch-analytische Betrachtungen - Dr. Thomas Gude
Recycling versus Sicherheit
           - chemisch-analytische Betrachtungen -

                          Dr. Thomas Gude
                    Zürich . Fribourg   Tirupur   Hongkong   1
Aug 2020
Recycling versus Sicherheit - chemisch-analytische Betrachtungen - Dr. Thomas Gude
(Nachhaltige) Lebensmittelverpackung

•    Verhindern
      –   Produziere keinen Abfall
•    Wiederverwendung
      –   Mehrfachnutzung
•    Recyceln
      –   Wiederverwerten
•    Rückgewinnen
      –   Energierückgewinnung
•    Entsorgen
      –   Abfall produzieren

Im Allgemeinen können Verpackungsmaterialien mechanisch recycelt, kompostiert, verbrannt oder deponiert
werden. Insgesamt werden in der EU-28 fast 66% der Verpackungsabfälle recycelt (Materialrecycling +
organisches Recycling / Kompostierung). Diese hohen Recyclingraten resultieren aus dem Recycling von
Glas und Papier.

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European Food Safety Authority (EFSA)
Die EFSA ist der Grundstein für die Risikobewertung der
Europäischen Union (EU) in Bezug auf die Lebens- und
Futtermittelsicherheit.
Rolle: Bietet wissenschaftliche Beratung und kommuniziert
über bestehende und neu auftretende Risiken im
Zusammenhang mit der Lebensmittelkette
Gegründet in: 2002
Anzahl der Mitarbeiter: 435
Ort: Parma (Italien)
Website: EFSA

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Recycling-Verordnung (EU) 282/2008
▪   EFSA bewertet nicht (außerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung)
     • Wiederverwendung von Artikeln
     • Reststücke und Fabrikatins-Rework
     • Chemische Prozesse
▪   EFSA bewertet
     • Closed- und Controlled-Loop-Prozesse
     • Mechanische Prozesse mit offenem Regelkreis
▪   EFSA guidance (EFSA AFC Panel, 2008)
     • Richtlinien für die Einreichung eines Dossiers zur Sicherheitsbewertung von
       einem Kunststoff-Recycling-Prozess
     • Es enthält Leitlinien zum Format des Antrags, zu Verwaltungsangelegenheiten
       und zu technischen Daten, die zur Bewertung wie folgt zur Verfügung gestellt
       werden sollen
         − z.B. Flussdiagramm, Prozessbeschreibung, Charakterisierung des Inputs,
           Bestimmung der Dekontaminationseffizienz, Charakterisierung des
           recycelten Kunststoffs, beabsichtigte Anwendung, Einhaltung von 10/2011,
           Prozessanalyse, Q&As usw.
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«Closed and controlled loop" Prozesse
▪   Verordnung 282/2008, Art. 4: „Die Eingabe muss aus einer
    Produktschleife stammen… um sicherzustellen, dass nur
    Materialien und Artikel verwendet werden, die für den
    Kontakt mit Lebensmitteln bestimmt sind, und dass jegliche
    Kontamination ausgeschlossen werden kann.“
▪   Ca. 10 Prozesse bewertet (auf Polyolefin-Basis)
▪   Bewertung von „Closure and Control“ anhand der
    Beschreibung
▪   Bewertung der Auswirkungen des wiederholten Recyclings
    auf die Bildung von Abbauprodukten
▪   Es geht hauptsächlich um GMP und nicht um die
    Bewertung des chemischen Risikos

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«Open loop mechanical" Prozesse
▪ Der Input stammt aus Post-Consumer-
  Abfällen, daher gibt es keine Kontrolle
  darüber, was nach dem primären Gebrauch
  passiert, und es kann kontaminiert werden
▪ Mögliche / zufällige chemische Kontamination
▪ Missbrauch durch Verbraucher: z.B.
  Farbentferner, Reinigungsmittel, Shampoo,
  Pestizide, Lösungsmittel, Kraftstoff
   ▪ Anwendungen ohne Lebensmittelkontakt:
      Nicht zugelassene Substanzen und
      Inhalte (z. B. Kosmetika,
      Körperpflegeprodukte, Haushaltsreiniger)
   ▪ Nicht-PET, Chemikalien aus Recycling,
      Abbau, Lebensmittelkomponenten

▪   Risiko = Migration von Verunreinigungen
    aus recyceltem Kunststoff in Lebensmittel

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Risiko-Beurteilung für «open loop
mechanical" Prozesse
Verordnung (EU) 282/2008, Art. 4:
▪ recycelter Kunststoff muss lebensmittelecht / konform mit (EU) 10/2011 sein
▪ Die Qualität des Kunststoffeinsatzes muss charakterisiert und kontrolliert
   werden
▪ Für alle Schritte vom Eingang zum Ausgang sollten nachgewiesen werden,
   dass der Recyclingprozess in der Lage ist, jegliche Kontamination des
   Kunststoffeintrags auf eine Konzentration zu reduzieren, die kein Risiko für
   die menschliche Gesundheit darstellt
EFSA CEF Panel „PET-Kriterien“ (2011)
▪ Kriterien für die Sicherheitsbewertung eines mechanischen Prozesses zur
   Herstellung von recyceltem PET (EFSA CEF Panel, 2011)

    = Einstellung des „Kontaminationsniveaus“, Bewertung der
    Dekontaminationseffizienz und Einstellung des Kontaminationsniveaus in
    gereinigtem recyceltem PET, die zu einer Migration unterhalb eines
    vernachlässigbaren Gesundheitsniveaus führen
▪   Ca. 130 Prozesse bewertet
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Recycling Prozess -1

     Kunststoff-Abfall                                               Food-uses PET
                                   Manuelles und                         waste
                                   automatisiertes
                                      Sortieren

                                                                            Zerschreddern

                         Polyethylene terephthalate
                         (PET)

                                    Automatisiertes
                                     Sortieren und
Gewaschene & getrocknete              Waschen
   Kunststoff-Flakes

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Recycling Prozess - Dekontamination

                                                   Pellet
                                                     s           Bottle
        Gewaschene                                                 s
        & getrocknete
         Kunststoff-
           Flakes
                                                    Flake
                                                      s

            Recycling-Prozess
             Dekontamination
                                                                Trays
                                                     Films

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Kriterien für die Beurteilung
     KUNSTSTOFFEINGANG: Durchschnittliche                         Default Belastung, bei der das Risiko für die
      Referenzkontamination von gewaschenen                       menschliche Gesundheit vertretbar wäre und
             und getrockneten Flocken                              welche nicht überschritten werden sollte =
                   3 mg/kg PET                                        0.0025 µg/kg bw/day (Kroes, 2004)

         RECYCLING-PROZESS MIT                                 MIGRATION IN LEBENSMITTELN (Standard
      DEKONTAMINATIONSTECHNOLOGIE                              Kleinkind Scenario)
      Dekontaminationseffizienz gemessen mit                   0,1 µg / kg Lebensmittel = höchste Konzentration
                                                               eines Schadstoffs (in Wasser)
          einem Challenge-Test Eff (%)

            KUNSTSTOFFAUSGANG                                                 Kunststoff in Kontakt
       Restkontamination im recycelten PET                         Cmod = modellierte Restkontamination im
          Cres = 3 (mg/kg PET) *(1-Eff %)                                    recycelten PET

                                        Ja                          Nein
                                                 Cres < Cmod

              Keine Sicherheits-                                              Weitere, vertiefte
                  bedenken                                                    Betrachtungen

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Von sicherer Exposition zu sicherer
Konzentration in Lebensmitteln
▪   Expositionsniveau, das kein Risiko für den Menschen darstellt (keine
    Genotixizität) = 0,0025 µg / kg Körpergewicht / Tag
▪   Standardverbrauch (höchster Verbrauch) für Wasserflaschen
▪   Säuglinge verbrauchen 150 g Wasser / kg Körpergewicht / Tag (5 kg
    Körpergewicht / 0,75 l). Für andere Zwecke als Wasserflaschen (Trays):
    Szenario für Kleinkinder
▪   Schadstoffkonzentration in Lebensmitteln, die kein Risiko für den Menschen
    darstellt = 0,017 µg / kg Lebensmittel (Überschätzung x 5-100)
▪   Modellierte Konzentration in PET (Cmod)
▪   diese Überschätzung von 5 ist in die sichere Konzentration in Lebensmitteln
    (0,017 µg / kg Lebensmittel * 5) integriert
▪   Dieser Wert von 0,1 µg / kg Lebensmittel wird dann zum Einstellen des
    sicheren Konzentration in PET (Cmod) verwendet, die nicht überschritten
    werden sollte

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Non-Food Anteil
▪   Non-Food-Anwendungen sind "Do it yourself", Reinigungsmittel, Kosmetik,
    Körperpflege, Farbentferner usw.            1/3
▪   PET-Anwendungen ohne Verwendung in Lebensmitteln aber von
    Lebensmittelqualität = hergestellt gem. zu Reg EU 10/2011
▪   Kontaminations-Besonderheiten
     • Missbrauch (möglicherweise höhere Häufigkeit und / oder höherer
        Verschmutzungsgrad)
     • PLUS Non-Food-Gehalt der Behälter

▪   2 Informationsebenen: aus Antragsteller-Dossiers)
     • Anteil ≤ 5% (basierend auf Marktdaten)
     • Anteil
Challenge Test
            Surrogate Kontaminanten:
              Toluol, Methylsalicylat,
                   Chlorbenzol,
                 Benzophenon, …         Dekontaminations-
                                       Schritte des Prozesses

                                                                                Konzentration Cf

Waschen und Trocknen,                                                        Die Effizienz für jedes
um oberflächliche                                                            Surrogat wird anhand
Verunreinigungen zu                                                          der vor und nach den
entfernen                            Challenge test im reduzierten
                                      oder vollen Maßstab und unter                getesteten
                                     Bedingungen, die nicht strenger          Verfahrensschritten
                                       sind als die des industriellen             gemessenen
                                                 Prozesses                     Restkonzentration
                                                                                   berechnet
                        Konzentration Ci

                                    Zürich . Fribourg   Tirupur   Hongkong                         13
Ein Beispiel

               Zürich . Fribourg   Tirupur   Hongkong   14
…kann zu folgenden Ergebnissen führen

             Zürich . Fribourg   Tirupur   Hongkong   15
Sicherheit von Rezyklaten

                                                                                                  B. Geueke et al. / Journal of Cleaner Production 193 (2018) 491e505

                      PET
                                                                                                                             HDPE

    Dr. Frank Welle Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung 10. IK Lebensmittelverpackungstagung 14. April 2016, Bad Homburg

                                       Zürich . Hongkong                      Tirupur Fribourg                                                                    16
Sicherheit: Das Vorsorgeprinzip
• Das Vorsorgeprinzip findet man an einigen
  Stellen des amerikanischen Gesetzes
  (allerdings nicht explizit für Lebensmittel erwähnt)
  genauso wie im EU-Vertrag von Maastricht und in
  der Schweizer Bundesverfassung.
• Es besagt, dass neue, möglicherweise schädliche Stoffe
  verboten werden müssen, selbst wenn die Gefahr
  wissenschaftlich nicht belegt ist. Voraussetzung für die
  Zulassung ist im Gegenteil der Beweis der Unbedenklichkeit.
• Diese Regel halten vermutlich 99 Prozent der Bevölkerung für
  selbstverständlich, weswegen auch Politiker sie lieben.
• Sie klingt nach gesundem Menschenverstand, und Vorsicht ist
  bekanntlich die Mutter der Porzellankiste
  (better safe than sorry).
                   Zürich . Hongkong   Tirupur Fribourg    17
Food Contact Materials- im Allgemeinen

           A Risk for the CONSUMER?
                                                    ?
            A Risk for the PRODUCER?

             Zürich . Hongkong   Tirupur Fribourg       18
Das Problem der Migration

            Zürich . Hongkong   Tirupur Fribourg   19
Sicherheit: aktuelle Themen
                                                    Hazards:
                                                    • Toxicological properties
                                                    • NOAEL (no observable
                                                      adverse effect level
                                                    • TDI (tolerable daily
                                                      intake)
                                                    • ADI (acceptable daily
                                                      intake)
                                                    • …
                                                    • Computer models
                                                    Exposure
                                                    • Contaminants in food
                                                    • National consumption
                                                      studies
                                                    • Migration testing
                                                    • Matrix model
                                                    • FACET
                                                    • Food consumption
                                                      habits
                                                    • Body weight
                                                    • …

             Zürich . Hongkong   Tirupur Fribourg                         20
Ist das möglich?
• Die Gesetzgebung ist nicht klar
   – Keine abschließenden Positivlisten bzw. konzentriert
     sich nur auf Substanzen, nicht auf Produkte
   – Viele Materialien unterliegen nicht der EU-Gesetzgebung
   – Keine weltweite Harmonisierung, obwohl Produkte / Materialien /
     Substanzen weltweit gehandelt werden
• Analytische Tests sind nicht klar
   – Mehrere Methoden: Target-Methoden versus Non-Target-Methoden
   – Simulation von FCM im Vergleich zu realen Tests in Lebensmitteln
• Bewertungen sind nicht klar
   – Besonders für unbekannte, aber auch für bekannte Substanzen
   – Expositionsabschätzungen, insbesondere von Einzelhändlern und/oder
     Nichtregierungsorganisationen, meistens sogar nicht von lokalen
     Behörden, werden nicht wirklich anerkannt
   – Toxikologische Hilfsmittel sind für komplexe Gemische nicht anerkannt
                      Zürich . Hongkong   Tirupur Fribourg             21
Sicherheit von Rezyklaten – Beispiel Papier

             Zürich . Hongkong   Tirupur Fribourg   22
Neuere Erkenntnisse (?)
Beispiel: Bisphenol A
• Zusammensetzung:
   – PET-Flasche – geprüft
   – Etikett – Thermotransferpapier – BPA
     enthaltend
• Versuch – rezyklierte PET-Flakes
   – Standard Test: 24h bei Raumtemperatur
   – Extrem-Tests: 8 h unter Rückfluss mit
     Dichlormethan
• Ergebnis
   – Standard Test: kein Bisphenol A
   – Extrem-Tests: bis zu 500 µg/kg Flake
     (Limit in F: 100 µg/kg)
• Bewertung
   – Quellen
   – Gehalt versus Migration                       https://www.bundestag.de/resource/blob/689040/0f9fb207c4f2875
   – ????                                          20ab4076d1016eb20/WD-8-128-19-pdf-data.pdf

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Wichtig festzuhalten
•   Die Belastung der Ökosysteme macht ein
    Umdenken erforderlich
•   Das hat auch einen Einfluss auf das
    Konsumverhalten
•   Verbraucher setzen nachhaltige Verpackungen
    häufig gleich mit alternativen Materialien,
    Rezyklaten etc.
•   Für Hersteller und Marken ergeben sich Chancen
•   Für Hersteller und Marken ergeben sich auch
    Risiken
•   Bei «ganzheitlicher» Betrachtung zeigt sich aber
    auch häufig, dass ein Ersetzen, wie auch immer,
    nicht immer realistisch ist
•   Denn das führt häufig zu Aktionismus zu Lasten der
    Sicherheit
•   Wichtige Punkte sind daher mehr Wissen,
    Aufklärung und transparente Kommunikation

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Zusammenfassung
• “Nachhaltige” Materialien
  müssen genau so sicher sein,
  wie bestehende Materialien
• Steigende Sicherheits-
  anforderungen gelten für alle
  Materialien
• Rezyklierbarkeit kann Sicherheits-
  fragen aufwerfen
• Einfache Materialien – zwar gut rezyklierbar (z.B.
  Monofolien) bieten aber keine ausreichende Sicherheit
• Es muss gut überlegt sein, in welche Materialien man
  investiert
• Es bleibt (chemisch-analytisch) komplex
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