Supplementierung: Was kann man wirklich empfehlen? - Dr ...

 
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Supplementierung: Was kann man wirklich empfehlen? - Dr ...
therapie & versorgung

             Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll einsetzen

             Supplementierung:
             Was kann man wirklich empfehlen?
             Zum Sinn und Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln werden immer wieder
             sehr kontroverse Meinungen laut. Unsere Autorin mit langjähriger Expertise auf dem
             Gebiet der therapeutischen Gabe von Vitaminen, Mineralstoffen und sonstigen
             Nährstoffen bietet Orientierung bei der Frage, in welchen Fällen
             Nahrungsergänzungsmittel hilfreich bzw. angezeigt sind.
             Dr. oec. troph. Bettina Dörr

         Sind Nahrungsergänzungsmittel emp-                             Dr. oec. troph. Bettina Dörr
    fehlenswert? Am einfachsten ausgedrückt                                     Ernährungsexpertin
    lautet die Antwort „es kommt darauf bzw.                                             München
    auf den Menschen an!“. Ernährt man sich
    auusgewogen und hat weder Lebens­
    mittelunverträglichkeiten noch besondere      jeweiligen Nährstoff zu bestimmen sind,       Vitaminen bzw. Mineralstoffen entstehen.
    Lebenssituationen/Beschwerden/Erkran-         sowie klinische Symp­tome.                    Die Tabelle gegenüber listet Personen-
    kungen, die einen erhöhten Bedarf zur         Nicht zu unterschätzen sind auch die          gruppen auf, bei denen ein erhöhtes Risi-
    Folge haben, kann man mit Sicherheit          latenten Mangelzustände, die als unspe-       ko für Defizite bei einzelnen Nährstoffen
    auf die Nährstoff­supplementierung ver-       zifische Befindlichkeitsstörungen wahr-       besteht.
    zichten.                                      und hingenommen werden, obwohl
    Aber diese Maximal- bzw. Optimal-             das Wohlbefinden bereits stark einge-         Risiko und Sicherheit von
    Anforderungen erfüllen heute leider nur       schränkt ist. Kommen stärkere Belas­          Nahrungsergänzungsmitteln
    wenige. Anhand aktueller Ernährungs-          tungen hinzu (wie z. B. Stress, Infekte,      Werden Nahrungsergänzungsmittel aus­-
    erhebungen wissen wir, dass die Zufuhr        Medikamente), können diese latenten           gewählt, die die Nährstoffe in Dosie-
    einzelner Vitamine und Mineralstoffe bei      Mangelzustände in einen klinisch mani-        rungen enthalten, die auch über Lebens-
    bestimmten Personengruppen zu niedrig         festen Mangel übergehen.                      mittel erreicht werden können, bestehen
    ist. Vor allem sind Vitamin D, Folsäure                                                     keine Sicherheitsbedenken, solange die
    und – je nach Verwendung von jodiertem        Risikogruppen für unzureichende               Produkte bestimmungsgemäß verwen-
    Speisesalz – Jod betroffen. Hilfreich bei     Versorgung                                    det werden. Zusätzlich orientieren kann
    der Entscheidung für oder gegen eine          Bestimmte Situationen können das Risi-        man sich an den von der europäischen
    Supplementierung sind natürlich auch          ko dafür erhöhen, dass die täglich ver-       Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA
    Laborparameter, die spezifisch für den        zehrten Lebensmittel nur unzureichende        für die einzelnen Nährstoffe festgelegten
                                                  Mengen an allen notwendigen Nähr-             UL-Werten (tolerable upper intake level,
                                                  stoffen liefern. So sind beispielsweise       Grenzwert für eine langfristig sichere
     Diesen Beitrag finden Sie auch o
                                    ­ nline:
                                                  Veganer gefährdet, ein Defizit an jenen       Aufnahme), die auch in den D-A-CH-
     www.aerztliches-journal.de/
     publikationen                                Nährstoffen zu entwickeln, die nur in tie-    Referenzwerten* genannt werden, oder
                                                  rischen Lebensmitteln in relevanten Men-      an Stellungnahmen, die das Bundes­
                                                  gen und in bioverfügbarer Form enthal-        institut für Risikobewertung BfR erstellt
                                                  ten sind. Auch bei Menschen, die regel-       (www.bfr.bund.de).
                                                                                                                                            Foto: Dörr

                                                  mäßig Medikamente einnehmen, kann             Auf den Verpackungen sind die täg-
                                                  ein besonderer Bedarf an bestimmten           lich empfohlenen Mengen anhand der

40| ärztliches journal reise & medizin   4|2020
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                                                      Risikosituationen für mögliche Nährstoff-Defizite

                                                         Personengruppe/                  Betroffene
                                                                                                                                      Kommentar
                                                           Medikament                     Nährstoffe
                                                                                                       n Spirulina, Afa-Algen und Chlorella sind keine sicheren Quellen für die
                                                                                                          Zufuhr von Vitamin B12.
                                                                                   Vitamin D           n Kalzium und Eisen sind zwar auch in veganen Lebensmitteln enthalten,

                                                                                   Vitamin B12            allerdings meist schlechter verfügbar und nur in ausreichender Menge,
                                                       Veganer
                                                                                   Kalzium                wenn sehr hohe Portionsgrößen verzehrt werden.
                                                                                   Eisen               n Eine gute Kalziumquelle stellt auch kalziumreiches Mineralwasser dar.

                                                                                                       n Die Aufnahme von Eisen kann durch Vitamin C verbessert werden, aller-

                                                                                                          dings auch durch die Verwendung Lactoferrin-haltiger Supplemente.
                                                                                                       n Bei Patienten, die Metformin einnehmen, sollte der Vitamin-B12-Status
                                                                                                          untersucht werden. Es liegen Daten vor, wonach die Metformin-Einnahme
                                                                                                          mit einem Vitamin-B12-Mangel assoziiert ist.
                                                       Diabetiker                  Vitamin B12
                                                                                                       n Bei Typ-2-Diabetes mellitus kommt häufig eine zelluläre und extrazelluläre
                                                       (Einnahme von Metformin)    Magnesium
                                                                                                          Verarmung an Magnesium vor. Epidemiologische Studien zeigen eine hohe
                                                                                                          Prävalenz von Hypomagnesiämie und geringen intrazellulären Magnesium-
                                                                                                          konzentrationen bei Diabetikern.
                                                                                                       Statine können die körpereigene Produktion von Coenzym Q10 reduzieren,
                                                                                                       was sich bei den Patienten beispielsweise durch Muskelschmerzen
                                                       Statin-Verwender            Coenzym Q10
                                                                                                       bemerkbar macht. Zur effektiven Supplementierung sollten täglich
                                                                                                       mindestens 100 mg Coenzym Q10 eingenommen werden.
                                                       Langzeiteinnahme von        Eisen
                                                       PPIs (Protonenpumpen-       Vitamin B12
                                                       inhibitoren)                Folsäure
                                                       H2-Antihistaminikum
                                                                                   Vitamin D
                                                       (Cimetidin)
                                                       ACE-Hemmer                  Zink                Renale Zinkausscheidung wird erhöht.
                                                       Methotrexat                 Folsäure
                                                                                   Vitamin C
                                                       Acetylsalicylsäure          Folsäure
                                                                                   Eisen
                                                                                                       Keine Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, die diese Substanz enthalten,
                                                                                                       da Wechselwirkungen beschrieben wurden (geänderte Blutgerinnungs­
                                                       Cumarin-Antikoagulanzien    Glucosamin
                                                                                                       fähigkeit, möglicherweise mit der Folge von Blutungen bis hin zu subdu-
                                                                                                       ralem Hämatom mit resultierendem Wachkoma).
                                                       Psychopharmaka
                                                                                   Vitamin B2
                                                       (Amitryptilin, Imipramin)
Fotos: Colourbox/Anton Ignatenco (1); Colourbox (1)

                                                       nach Antibiotikagabe        Probiotika          Probiotika können den Wiederaufbau des Mikrobioms unterstützen.
                                                                                   Magnesium
                                                       Diuretika                                       Serum-Elektrolyte sollten regelmäßig kontrolliert werden.
                                                                                   Kalium

                                                                                   Folsäure
                                                                                   Vitamin B12
                                                       Schwangere                  Eisen
                                                                                   Jod
                                                                                   Docosahexaensäure

                                                                                                                                                     4|2020 ärztliches journal reise & medizin   |41
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therapie & versorgung

    NRV-Werte (Nährstoffbezugswerte) er­-          Wechselwirkungen im Blick
    kennbar. Die NRV-Werte (nutrient refe-
                                                    Ginkgo & NSAR                        Blutungsrisiko ↑
    rence value) geben prozentual an, in wel-
    cher Höhe die täglich empfohlene Zufuhr         Ginseng & Markumar                   Blutungsrisiko ↑
    mit einer Portion des entsprechenden            Baldrian & Alkohol                   Lebertoxizität ↑
    Produktes abgedeckt wird. Vorsicht ist
                                                                                         Vorsicht bei Lebererkrankungen und
    geboten bei Substanzen, für die keine           Curcumin
                                                                                         verstopften Gallengängen
    Angaben bezüglich der wünschenswerten
    Zufuhr gemacht werden oder für spezi-           Goji Beere & Vitamin-K-Antago-
                                                                                         Blutungsrisiko ↑
                                                    nisten (Phenprocoumon, Warfarin)
    elle Extrakte oder exotische Stoffe, wie sie
    häufig im Internethandel zu finden sind.                                             Komplexbildung aufgrund der enthaltenen
                                                    Schwarzer/Grüner Tee
                                                                                         Gerbstoffe und somit geringere Verfügbarkeit/
                                                    & Antidepressiva und Neuroleptika
                                                                                         Wirksamkeit der Medikamente
    Wechselwirkungen zwischen
    Lebensmitteln und Arzneimitteln                 Eisen/Kalzium                        Komplexbildung und somit geringere
                                                    & Schilddrüsenhormon                 Verfügbarkeit/Wirksamkeit des Medikaments
    Arzneimittel können nicht nur den
    Bedarf an bestimmten Nährstoffen erhö-         Beispiele für Wechselwirkungen zwischen Nährstoffen/pflanzlichen Zubereitungen
    hen, ihre Aufnahme und Wirksamkeit             und Arzneimitteln bzw. Erkrankungen.
    können auch durch den Verzehr von
    Lebensmitteln entscheidend verändert           Sprechstunde gezielt nachfragen, ob der          fohlenen Mengen aufgenommen wer-
    werden. Aufgrund der komplexen Zusam-          Patient Nahrungsergänzungsmittel ver-            den, wie beispielsweise Vitamin D, Fol-
    mensetzung von Mahlzeiten kann man             wendet, die pflanzliche Zutaten wie bei-         säure und Jod.
    davon ausgehen, dass mehr als 100 po-          spielsweise Ginkgo, Ginseng oder Curcu-      n   A
                                                                                                     rzneimittel,   Erkrankungen       und
    tenzielle Interaktionspartner existieren.      min enthalten.                                   bestimmte Lebensumstände können
    Hier sind bereits zahlreiche Wechselwir-       Auch in der Onkologie können relevante           den Bedarf von Vitaminen und Mineral-
    kungen bekannt. So sollten beispielswei-       Wechselwirkungen auftreten, die nicht            stoffen verändern.
    se Milch und Antibiotika/Bisphosphonate        nur die Verträglichkeit betreffen, sondern   n   B
                                                                                                     ezüglich der Dosierung sollte auf Prä-

    oder Vitamin K und Gerinnungshemmer            auch Wirksamkeit und Metastasierung.             parate zurückgegriffen werden, die die
    nicht gemeinsam verwendet werden.                                                               Nährstoffe in den Mengen enthalten,
    Grapefruits als Frucht oder Saft sollten       Fazit und Entscheidungshilfen                    die theoretisch auch über die Aufnah-
    am besten ganz gemieden werden, wenn           Theoretisch ist es möglich, über Lebens-         me von Lebensmitteln möglich sind.
    gleichzeitig Medikamente eingenommen           mittel ausreichende Mengen an allen              Eine Ausnahme bildet Vitamin D, das
    werden. Der Haupteffekt der Grapefruit-        notwendigen Nährstoffen aufzunehmen.             in Lebensmitteln nur in sehr geringen
    Inhaltsstoffe besteht in der irreversiblen     Allerdings sieht die tägliche Praxis oft         Mengen enthalten ist.
    Hemmung intestinaler CYP3A4-Enzyme.            anders aus. Sollte eine ausgewogene          n   K
                                                                                                     ombinations-Präparate sollten gegen-

    Der Effekt ist bereits kurz nach dem Ver-      Lebensmittelauswahl nicht möglich sein,          über Einzelpräparaten bevorzugt wer-         Fotos: Colourbox /Pichest (1); Colourbox /Nenov Images (1); Colourbox (1)
    zehr üblicher Grapefruitmengen (z. B.          ist eine gezielte Supplementierung sinn-         den, da Nährstoffe häufig in Kombina­
    200 ml Saft) voll ausgeprägt und hält bis      voll. Darüber hinaus gibt es auch Erkran-        tion im Stoffwechsel benötigt werden
    zu drei Tage an. Somit ist die Einhaltung      kungen/Beschwerden, deren Behandlung             und in den meisten Fällen eine gemein-
    eines zeitlichen Abstands zur Medika-          die gezielte Nährstoffgabe mit umfasst.          same Unterversorgung vorliegt.
    menteneinnahme genauso gefährlich.             Diese Mengen sind in der Regel über          n   N
                                                                                                     ährstoffe aus Nahrungsergänzungs-

    Besonders komplex und größtenteils             übliche Lebensmittel nicht oder nur              mitteln und Lebensmitteln können in
    noch unbekannt sind Interaktionen mit          schwer erreichbar.                               Wechselwirkung mit Arzneimitteln
    pflanzlichen Zubereitungen, die zuneh-         Folgende Aspekte können bei der Ent-             treten und deren Wirksamkeit entschei-
    mend nicht nur in Phytopharmaka, son-          scheidung für oder gegen Supplemente             dend beeinflussen                    n
    dern auch in Nahrungsergänzungsmit-            hilfreich sein:                                  
    teln enthalten sind. Da Patienten die Ver-     n E
                                                      s gibt einige kritische Nährstoffe,      *D-A-CH-Referenzwerte: Empfehlungen zur Nähr-
                                                                                                stoffzufuhr, herausgegeben von den Ernährungs-
    wendung dieser Präparate häufig nicht            die von einem Großteil der deutschen       fachgesellschaften aus Deutschland/DGE, Öster­
    als relevant einordnen, sollten Sie in der       Bevölkerung nicht in den täglich emp-      reich und der Schweiz

42| ärztliches journal reise & medizin   4|2020
Supplementierung: Was kann man wirklich empfehlen? - Dr ... Supplementierung: Was kann man wirklich empfehlen? - Dr ...
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