Rehkitze mit Sensoren vor Mähtod retten? - Francisco ...
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TECHNIK Rehkitze mit Sensoren vor Mähtod retten? Pöttinger stellte im Vorjahr mit Sensosafe ein System vor, das Wildtiere direkt beim Mähen erkennt. Das soll die Tiere vor dem Mähtod bewahren. Ob das funktioniert, hat die Innovation Farm ausführlich getestet. Von Georg RAMHARTER, Josef PENZINGER, Fabian BUTZENLECHNER, Franz HANDLER und Markus GANSBERGER Der erste und oftmals auch noch der frühe Tier in diesem Bestand, wird ein deutlich ande- zweite Schnitt im Grünland überschneiden sich res Lichtspektrum reflektiert und das Tier da- vielfach mit dem Setzen der Rehkitze. In Öster- durch vom Sensor erkannt. Dieses Erken- reich werden jährlich ca. 25.000 Rehkitze beim nungsprinzip macht das System unabhängig Mähen verletzt oder getötet, in Deutschland je vom Tageslicht oder der Sonneneinstrahlung. nach Quelle zwischen 100.000 und 200.000. Ne- Die Sensitivität von Sensosafe kann in vier Stu- ben dem oft qualvollen Tod für die Wildtiere fen eingestellt werden. führen Kadaverteile zu Futterverschmutzung Pöttinger Sensosafe ist in zwei verschiede- und in der Folge zu Problemen bei der Gesund- nen Varianten erhältlich. In Kombination mit heit und der Leistung der Nutztiere. Im dem Pöttinger Alpha Motion-Frontmähwerk schlimmsten Fall können Nutztiere durch auf- arbeitet das System vollautomatisch. Das Mäh- tretenden Botulismus sogar verenden. werk wird nach der Tiererkennung automa- tisch angehoben. Bei dieser Variante ist Senso- Die Technik hinter Sensosafe safe eine Zusatzausrüstung zum Alpha Motion und der Sensorbalken ist fix auf bzw. vor dem Pöttinger hat mit Sensosafe ein System ge- Frontmähwerk montiert. Das System arbeitet schaffen, das unabhängig von äußeren Einflüs- dabei völlig autonom, greift also nicht in die sen und direkt beim Mähvorgang Tiere er- Hydraulik des Traktors ein. kennt. Bei diesem System sind Nahinfrarot- Für alle anderen Mähwerke wird Sensosafe Sensoren auf einem Balken angebracht, der am als eigenständiges Produkt Sensosafe 300 mit Mähwerk montiert ist. Über eine eigene Licht- 3 m Arbeitsbreite und Sensosafe 1000 mit 10 m quelle wird der Bestand beleuchtet und das Arbeitsbreite angeboten. Es kann in dieser Va- Licht vom Bestand reflektiert. Liegt nun ein riante als Assistenzsystem eingesetzt werden, 70 LANDWIRT 3 / 2021
TECHNIK Der Versuchsaufbau Hauptziel der Versuche an der Innovation Farm war die Ermittlung der Auslösewahr- scheinlichkeit, also das Testen der Zuverlässig- keit. Zusätzlich wurden die Praktikabilität, ar- beitswirtschaftliche Aspekte und die Grenzen Mähwerkskombi- des Systems betrachtet und der Nutzen von nation mit Pöttinger Sensosafe mit anderen Systemen verglichen. Sensosafe, Für die Untersuchung der Auslösewahr- aufgebaut auf scheinlichkeit wurden zwei verschiedene An- einem Pöttinger Alpha Motion sätze gewählt. In dem ersten, bewusst theore- Frontmähwerk tisch angelegten Versuch wurde untersucht, und einem welchen Einfluss die Mähgeschwindigkeit und Heckmähwerk. die Einstellung der Sensitivitätsstufe auf die Fotos: Hersteller Wahrscheinlichkeit der Tiererkennung haben. Mit verschieden großen Testobjekten wurde si- muliert, dass die Tiere in den Beständen unter- schiedlich gut sichtbar sind. Alle anderen Ein- flussfaktoren, insbesondere der Einfluss des Bestands, wurden bewusst standardisiert. Die Testobjekte – verschiedene Fellteile von Rehkit- zen – wurden daher auf einer bereits abgemäh- ten Fläche platziert. Gemäht wurde mit vier verschiedenen Geschwindigkeiten (10 km/h, das den Fahrer über die Erkennung informiert. Anhalten und das Mähwerk anheben muss dann der Fahrer. Der dafür notwendige Sen- sorbalken befindet sich auf einem eigenen Rah- men, der zwischen Traktor und Frontmähwerk montiert wird. Der Balken wird für den Mäh- betrieb nach rechts ausgeklappt. Dieses Assis- tenzsystem kann mit allen Front- und Heck- mähwerken kombiniert werden und ist daher herstellerunabhängig. In Kombination mit ei- Die Testobjekte der theoretischen Versuche: Fellteile von Rehkitzen. nem Frontmähwerk muss die Fahrstrategie so gewählt werden, dass jeweils die nächste Mahd abgescannt wird. Eine Mähkombination, Abb. 1: Testergebnisse am Pilotbetrieb 1, Feldfutter mit 50 cm Wuchs- bei der die gesamte Mähbreite mit Sensosafe höhe und am Pilotbetrieb 2, Feldfutter 60 cm Wuchshöhe. abgescannt wird, ist aktuell nur in Kombinati- 100 % on mit einem Pöttinger Alpha Motion-Front- mähwerk möglich. 90 % Zu beachten ist, dass Sensosafe die Ge- 80 % wichtsverteilung des gesamten Gespanns ver- 70 % ändert. An der Fronthydraulik werden mit den beiden Balken zusätzlich ca. 100 kg für den 60 % Frontbalken und ca. 130 kg für den seitlichen 50 % Sensosafe-300-Balken montiert. Das Frontmäh- 40 % werk rückt um 22,5 cm weiter nach vorne. Es kann daher notwendig sein, im Heck zusätz- 30 % lich zu ballastieren. Beide Sensoren, auch der 20 % seitliche Sensosafe 300, können beim Abhän- 10 % gen am Frontmähwerk montiert bleiben. Für die weiteren Einsätze besteht also der Mehr- 0% 8 km/h 10 km/h 8 km/h 12km/h aufwand beim Anhängen und der Inbetrieb- Pilotbetrieb 1 Pilotbetrieb 2 nahme lediglich aus dem Verbinden des Ka- bels zwischen Sensor und Terminal. Testobjekt 1 Testobjekt 2 LANDWIRT 3 / 2021 71
TECHNIK Abb. 2: Testergebnisse am Pilotbetrieb 3, Dauergrünland mit 40 cm nung kein Zusammenhang zwischen der Fahr- Wuchshöhe. geschwindigkeit und der Erkennung der Test- 100 % objekte festgestellt werden konnte. Selbst bei 80 % hohen Geschwindigkeiten werden die Tiere er- kannt.Bei den Einsätzen auf den Pilotbetrieben 60 % hat Sensosafe mit einer über alle Versuchsvari- anten gemessenen durchschnittlichen Auslöse- 40 % wahrscheinlichkeit von 92 % eine überzeugen- 20 % de Leistung geliefert. Umgerechnet auf die der- zeit getöteten oder verletzten Rehkitze würde 0% dies bedeuten, dass mit Pöttinger Sensosafe in 6 km/h 8 km/h 10 km/h 12 km/h 14 km/h Pilotbetrieb 3 Österreich ca. 23.000 und in Deutschland (je Testobjekt 2 nach Quelle) 92.000 bis 184.000 Rehkitze geret- tet werden könnten. Hinzu kommt, dass genau- so viele Quellen für stark giftige Futterver- 12 km/h, 14 km/h und 16 km/h), jeweils kom- schmutzungen vermieden werden können. biniert mit den vier verschiedenen Sensitivi- Werden die Messergebnisse auf den einzelnen tätsstufen von Sensosafe. Die Versuche wurden Betrieben im Detail betrachtet, lassen sich dar- mit dem Sensosafe 300 durchgeführt und vier aus weitere Erkenntnisse gewinnen. Auf dem Mal wiederholt. ersten Betrieb wurde der intensive Bestand mit Der zweite Versuchsansatz repräsentiert den durchschnittlich 8 km/h gemäht. Dabei wur- Einsatz in der Praxis. Auf vier verschiedenen den in knapp 85 % der Fälle die „Tiere“ (also Pilotbetrieben wurden unter verschiedenen Be- die Testobjekte) von Sensosafe erkannt. dingungen hinsichtlich Bodenbeschaffenheit, Ein ähnliches Ergebnis konnte am zweiten Geländeform, Bestandeshöhe und Bestandes- Betrieb bei einem vergleichbar intensiven Be- dichte zwischen Anfang Mai und Anfang Juli stand erzielt werden. Durchschnittlich wurden unterschiedliche Bestände gemäht, in denen knapp 84 % erkannt. Auffallend war dabei aber, die Versuchsobjekte platziert wurden. dass zunächst bei 10 km/h das kleinere Testob- Die verwendeten Testobjekte wurden wie- jekt nicht mehr hundertprozentig erkannt wer- derholt im Bestand platziert, sodass insgesamt den konnte, und bei noch höheren Geschwin- 84 Messungen durchgeführt wurden. Bei allen digkeiten war das bei beiden Objekten der Fall. Messungen war mit Stufe 4 die höchste Sensiti- Dies lässt den Schluss zu, dass bei sehr intensi- vität eingestellt. ven Beständen (60 cm Wuchshöhe) eine Mähge- schwindigkeit von rund 10 km/h begrenzend Wie sicher werden Tiere erkannt? für das sichere Erkennen von Tieren ist. Beim dritten Einsatz in 40 cm hohem Dauer- Die erste Versuchsvariante sollte vor allem grünland wurde mit dem kleinen Kitz-Fell ge- den Einfluss der Fahrgeschwindigkeit und der testet. Bei 20 Wiederholungen hat das System in Sensitivitätsstufe bei der Erkennung unter- 19 Fällen (95 %) richtig reagiert und die „Tiere“ schiedlicher Objekte klären. Die Ergebnisse zei- erkannt. In diesem Bestand war kein Zusam- gen deutlich, dass bei dieser Versuchsanord- menhang zur Fahrgeschwindigkeit erkennbar. 72 LANDWIRT 3 / 2021
TECHNIK Die Tatsache, dass in „normalen“ Beständen Vergleich von verschiedenen Methoden zur Wildtierrettung ein sicheres Erkennen bei jeder (technisch sinn- optisches Warnsignal vollen) Fahrgeschwindigkeit möglich ist, wur- Flächen mit Freiwilli- Drohne mit Infrarot- signal am Mähwerk akustisches Warn- de am vierten Standort bestätigt. Der zweite akustisches oder Schnitt im Dauergrünland erfolgte bei einer gen absuchen Wuchshöhe von 30 cm mit bis zu 24 km/h. Ob- Sensosafe wohl ausschließlich die kleinen Testobjekte am Feld kamera verwendet wurden, konnten diese Objekte in allen Fällen erkannt werden. Zeitlicher Mehraufwand vor Zusammenfassend kann also festgestellt ++ - ++ - -- oder beim Mähen werden, dass bei gut entwickelten Beständen Zusätzlich benötigte ab rund 50 cm Wuchshöhe die Sicht auf die ++ - ++ + -- Personen Tiere beeinträchtigt ist und die Fahrgeschwin- Einsatzzeitraum ++ -- ++ + - digkeit einen Einfluss auf die Erkennungsrate (Tageszeit und Vorlaufzeit) hat. Selbst unter diesen schwierigen Bedingun- Zuverlässigkeit ++ ++ - - - gen konnte aber mit rund 85 % Auslösewahr- (Auslösewahrscheinlichkeit) scheinlichkeit ein sehr gutes Ergebnis erzielt Anschaffungskosten -- -- + + ++ Legende: ++ großer Vorteil, + kleiner Vorteil, - kleiner Nachteil, -- großer Nachteil werden. Bei geringeren Beständen, also auch bei späteren Schnitten, werden Tiere unabhän- gig von der Fahrgeschwindigkeit erkannt. Zu- beitswirtschaftliche Mehraufwand, die Mög- sätzlich zu den bewusst platzierten Testobjek- lichkeit, es auch bei vollem Tageslicht und ten konnten im Zuge der Versuche tatsächlich warmen Temperaturen zu nutzen und vor al- mehrere „echte“ Rehkitze und Feldhasen von lem die guten Ergebnisse aus den Versuchsrei- Sensosafe gerettet werden. hen machen dieses System zu einer gelunge- nen technischen Lösung, um Wildtiere vor Vergleich mit anderen Methoden dem Mähtod zu bewahren und die Futterqua- lität hoch zu halten. Beim Schutz von Wildtie- Pöttinger gibt als Richtwerte für Sensosafe ren bei Mäheinsätzen kommt es auf die Sum- als Option beim Frontmähwerk Alpha Motion me aller getroffenen Maßnahmen an. Da viele einen Listenpreis von 8.000 Euro (alle Preise davon mit hohem Zeit- und Personalaufwand exkl. MwSt.) an, für den Sensosafe-300-Balken verbunden sind, ist Sensosafe ein guter Bei- 6.500 Euro und für Sensosafe 1000 sind es trag, um als Landwirt der Verpflichtung zum 13.000 Euro. Für eine Mähwerkskombination Tierschutz nachzukommen. Dazu kommt der verursachen die Optionen Sensosafe und Sen- Imagegewinn bzw. auch der vermiedene sosafe 300 zusätzliche Fixkosten von rund Imageverlust in der Bevölkerung. Diese hat 1.500 bis 2.000 Euro pro Jahr – je nachdem, den durchaus nachvollziehbaren Wunsch, dass welche Nutzungsdauer, welcher Zinssatz und bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten keine Tie- welcher Restwert unterstellt wird. re zu Schaden kommen. Hohe Grundfutterleis- Wie die folgende Tabelle zeigt, ist die einzi- tungen waren immer schon eine wesentliche ge Methode zur Wildtierrettung, deren Zuver- Grundlage für den Erfolg in der Wiederkäuer- lässigkeit mit Sensosafe vergleichbar ist, die haltung. Die Basis dafür bildet eine ausge- Suche mit Hilfe von Wärmebildkameras auf zeichnete Grundfutterqualität ohne Verunrei- Drohnen. Diese Zuverlässigkeit wird aller- nigungen; ganz besonders wenn diese sogar dings nur unter der Voraussetzung erreicht, Gifte bilden können. dass der Drohneneinsatz unter den richtigen, Pöttinger hat mit Sensosafe ein einfach an- also sehr eingeschränkten Bedingungen (Mor- zuwendendes, relativ zuverlässiges System ge- gen oder Abend, wenig bis keine Sonnenein- schaffen, das neue Möglichkeiten in der Wild- strahlung etc.) erfolgt. Dazu kommt, dass bei tiererkennung eröffnet. ■ dieser Vorgehensweise sowohl der Zeitauf- wand vergleichsweise hoch ist, als auch viele Personen benötigt werden, die die gefundenen Georg Ramharter und Fabian Butzenlechner sind Tiere dann aus den Beständen holen. Dadurch wissenschaftliche Mitarbeiter bei Josephinum entsteht ein hoher Gesamtaufwand bei der An- Research. Franz Handler und Markus Gansberger lehren und forschen an der HBLFA Francisco Josephi- wendung. num / BLT Wieselburg. Josef Penzinger ist selbststän- diger Agrarberater. Eine längere Version Fazit Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Innovation dieses Beitrages mit weiteren Infos zu dieser Farm (www.innovationfarm.at), die von Bund, Ländern Untersuchung finden Sie Das Assistenzsystem Sensosafe setzt an je- und der Europäischen Union im Rahmen des ländli- im Internet unter: www. nen Punkten an, an denen andere Methoden chen Entwicklungsprogrammes LE 14–20 unterstützt landwirt-media.com/ ihre Schwächen aufweisen. Der geringe ar- wird. landtechnik LANDWIRT 3 / 2021 73
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