REIZ DES WANDELS - md-mag

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                                                         KATRIEN LAPORTE, DESIGNMUSEUM GENT

                                       REIZ DES
                                       WANDELS
                                 Das Genter Designmuseum erfindet sich gerade neu und experimentiert
                                 mit Präsentationsformen. Ein Besuch im Gestaltungsquartier der alten
                               Tuchmachermetropole und ein Gespräch mit der Direktorin Katrien Laporte.

                       K
      Autor                   atrien Laporte, die das Haus      „Das Designmuseum Gent hat sich in        sehen, ist ein wunderbares Projekt,
  Oliver Herwig               mit seinen drei Dutzend Mitar-    den letzten Jahren von einem eher         das aus allen Rohren schießt – und
      Fotos                   beitern seit 2013 leitet, löste   klassischen zu einem lebendigen, zeit-    trifft. Letztlich zielt die Ausstellung
Anthony De Meyere      Stilzimmer auf und sucht nach neuen      genössischen Museum entwickelt“,          auf die große alte Frage „Was ist ein
                       Vermittlungsformen und Präsentati-       sagt Katrien Laporte. Tatsächlich         Mensch?“ Sie gibt keine Antworten
                       onsmöglichkeiten. So transformiert       wandelte sich die Thematik zu gesell-     vor, reißt vielmehr ein Spektrum an
                       sie das gewachsene Sammlermuseum         schaftlich relevanten Themen.             Fragestellungen auf, in die sich die
                       – 1987 etwa vererbten Pieter De          Sie zeigte Ausstellungen zu Ökologie      Besucher selbst einklinken – vom
                       Bruyne und N. F. Havermans diverse       & Konsum („No Design to waste“,           naiv-abenteuerhaften Zugang à la
                       Kollektionen und Archive, während        2014), zu Mobilität („bike to the futu-   Hollywood bis hin zu künstlerischer
                       der vormalige Direktor Lieven            re“, 2016) sowie zum öffentlichen         Mensch-Maschinen-Interaktion. In ei-
                       Daenens vor allem Henry van de           Raum und moderner Technik („Hello,        nem halben Dutzend Stationen wer-
                       Velde, Victor Horta und Paul Hankar      Robot“). „Haben Sie schon mal einen       den Roboter als Erweiterung unserer
                       anhäufte – in ein modernes Haus.         Roboter getroffen?“                       Fähigkeiten und Wünsche vorgeführt,
                       „Manche Objekte wurden noch nicht                                                  vom Brücken bauenden Konstruk-
                       inventarisiert oder fotografiert. Die    VON MENSCHEN UND MASCHINEN                tionsroboter bis zum Sexspielzeug.
                       Basisregistrierung ist notwendig, um     Mit scheinbar naiven Fragen öffnet        Und vom Kuscheltier für Demente bis
                       die Sammlung gut verwalten zu kön-       Ausstellungsmacher Fredo De Smet          zum Hardcore-Industrieroboter. Der
                       nen“, steht ganz offensiv auf der Web-   das brandaktuelle Thema für alle. Vor     deutsche Untertitel der Schau lautete
                       site zu lesen. Und so machte Katrien     uns steht tatsächlich R2D2, ein Origi-    „Design zwischen Mensch und
                       Laporte aus der Not eine Tugend. In      nal aus der „Star-Wars“-Familie. Und      Maschine“ – das trifft den Kern ziem-
                       einem versteckten Winkel ist so          um uns dröhnt und fiept es wie in ei-     lich gut. Wer die Ausstellung sehen
                       etwas wie eine Meta-Ausstellung zu       ner japanischen Pachinko-Halle; vor       will, muss an einer langen Plakatreihe
                       sehen: Während rund 20 000 Objekte       der dunklen Schauwand ist halb Hol-       vorbei mit provozierenden Aussagen:
                       in den neuen zentralen Kulturgüter-      lywood angereist: „Ghost in a Shell“,     „Robots don’t buy furniture“ ist da
                       schutzraum der Stadt Gent umziehen       „Matrix“ und weiße Humanoide aus          etwa zu lesen, oder „The past is now
                       sollen, können Besucher den Kurato-      „I Robot“. Und das ist erst der Anfang.   useless.“ Dass die Vergangenheit eben
                       ren über die Schulter schauen und        „Hello, Robot“, in Zusammenarbeit mit     doch nicht ganz nutzlos ist, beweist
                       fragen, wie man eigentlich eine          dem Vitra Design Museum und dem           das Haus selbst, das frühe Kollektio-
                       Sammlung verwaltet, katalogisiert        Wiener MAK entwickelt und letztes         nen mit modernen Positionen verbin-
                       und dokumentiert.                        Jahr in Weil am Rhein und Wien zu         det. Die neue Sammlungspräsentation

74   md | April 2018
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„Design hat großen
   Einfluss auf die Qualität des
        täglichen Lebens“

                                                                                       Katrien Laporte möchte das Designmuseum Gent ein Stück weit neu erfinden.

‚Maarten Van Severen & Co‘. Der Titel der Präsentation ist Programm. Van Severens Arbeiten werden im Kontext zeitgenössischen Designs gezeigt.

                                                                                                                                                 md | April 2018   75
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                        soll „den chronologischen Weg verlas-           Produktion und auf handwerkliche         Raum. Wir machen Designrouten
                        sen, aber autonome Objekte in ver-              Aspekte“, bis hin zu „Mass Customiza-    durch die Stadt.
                        schiedenen Ebenen präsentieren“,                tion und 3D-Druck.“ Der Anspruch ist     Wir lassen Besucher ihre Lieblings-
                        sagt Laporte. Dazu zählt sie die                hoch. Das Designmuseum Gent will         stücke der 3D-Sammlung ausdrucken
                        besondere Beziehung zwischen Men-               sich bis Ende 2022 völlig neu erfinden   oder in einer virtuellen Rekonstruk-
                        schen und Objekten, mit denen wir               und „zu einer kreativen Drehscheibe      tion eines Jugendstil-Interieurs spa-
                        leben. „Statt die Bedeutung bestimm-            werden, die mehr ist als ein Ort, an     zieren gehen.“ Schritt für Schritt
                        ter Entwürfe als fixiert und gegeben            dem das Designerbe aufbewahrt und        verändert sich so das Haus vom
                        zu betrachten, entsteht durch den               ausgestellt wird“, verspricht Laporte.   bewahrenden Archiv zum Ort für
                        Prozess der Evokation ein offener und           Das neue Konzept ist eng verbunden       Diskussionen und Austausch.
                        kontinuierlicher Dialog zwischen den            mit einem neuen Flügel des Hauses,       Zugleich zeigt sich, wie problematisch
                        Dingen, ihren Machern und ihren                 mit DING – „Design in Gent.“ Katrien     frühere An- und Ausbauten des
                        Konsumenten.“ Diesen Dialog auf-                Laporte ist begeistert. „Damit über-     Hauses sind, etwa der 1992 eröffnete
                        zuzeigen und vor allem plastisch zu             denken wir das Konzept eines Muse-       neue Flügel, der auf zwei Etagen
                        machen, ist ihr Anliegen.                       ums und geben den Designern,             eine moderate Postmoderne im Stile
                                                                        Machern und Denkern von heute eine       von Richard Meier anbietet, samt
                        NEUE MISSION: DING                              zentrale Plattform.“ Sie denkt an        transluzenten Zwischendecken und
                        Sofort schwirren Begriffe durch die             einen Ort für Produkteinführungen,       einem Treppenhaus, das sich sehr
                        Luft wie „neue Produktionsmodelle“,             Co-Creation und Experimente.             wichtig nimmt. Inzwischen wirkt der
                        „digitale Revolutionen“, „ökologisches          „Wir geben Studenten, den Designern      Eingriff selbst historisch, sperrig und
                        Bewusstsein“, „Digitalisierung des              von morgen, die Möglichkeit, die         unflexibel.
                        Produktionsprozesses durch offenes              Designer von heute kennenzulernen.       Ganz anders soll der neue Anbau
                        Design, Herstellerbewegung und Pro-             Wir organisieren Debatten über die       werden. Laporte schwebt eine
                        sumer“, „Rückbesinnung auf lokale               Bedeutung von Design im öffentlichen     „attraktive und dynamische Kombi-

Plakate mit provozierenden Aussagen stimmen die Besucher auf die Ausstellung ‚Hello, Robot‘ ein.

76   md | April 2018
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‚Hello, Robot‘ beschäftigt sich mit allen Aspekten der Beziehung Mensch und Maschine.

                                                                                        md | April 2018   77
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     Im Fokus           nation aus Museum, Arbeitsstätte,        Kraftanstrengung auf das Wesent-              darauf 75 000, und 2017 kamen sogar
Das Designmuseum        Studienort, Schaukasten und Begeg-       liche zurückzuführen und ihnen                106 000 Besucher. „Wir machen der
Gent wird seit 2013     nungsstätte“ vor, kurz, ein Ort, an      archaische     Gestalt    zu    geben,        Gesellschaft bewusst, dass Design ei-
von Katrien Laporte
                        dem man sich gerne aufhält.              erschließt sich nicht durch gelehrte          nen großen Einfluss auf die Qualität
geführt. Sie verfügt
über einen Ausstel-
                        Zugleich nimmt sie die Planung und       Texte oder mediale Präsentationen,            des täglichen Lebens eines jeden
lungsetat von rund      den auszulobenden internationalen        sondern durch die Kraft der Objekte           Menschen hat“, sagt Direktorin
einer halben Million    Architekturwettbewerb zum Anlass,        selbst, die wie eine Herde von Tieren         Katrien Laporte. „Wir zeigen, wie
 Euro und erreicht      das Museum selbst präsenter zu ma-       zusammenkommen und Besucher in                Design unsere Identität widerspie-
mit ihren Ausstellun-
                        chen, seine Sichtbarkeit und Zugäng-     ihren Bann ziehen. „Maarten Van               gelt.“ Dazu gehört eben auch, die
gen bis zu 100 000
 Besucher im Jahr.
                        lichkeit zu verbessern. „Der Eingang     Severen war wild. In allem, was er            Sammlung zu öffnen und mit den An-
                        im Hôtel de Coninck muss moderner        entwarf, befindet sich die Seele eines        forderungen von heute zu verknüp-
                        gestaltet werden“, fordert die Direk-    wilden Tieres, das den Gesetzen der           fen. Da spricht wohl die Netzwerkerin:
                        torin. „Wir konzentrieren uns auf        Natur nicht entrinnen kann“, liest man        „Wir müssen ein guter Gastgeber für
                        Komfort, Empfang und Erlebnis.“ Ihr      dann doch. „Das Letzte, was er mit            den Designbereich sein, aber das wei-
                        schwebt eine Verbindung aus „Aus-        seinem Werk beabsichtigte, war die            ter fassen: Es geht um Industrie und
                        stellungsmomenten“ und „Mitmach-         Erschaffung zahmer Objekte, die der           Wirtschaft, Bildung, Politik und Wirt-
                        momenten“ vor, etwas, das die Schau      Konsumlogik entsprechen.“                     schaft.“ Ein Museum müsse eben auch
                        „Hello, Robot“ mit ihren interaktiven    Wie also geht es weiter mit den wil-          eine Netzwerkorganisation sein und
                        Spielbereichen für Kids bereits ein-     den Dingen? Seit Katrien Laporte das          sich auf die Stadt beziehen, in der es
                        löst. Dazu zählt auch der ephemere       Ruder übernommen hat, geht es ste-            steht. 45 Prozent der Besucher kom-
                        Pavillon im Innenhof, der ganz im CI     tig aufwärts mit den Besucherzahlen.          men aus dem Ausland. Wie es scheint,
                        der Ausstellung gehalten ist.            2015 waren es 70 000 Gäste, im Jahr           ist das Haus auf einem guten Weg. ←
                        Schwarzweiße Linienbündel schießen
                        über den Boden, der etwas Vexierhaf-
                        tes erhält, als wäre man Teil eines
                        geheimnisvollen Labyrinths.

                        KLASSISCHE AUSSTELLUNGSMITTEL
                        Große Pläne also. Noch aber sind alle
                        Spielarten von Design und seiner
                        Präsentation zu erleben: Leblose Aus-
                        stellungsbehältnisse der Alonso Inter-
                        national Glas Collection, in denen die
                        Stücke wie stillgestellt erscheinen,
                        oder Kuriosa wie das „Zugabteil Van
                        de Velde“, das der Gestalter
                        1934–1935 als künstlerischer Berater
                        der belgischen Eisenbahngesellschaft
                        NMBS/SNCB entwarf. Wer sich die
                        1905 eröffnete Bahnhofskathedrale
                        Bahnhof Antwerpen-Centraal vor
                        Augen hat, ist über den funktionalen
                        Linienstil hochbeglückt. Das schöne
                        Stück aber hat seinen Platz noch nicht
                        gefunden – es harrt, wie so viele
                        Objekte, auf seine Neupräsentation.
                        Es geht auch anders. Ausstellungsma-
                        cherin Eva van Regenmortel zeigt mit
                        „Maarten Van Severen Co“ nochmals
                        die Chancen und Grenzen klassischer
                        Designschauen. Objekte aus seinem
                        Schaffen stehen im Kontext mit
                        Arbeiten seiner Zeitgenossen und
Mehr Informationen
                        Dingen, die der selbst ernannte
  zur Ausstellung
       unter
                        Maximalist Maarten Van Severen
info.md-mag.com/        (1956–2005) schätzte. Seine Ent-
       robot            wurfsstrategie, Dinge mit maximaler      Das historische Hôtel de Coninck beherbergt das Designmuseum Gent.

78   md | April 2018
19./20.
                                                                  APR I L
Osnabrück
                                                                  2018

                                              Melle

                                 Melle

                                                             Bielefeld

                                                Steinhagen

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