RÜCKÜBERSTELLUNGEN VON ASYLSUCHENDEN NACH BULGARIEN SIND WEITERHIN AUSZUSETZEN

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RÜCKÜBERSTELLUNGEN VON

ASYLSUCHENDEN NACH BULGARIEN

SIND WEITERHIN AUSZUSETZEN

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EINLEITUNG
Seit Herbst 2013 hat Bulgarien aufgrund des Umgangs mit Asylsuchenden und Flüchtlingen, deren
Zahl zum Ende des Jahres bei über 11.000 lag, international Aufmerksamkeit erhalten. 1 Aufgrund
„systemischer Mängel” und „der tatsächlichen Gefahr unmenschlicher und erniedrigender
Behandlung”, hat der UNHCR im Januar 2014 dazu aufgerufen, Rücküberstellungen von
Asylsuchenden aus EU-Mitgliedstaaten nach Bulgarien zeitweise auszusetzen. Der UNHCR hat
angekündigt, diese Position zum 1. April 2014 zu überprüfen. 2

Im Januar 2014 hat der UNHCR dazu aufgerufen, Rücküberstellungen von Asylsuchenden nach
Bulgarien auszusetzen.3 Im Dezember 2013 hat Amnesty International aufgezeigt, dass Asylsuchende
in Bulgarien unzureichenden Lebensbedingungen ausgesetzt sind, ohne Zugang zu grundlegender
Versorgung, wie Nahrung, medizinischer Versorgung und sanitären Einrichtungen. Neben mangelhaften
Aufnahmebedingungen wurde eine große Anzahl neu ankommender Asylsuchender zudem weder
registriert noch mit den nötigen Dokumenten ausgestattet, obgleich dies nach internationalem und
europäischem Recht vorgeschrieben ist.4

Im März 2014 überprüfte Amnesty International bei einem weiteren Besuch in Bulgarien:

1.         den Zugang zu bulgarischem Hoheitsgebiet und zum Asylverfahren
2.         die Inhaftierung von Asylsuchenden
3.         die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende

Trotz Verbesserungen der Aufnahmebedingungen und einer personellen Aufstockung der staatlichen
Flüchtlingsagentur (SAR), um einen schnelleren Zugang zum Asylverfahren zu gewährleisten, kritisiert
Amnesty International die systemischen Mängel bei der Behandlung von Asylsuchenden in Bulgarien.
Asylsuchende in Bulgarien werden nach wie vor routinemäßig inhaftiert und die Aufnahmebedingungen
sind weiterhin unzureichend.5 Amnesty International bemängelt zudem, dass inhaftierte Asylsuchende
bestimmter Nationalitäten Schwierigkeiten bei der Registrierung ihrer Asylanträge haben und länger auf
eine Entscheidung über ihr Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft warten. Diese Hürden
haben viele Personen davon abgehalten, Asylanträge zu stellen oder weiter zu verfolgen.

1
    Bulgarisches Innenministerium. Daily Report of the National Operational Headquarters for Addressing the Increased
    Migratory Pressure Crises Situation. 2. Januar 2014.
2
    UNHCR. Bulgaria as a country of asylum: UNHCR observations on the current situation on asylum in Bulgaria. 2. Januar
    2014. Abrufbar unter: http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?docid=52c598354.pdf.
3
    Amnesty International, Bulgaria: Refugees continue to endure bad conditions (Index: EUR 15/001/2014), 6. Januar
    2014, abrufbar unter: www.amnesty.org/en/library/asset/EUR15/001/2014/en.
4
    Amnesty International, Bulgaria: Amnesty International briefing: Refugees in Bulgaria trapped in substandard conditions
    (Index: EUR 15/002/2013), 13. Dezember 2013. Abrufbar unter:
    www.amnesty.org/en/library/asset/EUR15/002/2013/en.
5
    Vom Staat zur Verfügung gestellt.
BERICHT                                                                                                        SEITE 3 / 9

1. ZUGANG ZUM BULGARISCHEN HOHEITSGEBIET UND ZUM
ASYLVERFAHREN

Die Zahl der Personen, die irregulär aus der Türkei nach Bulgarien einreisen, ist seit November 2013
drastisch gesunken. Während im Herbst 2013 nahezu 8000 Personen irregulär über diese Grenze nach
Bulgarien einreisten,6 lag die Zahl im Januar und Februar 2014 bei jeweils 139 bzw. 124. 7

Während des Besuchs von Amnesty International war der Rückgang der Zahl der Flüchtlinge und
Migranten offensichtlich. Im Verteilungszentrum in Elhovo, wo die Personen kontrolliert werden, die die
Grenze über die Türkei überqueren, befanden sich am 10. März 2014 lediglich 19 Personen. Dies
stellt einen deutlichen Rückgang im Vergleich zum November 2013 dar, als 285 Personen in dem
Zentrum untergebracht waren.

Amnesty International befürchtet, dass der deutliche Rückgang der Zahl der Ankommenden das
Ergebnis von Grenzkontrollverfahren ist, welche schutzbedürftigen Personen die Einreise und
Asylantragstellung unmöglich machen. Um die irreguläre Migration aus der Türkei zu unterbinden, hat
Bulgarien etwa 1500 zusätzliche Polizeibeamte eingesetzt und mit der Errichtung eines Zauns an
dieser Grenze begonnen. Zudem wurde ein integriertes Grenzüberwachungssystem einschließlich
Kameraüberwachungen des türkischen Grenzgebiets errichtet. Sobald auf der Kamera Personen
gesichtet werden, die sich der Grenze nähern, informiert die bulgarische Grenzpolizei die türkischen
Behörden, um diese Personen aufzuhalten. Diese Maßnahmen hindern Menschen willkürlich daran,
nach Bulgarien einzureisen und können dazu führen, dass schutzbedürftigen Personen internationaler
Schutz verwehrt wird. Dies ist umso bedenklicher, als es sich im Jahr 2013 bei nahezu 60% aller
irregulär eingereisten Personen in Bulgarien um Syrer handelte, die mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit des internationalen Schutzes bedürfen. Amnesty International hat zusätzlich
mehrere Zeugenaussagen gesammelt, nach denen sog. „Pushbacks“ [illegale Zurückweisungen] in die
Türkei stattgefunden haben sollen, die sowohl gegen Bulgariens internationale Verpflichtungen sowie
gegen EU-Recht verstoßen.

Aufgrund der geringeren Zahl Asylsuchender konnte die staatliche Flüchtlingsagentur SAR den
Rückstand bei der Bearbeitung der Fälle aufholen und die Registrierung der Asylanträge schneller
vorantreiben. Durch eine personelle Aufstockung wurden die Kapazitäten für die Registrierung von
Asylsuchenden sowie für die Durchführung der Verfahren zur Statusfeststellung erhöht. 8 Im Rahmen
eines Gesprächs am 14. März 2014 teilten Vertreter der SAR Amnesty International mit, dass sie im
Februar 2014 55 Entscheidungen über Schutzgesuche täglich fällten.

6
    Bulgarisches Innenministerium. Daily Report of the National Operational Headquarters for Addressing the Increased
    Migratory Pressure Crises Situation. 26. März 2014.
7
    Gespräch mit dem stellvertretenden Direktor der Elhovo Regionaldirektion der Grenzpolizei, 10. März 2014.
8
    Gespräch mit Amnesty International, Sofia, 14. März 2014.
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Infolge dieser Verbesserungen sind die meisten Syrer, die es nach Oktober 2013 ins Land geschafft
und Asyl beantragt haben, von der SAR registriert worden und erwarten eine Entscheidung über ihren
Asylantrag. Für Syrer dauerte es bis zu einer Entscheidung über die jeweiligen Asylanträge zwischen
zwei und sechs Monate, wobei die SAR Amnesty International mitteilte, dass sie bemüht sei, alle Fälle
von Syrern innerhalb von zwei Monaten nach Antragstellung abzuschließen. Allerdings warten
Antragsteller anderer Nationalitäten sowohl nach Angaben der Leiter von Haftanstalten als auch der
Inhaftierten länger auf die Registrierung ihrer Asylanträge bei SAR sowie auf eine Entscheidung. Nach
Angaben des Bulgarischen Helsinki Komitees – einer Nichtregierungsorganisation, die Asylsuchenden
und Flüchtlingen Rechtsbeistand gewährt – kann die Registrierung und Freilassung von Asylsuchenden
aus Algerien, Marokko und Tunesien nach Einreichung ihrer Asylanträge durch die Verwaltung der
Abschiebungshaftanstalt („immigration detention administration“) bis zu sechs Monate dauern. 9

Amnesty International kritisiert zudem, dass Berichten zufolge einigen Algeriern und Marokkanern
gesagt wurde, dass sie nicht zur Asylantragstellung berechtigt seien. Dies wirft Bedenken hinsichtlich
eines möglichen Verstoßes gegen die EU-Asylverfahrensrichtline10 sowie das Recht auf Asyl nach der
EU-Grundrechtecharta auf.

2. INHAFTIERUNG VON ASYLSUCHENDEN
„Wir sind keine Kriminellen, wir haben nur eure Grenzen überquert. Daraufhin habt ihr uns aufgenommen...Warum sperrt ihr
uns ein? Lasst uns einfach frei sein.”

Yamo aus Afghanistan, inhaftiert im Abschiebungsgefängnis in Lyubimets 11

Gegen jede Person, die irregulär die Grenze nach Bulgarien überquert, ergeht automatisch eine
Abschiebungsanordnung12 sowie ein Haftbefehl13. Der erste Haftbefehl ergeht für eine maximal 24-
stündige Ingewahrsamnahme durch die Grenzpolizei. Daraufhin ergeht ein zweiter Haftbefehl für eine
Inhaftierung in den Einrichtungen der Direktion für Einwanderung („migration directorate“).

Migranten können für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten zum Zwecke ihrer Abschiebung
inhaftiert werden. Die Verlängerung der Haft über sechs Monate hinaus erfordert eine gerichtliche
Anordnung. Das Verwaltungsgericht kann die Haft für weitere 12 Monate anordnen. Nach bulgarischem
Recht können Kinder in Begleitung ihrer Eltern bis zu 3 Monate inhaftiert werden, während Kinder
ohne elterliche Begleitung nicht inhaftiert werden dürfen.

9
  Siehe nachfolgender Abschnitt zu der Inhaftierung von Asylsuchenden.
10
   Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur
   Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, Art. 6.
11
   Gespräch mit Amnesty International, 11. März 2014.
12
   Artikel 39 (1) 2 des Ausländergesetzes der Republik Bulgariens.
13
   Artikel 44 (6) des Ausländergesetzes der Republik Bulgariens.
BERICHT                                                                                                     SEITE 5 / 9

Nach dem derzeitigen Verfahren werden alle irregulär einreisenden Personen bis zu 24 Stunden von der
Grenzpolizei rechtmäßig festgehalten und danach zur Anhörung in das Verteilungszentrum in Elhovo
gebracht. Diejenigen, die Asyl beantragen wollen, sind dann an die SAR zu überstellen und an eine von
der SAR geleitete Aufnahmestelle zu bringen. In diesem Fall ist ihre Abschiebungsanordnung
auszusetzen,14 sodass auch der Haftbefehl nicht länger wirksam ist. Diejenigen, die kein Asyl
beantragen möchten, werden in eine der beiden Haftanstalten der Direktion für Einwanderung in
Lyubimets und Busmansti gebracht.

Da eine Inhaftierung nach bulgarischem Recht nur zum Zwecke der Abschiebung zulässig ist,15 dürfen
Asylsuchende nicht inhaftiert werden, solange sie keine Gefahr für die nationale Sicherheit oder
Gesellschaft darstellen.16 Dennoch konnte Amnesty International beobachten, dass Asylsuchende in
Bulgarien nach wie vor routinemäßig im Elhovo Verteilungszentrum oder den beiden Haftanstalten
inhaftiert werden, während sie darauf warten, dass ihre Asylanträge von der Flüchtlingsbehörde
registriert und sie in eine der Aufnahmeeinrichtungen gebracht werden.

Die Verwaltung der staatlichen Flüchtlingsagentur teilte Amnesty International mit, dass die
Registrierung in den Aufnahmezentren seit November 2013 schneller abliefe. Allerdings wurde auch
eingeräumt, dass es nach wie vor zu Verzögerungen bei der Registrierung von Asylsuchenden in
Haftanstalten komme. Diese Verzögerungen haben dazu geführt, dass Asylsuchende bis zu mehreren
Wochen in Haft blieben. SAR hoffte die Registrierungsverfahren in den Haftanstalten schneller
vorantreiben zu können und das Problem durch die Einstellung zusätzlicher Mitarbeiter in den
Einrichtungen zu lösen.17

Am Eingang der beiden Grenzpolizeistationen, die Amnesty International im März 2014 besuchte, 18
fanden sich Poster vom UNHCR sowie Broschüren von SAR, dem Bulgarischen Helsinki Komitee sowie
dem Innenministerium mit Informationen zu Asylverfahren sowie zum Verfahren freiwilliger Rückkehr. 19
Nach Angaben des Leiters der Direktion für Einwanderung wurden bis August 2013 jene Personen, die
erklärten, Asyl beantragen zu wollen, direkt an eine der vom SAR geleiteten Aufnahmeeinrichtungen
gebracht. Seit März 2014 benachrichtigt die Grenzpolizei die staatliche Flüchtlingsbehörde jedoch
nicht mehr über Asylgesuche, sodass Asylsuchende nicht mehr von der Grenzpolizei in eine der
Aufnahmeeinrichtungen gebracht werden. Vielmehr werden alle Personen, einschließlich jener, die Asyl
beantragen möchten, in das naheliegende geschlossene Verteilungszentrum in Elhovo gebracht.

Nach den von Amnesty International gesammelten Zeugenaussagen sowie der Angaben des Leiters der
Einrichtung beträgt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Verteilungszentrum in Elhovo momentan
drei bis fünf Tage. Demnach werden Asylsuchende vor einem Transfer in eine offene

14
   Artikel 67 (1) des Asyl- und Flüchtlingsgesetzes.
15
   Artikel 44 (6) des Ausländergesetzes der Republik Bulgariens.
16
   Artikel 67 (3) des Asyl- und Flüchtlingsgesetzes.
17
   Gespräch mit Amnesty International, 14. März 2014.
18
   In den Städten Kapitan Andrajevo und Elhovo nahe der türkischen Grenze.
19
   Amnesty International konnte Broschüren zu Asylverfahren auf Englisch und Arabisch sowie Broschüren zu Verfahren
   der freiwilligen Rückkehr auf Englisch, Arabisch und Bulgarisch finden.
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Aufnahmeeinrichtung zumindest für mehrere Tage inhaftiert - zunächst in den Grenzpolizeistationen
dann im Verteilungszentrum in Elhovo.

Mehrere Afghanen, ein Syrer und drei Somalier teilten Amnesty International mit, dass sie in eine
Haftanstalt gebracht wurden, obwohl sie während ihres Aufenthalts in der Grenzpolizeistation und im
Verteilungszentrum in Elhovo den Wunsch geäußert hatten, Asyl zu beantragen.1 Sie gingen davon aus,
in eine Aufnahmeeinrichtung gebracht zu werden, fanden sich dann aber in Lyubimets und Busmansti
wieder. Diese Personen waren sich nicht sicher, ob ihre Asylanträge ignoriert wurden oder ob sie im
Rahmen der Haft für eine SAR-Registrierung angehört werden würden.

3. AUFNAHMEBEDINGUNGEN FÜR ASYLSUCHENDE
Im März 2014 besuchte Amnesty International die Aufnahmeeinrichtungen in Voenna Rampa, 2
Vrazhdebna3 und Harmanli.4 Bei dem vorherigen Besuch im Jahr 2013 waren die Bedingungen in
diesen Zentren völlig unzureichend. In Harmanli wurden Asylsuchende sowohl in einem unbeheizten
Gebäude, das noch nicht in eine Aufnahmeeinrichtung umfunktioniert worden war, als auch in
Containern und Militärzelten untergebracht. Ihnen war lediglich eine begrenzte Anzahl gebrauchter
Klappbetten zur Verfügung gestellt worden, wobei viele auf dünnen Matratzen auf dem Boden schlafen
mussten. Im November 2013 wurden die in Harmanli untergebrachten Personen nicht als
Asylsuchende registriert und waren faktisch in einem geschlossenen Lager eingesperrt. Voenna Rampa
und Vrazhdebna wurden zwar als offene Aufnahmeeinrichtungen geführt; die Aufnahmebedingungen in
diesen Zentren waren aber ebenso unzureichend. Personen schliefen in überfüllten Räumen, es gab
keinen Zugang zu angemessener Nahrungsversorgung durch den Staat und die Bewohner litten unter
mangelndem Zugang zu medizinischer Versorgung.

Während des zweiten Besuchs im März 2014 stellte Amnesty International einige Verbesserungen in
den drei Aufnahmezentren fest.5 Die SAR hatte alle Asylsuchenden und Flüchtlinge, die in Harmanli in
Zelten untergebracht waren, in teilweise renovierten Gebäuden untergebracht, eine gesonderte
Einrichtung für Frauen und Kinder eröffnet und mehr Toiletten und Duschen gebaut. Zudem stellt die
Regierung in allen drei Zentren zwei warme Mahlzeiten am Tag zur Verfügung und Mitarbeiter der SAR
(Anhörer) sind in allen drei Einrichtungen anwesend. Trotz dieser Verbesserungen geht Amnesty
International davon aus, dass die Bedingungen in den Aufnahmezentren nicht den Anforderungen der
EU-Richtlinien zur Aufnahme von Asylsuchenden entsprechen. 6 Vielmehr haben sich die Bedingungen
in Voenna Rampa – wo Umbaumaßnahmen stattfanden, während Personen dort weiterhin untergebracht
waren – seit dem letzten Besuch von Amnesty International verschlechtert. 7

20
   Gespräch mit Amnesty International in Lyubimets und Busmantsi im März 2014.
21
   6. März 2014.
22
   7. März 2014.
23
   8. und 12. März 2014.
24
   Dies ist keine abschließende Auflistung der bestehenden Aufnahmeeinrichtungen. Sonstige, hier nicht aufgeführte
Einrichtungen: Banya, Kovatchevci, RRC Sofia (Ovcha Kupel) und Pastrogor.
25
   Aufnahmerichtlinie (RL 20013/33/EU), Art. 14 und 17-19; Aufnahmerichtlinie (RL 2003/9/EG), Art. 10 und 13.
26
   Gespräche vom 6. März 2014.
BERICHT                                                                                                   SEITE 7 / 9

ÜBERBELEGUNG

Im März 2014 waren in den Aufnahmeeinrichtungen in Vrazhdebna und Voenna Rampa hauptsächlich
Familien mit Kindern untergebracht, die monatelang in klassenzimmerartigen Hallen lebten, die
mithilfe von Bettlaken in kleinere Abschnitte aufgeteilt waren. Diese Art der Unterbringung
gewährleistet keinerlei Privatsphäre. Zudem führten die Renovierungs- und Umbaumaßnahmen in
Vrazhdebna und Voenna Rampa, die zum 25. April abgeschlossen sein sollten, zu massiver
Überbelegung, da Familien, deren zugewiesene Plätze von den Bauarbeiten betroffen waren, anderen
Teilen des Gebäudes zugewiesen wurden. Die Überbelegung war teilweise auch darauf zurück zu
führen, dass bereits anerkannte Flüchtlinge weiterhin in den Aufnahmezentren blieben, weil sie keine
bedeutende Unterstützung bei der Integration erhielten. Einige Flüchtlinge äußerten gegenüber
Amnesty International die Angst vor Obdachlosigkeit, sollten sie die Aufnahmeeinrichtung verlassen
müssen.

In Voenna Rampa waren 43 von insgesamt 800 Bewohnern27 in einem ehemaligen Gymnasium ohne
Heizung und Elektrizität untergebracht. Die Bewohner verschafften sich eine improvisierte Beleuchtung
mithilfe von Verlängerungskabeln aus einer nahegelegenen Halle.

Von Überbelegung waren auch jene Personen betroffen, die in Ein- oder Zweiraumcontainern in
Harmanli untergebracht waren. Da diese Container ganze Familien beherbergten, mussten sich in
einigen Fällen bis zu sieben Personen einen Raum von etwa 10 8m2 teilen.

SANITÄRE EINRICHTUNGEN

Die sanitären Einrichtungen in Voenna Rampa und Vrazhdebna sind weiterhin unzureichend. Nach
Angaben des Innenministeriums gab es Ende März 2014 etwa 600 Bewohner in Voenna Rampa. 28
Während der Umbauarbeiten gab es dort lediglich sechs Duschen und 12 Toiletten. Dies bedeutete,
dass etwa 100 Personen eine Dusche und 50 Personen eine Toilette teilen mussten. Während des
Besuchs von Amnesty International waren die Toiletten in beiden Aufnahmeeinrichtungen nicht nach
Geschlechtern getrennt. Die Umbaumaßnahmen sahen jedoch getrennte Sanitäranlagen vor. 29 Nach
Amnesty International vorliegenden Informationen sollen in Voenna Rampa nach den
Umbaumaßnahmen 17 Personen eine Toilette nutzen. Für eine Dusche sind nach diesen Plänen 62
Personen vorgesehen.30 Das Verhältnis der Anzahl von Toiletten und Duschen pro Person soll in
Vrazhdebna nach dem Umbau besser sein – nach den derzeitigen Plänen sollen sich 25 Personen eine
Dusche und 14 Personen eine Toilette teilen.31

27
   Zahl der Bewohner von Voenna Rampa nach Angaben der staatlichen Flüchtlingsagentur am 14. März 2014.
   Dokumentation verfügbar über Amnesty International.
28
   Bulgarisches Innenministerium. Daily Report of the National Operational Headquarters for Addressing the Increased
Migratory Pressure Crises Situation. 26. März 2014.
29
   Die Umbaumaßnahmen in allen Einrichtungen sollen bis zum 25. April 2014 abgeschlossen sein. Quelle: Gespräch mit
dem Leiter der staatlichen Flüchtlingsagentur, 14. März 2014.
30
   Dokumentation verfügbar über Amnesty International.
31
   Ebd., En. 17.
SEITE 8 / 9                                                                                                   BERICHT

Seit Dezember 2013 leistet „Ärzte ohne Grenzen“ medizinische Versorgung in Vrazhdebna, Voenna
Rampa und Harmanli. Da deren Einsatz in Bulgarien aber voraussichtlich im Mai enden wird,
befürchtet Amnesty International große Verschlechterungen beim Zugang von Asylsuchenden und
Flüchtlingen zum nationalen Gesundheitssystem. Einige der von Amnesty International befragten
Asylsuchenden berichteten über Schwierigkeiten bei der Anmeldung zur Krankenversicherung. Nach
Angaben einiger Personen wurde ihnen die medizinische Behandlung durch Krankenhäuser und/oder
Ärzte versagt.32

ZUGANG ZU BILDUNG

Nach dem bulgarischen Asyl- und Flüchtlingsrecht haben asylsuchende Kinder unter den gleichen
Bedingungen und nach dem gleichen Verfahren wie bulgarische Bürger das Recht auf Zugang zu
Bildung und Ausbildung.33 Zum Zeitpunkt des Besuchs von Amnesty International gab es jedoch weder
innerhalb noch außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen staatlich geführten Unterricht oder Schulen
speziell für asylsuchende Kinder, wobei auch keinerlei staatliche Hilfe zur Erleichterung des Zugangs
zu bestehenden staatlich betriebenen Schulen angeboten wurde.

In Harmanli gibt es eine Schule, die von Freiwilligen und Asylsuchenden selbst betrieben wird. Einige
der Kinder von registrierten syrischen Asylsuchenden besuchten die von der Gemeinde in Sofia
betriebenen Schulen. Bei diesen Schulen handelt es sich jedoch um Schulen privater Träger, sodass
die kostenlose Aufnahme von Kindern, deren Eltern sich die Schulgebühren nicht leisten können, vom
Ermessen der Schulleiter abhängt.34 Diese Schulen haben nur sehr begrenzte Kapazitäten an
kostenlosen Aufnahmeplätzen. Bis zum 27. März besuchten etwa 100 Kinder syrischer Asylsuchender
und Flüchtlinge kostenlos drei Gemeindeschulen.35

Der fehlende Zugang zu Bildung und ein Mangel an Freizeitmöglichkeiten führte dazu, dass Kinder ihre
Tage ohne strukturierten Ablauf in den Aufnahmeeinrichtungen verbrachten. Familien waren besorgt
über daraus entstehende Folgen für die Entwicklung und Zukunftschancen ihrer Kinder.

LEBENSMITTELVERSORGUNG

Trotz der großen Anzahl an Kleinkindern in den Aufnahmeeinrichtungen – allein in Harmanli befanden
sich 41 Kinder unter einem Jahr36 – wurde von Seiten der Regierung keine kleinkindgerechte Nahrung
zur Verfügung gestellt. Daher kaufen sich diejenigen, die es sich leisten können, ihren Kindern
angemessene Nahrung, während alle anderen ihre Kinder mit Brot und Tee versorgen. 37

32
    Gespräch mit einem Flüchtling aus Syrien, der angab, mit seinen Kindern drei Krankenhäuser besucht zu haben, bevor
   sie endlich angenommen wurden. Vrazhdebna, 7. März 2014. Gespräch mit einer asylsuchenden Familie mit einem vier
   Monate alten Kind, 15. März 2014.
33
    Artikel 26 des Asyl- und Flüchtlingsgesetzes.
34
    Gespräch mit dem Schulleiter einer der Privatschulen in Sofia, 14. November 2013.
35
    Email-Interview mit dem Schulleiter der Palästinensischen Schule in Sofia, 27. März 2014. Die übermittelten Daten
   repräsentieren die Zahl der asylsuchenden Schüler in drei Schulen.
36
    Von Freiwilligen der Organisation „Friends of Refugees“ durchgeführte Umfrage in Harmanli. März 2014.
37
    Gespräch mit einem der staatlichen Flüchtlingsagentur zugeordneten Freiwilligen am 8. März 2014, Harmanli.
BERICHT                                                                                      SEITE 9 / 9

4. FAZIT
Amnesty International stellte während des Bulgarien-Besuchs im März Verbesserungen der
Aufnahmebedingungen und des Asylverfahrens im Vergleich zur Situation im November 2013 fest.
Dennoch entsprachen die besuchten Aufnahmeeinrichtungen nach wie vor nicht den adäquaten
Standards, insbesondere im Hinblick auf sanitäre Einrichtungen, Lebensmittelversorgung und Zugang
zu Bildung für Kinder. Zudem werden Asylsuchende trotz beschleunigter Registrierungsverfahren nach
wie vor für mehrere Tage bis hin zu mehreren Monaten inhaftiert, bevor sie in eine
Aufnahmeeinrichtung kommen. Zudem werden Asylanträge bestimmter Nationalitäten Berichten
zufolge nicht angenommen, oder die betreffenden Personen müssen längere Zeit in Haft auf ihre SAR-
Registrierung warten. Dies brachte einige Personen dazu, Formulare für eine „freiwillige Rückkehr“ zu
unterzeichnen, weil sie keinen anderen Weg aus der Haft sahen. Dieser Umstand löst ernsthafte
Bedenken hinsichtlich des Zugangs zu internationalem Schutz in Bulgarien aus.

Amnesty International würdigt die Bemühungen der bulgarischen Regierung zur Verbesserung der
Situation von Asylsuchenden in Bulgarien in Bezug auf Aufnahmebedingungen und Zugang zum
Asylverfahren. Die Aufnahmebedingungen sind jedoch nach wie vor unzureichend und würden durch
eine steigende Zahl Asylsuchender aufgrund von Dublin-Rücküberstellungen voraussichtlich zusätzlich
strapaziert werden. Amnesty International ist zudem ernsthaft besorgt darüber, dass Asylsuchende
aufgrund der nahezu vollständigen Abriegelung der Grenze zur Türkei faktisch keinen Zugang nach
Bulgarien haben.

Amnesty International fordert Bulgarien dazu auf, Grenzschutzmaßnahmen zu ergreifen, die Zugang zu
internationalem Schutz ermöglichen und die mit dem Ausbau nachhaltiger Aufnahmekapazitäten unter
angemessenen Aufnahmebedingungen einhergehen. Bis dahin sollten die EU-Mitgliedstaaten und
andere am Dublin-System beteiligten Länder die Überstellung von Asylsuchenden nach Bulgarien
weiterhin aussetzen.
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