Schlosshof, öffne dich! - Der Beitrag "Pivot" zur Aufwertung des Schlosses von Locarno trumpft nicht mit grossen architektonischen Gesten auf ...
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8 Wettbewerb TEC21 3–4/2022
Schlosshof, öffne dich!
Der Beitrag «Pivot» zur Aufwertung des Schlosses von Locarno trumpft
nicht mit grossen architektonischen Gesten auf, sondern besticht
mit einer lapidaren Idee: Der Schlosshof soll für das Publikum zugänglich
und zum Dreh- und Angelpunkt des ganzen Quartiers werden.
Text: Jean-Pierre Wymann
Der Clou des Siegerprojekts «Pivot» von Sanchez Garcìa und Krausbeck Santagostino Margarido ist der öffentlich gemachte Schlosshof.
D ie Schlossanlage bildet den
Schlussstein einer Neuord-
nung der Achse, die von der
Auch die horizontale und vertikale
Erschliessung soll neu organisiert
werden.
Das Schloss ist als Baudenkmal von
nationaler Bedeutung im Kultur-
güterschutzinventar eingetragen.
Schiffsanlegestelle über die Piazza Das Schloss von Locarno aus Es beinhaltet das städtische und
Grande bis zum grossen Kreisel dem Jahr 1342 lag ursprünglich am
(Rotonda) führt. Mit der Restaurie- Langensee und hatte einen befestig-
rung will die Stadt Locarno das ten Hafen. Mit der Zeit hat die Mag-
Schloss zu einem kulturellen und gia mit ihrem Geschiebe das Delta
touristischen Magneten machen. so ausgeweitet, dass das Schloss von
Dazu hat sie eine Analyse mit Um- Land umschlossen wurde und den
bauvorschlägen und eine Machbar- Bezug zum See verlor. Heute liegt es
keitsstudie in Auftrag gegeben. Zur am Rand der Altstadt in unmittel-
Aufwertung des Schlossareals und barer Nähe der Rotonda, die den
seiner Umgebung gehört die Res- Autoverkehr Richtung Ascona, Mag-
taurierung und Sanierung des Be- giatal, zur Innenstadt und zum
stands, die Erneuerung der Haus- Strand von Locarno verteilt. Die
technik und die Erweiterung der Schlossanlage besteht aus dem ei-
Ausstellungsräume des städtischen gentlichen Schlossgebäude und dem
und archäologischen Museums. Palazzo Casorella (Casa degli Orelli). Situation, Mst. 1 : 5000.
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«Pivot» schafft ein neues, öffentliches Wegnetz durch das Im teilweise überdachten Hof des Palazzo Casorella können
Schlossareal und neue Bezüge zum umliegenden Quartier. Veranstaltungen stattfinden. «Pivot» von Sanchez Garcìa,
Krausbeck Santagostino Margarido.
archäologische Museum von Locar- Die Axonometrie des Sieger-
entwurfs «Pivot» zeigt deutlich
no. Prunkstück ist eine bedeutende die geringe Eingriffstiefe (rot)
Sammlung römischer Gläser, die bei
V is u alisie r un g e n un d Plän e: Pr oje k t ve r f a s s e n d e; Si t u at io n s p lan Pe r im e t e r : zVg
in den Bestand.
Ausgrabungen im Tessin entdeckt Insbesondere die Neugestal-
tung des Schlosshofs und die
wurden. Nach der Sanierung des damit einhergehende öffent-
Schlosses soll ein neues Ausstel- liche Zugänglichkeit zeichnen
lungskonzept mit einem permanen- das Projekt aus.
ten und einem temporären Bereich
1 Ausstellungsräume Schloss
entwickelt werden. Der Palazzo 1
2 Eingang zum Hof des
Casorella aus dem 16. Jahrhundert Palazzo Casorella für
liegt über der mittelalterlichen Mau- kulturelle Anlässe
2
er der Festung; er wurde kürzlich 3 Regenschutzdach (neu)
4 Hof Palazzo Casorella (neue
restauriert und zu einem Kunstmu-
Pflasterung)
seum umgebaut. Er enthält die per- 5 Ausstellungsräume Palazzo 4
3
manente Kunstsammlung der Stadt Casorella
5
Locarno und temporäre Ausstel- 6 Garten Palazzo Casorella
6
lungsräume. 7 Materiallager
8 Umkleide und Personal-WC
Um Lösungsansätze zur
9 Catering-Serviceraum
Aufwertung des Schlossareals zu 10 Verwaltung
erhalten, hat die Gemeinde Locarno 11 Raum für kleinere Anlässe
einen Projektwettbewerb im selek- 12 Neue Zugangstreppe zum
tiven Verfahren durchgeführt. Zehn Palazzo Casorella
13 Ausgang 5
interdisziplinäre Teams aus Ar-
14 Eingang zum Weg zum
chitekten, Bauingenieuren, Elektro- Palazzo Casorella und zu
7
8
und HLKS-Planern wurden zur Teil- den Diensträumen 9
nahme am Wettbewerb selektioniert. 15 Schlosshof 10
Alle zehn eingereichten Beiträge (neue Pflasterung)
12 11
16 Ticketverkauf und Shop 13
wurden zur Beurteilung zugelassen.
17 Küche 14
18 Personaleingang 18
Öffentlicher Schlosshof 19 Haupteingang
15
19
16 20
20 Eingangshalle 21
22
Die Jury empfiehlt einstimmig den 21 Laubengang 23
24
Entwurf «Pivot» von Sanchez Garcìa, 22 Langer Saal – Lapidarium /
Raum für Grossanlässe 17
Krausbeck Santagostino Margarido
24 Eingang zur
zur Ausführung. Dieser sieht vor, «Sala del Portico»
den Hof für das Publikum zu öffnen. 24 Verstellbare Tribüne
25
Diese überraschende Idee ist für die 25 Garderobe
Integration des Schlosses in das
Roter Pfeil: Hauptzugangswege
Stadtgefüge zentral. Damit gewährt
Blauer Pfeil: Wege Schloss
die Gemeinde Locarno einem breiten Grüner Pfeil: Wege Palazzo
Publikum einen niederschwelligen Casorella
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Christ & Gantenbein mit Baukuh schaffen mit ihrem Projekt Ein Pavillon bildet das Scharnier zwischen Schloss und Palazzo
«Angilberga» eine Durchgrünung des öffentlichen Raums. Casorella. «Angilberga» von Christ & Gantenbein und Baukuh.
Zugang zu den Veranstaltungen und und Touristen und weckt das Inter- dienen. Das Schloss etabliert sich
Ausstellungen auf dem Schlossareal. esse für die Angebote der unter- als eigenständiges, städtisches Mu-
Von der Via al Castello gelangt man schiedlichen Museen. Einzelne Ein- seum, während das Kunstmuseum
über einen gedeckten Bereich in den griffe in die historische Bausubstanz im Palazzo Casorella bleibt.
Schlosshof, der zum Ausgangspunkt sind zu überprüfen, generell zeich- Die Eingriffe in die beste-
des Besuchs wird. Diagonal gegen- net sich das Projekt aber durch einen hende Bausubstanz sind minim.
über liegt die Kasse, von wo sich der sehr sorgfältigen Umgang mit dem Sämtliche Installationen für die
Hof und die Zugänge zu den Museen Bestand aus. Haustechnik konnten im neuen Bo-
einfach überwachen lassen. den aus Kunststeinplatten integriert
Vom Schlosshof gelangt man Drei eigenständige Museen werden. Die Jury lobt das überzeu-
über eine neue Treppe im alten Mu- gende Raumkonzept, die Funktiona-
nitionsturm direkt zum Hof des Pa- Der mit dem zweiten Preis ausge- lität und die klare Strategie für die
lazzo Casorella. Dieser ist teilweise zeichnete Beitrag «Angilberga» von Restaurierung. Sie kritisiert hinge-
mit einer Stahlkonstruktion über- Christ & Gantenbein und Baukuh gen den Aussenlift, der sich an den
dacht, die mit einem Gewebe be- reaktiviert den Zugang von der Ein- Munitionsturm anlehnt und den
spannt ist, und kann für öffentliche gangspforte zwischen Schloss und historischen Bestand konkurren-
Veranstaltungen genutzt werden. dem Palazzo Casorella mit einem ziert. Auch den Pavillon als Binde-
Der Beitrag gehört mit Investitionen neuen Pavillon. Die drei Museen er- glied zwischen dem Schloss und dem
von 10.6 Millionen Fr. zu den güns- halten eine eigene Identität. Das ar- Palazzo Casorella sieht die Jury als
tigeren Projekten. Weil eine Person chäologische Museum ist neu direkt Fremdkörper.
die Kasse bedienen und die Höfe vom Haupteingang her zugänglich. Der Freiraum zur Rotonda
überwachen kann, ist auch der Be- Dadurch werden die beiden Oberge- wird in Anlehnung an den ursprüng-
trieb der drei Museen wirtschaftlich. schosse des Schlosses frei. Sie sollen lichen Rebberg als öffentlicher Gar-
Das überzeugende Konzept öffnet für öffentliche Veranstaltungen ge- ten gestaltet. Personen mit einge-
den Schlosshof für Einheimische nutzt werden oder als Raumreserve schränkter Mobilität können das
Elisa Valero verbindet in ihrem Projekt «Collegare» das Schloss- Filigrane Neubauten aus Lärchenholz ergänzen den historischen
areal über einheitlich gestaltete Freiräume mit der Umgebung. Bestand. «Collegare» von Elisa Valero aus Granada (E).
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Ausgehend von der neuen Piazza Orelli schaffen Baserga Hof des Palazzo Casorella mit filigraner Überdachung.
Mozzetti Architetto mit «Urbana Arx» einen idealen Rundgang. «Urbana Arx» von Baserga Mozzetti Architetto.
Schloss über verschiedene Rampen Turm mit Lift im kleinen Innenhof vernetzt sich so ganz selbstver-
erreichen. Auch hier ist die Jury von des Schlosses und ein Balkon über- ständlich und ohne grosse architek-
der Gestaltung nicht überzeugt. Sie eck. Die Jury zweifelt an der Mach- tonische Gesten mit dem umliegen-
würdigt zwar die Absicht, die Fuss- barkeit dieser filigranen Holzkon- den Quartier und der Stadt. •
gängerachse zwischen Piazza Gran- struktionen, womit eine wesentliche
de und Rotonda über einen öffent- Qualität des Entwurfs – der Kontrast Jean-Pierre Wymann,
Architekt ETH SIA BSA
lichen Grünraum zu verbinden, von leichten Neubauten und behä-
V is u alisie r un g e n un d Plän e: Pr oje k t ve r f a s s e n d e
kritisiert aber die Bepflanzung mit bigem Bestand – infrage gestellt ist.
Hochstammbäumen vor dem Schloss. Zur Haustechnik fehlen Angaben,
sodass die Machbarkeit nicht über-
Verbindende Freiräume prüft werden konnte. Aufwertung und Restaurierung
des Schlosses von Locarno
Einstufiger Projektwettbe-
Das Projekt «Collegare» von Elisa Architektur ohne werb im selektiven Verfahren
Valero erhielt den dritten Preis. Die Ausrufezeichen
historische Stadt am Hang und die AUSZEICHNUNGEN
neuere Stadt am Fuss sollen über die Der Beitrag «Collegare» verbindet 1. Rang / 1. Preis: «Pivot»
einheitliche Gestaltung der Aussen- die Schlossanlage über einheitlich Sanchez Garcìa, Krausbeck Santagos-
tino Margarido, Mendrisio
räume verknüpft werden. Verbin- gestaltete Freiräume mit der Um-
dendes Element ist der bestehende gebung. Das sorgfältig erarbeitete 2. Rang / 2. Preis: «Angilberga»
Christ & Gantenbein, Baukuh, Basel
Bodenbelag aus einer Kieselpfläste- Projekt schafft geschickt neue Zu-
rung und Granitplatten als einheit- gänge und interne Verbindungen. 3. Rang / 3. Preis: «Collegare»
Elisa Valero, Granada (E)
liches Gestaltungselement. Die bau- Die Jury bezweifelt aber Machbar-
lichen Ergänzungen sind alle aus keit und Beständigkeit der fragilen 4. Rang / 4. Preis: «Urbana Arx»
Baserga Mozzetti Architetto, Muralto
Lärchenholz. Die Beschränkung auf Holzkonstruktion.
wenige Materialien zeichnet diesen Das Projekt «Angilberga» FACHJURY
Beitrag aus. Der Hauptzugang, die setzt ganz auf die beliebten Gegen-
Pia Durisch Nolli, Architektin,
Kasse und der Museumsshop blei- sätze von Alt und Neu. Es besteht Massagno; Bernhard Furrer, Architekt,
ben am heutigen Ort. Der Hof des aus acht Eingriffen, die unabhän- Bern; Markus Scherer, Architekt,
Palazzo Casorella ist mit einer fest gig voneinander realisiert werden Merano (I); Felix Wettstein, Architekt,
Lugano (Ersatz)
installierten Metallkonstruktion können. Daher lässt es sich gut etap-
und verschiebbaren Gläsern über- pieren, was sowohl logistisch wie SACHJURY
dacht. Diese Konstruktion hat aber auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Die
Alain Scherrer, Ingenieur, Stadtpräsi-
den Nachteil, dass sie die Sicht auf Jury vermisste aber bei diesem Bei- dent von Locarno; Giuseppe Cotti,
die Fassade des Palazzo Casorella trag eine harmonische und respekt- Jurist, Stadtrat von Locarno;
permanent verstellt. volle Einordnung in den histori- Ronnie Moretti, Geograf, Stadtrat
von Locarno (Ersatz)
Für den Zugang zum Schloss schen Kontext.
und die Besucherrundgänge sind Der Entwurf «Pivot» über-
drei Eingriffe mit einheitlicher Ma- zeugt mit sehr zurückhaltenden Ein-
terialisierung und Konstruktion griffen in die geschichtsträchtige
vorgesehen. Eine zweigeschossige Bausubstanz und der schlichten
Brücke zwischen Schlosshof und Idee, den Schlosshof für das Publi- Weitere Pläne und Bilder unter dem
dem Hof des Palazzo Casorella, ein kum zu öffnen. Die Schlossanlage Kurzlink bit.ly/castello-locarno
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