SCHNITTSTELLEN ZWISCHEN KINDER- UND JUGENDPSYCHIATRIE UND PÄDIATRIE AM BEISPIEL DES INTERDISZIPLINÄREN BASLER BEHANDLUNGSKONZEPTES BEI ...

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Fortbildung

SCHNITTSTELLEN ZWISCHEN KINDER-
UND JUGENDPSYCHIATRIE UND PÄDIATRIE
AM BEISPIEL DES INTERDISZIPLINÄREN
BASLER BEHANDLUNGSKONZEPTES BEI
FUNKTIONELLEN DEFÄKATIONSSTÖRUNGEN
Margarete Bolten, Corinne Légeret

                        Funktionelle Defäkationsstörungen sind in der kinder-
                        ärztlichen Praxis ein häufiger Vorstellungsgrund. Un-      Als funktionelle Stuhlinkontinenz wird bei
                        ter diesem Sammelbegriff versteht man Beeinträch-          einem Kind mit einem Entwicklungsalter von
                        tigungen bei der Ausscheidung der Nahrung, welche          vier oder mehr Jahren das willkürliche oder unwill-
                        nicht allein durch organische oder biochemische Ur-        kürliche Absetzen von Faeces an Stellen, die im
                        sachen erklärt werden können. Typische Beschwer-           sozio-kulturellen Umfeld des Kindes dafür nicht
                        den in diesem Spektrum sind chronische Obstipation,        vorgesehen sind, bezeichnet. Es dürfen keine er-
                        Defäkationsschmerzen, Perianalläsionen oder großß-         kennbaren entzündlichen, anatomischen, metabo-
     Margarete Bolten   kalibrige Stühle. Weiterhin kann es zu Appetitlosig-       lischen oder neoplastischen Prozesse, welche die
                        keit, rezidivierenden Bauchschmerzen, Stuhlschmie-         Symptome des Kindes erklären könnten, vorlie-
                        ren, Einkoten oder zu Einnässen kommen. Sekundär           gen. Die Beschwerden müssen mindestens zwei
     https://doi.org/
 10.35190/d2021.2.1     treten bei Kindern mit funktionellen Defäkationsstö-       Monate lang vorgelegen haben.
                        rungen häufig Verhaltensauffälligkeiten mit oppositio-
                        nellem oder reaktiv aggressivem Verhalten, aber auch
                                                                                     Gemäss der internationalen Rome-IV-Klassifikation
                        ängstlich-depressivem Rückzugsverhalten auf.
                                                                                 der pädiatrischen Gastroenterologie1,2) wird zwischen
                                                                                 der funktionellen Obstipation (mit und ohne Einkoten)
                        Kasten 1: Funktionelle Defäkationsstörungen –
                                                                                 und der nicht-retentiven Stuhlinkontinenz unterschie-
                        diagnostische Kriterien (Rom-IV-Konferenz)
                                                                                 den. Entsprechend wird die Obstipation als übergeord-
                                                                                 nete Diagnose definiert, die mit und ohne Stuhlinkon-
                                                                                 tinenz einhergehen kann. Daneben gibt es Kinder, die
                          Eine funktionelle Obstipation liegt dann vor,
                                                                                 einkoten, aber keine Obstipation aufweisen.
                          wenn mindestens zwei der folgenden Symptome
                          mindestens einmal pro Woche, seit mindestens
                                                                                     Bei der funktionellen Obstipation ist zu beachten,
                          einem Monat erfüllt sind:
                                                                                 dass sich diese nicht allein durch eine niedrige
                                                                                 Stuhlfrequenz diagnostizieren lässt, da manche Kin-
                          1. zwei oder weniger Stuhlenterleerungen pro
                                                                                 der trotz täglichem Stuhlgang, Kot retendieren. Des-
                              Woche,
                                                                                 halb sind weitere Symptome wie Bauchschmerzen,
                          2. mindestens eine Episode mit Stuhlinkontinenz
                                                                                 Schmerzen bei der Defäkation, Durchfall, Einkoten
                              pro Woche nach dem Erreichen eines Entwick-
                                                                                 bzw. Stuhlschmieren oder ein reduzierter Appetit dia-
                              lungsalters von vier Jahren,
                                                                                 gnostisch sehr relevant.
                          3. Rückhaltemanöver bzw. Retention,
                          4. schmerzhafte Entleerungen oder harte
                                                                                      Funktionelle Defäkationsstörungen können die
                              Stuhlkonsistenz,
                                                                                 kindliche Entwicklung, die Eltern-Kind-Beziehung oder
                          5. Stuhlmassen im Rektum, Sigma oder
                                                                                 die sozialen Kontakte des Kindes erheblich beeinträch-
                              Abdomen,
                                                                                 tigen, was wiederum negative Auswirkungen auf die
                          6. gelegentliche Entleerung großer Stuhlmassen,
                                                                                 Lebensqualität der Kinder hat3,4). Deshalb ist es von
                          7. Kriterien eines irritablen Kolons dürfen nicht
                                                                                 zentraler Bedeutung, dass bei betroffenen Kindern
                              erfüllt sein,
                                                                                 möglichst frühzeitig therapeutische Massnahmen ein-
                                                                                 geleitet werden. Dabei sollte die Behandlung interdis-
                          Von funktioneller Retention sprechen wir, wenn
                                                                                 ziplinär erfolgen, sowohl organische als auch psycho-
                          über einen Zeitraum von mindestens 12 Wochen
                                                                                 therapeutische Anteile haben.
                          zwei oder weniger Entleerungen von grosskalib-
                          rigem Stuhl pro Woche erfolgen und das Kind im
                          Alter zwischen zwei und 16 Jahren durch Anspan-          Fallbeispiel 1: Felix (6 Jahre)
      Korrespondenz:      nen des Beckenbodens versucht, die Defäkation            Felix wird uns vom Hausarzt zur weiteren Abklä-
     margarete.bolten     willkürlich hinauszuzögern.                              rung einer seit Jahren bestehenden Obstipation
            @upk.ch

4                                                                                                   Vol. 32 | 2-2021
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                                                        Praxis äussert sich dies häufig in einer, zumindest vor-
  mit Überlaufenkopresis zugewiesen. Alle bisheri-      übergehenden, Verstopfung. Gleichzeitig geht man
  gen Abklärungen konnten keinerlei organische          auch von einer genetischen Disposition für Obstipa-
  Ursachen für die Symptome finden. Eine Behand-        tion aus. Metabolische und endokrinologische Unter-
  lung mit stuhlaufweichenden Medikamenten habe         suchungen haben z.B. ergeben, dass Kinder mit einer
  bisher keine Besserung erzielt. Die Eltern schi-      funktionellen Ausscheidungsstörung eine verzögerte
  cken ihren Sohn regelmäßig zum WC, doch dort          Magenentleerung und verminderte Motilität des Dünn-
  kann er keinen Stuhl absetzen. Deshalb komme          darms aufweisen, die zu einer verminderten Motilität
  es konstant zu Stuhlschmieren und Einkoten. Aus       des Kolons führen können8). Mithilfe von Sphinkter-Ma-
  diesem Grund trage Felix auch Windeln. Felix lei-     nometrien wurden ein erhöhter Druck und Koordina-
  det sehr unter dem Einkoten, was sich u.a. auch       tionsstörungen bei diesen Kindern festgestellt. Neu-
  in einer starken körperlichen Anspannung und          rophysiologische Untersuchungen haben ferner ge-
  Rückzugstendenzen widerspiegelt. Insbesondere         zeigt, dass auch das zentrale Nervensystem (ZNS) an
  im Kindergarten fürchtet er «Unfälle«, welche er      der Genese beteiligt ist, seine Relevanz ist aber nicht
  um jeden Preis vermeiden möchte. Auch die El-         geklärt. So finden sich bei Kindern mit funktionellen
  tern sind sehr verzweifelt, da sich die Problema-     Defäkationsstörungen häufig familiäre Belastungssi-
  tik trotz langjähriger Behandlungsversuche nicht      tuationen mit Trennungen der Eltern, psychischen Er-
  bessert. Zwischen Vater und Sohn kommt es we-         krankungen von einem oder beiden Elternteilen, we-
  gen des ständigen Einkotens wiederholt zu Kon-        nig Verfügbarkeit von Eltern, sehr chaotischen fami-
  flikten, da dieser zunehmend annimmt, dass sein       liären Strukturen oder auch dysfunktionalen Bezie-
  Sohn absichtlich einkoten würde.                      hungsmustern zwischen Eltern und Kind. Einen wich-
                                                        tigen Anteil in der Entstehung funktioneller Defäkati-
                                                        onsstörungen scheint demnach ein Mangel an Ruhe
                                                        und Sicherheit, aber auch Halt gebenden Familien-
  Fallbeispiel 2: Hanna (8 Jahre)                       strukturen und sicherer Bindung zu spielen. Diese und
  Hanna kotet seit Jahren ein. Sie wurde bereits im     weitere Befunde weisen darauf hin, dass funktionelle
  Kindergartenalter in einer kinderpsychiatrischen      Defäkationsstörungen weder eine isolierte Störung
  Tagesklinik behandelt, nachdem es zum Kinder-         des Darms noch der Psyche sind, vielmehr handelt es
  gartenausschluss kam. In diesem Rahmen wurde          sich um ein Ineinandergreifen körperlicher und psy-
  mit der Patientin ein Toilettentraining durchge-      chosozialer Phänomene. Somit müssen die funktio-
  führt, dieses konnte aber nach Austritt von der       nellen Defäkationsstörungen als ein multifaktorielles
  alleinerziehenden Kindsmutter (KM), welche an         Geschehen betrachtet werden, bei dem sowohl psy-
  rezidivierenden Depressionen litt, nicht konse-       chische und somatische Faktoren eine Rolle spielen.
  quent weitergeführt werden. Nach einem erneu-
  ten stationären Aufenthalt der KM in einer psy-            Wie in Abbildung 1 dargestellt, entwickeln sich
  chiatrischen Klinik, kam es zu einer weiteren         funktionelle Defäkationsstörungen im Kindesalter häu-
  Verschlechterung der Enkopresis mit bis zu 8-ma-      fig als Folge einer unzureichend behandelten akuten
  ligem Einkoten täglich. Die Patientin wurde dar-      Obstipation mit Schmerzen bei der Ausscheidung des
  aufhin an die Spezialsprechstunde für Ausschei-       Stuhls. Solche Obstipationsepisoden entstehen oft-
  dungsstörungen der UPKKJ überwiesen. In der           mals in den ersten vier Lebensjahren. Man geht da-
  Anamnese berichtete die KM, dass Hanna zu             von aus, dass der Zeitpunkt der Sauberkeitserziehung
  Hause sehr stark kontrollierendes und oppositio-      eine kritische Phase im Entstehungskontext funktio-
  nelles Verhalten zeige. Die Konflikte mit ihr wür-    neller Defäkationsstörungen ist, da es in diesem Zu-
  den immer mehr zunehmen. Sie könne sich ge-           sammenhang zu einem «Kampf» zwischen Kind und
  gen ihre Tochter nicht mehr durchsetzen. Immer        Eltern kommen kann, was im weiteren Verlauf eine
  wieder hätte Hanna regelrechte Ausraster, in de-      Verstopfung fördern kann9).
  nen sie die KM körperlich attackiere. Auch das
  ständige Waschen, vor allem aber das Verstecken            Rückhaltemanöver bzw. Retention des Stuhls füh-
  der verschmutzen Unterwäsche mit der entspre-         ren zum Aufstauen von Stuhlmassen im Enddarm, wel-
  chenden Geruchsbelastung, würden sie an den           che wiederum weiter einhärten. Werden diese schliess-
  Rand ihrer Kräfte bringen. Von Seiten der Schule      lich doch ausgeschieden, kann es abermals zu Schmerz-
  würde sie auch zunehmend unter Druck gesetzt,         erfahrungen kommen. Damit wird ein Teufelskreis aus
  da auch dort das Einkoten kaum noch tragbar sei.      verhärtetem Stuhl, Zurückhalten des Kots und
                                                        Schmerzen aufrechterhalten. Mit zunehmender
                                                        Stuhlimpaktion in Rektum und Sigma kommt es zu ei-
Pathophysiologie funktionelle                           ner Erweiterung des Enddarms (Rektum-Dilatation)
Defäkationsstörungen                                    mit verminderter Sensitivität für den Defäkations-
Die Datenlage zur Entstehung der funktionalen Defä-     drang und propulsiver Aktivität, sodass ein weiteres
kationsstörungen im Kindesalter ist bisher noch un-     Einhärten des Stuhls die Folge ist. Je häufiger und län-
befriedigend. Aus psychosozialer Sicht ist der Stuhl-   ger der Stuhl retendiert wird, desto schwerer wird die
gang mit Ruhe und Gefahrlosigkeit assoziiert. Stress,   Stuhlentleerung. Ein chronisch dilatiertes Rektum mit
Alltagsbelastungen, Ängste oder Bedrohungen kön-        herabgesetztem Rektaltonus und reduzierten rekta-
nen die Motilität des Darmes beeinflussen und damit     len Kontraktionen führt zu einer weiteren Verzögerung
den Stuhlgang verändern oder behindern5-7). In der      der Stuhlentleerung10). Weiter haben Voskuijl et al. 11)

                   Vol. 32 | 2-2021                                                                               5
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Fortbildung
     bei Kindern mit chronischer Obstipation eine erhöhte      sionellen Sprechstunde (IntestTeam) abgeklärt und
     Dehnbarkeit des Rektums gefunden. Dies hat zu Folge,      betreut. Der Vorteil solch einer Sprechstunde ist die
     dass grössere Stuhlmengen nötig sind, um den Stuhl-       Verfügbarkeit der verschiedenen Spezialisten (Gas-
     drang auszulösen. Als Folge dieses Teufelskreises         troenterologie, Psychologie, Ernährungsberatung,
     kann es im weiteren Verlauf auch zum Einkoten (vgl.       Pflege, Chirurgie, Pathologie etc.). So kann je nach zu-
     Abbildung 1) kommen.                                      grundeliegender Störung/Problematik/Ursache die
                                                               geeignete Diagnostik und Behandlung bei Bedarf ge-
         Das Einkoten bzw. die Stuhlinkontinenz geht häu-      meinsam eingeleitet werden.
     fig mit weiteren Verhaltensproblemen einher12,13).
     Lange Zeit wurde die These vertreten, dass diese Ver-         Gemäss des Interdisziplinären Basler Behand-
     haltensauffälligkeiten ursächlich für die Stuhlinkonti-   lungskonzeptes durchlaufen alle Kinder vier Thera-
     nenz bzw. das Einkoten seien. Heute geht man jedoch       piephasen:
     davon aus, dass das Einkoten nicht automatisch Folge
     der psychiatrischen Auffälligkeiten ist14). In mehreren   1. Motivationsphase
     Studien konnte gezeigt werden, dass eine erfolgrei-       2. initiale Desimpaktion der Stuhlmassen im Darm
     che Behandlung der Stuhlinkontinenz zu einer Ab-          3. verhaltenstherapeutisches Toilettentraining zur För-
     nahme der Verhaltensprobleme und einer Verbesse-              derung regelmässiger Ausscheidung und Verhin-
     rung der Lebensqualität bzw. der sozialen Kompeten-           derung erneuter Retention
     zen bei den Kindern führte15,16). Diese Studien           4. verhaltenstherapeutische und medikamentöse Pro-
     unterstreichen die These, dass das Einkoten als eine          phylaxe von Obstipationsrückfällen.
     bedeutsame Variable zur Entstehung von Verhaltens-
     problemen beiträgt. Entsprechend sollte bei Stuhlin-      Motivationsphase
     kontinenz und komorbiden Verhaltensstörungen in ei-       In dieser Phase der Therapie stehen die Wissensver-
     nem ersten Schritt die funktionelle Defäkationsstö-       mittlung, die Motivationsklärung und die Planung the-
     rung behandelt werden.                                    rapeutischer Schritte im Vordergrund. Zu Beginn der
                                                               Behandlung sollte immer eine ausführliche Psychoe-
     Therapeutisches Vorgehen                                  dukation des Kindes und seiner Eltern über den Ver-
     Um eine somatische Ursache der Obstipation sicher         dauungstrakt und die Ausscheidungsfunktionen er-
     auszuschliessen zu können, wird Praxispädiatern emp-      folgen. Dabei wird das Teufelskreismodell der funkti-
     fohlen, bei neurologisch unauffälligen Kindern als Ba-    onellen Obstipation in einer vereinfachten Kinder-
     sisdiagnostik die Schilddrüsenwerte zu bestimmen          version (Abbildung 2 A) verwendet. Ausgehend von
     und ein Zöliakie-Screening abzunehmen. Diese Dia-         diesem Modell wird mit der Familie das weitere the-
     gnostik sollte ebenfalls durchgeführt werden, falls       rapeutische Vorgehen besprochen. An dieser Stelle
     Stuhlweichmacher länger als 2 Monate notwendig            ist es zentral, dass dem Kind und seinen Eltern der
     sind. Bei Verdacht auf das Vorliegen eines M. Hirsch-     Einfluss von Verhaltensparametern (Ernährungs- und
     sprungs, sollte eine Überweisung an den Gastroen-         Trinkgewohnheiten, Bewegung, Tagesroutinen etc.)
     terologen oder Kinderchirurgen erfolgen.                  deutlich aufgezeigt werden. Auch Schuldzuweisungen
                                                               seitens der Eltern müssen thematisiert und ggf. be-
         In Basel werden Kinder mit funktionellen Defäka-      arbeitet werden. Wenn dem Kind das Einkoten als ein
     tionsstörungen in einer interdisziplinären interprofes-   willentlicher aggressiver Akt zugeschrieben wird, hat

     Abbildung 1. Teufelskreis der funktionellen Obstipation

6                                                                                 Vol. 32 | 2-2021
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dies oftmals einen sehr negativen Einfluss auf die El-    Desimpaktion und Erhaltungstherapie
tern-Kind-Beziehung. Den Eltern sollte vermittelt wer-    Im Anschluss an die Motivationsphase ist eine kom-
den, dass ihr Kind sie nicht provoziert und sich wil-     plette Darmentleerung erforderlich. Die anschlies-
lentlich ihrem Wunsch widersetzt, sauber zu werden,       sende Erhaltungsphase mit oralen Stuhlweichmachern
sondern dass ein Zusammenspiel zwischen körperli-         sollte für Monate fortgeführt werden, um einen Re-
chen und verhaltensassoziierten Faktoren das Pro-         lapse mit Reakkumulation von Stuhl im Rektum zu ver-
blem erklären kann.                                       meiden und die Wahrscheinlichkeit einer permanen-
                                                          ten Normalisierung des Stuhlverhaltens zu maximie-
     Elterliche Schuldzuweisungen an das Kind und         ren.
wiederkehrende Misserfolgserfahrungen bei der Stuhl-
kontrolle, können beim Kind zu hohen psychischen               Die initiale Abführung sollte prioritär per os erfol-
Belastungen mit depressiv-niedergeschlagenem oder         gen mit Polyethylenglykol (PEG, Macrogol) 1.5g/kg
ängstlichem Verhalten führen und in eine geringe Kon-     Körpergewicht für mind. vier Tage. Sobald der Stuhl
trollüberzeugung münden. Deshalb müssen im Rah-           etwas aufgeweicht ist, kann man ein Stimulans (z.B.
men der Motivationsarbeit von Seiten der Therapeu-        Bisacodyl, Senna etc.) hinzufügen. Ziel ist eine kom-
ten Hoffnung und Kontrollüberzeugung geweckt wer-         plette Darmentleerung, welche sich durch das Abset-
den. Indem das Problem externalisiert wird (z.B. als      zen von sehr hellem, flüssigem Stuhl äussert15,16).
«Kaki-Monster», vgl. Abbildung 2B), wird das Symp-        Mögliche Nebenwirkungen können Flatulenzen oder
tom vom Kind getrennt und kann einfacher von Kind         leichte Bauchschmerzen sein. Bei ausgeprägter fäka-
und Eltern bekämpft werden. Diese therapeutische          ler Impaktion muss der Stuhl von rektal aufgeweicht
Technik geht auf den australischen Familientherapeu-      werden. Hier kann mit osmotischen Präparaten (Micro-
ten Michael White17) zurück. Gemäss seinem Ansatz         lax®: Natriumcitrat und Sorbitol) oder einem hohen
gelingt es Kindern besser, an einer Lösung für ein Pro-   Einlauf (10-15ml/kg KG) gearbeitet werden. In selte-
blem zu arbeiten, wenn man sie nicht als «das unge-       nen Fällen ist eine manuelle Ausräumung in Narkose
zogene Kind» anspricht, welches sich bessern müsse,       notwendig.
sondern, wenn man vom Problem als «Schlingel»
spricht.                                                       Zur Erhaltungstherapie im Rahmen der interdis-
                                                          ziplinären Behandlung sind langfristig orale Laxan-
    Im Rahmen der Motivationsarbeit sollte die Eigen-     tien, kombiniert mit dem verhaltenstherapeutischen
motivation des Kindes geprüft bzw. kritisch hinter-       Toilettentraining indiziert. Im Kindesalter sollten os-
fragt werden. Es ist aber auch entscheidend, dass den     motische Laxantien bevorzugt werden. Das Mittel der
Eltern ihre Verantwortung im Kontext der Behandlung       Wahl ist auch hier wieder PEG. PEG ist ein osmoti-
aufgezeigt wird.                                          sches Laxans und besteht aus einem langen, linearen

                     Teufelskreis Verstopfung
                                                                                            3. Schmerzhafter
2. Harter Stuhl
                                                                                                   Stuhlgang

1. Verstopfung
                                                                                            4. Stuhlverhalten

      5. Darmerweiterung
                                                                         6. Verlust der Darmsensitivität

                                            7. Einkoten
Abbildung 2A. Beispiele für Materialien zur Informationsvermittlung und Motivationsaufbau
A: Kindgerechtes Teufelskreismodell

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     Abbildung 2B. Kaki-Monster zur Externalisierung des Problems

     Polymer, das nicht resorbiert und nicht metabolisiert         Compliance des Kindes im Vordergrund. Deshalb wird
     wird und Wassermoleküle bindet. Es empfiehlt sich             es auch ausschliesslich für die regelmässigen Toilet-
     mit einer geringeren Dosis zu beginnen (z.B.0,20 g/           tengänge belohnt, unabhängig, ob diese «erfolgreich»
     kg pro Tag in zwei Dosen) und je nach Wirkung zu stei-        waren oder nicht. Insbesondere sehr junge Kinder kön-
     gern, bzw. bei flüssigem Stuhl zu reduzieren, eine Do-        nen in diesem ersten Schritt auch durch haptisch er-
     sis von 0,2-0,8 g/kg Körpergewicht/die wird empfoh-           lebbare Token (z.B. «Belohnungs-Perlen») belohnt
     len25). Studien zeigen, dass ca. 60% der Kinder die           werden.
     Therapie mit Stuhlweichmacher nach 8-12 Monaten
     regelmässiger Einnahme stoppen können27).                         In der zweiten Phase steht die regelmässige Aus-
                                                                   scheidung ins WC im Zentrum und erst in der letzten
     Verhaltenstherapeutisches Toilettentraining                   Phase wird auf das «Nicht-mehr-Einkoten» fokus-
     Metaanalysen zur Wirksamkeit verschiedener Thera-             siert.
     piebausteine haben gezeigt, dass die Verhaltensthe-
     rapie, insbesondere das Toilettentraining die entschei-           Die Grundstruktur des Toilettentrainings ist in al-
     dende Wirkkomponente bei der Behandlung funktio-              len drei Phasen die gleiche. Die Kinder werden aufge-
     neller Defäkationsstörungen ist18-20). Im Rahmen des          fordert bzw. sollten selbständig, dreimal pro Tag nach
     Basler Behandlungskonzeptes verläuft das Toiletten-           den Mahlzeiten zur Toilette gehen, dort 10 Minuten ent-
     training in drei Phasen, wobei die dritte Phase nur bei       spannt und mit Fußkontakt zum Boden sitzen, auch
     Kindern mit Inkontinenz durchlaufen wird. In jeder            wenn es nicht zum Stuhlgang kommt. Dieses Verhal-
     Phase werden unterschiedliche Ziele verfolgt und mit          ten wird seitens der Eltern bzw. der Pflege in einem Be-
     verschiedenen Verstärkern belohnt (vgl. Tabelle 1). So        obachtungsplan vermerkt und ausserdem positiv ver-
     steht beispielsweise in der ersten Phase vor allem die        stärkt. Der Toilettengang sollte immer möglichst posi-

      Phase      Ziel                             Zielverhalten                                 Verstärker

      1          Aufbau einer Toiletten-          Selbstständig 3x tgl. für mind. 10            Token System
                 routine                          Minuten entspannt auf dem WC sitzen           (vgl. Abb. 3B)

      2          Regelmässige Ausscheidung        Ausscheidung ins WC                           Token System
                 der Faeces ins WC                                                              (vgl. Abb. 3B)

      3          Verhindern von Einkoten          Saubere Wäsche über den gesamten Tag          Sonne-Wolken-Kalender
                 bzw. Stuhlschmieren                                                            (vgl. Abb. 3C)

     Tabelle 1. Überblick über die Phasen des Toilettentrainings

8                                                                                     Vol. 32 | 2-2021
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Fortbildung
tiv gestaltet werden: Die Kinder dürfen deshalb Bücher    und Kind. Durch das Herunterbrechen des komplexen
oder Comics lesen, Geschichten hören, singen oder Bil-    Therapieziels (regelmässiger Stuhlgang, kein Einko-
der malen. Auf die Nutzung digitaler Bildschirmmedien     ten mehr) in viele kleine Teilziele wird das erfolgrei-
sollte nach Möglichkeit verzichtet werden, da dies eher   che Erreichen dieses Endziels erleichtert. Zeigt das
zu erhöhter Muskelspannung führt und damit der ge-        Kind in den verschiedenen Therapiephasen das jewei-
wünschten Entspannung entgegenwirkt.                      lige Zielverhalten, wird es mittels eines Token-Systems
                                                          und durch verbale Anerkennung belohnt (vgl. Abbil-
    Wie im Abschnitt Pathophysiologie beschrieben,        dung 3). Die Erfolge wiederum steigern die kindliche
treten die funktionellen Defäkationsstörungen beson-      Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugung, was sich
ders häufig erstmals in der Phase der Sauberkeitser-      positiv auf die Therapiemotivation und die Compli-
ziehung (zwischen 3 und 6 Jahren) auf. Da Kinder im       ance auswirkt.
Allgemeinen in diesem Alter noch nicht über eine aus-
reichend Lesekompetenz verfügen, ist es besonders              Unerwünschtes Verhalten (z.B. Retentionsmanö-
wichtig, alle Therapiematerialien in eine einfach ver-    ver und Einkoten) sollte während des gesamten The-
ständliche Zeichensprache zu übersetzten (vgl. Abbil-     rapieverlaufs konsequent mit negativen Konsequen-
dung 3A). Die visuelle Darstellung der Therapieregeln     zen verknüpft werden (vgl. Tabelle 2). Dieser Punkt
oder des Verlaufes unterstützen die Therapie und re-      ist im Behandlungsplan ausgesprochen relevant, da
duzieren das Auftreten von Konflikten zwischen Eltern     in den meisten Fällen das Kind bisher kaum negative

                                       Regeln Toilettentraining

Abbildung 3A. Beispiele für nonverbale Therapiematerialien und Token Systeme im Rahmen des Toilettentrainings

                    Vol. 32 | 2-2021                                                                                9
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                                    Mein Klokönig Belohnungsplan

      Abbildung 3B

                                     Sonne – Wolken – Kalender von...
                                                        Name
      Male eine        , wenn Du den ganzen Tag sauber warst!

      Male eine        , wenn Deine Unterhose schmutzig geworden ist!

         Montag         Dienstag        Mittwoch      Donnerstag        Freitag         Samstag       Sonntag

         Montag         Dienstag        Mittwoch      Donnerstag        Freitag         Samstag       Sonntag

         Montag         Dienstag        Mittwoch      Donnerstag        Freitag         Samstag       Sonntag

         Montag         Dienstag        Mittwoch      Donnerstag        Freitag         Samstag       Sonntag

         Montag         Dienstag        Mittwoch      Donnerstag        Freitag         Samstag       Sonntag

      Abbildung 3C

      Folgen seines Verhaltens hatte. Den Eltern sollte von   hende Strafen (z.B. Fernsehverbot am Abend) unge-
      der Psychotherapeutin aufgezeigt werden, dass uner-     eignet sind, da a) das Kind keinen Zusammenhang
      wünschtes Verhalten nur reduziert werden kann, wenn     zwischen seinem Fehlverhalten und der Strafe her-
      dieses für das Kind auch mit «Kosten» verbunden ist,    stellen kann und b) auch negative Aufmerksamkeit
      die es langfristig zu vermeiden versucht.               (Ausschimpfen) eine Zuwendung mit Aufmerksamkeit
                                                              zum Kind ist und damit das Verhalten verstärkt. Wei-
         An dieser Stelle ist es aber auch ganz zentral zu    terhin wirken sich die immer wiederkehrenden nega-
      betonen, das Ausschimpfen und nicht mit dem uner-       tiven Interaktionsschleifen aus Einkoten und Aus-
      wünschten Verhalten direkt im Zusammenhang ste-         schimpfen ausgesprochen ungünstig auf die El-

10                                                                               Vol. 32 | 2-2021
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 Unerwünschtes Verhalten                           Negative Konsequenz

 Einkoten                                          Kind wird je nach Alter/Entwicklungsstand in das Reinigungs-
                                                   ritual einbezogen

 Faeces an anderen Orten als dem WC                Kind wird je nach Alter/Entwicklungsstand in die Reinigung
 abgesetzt                                         einbezogen

 Retentionsmanöver                                 Kind wird unverzüglich unterbrochen und zum WC gebracht,
                                                   dort muss es 5 Minuten sitzen bleiben

 Weigerung auf das WC zu gehen bzw. dort           Kind erhält keinen Token, Kind kann nicht zum Spielen
 sitzen zu bleiben                                 das Haus/die Wohnung verlassen

 Verstecken von schmutzigen Unterhosen             Wechselwäsche wird von den Eltern unzugänglich gemacht
                                                   und nur noch auf Nachfrage gegeben

Tabelle 2. Beispiele für negative Konsequenzen im Rahmen des Toilettentrainings

tern-Kind-Beziehung und die Selbstwirksamkeit des             näre Behandlung notwendig sein. Insbesondere wenn
Kindes und seiner Eltern aus.                                 der Ausschluss aus dem Kindergarten oder der Schule
                                                              droht, sollte unverzüglich eine stationäre Behandlung
Begleitende Interventionen                                    in Erwägung gezogen werden.
Im Rahmen des interdisziplinären Basler Behandlungs-
konzeptes bei funktionellen Defäkationsstörungen wer-
den die Eltern und je nach Alter auch das Kind hinsicht-        Verlauf Felix (6 Jahre)
lich der nutritiven Beeinflussung der Obstipation ge-           Aufgrund der Chronizität und Schwere der Sym-
schult. Den Eltern wird der Zusammenhang zwischen               ptome, wurde Felix für eine stationäre Behand-
balaststoffarmer Ernährung, einem hohen Zuckerkon-              lung aufgenommen. Die Desimpaktion dauerte
sum, geringen Trinkmengen und unzureichender Be-                insgesamt 18 Tage. Während der Darmentleerung
wegung (z.B. aufgrund erhöhten Medienkonsums) und               mit hohen Dosen Macrogol schied der Patient
Obstipation aufgezeigt. Entsprechend werden auch                alte, harte Stuhlreste, aber auch viel flüssigen
Massnahmen zur Verbesserung der Ernährungs- und                 Stuhl aus. Dieser Prozess war für Felix und seine
Bewegungssituation geplant, sowie ein Etablieren von            Mutter psychisch sehr belastend, da beide mit
Hauptmahlzeiten zu festen Zeiten, welche von der Fa-            einem schnelleren Voranschreiten der Desimpak-
milie gemeinsam eingenommen werden.                             tion gerechnet hatten. Ausserdem führte der flüs-
                                                                sigen Stuhl zu einer permanenten Inkontinenz.
    Liegen neben der funktionellen Defäkationsstörung           Es waren tägliche psychotherapeutische Gesprä-
komorbid psychische Auffälligkeiten beim Kind vor (z.B.         che nötig, um die Ängste vor einem erneuten
Angststörungen, Aufmerksamkeitsstörungen), sollten              Misserfolg zu reduzieren. Parallel zur Darment-
diese ebenfalls psychotherapeutisch behandelt wer-              leerung wurde die erste Phase des Toilettentrai-
den. Wie eine Studie von Mehler-Wex et al.21) zeigt, spielt     nings durchgeführt. Felix, welcher bis zum Ein-
die Behandlung komorbider Störungen eine entschei-              tritt ins UKBB eine balaststoffarme Ernährung
dende Rolle für den Behandlungserfolg. Die Patienten            bevorzugte, konnte durch das Therapeutenteam
mit komorbiden psychischen Störungen nahmen kei-                zu einer Änderung seiner Ernährungsgewohnhei-
nen ungünstigeren Verlauf, vorausgesetzt, die Begleit-          ten motiviert werden. Besonders die ersten Er-
erkrankungen wurden konsequent behandelt. Vor al-               folge (erstmalige Ausscheidung von Stuhl ins WC),
lem die Therapie des hyperkinetischen Syndroms ist              motivierten den Patienten auf allen Behandlungs-
ausschlaggebend für den Behandlungserfolg.                      ebenen (Toilettentraining, Ernährung, Bewegung)
                                                                selbstständig mitzuwirken. Gegen Ende der Des-
Nachsorge und Rückfallprophylaxe                                impaktionsphase spürte er erstmals Stuhldrang.
Nach Abschluss der Intensivbehandlung (ambulant                 Aufgrund des guten stationären Verlaufs haben
oder stationär) sollten über einen Zeitraum von drei            wir den Patienten zur ambulanten Weiterführung
bis 6 Monaten regelmässige psychotherapeutische                 des Toilettentrainings nach Hause entlassen. Fe-
Nachkontrollen und Booster-Sitzungen mit der Fami-              lix sollte nun in einem Sonne-Wolken-Kalender
lie erfolgen, um beim Kind die Motivation aufrechtzu-           die Tage vermerken, in denen er sauber blieb. Es
erhalten und Rückfälle zu verhindern22-23).                     fanden wöchentliche Online-Sitzungen zur Moti-
                                                                vation und Aufrechterhaltung des therapeuti-
Therapieindikation                                              schen Prozederes statt. Der Verlauf kann als äus-
Bei den meisten Kindern mit funktioneller Defäkati-             serst erfolgreich bezeichnet werden, denn es ge-
onsstörung reicht eine ambulante Therapie aus. Je-              lang Felix zunehmend besser normal geformten
doch kann insbesondere bei chronifizierten Verläufen,           Stuhl in die Toilette abzusetzen. Gegen Ende der
schweren komorbiden psychischen Störungen, man-                 Behandlung hatte er täglichen Stuhlgang und
gelnder Unterstützung durch das soziale Umfeld und/             keine verschmutzten Unterhosen mehr.
oder gestörten Eltern-Kind-Interaktionen eine statio-

                     Vol. 32 | 2-2021                                                                                11
Fortbildung
                                                              Weiterführende Literatur
       Verlauf Hanna (8 Jahre)                                Bolten und Légeret (erscheint Ende 2021). Funktio-
       Auch Hanna wurde nach einer ambulanten Abklä-          nelle Magen-Darmstörungen im Kindes- und Jugendal-
       rungsphase zur stationären Behandlung zusam-           ter – Ein Praxismanual, Berlin/Heidelberg: Springer-
       men mit ihrer Mutter im UKBB aufgenommen.              Verlag
       Die Desimpaktionsphase war bei Hanna kurz (1
       Tag), da sich bei ihr kaum Stuhlmassen im End-         Referenzen
       darm befanden. Von Beginn an zeigte Hanna aus-         1) Benninga MA, et al, Childhood Functional Gastrointestinal
                                                                 Disorders: Neonate/Toddler. Gastroenterology, 2016.
       geprägtes oppositionelles Verhalten. Sie wider-
                                                              2) Hyams, J.S, et al, Functional Disorders: Children and
       setzte sich anfänglich gegen jegliche Aufforde-           Adolescents. Gastroenterology, 2016.
       rung das WC aufzusuchen. Aus diesem Grund              3) Kaugars, A.S, et al, Familiesí perspectives on the effect of
       wurde mit Hanna und ihrer Mutter intensiv psy-            constipation and fecal incontinence on quality of life. J Pediatr
                                                                 Gastroenterol Nutr, 2010. 51(6): p. 747-52.
       chotherapeutisch gearbeitet. Das Ziel war hier
                                                              4) Collis, D, A Kennedy-Behr, and L Kearney, The impact of bowel
       vor allem, für beide ein Verständnis der Funktion         and bladder problems on childrenís quality of life and their
       des Einkotens im Kontext der Mutter-Kind-Bezie-           parents: A scoping review. Child Care Health Dev, 2019. 45(1): p.
                                                                 1-14.
       hung zu erlangen. Es zeigte sich, dass Hanna eine
                                                              5) Almy, T.P, F Kern, Jr., and F.K. Abbot, Constipation and diarrhea,
       grosse Wut auf ihre Mutter hatte, welche sie auf-         as reactions to life stress. Res Publ Assoc Res Nerv Ment Dis,
       grund ihrer Depression immer wieder im Stich              1949. 29: p. 724-31.
       liess und wenig Halt gebend war. Im Rahmen des         6) Huerta-Franco, M.R, et al, Effects of occupational stress on the
                                                                 gastrointestinal tract. World J Gastrointest Pathophysiol, 2013.
       therapeutischen Prozesses entstand unter ande-            4(4): p. 108-18.
       rem eine Zeichnung (vgl. Abb. 4), in der die Pati-     7) Yoo, H.Y, et al, Colon Transit Time Test in Korean Children with
       entin darstellte, wie sie das Wohnhaus der Fami-          Chronic Functional Constipation. Pediatr Gastroenterol Hepatol
                                                                 Nutr, 2016. 19(1): p. 38-43.
       lie mit Kot bombardierte. Im Rahmen einer sta-
                                                              8) Peeters, B, M.A Benninga, and R.C. Hennekam, Childhood
       bilen therapeutischen Beziehung gelang es                 constipation; an overview of genetic studies and associated
       schliesslich, eine Eigenmotivation bei Hanna für          syndromes. Best Pract Res Clin Gastroenterol, 2011. 25(1): p.
                                                                 73-88.
       das Toilettentraining zu erreichen. Dabei unter-
                                                              9) Whitley, J.A. and K. Kieran, Accuracy and comprehensiveness of
       stützend wirkte auch die verbesserte Mut-                 publicly-available online data about bedwetting: An actionable
       ter-Kind-Kommunikation und der konsequente                opportunity to improve parent and caregiver self-education. J
       Einsatz von negativen Konsequenzen. Aufgrund              Pediatr Urol, 2020. 16(5): p. 661 e1-661 e8.
                                                              10) Mertz, H, B. Naliboff, and E. Mayer, Physiology of refractory
       des haltgebenden und klaren therapeutischen                chronic constipation. Am J Gastroenterol, 1999. 94(3): p.
       Rahmens, welches auch die Mutter stark invol-              609-15.
       vierte, war es Hanna innerhalb von 14 Tagen mög-       11) Voskuijl, W.P, et al, New insight into rectal function in pediatric
                                                                  defecation disorders: disturbed rectal compliance is an essential
       lich, täglich mindestens einmal Stuhl ins WC aus-          mechanism in pediatric constipation. J Pediatr, 2006. 148(1): p.
       zuscheiden. Das Einkoten verschwand innerhalb              62-7.
       eines Monats vollständig. Auch bei Hanna gab es        12) Cengel-Kultur, S.E, D. Akdemir, and I.N. Saltik-Temizel,
       über einen Zeitraum von 6 Monaten regelmässige             Comparison of familial and psychological factors in groups of
                                                                  encopresis patients with constipation and without constipation.
       Nachsorgetermine, um die Therapieerfolge lang-             Turk J Pediatr, 2014. 56(5): p. 524-31.
       fristig zu stabilisieren.                              13) Akdemir, D, et al, Familial psychological factors are associated
                                                                  with encopresis. Pediatr Int, 2015. 57(1): p. 143-8.
                                                              14) Joinson, C, et al, Psychological differences between children
                                                                  with and without soiling problems. Pediatrics, 2006. 117(5): p.
                                                                  1575-84.
                                                              15) Young, M.H, et al, Functional encopresis: symptom reduction
                                                                  and behavioral improvement. J Dev Behav Pediatr, 1995. 16(4):
                                                                  p. 226-32.

                                                              Auf Grund der Beschränkung der Anzahl Referenzen,
                                                              sind nicht alle Aussagen referenziert. Ein vollständige
                                                              Liste der Referenzen kann bei der Autorin eingeholt
                                                              werden.
     Abbildung 4. Therapeutische Zeichnung von Hanna

     Autorinnen
     Dr. rer. nat. Margarete Bolten, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Klinik für Kinder- und Jugendlichen
     (UPKKJ) & Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
     Dr. med. Corinne Légeret, Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)

     Die Autorinnen haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang
     mit diesem Beitrag deklariert.

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