Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Julika Sandt FDP vom 16.09.2020
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18. Wahlperiode 11.12.2020 Drucksache 18/10929 Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Julika Sandt FDP vom 16.09.2020 Kinderschutz in Kindertageseinrichtungen Ich frage die Staatsregierung: 1. a) Nach welchen Vorfällen in den Kindertageseinrichtungen ist die Leitung verpflichtet, eine Meldung an das örtliche Jugendamt und weitere Behörden zu übermitteln (bitte um eine Auflistung aller Arten von Vorfällen, die ge- meldet werden müssen)?..................................................................................... 2 b) Welche Überprüfung seitens des örtlichen Jugendamtes und der weiteren Behörden erfolgt bei den Fällen aus Frage 1 a?.................................................. 3 c) Sind die Kindertageseinrichtungen verpflichtet, alle Notarzteinsätze in der Einrichtung an das örtliche Jugendamt und weitere Behörden zu melden?........ 4 2. a) Welche Überprüfung der Vorfälle aus Frage 1 c erfolgt nach einer Meldung an das örtliche Jugendamt und weitere Behörden?............................................. 4 b) Wie viele Arzteinsätze und meldefähige Vorfälle gab es in den letzten fünf Jahren in bayerischen Kitas?............................................................................... 4 c) Wie viele der Arzteinsätze aus der Frage 2 b wurden an das örtliche Jugend- amt und weitere Behörden gemeldet (bitte unter Benennung des Ausgangs der Meldungen)?.................................................................................................. 4 3. a) Welche Überprüfung von polizeilichen Führungszeugnissen und Arbeits- zeugnissen erfolgt vor der Einstellung von Personal in einer Kindertages- einrichtung?.......................................................................................................... 4 b) Welche Empfehlungen hierzu hat das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales an die Kindertageseinrichtungen übermittelt?............................... 5 c) Welche Möglichkeiten bestehen für Kindertageseinrichtungen, sich über Arbeitsleistungen der/des einzustellenden Erzieherin/Erziehers oder der pädagogischen Ergänzungskraft in vorherigen Beschäftigungsverhältnissen in Kindertageseinrichtungen zu informieren?...................................................... 5 4. a) Wie viele Kindertageseinrichtungen in Bayern verfügen über ein Schutz- konzept zum Schutz vor Missbrauch oder Gewalt innerhalb der Kinder- tageseinrichtung (diese Frage bezieht sich explizit auf Konzepte zum Schutz vor Gewalt in der Einrichtung selbst durch Personal oder andere Kinder und nicht auf Erkennung häuslicher Gewalt; Bitte um absolute und relative Zahlen)?............................................................................................................... 5 b) In wie vielen Kindertageseinrichtungen in Bayern gibt es eine Vertrauens- person, an die sich die Kinder bei Grenzüberschreitungen wenden können?..... 6 5. a) Sind Erzieherinnen, Erzieher und pädagogische Ergänzungskräfte ver- pflichtet, regelmäßig an psychologischen Tests teilzunehmen?.......................... 6 b) Wie wird vorgegangen, falls bei einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter in einer Kindertageseinrichtung psychische Auffälligkeiten festgestellt wer- den?..................................................................................................................... 6 c) Werden Kindertageseinrichtungen, die eine solche Mitarbeiterin/einen solchen Mitarbeiter einstellen möchten, über das Vorhandensein von psy- chischen Auffäligkeiten informiert?...................................................................... 6 Hinweis des Landtagsamts: Zitate werden weder inhaltlich noch formal überprüft. Die korrekte Zitierweise liegt in der Verantwortung der Fragestellerin bzw. des Fragestellers sowie der Staatsregierung. Drucksachen, Plenarprotokolle sowie die Tagesordnungen der Vollversammlung und der Ausschüsse sind im Internet unter www.bayern.landtag.de – Dokumente abrufbar. Die aktuelle Sitzungsübersicht steht unter www.bayern.landtag.de – Aktuelles/Sitzungen/Tagesübersicht zur Verfügung.
Drucksache 18/10929 Bayerischer Landtag 18. Wahlperiode Seite 2/8 6. a) Existiert ein Konzept, das Kinder in Kitas vor Gewalt untereinander schützt (Verhinderung von Fällen wie in einer katholischen Kita in Mainz, vgl. https:// www.sueddeutsche.de/panorama/uebergriffe-unter-kindern-in-mainzer-ki ta-sadistische-gewalt-mit-sexueller-toenung-1.2519178)?................................... 6 b) Wie wird vorgegangen, wenn sich Kinder gegenüber anderen Kindern psy- chisch auffällig bzw. gewalttätig verhalten?......................................................... 7 c) Für welche konkrete Tätigkeiten in einer Kindertageseinrichtung existiert ein Konzept, nach welchem bei diesen Tätigkeiten ein „Vier-Augen-Prinzip“ oder das Prinzip der „offenen Tür“ vorgeschrieben sind?.................................... 7 7. a) Wie viele Fälle von Gewalt gegen Kinder in bayerischen Kindertagesein- richtungen sind in den letzten fünf Jahren verzeichnet worden (möglichst differenziert nach Gewalt durch andere Kinder und Gewalt durch Perso- nal)?..................................................................................................................... 7 b) Welche Behörden werden in einem solchen Fall über den Vorfall informiert?.... 7 c) Welcher Prozess wird nach dem Bekanntwerden eines solchen Falls ein- geleitet und wie erfolgt die Aufarbeitung?............................................................ 7 8. a) Wie wird verfahren, falls einer Mitarbeiterin/einem Mitarbeiter von einer Kindertageseinrichtung bescheinigt wird, dass sie/er nicht für die Ausübung des Berufs geeignet ist?...................................................................................... 8 b) Wie wird verfahren, falls im Rahmen des Berufspraktikums festgestellt wird, dass die Eignung für die Ausübung des Berufs fehlt?......................................... 8 Antwort des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration vom 28.10.2020 1. a) Nach welchen Vorfällen in den Kindertageseinrichtungen ist die Leitung verpflichtet, eine Meldung an das örtliche Jugendamt und weitere Behörden zu übermitteln (bitte um eine Auflistung aller Arten von Vorfällen, die ge- meldet werden müssen)? Aus § 47 Nr. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII) ergibt sich, dass der Träger einer erlaubnispflichtigen Einrichtung der zuständigen Behörde (Landkreis bzw. Bezirks- regierung) unverzüglich Ereignisse oder Entwicklungen, die geeignet sind, das Wohl der Kinder und Jugendlichen zu beeinträchtigen, anzuzeigen hat. § 47 Nr. 2 SGB VIII bezieht sich auf nicht alltägliche, akute Ereignisse oder über einen gewissen Zeitraum anhaltende Entwicklungen, die sich in erheblichem Maße auf das Wohl von Kindern auswirken bzw. auswirken könnten. Die nachfolgende Aufzählung von Ereignissen und Entwicklungen dient der Orientierung und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: – Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und durch diese verursachte Gefährdungen der zu betreuenden Kinder, wie z. B. – Unfälle mit Personenschaden, – Aufsichtspflichtverletzungen, – verursachte oder begünstigte Übergriffe/Gewalttätigkeiten, – sexuelle Gewalt, – unzulässige Strafmaßnahmen, herabwürdigende Erziehungsstile, grob unpäda- gogisches (vorwiegend verletzendes) Verhalten, Verletzung der Rechte von Kin- dern,
Drucksache 18/10929 Bayerischer Landtag 18. Wahlperiode Seite 3/8 – gewichtige Anhaltspunkte für die Zugehörigkeit des Personals zu einer Sekte oder zu einer extremistischen Vereinigung, – Rauschmittelabhängigkeit von Personal. – Straftaten bzw. Strafverfolgung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Meldepflich- tig sind Straftaten oder der begründete Verdacht auf Straftaten von in der Einrich- tung beschäftigten und tätigen Personen sowie bekannt gewordene Ermittlungs- verfahren, die in Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit stehen oder die Hinweise auf eine eventuell fehlende persönliche Eignung geben. Insofern wird auch auf Nr. 27 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) verwiesen. Eintragungen in Führungszeugnissen sind der betriebserlaubniserteilenden Behörde zu melden, damit diese die Relevanz der Straftat für die persönliche Eignung der betroffenen Person bewerten kann. Hierzu kann sich die betriebserlaubniserteilende Behörde das betreffende Führungszeugnis vom Einrichtungsträger vorlegen lassen und er- forderlichenfalls die dazugehörige Gerichtsakte anfordern. – Gefährdungen, Schädigungen durch zu betreuende Kinder und delinquentes Ver- halten von zu betreuenden Kindern, wie z. B. – gravierende selbstgefährdende Handlungen, – Selbsttötungsversuche bzw. Selbsttötung, – sexuelle Gewalt, – Körperverletzungen und – sonstige erhebliche oder wiederholte Straftaten. – Katastrophenähnliche Ereignisse, wie z. B. – Feuer, – Explosionen oder – erhebliche Sturmschäden mit massiver Beeinträchtigung des Gebäudes oder Hochwasser. – Besonders schwere Unfälle von Kindern, auch wenn diese nicht mit Fehlverhalten des Aufsichtspersonals in Zusammenhang stehen. – Beschwerdevorgänge über die Einrichtung z. B. von Eltern, Beteiligungsgremien, Kindern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wenn Beschwerdegründe vorliegen, die geeignet sind, das Kindeswohl zu gefährden. – Vorgänge, die die Arbeitsfähigkeit des Teams infrage stellen. Weitere Ereignisse, wie z. B. – meldepflichtige Krankheiten nach dem Infektionsschutzgesetz, – Mängelfeststellung und/oder Auflagen anderer Aufsichtsbehörden oder – umfangreiche Baumaßnahmen, die die Nutzung anderer Räumlichkeiten erfor- dern. – Entwicklungen, die das Wohl der Kinder beeinträchtigen können und im Zusammen- hang mit strukturellen und personellen Rahmenbedingungen in der Einrichtung ste- hen, wie z. B. – Anzeichen dafür, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Betrieb der Einrichtung nicht mehr erfüllt werden (beispielsweise dauerhafte Unterbelegung), – wiederholte Mobbingvorfälle oder Mobbingvorwürfe, – gravierende oder sich wiederholende Beschwerden über die Einrichtung. b) Welche Überprüfung seitens des örtlichen Jugendamtes und der weiteren Behörden erfolgt bei den Fällen aus Frage 1 a? Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes bekannt, so hat es gemäß § 8a Abs. 1 SGB VIII das Gefährdungsrisiko im Zu- sammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen. Soweit der wirksame Schutz des Kindes nicht infrage gestellt wird, hat das Jugendamt die Eltern sowie das Kind in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen und, sofern dies nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist, sich dabei einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und von seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen. Können oder wollen Eltern nicht ausreichend zur Einschätzung des Gefährdungs- risikos bzw. zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung mitwirken, haben die Ju- gendämter bei den Familiengerichten die im Interesse des Kindeswohls notwendigen Mitwirkungsauflagen bzw. Einschränkungen des Elternrechts zu beantragen (§ 1666 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB], § 8a Abs. 2 SGB VIII). Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugend- amt verpflichtet, das Kind in Obhut zu nehmen (§§ 8a Abs. 2 Satz 2, 42 SGB VIII).
Drucksache 18/10929 Bayerischer Landtag 18. Wahlperiode Seite 4/8 c) Sind die Kindertageseinrichtungen verpflichtet, alle Notarzteinsätze in der Einrichtung an das örtliche Jugendamt und weitere Behörden zu melden? Aus § 47 Nr. 2 SGB VIII ergibt sich, dass die Träger der Kindertageseinrichtungen dann verpflichtet sind, der zuständigen Behörde einen Notarzteinsatz in der Kindertagesein- richtung anzuzeigen, wenn es sich bei diesem Einsatz um ein Ereignis handelt, das ge- eignet ist, das Wohl des Kindes zu beeinträchtigen. 2. a) Welche Überprüfung der Vorfälle aus Frage 1 c erfolgt nach einer Meldung an das örtliche Jugendamt und weitere Behörden? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 b verwiesen. b) Wie viele Arzteinsätze und meldefähige Vorfälle gab es in den letzten fünf Jahren in bayerischen Kitas? c) Wie viele der Arzteinsätze aus der Frage 2 b wurden an das örtliche Jugend- amt und weitere Behörden gemeldet (bitte unter Benennung des Ausgangs der Meldungen)? Die Kindertagesbetreuung ist Aufgabe der Kommunen im eigenen Wirkungskreis. Die angeforderten Daten werden seitens der Kommunen nicht an die Staatsregierung weiter- gereicht. Hinzu kommt, dass nicht jeder Arzteinsatz in einer Kindertageseinrichtung meldepflichtig ist. Gegenüber der Kommunalen Unfallversicherung Bayern (KUVB) sind sämtliche Un- fälle in Kindertageseinrichtungen in kommunaler und freigemeinnütziger Trägerschaft meldepflichtig, die eine ärztliche Behandlung nach sich ziehen. Arzteinsätze, die nicht auf Unfällen basieren, werden auch von der KUVB nicht erfasst. Als Unfälle gelten da- bei von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignisse, die eine Ge- sundheitsschädigung zur Folge haben. Innere Ursachen, wie z. B. plötzliches Fieber, Krampfanfälle etc., sind keine Unfälle. In den vergangenen fünf Jahren wurden laut der Jahresberichte der KUVB und der Bayerischen Landesunfallkasse (Bayer. LUK) aus den Jahren 2015 bis 2019 folgende Unfallzahlen gemeldet: Jahr 2015 2016 2017 2018 2019 Anzahl der Unfälle 38 461 37 987 40 712 40 744 41 581 3. a) Welche Überprüfung von polizeilichen Führungszeugnissen und Arbeits- zeugnissen erfolgt vor der Einstellung von Personal in einer Kindertages- einrichtung? Nach § 72a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dürfen Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die Wahrnehmung der Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe keine Personen beschäftigen oder vermitteln, die rechtskräftig wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184f, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 Strafgesetzbuch (StGB) verurteilt worden sind. Zu diesem Zweck sollen sich die Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 72a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII bei der Einstellung oder der Vermittlung und in regelmäßigen Abständen (alle drei bis fünf Jahre) von den betroffenen Personen ein Führungszeugnis nach § 30 Abs. 5 und § 30a Abs. 1 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) vorlegen lassen. Außerdem sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe durch Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe sicherstellen, dass diese keine Person, die wegen einer der in § 72a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII genannten Straftaten rechtskräftig verurteilt worden ist, beschäftigen, § 72a Abs. 2 SGB VIII. Eine weitere einschlägige Erkenntnisquelle sind die sogenannten, bereits unter 1 a angesprochenen, MiStras. In Strafsachen sind Gerichte und Staatsanwaltschaften von Amts wegen zur Mitteilung personenbezogener Daten an öffentliche Stellen für andere Zwecke als die des Strafverfahrens befugt und nach Maßgabe der MiStra auch verpflichtet (vgl. bspw. Nr. 27 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 35 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 5, 6 MiStra). In Strafsachen, die eine erhebliche Gefährdung von Minderjährigen erkennen lassen, werden dem jeweils zu-
Drucksache 18/10929 Bayerischer Landtag 18. Wahlperiode Seite 5/8 ständigen Jugendamt Zeit und Ort der Hauptverhandlung mitgeteilt. Das zuständige Jugendamt erhält Mitteilung in allen Fällen, in denen sein Tätigwerden zur Abwendung einer erheblichen Gefährdung von Minderjährigen erforderlich erscheint. Arbeitszeugnisse werden üblicherweise im Rahmen eines Bewerbungsprozes- ses angefordert bzw. vorgelegt. Es gibt jedoch keine Verpflichtung zur Vorlage eines Arbeitszeugnisses. Dieses dient Bewerberinnen und Bewerbern vielmehr dazu, ihre Chancen auf eine Arbeitsstelle zu erhöhen, indem vorherige Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Fähigkeiten der Bewerberin bzw. des Bewerbers im Arbeitszeugnis positiv hervorheben. b) Welche Empfehlungen hierzu hat das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales an die Kindertageseinrichtungen übermittelt? c) Welche Möglichkeiten bestehen für Kindertageseinrichtungen, sich über Arbeitsleistungen der/des einzustellenden Erzieherin/Erziehers oder der pädagogischen Ergänzungskraft in vorherigen Beschäftigungsverhältnissen in Kindertageseinrichtungen zu informieren? Fachliche Empfehlungen stellen eine wichtige Grundlage für Handlungssicherheit und die Setzung interdisziplinärer Standards im Kinderschutz dar. Neben dem Leitfaden des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) „Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – Erkennen und Handeln“ geben insbesondere die fachlichen Empfehlun- gen des Bayerischen Landesjugendhilfeausschusses wichtige Hilfe beim Vollzug. Die Onlineausgabe und PDF-Version des Leitfadens „Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – Erkennen und Handeln“ kann auf der Internetseite des StMAS abgerufen und kosten- los über das Broschüren-Bestellportal der Staatsregierung heruntergeladen werden. Die fachlichen Empfehlungen des Bayerischen Landesjugendhilfeausschusses können auf der Internetseite des Bayerischen Landesjugendamtes abgerufen werde. Dort finden sich insbesondere Empfehlungen zur Handhabung des § 72a SGB VIII (Tätigkeitsaus- schluss einschlägig vorbestrafter Personen) und Hinweise zur Eignungsüberprüfung von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe nach § 72a SGB VIII. Kindertageseinrichtungen haben durchaus die Möglichkeit, sich über Arbeitsleistun- gen der einzustellenden Person in vorherigen Beschäftigungsverhältnissen zu infor- mieren. Es liegt allerdings grundsätzlich in der Entscheidung der Bewerberin bzw. des Bewerbers, ob ein Arbeitszeugnis aus einem vorherigen Beschäftigungsverhältnis vor- gelegt wird. Sofern die Bewerberin bzw. der Bewerber die Erlaubnis dafür erteilt, kann die potenzielle neue Arbeitsstelle die ehemalige Arbeitsstelle auch direkt kontaktieren und sich dort nach den Arbeitsleistungen der einzustellenden Person erkundigen. Zu beachten sind hier die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Jede Datenerhebung im Bewerbungsprozess ist darauf zu hinterfragen, ob sie zur Begrün- dung des Beschäftigungsverhältnisses „erforderlich“ ist (vgl. § 26 Abs. 1 Bundesdaten- schutzgesetz – BDSG). Dies begrenzt die zulässigen Fragen – auch und gerade bei Nachfragen bei Vorarbeitgebern – auf arbeitsplatz- und eignungsbezogene Gesichts- punkte. 4. a) Wie viele Kindertageseinrichtungen in Bayern verfügen über ein Schutz- konzept zum Schutz vor Missbrauch oder Gewalt innerhalb der Kindertages- einrichtung (diese Frage bezieht sich explizit auf Konzepte zum Schutz vor Gewalt in der Einrichtung selbst durch Personal oder andere Kinder und nicht auf Erkennung häuslicher Gewalt; Bitte um absolute und relative Zah- len)? Nach § 8a Abs. 4 SGB VIII haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe Vereinbarungen mit den Trägern und Einrichtungen zu schließen, um den Schutzauftrag bei Kindeswohl- gefährdungen sicherzustellen. Diese Vereinbarungen erfassen selbstverständlich auch Schutzkonzepte zum Schutz vor Gewalt in den Kindertageseinrichtungen selbst durch das Personal oder andere Kinder. Die Träger der Kindertageseinrichtungen sind verantwort- lich dafür, dass das Wohl der Kinder in der Kita gewährleistet ist. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn die Voraussetzungen, die in der Betriebserlaubnis festgeschrieben sind, auch tatsächlich umgesetzt werden. Auch muss der Träger gewährleisten, dass Kinderschutzkonzepte in der Kita implementiert sind. Die zu schließende Vereinbarung nach § 8a Abs. 4 SGB VIII ist außerdem Fördervoraussetzung für eine Förderung nach
Drucksache 18/10929 Bayerischer Landtag 18. Wahlperiode Seite 6/8 dem Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG). Sie ist daher auf Aufforderung seitens des Trägers im Rahmen der kindbezogenen Förderung nachzu- weisen und Bestandteil des Förderantrages (Art. 19 Nr. 6 BayKiBiG). b) In wie vielen Kindertageseinrichtungen in Bayern gibt es eine Vertrauens- person, an die sich die Kinder bei Grenzüberschreitungen wenden können? Anders als beim Beschwerdemanagement im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 lit. c SGB VIII werden in Kindertageseinrichtungen keine speziellen Vertrauenspersonen benannt. Im Sinne des Kinderschutzes ist es ständige Aufgabe des gesamten Kitateams, Hin- weise auf und Signale für Grenzüberschreitungen aufzunehmen, zu benennen, Hilfe zu holen und Grenzüberschreitungen Einhalt zu gebieten. 5. a) Sind Erzieherinnen, Erzieher und pädagogische Ergänzungskräfte ver- pflichtet, regelmäßig an psychologischen Tests teilzunehmen? b) Wie wird vorgegangen, falls bei einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter in einer Kindertageseinrichtung psychische Auffälligkeiten festgestellt werden? c) Werden Kindertageseinrichtungen, die eine solche Mitarbeiterin/einen sol- chen Mitarbeiter einstellen möchten, über das Vorhandensein von psychi- schen Auffäligkeiten informiert? Ärztliche Einstellungsuntersuchungen und psychologische Tests dürfen nur in den gesetz- lich vorgeschriebenen Fällen durchgeführt werden. Daneben ist eine solche Untersuchung bzw. ein solcher Test nur zulässig, wenn die Erhebung entsprechender Daten erforderlich ist, um die (gesundheitliche) Eignung der sich bewerbenden Person für den konkreten Arbeitsplatz zu klären oder wenn im laufenden Arbeitsverhältnis begründete Zweifel an der Eignung der beschäftigten Person in Bezug auf die Arbeitsplatzanforderungen be- stehen. Nur wenn eine Einstellungsuntersuchung gesetzlich vorgeschrieben ist, ist die Bewerberin/der Bewerber verpflichtet, die Untersuchung durchführen zu lassen. Für das pädagogische Personal in den Kindertageseinrichtungen ist eine Teilnahme an psycho- logischen Tests und/oder Untersuchungen gerade nicht gesetzlich vorgeschrieben. Aus der Anfrage geht nicht hervor, was mit dem Begriff „psychische Auffälligkei- ten“ gemeint ist. Psychische Erkrankungen sind nicht per se mit einer Nichteignung für eine Tätigkeit in einer Kindertageseinrichtung gleichzusetzen. Sofern Beschäftigte ihre arbeitsvertraglich geschuldete Leistung aufgrund einer psychischen Erkrankung dauerhaft nicht mehr erbringen können, kommt gegebenenfalls eine personenbedingte Kündigung in Betracht. Arbeitsverhältnisse zwischen Trägern und Beschäftigten sind allerdings privatrechtlicher Natur. Die Staatsregierung kann in diese Beschäftigungs- verhältnisse hier nicht eingreifen. Kindertageseinrichtungen werden grundsätzlich nicht über „psychische Auffälligkei- ten“ einer Bewerberin/eines Bewerbers informiert. Auch hier sind die arbeitsrechtlichen Grundsätze heranzuziehen, die bestimmen, wonach in einem Vorstellungsgespräch gefragt werden darf und wann das „Recht zur Lüge“ besteht. 6. a) Existiert ein Konzept, das Kinder in Kitas vor Gewalt untereinander schützt (Verhinderung von Fällen wie in einer katholischen Kita in Mainz, vgl. https:// www.sueddeutsche.de/panorama/uebergriffe-unter-kindern-in-mainzer-ki ta-sadistische-gewalt-mit-sexueller-toenung-1.2519178)? Zunächst einmal vorab: Im angesprochenen Fall lässt sich den Medien entnehmen, dass sich der Verdacht, dass sich Kinder in der betreffenden Kindertageseinrichtung untereinander Gewalt angetan haben, nicht bestätigt und die Staatsanwaltschaft Mainz die Verfahren diesbezüglich eingestellt hat (vgl. bspw. https://www.sueddeutsche.de/ panorama/kindertagesstaette-mainzer-missbrauchsskandal-hat-offenbar-nie-stattge- funden-1.2752410, https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-141495129.html). Wie bereits in der Antwort zu Frage 4 a beschrieben, haben die Träger der öffentli- chen Jugendhilfe nach § 8a Abs. 4 SGB VIII Vereinbarungen mit den Trägern und Ein- richtungen zu schließen, um den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdungen sicherzu- stellen. Hierzu gehört auch der Schutz von Kindern vor Gewalt untereinander.
Drucksache 18/10929 Bayerischer Landtag 18. Wahlperiode Seite 7/8 b) Wie wird vorgegangen, wenn sich Kinder gegenüber anderen Kindern psy- chisch auffällig bzw. gewalttätig verhalten? Wie die Aufarbeitung nach Bekanntwerden eines solchen Vorfalls in den konkreten Kindertageseinrichtungen aussieht, richtet sich nach dem dort jeweils formulierten Kinderschutzkonzept. c) Für welche konkrete Tätigkeiten in einer Kindertageseinrichtung existiert ein Konzept, nach welchem bei diesen Tätigkeiten ein „Vier-Augen-Prinzip“ oder das Prinzip der „offenen Tür“ vorgeschrieben sind? Die Entwicklung von Kinderschutzkonzepten in Kindertageseinrichtungen liegt in der Ver- antwortung der Träger. Die durch die individuelle Risikoanalyse ermittelten Gefährdungs- potenziale und Gelegenheitsstrukturen der jeweiligen Kita sind die Grundlage für die Entwicklung einrichtungsspezifischer Präventionsmaßnahmen, von Handlungsabläufen und ggf. strukturellen Veränderungen. In diesem Sinne können das „Vier-Augen-Prinzip“ oder das Prinzip der „offenen Tür“ einrichtungsspezifische Präventionsmaßnahmen sein, die jedoch bestmöglich umgesetzt werden müssen, um z. B. in einer therapeutischen Situation (Logopädie etc.) nicht das Recht des Kindes auf Wahrung der Intimsphäre zu verletzen oder externe Therapeutinnen und Therapeuten unter Generalverdacht zu stellen. 7. a) Wie viele Fälle von Gewalt gegen Kinder in bayerischen Kindertagesein- richtungen sind in den letzten fünf Jahren verzeichnet worden (möglichst differenziert nach Gewalt durch andere Kinder und Gewalt durch Personal)? Vorbemerkung: Opfer im Sinne der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) sind natürliche Personen, gegen die sich eine mit Strafe bedrohte Handlung unmittelbar richtet. Eine Opfererfassung in der PKS erfolgt grundsätzlich nur bei strafbaren Handlungen gegen höchstpersönliche Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre und sexuelle Selbst- bestimmung. In der PKS wird die Tatörtlichkeit „Kindertageseinrichtung“ nicht explizit erfasst. Daher wurden die PKS-Daten hinsichtlich der Tatörtlichkeiten „Kindergarten“, „Kinderhort“, „Kinderkrippe“ und „Kinderheim“ ausgewertet, wobei Kinderheime keine Kindertageseinrichtungen sind und aus technischen Gründen bei der Auswertung mit- erfasst werden. Die beigefügten Anlagen stellen daher ein verzerrtes Bild dar, weil da- raus nicht hervorgeht, welche der strafbaren Handlungen tatsächlich in Kindergärten, -krippen und -horten, also Kindertageseinrichtungen, und welche in Kinderheimen vor- genommen wurden. Für die Beantwortung der Frage 7 a wird auf Anlage 1 (Tabelle „Opferdelikte in Kinder- tageseinrichtungen – Tatverdächtige [TV] Sozial- u. Erziehungsberufe, Lehrberufe – Opfer Kind – in Bayern gesamt“ für die Tatzeit 2015 – 2019) bzw. Anlage 2 (Tabelle „Opferdelikte in Kindertageseinrichtungen – TV u. Opfer Kind – in Bayern gesamt“ für die Tatzeit 2015–2019) verwiesen. b) Welche Behörden werden in einem solchen Fall über den Vorfall informiert? c) Welcher Prozess wird nach dem Bekanntwerden eines solchen Falls ein- geleitet und wie erfolgt die Aufarbeitung? Wie schon in Frage 1 a ausgeführt ergibt sich aus § 47 Nr. 2 SGB VIII, dass der Träger einer erlaubnispflichtigen Einrichtung der zuständigen Behörde unverzüglich Ereignisse oder Entwicklungen, die geeignet sind, das Wohl der Kinder und Jugendlichen zu be- einträchtigen, anzuzeigen hat. Weiterhin gilt im Hinblick auf den Verdacht einer Straf- tat das Legalitätsprinzip des § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO). Danach ist die Staatsanwaltschaft grundsätzlich dazu verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Wie die Auf- arbeitung nach Bekanntwerden eines solchen Vorfalls in den konkreten Kindertagesein- richtungen aussieht, richtet sich nach dem dort jeweils formulierten Kinderschutzkonzept.
Drucksache 18/10929 Bayerischer Landtag 18. Wahlperiode Seite 8/8 8. a) Wie wird verfahren, falls einer Mitarbeiterin/einem Mitarbeiter von einer Kindertageseinrichtung bescheinigt wird, dass sie/er nicht für die Ausübung des Berufs geeignet ist? Träger von Kindertageseinrichtungen können als Arbeitgeber Fehlverhalten von Er- zieherinnen und Erziehern im Rahmen der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen im Kita alltag abmahnen. Damit bringt der jeweilige Träger zum Ausdruck, dass er das konkret benannte Fehlverhalten keinesfalls dulden will und sich für den Wiederholungsfall wei- tere arbeitsrechtliche Schritte bis hin zur Kündigung vorbehält. b) Wie wird verfahren, falls im Rahmen des Berufspraktikums festgestellt wird, dass die Eignung für die Ausübung des Berufs fehlt? Nur wenn das Berufspraktikum erfolgreich beendet und alle relevanten Prüfungen be- standen wurden, dürfen sich die Absolventinnen und Absolventen „staatlich anerkannte Erzieherin“ bzw. „staatlich anerkannter Erzieher“ nennen und ab sofort als Fachkraft in sozialpädagogischen Einrichtungen wie Kindergärten, Krippen, Jugendeinrichtungen, Heimen oder in der Schulbetreuung arbeiten.
Anlage 1 zur Schriftlichen Anfrage Drucksache 18/10929 Anlage 1 Opferdelikte in Kindergärten, -horten, -krippen u. heimen- TV Erzieher und Opfer Kinder in Bayern gesamt Jahr Schlüssel der Tat Straftat erfasste Fälle Anzahl 2019 ------ Straftaten insgesamt 49 2018 ------ Straftaten insgesamt 38 2017 ------ Straftaten insgesamt 35 2016 ------ Straftaten insgesamt 46 2015 ------ Straftaten insgesamt 38
Anlage 2 zur Schriftlichen Anfrage Drucksache 18/10929 Anlage 2 Opferdelikte in Kindergärten, -horten, -krippen u. -heimen mit TV und Opfer Kinder in Bayern gesamt Jahr Schlüssel der Tat Straftat erfasste Fälle Anzahl 2019 ------ Straftaten insgesamt 19 2018 ------ Straftaten insgesamt 19 2017 ------ Straftaten insgesamt 25 2016 ------ Straftaten insgesamt 14 2015 ------ Straftaten insgesamt 18
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