Sikawild (Cervus nippon bzw. Cervus elaphus nippon) - Bayerischer Jagdverband eV
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Sikawild (Cervus nippon bzw. Cervus elaphus nippon) Verwandtschaft aus Fernost S ikawild stammt ursprünglich aus Ostasien, wo es zwischen Vietnam und der FOTO: JENS SCHUMANN / PICLEASE Mandschurei in zahlreichen Formen, Ökotypen und Unterarten heimisch ist. In Deutschland ist Sikawild ein sogenanntes Neozoon, ein vom Menschen angesie- deltes Tier. Seit Ende des 19. Jahrhunderts und insbesondere im frühen 20. Jahrhun- Auf einen Blick dert wurden vor allem japanische und mandschurische („Dybowskihirsche“) Sika teils in Gehegen gehalten, aber auch in freier Wildbahn angesiedelt. 75 bis 100 cm Widerristhöhe Heute finden wir in Deutschland fünf nennenswerte Vorkommen in Nordrhein- Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Größere 30 bis 80 kg Vorkommen in Nachbarländern gibt es in Dänemark, in der Schweiz, in Österreich und Böhmen. Aus einem Bestand im Raum Karlsbad stammen auch die derzeit regelmäßig Brunft: Oktober/November zu beobachtenden Zuwanderungen nach Bayern. Sikawild spielt naturgemäß in Mittel- europa längst nicht die Rolle wie Rot- oder Damwild, sowohl zahlenmäßig als auch von Normalerweise ein Kalb, Mai bis der Aufmerksamkeit, welche diesen Wildarten zuteil wird. Juli Ob wir es überhaupt mit einer eigenen echten Art zu tun haben, ist eine Frage, die Unterliegt dem Jagdrecht, nicht einfach zu beantworten ist. Die Definition einer Art ist nämlich nicht eindeutig. Jagdzeiten in Bayern: Kälber, Es existieren bis heute unterschiedliche wissenschaftliche Konzepte. So wurden Arten Alttiere und Hirsche: 1.9. – 31.1. ursprünglich nach körperlichen und später auch Verhaltensmerkmalen beziehungs- Schmaltiere und Schmalspießer: 1.7. – 31.1. weise deren Ähnlichkeit eingeteilt. Neuerdings werden gerne molekulare Methoden zur Artabgrenzung eingesetzt, welche im Grunde wie morphologische Merkmale mit RL ♦; nb (2017) Zusatzinformationen zu sehen sind. Nach diesem Konzept wären Rot- und Sikawild zwei unterschiedliche Arten. Der klare Nachteil dieses Ansatzes ist allerdings, dass die Zuordnung zu einer Art immer ei- ner gewissen Beliebigkeit unterliegt, diese Konzepte sind nicht operational. Es gibt bei nahe verwandten Arten oftmals kein einzelnes, klares und objektiv fassbares Merkmal, welches letztlich eine eindeutige Zuordnung ermöglicht. In den 1940er Jahren entwickelte vor allem Ernst Mayr das sogenannte biologische Artkonzept (vergl. z.B. auch Mayr & Ashlock 1991), welches Arten vereinfacht gesagt als Gruppen unterschiedlicher Populationen – also Fortpflanzungsgemeinschaften – definiert, deren Individuen sich auch über die Populationsgrenzen hinweg erfolgreich Wildtiermonitoring 2021 Seite 221
Sikawild fortpflanzen können. „Was sich schart und paart ist eine Art“, hieß und heißt der Merksatz für Studenten. Genau diese Klarheit der Aussage macht den Charme von Mayrs Ansatz aus: Wenn eine Paarung gemeinsame, ihrerseits fruchtbare Nachkom- men ergibt, gehören zwei Individuen zu gleichen Art. Nach dieser Definition gehören Rotwild und Sikawild tatsächlich zu ein und dersel- ben Art, ähnlich wie etwa der Europäische Rothirsch und Maral oder der nordameri- kanische Rothirsch, der Wapiti. Auch zu letzterem weist das Sikawild übrigens interes- sante Ähnlichkeiten auf. Wir müssten demnach korrekterweise von „Cervus elaphus elaphus“ (Rothirsch) und „Cervus elaphus nippon“ (Japanischer Sika) beziehungsweise „Cervus elaphus dybowskii“ (Mandschurischer Sika oder Dybowskihirsch) sprechen (vergl. Herzog 1988). Allerdings kommt es beim Vorkommen von Rot- und Sikawild im gleichen Lebens- raum – man spricht hier von einem sympatrischen Vorkommen – nicht in allen Fällen und in sehr unterschiedlichem Ausmaß zu Hybridbildungen. So finden wir beispiels- weise im Arnsberger Wald kaum Individuen, welche morphologisch auf eine Hybrid- bildung schließen lassen. Dennoch gibt es auf genetischer Ebene durchaus Hinweise auf eine solche. Andererseits existiert heute in Irland flächendeckend bis auf ganz wenige Ausnahmen eine Hirschpopulation, welche durch intensive Durchmischung des einheimischen Rotwildes mit dem eingeführten und aus Gehegen entwichenen oder auch aktiv freigesetzten Sikahirsch gekennzeichnet ist. Dies lässt sich morpholo- gisch erkennen, hat allerdings, soweit wir das in den vergangenen Jahren feststellen konnten, keinerlei ökologische Konsequenzen, da auch die Hybridpopulation ökolo- gisch die gleiche Nische wie das autochthone Rotwild besetzt. Somit ist das Sikawild ökologisch als weitestgehend unproblematisch und keines- wegs als invasiv zu betrachten. Unabhängig davon ist es jedoch ganz klar in jagd- lichem Interesse, die Hybridisierung zwischen Rot- und Sikawild möglichst zu vermei- den. Auch wenn dies vermutlich nie vollständig gelingt, so zeigt doch die Praxis, dass hier in Deutschland die Rot- und Sikabestände sich über mehr als ein Jahrhundert ihre morphologische Identität bewahrt haben. Warum das so ist, und warum sich beispielsweise in Irland oder in Neuseeland – wo das Sikawild ebenfalls angesiedelt wurde – sehr bald eine Hybridpopulation entstanden ist, ist noch nicht restlos klar. Es ist anzunehmen, dass sich, auch und gerade aufgrund des doch unterschied- lichen Fortpflanzungsverhaltens einschließlich unterschiedlicher Brunftzeiten – die allerdings immer überlappen – eine Hybridisation in nennenswertem Umfang immer dann zu erwarten ist, wenn die Sozialstrukturen der einen oder der anderen Art be- ziehungsweise Unterart unausgewogen oder gar desolat sind, und sich deswegen ein normaler Brunftablauf nicht einstellt. Demzufolge ist besonders dort, wo Rot- und Seite 222 Landesjagdverband Bayern
Sikawild Sikawild gemeinsam vorkommen oder wo letzteres regelmäßig zuwandert, auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis und eine biologisch angemessene Altersstruk- tur zu achten. Inwieweit das angesiedelte Sikawild an große Prädatoren, insbeson- dere den Wolf, angepasst ist, ist noch eine offene Frage. Grundsätzlich können wir von einer langen Koevolution ausgehen, zumal der Wolf auch in Japan erst im 19. Jahrhundert als Folge einer Konkurrenzsituation mit der kleinbäuerlichen Landwirt- schaft ausgerottet wurde. Zur gleichen Zeit fand sich übrigens auf dem japanischen Archipel auch ein deut- licher Rückgang der Sikahirschbestände. Inwieweit dieser Rückgang einer Hauptbeu- teart als mitursächlich für das Aussterben des Wolfes angesehen werden kann, ist eine offene Frage. Es ist vor diesem Hintergrund allerdings anzunehmen, dass das Sikawild die Anwesenheit großer Prädatoren deutlich besser toleriert als etwa das Muffelwild. Für den Jäger bedeutet die Anwesenheit von Sikawild einerseits spannende Natu- rerlebnisse, etwa im Herbst nach der Rotwildbrunft. Darüber hinaus ist es vor allem von kulinarischem Interesse: Vielfach wird Wildbret vom Sikawild deutlich höher einge- schätzt als solches von Rot- oder Damwild. Hinsichtlich der Frage, ob Sikawild in unserer Wildbahn eher als positiv oder als ne- gativ betrachtet wird, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Da es ökologisch dem Rotwild sehr ähnlich ist, gehen wir nicht davon aus, dass durch das Sikawild spezielle ökologische Probleme, wie etwa langfristige Vegetationsveränderungen, auftreten, so- fern die Bestandesdichten in angemessenem Rahmen bleiben – letzteres gilt natürlich auch für das einheimische Rotwild. In Bayern, wo derzeit keine etablierten Sikabestände existieren, sollte aus Böh- men (insbesondere aus dem großen Vorkommen im Raum Karlsbad) zuwanderndes Sikawild allerdings erlegt werden, gerade wenn wir davon ausgehen, dass Hybridbil- dungen mit dem Rotwild immer dort vermehrt auftreten, wo die eine oder die ande- re Art oder Unterart in suboptimalen Sozialstrukturen auftritt. Für die zuwandernden Sika ist das grundsätzlich der Fall, doch finden sich in Bayern bekanntlich auch große Räume mit unnatürlich geringen oder fehlenden Rotwildvorkommen. Gerade hier besteht voraussichtlich eine höhere Wahrscheinlichkeit für Hybridbildungen. Um genauere Informationen über die Situation der Zuwanderung von Sikawild nach Ostbayern – insbesondere in die Oberpfalz, nach Oberfranken und in den Baye- rischen Wald – zu erhalten, wurden in Zusammenarbeit mit der Abteilung Wildökolo- gie der Technischen Universität Dresden, die wohl auf die umfangreichste Erfahrung mit Sikawild in Deutschland zurückblicken kann, umfangreiche genetische Untersu- chungen im östlichen Bayern (vom Vogtland über das Fichtelgebirge, den Oberpfälzer Wildtiermonitoring 2021 Seite 223
2000 100 1000 Sikawild 0 0 2019 2018 2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 /2020 /2019 /2018 /2017 /2016 /2015 /2014 /2013 /2012 /2011 /2010 /2009 /2008 /2007 /2006 /2005 /2004 /2003 /2002 /2001 /2000 /1999 /1998 /1997 /1996 /1995 /1994 /1993 /1992 /1991 Wald bis zum Bayerischen Wald) durchgeführt. Hier zeigten sich nur einige wenige Hinweise Hybridisation mit dem heimischen Rotwild, so dass neben einem Rotwild- management, welches auf intakte Sozialstrukturen achtet, und einer konsequenten Bejagung des Sikawildes keine weiteren Maßnahmen empfohlen werden. Anteil Damwild 4 % Anteil Sikawild 1 % Beim Vergleich der Jagdstrecke von Sikawild, Anteil Rotwild 95 % Damwild und Rotwild fällt auf, dass der Anteil von Sikawild im Jagdjahr 2019/2020 nur 1 % betrug. Auch der Anteil des Damwildes fällt mit rund 4 % relativ gering aus. Rotwild-, Damwild und Sikawildstrecken für Bayern Rotwild Dam- und Sikawild 14000 1000 13000 900 12000 11000 800 10000 700 INDIVIDUEN 9000 600 8000 7000 500 Vergleich zwischen Rotwild-, Damwild- 6000 und Sikawildstrecke 400 QUELLE: BAYSTMELF; GRAFIK: TAUSENDBLAUWERK 5000 4000 300 Rotwildstrecken in Bayern 1990 – 2020 3000 200 2000 100 1000 Damwildstrecken in Bayern 1990 – 2020 0 2019 0 2018 2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 /2020 /2019 /2018 /2017 /2016 /2015 /2014 /2013 /2012 /2011 /2010 /2009 /2008 /2007 /2006 /2005 /2004 /2003 /2002 /2001 /2000 /1999 /1998 /1997 /1996 /1995 /1994 /1993 /1992 /1991 Sikawildstrecken in Bayern 2012 – 2020 Seite 224 Landesjagdverband Bayern
Erfurt ! Sikawild Würzburg ! Bearbeitung: Regina Gerecht, Bayerischer Jagdverband DATENQUELLE: BAYERISCHER JAGDVERBAND; KARTENGRUNDLAGEN: ESRI; TSCHECHIEN: OPENSTREETMAP, ODBL 1.0; BEARBEITUNG: REGINA GERECHT (BJV) Gemeldete Sikawild-Vorkommen 2019 A ! Prag ! Stuttgart Bayreuth ! ! Würzburg ! Pilsen ! Ansbach ! Regensburg Kartengrundlagen: Esri; Tschechien: OpenStreetMap, ODbL 1.0 ! Stuttgart ! Landshut ! Augsburg Vaduz ! ! München ! Salzburg ! Sikawild 2016 und 2019 2019 2016 Vaduz kein Nachweis ! 0 25 50 75 100 km N keine Angabe dverband Wildtiermonitoring 2021 Seite 225
Sikawild Zum Nach- und Weiterlesen Abernethy, K. The establisment of a hybrid zone bet- Herzog, S. Dem Sikawild auf der Spur. Revierkurier, ween red and sika deer (genus Cervus). Molecular 6-7, Februar 2016. Ecology 3, 551–562, 1994 Herzog, S.; Gehle, T. Is there evidence for hybridizati- Bartoš, L.; Zirovnicky, S. Hybridization between Red on between Red deer (Cervus elaphus) and Sika deer and Sika deer. II. Phenotype analysis. Zoologischer (Cervus nippon) in Central Europe? Verhandlungen Anzeiger 207, 271–287, 1981. der Gesellschaft für Ökologie 32, 157, 2002. Eick, E.; König, R.; Schwyn, G.; Baumgardt, A. Herzog, S.; Harrington, R. The role of hybridization (Herausgeber). Sika Cervus nippon TEMMINCK, in karyotype evolution of deer (Cervidae; Artiodacty- 1838 – 1. Band. Internationale Gesellschaft Sikawild, la; Mammalia). Theoretical and Applied Genetics 82, Möhnesee 1993. 425–429, 1991. Eick, E.; König, R.; Willett, J.A. (Herausgeber). Sika Kuwayama, R.; Ozawa, T. Phylogenetic Relationships Cervus nippon TEMMINCK, 1838 – 2. Band. Interna- among European Red Deer, Wapiti, and Sika Deer tionale Gesellschaft Sikawild, Möhnesee 1995. Inferred from Mitochondrial DNA Sequences. Molecular Phylogenetics and Evolution 15, 115-123, Gehle, T.; Herzog, S. Genetic inventories of European 2000. deer populations (Cervus sp.): Consequences for wildlife management and land use. Gibier Faune Mayr, E.; Ashlock, P. D. Principles of Systematic Sauvage – Game and Wildlife 15, 445-450, 1998. Zoology. McGraw-Hill, Inc. New York 1991. Gregorius, H.-R.; Herzog, S. Genetic differentiation Polziehn, R. O.; Strobeck, C. Phylogeny of Wapiti, in populations polymorphic for Robertsonian Red Deer, Sika Deer, and other North American translocations. Heredity 62, 307-313, 1989. Cervids as Determined from Mitochondrial DNA. Molecular Phylogenetics and Evolution 10, 249-258, Herzog, S. Mechanisms of karyotype evolution in 1998. Cervus nippon Temminck. Caryologia 40, 347-353, 1987. Schmiedel, J. Genotypen-Differenzierung von Rotwild (Cervus elaphus) und Sikawild (Cervus nippon) mit Herzog, S. Cytogenetische und biochemisch- Hilfe von Mikrosattelliten. M.Sc. Thesis, Technische genetische Untersuchungen an Hirschen der Universität Dresden, 2017. Gattung Cervus (Cervidae, Artiodactyla, Mammalia). Göttingen Research Notes in Forest Genetics – Wyman, M. T.; Locatelly, Y.; Charlton, B. D.; Reby, Göttinger Forstgenetische Berichte 10, 1-139, 1988. D. No preference in female sika deer for conspecific https://www.researchgate.net/publication/ over heterospecific male sexual calls in a mate 321462596_Cytogenetische_und_biochemisch- choice context. Journal of Zoology 293, 92-99, genetische_Untersuchungen_an_Hirschen_der_ 2014. Gattung_Cervus_Cervidae_Artiodactyla_Mammalia Seite 226 Landesjagdverband Bayern
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