STEUERLICHE INNOVATIONSFÖRDERUNG IN DER FINANZINDUSTRIE
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
STE U E R N THOMAS NAB HOLZ ILAN ROM STEUERLICHE INNOVATIONSFÖRDERUNG IN DER FINANZINDUSTRIE Erste Praxiserfahrungen Seit dem 1. Januar 2020 stehen die mit der Steuerreform STAF eingeführten Instru- mente zur steuerlichen Innovationsförderung bereit. Weil er kein primärer Adressat des F&E-Zusatzabzugs und der Patentbox war, ist es im Finanzsektor um diese Massnahmen bisher sehr ruhig geblieben. Zu Unrecht, wie die Autoren im Folgen- den ausführen. 1. BEDEUTUNG VON F&E UND PATENTEN IN DER dies jedoch bislang nicht geführt. Gemäss BAK Economics SCHWEIZERISCHEN FINANZINDUSTRIE befindet sich der schweizerische Finanzplatz im Vergleich In den parlamentarischen Beratungen der steuerlichen In zu anderen führenden Finanzdienstleistungszentren mit novationsförderung im Rahmen der Steuerreform STAF lag Bezug auf die Patentaktivität und Patentqualität nur im das Augenmerk auf Branchen mit traditionell intensivem hinteren Mittelfeld [3]. Hier besteht Aufholbedarf, wie eine Einsatz von Forschung und Entwicklung (F&E), wie bspw. empirische Studie der ETH Zürich zur Patentaktivität der Maschinenindustrie, Chemie und Pharma. Bezüglich der wichtigsten (Rück-)Versicherungsunternehmen im Zeitraum Finanzindustrie wurde verschiedentlich die Vermutung ge von 1992 bis 2013 zeigt. Sie weist einen kausalen Zusammen äussert, dass F&E und insbesondere daraus resultierende hang zwischen Patentaktivität von (Rück-)Versicherungs Patente bloss eine untergeordnete Rolle spielen. Entspre unternehmen und deren Profitabilität bzw. Wettbewerbs chend ging man davon aus, dass Finanzdienstleister insbe fähigkeit nach [4]. sondere vom neuen Instrument der Patentbox kaum profitie ren können [1]. 2. NUTZUNG DER STEUERLICHEN Tatsächlich bietet jedoch gerade der Finanzsektor ein INSTRUMENTE ZUR INNOVATIONSFÖRDERUNG enormes Potenzial, durch Digitalisierung neue Angebote IM FINANZSEKTOR auf den Markt zu bringen, bestehende Dienstleistungen ra Seit dem 1. Januar 2020 stehen mit dem zusätzlichen Abzug dikal zu verbessern und Prozesse zu automatisieren. Und ef von F&E-Aufwand und der Patentbox die beiden Instru fektiv werden auch hohe und erfolgreiche Investitionen in mente zur steuerlichen Innovationsförderung bereit. Die diesem Bereich getätigt. Junge Fintech-Unternehmen gra Kantone machen allerdings in unterschiedlichem Ausmass ben mit innovativen Angeboten den arrivierten Instituten Gebrauch davon: Die Kantone der Westschweiz setzen zu Teile der Wertschöpfung ab und zwingen sie zu verstärkten meist auf tiefe allgemeine Gewinnsteuersätze und kaum Innovationsanstrengungen. Andererseits eröffnen regulato auf die zusätzliche Innovationsförderung, während Zürich, rische Erleichterungen [2] den Finanzdienstleistern ihrer Bern und Aargau mit vergleichsweise hohen allgemeinen seits neue Geschäftsfelder und dürften deren F&E-Aktivitä Gewinnsteuersätzen den Spielraum beim F&E-Zusatzabzug ten zusätzlich befeuern. und der Patentbox voll ausschöpfen. Indes haben schweiz Technologische Innovationen stellen deshalb in der Fi weit erst wenige Finanzinstitute Schritte in Richtung eines nanzindustrie einen entscheidenden Erfolgsfaktor dar. Zu Rulings unternommen, um sich diese Instrumente zunutze vermehrten Patentanmeldungen aus dem Finanzsektor hat zu machen. Einige dürften sich anlässlich der anstehenden THOMAS NABHOLZ, ILAN ROM, LIC. OEC. HSG, LIC. OEC. PUBL., DIPL. STEUEREXPERTE, DIPL. STEUEREXPERTE, PARTNER, LL.M., UZH INTERNATIONAL MEYERLUSTENBERGER TAX LAW, DIRECTOR, LACHENAL SWISS RE 80 E X P E R T F O C U S 2021 | FEBRUAR
Steuerliche I nnovationsfö rderung in der F inanzindustrie STE U E R N Steuererklärung 2020 zumindest mit dem F&E-Zusatzabzug näher auseinandersetzen. Abbildung 1: DEFINITION VON FORSCHUNG Während der F&E-Zusatzabzug über moderate Hürden zu UND EXPERIMENTELLER ENTWICKLUNG erreichen ist, stellt die Patentbox höhere Anforderungen an GEMÄSS FRASCATI-HANDBUCH die Implementierung. Wie an dieser Stelle bereits anschau lich gezeigt wurde [5], lassen sich die beiden Instrumente F&E ist schöpferische und systematische Arbeit zur Er auch kombinieren bzw. gestaffelt einführen. Auf Basis erster weiterung des Wissensstands […] und zur Entwicklung konkreter Erfahrungen beleuchten die Autoren nachste neuer Anwendungen auf Basis des vorhandenen Wissens. hend spezifische Fragen und Lösungsansätze, welche Fi Um als F&E-Tätigkeit eingestuft zu werden, muss die nanzdienstleister bei der Umsetzung antreffen. Aktivität zumindest prinzipiell alle fünf Kernkriterien erfüllen: 3. ZUSÄTZLICHER ABZUG VON F&E-AUFWAND p Gewinnung von neuen Erkenntnissen (neuartig) 3.1 Mechanik des F&E-Zusatzabzugs. Die Berechnungs pAuf originären, nicht offensichtlichen Konzepten und modalitäten für den zusätzlichen Abzug von F&E-Aufwand Hypothesen beruhend (schöpferisch/kreativ) sind in Art. 25a StHG geregelt. Dieser Artikel sieht bei den pUngewissheit bezogen auf das Endergebnis (ungewiss) kantonalen Gewinnsteuern einen Zusatzabzug von maxi pEinem Plan folgend und budgetiert (systematisch) mal 50 % vor für bestimmte Aufwendungen eigener F&E- p Zu Ergebnissen führend, die reproduzierbar sind Leistungen des Steuerpflichtigen (Abs. 3 lit. a) und für einen (übertragbar und/oder reproduzierbar) Teil des Aufwands eingekaufter F&E-Leistungen (Abs. 3 lit. b). Kein entsprechender Zusatzabzug ist bei der direkten Bundessteuer möglich. SV17 [6] weist ferner auf die einschlägigen Handbücher der OECD hin. Für Zwecke der Statistik und politischen Förde 3.2 Qualifizierende F&E-Leistungen. Der zentrale erste rung von F&E setzt sich die OECD seit Langem mit Rastern Schritt auf dem Weg zum F&E-Zusatzabzug besteht in der und Abgrenzungskriterien auseinander, um die Innovati Identifikation der qualifizierenden F&E-Tätigkeiten. Im onstätigkeiten getrennt von den übrigen Wertschöpfungs Unterschied zum sekundären Wirtschaftssektor bilden in prozessen zu erfassen. Die Ergebnisse dieser Arbeiten flies der Finanzindustrie Abteilungen, die sich sinngemäss «F&E» sen seit den 1960er-Jahren in die laufend aktualisierten nennen, die Ausnahme. In der Praxis zeigt sich denn auch, OECD-Publikationen des Frascati-Handbuchs [7] und des dass die Unternehmen und gerade die wissenschaftlichen Oslo-Handbuchs [8]. Fachleute in den Entwicklungsabteilungen die Messlatte Die SSK-Analyse vom 4. Juni 2020 [9] kommt zum Schluss, tendenziell zu hoch ansetzen und ihre Tätigkeit vorschnell dass bei jeder Art von Innovation grundsätzlich alle fünf disqualifizieren. Es hat sich deshalb als wichtig erwiesen, Frascati-Kriterien (siehe Abbildung 1) erfüllt sein müssen. dass Steuerspezialisten den Sachverhalt in Kooperation mit In der Finanzindustrie erfolgen derzeit bedeutende Ent den Fachabteilungen erheben, dessen steuerrechtliche Be wicklungen in der Automatisierung von Prozessen und im urteilung aber nicht den Fachabteilungen überlassen. Ausschöpfen der Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz Der Schweizer Gesetzgeber erkannte früh die praktischen für neue Produkte. Bei dieser Art von Innovation geht es Abgrenzungsprobleme, die sich den Steuerverantwortlichen um neue praktische Anwendungen durch Verwertung von von Unternehmen und den Steuerverwaltungen, welche mit Forschungsergebnissen verschiedener wissenschaftlicher F&E i. d. R. wenig vertraut sind, bei der Anwendung der Disziplinen wie Informatik, Physik, Geografie, Verhaltens neuen Steuerregimes stellen werden. Für die Patentbox gab forschung usw. An dieser Schnittstelle zwischen Wissen er den Steuerfachleuten ein einfaches Kriterium in die Hand: schaft und Märkten wird kein «Neu-für-die-Welt»-Standard das Vorliegen eines eingetragenen Patents oder vergleichba im Sinne von völlig neuen Erkenntnissen angelegt. Das ren Rechts. Beim F&E-Zusatzabzug verweist Art. 25a Abs. 2 Frascati-Handbuch verlangt, dass die F&E zu Erkenntnissen StHG dagegen bloss auf die grobe, in der Praxis wenig hilf führt, welche für das Unternehmen neu sind und im betreffen- reiche Definition von F&E in Art. 2 FIFG. Die Botschaft zur den Wirtschaftszweig noch nicht genutzt werden [10]. Aufgrund Abbildung 2: FAKTOREN BEI DER BESTIMMUNG DES F&E-ZUSATZABZUGS F&E-Aufwand Zusatzabzug Eigene F&E-Leistungen Personalaufwand 3.3 3.2 Zuschlag 35 % Kontrollrechnung: Gesamtaufwand der Gesellschaft × max. 50 % Fremde F&E-Leistungen 3.4 Durch schweiz. Dritte fakturiert Abzug 20 % Total = Basis F&E-Zusatzabzug FEBRUAR | 2021 E X P E R T F O C U S 81
STE U E R N Steuerliche I nnovationsfö rderung in der F inanzindustrie des klaren Bezugs der Botschaft SV17 auf das Frascati-Hand tragen. Da Zeiterfassungssysteme in der Finanzindustrie un buch gibt es keinen Anlass, von diesem Standard abzuwei üblich sind, müssen fundierte Schätzungen anhand von chen. Die Anforderungen an den Nachweis, dass eine Inno Stellenbeschrieben und Befragungen herangezogen werden. vation in einer Branche noch nicht genutzt wird, können aus offensichtlichen Gründen nicht sehr hoch angesetzt werden. 3.4 Fremde F&E-Leistungen. Im Falle von Auftragsfor Grossen Wert legen die Steuerverwaltungen ferner auf schung teilt Art. 25a Abs. 4 StHG grundsätzlich dem Auf das Kriterium der Ungewissheit des Projekterfolgs. Dies traggeber die subjektive Berechtigung zum F&E-Zusatzab steht in Einklang mit dem gesetzgeberischen Ziel, die Be zug zu. Wenn jedoch ein Unternehmen F&E-Leistungen reitschaft zu innovativen Investitionen zu fördern, indem zugunsten eines Auftraggebers erbringt, welcher nicht in über eine fiskalische Beteiligung an den Kosten deren Risiko einem Kanton mit F&E-Zusatzabzug ansässig ist, kann es gedämpft wird. Mit dem Nachweis gescheiterter Innovati den Zusatzabzug selbst geltend machen. Diese Konstellation onsprojekte kann dieser Anforderung Genüge getan werden. kommt bspw. bei F&E-Leistungen aus der Schweiz zuguns In der Realität zeigt sich im Finanzsektor, dass die Beur ten ausländischer Konzerngesellschaften zum Tragen. teilung einzelner Innovationsprojekte durch mechanisches Zwischen Konzerngesellschaften können F&E-Leistungen Durchdeklinieren der Frascati-Kriterien selten zu klaren, be grundsätzlich zu Vollkosten und einem angemessenen Ge lastbaren Ergebnissen führt. Wie so oft im Steuerrecht muss winnaufschlag verrechnet werden. In der Praxis zeigt sich, der Ansatz eher in Richtung eines Blicks auf die gesamten dass dies aufseiten des Auftraggebers regelmässig zu einem Umstände gehen. Wenn ein Unternehmen sich strategisch viel höheren qualifizierenden Aufwand führt, als wenn er der Innovation in einem bestimmten Bereich verschreibt, die F&E selbst ausführte und nur den Personalaufwand gel diese Strategie mit substanziellen Investitionen in Entwick tend machen würde. Diesem Umstand ist bei der Ansiedlung lungsteams mit hochqualifizierten Spezialisten umsetzt von F&E-Teams innerhalb einer Gruppe steuerplanerisch und deren Innovationsleistungen Anerkennung im Markt Rechnung zu tragen. finden, sei es durch erfolgreiche Lancierung neuartiger Pro dukte, durch Auszeichnungen oder sonstige Publizität, 4. PATENTBOX sollten nach Auffassung der Verfasser die Voraussetzungen 4.1 Patentkategorien in der Finanzindustrie. Im Gegen des F&E-Zusatzabzugs grundsätzlich als erfüllt betrachtet satz zur weit verbreiteten Ansicht, z. T. selbst unter Vertre werden. Erst wenn eine Gegenkontrolle anhand der Frascati- tern der Finanzindustrie, dass Patente in der Finanzindus Kriterien ergäbe, dass wesentliche Elemente der Forschung trie nur eine untergeordnete Rolle spielen, sind Innovation fehlen, sollte eine Innovationstätigkeit disqualifiziert wer und Patentaktivität zentrale Erfolgsfaktoren der Finanz den. Unserer Erfahrung nach bieten die Steuerbehörden industrie. Vor diesem Hintergrund dürfte die mittels STAF Hand zu diesem Ansatz. eingeführte Patentbox auch im Finanzsektor ein grösseres Potenzial haben als bisher angenommen. 3.3 Personalaufwand F&E-Abteilungen. Als Konsequenz Patente im Finanztechnologie-Bereich (sog. Fintech-Be der gesamtheitlichen Einschätzung von F&E-Tätigkeiten reich) lassen sich vereinfacht in folgende Kategorien eintei anstelle einer Beurteilung von Einzelprojekten hat es sich in len [12]: der Praxis bewährt, den Personalaufwand fester Teams statt p Payment Architecture: Fintech-Anwendungen im Bereich projektbezogener Personalkosten als Basis für den F&E-Zu des Zahlungsverkehrs wie z. B. mobile Zahlungssysteme satzabzug heranzuziehen. Neben dem Personalaufwand der oder digitale Kryptowährungen; eigentlichen «Forscher» qualifiziert auch derjenige des Per pWealth Management: Fintech-Anwendungen im Bereich sonals in direkten Management- und Verwaltungsfunktio der Vermögensverwaltung wie z. B. Algorithmen für Anlage nen für die F&E-Teams. Zu den eigenen F&E-Leistungen ge empfehlungen; zählt, und somit auch beim 35 %-Uplift mitberücksichtigt, p Insurtech: Technologische Lösungen für den Versiche wird der Aufwand für externe Mitarbeitende, die bei den rungsbereich wie z. B. digitale Versicherungsplattformen F&E-Aktivitäten des Unternehmens mitwirken. Gemäss für den automatisierten Abschluss von Versicherungsver Frascati-Handbuch zählt nämlich auch vollständig einge trägen; bundenes externes F&E-Personal, das bei den F&E-Aktivitä p Regtech: Sammelbegriff für Innovationen mit Bezug zur ten eines Unternehmens mitwirkt, zum F&E-Personal die Finanzmarktregulierung; diese unterstützen das Risikoma ses Unternehmens [11]. nagement und die Compliance Prozesse. Freilich widmen sich Innovationsteams oft nicht aus schliesslich F&E-Tätigkeiten, sondern nehmen bspw. auch 4.2 Bedeutung der Patentbox in der Finanzindustrie. Im Funktionen im laufenden Einsatz und in der routinemässi Rahmen der STAF wurde die Patentbox als obligatorisches gen Weiterentwicklung ihrer Produkte wahr. Ebenso nimmt kantonales Steuerprivileg eingeführt. Dabei soll die auf der Anteil des F&E-Managements i. d. R. auf höheren Füh Basis einer Spartenrechnung ermittelte Bemessungsgrund rungsstufen ab. Es scheint sich in gewissen Kantonen die lage der Patentbox (sog. Boxengewinn) um bis zu 90 % re Ansicht durchzusetzen, dass Geschäftsleitungsmitglieder duziert werden. Gemäss den kantonalen Umsetzungen be nicht für den Zusatzabzug berücksichtigt werden können. wegt sich die Patentboxentlastung zwischen 10 % und 90 %. Diesem Umstand ist pragmatisch durch pauschale Kürzun Die Mehrheit der Kantone folgt jedoch der Bundeslösung gen des berücksichtigten Personalaufwands Rechnung zu mit einem Entlastungsfaktor von 90 %. 82 E X P E R T F O C U S 2021 | FEBRUAR
Steuerliche I nnovationsfö rderung in der F inanzindustrie STE U E R N Tabelle 1: ÜBERSICHT DER GEWINNSTEUERSÄTZE IN AUSGEWÄHLTEN KANTONEN (IN DER REIHENFOLGE IHRER WERTSCHÖPFUNGSBEITRÄGE IM FINANZSEKTOR, WOBEI MEHR ALS DIE HÄLFTE DER WERTSCHÖPFUNG AUS DEN KANTONEN ZÜRICH UND GENF STAMMT) [13] Kantone Ordentlicher Ge- Entlastungs Gewinnsteuersatz Entlastungs Privilegierter winnsteuersatz 2020 faktor Patentbox begrenzung Gewinnsteuersatz (Hauptort effektiv) Patentbox (ohne Entlastungs (mit Entlastungs begrenzung und Nexus- begrenzung und Nexus- Quotient von 100 %) Quotient von 100 %) Zürich * 19,7 % 90 % 9,2 % 70 % 11,7 % Genf 14,0 % 10 % 13,4 % 9% 13,5 % Waadt 13,8 % 60 % 10,3 % 60 % 10,9 % Bern 21,1 % 90 % 9,4 % 70 % 12,2 % Basel-Stadt 13,0 % 90 % 8,4 % 40 % 11,0 % Luzern 12,3 % 10 % 11,9 % 20 % 11,9 % St. Gallen 14,5 % 50 % 11,3 % 40 % 12,0 % Aargau 18,6 % 90 % 9,0 % 70 % 11,4 % Zug 11,9 % 90 % 8,3 % 70 % 9,1 % Schwyz ** 14,1 % 90 % 8,5 % 70 % 9,8 % * Reduktion des ordentlichen Gewinnsteuersatzes in Zürich von 21,2 % auf 19,7 % im Jahr 2021. ** Aufgrund der Relevanz des Finanzplatzes Pfäffikon bezieht sich der Gewinnsteuersatz auf die Gemeinde Freienbach. In Kantonen mit relativ hohen ordentlichen Gewinnsteuer sich mit den Steuerbehörden auf eine Patentboxbesteuerung sätzen, namentlich Zürich, Bern und Aargau, wirkt sich na zu einigen. turgemäss die Patentbox stärker aus. Diese Kantone haben denn auch den Spielraum der STAF-Massnahmen voll aus 4.3 Mechanik des Steuerabzuges für Gewinne aus Paten- geschöpft, im Gegensatz etwa zu Genf und Luzern, welche ten. Der Steuerabzug für Gewinne aus Patenten und ver die Patentbox nur mit der Minimalentlastung von 10 % im gleichbaren Rechten ergibt sich aus der Multiplikation der plementieren. drei Faktoren gemäss Abbildung 3. Trotz ihrer steuerlichen Attraktivität scheint die Patent box in der Finanzindustrie noch nicht angekommen zu sein. 4.4 Bestimmung des Boxengewinns. Der Boxengewinn Dem Vernehmen nach ist es in den Kantonen, aus welchen lässt sich grundsätzlich über den patentbezogenen Ansatz über 85 % der Wertschöpfung der Finanzindustrie kommen, (sog. direkte Methode) oder indirekt über den produktbezo noch keinem der etablierten Finanzdienstleister gelungen, genen Ansatz (indirekte Methode) ermitteln. Bei Finanz Abbildung 3: FAKTOREN BEI DER BESTIMMUNG DES ABZUGS VOM REINGEWINN FÜR GEWINNE AUS PATENTEN Ermittlung des Boxengewinns 4.2 Direkte Methode Indirekte Methode (Nettomethode) (Residualmethode) Patentbezogen, d. h. Produktbezogen, d. h. Patente Bestimmung i. d. R. bei Lizenzvergabe in verkauften Produkten/ Nexus-Quotient oder Patentverkauf Dienstleistungen enthalten 4.3 Ertrag aus Patent Gesamtgewinn Qualifizierende Aufwendungen Entlastungsfaktor Relevanter Aufwand Finanzergebnis × für Patententwicklung × 1,3 × max. 90 % Liegenschaftenerfolg Gesamtaufwand für Patent Ergebnis aus nicht qualifi entwicklung zierenden Leistungen Gewinne aus Routinefunkti onen (6 % der Umsatzkosten) Markenentgelt = Boxengewinn = Boxengewinn FEBRUAR | 2021 E X P E R T F O C U S 83
STE U E R N Steuerliche I nnovationsfö rderung in der F inanzindustrie dienstleistern dürften Patente vorab dazu eingesetzt werden, dukt zugewiesenen Vollkosten des ordentlich besteuerten um auf innovative Weise «traditionelle» Ertragsarten wie Bereichs zugewiesen werden müssen [16]. Damit soll sicher Kommissionen, Vermögensverwaltungsgebühren oder Ver gestellt werden, dass der Gewinn aus Routinefunktionen sicherungsprämien zu generieren. Für die Finanzindustrie nicht privilegiert besteuert wird. I. d. R. verlangen die drängt sich deshalb grundsätzlich die indirekte Methode Steuerbehörden, dass ein solcher Kostenaufschlag auch für auf. Ferner sprechen folgende Gründe für die Ermittlung des sämtliche Routinefunktionen von Finanzdienstleistern Boxengewinns auf Basis der indirekten Methode: angewandt wird. So sollen die Versicherer, nach Ansicht der p Regulatorische Rahmenbedingungen: Die FINMA be Steuerbehörden, einen Kostenaufschlag von 6 % auf den schränkt grundsätzlich die zulässigen Tätigkeiten von Ban Schadenszahlungen anwenden. Ferner beträgt das Marken ken und Versicherungen. So darf bspw. bei einer Versiche entgelt, welches der ordentlichen Besteuerung unterworfen rung versicherungsfremdes Geschäft nur von untergeordne wird, pauschal rund 1 % des Boxenumsatzes [17] (z. B. die ter Bedeutung sein und erfordert eine FINMA-Bewilligung. über eine digitale Versicherungsplattform vereinnahmten Vor diesem Hintergrund ist es unüblich für Banken und Ver Versicherungsprämien). Sofern jedoch nachgewiesen werden sicherungen, für die Verwertung ihrer Patente Lizenzen mit kann, dass bereits ein effektives marktübliches Markenent Dritten und/oder Gruppengesellschaften zu vereinbaren. gelt auf diesen Umsatz entrichtet wird, muss kein weiteres p Mehrwertsteuerliche Überlegungen: Beim grössten Teil Markenentgelt erhoben werden. Während der Ansatz beim der Erträge von Banken und Versicherungen handelt es Markenentgelt Sinn macht, erscheint ein 6 %-Kostenauf sich in der Schweiz und in Europa um von der MWST ausge schlag auf Schadenszahlungen nach Meinung der Verfasser nommene Leistungen (z. B. Zinserträge, Versicherungsprä verfehlt. Es sind nicht die Schäden, welche die Routine-Wert mien) [14]. Damit stellt die Vorsteuer für Banken und Versi schöpfung generieren, sondern das Vertrags- und Schaden cherungen weitgehend eine endgültige Belastung dar. Sie management. Somit sollten auch nur die Kosten der Letzteren verzichten deshalb i. d. R. darauf, separate mehrwertsteuer für den Aufschlag berücksichtigt werden. pflichtige Lizenzen an Gruppengesellschaften oder Kunden Als Untervariante der direkten Methode kann der Boxen in der Finanzindustrie zu verrechnen. gewinn eines Finanzdienstleisters auch auf Basis des Fremd vergleichsgrundsatzes bestimmt werden [18]. Die Höhe des Bei der Umsetzung der indirekten Methode zur Bestim qualifizierenden Lizenzertrages richtet sich bei dieser Me mung des Boxengewinns eines Unternehmens der Finanz thode nach dem Lizenzertrag, welchen der Lizenzgeber von industrie auf Basis der Patentbox-Verordnung besteht je einem unabhängigen Lizenznehmer für die Verwertung doch zusätzlicher Klärungsbedarf: der patentierten Technologie hätte vereinnahmen können. Die Patentbox-Verordnung hält fest, dass, falls der Boxen Auf Basis einer Transferpreisstudie lässt sich dabei bestim gewinn nicht auf Produktebene bestimmt werden kann, men, wie hoch solche Lizenzen, aus der Verwertung von ver vom Gesamtgewinn des Unternehmens vor Steueraufwand gleichbaren Patenten zwischen unabhängigen Dritten, aus ausgegangen werden kann [15]. Dabei sollen sämtliche nicht fallen würden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei der Be mit den Patenten in Verbindung stehenden Erträge aus dem stimmung des Boxengewinns von der gesamten, durch das Boxengewinn herausgerechnet werden (d. h. Finanz-, Lie Patent ausgelösten Wertschöpfung (vor dem zuordenbaren genschaften-, Beteiligungserfolg, übrige nicht auf Patente Aufwand) auszugehen ist. Bei einer Transferpreisstudie ist entfallende Erträge). Während diese Bestimmung für das deshalb sicherzustellen, dass nicht nur der Gewinn des Li Geschäftsmodell der Maschinen-, Chemie- und Pharmain zenzgebers, sondern auch derjenige des Lizenznehmers Be dustrie Sinn ergibt, greift sie für Unternehmen der Finanz rücksichtigung findet. Dieser Ansatz wird auch vom Bun industrie zu kurz. Die erfolgreiche Kommerzialisierung desrat gestützt, da gemäss Botschaft SV17 auch der Lizenz von Patenten in der Finanzindustrie setzt voraus, dass sämt nehmer (einer Exklusivlizenz) die Patentbesteuerung in liche mit der Innovation zusammenhängenden Erträge (z. B. Anspruch nehmen kann [19]. Bei dieser Untervariante han Anlage der vorschüssig vereinnahmten Prämien bei Versiche delt es sich um einen praktikablen und einfachen Ansatz. Er rungen) auch als Teil der Wertschöpfung aus dem Patent an reduziert den Compliance- und Dokumentationsaufwand erkannt werden. So sollte bspw. bei einem Versicherer, der für Unternehmen, aber auch den Prüfungsaufwand für die über patentgeschützte Plattformlösungen Prämien gene Steuerbehörden. Damit steht er im Einklang mit der vom riert, nicht nur das versicherungstechnische Ergebnis in Bundesrat in der Botschaft geforderten Reduktion der tech den Boxengewinn fliessen, sondern zumindest teilweise nischen Komplexität und Fokussierung auf Praktikabilität auch das damit verbundene Anlageergebnis. Dieses reflek sowohl aufseiten der Steuerbehörden als auch aufseiten der tiert nicht, wie in anderen Branchen, den Ertrag aus ausser Unternehmen. betrieblichen Mitteln, sondern solchen aus Finanzanlagen, die direkt mit dem patentbasierten Versicherungsgeschäft 4.5 Bestimmung des Nexus-Quotienten. Die Patentbox verbunden sind. Ein vollumfänglicher Ausschluss solcher richtet sich am «modifizierten Nexusansatz» der OECD Erträge von der privilegierten Besteuerung trüge den Eigen aus. Mittels modifiziertem Nexusansatz wird sichergestellt, heiten des Geschäftsmodells der Finanzindustrie zu wenig dass nur diejenigen Erträge privilegiert besteuert werden, Rechnung. welche auf qualifizierenden F&E-Aufwendungen beruhen. Die Patentbox-Verordnung hält ferner fest, dass für die Be Dabei gilt, je mehr qualifizierende F&E-Aufwendungen dem stimmung des Boxengewinns vorgängig 6 % der dem Pro Schweizer Unternehmen zugerechnet werden können, desto 84 E X P E R T F O C U S 2021 | FEBRUAR
Steuerliche I nnovationsfö rderung in der F inanzindustrie STE U E R N FEBRUAR | 2021 E X P E R T F O C U S 85
STE U E R N Steuerliche I nnovationsfö rderung in der F inanzindustrie höher fallen die Steuersparnisse aus. Der Nexus-Quotient Als Teil ihrer Innovationsstrategie investieren etablierte Fi kann insgesamt jedoch höchstens 100 % betragen, wobei nanzdienstleister vermehrt in FinTech-Startups. Durch sol sich Zähler und Nenner wie folgt berechnen: che Kooperationsmöglichkeiten verschaffen sich Finanz p Zähler: Im Zähler werden der eigene selbst getragene F&E- dienstleister Zugriff auf neue Technologien und Patente. Aufwand sowie der Aufwand für die Auftragsforschung durch Eine interessante steuerliche Frage in Bezug auf den Nexus- schweizerische Konzerngesellschaften oder durch Dritte Quotienten ergibt sich, wenn Patente im Rahmen von Um (in- und ausländisch) berücksichtigt. Ferner wird im Zähler strukturierungen von Startups auf etablierte Finanzdienst ein genereller Zuschlag (sog. Uplift) von 30 % angewandt. leister übertragen werden. Nach Meinung der Verfasser p Nenner: Im Nenner werden zusätzlich zum Zähler die kann die empfangende Gesellschaft auch die Nexus-Quoti F&E-Aufwendungen von Konzerngesellschaften und Be enten der betreffenden Patente übernehmen. Damit kön triebsstätten im Ausland sowie die Aufwendungen für den nen solche Patente – im Gegensatz zu gekauften – einen Erwerb von Patenten berücksichtigt. Patentboxabzug bewirken. Für eine detaillierte Darstellung und Besprechung des Ne 5. SCHLUSSFOLGERUNGEN xus-Quotienten sei auf die an dieser Stelle publizierten Arti Die neuen Instrumente der steuerlichen Innovationsförde kel von P. Uebelhart und B. Bellwald verwiesen [20]. Aus den rung geben den Finanzdienstleistern einen Anlass, ihre In Praxiserfahrungen lässt sich für schweizerische Finanz novations- und Patentstrategien zu schärfen. Verteilte F&E- dienstleister festhalten, dass sich die Bestimmung des Ne Aktivitäten sind ggf. neu zu organisieren und auch nach xus-Quotienten (sowie der historischen F&E-Kosten für den steuerlichen Gesichtspunkten zu optimieren. Gerade die Boxeneintritt) als schwierig erweist. Dies liegt v. a. darin be Patentbox und ihr Nexusansatz erfordern eine langfristige gründet, dass Finanzdienstleister – im Gegensatz z. B. zur (Voraus-)Planung der F&E-Aktivitäten. Pharmaindustrie – ihre F&E-Aufwendungen nicht als sepa Die Stellung des schweizerischen Finanzplatzes wird in rate Position in ihrer Erfolgsrechnung rapportieren. Als Zukunft stark von dessen Innovationskraft abhängen. Aus pragmatischer Ansatz könnte der Personalaufwand derjeni standortpolitischer Sicht ist zu hoffen, dass die Steuerbehör gen Teams herangezogen werden, welche die dem Patent zu den – auch in Zeiten grösserer Anspannungen des Finanz grunde liegenden F&E-Aktivitäten betreiben, sowie ein An haushalts – die Anstrengungen der Finanzindustrie unter teil der involvierten IT-Mitarbeiter. Dies bedingt, dass die stützen, F&E-Aktivitäten in der Schweiz auszuüben. Prag Mitarbeiter, welche die F&E-Aktivitäten ausüben, in separa matische Lösungen öffnen den Zugang zu den neuen ten Abteilungen arbeiten und deren Kosten in separaten Förderinstrumenten und vermeiden unverhältnismässigen Kostenstellen erfasst werden. Um neben dem Personalauf Compliance- und Prüfungsaufwand für alle Beteiligten. wand auch Gemeinkosten zu berücksichtigen, könnte ana Der sich abzeichnende Weg sollte deshalb konsequent weiter log zum F&E-Zusatzabzug ein Zuschlag von 35 % angewandt gegangen werden. n werden. Fussnoten: 1) Vgl. statt vieler: Pressekonferenz des Frascati-Handbuch, 7. Auflage, 2015: Leitlinien für wicklungsaufwand, EF 2020/9, 646 ff. 10) Frascati- Zürcher Regierungsrats anlässlich des Starts der die Erhebung und Meldung von Daten über For Handbuch, (Fn. 7), Ziff. 2.15. 11) Frascati-Hand Vernehmlassung zur Unternehmenssteuerreform schung und experimentelle Entwicklung, Mes buch, (Fn. 7), Ziff. 5.6, 5.9 und 5.18. 12) Vgl. Finanz III vom 29. November 2016. 2) Innovationsförde sung von wissenschaftlichen, technologischen und platz Zürich 2019/2020, Monitor, Prognosen, Der rung durch Art. 1b BankG (in Kraft seit 1. Januar Innovationstätigkeiten. 8) OECD (2005), Oslo Ma Finanzplatz zwischen Krisenbewältigung und 2019) sowie Art. 11 E-VAG (in parlamentarischer nual: Guidelines for Collecting and Interpreting Zukunftssicherung, S. 37. 13) Vgl. Volkswirtschaft Debatte, Inkrafttreten erwartet per 1. Januar 2022). Innovation Data, 3. Auflage, 2005. Inzwischen er liche Bedeutung des Schweizer Finanzsektors, Er 3) Vgl. Finanzplatz Zürich 2019/2020, Monitor, Pro schienen in der 4. Auflage, 2018, für Zwecke des gebnisse 2019, BAK Economics, S. 10. 14) Vgl. Art. 21 gnosen, Der Finanzplatz zwischen Krisenbewälti F&E-Zusatzabzugs stützen sich die Steuerverwal Abs. 2 Ziff. 18 u. 19 MWSTG sowie Art. 135 Abs. 1 gung und Zukunftssicherung, S. 41. 4) Val. R&D tungen jedoch auf die 3. Auflage, welche zum Pub lit. a) bis lit. f) EU-Richtlinie 2006/112. 15) Vgl. Technological Development and Performance in likationszeitpunkt der Botschaft zur SV17 galt. Art. 3 Patentbox-Verordnung. 16) Vgl. Patentbox- the Reinsurance Industry; A study commissioned 9) Analyse der Schweizerischen Steuerkonferenz Verordnung, Erläuterungsbericht vom 13. Novem by Swiss Re Institute. 5) Uebelhart/Bellwald, vom 4. Juni 2020 zum zusätzlichen Abzug von For ber 2019. 17) Vgl. Merkblatt Patentbox vom 22. Ok Die neue Schweizer Patentbox – eine Übersicht, schungs- und Entwicklungsaufwand nach den tober 2020, Ziff. 3.2, Zürcher Steuerbuch Nr. 64b.1. EF 2019/11, 842 ff. 6) Botschaft vom 21. März 2018 Art. 10a und Art. 25a des Steuerharmonisierungs 18) Vgl. Botschaft SV17, (Fn. 6), BBl 2018, S. 2551. zum Bundesgesetz über die Steuervorlage 17 (SV17), gesetzes («SSK-Analyse»); vgl. auch Eichenberger/ 19) Vgl. Botschaft SV17, (Fn. 6), BBl 2018, S. 2588. BBl 2018 2552 (Botschaft SV17). 7) OECD (2018), Mirkovic, Zusatzabzug für Forschungs- und Ent 20) Uebelhart/Bellwald, (Fn. 5), EF 2019, 842 ff. 86 E X P E R T F O C U S 2021 | FEBRUAR
Sie können auch lesen