"There and Back Again" oder Wie man Schreiben im Beruf als Brücke zwischen unterschiedlichen Lernkontexten nutzen kann
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Gießener Universitätsblätter 54 | 2021 Ina Alexandra Machura, Michelle J. Eady, Michael-John DePalma, Radhika Jaidev, Lilian W. Mina, Kara Taczak „There and Back Again” oder Wie man Schreiben im Beruf als Brücke zwischen unterschiedlichen Lernkontexten nutzen kann Wie heißt es so schön: Wer schreibt, der bleibt! sein, dass das Schreiben zu ihrem zukünftigen Diese Binsenweisheit mag manche Studieren- Berufsalltag höchstwahrscheinlich dazugehö- de über die Angst vor dem weißen Blatt hin- ren wird. Dabei könnten sich die skeptischen wegretten, wenn sie sich auf schriftliche Klau- Studierenden anhand verschiedener Erhe- suren vorbereiten, über ihren Hausarbeiten bungen durchaus davon überzeugen, dass z. B. brüten oder einem Laborprotokoll den Fein- Lehrer:innen, Anwält:innen, Politiker:innen, schliff verpassen. Während viele Studierende Architekt:innen, Ingenieur:innen, Ärzt:innen, wahrnehmen, wie ihre Schreibkompetenzen Pflegepersonal, IT-Spezialist:innen und Mana- den Verlauf ihres Studiums beeinflussen kön- ger:innen (Schrijver & Leijten, 2019) ausführ- nen, haben manche Studierende nur eine vage liche schriftliche Kommunikation als eine fun- Vorstellung davon, inwiefern fortgeschrittene damental wichtige Tätigkeit in ihrem Berufsle- Schreibkenntnisse in ihren angestrebten beruf- ben angeben. Groß angelegte Erhebungen be- lichen Kontexten eine integrale Rolle spielen. stätigen außerdem, dass auch Unternehmen Sofern die Studierenden keine Karriere als und Arbeitgeber:innen ausgeprägte Schreib- Journalist:innen oder, Gott bewahre, Wissen- kompetenzen als sehr wichtig für die employa- schaftliche Mitarbeiter:innen anstreben, mag bility von Studierenden einstufen (Hart Insti- es für manche von ihnen schwer vorstellbar tute, 2018). Forschungsgruppe MMIRKL, von links nach rechts: Dr. Radhika Jaidev (Technische Kommunikation, Singapore Insti- tute of Technology: Singapur); Dr. Michael-John DePalma (Englisch und Writing & Rhetoric, Baylor University: TX, US); Dr. Kara Taczak (Rhetoric & Composition, University of Denver: CO, US); Dr. Michelle J. Eady (Bildungswissenschaften, University of Wollongong: Australien); Ina Alexandra Machura (fremdsprachliches Schreiben, JLU Gießen und Univer- sität Siegen); Dr. Lilian Mina (Writing Program Administrator, Auburn University: AL, US). (Foto: privat) 111
Um sich also bestmöglich auf den Berufsein- tikum setzt die Forschungsgruppe MMIRKL stieg vorzubereiten, sollten Studierende sich an und bringt sechs Fachwissenschaft- rechtzeitig fortgeschrittene Schreibkennt- ler:innen aus unterschiedlichen nationalen, nisse aneignen, wozu sich ihnen an der Uni- institutionellen und fachwissenschaftlichen versität mindestens zwei Möglichkeiten bie- Diskursen zusammen. ten: Die Kooperation der MMIRKL-Gruppe ge- Zum einen bietet das akademische Schreiben deiht unter der Schirmherrschaft des Center gezielt die Möglichkeit, an der Präzision bei of Engaged Learning (CEL) der Elon University der Wortwahl, der verständlichen Verknüp- (NC, USA) im Rahmen des Forschungssemi- fung von Argumenten oder der Unterschei- nars Writing Beyond the University (WBU). dung zwischen relevanten und irrelevanten MMIRKL ist eine von insgesamt sechs Grup- Informationen für den eigenen Text zu arbei- pen, die unterschiedliche Verschränkungen ten. Die begriffliche Unterscheidung zwi- zwischen dem Schreiben in und außerhalb schen akademischem Schreiben auf der einen der Universität in den Blick nehmen und ver- Seite und wissenschaftlichem Schreiben auf schiedene anwendungsorientierte Antworten der anderen kann für Studierende durchaus auf die Frage bieten wollen: Wie kann das hilfreich sein: Beim wissenschaftlichen Schrei- Training professioneller schriftlicher Kommu- ben beziehen sich Fachwissenschaftler:innen nikation an den Universitäten und Hochschu- untereinander zumeist auf einen gemein- len zielführender in die Studiengänge inte- samen Wissenshintergrund und müssen Prä- griert werden, damit die Studierenden mit missen und bekannte Argumentationsketten dem Berufseinstieg auch souverän in die daher nicht explizit entflechten. Im Gegen- Schreibkonventionen ihres Arbeitsplatzes ein- satz dazu zeichnen sich gute studentische steigen können? Texte beim akademischen Schreiben z. B. da- durch aus, dass die Studierenden verschie- dene Quellen ausführlich erklären, Fachbe- griffe klar definieren und unterschiedliche Pu- blikationen explizit miteinander in Beziehung Die Kooperation der MMIRKL-Gruppe gedeiht unter der setzen. In puncto Nachvollziehbarkeit, Klar- Schirmherrschaft des Center of Engaged Learning (CEL) heit und Verständlichkeit gleichen die Ziele der Elon University (NC, USA) im Rahmen des For- beim akademischen Schreiben also den Zielen schungsseminars Writing Beyond the University (WBU). beim Schreiben im Beruf, denn ein nachvoll- ziehbarer, klarer und verständlicher Text ist im Was das Schreiben insbesondere im Praktikum Berufsalltag ein mächtiges und manchmal das für die Forschungsgruppe MMIRKL so interes- einzige Werkzeug. sant macht: Anders als nach dem Studien- Zum anderen sehen zahlreiche Studienver- abschluss kehren die Studierenden nach dem laufspläne, entweder optional oder sogar ob- Praktikum wieder an die Uni in ihre Kurse zu- ligatorisch, Praxisphasen in Form von Praktika rück. Dort werden sie erneut aufgefordert, o. Ä. vor, in welchen Studierende zuweilen sich der universitätseigenen Textsorten zu be- mit curricularer Vor- und Nachbereitung oder dienen und Hausarbeiten, Essays und Proto- auch komplett in Eigenregie die Fahrwasser kolle zu verfassen. Es stellt sich also nicht nur ihres zukünftigen Berufsalltags testweise die Frage, ob die Studierenden die Fertig- durchschiffen können. Im Praktikum gehört keiten, die sie im akademischen Schreiben dann professionelle schriftliche Kommunika- üben, auch in berufliche Kontexte transferie- tion ebenso zum Arbeitspensum wie die An- ren. Es stellt sich außerdem die Frage, ob die wendung fachpraktischer Kenntnisse im La- Praktikumserfahrungen mit dem Schreiben im bor, Office oder Klassenzimmer. Berufskontext den Blick der Studierenden auf Genau an dieser Schnittstelle zwischen Schrei- das Schreiben an der Universität verändern. ben an der Universität und Schreiben im Prak- Bei der Rückkehr aus dem Praktikum an die 112
Beteiligte Institutionen in MMIRKL (Druckgenehmigungen wurden von den Institutionen erteilt). Universität bietet sich also die Möglichkeit des können (Beaufort, 2007; Bawarshi & Reiff, rekursiven Transfers. Nicht nur aus den Semi- 2010). Außerdem zeigen die Studien gerade naren ins Praktikum, sondern aus dem Prakti- für den Transfer von Schreibkompetenzen in kum zurück ins Seminar. Zu diesem Potential den Beruf, wie Motivation oder Selbsteffizienz- des rekursiven Transfers schweigt der scho- wahrnehmung beeinflussen, inwiefern es Stu- larship of writing transfer bis jetzt, und ge- dierenden gelingt, sich ihre bereits erwor- nau hier setzt unsere Forschungsgruppe an. benen Schreibkompetenzen in unterschied- Was der scholarship of writing transfer in sei- lichsten Umgebungen zielgerichtet zu Nutze ner gegenwärtigen Form allemal bietet, ist ei- zu machen (Baird & Dilger, 2017). Die Publika- ne vielseitige Auffächerung an theoretischen tionen dazu, wie Studierende sich das Schrei- Zugängen, Forschungsdesigns und empi- ben in ihrem Berufsfeld aneignen, zeigen rischen Befunden sowie didaktischen Model- auch: je mehr konkrete kontextspezifische len und Empfehlungen für eine solide Unter- Anknüpfungspunkte die Universität und die stützung der Studierenden bei dem Versuch, Unternehmen in puncto professionelle schrift- ihre Schreibkompetenzen derart zu ver- liche Kommunikation bieten, desto eher wer- feinern, dass sie sich damit sowohl in inner- den Transferprozesse begünstigt (Elon State- als auch in außeruniversitären Schreibkontex- ment on Writing Transfer, 2014). Und umge- ten souverän bewegen können. Schreibwis- kehrt: Wenn weder die Uni noch die Unter- senschaftler:innen in Nordamerika (Moore & nehmen schriftliche Qualitätsstandards und Felten, 2019), Australasien (Thomas, 2019) Anknüpfungspunkte explizit machen, treten und Europa (Kruse, 2007) zeigen, unter wel- die Studierenden beim Schreiben im Beruf chen Bedingungen Studierende speziell ihre häufiger in diverse schriftliche Fettnäpfchen Schreibkompetenzen an unterschiedliche aka- (Nowacek, 2011). demische, fachdisziplinäre, berufliche, private So weit will man es ja nicht kommen lassen. und gesellschaftliche Kontexte anpassen und Idealerweise sollten Studierende also bereits ihre Kenntnisse dort zur Anwendung bringen in der Vorbereitung, während und in der 113
Nachbereitung ihrer Praktika systematisch hende Beschreibungen von Praxisphasen im einüben, ihre Schreibkompetenzen bestmög- Studium eigentlich funktional sind. lich berufsrelevant einzusetzen, bevor es Auf der Grundlage der unterschiedlichen Fach- mit dem Berufseinstieg dann darauf an- hintergründe unserer MMIRKL-Mitglieder ver- kommt. Schriftliche Arbeiten sind aus dem folgen wir also zwei Zielsetzungen: Einerseits Praktikumskontext ohnehin nicht wegzuden- wollen wir bestehende Klassifikationsschemata ken: Erwartungshorizonte, Tätigkeitsbe- für berufsbezogenes Lernen derart anpassen, schreibungen, Rechte und Pflichten werden dass sie es Außenstehenden nutzerfreundlich in der Form von ausführlichen Verschriftli- erlauben, nachzuvollziehen, in welchem ge- chungen festgehalten, zu denen zuweilen nauen Maß die Studierenden in ihren Praktika nicht nur die Studierenden, sondern auch die Aufgaben der professionellen schriftlichen Lehrpersonen an der Uni und die Men- Kommunikation kennenlernen und wahrneh- tor:innen in den Unternehmen, Betrieben, In- men durften. Andererseits wollen wir sowohl stitutionen und Schulen beitragen. Umfang- den Lehrpersonen an den Universitäten als reiche Praktikumsportfolios dokumentieren, auch den Kontaktpersonen in den Unterneh- wie sich Studierende den Praktikumskontext men, Betrieben, Institutionen und Schulen em- fachwissenschaftlich erschließen. Nicht zu- pirisch gestützte Leitfäden an die Hand geben, letzt erfolgt die Bewertung der studentischen damit sie die Studierenden bestmöglich dabei Leistungen im Praktikum oft auf der Grundla- unterstützen können, sich auf das Schreiben im ge ihres schriftlichen Outputs – und auch die Beruf vorzubereiten. Für unsere erste Zielset- Bewertungen von Seiten der Unternehmen zung nutzen wir das Work Integrated Learning liegen häufig in der Form schriftlicher Beurtei- (WIL) Framework mit seinen Ausdifferenzie- lungen vor. rungen. Für die zweite Zielsetzung ist in un- Was das Schreiben insbesondere im Prakti- seren Augen der zielführendste Ansatz der des kum außerdem für die Forschungsgruppe Teaching for Transfer (TfT). MMIRKL so interessant macht: Der Begriff Praktikum spezifisch in Bezug auf das berufs- Work Integrated Learning (WIL) bezogene Lernen an der Universität scheint in maximaler Dehnbarkeit eine so schillernde Vor allem in Kanada und in Australien imple- Fülle an praxisorientierten Lernformaten in mentiert, erlaubt die WIL-Kategorisierung an- sich aufzunehmen, dass es für unterschied- hand eines Klassifikationsschemas, den Ver- liche stakeholder zuweilen schwer sein kann, lauf, die Gestaltung, die Einbindung und die nachzuvollziehen, welche Lerninhalte die Stu- Bewertung der im Studiengang vorgeschrie- dierenden sich im Praktikumszeitraum eigent- benen Praktika u. a. danach einzuordnen, wie lich angeeignet haben. In der englischspra- authentisch das Praktikumsformat einzelne chigen Literatur finden sich z. B. Differenzie- Berufsfelder abbildet, wie engmaschig die rungen zwischen cooperative education, ser- Studierenden von Praktikumsbeauftragten vice learning, practicums, immersion oder und Mentor:innen begleitet werden und wie placements (siehe Eady et al., in Druck). In der umfangreich die Studierenden Gelegenheit deutschsprachigen Literatur unterscheidet bekommen, authentische berufliche Aufga- man z. B. zwischen Fachpraktika, (Schul-) ben zu übernehmen. Besonders wichtig: Das Praktischen Studien, Praxisphasen oder be- Framework systematisiert auch, inwiefern trieblichem Lernen. Wodurch sich diese For- Räume zur kritischen Auseinandersetzung mit mate auszeichnen und wie genau die Studie- dem beruflichen Umfeld geschaffen werden. renden ihr universitäres Fachwissen im Prakti- Studierende sollen auch ein Verständnis dafür kum einsetzen können, ist nicht immer klar entwickeln, inwiefern die Wissensbestände, ersichtlich. Für uns ist also nicht nur interes- Normen und Praktiken in ihren Praktikums- sant, wie Studierende im Praktikum schrei- umfeldern unzulänglich, problematisch oder ben. Wir fragen uns auch, inwiefern beste- ungeklärt sind. 114
115 Klassifikationstabelle für Work Integrated Learning-Formate (Dean et al., 2018, 20).
An Universitäten in Australien und Kanada wird sind zu berücksichtigen: Textsorte, rhetorische Si- dieses Framework z.B. bereits an Studieninteres- tuierung, Anforderung, Kritische Analyse, Dis- sierte ausgegeben, damit sie konkrete Informati- kursgemeinschaft, Wissen, Kontext, Verfassen & onen über die Praxisanteile im Studium in ihre Gestalten, Zirkulieren und Reflexion. Studienfach- und Studienortwahl einbeziehen Der dritte Pfeiler des Frameworks: Reflexion. Die können. Komplementär dazu werden die Fach- spezifische reflexive Haltung des TfT fußt zu- bereiche dazu angehalten, die Praxisanteile ihrer nächst darauf, dass man sich mit dem festen Vor- Studiengänge in die WIL-Kategorien einzuord- satz in die Lernsituation hineinbegibt: „Was mir nen, um den Lehrpersonen und Studierenden ei- hier begegnet, das klopfe ich gleich selbstständig nen verständlichen Überblick zu geben (M. Eady, darauf ab, ob ich es auch in anderen Kontexten persönliche Mitteilung). für mich nutzen kann. Ich warte nicht darauf, dass mir jemand einen entsprechenden Hinweis Teaching for Transfer (TfT) gibt. Und sollte ich zunächst keine Bezüge her- stellen können, dann frage ich danach und war- Beim TfT-Ansatz (Yancey et al., 2014) handelt es te auch nicht darauf, dass sich jemand spontan sich um ein schreibdidaktisches Modell, in wel- dazu äußert.“ Außerdem gibt das Framework chem nicht davon ausgegangen wird, dass Stu- gleich einer 360°-Drehung unterschiedliche ko- dierende ohne spezifische Anleitung und Kon- gnitive Richtungen vor, nach denen die Studie- textualisierung dazu in der Lage sind, ihre renden ihre Schreibsituationen wiederholt durch- Schreibkompetenzen optimal von Kontext zu denken sollen: Kontext zu transferieren. Der Ansatz bedient sich der Begrifflichkeiten und Zugänge der bildungs- (1) look backward to recall previous know- orientierten Transferforschung nach Perkins/Sa- ledge, which could include prior writing ex- lomon (z.B. 1992) und Haskell (2001), denen zu- periences, different reading assignments, folge Transferleistungen von unterschiedlicher and past knowledge about writing; (2) look Komplexität durch didaktisch aufbereitete Im- inward to review the current writing situati- pulse z.B. des bridging („Brücken schlagen“) on they are working in; (3) look forward to und hugging (hier „annähern“) begünstigt wer- project how their current knowledge about den können und sollten. Was leistet das Frame- writing connects to other possible academic work genau? writing situations; and (4) look outward to Zunächst regt es Studierende dazu an, ihre eige- theorize how the role of their current identi- ne theory of writing zu entwickeln, also eine ties as reflective writing practitioners con- grundlegende reflektierte Einstellung dazu, auf nects to larger academic writing situations. welche Weise Schreiben in unterschiedlichen Kontexten funktioniert und diese Kontexte mit- (Taczack and Robertson, 2016, 47; emphasis in the original) prägt. Schluss mit der Unsichtbarkeit des Schrei- bens! Verflechtung von WIL Zweitens liefert das Framework eine Reihe empi- und TfT in der Datenerhebung risch extrapolierter Schlüsselkonzepte als men- tales Gerüst für selbstreguliertes Lernen. Aus Anders als die bestehenden Studien und Publi- weitreichenden Umfragen unter Studierenden kationen zum Schreiben im Praktikum bringt un- zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Studienver- sere Forschungsgruppe explizit den WIL-Diskurs lauf haben Yancey et al. (2014) diejenigen Schlüs- mit der Forschungstradition zum writing trans- selkonzepte identifiziert, die die Studierenden als fer ins Gespräch. Wir haben die Schlüsselkon- besonders ergiebig und nützlich erfahren haben, zepte und kognitiven Richtungen genutzt, um um sich mit ihnen die Anforderungen diverser reflexive Fragebögen zu formulieren, die unter- Schreibsituationen systematisch zu erschließen. schiedliche Studierende vor, während und nach So muss die intendierte Zielgruppe ausreichend ihren Praktika beantwortet haben (n ≈ 50). In klar sein, aber auch weitere Schlüsselkonzepte diesen Fragebögen dokumentierten die Studie- 116
renden, welche Schreibkenntnisse sie zu unter- Betrieben, Unternehmen und Schulen (n ≈ 20), schiedlichen Zeitpunkten im Praktikum aktivie- um zu dokumentieren, wie diese selbst das ren konnten oder wollten und inwiefern sie da- Schreiben für den Beruf gelernt hatten und wie von ausgehen, dass das Schreiben im Praktikum konkret sie die Studierenden dahingehend un- auch ihr Schreiben an der Universität prägen terstützen. Dr. Michelle Eady (UOW, AU), Ina wird. Um Letzteres zu überprüfen, führten wir Alexandra Machura (JLU) und Dr. Lilian Mina (abstandsregelkonforme) 60-minütige Inter- (AUM, US) haben Daten innerhalb der Schul- views mit den Studierenden, sobald sie einige praktischen Studien an ihren jeweiligen Standor- Wochen nach dem Praktikum wieder voll in ihr ten erhoben. Dr. Radhika Jaidev (SIT, SG) und Dr. Universitätssemester eingestiegen waren. Michael-John DePalma (Baylor, US) haben Daten Zudem nutzen wir die Schlüsselkonzepte und innerhalb von Praktika in Industrie- und Kom- die WIL-Klassifikation zur Strukturierung von munikationsunternehmen erhoben. leitfadengestützten Interviews mit universitären Folgende Daten finden sich in unserem Daten- Lehrpersonen (n ≈ 20) und Mentor:innen aus pool: Zeitpunkt Teilnehmende Erhebung VOR dem Praktikum Studierende Erwartungsabfrage (1x) 360° Reflexion Beginn (1x) WÄHREND des Praktikums Studierende 360° Reflexion Fortschritt (1x) 360° Reflexion Abschluss (1x) Studierende Erfahrungsabfrage (1x) Arbeitsproben Unmittelbar NACH dem Praktikum Lehrpersonen an der Universität Leitfragen-Interview Mentor:innen in den Betrieben, Leitfragen-Interview Unternehmen & Schulen 6 Wochen nach Beginn des Studierende Leitfragen-Interview Folgesemesters Datenerhebung unter den Studierenden in Bezug auf das Fachpraktikum. 117
Tendenzen und erste Befunde „Auf jeden Fall beim Verfassen der Unter- richtseinheiten. Da war es davor immer Trotz der mannigfaltigen Herausforderungen des nur sehr theoretisch, also man hat das Jahres 2020 konnten wir dem umfangreichen zwar alles im Studium schon gemacht, Datensatz bereits einige Tendenzen abgewinnen: aber so richtig irgendwie […] einen Sinn dahinter gab es nicht. Aber dann da- Tendenz 1: Je nach Erhebungskontext wird durch, dass ich es dann selbst ausformu- die Relevanz des Schreibens im Beruf den Stu- lieren musste und auch wirklich einen Be- dierenden während des Praktikums mal mehr zug dazu hatte, konnte ich irgendwie to- und mal weniger zugänglich gemacht. tal viel mitnehmen. Jetzt, wenn ich in Zu- kunft noch welche schreibe, wie ich das „Ich weiß nicht genau, wo ich Wissen übers aufbauen muss, wie ich das formulieren Schreiben im Praktikum hätte hernehmen soll am besten. Ja, das hat mir weiterge- holfen.“ sollen beziehungsweise konkretes Wissen übers Schreiben im Praktikum irgendwie Lehramt-Studierende (JLU) im Interview 6 Wochen nach hätte erfahren sollen, denn die Schule ist ja dem Fachpraktikum doch sehr sprachlich ausgelegt. Und des- halb habe ich jetzt irgendwie den Eindruck, In den folgenden Schritten des Projekts wird dass sich in meinem Schreibverhalten und sich unser MMIRKL-Team darauf konzentrie- meiner Schreibweise, gerade was die Pro- ren, auf der Grundlage der Daten Handrei- duktion von Texten angeht, nicht wirklich chungen zu formulieren, die es den Studieren- viel verändert hat.“ den erlauben, selbstständig nach der professio- nellen schriftlichen Kommunikation in ihrem Lehramt-Studierende (JLU) im reflexiven Fragebogen un- mittelbar nach dem Fachpraktikum Praktikumsumfeld Ausschau zu halten und den Lernzuwachs diesbezüglich nicht dem Zufall zu überlassen. Während einigen Studierenden, wie im obigen Beispiel, kein Einblick in die professionelle Tendenz 2: Je nach Erhebungskontext wird schriftliche Kommunikation im Berufsalltag er- die Relevanz des Schreibens für die Bewälti- möglicht wurde, berichteten andere Studie- gung und Bewertung des Praktikums den rende von eindrücklichen Erfahrungen mit Studierenden mal mehr, mal weniger be- dem Schreiben im Beruf, z. B. durch schriftliche wusst. „Unfälle“ im Praktikumszeitraum: „Mit meinem Praktikum hat sich mein „In meinem Praktikum gab es einen Zwi- Verständnis von gutem Schreiben verän- schenfall, als ein Produkt mit falschen Spe- dert […]. Wenn man beim Schreiben ein- zifikationstexten ausgeliefert wurde. Ich fach nur Fakten aufzählt, ohne Überzeu- glaube nicht, dass es zu diesem Fehler ge- gungskraft, dann verfehlt der Text seinen kommen wäre, wenn wir uns klarer und Zweck und überzeugt den Leser nicht prägnanter ausgedrückt hätten. Genau da vom Inhalt. Diese Veränderung in meinen kommt gutes Schreiben ins Spiel.“ Ideen passierte, als ich eine E-Mail an mei- Engineering-Studierende (SIT, Singapur) im Erfahrungs- nen Mentor geschrieben habe […]. Er hat bericht unmittelbar nach dem Praktikum den Inhalt der E-Mail nicht verstanden und ich musste alles noch mal mündlich erklären. Das war ein Ansporn, meine Andere Studierende berichteten, dass ihnen Schreibfertigkeiten zu stärken.“ gerade das Schreiben im Praktikum einen kohärenteren Blick auf das Schreiben an der Hydrologie-Studierende (SIT, Singapur) im Erfahrungsbe- Universität ermöglicht habe: richt unmittelbar nach dem Praktikum 118
„Unfälle“, in der Regel, voll entrichtet werden „Als Lehramtstudierende wird man da im- musste. mer darauf getrimmt, dass das Praktikum logischerweise der praktische Anteil ist. „Schreibenlernen für den Beruf war wie Aber vorher wird nie so wirklich über diese eine Feuertaufe.“ schriftliche Arbeit geredet. Und dann nachher, wenn das Praktikum rum ist, ist James (US), Herausgeber in einem Universitätsverlag eigentlich alles, was man gemacht hat, oder das Meiste davon, relativ irrelevant, sondern das, was man schriftlich festhält, „Ich habe als Stabsmitglied eines Regie- ist quasi das, was so wirklich passiert ist. rungsbeamten mal ein Schreiben für ihn […] ich habe so den Eindruck, dass das, vorbereitet. Er hat es mir zurückgegeben, was da steht, wichtiger ist als das, was ich das ganze Ding war rot angestrichen.“ gemacht habe.“ Angela (US), public policy director in einer Nicht-Regie- Lehramt-Studierende (JLU) im Interview 6 Wochen nach rungsorganisation dem Fachpraktikum Lehramt In den folgenden Schritten des Projektverlaufs Eindrücklich war außerdem die Vielfalt an schrift- wird sich unser MMIRKL-Team darauf konzen- lichen Aufgaben, die sämtliche außeruniversi- trieren, auf der Grundlage der Daten Handrei- tären Interviewpartner:innen als selbstverständ- chungen zu formulieren, die es den Studieren- lichen, konstanten Teil ihres Arbeitsalltags auf- den erlauben, nicht nur die schriftliche Kom- zählten, in der Form von Anträgen, Protokollen, munikation an ihrem Arbeitsplatz im Prakti- Beurteilungen, Verträgen, Briefen & E-Mails, Auf- kum professionell zu gestalten, sondern auch gabenstellungen, Flyern & Informationsmaterial, im Kontakt mit den Mentor:innen und Prakti- Förderplänen, Werbematerial, Betriebs- und kumsbeauftragten, die die Praktikumslei- Schulordnungen, Lehrplänen, Begründungen, stungen letztendlich benoten. Rechtfertigungen usw. In den nächsten Schritten des Projektverlaufs Tendenz 3: Schreiben für den Berufsalltag wird sich unser MMIRKL-Team auch darauf kon- wird nur unsystematisch an den Universitäten zentrieren, auf der Grundlage der Daten ein Fort- vermittelt. bildungsprogramm sowohl für Lehrpersonen an Während sich unter den ca. 50 Studierenden der Universität als auch für Mentor:innen in den entsprechend der unterschiedlichen natio- Institutionen, Betrieben, Unternehmen und Schu- nalen, institutionellen und fachspezifischen Si- len zu entwerfen. Dieses geplante Programm mit tuierungen eine große Bandbreite von Erfah- dem Titel Writing Across the Professions (WAP) rungen mit der professionellen schriftlichen wird Gelegenheit dazu geben, das eigene Wissen Kommunikation im Praktikum ablesen lässt, über das Schreiben im Beruf zu systematisieren waren sich in der Tat alle unsere Interviewpart- und außerdem den Studierenden im Praktikum ner:innen außerhalb der Universitäten einig, zugänglich zu machen. Es sei hier kurz skizziert. unabhängig von Beruf, Fachgebiet, Unterneh- men/Betrieb/Schule, Anzahl der Jahre im Be- Writing Across the Professions (WAP) rufsleben oder Kontinent: Für das Schreiben im Beruf hatten sie im Studium kaum Hinweise er- Genre-Theorie und Genre-Analyse: Ein zen- halten. Stattdessen hatten sie sich die notwen- trales Element im WAP-Training führt die univer- digen Schreibkompetenzen für den Beruf sitären Lehrpersonen mit WIL-Aufgaben an Gen- mühsam selbst angeeignet, per trial & error, re-Theorie und Genre-Analyse heran. Sämtliche durch die Suche nach Mustertexten, das Beo- außeruniversitären Interviewpartner:innen in un- bachten von Vorgesetzten, den Austausch mit serer Studie gaben an, dass sie sich die Qualitäts- Kolleg:innen usw., wobei das Schulgeld für die standards des Schreibens im Beruf in Eigenregie 119
mühsam anhand bestehender Beispieltexte in ih- welchen konkreten Zielen, Werten, Normen und rem Umfeld angeeignet hatten – Texte, die sich in Praktiken ihres Praktikumsumfelds durch die spe- Angemessenheit und Zielsetzung von Situation zifischen schriftlichen Gepflogenheiten Ausdruck zu Situation unterschieden und deren positive verliehen wird. Die Studierenden sollen auch kon- und problematische Elemente sich nicht immer kret danach fragen, welche Aufgaben, Rollen deutlich erkennen ließen. Im Rahmen der Gen- und hierarchische Einordnungen ihnen im Prakti- re-Theorie nach Miller (1984) begreift man Ge- kum beim Schreiben zukommen. nres zuerst als Formen des sozialen Handelns. Dieses Genre-Verständnis verortet jeglichen Text Engagiertes Feedback zum Schreiben in WIL: als ein Einhaken in eine soziale Situation, geprägt Ebenso zentral wie die systematische Auseinan- von den Zielsetzungen und Motivationen der Be- dersetzung mit den Genres und Diskursgemein- teiligten sowie von expliziten und impliziten kom- schaften in der Praktikumsumgebung ist beim munikativen Anforderungen. Studierende, die WAP-Ansatz die Umsetzung empirisch gestützter auf der Grundlage des WAP-Trainings auf das Rückmeldungsstrategien auf studentisches Schreiben im Beruf vorbereitet werden, sollen die Schreiben. Ungeachtet der Tatsache, dass auße- Texte in ihrer Praktikumsumgebung auffinden runiversitäre Mentor:innen in ihrem Berufsalltag und danach analysieren, durch welche spezi- selbstverständlich den schriftlichen Anforde- fischen sprachlichen Ausgestaltungen auf welche rungen ihrer beruflichen Umgebung nachkom- kommunikativen Anforderungen situationsange- men, fehlt unter den Berufstätigen mitunter so- messen reagiert wird. wohl das Bewusstsein für die Komplexität und die stellenweise Undurchsichtigkeit professioneller Diskursgemeinschaften und Diskurs-Analy- schriftlicher Kommunikation als auch das Voka- se: Ein weiteres wesentliches Element des bular, um die Studierenden in der selbstständigen WAP-Trainings befähigt universitäre Lehrper- Erfassung der beruflichen Schriftlichkeit in ihren sonen mit WIL-Aufgaben dazu, die Studierenden spezifischen Kontexten zu unterstützen. Das in der Analyse von Diskursgemeinschaften und WAP-Training setzt hier sowohl bei den universi- communities of practice (Pogner, 2012) anzulei- tären Lehrkräften als auch bei den Mentor:innen ten. Um kompetent am schriftlichen Austausch in den Betrieben, Schulen und Unternehmen an. innerhalb ihrer Berufsfelder teilnehmen zu kön- Der kontinuierliche Dialog und die kritische Aus- nen, haben alle außeruniversitären Interviewpart- einandersetzung mit Qualitätsstandards nehmen ner:innen in unserer Studie nicht nur bestehende im engagierten Feedback einen hohen Stellen- Texte durchdacht, sondern ihre Beobachtungen wert ein. Studierende, die auf der Grundlage des und Analysen auf diejenigen Fachkräfte, Koope- WAP-Trainings auf das Schreiben im Beruf vorbe- rationspartner:innen, Kund:innen und Kli- reitet werden, sollen eine spezifischere und deut- ent:innen ausgeweitet, die ihren Austausch, ihre licher artikulierte Vorstellung davon haben, wel- Absprachen, Leistungserbringung, -dokumenta- che Hinweise sie bezüglich des Schreibens im Be- tion und -beurteilung anhand schriftlicher Doku- ruf weiterhin benötigen. Besonders wichtig ist mente organisierten. Im WAP-Verständnis konsti- auch, dass die Studierenden erkennen, dass auch tuieren sich Diskursgemeinschaften dadurch, Feedback- und Beurteilungsprozesse im Prakti- dass bedeutende Anteile ihrer Kooperation auf kum auf der Grundlage von Texten ausgehandelt schriftlichem Austausch beruhen, und dass die werden und Gestalt annehmen. entstehenden Schriftstücke durch die Ziele, Wer- te, Normen und Praktiken der Diskursgemein- Kritische Reflexion mit und von Schreiben schaft geprägt sind und diese ihrerseits prägen, im Praktikum: Durch das finale Element im oftmals unausgesprochen und für Außenstehen- WAP-Training gewinnen sowohl universitäre de schwer erkennbar. Studierende, die auf der Lehrpersonen mit WIL-Aufgaben als auch die Grundlage des WAP-Trainings auf das Schreiben Mentor:innen in Unternehmen, Schulen und Be- im Beruf vorbereitet werden, sollen in ihren Prak- trieben ein Verständnis von schriftlicher Reflexi- tikumskontexten also explizit danach fragen, on, die verschiedene Ebenen der Reflexion im 120
Praktikum transparent zu machen sucht: (a) zu- stand führen – ‚die Welt sieht anders aus‘ sobald nächst verständigen sich die inneruniversitären diese Schwellen überschritten werden“. Dement- und die außeruniversitären Betreuungspersonen sprechend zeichnen sich diese Schwellenkon- über die erheblichen Unterschiede zwischen der zepte u.a. dadurch aus, dass die Lernenden die kritischen Reflexion, die Studierende z.B. im Prak- mit den Schwellenkonzepten in Verbindung ste- tikumsportfolio bewältigen sollen, und der kri- henden Inhalte über lange Durststrecken hinweg tischen Bestandsaufnahme, die Unternehmen als schwierig, kompliziert, inkohärent oder unver- z.B. in der Qualitätssicherung betreiben. Beide ständlich erleben, solange die Lernenden die not- Formen der kritischen Auseinandersetzung sind wendigen Schwellenkonzepte noch nicht durch- als Textformen eigenen rhetorischen Anforde- drungen haben. In der Schreibwissenschaft und rungen unterworfen. Das WAP-Training unter- Schreibdidaktik gelten z.B. folgende Erkenntnisse stützt die Mentor:innen und die Lehrpersonen als „Portale“, die die Lernenden zunächst müh- dabei, die Studierenden sowohl mit der betrieb- sam durchschreiten müssen: Schreiben ist sozi- lichen, berufsrelevanten Reflexion als auch mit ales und rhetorisches Handeln (Roozen, 2015) der persönlichen, epistemischen Reflexion ver- oder auch Schreiben ist wissensgenerierendes traut zu machen. Handeln (Estrem, 2015) oder auch Schreiben be- Schlussendlich wollen wir auch diejenigen Lehr- einflusst andere Handlungen (Russell, 2015). Die personen an den Universitäten mit ins Boot ho- Vorstellung, dass man beim Schreiben in der Re- len, die bereits ein vertieftes Verständnis von den gel nicht einfach nur fertig ausgeformte Gedan- Begrifflichkeiten der Schreibkompetenzentwick- ken im stillen Kämmerlein schnell „runter- lung haben. Das WAP-Training speist sich folglich schreibt“, ist für zahlreiche Schreibnovizen lange nicht allein aus schreibwissenschaftlichen und schwer nachzuvollziehen. Und der Gedanke, dass schreibdidaktischen Diskursen, sondern bedient Texte als Handlungsbündel begriffen werden sich auch explizit der WIL-Kategorisierung und können, deren sprachliche Ausformungen in der damit verbundenen Handlungsanregungen. konkreten sozialen Kontexten funktionieren sol- Dementsprechend können Lehrpersonen, die die len, ist für viele Schreibende anfänglich ein harter Vorbereitung der Studierenden auf das Schreiben Brocken. Wiewohl sich also die Schreibdidaktik im Beruf bereits unterstützen, durch die Begriff- und Schreibwissenschaft dieser Schwellenkon- lichkeiten der WIL-Literatur ihre schreibdidak- zepte bewusst sind, nehmen wir an, dass die tischen Angebote genauer auf konkrete berufs- Palette der Schwellenkonzepte, die sich bereits relevante Gesichtspunkte abstimmen. Noch ganz etabliert haben, neu bewertet, verfeinert und um zu Beginn der zweiten Datenauswertungsrunde neue Schattierungen erweitert werden kann, so- können wir folgende generelle Überlegungen bald sich Schreibdidaktiker:innen und Schreibwis- bereits konturieren: senschaftler:innen mit den konkreten Konzepten beschäftigen, die spezifisch die WIL-Literatur an- Überarbeitung und Neubewertung gän- bietet. Ein vielversprechender Kandidat scheint giger Schwellenkonzepte und schreibdidak- uns z.B. der Begriff der pre-professional identity tischer Angebote in der Hochschullehre: Be- zu sein, der in der WIL-Literatur genutzt wird, um sonders in der anglophilen Schreibdidaktik, aber den Status der Studierenden nicht allein als beruf- vereinzelt auch in der kontinental-europäischen liche „Außenseiter:innen“ oder „Noviz:innen“ zu bzw. deutschsprachigen Schreibdidaktik bildet verstehen. Jackson (2016) z.B. konzeptualisiert das Verständnis von Schwellenkonzepten in der die prä-professionelle Identität als eine Version Schreibkompetenzentwicklung eine wichtige Be- der professionellen Identität, wenn auch eine we- zugsgröße in der Entwicklung von Lehr-/Lernma- niger ausgereifte. So geht es darum, dass Studie- terial und Bewertungsrastern. Wie Meyer/Land rende durch curriculare Impulse ein professio- (2006: 19; eigene Übersetzung) versteht auch die nelles Selbstverständnis entwickeln, das sich Schreibdidaktik Schwellenkonzepte als „,konzep- fruchtbar mit ihren Berufsvorstellungen verknüp- tuelle Tore‘ oder ‚Portale‘, welche zu einer grund- fen lässt nach dem Motto „Ich studier‘ hier nicht sätzlich veränderten Sichtweise auf einen Gegen- nur, ich bereite mich konkret auf xyz vor“ und 121
verinnerlichen: „In Teilen bin ich bereits professi- Estrem, H. (2015). Writing is a knowledge-making activity. In: L. Adler-Kassner & E. Wardle (2016) (pp. 89–104). Logan: onell, mein Text bildet bereits meine beruflichen Utah State University Press. Schreibfertigkeiten ab, das Portfolio dient bereits Hart Research Associates (2018). Fulfilling the American meiner schriftlichen Professionalisierung als xyz.“ Dream: Liberal education and the future of work. Washington, WIL-Konzepte können dabei helfen, wichtige Un- DC: Association of American Colleges and Universities. Haskell, R. (2001). Transfer of Learning: Cognition, Instructi- terschiede im Selbstverständnis der Prakti- on, and Reasoning. San Diego, CA: Academic. kant:innen sichtbar zu machen, diese Unter- Jackson, D. (2016). Re-conceptualising graduate employabi- schiede konkret auf die Qualität der schriftlichen lity: the importance of pre-professional identity. Higher Education Research and Development 35(5). Arbeiten der Studierenden zu beziehen und da- Kruse, O. (2007). Schreibkompetenz und Studierfähigkeit: raus didaktische Handlungsempfehlungen abzu- Mit welchen Schreibkompetenzen sollten die Schulen ihre leiten. Absolvent/innen ins Studium entlassen? Texte schreiben, 117–143. Meyer, J. H. F. & Land, R. (Eds.) (2006). Overcoming Barriers Ausblick to Student Understanding: Threshold Concepts and Trouble- some Knowledge. London: Routledge. Das WIL-Schema und das TfT-Modell bieten Miller, C. R. (1984). Genre as social action. Quarterly Journal of Speech 70, 151–167. zahlreiche Anknüpfungspunkte, um diese bei- Moore, J. L. & Felten, P. (2019). Understanding Writing Trans- den Annäherungsrahmen miteinander zu ver- fer as a Threshold Concept across the Disciplines. In: J. Tim- schränken und damit informative Daten zum mermans & R. Land (Eds.) Threshold Concepts on the Edge (pp. 341–352). Leiden, NL: Brill Sense. Schreiben im Praktikum und zum Schreiben Nowacek, R. (2011). Agents of Integration: Understanding im Beruf zu gewinnen und entsprechende Transfer as a Rhetorical Act. Carbondale, IL: Southern Illinois Lehrkonzepte zu entwickeln. Diese Aufgabe University Press. nimmt die MMIRKL-Forschungsgruppe mit Perkins, D. N. & Salomon, G. (1992). The science and art of transfer. In: A. L. Costa, J. Bellanca & R. Forgarty (Eds.) If Elan an. minds matter: A forward to the future (pp. 201–209). Volu- me 1. Palatine, IL: Skylight Publishing. Pogner, K. (2012). A social perspective on writing in the Literatur: workplace: Communities of Discourse (CD) and Communi- Adler-Kassner, L. & Wardle, E. (Eds.) (2016). Naming ties of Practice (CoP). In: A. Rothkegel & S. Ruda (Eds.) Com- What We Know: Threshold Concepts of Writing Stu- munication on and via technology (Text, Translation, Compu- dies. Logan: Utah State University Press. tational Processing 10) (pp. 83–107). Berlin & Boston: De- Anson, C. M. & Forsberg, L. L. (1990). 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