"There and Back Again" oder Wie man Schreiben im Beruf als Brücke zwischen unterschiedlichen Lernkontexten nutzen kann

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"There and Back Again" oder Wie man Schreiben im Beruf als Brücke zwischen unterschiedlichen Lernkontexten nutzen kann
Gießener
                                                                                                Universitätsblätter
                                                                                                54 | 2021
Ina Alexandra Machura, Michelle J. Eady,
Michael-John DePalma, Radhika Jaidev, Lilian W. Mina, Kara Taczak

„There and Back Again” oder
Wie man Schreiben im Beruf als Brücke zwischen
unterschiedlichen Lernkontexten nutzen kann

Wie heißt es so schön: Wer schreibt, der bleibt!             sein, dass das Schreiben zu ihrem zukünftigen
Diese Binsenweisheit mag manche Studieren-                   Berufsalltag höchstwahrscheinlich dazugehö-
de über die Angst vor dem weißen Blatt hin-                  ren wird. Dabei könnten sich die skeptischen
wegretten, wenn sie sich auf schriftliche Klau-              Studierenden anhand verschiedener Erhe-
suren vorbereiten, über ihren Hausarbeiten                   bungen durchaus davon überzeugen, dass z. B.
brüten oder einem Laborprotokoll den Fein-                   Lehrer:innen, Anwält:innen, Politiker:innen,
schliff verpassen. Während viele Studierende                 Architekt:innen, Ingenieur:innen, Ärzt:innen,
wahrnehmen, wie ihre Schreibkompetenzen                      Pflegepersonal, IT-Spezialist:innen und Mana-
den Verlauf ihres Studiums beeinflussen kön-                 ger:innen (Schrijver & Leijten, 2019) ausführ-
nen, haben manche Studierende nur eine vage                  liche schriftliche Kommunikation als eine fun-
Vorstellung davon, inwiefern fortgeschrittene                damental wichtige Tätigkeit in ihrem Berufsle-
Schreibkenntnisse in ihren angestrebten beruf-               ben angeben. Groß angelegte Erhebungen be-
lichen Kontexten eine integrale Rolle spielen.               stätigen außerdem, dass auch Unternehmen
Sofern die Studierenden keine Karriere als                   und Arbeitgeber:innen ausgeprägte Schreib-
Journalist:innen oder, Gott bewahre, Wissen-                 kompetenzen als sehr wichtig für die employa-
schaftliche Mitarbeiter:innen anstreben, mag                 bility von Studierenden einstufen (Hart Insti-
es für manche von ihnen schwer vorstellbar                   tute, 2018).

Forschungsgruppe MMIRKL, von links nach rechts: Dr. Radhika Jaidev (Technische Kommunikation, Singapore Insti-
tute of Technology: Singapur); Dr. Michael-John DePalma (Englisch und Writing & Rhetoric, Baylor University: TX, US);
Dr. Kara Taczak (Rhetoric & Composition, University of Denver: CO, US); Dr. Michelle J. Eady (Bildungswissenschaften,
University of Wollongong: Australien); Ina Alexandra Machura (fremdsprachliches Schreiben, JLU Gießen und Univer-
sität Siegen); Dr. Lilian Mina (Writing Program Administrator, Auburn University: AL, US).               (Foto: privat)

                                                                                                                  111
"There and Back Again" oder Wie man Schreiben im Beruf als Brücke zwischen unterschiedlichen Lernkontexten nutzen kann
Um sich also bestmöglich auf den Berufsein-        tikum setzt die Forschungsgruppe MMIRKL
stieg vorzubereiten, sollten Studierende sich      an und bringt sechs Fachwissenschaft-
rechtzeitig fortgeschrittene Schreibkennt-         ler:innen aus unterschiedlichen nationalen,
nisse aneignen, wozu sich ihnen an der Uni-        institutionellen und fachwissenschaftlichen
versität mindestens zwei Möglichkeiten bie-        Diskursen zusammen.
ten:                                               Die Kooperation der MMIRKL-Gruppe ge-
Zum einen bietet das akademische Schreiben         deiht unter der Schirmherrschaft des Center
gezielt die Möglichkeit, an der Präzision bei      of Engaged Learning (CEL) der Elon University
der Wortwahl, der verständlichen Verknüp-          (NC, USA) im Rahmen des Forschungssemi-
fung von Argumenten oder der Unterschei-           nars Writing Beyond the University (WBU).
dung zwischen relevanten und irrelevanten          MMIRKL ist eine von insgesamt sechs Grup-
Informationen für den eigenen Text zu arbei-       pen, die unterschiedliche Verschränkungen
ten. Die begriffliche Unterscheidung zwi-          zwischen dem Schreiben in und außerhalb
schen akademischem Schreiben auf der einen         der Universität in den Blick nehmen und ver-
Seite und wissenschaftlichem Schreiben auf         schiedene anwendungsorientierte Antworten
der anderen kann für Studierende durchaus          auf die Frage bieten wollen: Wie kann das
hilfreich sein: Beim wissenschaftlichen Schrei-    Training professioneller schriftlicher Kommu-
ben beziehen sich Fachwissenschaftler:innen        nikation an den Universitäten und Hochschu-
untereinander zumeist auf einen gemein-            len zielführender in die Studiengänge inte-
samen Wissenshintergrund und müssen Prä-           griert werden, damit die Studierenden mit
missen und bekannte Argumentationsketten           dem Berufseinstieg auch souverän in die
daher nicht explizit entflechten. Im Gegen-        Schreibkonventionen ihres Arbeitsplatzes ein-
satz dazu zeichnen sich gute studentische          steigen können?
Texte beim akademischen Schreiben z. B. da-
durch aus, dass die Studierenden verschie-
dene Quellen ausführlich erklären, Fachbe-
griffe klar definieren und unterschiedliche Pu-
blikationen explizit miteinander in Beziehung
                                                   Die Kooperation der MMIRKL-Gruppe gedeiht unter der
setzen. In puncto Nachvollziehbarkeit, Klar-       Schirmherrschaft des Center of Engaged Learning (CEL)
heit und Verständlichkeit gleichen die Ziele       der Elon University (NC, USA) im Rahmen des For-
beim akademischen Schreiben also den Zielen        schungsseminars Writing Beyond the University (WBU).
beim Schreiben im Beruf, denn ein nachvoll-
ziehbarer, klarer und verständlicher Text ist im   Was das Schreiben insbesondere im Praktikum
Berufsalltag ein mächtiges und manchmal das        für die Forschungsgruppe MMIRKL so interes-
einzige Werkzeug.                                  sant macht: Anders als nach dem Studien-
Zum anderen sehen zahlreiche Studienver-           abschluss kehren die Studierenden nach dem
laufspläne, entweder optional oder sogar ob-       Praktikum wieder an die Uni in ihre Kurse zu-
ligatorisch, Praxisphasen in Form von Praktika     rück. Dort werden sie erneut aufgefordert,
o. Ä. vor, in welchen Studierende zuweilen         sich der universitätseigenen Textsorten zu be-
mit curricularer Vor- und Nachbereitung oder       dienen und Hausarbeiten, Essays und Proto-
auch komplett in Eigenregie die Fahrwasser         kolle zu verfassen. Es stellt sich also nicht nur
ihres zukünftigen Berufsalltags testweise          die Frage, ob die Studierenden die Fertig-
durchschiffen können. Im Praktikum gehört          keiten, die sie im akademischen Schreiben
dann professionelle schriftliche Kommunika-        üben, auch in berufliche Kontexte transferie-
tion ebenso zum Arbeitspensum wie die An-          ren. Es stellt sich außerdem die Frage, ob die
wendung fachpraktischer Kenntnisse im La-          Praktikumserfahrungen mit dem Schreiben im
bor, Office oder Klassenzimmer.                    Berufskontext den Blick der Studierenden auf
Genau an dieser Schnittstelle zwischen Schrei-     das Schreiben an der Universität verändern.
ben an der Universität und Schreiben im Prak-      Bei der Rückkehr aus dem Praktikum an die

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Beteiligte Institutionen in MMIRKL (Druckgenehmigungen wurden von den Institutionen erteilt).

Universität bietet sich also die Möglichkeit des         können (Beaufort, 2007; Bawarshi & Reiff,
rekursiven Transfers. Nicht nur aus den Semi-            2010). Außerdem zeigen die Studien gerade
naren ins Praktikum, sondern aus dem Prakti-             für den Transfer von Schreibkompetenzen in
kum zurück ins Seminar. Zu diesem Potential              den Beruf, wie Motivation oder Selbsteffizienz-
des rekursiven Transfers schweigt der scho-              wahrnehmung beeinflussen, inwiefern es Stu-
larship of writing transfer bis jetzt, und ge-           dierenden gelingt, sich ihre bereits erwor-
nau hier setzt unsere Forschungsgruppe an.               benen Schreibkompetenzen in unterschied-
Was der scholarship of writing transfer in sei-          lichsten Umgebungen zielgerichtet zu Nutze
ner gegenwärtigen Form allemal bietet, ist ei-           zu machen (Baird & Dilger, 2017). Die Publika-
ne vielseitige Auffächerung an theoretischen             tionen dazu, wie Studierende sich das Schrei-
Zugängen, Forschungsdesigns und empi-                    ben in ihrem Berufsfeld aneignen, zeigen
rischen Befunden sowie didaktischen Model-               auch: je mehr konkrete kontextspezifische
len und Empfehlungen für eine solide Unter-              Anknüpfungspunkte die Universität und die
stützung der Studierenden bei dem Versuch,               Unternehmen in puncto professionelle schrift-
ihre Schreibkompetenzen derart zu ver-                   liche Kommunikation bieten, desto eher wer-
feinern, dass sie sich damit sowohl in inner-            den Transferprozesse begünstigt (Elon State-
als auch in außeruniversitären Schreibkontex-            ment on Writing Transfer, 2014). Und umge-
ten souverän bewegen können. Schreibwis-                 kehrt: Wenn weder die Uni noch die Unter-
senschaftler:innen in Nordamerika (Moore &               nehmen schriftliche Qualitätsstandards und
Felten, 2019), Australasien (Thomas, 2019)               Anknüpfungspunkte explizit machen, treten
und Europa (Kruse, 2007) zeigen, unter wel-              die Studierenden beim Schreiben im Beruf
chen Bedingungen Studierende speziell ihre               häufiger in diverse schriftliche Fettnäpfchen
Schreibkompetenzen an unterschiedliche aka-              (Nowacek, 2011).
demische, fachdisziplinäre, berufliche, private          So weit will man es ja nicht kommen lassen.
und gesellschaftliche Kontexte anpassen und              Idealerweise sollten Studierende also bereits
ihre Kenntnisse dort zur Anwendung bringen               in der Vorbereitung, während und in der

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Nachbereitung ihrer Praktika systematisch          hende Beschreibungen von Praxisphasen im
einüben, ihre Schreibkompetenzen bestmög-          Studium eigentlich funktional sind.
lich berufsrelevant einzusetzen, bevor es          Auf der Grundlage der unterschiedlichen Fach-
mit dem Berufseinstieg dann darauf an-             hintergründe unserer MMIRKL-Mitglieder ver-
kommt. Schriftliche Arbeiten sind aus dem          folgen wir also zwei Zielsetzungen: Einerseits
Praktikumskontext ohnehin nicht wegzuden-          wollen wir bestehende Klassifikationsschemata
ken: Erwartungshorizonte, Tätigkeitsbe-            für berufsbezogenes Lernen derart anpassen,
schreibungen, Rechte und Pflichten werden          dass sie es Außenstehenden nutzerfreundlich
in der Form von ausführlichen Verschriftli-        erlauben, nachzuvollziehen, in welchem ge-
chungen festgehalten, zu denen zuweilen            nauen Maß die Studierenden in ihren Praktika
nicht nur die Studierenden, sondern auch die       Aufgaben der professionellen schriftlichen
Lehrpersonen an der Uni und die Men-               Kommunikation kennenlernen und wahrneh-
tor:innen in den Unternehmen, Betrieben, In-       men durften. Andererseits wollen wir sowohl
stitutionen und Schulen beitragen. Umfang-         den Lehrpersonen an den Universitäten als
reiche Praktikumsportfolios dokumentieren,         auch den Kontaktpersonen in den Unterneh-
wie sich Studierende den Praktikumskontext         men, Betrieben, Institutionen und Schulen em-
fachwissenschaftlich erschließen. Nicht zu-        pirisch gestützte Leitfäden an die Hand geben,
letzt erfolgt die Bewertung der studentischen      damit sie die Studierenden bestmöglich dabei
Leistungen im Praktikum oft auf der Grundla-       unterstützen können, sich auf das Schreiben im
ge ihres schriftlichen Outputs – und auch die      Beruf vorzubereiten. Für unsere erste Zielset-
Bewertungen von Seiten der Unternehmen             zung nutzen wir das Work Integrated Learning
liegen häufig in der Form schriftlicher Beurtei-   (WIL) Framework mit seinen Ausdifferenzie-
lungen vor.                                        rungen. Für die zweite Zielsetzung ist in un-
Was das Schreiben insbesondere im Prakti-          seren Augen der zielführendste Ansatz der des
kum außerdem für die Forschungsgruppe              Teaching for Transfer (TfT).
MMIRKL so interessant macht: Der Begriff
Praktikum spezifisch in Bezug auf das berufs-      Work Integrated Learning (WIL)
bezogene Lernen an der Universität scheint in
maximaler Dehnbarkeit eine so schillernde          Vor allem in Kanada und in Australien imple-
Fülle an praxisorientierten Lernformaten in        mentiert, erlaubt die WIL-Kategorisierung an-
sich aufzunehmen, dass es für unterschied-         hand eines Klassifikationsschemas, den Ver-
liche stakeholder zuweilen schwer sein kann,       lauf, die Gestaltung, die Einbindung und die
nachzuvollziehen, welche Lerninhalte die Stu-      Bewertung der im Studiengang vorgeschrie-
dierenden sich im Praktikumszeitraum eigent-       benen Praktika u. a. danach einzuordnen, wie
lich angeeignet haben. In der englischspra-        authentisch das Praktikumsformat einzelne
chigen Literatur finden sich z. B. Differenzie-    Berufsfelder abbildet, wie engmaschig die
rungen zwischen cooperative education, ser-        Studierenden von Praktikumsbeauftragten
vice learning, practicums, immersion oder          und Mentor:innen begleitet werden und wie
placements (siehe Eady et al., in Druck). In der   umfangreich die Studierenden Gelegenheit
deutschsprachigen Literatur unterscheidet          bekommen, authentische berufliche Aufga-
man z. B. zwischen Fachpraktika, (Schul-)          ben zu übernehmen. Besonders wichtig: Das
Praktischen Studien, Praxisphasen oder be-         Framework systematisiert auch, inwiefern
trieblichem Lernen. Wodurch sich diese For-        Räume zur kritischen Auseinandersetzung mit
mate auszeichnen und wie genau die Studie-         dem beruflichen Umfeld geschaffen werden.
renden ihr universitäres Fachwissen im Prakti-     Studierende sollen auch ein Verständnis dafür
kum einsetzen können, ist nicht immer klar         entwickeln, inwiefern die Wissensbestände,
ersichtlich. Für uns ist also nicht nur interes-   Normen und Praktiken in ihren Praktikums-
sant, wie Studierende im Praktikum schrei-         umfeldern unzulänglich, problematisch oder
ben. Wir fragen uns auch, inwiefern beste-         ungeklärt sind.

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      Klassifikationstabelle für Work Integrated Learning-Formate (Dean et al., 2018, 20).
An Universitäten in Australien und Kanada wird        sind zu berücksichtigen: Textsorte, rhetorische Si-
dieses Framework z.B. bereits an Studieninteres-      tuierung, Anforderung, Kritische Analyse, Dis-
sierte ausgegeben, damit sie konkrete Informati-      kursgemeinschaft, Wissen, Kontext, Verfassen &
onen über die Praxisanteile im Studium in ihre        Gestalten, Zirkulieren und Reflexion.
Studienfach- und Studienortwahl einbeziehen           Der dritte Pfeiler des Frameworks: Reflexion. Die
können. Komplementär dazu werden die Fach-            spezifische reflexive Haltung des TfT fußt zu-
bereiche dazu angehalten, die Praxisanteile ihrer     nächst darauf, dass man sich mit dem festen Vor-
Studiengänge in die WIL-Kategorien einzuord-          satz in die Lernsituation hineinbegibt: „Was mir
nen, um den Lehrpersonen und Studierenden ei-         hier begegnet, das klopfe ich gleich selbstständig
nen verständlichen Überblick zu geben (M. Eady,       darauf ab, ob ich es auch in anderen Kontexten
persönliche Mitteilung).                              für mich nutzen kann. Ich warte nicht darauf,
                                                      dass mir jemand einen entsprechenden Hinweis
Teaching for Transfer (TfT)                           gibt. Und sollte ich zunächst keine Bezüge her-
                                                      stellen können, dann frage ich danach und war-
Beim TfT-Ansatz (Yancey et al., 2014) handelt es      te auch nicht darauf, dass sich jemand spontan
sich um ein schreibdidaktisches Modell, in wel-       dazu äußert.“ Außerdem gibt das Framework
chem nicht davon ausgegangen wird, dass Stu-          gleich einer 360°-Drehung unterschiedliche ko-
dierende ohne spezifische Anleitung und Kon-          gnitive Richtungen vor, nach denen die Studie-
textualisierung dazu in der Lage sind, ihre           renden ihre Schreibsituationen wiederholt durch-
Schreibkompetenzen optimal von Kontext zu             denken sollen:
Kontext zu transferieren. Der Ansatz bedient sich
der Begrifflichkeiten und Zugänge der bildungs-         (1) look backward to recall previous know-
orientierten Transferforschung nach Perkins/Sa-         ledge, which could include prior writing ex-
lomon (z.B. 1992) und Haskell (2001), denen zu-         periences, different reading assignments,
folge Transferleistungen von unterschiedlicher          and past knowledge about writing; (2) look
Komplexität durch didaktisch aufbereitete Im-           inward to review the current writing situati-
pulse z.B. des bridging („Brücken schlagen“)            on they are working in; (3) look forward to
und hugging (hier „annähern“) begünstigt wer-           project how their current knowledge about
den können und sollten. Was leistet das Frame-          writing connects to other possible academic
work genau?                                             writing situations; and (4) look outward to
Zunächst regt es Studierende dazu an, ihre eige-        theorize how the role of their current identi-
ne theory of writing zu entwickeln, also eine           ties as reflective writing practitioners con-
grundlegende reflektierte Einstellung dazu, auf         nects to larger academic writing situations.
welche Weise Schreiben in unterschiedlichen
Kontexten funktioniert und diese Kontexte mit-        (Taczack and Robertson, 2016, 47; emphasis in the original)
prägt. Schluss mit der Unsichtbarkeit des Schrei-
bens!                                                 Verflechtung von WIL
Zweitens liefert das Framework eine Reihe empi-       und TfT in der Datenerhebung
risch extrapolierter Schlüsselkonzepte als men-
tales Gerüst für selbstreguliertes Lernen. Aus        Anders als die bestehenden Studien und Publi-
weitreichenden Umfragen unter Studierenden            kationen zum Schreiben im Praktikum bringt un-
zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Studienver-       sere Forschungsgruppe explizit den WIL-Diskurs
lauf haben Yancey et al. (2014) diejenigen Schlüs-    mit der Forschungstradition zum writing trans-
selkonzepte identifiziert, die die Studierenden als   fer ins Gespräch. Wir haben die Schlüsselkon-
besonders ergiebig und nützlich erfahren haben,       zepte und kognitiven Richtungen genutzt, um
um sich mit ihnen die Anforderungen diverser          reflexive Fragebögen zu formulieren, die unter-
Schreibsituationen systematisch zu erschließen.       schiedliche Studierende vor, während und nach
So muss die intendierte Zielgruppe ausreichend        ihren Praktika beantwortet haben (n ≈ 50). In
klar sein, aber auch weitere Schlüsselkonzepte        diesen Fragebögen dokumentierten die Studie-

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renden, welche Schreibkenntnisse sie zu unter-          Betrieben, Unternehmen und Schulen (n ≈ 20),
schiedlichen Zeitpunkten im Praktikum aktivie-          um zu dokumentieren, wie diese selbst das
ren konnten oder wollten und inwiefern sie da-          Schreiben für den Beruf gelernt hatten und wie
von ausgehen, dass das Schreiben im Praktikum           konkret sie die Studierenden dahingehend un-
auch ihr Schreiben an der Universität prägen            terstützen. Dr. Michelle Eady (UOW, AU), Ina
wird. Um Letzteres zu überprüfen, führten wir           Alexandra Machura (JLU) und Dr. Lilian Mina
(abstandsregelkonforme) 60-minütige Inter-              (AUM, US) haben Daten innerhalb der Schul-
views mit den Studierenden, sobald sie einige           praktischen Studien an ihren jeweiligen Standor-
Wochen nach dem Praktikum wieder voll in ihr            ten erhoben. Dr. Radhika Jaidev (SIT, SG) und Dr.
Universitätssemester eingestiegen waren.                Michael-John DePalma (Baylor, US) haben Daten
Zudem nutzen wir die Schlüsselkonzepte und              innerhalb von Praktika in Industrie- und Kom-
die WIL-Klassifikation zur Strukturierung von           munikationsunternehmen erhoben.
leitfadengestützten Interviews mit universitären        Folgende Daten finden sich in unserem Daten-
Lehrpersonen (n ≈ 20) und Mentor:innen aus              pool:

 Zeitpunkt                           Teilnehmende                       Erhebung
 VOR dem Praktikum                   Studierende                        Erwartungsabfrage (1x)
                                                                        360° Reflexion Beginn (1x)
 WÄHREND des Praktikums              Studierende                        360° Reflexion Fortschritt (1x)
                                                                        360° Reflexion Abschluss (1x)

                                     Studierende                        Erfahrungsabfrage (1x)
                                                                        Arbeitsproben
 Unmittelbar NACH dem Praktikum      Lehrpersonen an der Universität    Leitfragen-Interview
                                     Mentor:innen in den Betrieben,
                                                                        Leitfragen-Interview
                                     Unternehmen & Schulen
 6 Wochen nach Beginn des
                                     Studierende                        Leitfragen-Interview
 Folgesemesters

Datenerhebung unter den Studierenden in Bezug auf das Fachpraktikum.

                                                                                                          117
Tendenzen und erste Befunde
                                                           „Auf jeden Fall beim Verfassen der Unter-
                                                           richtseinheiten. Da war es davor immer
Trotz der mannigfaltigen Herausforderungen des
                                                           nur sehr theoretisch, also man hat das
Jahres 2020 konnten wir dem umfangreichen                  zwar alles im Studium schon gemacht,
Datensatz bereits einige Tendenzen abgewinnen:             aber so richtig irgendwie […] einen Sinn
                                                           dahinter gab es nicht. Aber dann da-
Tendenz 1: Je nach Erhebungskontext wird                   durch, dass ich es dann selbst ausformu-
die Relevanz des Schreibens im Beruf den Stu-              lieren musste und auch wirklich einen Be-
dierenden während des Praktikums mal mehr                  zug dazu hatte, konnte ich irgendwie to-
und mal weniger zugänglich gemacht.                        tal viel mitnehmen. Jetzt, wenn ich in Zu-
                                                           kunft noch welche schreibe, wie ich das
  „Ich weiß nicht genau, wo ich Wissen übers               aufbauen muss, wie ich das formulieren
  Schreiben im Praktikum hätte hernehmen                   soll am besten. Ja, das hat mir weiterge-
                                                           holfen.“
  sollen beziehungsweise konkretes Wissen
  übers Schreiben im Praktikum irgendwie                 Lehramt-Studierende (JLU) im Interview 6 Wochen nach
  hätte erfahren sollen, denn die Schule ist ja          dem Fachpraktikum
  doch sehr sprachlich ausgelegt. Und des-
  halb habe ich jetzt irgendwie den Eindruck,            In den folgenden Schritten des Projekts wird
  dass sich in meinem Schreibverhalten und               sich unser MMIRKL-Team darauf konzentrie-
  meiner Schreibweise, gerade was die Pro-               ren, auf der Grundlage der Daten Handrei-
  duktion von Texten angeht, nicht wirklich              chungen zu formulieren, die es den Studieren-
  viel verändert hat.“                                   den erlauben, selbstständig nach der professio-
                                                         nellen schriftlichen Kommunikation in ihrem
Lehramt-Studierende (JLU) im reflexiven Fragebogen un-
mittelbar nach dem Fachpraktikum                         Praktikumsumfeld Ausschau zu halten und den
                                                         Lernzuwachs diesbezüglich nicht dem Zufall zu
                                                         überlassen.
Während einigen Studierenden, wie im obigen
Beispiel, kein Einblick in die professionelle            Tendenz 2: Je nach Erhebungskontext wird
schriftliche Kommunikation im Berufsalltag er-           die Relevanz des Schreibens für die Bewälti-
möglicht wurde, berichteten andere Studie-               gung und Bewertung des Praktikums den
rende von eindrücklichen Erfahrungen mit                 Studierenden mal mehr, mal weniger be-
dem Schreiben im Beruf, z. B. durch schriftliche         wusst.
„Unfälle“ im Praktikumszeitraum:
                                                           „Mit meinem Praktikum hat sich mein
  „In meinem Praktikum gab es einen Zwi-                   Verständnis von gutem Schreiben verän-
  schenfall, als ein Produkt mit falschen Spe-             dert […]. Wenn man beim Schreiben ein-
  zifikationstexten ausgeliefert wurde. Ich                fach nur Fakten aufzählt, ohne Überzeu-
  glaube nicht, dass es zu diesem Fehler ge-               gungskraft, dann verfehlt der Text seinen
  kommen wäre, wenn wir uns klarer und                     Zweck und überzeugt den Leser nicht
  prägnanter ausgedrückt hätten. Genau da                  vom Inhalt. Diese Veränderung in meinen
  kommt gutes Schreiben ins Spiel.“                        Ideen passierte, als ich eine E-Mail an mei-
Engineering-Studierende (SIT, Singapur) im Erfahrungs-
                                                           nen Mentor geschrieben habe […]. Er hat
bericht unmittelbar nach dem Praktikum                     den Inhalt der E-Mail nicht verstanden
                                                           und ich musste alles noch mal mündlich
                                                           erklären. Das war ein Ansporn, meine
Andere Studierende berichteten, dass ihnen
                                                           Schreibfertigkeiten zu stärken.“
gerade das Schreiben im Praktikum einen
kohärenteren Blick auf das Schreiben an der              Hydrologie-Studierende (SIT, Singapur) im Erfahrungsbe-
Universität ermöglicht habe:                             richt unmittelbar nach dem Praktikum

118
„Unfälle“, in der Regel, voll entrichtet werden
  „Als Lehramtstudierende wird man da im-              musste.
  mer darauf getrimmt, dass das Praktikum
  logischerweise der praktische Anteil ist.              „Schreibenlernen für den Beruf war wie
  Aber vorher wird nie so wirklich über diese            eine Feuertaufe.“
  schriftliche Arbeit geredet. Und dann
  nachher, wenn das Praktikum rum ist, ist             James (US), Herausgeber in einem Universitätsverlag
  eigentlich alles, was man gemacht hat,
  oder das Meiste davon, relativ irrelevant,
  sondern das, was man schriftlich festhält,             „Ich habe als Stabsmitglied eines Regie-
  ist quasi das, was so wirklich passiert ist.           rungsbeamten mal ein Schreiben für ihn
  […] ich habe so den Eindruck, dass das,                vorbereitet. Er hat es mir zurückgegeben,
  was da steht, wichtiger ist als das, was ich           das ganze Ding war rot angestrichen.“
  gemacht habe.“
                                                       Angela (US), public policy director in einer Nicht-Regie-
Lehramt-Studierende (JLU) im Interview 6 Wochen nach   rungsorganisation
dem Fachpraktikum Lehramt

In den folgenden Schritten des Projektverlaufs         Eindrücklich war außerdem die Vielfalt an schrift-
wird sich unser MMIRKL-Team darauf konzen-             lichen Aufgaben, die sämtliche außeruniversi-
trieren, auf der Grundlage der Daten Handrei-          tären Interviewpartner:innen als selbstverständ-
chungen zu formulieren, die es den Studieren-          lichen, konstanten Teil ihres Arbeitsalltags auf-
den erlauben, nicht nur die schriftliche Kom-          zählten, in der Form von Anträgen, Protokollen,
munikation an ihrem Arbeitsplatz im Prakti-            Beurteilungen, Verträgen, Briefen & E-Mails, Auf-
kum professionell zu gestalten, sondern auch           gabenstellungen, Flyern & Informationsmaterial,
im Kontakt mit den Mentor:innen und Prakti-            Förderplänen, Werbematerial, Betriebs- und
kumsbeauftragten, die die Praktikumslei-               Schulordnungen, Lehrplänen, Begründungen,
stungen letztendlich benoten.                          Rechtfertigungen usw.
                                                       In den nächsten Schritten des Projektverlaufs
Tendenz 3: Schreiben für den Berufsalltag              wird sich unser MMIRKL-Team auch darauf kon-
wird nur unsystematisch an den Universitäten           zentrieren, auf der Grundlage der Daten ein Fort-
vermittelt.                                            bildungsprogramm sowohl für Lehrpersonen an
Während sich unter den ca. 50 Studierenden             der Universität als auch für Mentor:innen in den
entsprechend der unterschiedlichen natio-              Institutionen, Betrieben, Unternehmen und Schu-
nalen, institutionellen und fachspezifischen Si-       len zu entwerfen. Dieses geplante Programm mit
tuierungen eine große Bandbreite von Erfah-            dem Titel Writing Across the Professions (WAP)
rungen mit der professionellen schriftlichen           wird Gelegenheit dazu geben, das eigene Wissen
Kommunikation im Praktikum ablesen lässt,              über das Schreiben im Beruf zu systematisieren
waren sich in der Tat alle unsere Interviewpart-       und außerdem den Studierenden im Praktikum
ner:innen außerhalb der Universitäten einig,           zugänglich zu machen. Es sei hier kurz skizziert.
unabhängig von Beruf, Fachgebiet, Unterneh-
men/Betrieb/Schule, Anzahl der Jahre im Be-            Writing Across the Professions (WAP)
rufsleben oder Kontinent: Für das Schreiben im
Beruf hatten sie im Studium kaum Hinweise er-          Genre-Theorie und Genre-Analyse: Ein zen-
halten. Stattdessen hatten sie sich die notwen-        trales Element im WAP-Training führt die univer-
digen Schreibkompetenzen für den Beruf                 sitären Lehrpersonen mit WIL-Aufgaben an Gen-
mühsam selbst angeeignet, per trial & error,           re-Theorie und Genre-Analyse heran. Sämtliche
durch die Suche nach Mustertexten, das Beo-            außeruniversitären Interviewpartner:innen in un-
bachten von Vorgesetzten, den Austausch mit            serer Studie gaben an, dass sie sich die Qualitäts-
Kolleg:innen usw., wobei das Schulgeld für die         standards des Schreibens im Beruf in Eigenregie

                                                                                                           119
mühsam anhand bestehender Beispieltexte in ih-        welchen konkreten Zielen, Werten, Normen und
rem Umfeld angeeignet hatten – Texte, die sich in     Praktiken ihres Praktikumsumfelds durch die spe-
Angemessenheit und Zielsetzung von Situation          zifischen schriftlichen Gepflogenheiten Ausdruck
zu Situation unterschieden und deren positive         verliehen wird. Die Studierenden sollen auch kon-
und problematische Elemente sich nicht immer          kret danach fragen, welche Aufgaben, Rollen
deutlich erkennen ließen. Im Rahmen der Gen-          und hierarchische Einordnungen ihnen im Prakti-
re-Theorie nach Miller (1984) begreift man Ge-        kum beim Schreiben zukommen.
nres zuerst als Formen des sozialen Handelns.
Dieses Genre-Verständnis verortet jeglichen Text      Engagiertes Feedback zum Schreiben in WIL:
als ein Einhaken in eine soziale Situation, geprägt   Ebenso zentral wie die systematische Auseinan-
von den Zielsetzungen und Motivationen der Be-        dersetzung mit den Genres und Diskursgemein-
teiligten sowie von expliziten und impliziten kom-    schaften in der Praktikumsumgebung ist beim
munikativen Anforderungen. Studierende, die           WAP-Ansatz die Umsetzung empirisch gestützter
auf der Grundlage des WAP-Trainings auf das           Rückmeldungsstrategien auf studentisches
Schreiben im Beruf vorbereitet werden, sollen die     Schreiben. Ungeachtet der Tatsache, dass auße-
Texte in ihrer Praktikumsumgebung auffinden           runiversitäre Mentor:innen in ihrem Berufsalltag
und danach analysieren, durch welche spezi-           selbstverständlich den schriftlichen Anforde-
fischen sprachlichen Ausgestaltungen auf welche       rungen ihrer beruflichen Umgebung nachkom-
kommunikativen Anforderungen situationsange-          men, fehlt unter den Berufstätigen mitunter so-
messen reagiert wird.                                 wohl das Bewusstsein für die Komplexität und die
                                                      stellenweise Undurchsichtigkeit professioneller
Diskursgemeinschaften und Diskurs-Analy-              schriftlicher Kommunikation als auch das Voka-
se: Ein weiteres wesentliches Element des             bular, um die Studierenden in der selbstständigen
WAP-Trainings befähigt universitäre Lehrper-          Erfassung der beruflichen Schriftlichkeit in ihren
sonen mit WIL-Aufgaben dazu, die Studierenden         spezifischen Kontexten zu unterstützen. Das
in der Analyse von Diskursgemeinschaften und          WAP-Training setzt hier sowohl bei den universi-
communities of practice (Pogner, 2012) anzulei-       tären Lehrkräften als auch bei den Mentor:innen
ten. Um kompetent am schriftlichen Austausch          in den Betrieben, Schulen und Unternehmen an.
innerhalb ihrer Berufsfelder teilnehmen zu kön-       Der kontinuierliche Dialog und die kritische Aus-
nen, haben alle außeruniversitären Interviewpart-     einandersetzung mit Qualitätsstandards nehmen
ner:innen in unserer Studie nicht nur bestehende      im engagierten Feedback einen hohen Stellen-
Texte durchdacht, sondern ihre Beobachtungen          wert ein. Studierende, die auf der Grundlage des
und Analysen auf diejenigen Fachkräfte, Koope-        WAP-Trainings auf das Schreiben im Beruf vorbe-
rationspartner:innen, Kund:innen und Kli-             reitet werden, sollen eine spezifischere und deut-
ent:innen ausgeweitet, die ihren Austausch, ihre      licher artikulierte Vorstellung davon haben, wel-
Absprachen, Leistungserbringung, -dokumenta-          che Hinweise sie bezüglich des Schreibens im Be-
tion und -beurteilung anhand schriftlicher Doku-      ruf weiterhin benötigen. Besonders wichtig ist
mente organisierten. Im WAP-Verständnis konsti-       auch, dass die Studierenden erkennen, dass auch
tuieren sich Diskursgemeinschaften dadurch,           Feedback- und Beurteilungsprozesse im Prakti-
dass bedeutende Anteile ihrer Kooperation auf         kum auf der Grundlage von Texten ausgehandelt
schriftlichem Austausch beruhen, und dass die         werden und Gestalt annehmen.
entstehenden Schriftstücke durch die Ziele, Wer-
te, Normen und Praktiken der Diskursgemein-           Kritische Reflexion mit und von Schreiben
schaft geprägt sind und diese ihrerseits prägen,      im Praktikum: Durch das finale Element im
oftmals unausgesprochen und für Außenstehen-          WAP-Training gewinnen sowohl universitäre
de schwer erkennbar. Studierende, die auf der         Lehrpersonen mit WIL-Aufgaben als auch die
Grundlage des WAP-Trainings auf das Schreiben         Mentor:innen in Unternehmen, Schulen und Be-
im Beruf vorbereitet werden, sollen in ihren Prak-    trieben ein Verständnis von schriftlicher Reflexi-
tikumskontexten also explizit danach fragen,          on, die verschiedene Ebenen der Reflexion im

120
Praktikum transparent zu machen sucht: (a) zu-        stand führen – ‚die Welt sieht anders aus‘ sobald
nächst verständigen sich die inneruniversitären       diese Schwellen überschritten werden“. Dement-
und die außeruniversitären Betreuungspersonen         sprechend zeichnen sich diese Schwellenkon-
über die erheblichen Unterschiede zwischen der        zepte u.a. dadurch aus, dass die Lernenden die
kritischen Reflexion, die Studierende z.B. im Prak-   mit den Schwellenkonzepten in Verbindung ste-
tikumsportfolio bewältigen sollen, und der kri-       henden Inhalte über lange Durststrecken hinweg
tischen Bestandsaufnahme, die Unternehmen             als schwierig, kompliziert, inkohärent oder unver-
z.B. in der Qualitätssicherung betreiben. Beide       ständlich erleben, solange die Lernenden die not-
Formen der kritischen Auseinandersetzung sind         wendigen Schwellenkonzepte noch nicht durch-
als Textformen eigenen rhetorischen Anforde-          drungen haben. In der Schreibwissenschaft und
rungen unterworfen. Das WAP-Training unter-           Schreibdidaktik gelten z.B. folgende Erkenntnisse
stützt die Mentor:innen und die Lehrpersonen          als „Portale“, die die Lernenden zunächst müh-
dabei, die Studierenden sowohl mit der betrieb-       sam durchschreiten müssen: Schreiben ist sozi-
lichen, berufsrelevanten Reflexion als auch mit       ales und rhetorisches Handeln (Roozen, 2015)
der persönlichen, epistemischen Reflexion ver-        oder auch Schreiben ist wissensgenerierendes
traut zu machen.                                      Handeln (Estrem, 2015) oder auch Schreiben be-
Schlussendlich wollen wir auch diejenigen Lehr-       einflusst andere Handlungen (Russell, 2015). Die
personen an den Universitäten mit ins Boot ho-        Vorstellung, dass man beim Schreiben in der Re-
len, die bereits ein vertieftes Verständnis von den   gel nicht einfach nur fertig ausgeformte Gedan-
Begrifflichkeiten der Schreibkompetenzentwick-        ken im stillen Kämmerlein schnell „runter-
lung haben. Das WAP-Training speist sich folglich     schreibt“, ist für zahlreiche Schreibnovizen lange
nicht allein aus schreibwissenschaftlichen und        schwer nachzuvollziehen. Und der Gedanke, dass
schreibdidaktischen Diskursen, sondern bedient        Texte als Handlungsbündel begriffen werden
sich auch explizit der WIL-Kategorisierung und        können, deren sprachliche Ausformungen in
der damit verbundenen Handlungsanregungen.            konkreten sozialen Kontexten funktionieren sol-
Dementsprechend können Lehrpersonen, die die          len, ist für viele Schreibende anfänglich ein harter
Vorbereitung der Studierenden auf das Schreiben       Brocken. Wiewohl sich also die Schreibdidaktik
im Beruf bereits unterstützen, durch die Begriff-     und Schreibwissenschaft dieser Schwellenkon-
lichkeiten der WIL-Literatur ihre schreibdidak-       zepte bewusst sind, nehmen wir an, dass die
tischen Angebote genauer auf konkrete berufs-         Palette der Schwellenkonzepte, die sich bereits
relevante Gesichtspunkte abstimmen. Noch ganz         etabliert haben, neu bewertet, verfeinert und um
zu Beginn der zweiten Datenauswertungsrunde           neue Schattierungen erweitert werden kann, so-
können wir folgende generelle Überlegungen            bald sich Schreibdidaktiker:innen und Schreibwis-
bereits konturieren:                                  senschaftler:innen mit den konkreten Konzepten
                                                      beschäftigen, die spezifisch die WIL-Literatur an-
Überarbeitung und Neubewertung gän-                   bietet. Ein vielversprechender Kandidat scheint
giger Schwellenkonzepte und schreibdidak-             uns z.B. der Begriff der pre-professional identity
tischer Angebote in der Hochschullehre: Be-           zu sein, der in der WIL-Literatur genutzt wird, um
sonders in der anglophilen Schreibdidaktik, aber      den Status der Studierenden nicht allein als beruf-
vereinzelt auch in der kontinental-europäischen       liche „Außenseiter:innen“ oder „Noviz:innen“ zu
bzw. deutschsprachigen Schreibdidaktik bildet         verstehen. Jackson (2016) z.B. konzeptualisiert
das Verständnis von Schwellenkonzepten in der         die prä-professionelle Identität als eine Version
Schreibkompetenzentwicklung eine wichtige Be-         der professionellen Identität, wenn auch eine we-
zugsgröße in der Entwicklung von Lehr-/Lernma-        niger ausgereifte. So geht es darum, dass Studie-
terial und Bewertungsrastern. Wie Meyer/Land          rende durch curriculare Impulse ein professio-
(2006: 19; eigene Übersetzung) versteht auch die      nelles Selbstverständnis entwickeln, das sich
Schreibdidaktik Schwellenkonzepte als „,konzep-       fruchtbar mit ihren Berufsvorstellungen verknüp-
tuelle Tore‘ oder ‚Portale‘, welche zu einer grund-   fen lässt nach dem Motto „Ich studier‘ hier nicht
sätzlich veränderten Sichtweise auf einen Gegen-      nur, ich bereite mich konkret auf xyz vor“ und

                                                                                                     121
verinnerlichen: „In Teilen bin ich bereits professi-       Estrem, H. (2015). Writing is a knowledge-making activity. In:
                                                           L. Adler-Kassner & E. Wardle (2016) (pp. 89–104). Logan:
onell, mein Text bildet bereits meine beruflichen
                                                           Utah State University Press.
Schreibfertigkeiten ab, das Portfolio dient bereits        Hart Research Associates (2018). Fulfilling the American
meiner schriftlichen Professionalisierung als xyz.“        Dream: Liberal education and the future of work. Washington,
WIL-Konzepte können dabei helfen, wichtige Un-             DC: Association of American Colleges and Universities.
                                                           Haskell, R. (2001). Transfer of Learning: Cognition, Instructi-
terschiede im Selbstverständnis der Prakti-                on, and Reasoning. San Diego, CA: Academic.
kant:innen sichtbar zu machen, diese Unter-                Jackson, D. (2016). Re-conceptualising graduate employabi-
schiede konkret auf die Qualität der schriftlichen         lity: the importance of pre-professional identity. Higher
                                                           Education Research and Development 35(5).
Arbeiten der Studierenden zu beziehen und da-              Kruse, O. (2007). Schreibkompetenz und Studierfähigkeit:
raus didaktische Handlungsempfehlungen abzu-               Mit welchen Schreibkompetenzen sollten die Schulen ihre
leiten.                                                    Absolvent/innen ins Studium entlassen? Texte schreiben,
                                                           117–143.
                                                           Meyer, J. H. F. & Land, R. (Eds.) (2006). Overcoming Barriers
Ausblick                                                   to Student Understanding: Threshold Concepts and Trouble-
                                                           some Knowledge. London: Routledge.
Das WIL-Schema und das TfT-Modell bieten                   Miller, C. R. (1984). Genre as social action. Quarterly Journal
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zahlreiche Anknüpfungspunkte, um diese bei-                Moore, J. L. & Felten, P. (2019). Understanding Writing Trans-
den Annäherungsrahmen miteinander zu ver-                  fer as a Threshold Concept across the Disciplines. In: J. Tim-
schränken und damit informative Daten zum                  mermans & R. Land (Eds.) Threshold Concepts on the Edge
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Schreiben im Praktikum und zum Schreiben
                                                           Nowacek, R. (2011). Agents of Integration: Understanding
im Beruf zu gewinnen und entsprechende                     Transfer as a Rhetorical Act. Carbondale, IL: Southern Illinois
Lehrkonzepte zu entwickeln. Diese Aufgabe                  University Press.
nimmt die MMIRKL-Forschungsgruppe mit                      Perkins, D. N. & Salomon, G. (1992). The science and art of
                                                           transfer. In: A. L. Costa, J. Bellanca & R. Forgarty (Eds.) If
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                                                           me 1. Palatine, IL: Skylight Publishing.
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