National Report Germany - Betrad

 
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National Report Germany - Betrad
Better Treatment
for Ageing Drug User
   National Report
      Germany
National Report Germany - Betrad
Strategien und Methoden für die
         bedürfnisgerechte Versorgung alternder
           Drogenkonsumierender in Deutschland

                                    Christina Padberg, Heino Stöver

           ISFF – Institut für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences

Kontakt:

Jean Nico Pierre, Projektleitung
Fondation Jugend- an Drogenhëllef
93, rue d’Anvers
Luxembourg
Post Code: L-1130
Luxembourg
National Report Germany - Betrad
Strategien und Methoden für die
        bedürfnisgerechte Versorgung alternder
         Drogenkonsumierender in Deutschland

                                  Christina Padberg, Heino Stöver

          ISFF – Institut für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences

Projektpartner_innen:

                                                                                      Juni 2018
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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis ..............................................................................................................................1

Vorwort .....................................................................................................................................................2

1.     Problematischer Drogenkonsum in Deutschland ...............................................................................3

2.     Problematischer Drogenkonsum älterer Menschen ...........................................................................4
     2.1     Eindrücke: Expert_innenmeinungen ...........................................................................................7

3.     BeTrAD Good-Practice-Collection: Beispiele guter Versorgungspraxis .............................................9
     3.1     Woodstock, Den Haag (NL) ...................................................................................................... 10
     3.2     Konnex, Wien (AUT) ................................................................................................................ 10
     3.3     Drogenberatungsstelle „komm-pass“, Düsseldorf (DE) ............................................................. 11
     3.4     Plan B gGmbH, Pforzheim (DE) ............................................................................................... 13
     3.5     Projekt LÜSA, Unna (DE) ......................................................................................................... 14
     3.6     Betreutes Wohnen Kriegkstraße, Frankfurt am Main (DE) ........................................................ 15
     3.7     Haus Im Stift – Bethel Stiftung, Gevelsberg (DE) ..................................................................... 16

4.     BeTrAD Toolbox: Online-Tool zur Wissensvermittlung .................................................................... 17

5.     BeTrAD Training Curriculum: Schulungskonzept ............................................................................. 17

6.     Handlungsempfehlungen................................................................................................................. 19
     6.1     Handlungsempfehlungen auf Europäischer Ebene ................................................................... 19
     6.2     Handlungsempfehlungen für Deutschland ................................................................................ 21

7.     Literaturverzeichnis ......................................................................................................................... 23
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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: The Drug Problem in Germany at a Glance (EMCDDA 2017b) ..........................................3
Abbildung 2: Entwicklung des Durchschnittsalters aller problematisch Opioid-Nutzenden bei Aufnahme
in Behandlung in EU-22* (Daten von EMCDDA 2015) ..............................................................................5
Abbildung 3: Anzahl der gesammelten Beispiele, die Drogenkonsumierende in den einzelnen Ländern
aufnehmen und /oder auf deren Versorgung abzielen (N = 113, 27 Länder).............................................9

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Vorwort

Der gesundheitlich-sozialen Versorgung älter werdender Drogenkonsumierender in Deutschland kommt
immer größere Bedeutung zu. Dank verbesserter Behandlungs- und Betreuungsbedingungen (v.a.
Substitutionsbehandlung für Opioidabhängige (OST), Harm Reduction Angeboten, Betreutes Wohnen)
haben viele problematisch Opioidkonsumierende mittlerweile eine höhere Lebenserwartung. In den
letzten Jahren ist das Thema in Deutschland zunehmend Gegenstand von Fachtagungen, Publikationen
und Forschungsarbeiten geworden. In diesem, im Rahmen des Erasmus+ Projektes „BeTrAD“ („Better
Treatment for ageing Drug User“) erschienenen National Report Deutschland, werden verschiedene
Daten, Strukturen und Aspekte der europaweiten aber vor allem nationalen Versorgung älterer
Opioidkonsumierender aufgegriffen, aktualisiert und beispielhaft dargestellt. So werden strukturelle
Hintergründe   und   Studienergebnisse   für   die   Versorgungsstruktur   alternder       Opioidabhängiger
aufgegriffen. Zudem werden jüngere Beispiele guter Praxis in der Versorgung älter werdender
Drogenabhängiger in Europa und Deutschland dargestellt und Handlungsempfehlungen auf nationaler
und europäischer Ebene gegeben.

Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlich bei allen Projektpartner_innen und Interviewpartner_innen,
die mit ihrer wissenschaftlichen Recherchen und ihrer Zuarbeit an der Zusammenstellung der
Ergebnisse dieses Berichts mitgewirkt haben und wünschen allen ansprechende Informationen zum
Thema sowie gute Anregungen für die Praxis.

Frankfurt am Main im Juni 2018

Heino Stöver, Christina Padberg

                                                                                       2
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1. Problematischer Drogenkonsum in Deutschland
Um einen ersten Eindruck zum problematischen Drogenkonsum der 53.422.103 15- 64jährigen
Menschen in Deutschland lebenden Personen zu erhalten, veröffentlicht die EMCDDA jedes Jahr eine
Grafik mit den wichtigsten, drogenbezogenen Daten, individualisiert für die jeweiligen europäischen
Länder.

              Abbildung 1: The Drug Problem in Germany at a Glance (EMCDDA 2017b)

In Deutschland haben im letzten Jahr 13,3% der 18-34-Jährigen Cannabis konsumiert, wohingegen der
Konsum von Amphetaminen, MDMA und Kokain mit 1,2% bis 1,9% anteilmäßig gering ausfällt.
Cannabis stellt mit 39% die am häufigsten konsumierte Substanz beim Übergang in eine Behandlung
dar. An zweiter Stelle werden hier mit 33% Opioide genannt. In Deutschland gibt es knapp über 160.000
riskant Opioidkonsumierende, von denen sich 78.800 (1.7.2017), also knapp die Hälfte in Opioid-
Substitutionstherapie befindet. Bei der Anzahl der Überdosierungen zeichnet sich seit 2012 ein leichter
Anstieg von weniger als 1.000 bis auf 1.226 im Jahr ab. Ebenso nimmt die Anzahl an HIV-
Neuinfektionen seit dem Tiefpunkt 2011 stetig zu und lag im Jahr 2015 bei 134. Die Statistik zählte im
Jahr 2017 330.000 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtmG). Die größten beschlagnahmten
Anteile an Substanzen waren Cannabis, gefolgt von Kokain. Die drittgrößte beschlagnahmte Stoffmenge
bildet Haschisch. Heroin wurde in am wenigsten großen Mengen beschlagnahmt.

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2. Problematischer Drogenkonsum älterer Menschen
Die sich in Europa verändernde demografische Struktur hat Auswirkungen auf viele Politikbereiche in
europäischen Ländern, z.B. Bildung, Wohnen, Medizin und Pflege. Der Bedarf an medizinischer
Behandlung und medizinischer Versorgung, ambulanter Pflege, Spezialwohnungen und Mobilität wird für
die europäischen Länder und Gemeinden in Zukunft eine große finanzielle Belastung darstellen
(EMCDDA 2013). In der Europäischen Union gibt es etwa 510.060.000 Menschen (15 bis 64 Jahre) und
etwa 1.300.000 Opioidkonsumierende mit problematischem Konsum. Diese Zielgruppe stellt einen
kleinen Anteil von 0,4% in der gesamten europäischen Bevölkerung dar (EMCDDA 2015 und EMCDDA
2017a), weshalb diesem kleinen Teil der Bevölkerung statistisch häufig keine Beachtung zukommt.
Opioide, hauptsächlich Heroin, wurden 2008 von der überwiegenden Mehrheit (65%) der älteren
Drogenkonsumierenden über 40 Jahre in der Europäischen Union als primäre, problematisch
konsumierte Substanz angegeben (EMCDDA 2010). Der Anteil dieser älteren Opioidkonsumierenden
wird anhand einer Stichprobe von 2015 auf 36,3% in ganz Europa geschätzt. Während 2006 der Anteil
der Opioidabhängigen über 40 Jahren, die sich in Behandlung begaben, bei einem von fünf lag, lag er
2015 bereits bei zwei von fünf Personen (EMCDDA 2017a). Viele Langzeit-Opioidkonsumierende in
Europa sind bereits in ihren 40ern oder 50ern. In den meisten europäischen Ländern, nimmt die Anzahl
derer, die 40 Jahre und älter sind bereits einen wesentlichen Anteil an - aufgrund der erwarteten
Überalterung in Zukunft wird prognostiziert, dass diese Zahl sich erhöhen wird. Einige europäische
Länder berichten bereits von Durchschnittsaltern von 40 Jahren oder sogar älter für Menschen, die eine
Behandlung aufgrund problematischen Opioidkonsums aufsuchen (EMCDDA 2015). Die meisten
europäischen Länder beobachten außerdem eine zunehmende Anzahl älterer Drogenkonsumierender,
die sich in Behandlung begeben. Die Daten der EMCDDA aus dem Jahr 2008 (EMCDDA 2010) stellen
einen Behandlungsbedarfsindikator für mehr als 450.000 Drogenkonsumierende dar, die sich in
spezialisierten Einrichtungen behandeln lassen - 82.000 dieser waren 40 Jahre oder älter.

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Entwicklung des Durchschnittsalters aller problematisch Opioid-Nutzenden bei
                                                         Aufnahme in Behandlung in EU-22*
                          38
    Mean Age [in years]

                          37                                                                                                   37,2         37,3
                                                                                                                    36,6
                          36                                                                             35,9
                          35                                                                   35,2
                                                                       34,1        34,5
                          34
                                                            33,6
                          33           32,7      33
                          32
                          31
                          30
                                 2006         2007     2008         2009      2010          2011      2012      2013       2014       2015
                                                                                     Year

Abbildung 2: Entwicklung des Durchschnittsalters aller problematisch Opioid-Nutzenden bei Aufnahme
in Behandlung in EU-22* (Daten von EMCDDA 2015)
*Verschiebungen in der Altersstruktur im Laufe der Zeit von Behandlungseinsteigern mit Opioiden als Primärdroge: Es sind nur Länder mit
mindestens 10 Jahren verfügbarer Daten enthalten (in Ländern mit nur 10 Jahren Daten werden Daten aus dem letzten Jahr kopiert).

Auf europäischer Ebene stieg das Durchschnittsalter der Opioidkonsumierenden im Jahr 2006 von 32,7
Jahren                         auf     37,3    Jahre   in     2015     an.    Es      gibt    680.000        Opioidkonsumierende       in     der
Opioidsubstitutionsbehandlung, was ungefähr 50% aller Nutzenden entspricht. Auf europäischer Ebene
liegen keine Daten über ältere (40 Jahre+) Opioidkonsumierende in OST vor (EMCDDA 2010, 2017a). In
den meisten europäischen Ländern gibt es gar keine altersspezifischen, in einigen Ländern oder
bestimmten Regionen dieser Länder existieren punktuelle Daten.

Der Drogenaktionsplan der Europäischen Union von 2009-2012 enthält eine Reihe von Maßnahmen zur
Verringerung der Nachfrage nach Drogen, Prävention, Behandlung und Schadensminimierung. Ziel
dieses Drogenaktionsplans ist es, die Mitgliedstaaten aufzufordern, die Qualität und Wirksamkeit solcher
Dienste auch unter Berücksichtigung spezifischer Bedürfnisse (einschließlich altersbezogener) zu
verbessern. Im Jahr 2010 hat jedoch keine nationale Drogenpolitik der Mitgliedstaaten eine Strategie zur
Behandlung älterer Drogenkonsumierender geschaffen. In einigen europäischen Ländern sind ältere
Erwachsene als gefährdete Gruppe für das Risiko von Alkohol- und Drogenproblemen aufgeführt. Dies
beinhaltet jedoch hauptsächlich den Missbrauch von rezeptfreien Medikamenten (EMCDDA 2010). Im
jüngsten EU-Drogenaktionsplan 2017-2020 werden Altern und Drogenkonsum ebenfalls ausdrücklich als
Teil der Verringerung der Drogennachfrage aufgeführt (1):

[…] Maßnahme 6: Entwickeln und erweitern Sie die Vielfalt, Verfügbarkeit, Abdeckung und
Zugänglichkeit evidenzbasierter umfassender und integrierter Behandlungsangebote. Es ist sicher zu
stellen, dass diese Angebote den polytoxen Drogenkonsum (kombinierte Verwendung illegaler und
legaler Substanzen einschließlich psychoaktiver Arzneimittel, Alkohol und Tabak) und die sich
abzeichnenden                              Bedürfnisse        der     alternden       drogenkonsumierenden             Bevölkerung            und
geschlechtsspezifische Probleme ansprechen. (siehe European Union 2017).

                                                                                                                           5
In der Debatte über demografische Veränderungen in der Gesellschaft sind Fragen in Zusammenhang
mit alternden Drogenkonsumierenden zwar relevant, kamen aber in vielen Mitgliedstaaten noch nicht zur
Sprache. In den meisten europäischen Ländern existieren bereits Richtlinien und Angebote sowie
Pilotprojekte, die auf ältere problematisch Nutzende von legalisierten Substanzen wie Alkohol- oder
Medikamenten abzielen. Das Thema der älteren Alkoholkonsumierenden und Drogenmissbrauchenden
ist bereits Teil der nationalen Drogenaktionspläne vieler Länder in Europa. Es gibt viele nationale
Strategien zu Alter und Medikamenten sowie älteren Menschen und Alkoholmissbrauch. In einigen
europäischen Ländern gibt es z.B. strengere Vorschriften für das Verschreiben von Benzodiazepinen,
Beruhigungsmitteln usw. ab einer bestimmten Altersgrenze. Ziel ist es hierbei, die Verfügbarkeit von
Informationen für Patient_innen und verschreibende Mediziner_innen zu verbessern, um die sicherere
Anwendung von Medikamenten zu unterstützen (Cerreta et al. 2012). Alles in allem sind alternde
Drogenkonsumierende zwar Teil der Aktionspläne, der Versorgung wurde aber in vielen europäischen
Ländern noch nicht aufgegriffen.

Einige spezifische Punkte in Bezug auf die Bereitstellung von Sozialleistungen und die Finanzierung der
Versorgung alternder Drogenkonsumierender (EMCDDA 2010, 2013) sind bisher ungeklärt. Die meisten
europäischen Sozialsysteme beruhen auf der Verbesserung der finanziellen Situation von Menschen in
Not oder auf der Verbesserung ihrer Beschäftigungschancen oder anderer Aspekte, z.B physischer oder
psychischer Gesundheit. Die Sozialleistungen in einigen Ländern werden ergebnisorientiert ausgezahlt,
so dass es für Menschen ohne Beschäftigungserfahrungen (was bei vielen langfristig problematisch
Substanzkonsumierenden der Fall ist) kein (ausreichendes) Recht auf finanzielle Unterstützung oder
Gesundheitsversorgung gibt. In einigen Mitgliedstaaten könnte die finanzielle Unterstützung für
Medikamente für alternde Drogenkonsumierende ein Problem darstellen. Es gibt Modelle, bei denen die
finanzielle Unterstützung für die medizinische Behandlung von Pensionsfonds gedeckt. Sie arbeiten
nach dem Grundsatz, dass die Ausgaben für die Drogenbehandlung durch die künftige Versicherung
dieser Person durch den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt hergestellt werden soll. Alternde
Drogenkonsumierende, eine gefährdete Gruppe mit hohem Unterstützungsbedarf, haben häufig
gesundheitliche und soziale Begleiterkrankungen, die es ihnen schwer oder fast unmöglich machen,
über den Arbeitsmarkt vermittelt zu werden. Die kontinuierliche Finanzierung und Behandlung älterer
Drogenkonsumierenden stellt daher ein großes Problem unter den europäischen Interessengruppen dar
(EMCDDA 2017b).

Es scheint, dass sich die Ansätze der aktuellen europaweiten Debatte darüber, wie problematisch
Drogenkonsumierende zur Behandlung motiviert, ihre soziale Situation verbessert sowie Abstinenz oder
der Eintritt in Rehabilitationsprogramme einzutreten gefördert werden können, bisher hauptsächlich auf
die Bedürfnisse und die Situation jüngerer Drogenkonsumierender beziehen. Die bestehenden
Wohlfahrtsmodelle    und   die     nationalen   Drogenpolitiken   bedienen   die   Bedürfnisse   älterer
Drogenkonsumierenden nur unzureichend. Für diese Zielgruppe müssen alternative Strategien zur
sozialen Reintegration entwickelt werden.

                                                                                    6
Die genannten demografischen Entwicklungen der Gesamtbevölkerung spiegeln ebenfalls im Drogen-
und    Altenhilfesystem     in   Deutschland    wieder.   In      den   Drogenhilfeeinrichtungen      sowie
Substitutionsambulanzen steigt die Zahl der älteren Drogenkonsumierenden stetig an. Drogenpolitische
Reformen, die eine bessere medizinische Versorgung, Harm Reduction Angebote, wie Spritzentausch
und Konsumräume und OST ermöglichen, haben dazu beigetragen, dass die Zahl der HIV- und
Hepatitis-C-Neuinfektionen und das Mortalitätsrisiko gesunken ist (Robert-Koch-Institut 2016).
Drogenkonsumierende, sofern sie Zugang zu oben aufgeführten Angeboten haben (Konsumräume sind
z.B. nicht flächendeckend in Deutschland vorhanden), können somit länger überleben als zuvor und ihr
Durchschnittsalter hat sich stetig erhöht. In Deutschland leben momentan schätzungsweise 40.000 rein
Opioidkonsumierende oder solche mit Mischkonsum verschiedener illegalisierter Substanzen, die 40
Jahre und älter sind. „Eine Verdoppelung dieser Zahl wird für die nächsten Jahre prognostiziert.“
(Schiffer 2017, S. 69). Laut der Landesauswertung der Computergestützten Basisdokumentation der
Suchthilfe in Hessen (COMBASS) 2015 ist beispielsweise die Klientel der hessischen ambulanten
Suchthilfe im Durchschnitt 40,8 Jahre alt (Männer 42,6, Frauen 40,1 Jahre). Das Durchschnittsalter der
Opioidkonsumierenden liegt bei 42,8 Jahren (Männer 41,6, Frauen 43,3 Jahre). Aus dieser Gruppe sind
mittlerweile 40% mindestens 45 Jahre alt (nach Hauptdiagnosen ausgewertet) (Becker 2017).

2.1    Eindrücke: Expert_innenmeinungen
Das Drogenreferat der Stadt Frankfurt bestätigt das ansteigende Durchschnittsalter unter den
Abhängigen auf Grundlage der Daten der Konsumraumdokumentation des Instituts für Suchtforschung
Frankfurt   (ISFF),     sowie    Szenebefragungen      und       Altersangaben   der   Nutzenden       von
Drogenhilfeeinrichtungen und Substitutionsambulanzen. Als spezialisierte Angebote für die Zielgruppe in
Frankfurt werden exemplarisch die Tagesstätte „Bahnweg für psychisch/physisch Beeinträchtigte ohne
Altersgrenze“ sowie das dazugehörigen Betreuten Wohnen, das Eschenbachhaus für schwer Erkrankte
mit pflegerischer Möglichkeit und das Franziskushaus als Palliativeinrichtung für Pflegebedürftige
genannt. Alle anderen Angebote der Drogen- und Suchthilfe stehen zudem allen offen. Das
Drogenreferat (gemeinsam mit dem Jugend- und Sozialamt) bietet seit 2017 in Kooperation mit Trägern
der Sucht- und Altenhilfe die AG Schulungskonzept für ambulante und stationäre Altenhilfe an, welche
sich hauptsächlich mit der (größeren) Zielgruppe der im Alter mit dem Konsum legalisierter Substanzen
Beginnenden,     aber     auch   zunehmend     mit   alternden     Drogenabhängigen    beschäftigt.    Das
Schulungskonzept dient der Unterstützung der Altenhilfe, zielt jedoch vor allem auf Problemerkennung,
Umgang und Weitervermittlung an die Suchthilfe bzw. den Einbezug der Drogenhilfe sowie der
Beratungsstelle „Sucht im Alter“.

2014 fand als Grundlage der Kooperation ein Austausch in Form eines World-Cafés mit Teilnehmenden
von Selbsthilfe, Drogenhilfe, Altenhilfe, Sozialamt etc. statt, bei welchem Problemlagen erörtert wurden -
mit dem Ziel, gemeinsame Wege zur Problemlösung zu finden. Als Ergebnis wurden 2015 eine

                                                                                       7
Lenkungsgruppe sowie ein Beirat zum Thema „Sucht im Alter“ (legalisierte Substanzen) gebildet. Die
formulierten Ziele wie Sensibilisierung der Altenhilfe, Zugang zur Suchthilfe erleichtern oder Vernetzung
der Themen verbessern, wurden erarbeitet. Zudem wurde eine Infobroschüre für Senior_innen in
Zusammenarbeit mit Beratungsstellen der Sucht- und Drogenhilfe entwickelt und unter anderem in
Einrichtungen der Altenhilfe verteilt. Politische/ gesetzliche Regelungen oder Änderungen sind keine in
Kraft getreten. Die Vernetzung zwischen Drogen- und Altenhilfe in Frankfurt wird aktuell ausgebaut. Die
Hauptproblematik ergibt sich besonders im Feld der Abhängigen mit instabilem Allgemeinzustand und
wenig Sozialkontakten, vor allem nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, wo häufig nur die
Notschlafstellen bleiben, die nicht krankengerecht sind. Kurzzeitpflege ist hierbei keine Dauerlösung:
Problematisch bleibt, der Zugang für Menschen mit langer Konsumgeschichte sowie physischen und
psychischen Beeinträchtigungen in pflegerische Versorgung.

Vergleichbare Betrachtungen finden wir in der Suchthilfepraxis außerhalb von Frankfurt. Auch in
Bielefeld steigt das Durchschnittsalter der Zielgruppe seit 10-15 Jahren stetig an, vor allem in den
Substitutionsstellen. Einrichtungen wie LÜSA Unna, die Kriegkstraße in Frankfurt oder das FELIX
Pflegeteam Berlin sind in der Drogenhilfe bekannt sowie einige Projekte in Aufbau (z. B. Düsseldorf:
stationäre Altenpflege für zu versorgende Drogenkonsumierende). Hier werden aktuell einige
Veränderungen und Entwicklungen wahrgenommen. Die größte Barriere, wird in der pflegerischen
Versorgung (finanziell und ethisch) der spezifischen Klientel gesehen, z. B. durch nicht klar geregelte
Substitutionsbehandlung in der Altenpflege, trotz der am 15.03.2017 bundesweit in Kraft getretenen
Änderung der BtmVV, durch welche Substitutionsbehandlung nicht nur am Wohnort sondern auch in
Rehakliniken, Hospizen und Pflegeeinrichtungen gewährleistet werden soll (Bundesministerium für
Gesundheit 15.03.2017). Die Expertin aus der Praxis sieht außerdem besondere Lücken in der
Wohnraumversorgung mit spezialisiertem, ambulanten Unterstützungsangebot, außerdem sollte eine
bessere   Zusammenarbeit     zwischen    Altenpflege   und   Drogenhilfe   angestrebt       sowie   weiterhin
Fortbildungen für Sucht- und Pflegeeinrichtungen ausgebaut und angeboten werden.

                                                                                        8
3. BeTrAD Good-Practice-Collection: Beispiele guter
   Versorgungspraxis
In letzter Zeit haben sich aufgrund des bereits eingetretenen Versorgungsbedarfes Beispiele guter
Versorgungspraxis entwickelt. Um diese Beispiele innerhalb der Europäischen Union identifizieren zu
können, wurde in BeTrAD ein Fragebogen entwickelt, mit dem europaweit Angebote gesammelt wurden.
Gleichzeitig wurde eine Stakeholder-Analyse durchgeführt, um relevante europäische Expert_innen auf
diesem Gebiet zu ermitteln, die Beispiele für gute Praxis beschreiben können. Anhand von Indikatoren,
die in Zusammenarbeit mit allen Projektpartner_innen vordefiniert wurden und anhand derer die
verschiedenen Beispiele überprüft und bewertet wurden, wurde eine Rangliste mit finalen
Angebotsbeispielen (ca. 20-25) gebildet. Für Länder außerhalb der Projektpartner_innen-Länder wurden
aus   den   eigenen   Netzwerken     Schwerpunktpersonen     ausgewählt,     die    in       den   Bereichen
Schadensminderung, Gesundheits- und Suchthilfe tätig sind (oder eng damit verbunden sind). Diese
zentralen Personen wurden gebeten, mögliche Beispiele in den Ländern zu ermitteln. Die Fragen zielten
vor allem auf Merkmale wie, ob spezifische Dienstleistungen angeboten werden, die Anzahl der
Angestellten, Fachkräfte, etc. Darüber hinaus konzentrierten sich die offenen Fragen darauf, die Ziele
und Methoden ihrer Dienste zu beschreiben und Barrieren oder Probleme mit der Zielgruppe zu
benennen. Das Best-Practice-Assessment selbst umfasste mehrere Auswahlrunden, die die Anzahl der
Beispiele von 131 auf 25 und schließlich auf 19 filterte. Es wurden nur wenige Beispiele gefunden, die
ausschließlich für alternde Drogenkonsumierende gedacht sind, viele Beispiele decken eine breitere
Zielgruppe ab und es gibt eine Vielzahl von Dienstleistungen stationär, ambulant). Es existieren nur
wenige Projekte, die sowohl ambulante als auch langfristige Lösungen anbieten.

 25
                                                                     Total
 20                                                                  Targets/accomodates aging users

                                                                     Has specific services
 15

 10

 5

 0

Abbildung 3: Anzahl der gesammelten Beispiele, die Drogenkonsumierende in den einzelnen Ländern
aufnehmen und /oder auf deren Versorgung abzielen (N = 113, 27 Länder).

                                                                                         9
3.1        Woodstock, Den Haag (NL)1
Woodstock ist eine seit 2008 bestehende Einrichtung für alternde, obdach- bzw. wohnungslose Alkohol-
und Drogenkonsumierende der Stadt Den Haag und dem niederländischen Psychiatriedienstleister
Parnassia Groep. Seit 2013 können dort bis zu 36 Personen aufgenommen werden.

Für Woodstock wurde ein Konzept erarbeitet, das an die Bedarfe der älteren Drogengebrauchenden
angepasst wurde. Angeboten werden eine unbefristete Wohnmöglichkeit, drei Mahlzeiten täglich,
niedrigschwellige        Arbeitsangebote,       Wohnbegleitung        sowie   niedrigschwellige   hausärztliche   und
psychiatrische Versorgung (auch OST) (Schulte-Wefers 2014). Das Team arbeitet multiprofessionell und
setzt     sich aus Sozialarbeitenden,            Mediziner_innen,       Krankenpflegenden    und Psycholog_innen
zusammen – als Voraussetzung für die adäquate Versorgung von Begleiterscheinungen aufgrund des
langjährigen Drogenkonsums. Die Aufnahmekriterien sind niedrigschwellig gehalten. Aufgenommen
werden Personen, die therapieresistent, d.h. mehrere erfolglose Entgiftungen bzw. gescheiterte
abstinenzorientierte Therapieversuche hinter sich haben, schwerstabhängig (länger als 20 Jahre
konsumieren), obdachlos, 45 Jahre oder älter und Einwohnende von Den Haag sind (Parnassia Groep
2018). Ausschlusskriterien sind körperliche Aggressivität, akute psychiatrische Erkrankung, schwere
körperliche Erkrankung mit hohem Pflegeaufwand und akute Suizidalität. Eine Kooperation besteht mit
anderen Einrichtungen der Parnassia Groep sowie mit den bestehenden Institutionen der Nachbarschaft
(Schulte-Wefers 2014).

3.2        Konnex, Wien (AUT)2
Bei KONNEX handelt es sich zwar nicht um spezialisierte Angebote für ältere Drogengebrauchende,
doch stehen sie als gutes Beispiel für integrative Strategien durch ihre Vermittlungsfunktion zwischen
dem Klientel der Drogengebrauchenden, Mitarbeitenden und Institutionen des allgemeinen Gesundheits-
und Sozialsystems, um den Zugang und die Behandlung zu bzw. durch bestehende Angeboten zu
verbessern.

Das Fachberatungsangebot Konnex der Sucht- und Drogenkoordination Wien hat das Ziel, die
Betreuung von Suchtkranken in den unterstützten Einrichtungen durch individuelle Fachberatung und
praxisnahe Wissensvermittlung zu verbessern und zu erleichtern (vgl. Preitler 2017). Den Mitarbeitenden
der nachfragenden Einrichtungen, werden fachliche Beratung und Weiterbildung angeboten, z.B.:

      -    Teilnahme an Teambesprechungen der Einrichtungen

      -    „Runde Tische“ vor Ort (praxisorientierte Fortbildungen in Form von Diskussionsrunden und
           Workshops)

1
    https://www.parnassia.nl/onze-locaties/woodstock-den-haag
2
    https://sdw.wien/de/behandlung-und-betreuung-2/liaisondienste/konnex/

                                                                                                  10
-   Vorträge zu suchtspezifischen Themen

    -   Suchtspezifische Beratung der MitarbeiterInnen

    -   E-Mail- und Telefonberatung

    -   Unterstützung in der Fallarbeit

    -   Suchtspezifische Unterstützung bei konzeptionellen Überlegungen in der Einrichtung

(Sucht- und Drogenkoordination Wien 2018)

Die Konnex-Beratenden sind langjährige Mitarbeitende der Sucht- und Drogenhilfe und verfügen über
viel Erfahrung im Umgang mit der Klientel. Die Beratungs- und Schulungsleistungen von Konnex
vermitteln Wissen über illegalisierte Substanzen, Substitutionsmittel, Harm Reduction sowie die
Einrichtungen des Wiener Sucht- und Drogenhilfenetzwerks und können dadurch den Umgang der
Einrichtungen mit der Zielgruppe verbessern. Konnex unterstützt die Kooperationspartner_innen darin,
ihre Angebote besser auf die Bedürfnisse suchtkranker Menschen abzustimmen (vgl. Preitler 2017).

3.3     Drogenberatungsstelle „komm-pass“, Düsseldorf3 (DE)
Die Drogenberatungsstelle „komm-pass“ der SKFM Düsseldorf e.V. bietet integriertes Case
Management für ältere Drogengebrauchende (Alters-CM³4 - Forschungsprojekt der Hochschule Koblenz
                                                              und Katholischen Hochschule Köln) in Form eines
                                                              Pilotprojektes an. Es wird im Rahmen von
                                                              Beratung,            Psychosozialer           Betreuung,
                                                              Therapievermittlung, auch nach Abschluss des
                                                              Projektes     auch     für   jüngere     Klienten_innen
                                                              angeboten.        Das        Angebot        wird      von
                                                              Sozialarbeitenden und Ehrenamtlichen getragen
                                                              und hat eine Altersmindestgrenze von 45+ Jahren.
                                                              Der Konsum wird toleriert, es handelt sich jedoch

                  © SKFM Düsseldorf e.V.
                                                              um ein abstinenzorientiertes Angebot.

Der „komm-pass“ ist eine abstinenzorientierte Drogenberatungsstelle. Die Ziele der Einrichtung von
SKFM e.V. sind im Einzelnen:

    -   Verhinderung von Abhängigkeit/ Lösung aus der Abhängigkeit

3 http://www.skfm-duesseldorf.de/de/drogenberatungsstelle-kompass/
4
  Alters-CM³ wird außerdem auch durch das „Haus der Beratung" der Jugendberatung und der Jugendhilfe e.V. Frankfurt am
Main sowie einige andere Drogenhilfeeinrichtungen in Deutschland4 durchgeführt. Weiterführende Informationen unter:
https://www.katho-nrw.de/katho-nrw/forschung-entwicklung/institute-der-katho-nrw/disup/forschungsprojekte/alters-cm3/ und
https://www.hs-koblenz.de/sozialwissenschaften/institute-des-fachbereichs/institut-fuer-forschung-und-weiterbildung-
ifw/forschung/abgeschlossene-forschungsprojekte/alters-cm3/

                                                                                                  11
-   Fordern und Fördern von Veränderungsbereitschaft

   -   Überlebenshilfen und Harm Reduction

   -   Aufbau eines drogenfreien Alltags

   -   Unterstützung Angehöriger von abhängigen Menschen

   -   Wissensvermittlung an Multiplikatoren

Die Methoden in der Arbeit sind abhängig von Alter und Persönlichkeit der Klient_innen, dem
Konsummuster und der Konsumhäufigkeit, dem Wunsch, Bedarf und der Planung der KlientInnen, sowie
deren Möglichkeiten.

Das Projekt Alters-CM³ ist in drei Module aufgeteilt:

       1. Bedarfserhebung zu den Versorgungsbedarfen älterer Drogenabhängiger in der Region.
       Hierfür werden Opiatabhängige zu ihrer Lebenssituation und ihren Bedürfnissen befragt

       2. Analyse und Optimierung der kommunalen und lokalen Vernetzung zwischen Diensten und
       Anbietern. Diese wird durch eine onlinegestützte Netzwerkanalyse realisiert.

       3. Auf diese Erhebungen aufbauend soll dann ein auf die Zielgruppe der älteren
       Drogenabhängigen zugeschnittenes Manual für ein fallbezogenes Case Management erarbeitet
       werden, das – nach entsprechenden Schulungen – in den Modellregionen des Projekts Alters-
       CM³ erprobt und evaluiert werden soll.

(Deutsches Institut für Sucht und Präventionsforschung 2017)

Durch die Durchführung von Alters-CM³ konnten bereits notwendige Unterstützungsleistungen für diese
Zielgruppe effektiver und effizienter sowie mit weniger Reibungsverlusten erbracht und dadurch die
Versorgung älterer Drogenabhängiger und deren Lebenssituation verbessert werden. Arztpraxen,
Pflegedienste und Drogenhilfeeinrichtungen sollten dadurch bei der Erbringung ihrer Dienstleistungen
unterstützt, entlastet und älteren Drogenabhängigen die Leistungen der unterschiedlichen Hilfesysteme
besser erschlossen werden (Deutsches Institut für Sucht und Präventionsforschung 2017). Das Problem
der Versorgung älterer Drogenabhängiger ist in Düsseldorf bereits in den Fokus der Suchtkoordination
gerückt und wird dort weiter thematisiert.

                                                                                      12
3.4        Plan B gGmbH, Pforzheim5 (DE)
Die Plan B GmbH Pforzheim hat in ihr reguläres Drogenhilfeangebot
spezifische Angebote implementiert, die auf ältere Drogenabhängige abzielen
sollen,       wie    z.B.     psychosoziale     Begleitung,   Substitution    in     zwei
niedergelassenen Praxen, einen speziellen Kontaktladen „LOFT“ sowie
Veranstaltungen, medizinische Versorgung, Harm Reduction Angebote und
Motivationsprogramme             speziell     für   die   Zielgruppe    der        älteren
Drogengebrauchenden. Plan B arbeitet dabei in einem multiprofessionellen
Team aus Sozialarbeitenden, Psycholog_innen, Ärzt_innen, Psychiater_innen
und Ehrenamtlichen auf eine bedarfsgerechte Versorgung für Menschen mit
unterschiedlichsten Suchtmittelbezügen hin. Dabei geht es wesentlich um die                  © PlanB GmbH Pforzheim

Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen. Die Zielgruppe der langzeitabhängigen Menschen
ist gleichzeitig von Armut und Ausgrenzung bedroht, die durch die genannten Kontaktangebote
aufgebrochen werden sollen. Zusätzlich bietet Plan B ein Kooperationsprojekt „Sucht und Beruf“ an.
Die Finanzierung erfolgt über das SGB II, SGB VI und den ESF. Dieses Projekt fokussiert
langzeitarbeitslose, langjährig Drogenabhängige mit stabiler Substitution. In „Sucht und Beruf“ bildet eine
institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen der ambulanten Suchthilfe, dem Beschäftigungsträger und
den Jobcentern das Zentrum. Ziel ist die Vermittlung dieser Personen auf den ersten Arbeitsmarkt/ in
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Der Ansatz lautet zuerst Arbeit und Beschäftigung und
daraus eine Stabilisierung der Lebenssituation zu erreichen. Es ist das erste Mal in Baden-Württemberg,
dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV), Leistungen im Rahmen der Ambulanten Rehabilitation
für diesen Personenkreis bezahlt, ohne dass zu Beginn der Behandlung eine Abstinenz vorgewiesen
werden muss.

5   http://www.planb-pf.de/

                                                                                                 13
3.5        Projekt LÜSA, Unna6 (DE)
                                                     LÜSA      Unna     bietet      eine    niedrigschwellige    stationäre
                                                     Wohneinrichtung          für      mehrfach        schwergeschädigte,
                                                     chronisch Drogenkonsumierende, einschließlich spezieller
                                                     pflegerischer      Dienste,       ambulant      Betreutes    Wohnen,
                                                     Tagesstrukturprogramme und Case Management. Die
                                                     Einrichtung richtet sich nicht ausschließlich an ältere
                                                     Drogenkonsumierende, das Konzept bedingt jedoch, dass
                                  © Projekt LÜSA     hauptsächlich diese Zielgruppe angesprochen wird.

Das Angebot stützt sich auf vier Säulen:

      1. Zuhause: sicher, unterstützend, angenehm mit wohlwollenden Menschen. Anforderung:
           Verantwortung, Sozialverhalten

      2. Beschäftigung: Tagesstruktur, Selbstversorgung. Beschäftigungsbereiche: z.B. Druckerei,
           Garten, Renovierung, Hauswirtschaft, Holz-, Fahrrad-, Kreativwerkstatt, etc.

      3. Behandlung: Substitution, Harm Reduction, Beigebrauchsminimierung, Peergroup-Ansatz,
           begleitende       fachärztliche/         auch          psychiatrische           Behandlung,       Ergotherapie,
           Kooperationsvereinbarungen              mit      Krankenhäusern,             ambulanten          Pflegediensten,
           Wundmanagement und Hospiz

      4. Betreuung: Lösungs- statt problemfokussiert. Konstante und kontinuierliche Einzelbetreuung,
           Klein-, und Großgruppen, medizinische, juristische und soziale Beratung, im Einzelfall Begleitung
           beim Sterben

(LÜSA 2018).

Das       Team      von    LÜSA   arbeitet    multiprofessionell       und    setzt     sich   aus     Krankenpflegenden,
Psychiater_innen,           Psycholog_innen,             Sozialarbeitenden,           Ehrenamtlichen,        Heil-     und
Erziehungspflegenden,         Ergotherapeut_innen           und     Heilpädagog_innen,         sowie     Köch_innen    und
Verwaltungskräften zusammen. Die Mitarbeitenden nehmen regelmäßig an Schulungen, Konferenzen
und Weiterbildungen mit dem Schwerpunkt der älteren Drogengebraucher_innen teil. Hinzu kommen
kooperierende Berufsgruppen und Einrichtungen wie Ärzt_innen, Praxen für Ergotherapie und
Podologie, Fachkräfte für Reha-Technik, Psychiater_innen, Hospize und das Quartier.

6   http://www.luesa.de/

                                                                                                       14
3.6        Betreutes Wohnen Kriegkstraße, Frankfurt am Main7 (DE)

                                                                                © Integrative Drogenhilfe e.V.

Die Integrative Drogenhilfe e.V. Frankfurt am Main bietet das Betreute Wohnen Kriegkstraße an, eine
behindertengerechte Einrichtung für substituierte, langzeitabhängige Drogenkonsumierende mit der
Möglichkeit zur ambulanten Pflege. Zudem wird auch hier das Aktivierungsprogramm für alternde
Drogenkonsumierende, Alters-CM³ angeboten.

Das bestehende Konzept sieht keine Beschränkung aufgrund des Alters vor, spricht jedoch durch die
Kriterien und die Form des Angebots hauptsächlich ältere Drogengebrauchende an. Für die bis zu 28
Bewohnenden stehen seit 2013 eigene Appartements mit Bad und Küche zur Verfügung, diese sind auf
zwei Stockwerken behinderten-/rollstuhlgerecht ausgestattet und bieten die Möglichkeit zur ambulanten
Pflege (Becker 2017). 20 weitere Personen können im Rahmen des betreuten Einzelwohnens durch das
Team der Einrichtung betreut werden. Die Angebote durch das Team, bestehend aus Sozialarbeitenden
und Ehrenamtlichen, sind vielfältig. Schwerpunkte liegen auf der Verbesserung der persönlichen
Entwicklung (Selbsthilfe, Mobilität, Aktivitäten, tägliche Struktur), Unterstützung beim Erlernen von
sozialen Fähigkeiten, beim Einbringen in gemeinschaftliche Aktivitäten sowie die Ermächtigung der
Bewohnenden zu einem selbstbestimmten Leben. Alle Bewohnenden werden durch eine Bezugsperson
(Sozialarbeitende) betreut, die sowohl Ansprechpartner_in ist, als auch die Hilfeplanung übernimmt. Die
Mitarbeitenden werden weitergebildet und intensiv geschult im Bereich der älterwerdenden Klientel. Es
herrscht ein intensiver Austausch mit Netzwerkpartner_innen (im Rahmen von Konferenzen,
Netzwerktreffen, u.a.). Es bestehen zusätzlich Kooperationen zu ambulanten Pflegediensten,
Psycholog_innen            und     Praktiker_innen.   Zudem   nehmen   die   Mitarbeitenden/           Leitung   an
Expert_innennetzwerken teil und etablieren neue Zusammenschlüsse, die für die Arbeit mit der
Zielgruppe von Interesse sind.

7   http://www.idh-frankfurt.de/kriegkstrasse

                                                                                             15
3.7          Haus Im Stift – Bethel Stiftung, Gevelsberg8 (DE)
Das Haus Im Stift der Bethel Stiftung richtet seine Angebote an pflegebedürftige, chronisch mehrfach
abhängigkeitserkrankte Menschen mit Leistungen der geriatrischen Pflege. Das 2003 fertig gestellte
Haus Im Stift liegt inmitten der Stadt Gevelsberg, nur wenige Gehminuten von der Innenstadt entfernt.
                                                             Das Haus umfasst 24 Plätze in der barrierefreien Wohn-
                                                             und          Betreuungseinrichtung,            davon          sechs
                                                             Einzelappartements,           mit   Dusche/     WC,    z.T.     mit
                                                             eingebauter Küchenzeile und 18 Einzelzimmer. Dusche,
                                                             Bad und WC teilen sich jeweils zwei Bewohnende. In der
                                                             Einrichtung stehen Multifunktionsräume zur Verfügung.
                                                             Zudem gibt es im Haus Im Stift Gemeinschaftsräume, ein
    © Bethel Stiftung
                                                             Pflegebad sowie einen großen Garten mit Terrasse.
Alternativ existiert die Möglichkeit, in von der Stiftung angemieteten Wohnungen mit intensiver
sozialpsychiatrischer Begleitung zu leben.

Das Angebot umfasst Wohn- und Unterstützungsangebote im stationären und ambulanten Rahmen:

       -     Arbeits-, Beschäftigungs- und Kreativtherapie (intern und extern in Werkstätten für Menschen mit
             Behinderung)

       -     Tages- und Freizeitgestaltende Angebote

       -     Therapeutische Einzel- und Gruppengespräche

       -     Unterstützung bei der Regelung behördlicher und finanzieller Angelegenheiten und Sinnfindung

       -     Lebenspraktisches        Training/     Förderung       und    Unterstützung         der   Selbstständigkeit    und
             Haushaltsführung

       -     Sport- und Freizeitmaßnahmen • Urlaube in kleinen Gruppen

       -     Unterstützung beim Erhalt, Aus- und Aufbau von Kontakten

       -     Partizipation der Klient_innen (Beispiel Schnittstelle stationär/ ambulant)

Dem Selbstverständnis der Arbeit entspricht es, dass mit dem Willen der Klient_innen gearbeitet wird.
Es besteht eine enge Vernetzung zum ambulant Betreuten Wohnen und der Schwestereinrichtung Haus
Kreisstraße in Witten. Zudem verfügt das Angebot über ein gutes medizinische Versorgungsnetzwerk
durch niedergelassene Ärzt_innen und örtliche Kliniken sowie durch therapeutische Angebote in der
Einrichtung oder örtlichen Praxen (Bethel.regional 2018).

8   http://www.bethel-regional.de/einrichtungdienst-details-108/items/haus-im-stift.html

                                                                                                           16
4. BeTrAD Toolbox: Online-Tool zur Wissensvermittlung
Um eine Verbesserung bereits existierender und neu zu entwickelnder Angebote für die Zielgruppe zu
unterstützen, wurde im Verlauf des BeTrAD-Projektes eine Toolbox entwickelt. Die Toolbox bietet auf
der Projektwebsite9 Anleitungen und Methoden zur Verbesserung, Schaffung und Entwicklung der
Angebote für alternde Drogenkonsumierende, legt aber auch die Grundlagen, Philosophie und die
Methoden zur Schaffung neuer Angebote fest. Darüber hinaus dienen die Instrumente und das dort
vermittelte Wissen als Bildungsmöglichkeit für Fachkräfte und Studierende, die in diesem Bereich
geschult werden müssen. So sichert die Toolbox als Online-Tool Nachhaltigkeit in Form von kostenloser,
freiwilliger Informations- und Weiterbildungsmöglichkeit.

Der Aufbau der BeTrAD-Toolbox besteht aus vier Hauptblöcken:

      -    Situation und Kontext alternder Drogenkonsumierender in Europa

      -    Bereitstellung von Informationen zu Methoden und Instrumenten, die die Erkennung, Diagnose,
           Pflege und Behandlung von alternden Drogenkonsumierenden verbessern und gleichzeitig die
           Lebensqualität messen.

      -    Informationen und Vorstellung von Beispielen guter europäischer Versorgungspraxis spezifischer
           oder unspezifischer Interventionen für die Zielgruppe.

      -    Datenbank mit Referenzen, Ressourcen und Zugängen sowie relevanten Weblinks zum Thema.

5. BeTrAD Training Curriculum: Schulungskonzept
Das       Training    Curriculum     ist   ein   weiterer    Output    des BeTrAD        Projektes.    Zielgruppe   sind
Multiplikator_innen die Schulungen und Fortbildungen zu den spezifischen Herausforderungen im
Umgang mit älter werdenden Drogengebrauchenden für Professionelle der Suchthilfe, Pflege (mobil und
stationär) und im medizinischen Bereich anbieten.

Es ist ein Ziel des Training Curriculums, MultiplikatorInnen mit Ideen und Materialien auszustatten, die
sie direkt für die Erwachsenenbildung einsetzen können. Weiteres Ziel ist es, Entscheidende und
Politiker_innen für die besonderen Bedarfslagen und die spezielle Situation einer älter werdenden
Klientel zu sensibilisieren. Darüber hinaus sollen Geschäftsführungspersonen und Leitungskräfte dabei
unterstützt und motiviert werden, Schulungs- und Fortbildungsbedarfe bei Ihren Mitarbeitenden zu
erkennen und bei Bedarf mit Unterstützung des Training Curriculums selbst Schulungen zu organisieren.

Das Schulungskonzept des Training Curriculums enthält Einheiten und Materialien zu den folgenden
Themen:

9   Weitere Informationen zum Online-Tool Toolbox siehe Website: http://www.betrad.eu.

                                                                                                      17
1. Substanzkunde und Substitutionsbehandlung,

       2. Altersbedingte Erkrankungen und Doppeldiagnosen,

       3. Multiprofessionelle Fallkonferenz,

       4. Ethische Probleme im Umgang mit alterndem Klientel,

       5. Förderung von Inklusion und Integration,

       6. Hintergrundinformationen zu den Systemen Suchthilfe, Pflege und medizinischer Bereich,

       7. Gesundheitsförderung und Infektionsprophylaxe.

Das Training Curriculum ist in englischer Sprache verfasst. Es enthält sechs Module mit insgesamt 20
Schulungseinheiten, die innerhalb eines 3-Tages-Trainings realisiert werden können. Da die Module
nicht aufeinander aufbauen, ist es auch möglich, nur einzelne Module oder Einheiten anzubieten10.

10   Weitere Informationen und den Download zum Training Curriculum siehe Website: http://www.betrad.eu.

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6. Handlungsempfehlungen
6.1    Handlungsempfehlungen auf Europäischer Ebene
Um den spezifischen Bedürfnissen der alternden Drogenkonsumenten gerecht zu werden, können
bestehende nicht altersspezifische Dienstleistungen, einschließlich Personalschulung oder Bereitstellung
spezifischer Gruppen für alternde Konsumierende, soziale Aktivitäten oder Veranstaltungen angepasst
werden. Es besteht ein Bedarf an integrierter, multidisziplinärer Betreuung und Case Management. Im
Falle eines Mobilitätsverlusts könnten auch Interventionen im häuslichen Bereich oder mehr Aufklärung
notwendig sein. Pflegedienste und Krankenschwestern sollten sensibel für die Bedürfnisse dieser
kleinen, aber wachsenden Zielgruppe sein. Die andere Möglichkeit besteht darin, neue und spezialisierte
Angebote und Programme zu schaffen. Hierfür sollten vielversprechende Interventionen und
bestehende, neu geschaffene oder angepasste bewährte Versorgungsmodelle auf europäischer und
nationaler Ebene identifiziert und genauer betrachtet werden (z. B. Kapitel 3 und als Werkzeug Kapitel
4).

Ein weiterer wichtiger Punkt zur Verbesserung der Behandlung alternder Drogenkonsumierenden ist der
Aufbau lokaler und starker interdisziplinärer Netzwerke und Kooperationen, einschließlich Ärzt_innen,
Krankenpflege, Palliativmedizin, sozialer Dienste und Gleichaltrigen. Der interdisziplinäre, fachliche
Austausch stellt eine wichtige Ressource für die Behandlung der Zielgruppe dar.

Multiple somatische und psychische Komorbiditäten erschweren die Diagnosebehandlung älterer
Drogenkonsument_innen (Kastelic 2014). Alternde Drogenkonsumierende sind mit Symptomen
vorzeitiger körperlicher Alterungsprozess konfrontiert (Vogt 2011) und sind daher früher auf
medizinische Versorgung und Pflege angewiesen. Drogenkonsum ist ein Risikofaktor für früher
auftretende und schwerere Formen von Diabetes, neurologischen Störungen, Herz-Kreislauf-
Erkrankungen, Leberzirrhose oder Krebs. Auch besteht Bedarf an niedrigschwelliger Zahnpflege.
Darüber hinaus leidet die Zielgruppe an komplexen psychischen und psychiatrischen Störungen wie
Angst oder Depression (Kastelic 2014) - aber niedrigschwellige sozialpsychiatrische Dienste für die
Zielgruppe sind selten und sollten aus diesen Gründen ausgebaut werden. Es ist wichtig, Patient_innen
mit chronischen Krankheiten wie Hepatitis C oder HIV eine andauernde Gesundheitsversorgung
anzubieten sowie eine weitere Ausbreitung dieser Krankheiten zu verhindern, indem der barrierefreie
Zugang zu niedrigschwelligen Harm Reduction angeboten wie Drogenkonsumräumen gesichert ist.

Bei der Opioid-Substitutionsbehandlung sollte mehr Sorgfalt auf die Wahl des Medikaments, Dosierung,
Verabreichungsform, Take-Home Möglichkeiten sowie auf schmerztherapeutische Behandlung gelegt
werden (Kastelic 2014). Opioid-Substitutionsmedikamente (Methadon, Buprenorphin, Diacetylmorphin
usw.) sollten im „zu Hause“ alternder Drogenkonsument_innen angeboten oder über die häusliche
Pflege ausgegeben werden. Bei Patient_innen mit lang anhaltenden und schweren Abhängigkeiten
sollte eine heroingestützte Behandlung in Erwägung gezogen werden (Johnston et al. 2017). Opioid-
Substitution und auch heroingestützte Behandlung ist in einigen europäischen Ländern verfügbar. Eine

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adäquate Schmerztherapie ist aufgrund der hohen Toleranz von Langzeit-Drogenkonsumierenden
gegenüber    Opioid-Analgetika    notwendig.   Schmerzmanagement        und   Palliativpflege   sowie   die
psychosoziale Begleitung sterbender Drogenabhängiger werden außerdem zu wichtigen Themen.

Um Obdachlosigkeit zu verhindern und zu beenden, könnten erste Wohnmodelle für alternde
Drogenkonsumierende entwickelt werden, die unter instabilen Bedingungen leben. Beispiele hierfür
finden sich in Finnland (Johnston et al. 2017) oder in den Niederlanden (z.B. Kapitel 3.1). Im Falle einer
eingeschränkten Mobilität sollten die Wohnmodelle die Möglichkeit eines behindertengerechten Zugangs
für den Transport bieten. Die Unterstützung von aufsuchender Sozialarbeit mit Ausweitung von
Hausbesuchen in Form eines integrierten, multidisziplinären Ansatzes ist zum Erreichen der Zielgruppe,
die bereits Teil des nichtaltersspezifischen Drogenhilfesystems sind von großer Bedeutung.

Soziale Isolation, Marginalisierung und Isolation können durch die Bereitstellung von altersspezifischen
Gruppen, Durchführung von sozialen Aktivitäten und Veranstaltungen oder durch die Förderung von
Ehrenamt oder Peer-Group-Hilfen vermindert werden. Es ist wichtig, die Möglichkeiten des sozialen
Austausches zu unterstützen. Bei der Arbeit mit dieser speziellen Klientel ist es wichtig, ihre Sorgen über
alte und damit geschlechtsspezifische Probleme von Alterungsprozessen einzubeziehen. Zudem dienen
solche Angebote der Strukturierung der Tage. Eine konsequente Routine hilft, soziale Isolation und
Rückzug, Bewegungseinschränkungen, Gefühle der Nutzlosigkeit und Einsamkeit zu vermindern.

Regierungen müssen mehr denn je Strategien entwickeln, um diese Zielgruppen zu unterstützen und
unnötige Todesfälle auf europäischer und nationaler Ebene zu verhindern. (Pflege-) Heime werden
häufig nicht dafür bezahlt, alternde Drogenkonsumierende zu betreuen und zu unterstützen und
verfügen nicht über das Fachwissen, um Menschen mit Drogenproblemen zu adäquat zu versorgen. Die
europäischen Länder müssen sich an diesen Stellen weiter entwickeln.

Das Thema alternde Drogenkonsumierende ist in Politik und Forschung wenig vertreten. Es ist
notwendig, mehr qualitative und quantitative Daten zu diesem Thema auf nationaler, aber auch auf
europäischer Ebene zu sammeln. Darüber hinaus bedarf es an Fortbildungen für alle relevanten
Hilfesysteme (Drogenhilfe, Geriatrie, Pflege, Medizin), um ein multiprofessionelles Case Management im
Hinblick auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ressourcen alternder Drogenkonsumierender zu
implementieren. Die Weiterbildung sollte Themen wie den Umgang mit ethisch problematischen
Situationen, Deeskalationstrainings, Wissen über Infektionen und Prophylaxe, Safer-Use- und
Substanzwissen etc. umfassen.

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6.2    Handlungsempfehlungen für Deutschland

Um den epidemiologisch belegenten, durch den Struktur- und Generationswandel in Deutschland und
das Altern der Nachkriegsgeneration vorangetriebenen Anstieg der Zahl alternder Drogenabhängiger in
Deutschland aufzufangen und die Zielgruppe bestmöglich versorgen zu können, liegt der Schlüssel vor
allem in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen. Die Kooperation von Altenhilfe und
Suchthilfe muss weiter ausgebaut werden. Unter Einbezug des Gesundheitssystems lassen sich neue
Versorgungskonzepte erschaffen, um die Zielgruppe bestmöglich versorgen zu können. So sollte
gewährleistet sein, dass Substanzabhängige in stationären Altenhilfeeinrichtungen angemessen
medikamentös behandelt werden können. Regelmäßige Fallbesprechungen und Transparenz in der
Behandlung können einen sachgerechten Umgang mit Psychopharmaka, Opioiden und anderen
Medikamenten erleichtern. Durch die Änderung der BtMVV wurde erst Anfang des Jahres 2017 die
Abgabe von Opiat-Substitution durch Alten- und Krankenpflegepersonal beschlossen. Wie sich diese
Verordnung auf die Aufnahme Opiatabhängiger in Altenhilfeeinrichtungen auswirkt, muss noch überprüft
werden. Die vorhandenen Ressourcen in der Zusammenarbeit mehrerer Professionen liegen im
gegenseitigen Kompetenz- und Wissenstransfer. Dieser sollte in Form eines Wissensmanagements zur
besseren Ausbildung und Schulung beteiligter Professioneller genutzt werden und entsprechendes
Basiswissen vermitteln. Dies schließt alle betroffenen Mitarbeitenden wie Krankenpflegende,
Sozialarbeitende,   Altenpflegende   aber   auch    behandelnde    Ärzt_innen   mit   ein.   Fortbildungen
sensibilisieren für das Thema Sucht im Alter und können dazu dienen, Erkrankungen rechtzeitig zu
erkennen und am Wunsch des Betroffenen orientierte, adäquate Behandlungen leisten zu können.
Zusätzlich können gute Weiterbildungen und Wissenstransfers eine positive Grundhaltung, ebenso wie
eine Sensibilisierung gegenüber der Klientel begünstigen, statt sie zu tabuisieren und zu stigmatisieren.

Deutschlandweit haben sich bereits einige Suchthilfe- aber auch Altenhilfeeinrichtungen mit der
Versorgung älterer Substanzkonsumierender, vor allem der von Medikamenten und Alkohol, aber auch
älterer Konsumierender illegaler Substanzen auseinandergesetzt und neue Konzepte und Empfehlungen
(Bsp. Siehe Kapitel 3) entstehen lassen. Trotzdem ist das Thema noch nicht ausreichend in
Fachverbänden und Politik angekommen. Die rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten und Grenzen,
die bisher die Zugangswege in adäquate Angebote stark erschweren, sind noch nicht klar und einheitlich
geregelt. Ungeachtet des Rechts auf gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen, werden hier von
vornherein bestimmte Zielgruppen durch individuelle Aufnahmebestimmungen der Altenhilfeangebote
ausgeschlossen.

In Deutschland mangelt es an aktuellen, repräsentativen Zahlen zum Thema altern mit Sucht, die nicht
bloß auf Schätzungen basieren und welche die Zielgruppe, speziell die Menschen im gehobenen Alter
miteinschließen. Es braucht mehr Struktur- Prozess- und Ergebnisevaluation zu evidenzbasierter Pflege
bei Suchtkrankheit. Untersucht werden müsste hierbei auch, ob die spezifische Behandlung

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substanzabhängiger Älterer nötig ist, oder die Betreuung auch in gut vernetzten und weitergebildeten,
regulären Altenhilfeeinrichtungen gewährleistet werden kann.

Politik, Altenhilfeeinrichtungen, Fachverbände und Suchthilfe müssen unter Nutzung ihres durch
weiterführende wissenschaftliche Studien belegten spezifischen Wissens miteinander kooperieren und in
den Kommunen dafür sorgen, dass betroffenen älteren Drogenkonsumierenden Zugangswege zu den
Hilfesystemen geschaffen bzw. aufgezeigt werden.

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7. Literaturverzeichnis

Becker, Gabi. (2017): Unsere alternde Klientel. Herausforderungen für die niedrigschwellige
Drogenarbeit. In: Heino Stöver, Daniela Jamin und Christina Padberg (Hg.): Ältere Drogenabhängige.
Versorgung und Bedarfe. 1. Aufl. Frankfurt/Main: Fachhochschulverlag, S. 190–199.

Bethel.regional (2018): Haus im Stift. Hilfe für chronisch mehrfach abhängigkeitskranke Menschen.
Online            verfügbar            unter            http://www.bethel-regional.de/tl_files/bethel-vor-
ort/angebotsfinder/downloads/Flyer_Haus_im_Stift_2013.pdf, zuletzt geprüft am 07.04.2018.

Bundesministerium für Gesundheit (15.03.2017): Bundesgesundheitsminister Gröhe: „Teufelskreis der
Abhängigkeit unterbrechen“. Bundeskabinett beschließt Reform der betäubungsmittelrechtlichen
Vorschriften zur Substitutionsbehandlung von Drogenabhängigen. Berlin. Online verfügbar unter
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/4_Pressemitteilungen/2017/2017_1/17
0315_PM_Substitutionsverordnung.pdf.

Cerreta, Francesca; Eichler, Hans-Georg; Rasi, Guido (2012): Drug policy for an aging population--the
European Medicines Agency's geriatric medicines strategy. In: The New England journal of medicine 367
(21), S. 1972–1974. DOI: 10.1056/NEJMp1209034.

Deutsches Institut für Sucht und Präventionsforschung (Hg.) (2017): "Alters-CM³". Drogenabhängigkeit
im Alter: Erfahrungs-, lebenswelt- und versorgungs- systemorientiertes Case Management für ältere
drogenabhängige Menschen in drei Regionen. Unter Mitarbeit von T. Hoff, J. Becker und U. Kuhn.
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen. Online verfügbar unter https://www.katho-nrw.de/katho-
nrw/forschung-entwicklung/institute-der-katho-nrw/disup/forschungsprojekte/alters-cm3/, zuletzt geprüft
am 04.04.2018.

EMCDDA (2010): Treatment and care for older drug users. Lisbon.

EMCDDA (Hg.) (2013): Ageing and addiction: challenges for treatment systems. Unter Mitarbeit von
Alessandro Pirona, Bruno Guarita, Linda Montanari und André Noor.

EMCDDA      (2015):   European    Drug    Report    2015.   Luxembourg.      Online    verfügbar    unter
http://www.emcdda.europa.eu/attachements.cfm/att_239505_EN_TDAT15001ENN.pdf.

EMCDDA (2017a): Europäischer Drogenbericht. Trends und Entwicklungen. Hg. v. European Monitoring
Centre    for    Drug     and     Drug     Addiction.    Luembourg.       Online      verfügbar     unter
http://www.emcdda.europa.eu/system/files/publications/4541/TDAT17001DEN.pdf.

EMCDDA (Hg.) (2017b): Germany. Country Drug Report. Lisbon.

European Union (Hg.) (2017): EU Action Plan on Drugs 2017-2020.

                                                                                      23
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