TIBET360 - Dringend gesucht: Neue China-Politik

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TIBET360 - Dringend gesucht: Neue China-Politik
TIBET360°
INFORMATIONEN | MEINUNGEN | ANALYSEN          AUSGABE 2 | 2022

                      Dringend gesucht:
                      Neue China-Politik
                                                         2
                4
                                           Forcierte

                                           3
                       Einzelfall:
                       Rinchen Tsultrim    Assimilierung der
                                           Tibeter
TIBET360 - Dringend gesucht: Neue China-Politik
TIBET360°

                                                                           DRINGEND GESUCHT:
                                                                           NEUE CHINA-POLITIK

                                                                      2                                 Editorial

                                                                                                            Der Überfall Russlands auf die Ukraine markiert eine
                                                                                                        außenpolitische Zeitenwende in Deutschland. In der
                                                                                                        sicherheitspolitischen Betrachtung autoritärer Staaten ver-
                                                                                                        ändern sich die Sichtweisen auf dramatische Weise. Wenn
                                                                                                        100 Milliarden Euro für Verteidigung zur Verfügung gestellt
                                                                                                        werden, dann drängt sich die Frage auf, was sich denn in
                                                                                                        der Menschenrechtspolitik Deutschlands, insbesondere
                                                                                                                                                                         dabei zwei Seiten einer Medaille. Wer Menschenrechts-
                                                                                                                                                                         verletzungen nicht entschieden entgegentritt, der wird
                                                                                                                                                                         sich mittel- und langfristig mit einer aggressiven Außenpo-
                                                                                                                                                                         litik dieser Regime auseinandersetzen müssen.
                                                                                                                                                                              Ostturkestan, Hongkong und auch Tibet, von China
                                                                                                                                                                         1950 gewaltsam besetzt, sind für die deutsche Außenpoli-
                                                                                                                                                                         tik deswegen ein Lackmus-Test, der bis dato nicht bestan-
                                                                                                        im Verhältnis zu autoritären Staaten wie China ändern            den wurde. Zum Beispiel hat die Ausverhandlung des
                                                                                                        sollte – ganz grundsätzlich. Das Auswärtige Amt arbeitet         EU-China-Investmentabkommens durch die Bundesregie-
                                                                                                        dem Vernehmen nach an einer neuen China-Strategie.               rung den Autokratien dieser Welt, wahrscheinlich auch
                                                                           Kai Müller,                  Diese neue Strategie muss eine realistische, robuste und         dem Kreml, ein weiteres Mal suggeriert, dass wir im Zwei-
                                                                           ICT-Geschäftsführer          konsequente Menschenrechtspolitik gegenüber der herr-            fel auch angesichts von Verbrechen wie in Ostturkestan,
                                                                                   Foto: Yan Revazov
                                                                                                        schenden Kommunistischen Partei beinhalten.                      einer rücksichtslosen Assimilationspolitik wie in Tibet und
                                                                                                            Menschenrechtsverletzungen autoritärer Staaten sind          einer Abwicklung von Demokratie und Rechtsstaat wie in
                                                                                                        eine Frage nationaler oder europäischer Sicherheit. Auto-        Hongkong nicht zu Grundprinzipien internationalen Rechts
                                                                                                        ritäre Regime wie die Führung in Peking ziehen aus Indif-        stehen. Damit schaden wir unseren eigenen Interessen.
                                                                                                        ferenz den Schluss, ihre Handlungsspielräume zu erwei-           Das muss sich ändern.
                                                                                                        tern. Sie versuchen, Kritik an ihrer Politik in demokratischen
                                                                                                        Staaten mit Drohung und Belohnung zu unterbinden. Sie
                                                                                                        setzen darauf, dass ihre Narrative ohne weitere Aufforde-                Mehr Informationen:
                                                                                                        rung antizipiert und stillschweigend übernommen werden.            ICT-Forderungskatalog (Oktober 2021):
                                                                                                        Repressive Innenpolitik und aggressive Außenpolitik sind           https://bit.ly/3dmUVvW

                                                                           UN-HOCHKOMMISSARIN AM SCHEIDEWEG
                                                                                                        Die Hochkommissarin für Menschenrechte der Verein-               für die Helsinki Foundation for Human Rights kritisierte
Fotos Cover im Uhrzeigersinn: Foto: picture alliance / Xinhua | Li Tao ;

                                                                                                        ten Nationen Michelle Bachelet hat im UN-Menschen-               die International Campaign for Tibet überdies das
                                                                                                        rechtsrat angekündigt, dass sie im Mai in die Volksrepu-         andauernde Schweigen der Hochkommissarin zur Lage
                                                                                                        blik China reisen werde. Demnach würde im April ein              in Tibet.
                                                                                                        “Vorausteam” des Menschenrechtsbüros in die Volksre-             ICT ist in großer Sorge, dass die Hochkommissarin wis-
                                                                                                        publik reisen, um “Vorort-Besuche in Xinjiang und ande-          sentlich in Kauf nimmt, dass sie keinen unabhängigen,
                                                                                                        ren Orten“ vorzubereiten. Unklar ist, unter welchen              geschützten und freien Zugang zu Einzelpersonen und
Quelle: Xuexidajun.com; Quelle: Tibet Times

                                                                                                        Bedingungen der Besuch stattfindet und welche „ande-             relevanten Orten erhält und sich damit von der chinesi-
                                                                                                        ren Orte“ besucht werden.                                        schen Führung instrumentalisieren lässt, während sie
                                                                                                        Menschenrechtsorganisationen, darunter die Internatio-           gleichzeitig eine klare Positionierung ihres Büros zu den
                                                                                                        nal Campaign for Tibet, haben in einem Schreiben an die          Menschenrechtsverletzungen der KP Chinas unterlässt.
                                                                                                        Hochkommissarin die Veröffentlichung des lange ange-
                                                                                                        kündigten Berichtes des UN-Menschenrechtsbüros über
                                                                                                        die Menschenrechtslage in Ostturkestan gefordert. Dem                    Mehr Informationen:
                                                                                                        Vernehmen nach liegt dieser Bericht seit September                 ICT-Pressemitteilung vom 14.03.2022:
                                                                                                        2021 vor, wird aber zurückgehalten. In ihrem Statement             https://bit.ly/3dmUVvW
TIBET360 - Dringend gesucht: Neue China-Politik
AUSGABE 2 | 2022

   FORCIERTE
   ASSIMILIERUNG
   DER TIBETER

             LEGITIMIERUNG DER
              KP-HERRSCHAFT
   Die Kommunistische Partei (KP) Chinas forciert in Tibet
ihre Politik der erzwungenen Assimilierung, um die tibeti-
                                                             religiösen Ansichten ins Visier nimmt. So gab die Partei
                                                             Mitte letzten Jahres einen Verhaltenskodex für ihre tibeti-
                                                             schen Mitglieder heraus, in dem sie ihnen untersagt, sich
                                                             religiös zu betätigen. Zahlreiche tibetische Parteimitglie-
                                                             der und Regierungsangestellte wurden von der Partei-
                                                             kommission für disziplinarische Inspektion und Überwa-
                                                             chung als sogenannte „Doppelgesichtige“ untersucht
                                                                                                                           3
sche Kultur und Religion den ideologischen Zielen der        und anschließend aus ihren Positionen ausgeschlossen,
Kommunistischen Partei unterzuordnen. Im Zuge der            weil sie an ihrer tibetischen Identität und ihren Werten
sogenannten „Sinisierung“ wird dabei vorgegeben, es          festhielten.
werde eine Orientierung hin zur han-chinesischen Kultur
angestrebt. Stattdessen geht es den Behörden jedoch            Forcierte Migration von Han-Chinesen
um die komplette Unterwerfung Tibets unter die Ideolo-         nach Tibet
gie der KP-Führung, was eine hochrangig besetzte Konfe-
rez am 9. Februar in Lhasa besonders deutlich zeigte.           Die Migrationsstrategie der KP wird unter dem Motto
   An der als „ethnische Arbeitskonferenz“ bezeichneten      „den Austausch und die Integration aller ethnischen Grup-
Konferenz nahmen hohe KP-Funktionäre, Regierungsver-         pen weiter zu fördern“ präsentiert, wie Tibets KP-Chef
treter der sogenannten Autonomen Region Tibet (TAR)          Wang Junzheng im Februar bei der Konferenz in Lhasa
sowie hohe Funktionäre von Justiz, Militär und der bewaff-   sagte. Seinen Worten zufolge gehe es darum, „sich zu
neten Polizei der TAR teil. Berichten chinesischer Staats-   bemühen, soziale Bedingungen für die Menschen aller
medien zufolge zog der KP-Sekretär der TAR, Wang Junz-       ethnischen Gruppen zu schaffen, um zusammen zu leben,
heng, dabei in seiner Ansprache eine Bilanz der              zu lernen, zu bauen und zu teilen, zusammen zu arbeiten,
„Sinisierung“ der Tibeter in den letzten fünf Jahren.        zusammen Spaß zu haben und sich eng zu umarmen wie
   Aus Sicht der International Campaign for Tibet geben      Granatapfelkerne“. Hinter solchen Slogans verbirgt sich
vor allem zwei auf der Konferenz diskutierte Themenbe-       eine Politik, die zum Ziel hat, die demographischen Ver-
reiche Anlass zur Sorge, zum einen der Einsatz tibetischer   hältnisse in Tibet grundlegend zu verändern.
KP-Kader zur Legitimierung der KP-Herrschaft, zum ande-         Die Abschaffung des „Hukou”-Systems für die Regist-
ren die forcierte Migration von Han-Chinesen nach Tibet.     rierung städtischer Haushalte nach der Konferenz in
   Bereits auf der Zentralen Konferenz für ethnische         Lhasa ebnet nun den Weg für die Nicht-Hukou-Bevölke-
Arbeit 2014 erklärte KP-Generalsekretär Xi Jinping: „Um      rung, also vor allem für chinesische Wanderarbeiter, sich
gute Arbeit in der ethnischen Arbeit zu leisten, sind die    in Tibet niederzulassen. Künftig ist also mit einem noch
Kader der ethnischen Minderheiten wichtige Brücken und       stärkeren Zustrom von Han-Siedlern nach Lhasa und
Bindungen. Lassen Sie sie viele Angelegenheiten für uns      anderen offiziell neu ausgewiesenen städtischen Gebie-
erledigen, weil sie von den ethnischen Minderheiten eher     ten in Tibet zu rechnen. Der Anteil der Han-Bevölkerung
akzeptiert werden; sie werden in kritischen Momenten         in der TAR war laut Zensus-Statistik bereits von 245.263
auftauchen, und die Wirkung wird besser sein.“ Die chine-    im Jahr 2010 auf 443.370 im Jahr 2020 gestiegen.
sische KP zielt damit offenbar darauf ab, dass die Tibeter
von tibetischen Kadern kontrolliert werden, während im
Hintergrund die zentrale Parteiführung in Peking die                 Mehr Informationen:
Fäden zieht. So soll die Legitimität der Partei in Tibet       ICT-Report „Analysis: Sinicizing Tibetans
gestärkt werden.                                               in a Chinese nation-state“:
   Zugleich hat die KP die Notwendigkeit erkannt, die          https://bit.ly/2WvB0Uy
Loyalität ihrer 82.000 tibetischen Parteimitglieder in der
TAR zu überprüfen, indem sie ihre politischen und
TIBET360 - Dringend gesucht: Neue China-Politik
TIBET360°                                                                                                                    AUSGABE 2 | 2022

                                                                                                          +++newsTICKER+++

WEITER SORGE
UM RINCHEN                                                                                                 Quelle: Woeser

TSULTRIM

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                                                                                                          Der 25-jährige tibetische Künstler
                                                                                                          Tsewang Norbu verbrennt sich selbst
                                                                                                          vor dem Potala-Palast:
                                                                                                          https://bit.ly/2Yz6prM

    Nach der Verurteilung von Rinchen              sie den genauen Inhalt dieser Beiträge ver-
Tsultrim zu einer Haftstrafe von vier Jahren       schweigen. Gewöhnlich verwenden chinesi-
und sechs Monaten im März 2021 ist die Inter-      schen Behörden Anklagen aufgrund von Ver-
national Campaign for Tibet (ICT) weiter in        brechen gegen die „Staatssicherheit“,                  Foto: Screenshot ZDF

Sorge um das Wohlergehen des 30-jährigen           „Sezession“ oder „Separatismus“ als Vor-
tibetischen Mönches. Aus Sicht von ICT             wand, um den Ausdruck von Unterstützung                ZDF berichtet über
wurde Tsultrim willkürlich verhaftet, weil er      für den Dalai Lama, für die tibetische Kultur          chinesische Unterdrückung
friedlich seine Meinung geäußert hat. Des-         oder für freie Meinungsäußerung entgegen               in Tibet
halb fordert ICT weiterhin, dass sich die inter-   internationalem Recht zu verfolgen.                    https://bit.ly/2yxYf8q
nationale Gemeinschaft bei der chinesischen           Nach der Verhaftung von Rinchen Tsultrim
Regierung für seine sofortige Freilassung          am 1. August 2019 in der osttibetischen
einsetzt.                                          Region von Ngaba, 1965 als sog. tibetisch-au-          Internationaler Tag der Muttersprache -
    Am 14. September 2021 hatten vier unab-        tonome Präfektur der Provinz Sichuan zuge-             ICT sieht tibetische Kultur in ihrer
hängige Menschenrechtsgremien und Exper-           schlagen, blieben die genauen Umstände                 Existenz bedroht:
ten der Vereinten Nationen die Fälle der           seiner Verurteilung lange Zeit im Dunkeln.             https://bit.ly/2yvxf9C
inhaftierten Tibeter Rinchen Tsultrim und Go       Am 26. März 2021 teilten die chinesischen
Sherab Gyatso in einer Mitteilung an die chi-      Sicherheitsbehörden in Ngaba seiner Familie
nesische Regierung zur Sprache gebracht.           lediglich mündlich mit, dass er zu einer Haft-         ICT-Erklärung zum Ende der
                                                   strafe von vier Jahren und sechs Monaten               Olympischen Spiele in Peking:
                                                   verurteilt worden sei und sich in einem                https://bit.ly/2Yz6prM
VERGEBLICHES WARTEN AUF                            Gefängnis in Chengdu befinde. Die Familie
EINE OFFIZIELLE ERKLÄRUNG                          des Mönches wurde daraufhin aufgefordert,
                                                   ihn im Gefängnis zu besuchen, obwohl der               Newsletter
Die UN-Arbeitsgruppen gegen Verschwin-             genaue Standort der Haftanstalt nicht von der          Die International Campaign for Tibet
denlassen und gegen willkürliche Inhaftierun-      Behörde mitgeteilt wurde. Bis heute wartet             versendet regelmäßig per E-Mail aktu-
gen und die Sonderberichterstatter für Min-        die Familie von Rinchen Tsultrim vergeblich            elle Informationen über Tibet und die
derheitenfragen sowie für Religions- und           auf ein offizielles Dokument zu dem Fall.              Arbeit der ICT.
Glaubensfreiheit äußerten darin „ernsthafte
Besorgnis über die mutmaßlich willkürliche                                                                https://savetibet.de/newsletteranmeldung/
Inhaftierung und das Verschwindenlassen“                    Mehr Informationen:
der beiden Tibeter. Leider bestätigte die Ant-        ICT-Bericht von Dezember 2020:
wort der chinesischen Regierung auf das               https://bit.ly/2SGoDUF
Schreiben die Befürchtungen von ICT. Beide
Tibeter befinden sich unter dem Vorwurf der        Impressum                 TIBET360°
„Anstiftung zur Sezession“ nach wie vor zu
                                                   Herausgeber:                        V. i. S. d. P.: Kai Müller
Unrecht in Haft.                                   International Campaign for Tibet
   Die chinesischen Behörden behaupten,            Deutschland e. V.                   Stand: 17. März 2022
Rinchen Tsultrim habe im chinesischen Soci-        Schönhauser Allee 163
al-Media-Netzwerk WeChat Nachrichten               10435 Berlin                        Druck: Arnold Group, Großbeeren
gepostet, die „die nationale Einheit, Souverä-
                                                   Tel.: +49 (0) 30 / 2787 9086
nität und territoriale Integrität gefährden und    Fax: +49 (0) 30 / 2787 9087
die soziale Stabilität untergraben“, während       info@savetibet.de
                                                   www.savetibet.de
TIBET360 - Dringend gesucht: Neue China-Politik
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