Unterstützen die Bürger*innen die Ein-führung von Quoten und anderen Gleich-stellungsmaßnahmen in Deutschland?
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Kurzbeiträge Coffé/Reiser – Unterstützen die Bürger*innen die Einführung von Quoten und [...] MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 2 Unterstützen die Bürger*innen die Ein- 2018; Reiser 2014). Maßnahmen für Personen mit führung von Quoten und anderen Gleich- Migrationshintergrund gibt es hingegen in Deutsch- land bisher nicht (Deiss-Helbig 2019), obwohl ihr stellungsmaßnahmen in Deutschland? Anteil von aktuell 8% der Abgeordneten im Bundes- tag deutlich unterhalb ihres Anteils von 23% in der Hilde Coffé1/Marion Reiser2 Bevölkerung liegt (Mediendienst Integration 2017). Ob Quoten eine geeignete Maßnahme sind, ist wis- 1. Einleitung senschaftlich (u.a. Mansbridge 1999, Phillips 1995) wie gesellschaftlich umstritten. Die Debatten sind Aktuell finden in Deutschland vielfältige Debatten meist zutiefst normativ geprägt, da Quoten die politi- über Quoten und andere Maßnahmen zur Erhöhung sche Gleichheit und Repräsentation beeinflussen und des Anteils unterrepräsentierter Gruppen in den Par- eine Verschiebung von „equality of result“ zu „equa- lamenten statt: Die Landtage Brandenburgs und lity of opportunity“ implizieren. Kritiker*innen füh- Thüringens verabschiedeten nach kontroversen Dis- ren an, dass durch Quoten ein offener Wettbewerb kussionen im Jahr 2019 Paritätsgesetze, nach denen verhindert und das Leistungsprinzip ausgehebelt die Parteilisten für Landtagswahlen paritätisch be- würde. Befürworter*innen von Quoten argumentie- setzt sein müssen (vgl. Geppert 2019; rbb 2020). ren hingegen, dass dadurch bestehende Ungleichhei- Nach Klagen, u.a. der AfD, erklärten jedoch im Juli ten beseitigt und eine verbesserte Repräsentation be- 2020 der Thüringer Verfassungsgerichtshof und im stimmter sozialer Gruppen in den Parlamenten er- Oktober 2020 das Brandenburger Landesverfassungs- reicht werden könne (vgl. Bacchi 2006; Krook et al. gericht die gesetzlichen Quoten für verfassungswid- 2009). Dabei werden anlehnend an Pitkin (1967) rig, da sie u.a. das Recht auf Freiheit und Gleichheit Auswirkungen auf drei Dimensionen der Repräsen- der Wahl sowie das Recht der politischen Parteien tation diskutiert: auf die deskriptive Repräsentation, auf Chancengleichheit und Organisationsfreiheit be- also auf die sozio-demographische Zusammensetzung einträchtigen (Vates 2020; VerfGH Thüringen 2/20; der Parlamente; auf die substantielle Dimension, die VfgBbg 9/19 und VfgBbg 55/19). sich auf die Durchsetzung der Interessen und Präfe- Der Deutsche Bundestag beschloss im Oktober 2020 renzen der jeweiligen sozialen Gruppe bezieht, und im Rahmen der Wahlrechtsreform, eine Reformkom- auf die symbolische Repräsentation, die auf einer mission zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen ideellen Ebene verortet ist (u.a. Vorbilder, Gerech- und Männern im Bundestag einzusetzen – eine Re- tigkeitsvorstellungen) (vgl. auch Mansbridge 1999; aktion auch auf den Rückgang des Frauenanteils nach Phillips 1995; Bolzendahl/Coffé 2020). der Bundestagswahl 2017 auf 30,9%. Innerparteiliche Quoten sind unterschiedlich ausgestaltet: Gesetzliche Debatten finden aktuell u.a. in der CDU statt, die auf Quoten sind in der Verfassung bzw. dem Wahlrecht ihrem nächsten Parteitag über die Einführung einer geregelt und entsprechend für alle Parteien verbind- verbindlichen Frauenquote (Geis/Hildebrandt 2020) lich. Parteiquoten hingegen werden von den Parteien entscheiden will. Bündnis 90/Die Grünen will eben- freiwillig eingeführt. Diese Form dominiert in falls auf ihrem nächsten Parteitag über ein ‚Statut für Deutschland wie auch in anderen westlichen Demo- eine vielfältige Partei‘ abstimmen, um gesellschaftli- kratien (Reiser 2014). Neben Quoten, die als ‚fast che Gruppen besser zu repräsentieren (Riese 2020). track to equal representation‘ (Dahlerup/Freidenvall Quoten und andere Gleichstellungsmaßnahmen sind 2005: 26) gelten, gibt es weitere positive Maßnahmen, jedoch kein neues Phänomen, sondern wurden in den wie die Förderung des politischen Engagements der vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern einge- entsprechenden Personen. Diese setzen nicht bei den führt. Auch in Deutschland haben ausgehend von den innerparteilichen Selektionskriterien der Kandidaten- Grünen die SPD, die LINKE und die CDU Gender- aufstellung an, sondern auf der Angebotsseite der in- quoten für die innerparteiliche Kandidatenaufstellung nerparteilichen Bewerber*innen (Norris/Lovenduski eingeführt, während CSU, FDP und AfD bisher keine 1993). Da daher langsamere Effekte auf die Repräsen- Quoten anwenden (Davidson-Schmich 2016; Lang tation zu erwarten sind, sind dies Maßnahmen des 1 ‚incremental track“ (Dahlerup/Freidenvall 2005: 26). Prof. Dr. Hilde Coffé ist Professorin für Politikwissenschaft im Department of Politics, Languages and International Stu- Erstaunlicherweise werden in den aktuell geführten dies an der University of Bath. Debatten um Quoten und weitere Gleichstellungs- 2 Prof. Dr. Marion Reiser ist Inhaberin des Lehrstuhls für das maßnahmen in Deutschland bisher die Einstellungen Politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. der Bürger*innen zu diesen Maßnahmen kaum 180 doi:10.25838/oaj-mip-2020180-185
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 2 Coffé/Reiser – Unterstützen die Bürger*innen die Einführung von Quoten und [...] Kurzbeiträge beachtet. Deren Akzeptanz und Unterstützung ist je- Tabelle 1: Unterstützung von Maßnahmen zur Erhöhung der doch von großer Bedeutung für die Legitimität und deskriptiven Repräsentation im Bundestag Frauen Personen mit Effektivität dieser Maßnahmen (Clayton 2015). Zu- Migrations- dem kann sich eine Ablehnung der Quoten nachteilig hintergrund auf die Legitimation der Abgeordneten auswirken Unterstützung von Maßnahmen 42,2% 17,0% Gesetzliche Quoten 7,8% 1,0% (Morgenroth/Ryan 2018; Barnes/Córdova 2016). Freiwillige Parteiquoten 15,2% 3,7% Förderungen des politischen Engagements 19,2% 12,3% Daher lauten die beiden zentralen Fragestellungen Ablehnung von Maßnahmen 57,8% 83,0% des vorliegenden Beitrags: Unterstützen die Keine Notwendigkeit eines höheren Anteils 20,1% 29,4% Bürger*innen positive Maßnahmen zur Erhöhung Keine Notwendigkeit von Maßnahmen 37,7% 53,6% N 920 908 der deskriptiven Repräsentation von Frauen und Per- sonen mit Migrationshintergrund? Und welche Di- Quelle: Eigene Auswertung auf Basis von GLES 2017a, b. mension der Repräsentation (deskriptiv, substantiell Dabei ist insbesondere der sehr geringe Anteil an und symbolisch) wird für die Unterstützung der Befürworter*innen für die Einführung gesetzlicher Maßnahmen als besonderes wichtig erachtet? Quoten auffällig: Nur knapp acht Prozent der Be- Die Analyse basiert auf den Befragungen im Rahmen fragten sprechen sich für Paritätsgesetze aus und so- der GLES Langfrist-Online-Trackings. Dabei wurden gar nur ein Prozent für gesetzliche Quoten für Perso- die Befragten zu ihren Einstellungen zu positiven nen mit Migrationshintergrund. Als gering ist zudem Maßnahmen (gesetzliche Quoten, Parteiquoten, För- die Unterstützung von freiwilligen Parteiquoten zu derung des Engagements) für Frauen (GLES 2017a) bezeichnen: Während mehr als die Hälfte der im und für Personen mit Migrationshintergrund (GLES Bundestag vertretenen Parteien z.T. bereits seit den 2017b) befragt. Zudem wurde erfasst, welche Di- 1980er Jahren Genderquoten anwenden, werden die- mension der Repräsentation – deskriptiv, substantiell se dennoch lediglich von 15,2% der Befragten befür- oder symbolisch – für die Unterstützer*innen dieser wortet; der Anteil der Unterstützer*innen von Partei- positiven Maßnahmen am wichtigsten ist. Neben der quoten für Personen mit Migrationshintergrund ist deskriptiven Auswertung basieren die Ergebnisse zu mit 3,5% noch signifikant niedriger. Die Förderung Unterschieden und Effekten auf multivariaten logis- des politischen Engagements findet mit 19,2% bzw. tischen Analysen. 12,3% ebenfalls nur bei einer Minderheit Unterstüt- zung. 2. Unterstützung von Maßnahmen zur Erhöhung Im Ausmaß der Unterstützung zeigen sich erstens der deskriptiven Repräsentation signifikante Differenzen nach der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe. So unterstützen Frauen mehrheit- Die Analyse zeigt deutlich, dass die Mehrheit der lich (53,4%) und signifikant häufiger als Männer Befragten positive Maßnahmen zur Erhöhung der (31,4%) Maßnahmen zur Erhöhung der deskriptiven deskriptiven Repräsentation im Parlament ablehnt Repräsentation von Frauen. Dieser Effekt, der sich (vgl. Tabelle 1). Dabei ist die Ablehnung von Maß- auch in anderen Studien zeigte (u.a. Barnes/Córdova nahmen für Personen mit Migrationshintergrund 2016; Beauregard 2018), wird v.a. auf die Gruppen- besonders hoch: 83% der Befragten sehen keine identität, Eigeninteresse und die zugrundliegenden Notwendigkeit von Maßnahmen bzw. sogar keine Einstellungen zurückgeführt. Dies bestätigt sich je- Notwendigkeit für einen höheren Anteil dieser Per- doch nicht bei Maßnahmen für Personen mit Migra- sonengruppe im Parlament. Auch wenn die Ableh- tionshintergrund, da der Anteil an Unterstützer*innen nung von Maßnahmen für die Gruppe der Frauen innerhalb der Gruppe der Personen mit Migrations- mit 58% signifikant geringer ist, spricht sich den- hintergrund mit 16,9% fast identisch ist mit dem An- noch weniger als die Hälfte der Befragten für posi- teil innerhalb der Gruppe von Personen ohne Migra- tive Maßnahmen aus. tionshintergrund (17,2%). Hingegen unterstützen Frauen nicht nur signifikant häufiger die Einführung von Maßnahmen für ihre eigene Gruppe, sondern auch für Personen mit Migrationshintergrund. Ein ähnliches Muster zeigte sich in einer Untersuchung der Einstellungen von Bundestagskandidaten (Coffé/Reiser 2018), sodass es lohnenswert er- scheint, die Ursachen für diese Gruppenunterschiede genauer zu untersuchen. doi:10.25838/oaj-mip-2020180-185 181
Kurzbeiträge Coffé/Reiser – Unterstützen die Bürger*innen die Einführung von Quoten und [...] MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 2 Tabelle 2: Unterstützung von Maßnahmen zur Erhöhung der deskriptiven Repräsentation von Frauen und Personen mit Migrationshintergrund nach Parteiidentifikation B90/Die Ohne bzw. CDU CSU SPD FDP Die Linke AfD Grünen andere PI Maßnahmen für Frauen Unterstützung von Maßnahmen 35,0% 34,2% 43,8% 30,8% 59,7% 47,3% 34,3% 41,9% Gesetzliche Quoten 4,6% 4,8% 6,3% 6,8% 10,5% 16,1% 18,7% 6,6% Freiwillige Parteiquoten 14,4% 13,1% 18,3% 4,5% 17,6% 10,8% 4,4% 16,1% Förderungen des politischen 16,0% 16,3% 19,2% 19,5% 31,6% 20,4% 11,2% 19,2% Engagements Ablehnung von Maßnahmen 64,9% 65,8% 56,3% 69,3% 40,3% 52,9% 65,7% 58,1% Keine Notwendigkeit eines 22,0% 30,3% 17,7% 31,2% 8,0% 19,3% 32,7% 22,8% höheren Anteils Keine Notwendigkeit von 42,9% 35,5% 38,6% 38,1% 32,3% 33,6% 33,0% 35,3% Maßnahmen N 217 61 222 35 102 67 43 130 Maßnahmen für Personen mit Migrationshintergrund Unterstützung von Maßnahmen 14,3% 3,0% 24,7% 12,2% 33,8% 18,0% 1,8% 9,9% Gesetzliche Quoten 0,7 0,0 1,4 0,0 1,8 1,1 1,8 0,6 Freiwillige Parteiquoten 4,4 1,0 4,3 0,0 7,2 6,2 0,0 2,2 Förderungen des politischen 9,2 2,0 19,0 12,2 24,8 10,7 0,0 7,1 Engagements Ablehnung von Maßnahmen 85,7% 97,0% 75,3% 87,8% 66,2% 82,0% 98,2% 90,1% Keine Notwendigkeit eines 25,4 37,6 21,0 26,2 18,3 30,2 73,7 37,8 höheren Anteils Keine Notwendigkeit von 60,3 59,4 54,3 61,6 47,9 51,9 24,5 52,3 Maßnahmen N 191 64 256 37 82 66 43 140 Quelle: Eigene Auswertung auf Basis von GLES 2017a, b. Zweitens bestehen deutliche Unterschiede je nach der weils ca. 35% auf einem ähnlichen Niveau. Überra- Parteiidentifikation der Befragten (vgl. Tabelle 2). schend ist dabei, dass sich die AfD-Anhänger*innen Grünen-Anhänger*innen unterstützen im Vergleich mit knapp 19% am häufigsten für gesetzliche Quoten zu allen anderen Befragten signifikant häufiger posi- aussprechen, obwohl sich die Partei in ihren Pro- tive Maßnahmen für beide Gruppen: Sie sprechen grammen strikt gegen Gender Mainstreaming und sich mit knapp 60% mehrheitlich für Maßnahmen Quoten ausspricht (AfD 2016; Reiser 2018). Weitere zur Erhöhung der deskriptiven Repräsentation von Studien müssten klären, ob dieses Ergebnis ggf. an Frauen aus; ein Drittel befürwortet Maßnahmen für der kleinen Fallzahl an AfD-Anhänger*innen in der Personen mit Migrationshintergrund. Obwohl die Stichprobe liegt. Grünen 1987 als erste Partei in Deutschland eine Hinsichtlich der Maßnahmen für Personen mit Mi- Frauenquote einführten und sich in ihren Statuten grationshintergrund ist die sehr geringe Unterstüt- und Programmen zentral für die Chancengleichheit zung durch CSU- und AfD-Anhänger*innen von einsetzen, unterstützt dennoch nur eine Minderheit 97% bzw. 98% auffällig. Allerdings unterscheidet der Befragten mit einer Grünen-Parteiidentifikation sich die Begründung der Ablehnung: Die CSU-An- Quoten für beide Gruppen (28% bzw. 9%). Neben hänger*innen sehen – wie auch die Parteianhän- den Grünen-Anhänger*innen haben die Befragten ger*innen der weiteren Parteien – überwiegend kei- mit einer Linken- und SPD-Parteiidentifikation ne Notwendigkeit für Maßnahmen, da der Anstieg ebenfalls überdurchschnittlich hohe Unterstützungs- der deskriptiven Repräsentation von Personen mit werte für Maßnahmen für beide Gruppen. Migrationshintergrund auch ohne positive Maßnah- Die geringste Unterstützung für Quoten äußern die men erfolgen würde. Hingegen geben fast drei Vier- FDP-Anhänger*innen. Dies entspricht auch der Posi- tel der Befragten mit AfD-Parteiidentifikation an, tion der FDP, die sich regelmäßig gegen die Einfüh- dass sie die Erhöhung des Anteils von Personen mit rung von Quoten ausspricht, da diese gegen den freien Migrationshintergrund im Parlament als nicht erstre- Wettbewerb und die Chancengleichheit verstoßen benswert ansehen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, würden (FDP 2019). Die Unterstützung von Maßnah- dass sich hier die migrationsfeindlichen Einstellun- men zur Erhöhung des Frauenanteils liegt bei den Par- gen der AfD-Anhängerschaft widerspiegeln (vgl. teianhänger*innen von CDU, CSU und AfD mit je- Bieber et al. 2018). Insgesamt bestätigt sich das be- 182 doi:10.25838/oaj-mip-2020180-185
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 2 Coffé/Reiser – Unterstützen die Bürger*innen die Einführung von Quoten und [...] Kurzbeiträge kannte Muster, wonach linke Parteien eher Quoten 4. Fazit unterstützen als konservative und liberale Parteien (vgl. Krook et al. 2009). Insgesamt zeigt die Analyse nur eine geringe Unter- stützung für Quoten in der Bevölkerung, wobei ins- 3. Gründe für Unterstützung von Maßnahmen besondere die Einführung von gesetzlichen Quoten kaum Rückhalt bei den Befragten hat. Dabei werden Die Befragten nennen als wichtigsten Grund für eine Genderquoten signifikant häufiger befürwortet als Befürwortung von Gleichstellungsmaßnahmen die Quoten für Personen mit Migrationshintergrund. deskriptive Dimension der Repräsentation (vgl. Ta- Dennoch ist ein Anteil von knapp einem Viertel der belle 3). So äußern 54% für die Gruppe der Frauen Befragten, die Genderquoten unterstützen, als gering und 41% für Personen mit Migrationshintergrund, zu bewerten. So werden diese selbst von den Anhän- dass die jeweilige Gruppe „in einer Demokratie ge- ger*innen jener Parteien, die z.T. bereits seit den nauso stark vertreten sein sollte wie in der Gesell- 1980er Jahren Parteiquoten anwenden (Bündnis 90/ schaft“. Dies verweist darauf, dass die sozio-demo- Die Grünen, SPD und die LINKE), überwiegend ab- graphische Zusammensetzung des Parlaments – wer gelehnt. Zukünftige Studien sollten daher genauer sie also vertritt – für einen hohen Anteil der Bür- untersuchen, wie die Anwendung von Gleichstellungs- ger*innen relevant ist. Am zweithäufigsten äußern maßnahmen und ihre Unterstützung in der Bevölke- sie, dass sie sich für Maßnahmen zur Erhöhung der rung zusammenhängen, und welche Faktoren die jeweiligen Gruppe einsetzen, weil „sie die Interessen hohe Ablehnung von Gleichstellungsmaßnahmen in und Bedürfnisse der Frauen bzw. Personen mit Migra- der Bevölkerung erklären. tionshintergrund besser repräsentieren können“. In- sofern sieht ca. ein Drittel der Befürworter*innen In der Tendenz entsprechen diese Ergebnisse jenen von Maßnahmen einen positiven Effekt der deskripti- aus anderen Ländern, die z.T. ebenfalls lediglich ven auf die substantielle Repräsentation. Dies ist in- eine niedrige Unterstützung für Quoten feststellen teressant, da dieser Zusammenhang in der Wissen- (u.a. Barnes/Córdova 2016; Bolzendahl/Coffé 2020). schaft intensiv diskutiert wird und in Deutschland Ebenso bestätigen sich bisherige Erkenntnisse, dass aufgrund der starken Stellung der Parteien kein star- Frauen und Anhänger*innen linker Parteien signifi- ker Einfluss festgestellt wird (vgl. Brunsbach 2011). kant häufiger positive Maßnahmen unterstützen, was Am seltensten nennen die Befragten die symbolische auf Gruppenidentität, Gleichheitsvorstellungen und Dimension der Repräsentation als Grund für ihre po- die Einstellungen zur Rolle des Staates in Gesell- sitive Einstellung zu Gleichstellungsmaßnahmen. schaft und Wirtschaft zurückgeführt wird (u.a. Beau- Dennoch äußern ein Fünftel (für die Gruppe der regard 2018; Krook et al. 2009). Frauen) bzw. ein Viertel (für die Gruppe der Perso- Auf Basis dieser Ergebnisse erscheint es bedeutsam, nen mit Migrationshintergrund) der Befürworter*in- die Perspektiven und Einstellungen der Bürger*in- nen, dass Abgeordnete „wichtige Vorbilder für die nen stärker in die aktuellen gesellschaftlichen wie Gesellschaft sind“. Insgesamt zeigt sich diese Rang- innerparteilichen Debatten um die Einführung bzw. ordnung von deskriptiver, substantieller und symbo- Reformen von Quoten einzubeziehen. So zeigen Er- lischer Repräsentation nicht nur für beide Gruppen, fahrungen aus anderen Ländern, dass die Bereitstel- sondern auch für alle drei Formen von positiven lung von Fakten und Argumenten sowie eine öffent- Maßnahmen (gesetzliche Quote, freiwillige Partei- liche Debatte über diese Maßnahmen wichtig sind quoten, Förderung des Engagements). (u.a. Barnes/Córdova 2016). Dies gilt umso mehr als Tabelle 3: Dimensionen der Repräsentation: Wichtigster die Akzeptanz und Unterstützung der Maßnahmen Grund für die Unterstützung von Maßnahmen (in Prozent) durch die Bürger*innen zentral für die Legitimität Frauen Personen mit Migrationshintergrund der Maßnahmen selbst sowie für die Legitimität der Deskriptive auf dieser Basis ins Parlament gewählten Abgeord- 53,6 40,8 neten ist. Repräsentation Substantielle 29,7 34,7 Repräsentation Symbolische 16,7 24,5 Literatur Repräsentation N 320 142 AfD (2016): Programm für Deutschland. Das Grund- satzprogramm der Alternative für Deutschland. On- Quelle: Eigene Auswertung auf Basis von GLES 2017a, b. line-Ressource: https://www.afd.de/grundsatzprogra Diese Frage wurden nur jenen Befragten gestellt, die eine der drei Maßnahmen (gesetzliche Quote, freiwillige Parteiquote, mm/ [12.10.2020]. Förderung des Engagements) unterstützen. doi:10.25838/oaj-mip-2020180-185 183
Kurzbeiträge Coffé/Reiser – Unterstützen die Bürger*innen die Einführung von Quoten und [...] MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 2 Bacchi, Carol (2006): Arguing For and Against Quo- Geis, Matthias/Hildebrandt, Tina (2020): Hier fehlen tas: Theoretical Issues. In Dahlerup, Drude (Hrsg.): Frauen. In: Die ZEIT 2020 vom 16.07.2020. Online- Women, Quotas and Politics. New York, 32-51. Ressource: https://www.zeit.de/2020/30/cdu-frauen Barnes, Tiffany D./Córdova, Abby (2016): Making quote-maennerpartei-angela-merkel [24.08.2020]. Space for Women: Explaining Citizen Support for GLES (2017a): Langfrist-Online-Tracking T34. GESIS Legislative Gender Quotas in Latin America. In: Datenarchiv, Köln. ZA5734 Datenfile Version 1.0.0, Journal of Politics 78(3): 670-686. https://doi.org/10.4232/1.12731. Beauregard, Katrine (2018): Partisanship and the GLES (2017b). Langfrist-Online-Tracking, T35. GESIS Gender Gaps: Support for Gender Quotas in Aus- Datenarchiv, Köln. ZA6815 Datenfile Version 1.0.0, tralia. In: Australian Journal of Political Science https://doi.org/10.4232/1.12795. 53(3): 290-319. Krook, Mona Lena/Lovenduski, Joni/Squires, Judith Bieber, Ina/Roßteutscher, Sigrid/Scherer, Philipp (2009): Gender Quotas and Models of Political Citi- (2018): Die Metamorphosen der AfD-Wählerschaft: zenship. In: British Journal of Political Science Von einereuroskeptischen Protestpartei zu einer 39(4): 781-803. (r)echten Alternative? In: Politische Vierteljahres- Lang, Sabine (2018): Quota Contagion in Germany: schrift 59:433-461. Diffusion, Derailment, and the Quest for Parity Bolzendahl, Catherine/Coffé, Hilde (2020): Public Democracy. In: Lépinard, Éléonore/Rubio-Marín, Support for Increasing Women and Māori MPs in Ruth (Hrsg.): Transforming Gender Citizenship: New Zealand. In: Politics and Gender 16(3): 681-710. Cambridge University Press, 279-307. Bündnis 90/Die Grünen (2020): Zusammenhalt in Mansbridge, Jane (1999) Should Blacks Represent Vielfalt: Ergebnisse der AG Vielfalt. Online-Res- Blacks and Women Represent Women? In: Journal source: https://www.gruene.de/artikel/zusammenhalt of Politics 61(3): 628-657. -in-vielfalt-ergebnisse-der-ag-vielfalt [16.10.2020]. Mediendienst Integration 2017: Abgeordnete mit Clayton, Amanda (2015): Women's Political Engage- Migrationshintergrund. Online-Ressource: https://me ment under Quota-Mandated Female Representation: diendienst-integration.de/artikel/abgeordnete-mit-mi Evidence from a Randomized Policy Experiment. In: grationshintergrund.html [8.9.2020]. Comparative Political Studies 48(3): 333-369. Morgenroth, Thekla/Ryan, Michelle K. (2018): Quo- Coffé, Hilde/Reiser, Marion (2018): Political Candi- tas and Affirmative Action: Understanding Group- dates’ Attitudes Towards Group Representation. In: Based Outcomes and Attitudes. In: Social and Per- Journal of Legislative Studies 24(3): 272-297. sonality Psychology Compass 12(3). Doi: Dahlerup, Drude/Freidenvall, Lenita (2005): Quotas 10.1111/spc3.12374. as a “Fast Track” to Equal Representation for Wom- Norris, Pippa/Lovenduski, Joni (1993): “If Only en: Why Scandinavia is No Longer the Model. In: In- More Candidates Came Forward”: Supply-Side Ex- ternational Feminist Journal of Politics 7(1): 26-48. planations of Candidate Selection in Britain. In: Davidson-Schmich, Louise K. (2016): Gender Quo- British Journal of Political Science 23: 373-408. tas and Democratic Participation. Recruiting Candi- Phillips, Anne (1995): The Politics of Presence, Ox- dates for Elective Offices in Germany. Ann Arbor. ford. Deiss-Helbig, Elisa (2019): “Within the secret gar- Pitkin, Hanna F. (1967): The Concept of Representa- den of politics” Candidate selection and the repre- tion, Berkeley. sentation of immigrant-origin citizens in Germany. RBB (2020): Verfassungsgericht will im Oktober Dissertation. Universität Stuttgart. über Paritätsgesetz entscheiden. Online Ressource: FDP (2019): Eine Partei für die offene Gesellschaft. https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/08/paritae Beschluss auf dem 70. Ordentlichen Bundesparteitag. tsgesetz-brandenburg-landesverfassungsgericht-verh Online Resource: https://www.fdp.de/sites/default/fil andlung.html [24.08.2020]. es/uploads/2019/05/06/2019-04-28-bpt-eine-partei-f Reiser, Marion (2018): Contagion Effects by the uer-die-offene-gesellschaft-vielfaeltig-innovativ-und AfD? Candidate Selection in Germany. In: Coller, -engagiert.pdf [10.10.2020]. Xavier/Codero, Guillermo/Jaime-Castillo, Antonio M. (Hrsg.): The Selection of Politicians in Times of Crisis. London, 81-97. 184 doi:10.25838/oaj-mip-2020180-185
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