Unterstützen die Bürger*innen die Ein-führung von Quoten und anderen Gleich-stellungsmaßnahmen in Deutschland?

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Kurzbeiträge          Coffé/Reiser – Unterstützen die Bürger*innen die Einführung von Quoten und [...]     MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 2

Unterstützen die Bürger*innen die Ein-                                  2018; Reiser 2014). Maßnahmen für Personen mit
führung von Quoten und anderen Gleich-                                  Migrationshintergrund gibt es hingegen in Deutsch-
                                                                        land bisher nicht (Deiss-Helbig 2019), obwohl ihr
stellungsmaßnahmen in Deutschland?                                      Anteil von aktuell 8% der Abgeordneten im Bundes-
                                                                        tag deutlich unterhalb ihres Anteils von 23% in der
     Hilde Coffé1/Marion Reiser2                                        Bevölkerung liegt (Mediendienst Integration 2017).
                                                                        Ob Quoten eine geeignete Maßnahme sind, ist wis-
1. Einleitung                                                           senschaftlich (u.a. Mansbridge 1999, Phillips 1995)
                                                                        wie gesellschaftlich umstritten. Die Debatten sind
Aktuell finden in Deutschland vielfältige Debatten                      meist zutiefst normativ geprägt, da Quoten die politi-
über Quoten und andere Maßnahmen zur Erhöhung                           sche Gleichheit und Repräsentation beeinflussen und
des Anteils unterrepräsentierter Gruppen in den Par-                    eine Verschiebung von „equality of result“ zu „equa-
lamenten statt: Die Landtage Brandenburgs und                           lity of opportunity“ implizieren. Kritiker*innen füh-
Thüringens verabschiedeten nach kontroversen Dis-                       ren an, dass durch Quoten ein offener Wettbewerb
kussionen im Jahr 2019 Paritätsgesetze, nach denen                      verhindert und das Leistungsprinzip ausgehebelt
die Parteilisten für Landtagswahlen paritätisch be-                     würde. Befürworter*innen von Quoten argumentie-
setzt sein müssen (vgl. Geppert 2019; rbb 2020).                        ren hingegen, dass dadurch bestehende Ungleichhei-
Nach Klagen, u.a. der AfD, erklärten jedoch im Juli                     ten beseitigt und eine verbesserte Repräsentation be-
2020 der Thüringer Verfassungsgerichtshof und im                        stimmter sozialer Gruppen in den Parlamenten er-
Oktober 2020 das Brandenburger Landesverfassungs-                       reicht werden könne (vgl. Bacchi 2006; Krook et al.
gericht die gesetzlichen Quoten für verfassungswid-                     2009). Dabei werden anlehnend an Pitkin (1967)
rig, da sie u.a. das Recht auf Freiheit und Gleichheit                  Auswirkungen auf drei Dimensionen der Repräsen-
der Wahl sowie das Recht der politischen Parteien                       tation diskutiert: auf die deskriptive Repräsentation,
auf Chancengleichheit und Organisationsfreiheit be-                     also auf die sozio-demographische Zusammensetzung
einträchtigen (Vates 2020; VerfGH Thüringen 2/20;                       der Parlamente; auf die substantielle Dimension, die
VfgBbg 9/19 und VfgBbg 55/19).                                          sich auf die Durchsetzung der Interessen und Präfe-
Der Deutsche Bundestag beschloss im Oktober 2020                        renzen der jeweiligen sozialen Gruppe bezieht, und
im Rahmen der Wahlrechtsreform, eine Reformkom-                         auf die symbolische Repräsentation, die auf einer
mission zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen                      ideellen Ebene verortet ist (u.a. Vorbilder, Gerech-
und Männern im Bundestag einzusetzen – eine Re-                         tigkeitsvorstellungen) (vgl. auch Mansbridge 1999;
aktion auch auf den Rückgang des Frauenanteils nach                     Phillips 1995; Bolzendahl/Coffé 2020).
der Bundestagswahl 2017 auf 30,9%. Innerparteiliche                     Quoten sind unterschiedlich ausgestaltet: Gesetzliche
Debatten finden aktuell u.a. in der CDU statt, die auf                  Quoten sind in der Verfassung bzw. dem Wahlrecht
ihrem nächsten Parteitag über die Einführung einer                      geregelt und entsprechend für alle Parteien verbind-
verbindlichen Frauenquote (Geis/Hildebrandt 2020)                       lich. Parteiquoten hingegen werden von den Parteien
entscheiden will. Bündnis 90/Die Grünen will eben-                      freiwillig eingeführt. Diese Form dominiert in
falls auf ihrem nächsten Parteitag über ein ‚Statut für                 Deutschland wie auch in anderen westlichen Demo-
eine vielfältige Partei‘ abstimmen, um gesellschaftli-                  kratien (Reiser 2014). Neben Quoten, die als ‚fast
che Gruppen besser zu repräsentieren (Riese 2020).                      track to equal representation‘ (Dahlerup/Freidenvall
Quoten und andere Gleichstellungsmaßnahmen sind                         2005: 26) gelten, gibt es weitere positive Maßnahmen,
jedoch kein neues Phänomen, sondern wurden in den                       wie die Förderung des politischen Engagements der
vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern einge-                        entsprechenden Personen. Diese setzen nicht bei den
führt. Auch in Deutschland haben ausgehend von den                      innerparteilichen Selektionskriterien der Kandidaten-
Grünen die SPD, die LINKE und die CDU Gender-                           aufstellung an, sondern auf der Angebotsseite der in-
quoten für die innerparteiliche Kandidatenaufstellung                   nerparteilichen Bewerber*innen (Norris/Lovenduski
eingeführt, während CSU, FDP und AfD bisher keine                       1993). Da daher langsamere Effekte auf die Repräsen-
Quoten anwenden (Davidson-Schmich 2016; Lang                            tation zu erwarten sind, sind dies Maßnahmen des
1
                                                                        ‚incremental track“ (Dahlerup/Freidenvall 2005: 26).
    Prof. Dr. Hilde Coffé ist Professorin für Politikwissenschaft
    im Department of Politics, Languages and International Stu-         Erstaunlicherweise werden in den aktuell geführten
    dies an der University of Bath.                                     Debatten um Quoten und weitere Gleichstellungs-
2
    Prof. Dr. Marion Reiser ist Inhaberin des Lehrstuhls für das        maßnahmen in Deutschland bisher die Einstellungen
    Politische System der Bundesrepublik Deutschland an der
    Friedrich-Schiller-Universität Jena.
                                                                        der Bürger*innen zu diesen Maßnahmen kaum

180                                                                                           doi:10.25838/oaj-mip-2020180-185
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 2   Coffé/Reiser – Unterstützen die Bürger*innen die Einführung von Quoten und [...]        Kurzbeiträge

beachtet. Deren Akzeptanz und Unterstützung ist je-                Tabelle 1: Unterstützung von Maßnahmen zur Erhöhung der
doch von großer Bedeutung für die Legitimität und                  deskriptiven Repräsentation im Bundestag
                                                                                                               Frauen Personen mit
Effektivität dieser Maßnahmen (Clayton 2015). Zu-                                                                      Migrations-
dem kann sich eine Ablehnung der Quoten nachteilig                                                                     hintergrund
auf die Legitimation der Abgeordneten auswirken                    Unterstützung von Maßnahmen                  42,2%         17,0%
                                                                      Gesetzliche Quoten                          7,8%         1,0%
(Morgenroth/Ryan 2018; Barnes/Córdova 2016).                           Freiwillige Parteiquoten                  15,2%         3,7%
                                                                      Förderungen des politischen Engagements    19,2%        12,3%
Daher lauten die beiden zentralen Fragestellungen                  Ablehnung von Maßnahmen                      57,8%         83,0%
des vorliegenden Beitrags: Unterstützen die                           Keine Notwendigkeit eines höheren Anteils 20,1%         29,4%
Bürger*innen positive Maßnahmen zur Erhöhung                          Keine Notwendigkeit von Maßnahmen          37,7%        53,6%
                                                                   N                                               920           908
der deskriptiven Repräsentation von Frauen und Per-
sonen mit Migrationshintergrund? Und welche Di-                    Quelle: Eigene Auswertung auf Basis von GLES 2017a, b.
mension der Repräsentation (deskriptiv, substantiell               Dabei ist insbesondere der sehr geringe Anteil an
und symbolisch) wird für die Unterstützung der                     Befürworter*innen für die Einführung gesetzlicher
Maßnahmen als besonderes wichtig erachtet?                         Quoten auffällig: Nur knapp acht Prozent der Be-
Die Analyse basiert auf den Befragungen im Rahmen                  fragten sprechen sich für Paritätsgesetze aus und so-
der GLES Langfrist-Online-Trackings. Dabei wurden                  gar nur ein Prozent für gesetzliche Quoten für Perso-
die Befragten zu ihren Einstellungen zu positiven                  nen mit Migrationshintergrund. Als gering ist zudem
Maßnahmen (gesetzliche Quoten, Parteiquoten, För-                  die Unterstützung von freiwilligen Parteiquoten zu
derung des Engagements) für Frauen (GLES 2017a)                    bezeichnen: Während mehr als die Hälfte der im
und für Personen mit Migrationshintergrund (GLES                   Bundestag vertretenen Parteien z.T. bereits seit den
2017b) befragt. Zudem wurde erfasst, welche Di-                    1980er Jahren Genderquoten anwenden, werden die-
mension der Repräsentation – deskriptiv, substantiell              se dennoch lediglich von 15,2% der Befragten befür-
oder symbolisch – für die Unterstützer*innen dieser                wortet; der Anteil der Unterstützer*innen von Partei-
positiven Maßnahmen am wichtigsten ist. Neben der                  quoten für Personen mit Migrationshintergrund ist
deskriptiven Auswertung basieren die Ergebnisse zu                 mit 3,5% noch signifikant niedriger. Die Förderung
Unterschieden und Effekten auf multivariaten logis-                des politischen Engagements findet mit 19,2% bzw.
tischen Analysen.                                                  12,3% ebenfalls nur bei einer Minderheit Unterstüt-
                                                                   zung.
2. Unterstützung von Maßnahmen zur Erhöhung                        Im Ausmaß der Unterstützung zeigen sich erstens
der deskriptiven Repräsentation                                    signifikante Differenzen nach der Zugehörigkeit zur
                                                                   sozialen Gruppe. So unterstützen Frauen mehrheit-
Die Analyse zeigt deutlich, dass die Mehrheit der
                                                                   lich (53,4%) und signifikant häufiger als Männer
Befragten positive Maßnahmen zur Erhöhung der
                                                                   (31,4%) Maßnahmen zur Erhöhung der deskriptiven
deskriptiven Repräsentation im Parlament ablehnt
                                                                   Repräsentation von Frauen. Dieser Effekt, der sich
(vgl. Tabelle 1). Dabei ist die Ablehnung von Maß-
                                                                   auch in anderen Studien zeigte (u.a. Barnes/Córdova
nahmen für Personen mit Migrationshintergrund
                                                                   2016; Beauregard 2018), wird v.a. auf die Gruppen-
besonders hoch: 83% der Befragten sehen keine
                                                                   identität, Eigeninteresse und die zugrundliegenden
Notwendigkeit von Maßnahmen bzw. sogar keine
                                                                   Einstellungen zurückgeführt. Dies bestätigt sich je-
Notwendigkeit für einen höheren Anteil dieser Per-
                                                                   doch nicht bei Maßnahmen für Personen mit Migra-
sonengruppe im Parlament. Auch wenn die Ableh-
                                                                   tionshintergrund, da der Anteil an Unterstützer*innen
nung von Maßnahmen für die Gruppe der Frauen
                                                                   innerhalb der Gruppe der Personen mit Migrations-
mit 58% signifikant geringer ist, spricht sich den-
                                                                   hintergrund mit 16,9% fast identisch ist mit dem An-
noch weniger als die Hälfte der Befragten für posi-
                                                                   teil innerhalb der Gruppe von Personen ohne Migra-
tive Maßnahmen aus.
                                                                   tionshintergrund (17,2%). Hingegen unterstützen
                                                                   Frauen nicht nur signifikant häufiger die Einführung
                                                                   von Maßnahmen für ihre eigene Gruppe, sondern
                                                                   auch für Personen mit Migrationshintergrund. Ein
                                                                   ähnliches Muster zeigte sich in einer Untersuchung
                                                                   der Einstellungen von Bundestagskandidaten
                                                                   (Coffé/Reiser 2018), sodass es lohnenswert er-
                                                                   scheint, die Ursachen für diese Gruppenunterschiede
                                                                   genauer zu untersuchen.

doi:10.25838/oaj-mip-2020180-185                                                                                               181
Kurzbeiträge         Coffé/Reiser – Unterstützen die Bürger*innen die Einführung von Quoten und [...]               MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 2

Tabelle 2: Unterstützung von Maßnahmen zur Erhöhung der deskriptiven Repräsentation von Frauen und Personen mit
Migrationshintergrund nach Parteiidentifikation
                                                                                         B90/Die                                    Ohne bzw.
                                     CDU           CSU          SPD           FDP                       Die Linke       AfD
                                                                                         Grünen                                     andere PI
 Maßnahmen für Frauen
 Unterstützung von Maßnahmen           35,0%         34,2%        43,8%        30,8%         59,7%         47,3%          34,3%         41,9%
     Gesetzliche Quoten                 4,6%          4,8%         6,3%         6,8%         10,5%         16,1%          18,7%          6,6%
     Freiwillige Parteiquoten          14,4%         13,1%        18,3%         4,5%         17,6%         10,8%           4,4%         16,1%
     Förderungen des politischen
                                       16,0%         16,3%        19,2%         19,5%        31,6%          20,4%         11,2%         19,2%
     Engagements
 Ablehnung von Maßnahmen               64,9%         65,8%        56,3%        69,3%         40,3%         52,9%          65,7%         58,1%
     Keine Notwendigkeit eines
                                       22,0%         30,3%        17,7%         31,2%         8,0%          19,3%         32,7%         22,8%
     höheren Anteils
     Keine Notwendigkeit von
                                       42,9%         35,5%        38,6%         38,1%        32,3%          33,6%         33,0%         35,3%
     Maßnahmen
 N                                        217            61          222            35          102            67             43           130
 Maßnahmen für Personen mit
 Migrationshintergrund
 Unterstützung von Maßnahmen           14,3%          3,0%        24,7%        12,2%         33,8%         18,0%           1,8%          9,9%
     Gesetzliche Quoten                    0,7          0,0          1,4          0,0           1,8           1,1            1,8           0,6
     Freiwillige Parteiquoten              4,4           1,0         4,3          0,0           7,2           6,2            0,0           2,2
     Förderungen des politischen
                                           9,2           2,0        19,0          12,2         24,8          10,7             0,0           7,1
     Engagements
 Ablehnung von Maßnahmen               85,7%         97,0%        75,3%        87,8%         66,2%         82,0%          98,2%         90,1%
     Keine Notwendigkeit eines
                                         25,4          37,6         21,0          26,2         18,3          30,2           73,7           37,8
     höheren Anteils
     Keine Notwendigkeit von
                                         60,3          59,4         54,3          61,6         47,9          51,9           24,5           52,3
     Maßnahmen
 N                                        191            64          256            37           82            66             43           140
Quelle: Eigene Auswertung auf Basis von GLES 2017a, b.

Zweitens bestehen deutliche Unterschiede je nach der                   weils ca. 35% auf einem ähnlichen Niveau. Überra-
Parteiidentifikation der Befragten (vgl. Tabelle 2).                   schend ist dabei, dass sich die AfD-Anhänger*innen
Grünen-Anhänger*innen unterstützen im Vergleich                        mit knapp 19% am häufigsten für gesetzliche Quoten
zu allen anderen Befragten signifikant häufiger posi-                  aussprechen, obwohl sich die Partei in ihren Pro-
tive Maßnahmen für beide Gruppen: Sie sprechen                         grammen strikt gegen Gender Mainstreaming und
sich mit knapp 60% mehrheitlich für Maßnahmen                          Quoten ausspricht (AfD 2016; Reiser 2018). Weitere
zur Erhöhung der deskriptiven Repräsentation von                       Studien müssten klären, ob dieses Ergebnis ggf. an
Frauen aus; ein Drittel befürwortet Maßnahmen für                      der kleinen Fallzahl an AfD-Anhänger*innen in der
Personen mit Migrationshintergrund. Obwohl die                         Stichprobe liegt.
Grünen 1987 als erste Partei in Deutschland eine
                                                                       Hinsichtlich der Maßnahmen für Personen mit Mi-
Frauenquote einführten und sich in ihren Statuten
                                                                       grationshintergrund ist die sehr geringe Unterstüt-
und Programmen zentral für die Chancengleichheit
                                                                       zung durch CSU- und AfD-Anhänger*innen von
einsetzen, unterstützt dennoch nur eine Minderheit
                                                                       97% bzw. 98% auffällig. Allerdings unterscheidet
der Befragten mit einer Grünen-Parteiidentifikation
                                                                       sich die Begründung der Ablehnung: Die CSU-An-
Quoten für beide Gruppen (28% bzw. 9%). Neben
                                                                       hänger*innen sehen – wie auch die Parteianhän-
den Grünen-Anhänger*innen haben die Befragten
                                                                       ger*innen der weiteren Parteien – überwiegend kei-
mit einer Linken- und SPD-Parteiidentifikation
                                                                       ne Notwendigkeit für Maßnahmen, da der Anstieg
ebenfalls überdurchschnittlich hohe Unterstützungs-
                                                                       der deskriptiven Repräsentation von Personen mit
werte für Maßnahmen für beide Gruppen.
                                                                       Migrationshintergrund auch ohne positive Maßnah-
Die geringste Unterstützung für Quoten äußern die                      men erfolgen würde. Hingegen geben fast drei Vier-
FDP-Anhänger*innen. Dies entspricht auch der Posi-                     tel der Befragten mit AfD-Parteiidentifikation an,
tion der FDP, die sich regelmäßig gegen die Einfüh-                    dass sie die Erhöhung des Anteils von Personen mit
rung von Quoten ausspricht, da diese gegen den freien                  Migrationshintergrund im Parlament als nicht erstre-
Wettbewerb und die Chancengleichheit verstoßen                         benswert ansehen. Die Ergebnisse deuten darauf hin,
würden (FDP 2019). Die Unterstützung von Maßnah-                       dass sich hier die migrationsfeindlichen Einstellun-
men zur Erhöhung des Frauenanteils liegt bei den Par-                  gen der AfD-Anhängerschaft widerspiegeln (vgl.
teianhänger*innen von CDU, CSU und AfD mit je-                         Bieber et al. 2018). Insgesamt bestätigt sich das be-

182                                                                                          doi:10.25838/oaj-mip-2020180-185
MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 2       Coffé/Reiser – Unterstützen die Bürger*innen die Einführung von Quoten und [...]   Kurzbeiträge

kannte Muster, wonach linke Parteien eher Quoten                       4. Fazit
unterstützen als konservative und liberale Parteien
(vgl. Krook et al. 2009).                                              Insgesamt zeigt die Analyse nur eine geringe Unter-
                                                                       stützung für Quoten in der Bevölkerung, wobei ins-
3. Gründe für Unterstützung von Maßnahmen                              besondere die Einführung von gesetzlichen Quoten
                                                                       kaum Rückhalt bei den Befragten hat. Dabei werden
Die Befragten nennen als wichtigsten Grund für eine                    Genderquoten signifikant häufiger befürwortet als
Befürwortung von Gleichstellungsmaßnahmen die                          Quoten für Personen mit Migrationshintergrund.
deskriptive Dimension der Repräsentation (vgl. Ta-                     Dennoch ist ein Anteil von knapp einem Viertel der
belle 3). So äußern 54% für die Gruppe der Frauen                      Befragten, die Genderquoten unterstützen, als gering
und 41% für Personen mit Migrationshintergrund,                        zu bewerten. So werden diese selbst von den Anhän-
dass die jeweilige Gruppe „in einer Demokratie ge-                     ger*innen jener Parteien, die z.T. bereits seit den
nauso stark vertreten sein sollte wie in der Gesell-                   1980er Jahren Parteiquoten anwenden (Bündnis 90/
schaft“. Dies verweist darauf, dass die sozio-demo-                    Die Grünen, SPD und die LINKE), überwiegend ab-
graphische Zusammensetzung des Parlaments – wer                        gelehnt. Zukünftige Studien sollten daher genauer
sie also vertritt – für einen hohen Anteil der Bür-                    untersuchen, wie die Anwendung von Gleichstellungs-
ger*innen relevant ist. Am zweithäufigsten äußern                      maßnahmen und ihre Unterstützung in der Bevölke-
sie, dass sie sich für Maßnahmen zur Erhöhung der                      rung zusammenhängen, und welche Faktoren die
jeweiligen Gruppe einsetzen, weil „sie die Interessen                  hohe Ablehnung von Gleichstellungsmaßnahmen in
und Bedürfnisse der Frauen bzw. Personen mit Migra-                    der Bevölkerung erklären.
tionshintergrund besser repräsentieren können“. In-
sofern sieht ca. ein Drittel der Befürworter*innen                     In der Tendenz entsprechen diese Ergebnisse jenen
von Maßnahmen einen positiven Effekt der deskripti-                    aus anderen Ländern, die z.T. ebenfalls lediglich
ven auf die substantielle Repräsentation. Dies ist in-                 eine niedrige Unterstützung für Quoten feststellen
teressant, da dieser Zusammenhang in der Wissen-                       (u.a. Barnes/Córdova 2016; Bolzendahl/Coffé 2020).
schaft intensiv diskutiert wird und in Deutschland                     Ebenso bestätigen sich bisherige Erkenntnisse, dass
aufgrund der starken Stellung der Parteien kein star-                  Frauen und Anhänger*innen linker Parteien signifi-
ker Einfluss festgestellt wird (vgl. Brunsbach 2011).                  kant häufiger positive Maßnahmen unterstützen, was
Am seltensten nennen die Befragten die symbolische                     auf Gruppenidentität, Gleichheitsvorstellungen und
Dimension der Repräsentation als Grund für ihre po-                    die Einstellungen zur Rolle des Staates in Gesell-
sitive Einstellung zu Gleichstellungsmaßnahmen.                        schaft und Wirtschaft zurückgeführt wird (u.a. Beau-
Dennoch äußern ein Fünftel (für die Gruppe der                         regard 2018; Krook et al. 2009).
Frauen) bzw. ein Viertel (für die Gruppe der Perso-                    Auf Basis dieser Ergebnisse erscheint es bedeutsam,
nen mit Migrationshintergrund) der Befürworter*in-                     die Perspektiven und Einstellungen der Bürger*in-
nen, dass Abgeordnete „wichtige Vorbilder für die                      nen stärker in die aktuellen gesellschaftlichen wie
Gesellschaft sind“. Insgesamt zeigt sich diese Rang-                   innerparteilichen Debatten um die Einführung bzw.
ordnung von deskriptiver, substantieller und symbo-                    Reformen von Quoten einzubeziehen. So zeigen Er-
lischer Repräsentation nicht nur für beide Gruppen,                    fahrungen aus anderen Ländern, dass die Bereitstel-
sondern auch für alle drei Formen von positiven                        lung von Fakten und Argumenten sowie eine öffent-
Maßnahmen (gesetzliche Quote, freiwillige Partei-                      liche Debatte über diese Maßnahmen wichtig sind
quoten, Förderung des Engagements).                                    (u.a. Barnes/Córdova 2016). Dies gilt umso mehr als
Tabelle 3: Dimensionen der Repräsentation: Wichtigster                 die Akzeptanz und Unterstützung der Maßnahmen
Grund für die Unterstützung von Maßnahmen (in Prozent)                 durch die Bürger*innen zentral für die Legitimität
                       Frauen   Personen mit Migrationshintergrund
                                                                       der Maßnahmen selbst sowie für die Legitimität der
 Deskriptive
                                                                       auf dieser Basis ins Parlament gewählten Abgeord-
                        53,6                  40,8                     neten ist.
 Repräsentation
 Substantielle
                        29,7                  34,7
 Repräsentation
 Symbolische
                        16,7                  24,5
                                                                       Literatur
 Repräsentation
 N                      320                    142                     AfD (2016): Programm für Deutschland. Das Grund-
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Quelle: Eigene Auswertung auf Basis von GLES 2017a, b.
                                                                       line-Ressource: https://www.afd.de/grundsatzprogra
Diese Frage wurden nur jenen Befragten gestellt, die eine der
drei Maßnahmen (gesetzliche Quote, freiwillige Parteiquote,
                                                                       mm/ [12.10.2020].
Förderung des Engagements) unterstützen.

doi:10.25838/oaj-mip-2020180-185                                                                                              183
Kurzbeiträge     Coffé/Reiser – Unterstützen die Bürger*innen die Einführung von Quoten und [...]     MIP 2020 | 26. Jhrg. | Heft 2

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