Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes im Bereich des Schutzes der Familien

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Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes im Bereich
des Schutzes der Familien
Es gibt wesentlich zwei Regelungsbereiche, in denen das Bundesverfassungsgericht
die Nicht-Schlechterstellung der Familie (=elterlicher Haushalt mit erziehungspflichtigen
Kindern) anmahnt. Dies ist zum einen das Steuerrecht und betrifft dort insbesondere
die Gewährleistung der horizontalen Gerechtigkeit. Zum anderen geht es um
die Sozialsysteme und dort insbesondere um die Pflege- und die Rentenversicherung.

1. Steuerrecht
Das BVerfG fordert vom Gesetzgeber im Steuerrecht die zusätzlichen Belastungen
von Familien mit Kindern dahingehend zu berücksichtigen, dass Steuerzahler mit gleichem
Einkommen aber unterschiedlicher Belastung (z.B. durch Versorgungspflicht gegenüber
Kindern) unterschiedlich besteuert werden (horizontale Gerechtigkeit). Dies gilt unabhängig
von der Höhe des Einkommens. Das nicht der Besteuerung zu unterwerfende Einkommen
umfasst mindestens die Höhe des Existenzminimums aller Familienmitglieder. Also
• die Grundbedürfnisse (z.B. essen, wohnen etc.)
• den Betreuungsbedarf (bei Berufstätigkeit aber auch ohne)
• den Erziehungsbedarf (Entwicklung zu Eigenständigkeit und Verantwortung,
Kommunikation, Kultur, Sprachfähigkeit, Nutzung der Freizeit und Planung von Ferien)
Weiter hat es das Bundesverfassungsgericht untersagt, Eltern zu einer bestimmten Art und
Weise der Erziehung ihrer Kinder zu drängen. Eltern dürfen ihr familiäres Leben nach ihren
Vorstellungen planen und verwirklichen und insbesondere in ihrer Erziehungsverantwortung
entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium Kinder überwiegend von einem
Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten
betreut werden sollen. Diese primäre Entscheidungsverantwortlichkeit der Eltern beruht
auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes in aller Regel am besten von den Eltern
wahrgenommen werden.

2. Sozialversicherung
Große Bereiche der Sozialversicherung sind umlagefinanziert, d.h. die erwerbstätige
Generation sorgt für die aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen. Ihr Funktionieren basiert
dauerhaft wesentlich auf dem Nachwachsen jüngerer Generationen. Kindererziehende Eltern
sind besonderen Belastung ausgesetzt, weil sie einerseits Beiträge für die vorangegangene
Generation leisten und andererseits gleichzeitig für die spätere Leistungsgeneration sorgen.
Solange die Erziehungsarbeit gleichmäßig verteilt ist, d.h. das Bild der Gesellschaft geprägt
ist von „normalen“ Familien, ist das nicht zu beanstanden. Dieses relativ homogene Bild
der Gesellschaft hat sich wesentlich verändert. Der Anteil von Familien mit Kindern hat sich
sehr verringert. Deswegen ist es zu einer dramatischen Verschiebung der Lasten zuungunsten
der Familien gekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben
bei jeder Änderung des Systems, insbesondere der Pflege- aber auch der Rentenversicherung,
diese Tatsache der Belastung durch die Kindererziehung zu berücksichtigen und die
Benachteiligung abzubauen.

In den folgenden Auszügen aus den vier Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes ist die
Argumentation des Gerichtes teilweise sehr umfangreich wiedergegeben, weil
sie möglicherweise auch in anderen zu beurteilenden Fällen anwendbar sein kann.
Auszüge aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes in Verbindung mit dem
Schutz der Familie (Art. 6 GG)

1. Beschluss des Ersten Senats vom 29. Mai 1990(Steuerrechtliches Existenzminimum):
Es ging um §10 Absatz 2 des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung des Artikels 13
Nummer 2 des Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur
Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. Dezember 1982
(Bundesgesetzbl I Seite 1857). Er war bis zum 31. Dezember 1985 mit Artikel 3 Absatz 1
in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar. (Über den danach
liegenden Zeitraum kann aufgrund dieses Urteils keine Aussage getroffen werden.)

(117) Das Gesetz sah vor, dass Besserverdienenden das Kindergeld bis zu einem Grundbetrag
gekürzt wird, wenn das Einkommen des Vorjahres bestimmte Einkommensgrenzen
überschreitet. Argument des Staates war, dass die Besserverdienenden nicht auf das
Kindergeld angewiesen seien. Geklagt hatten Familien mit Kindern, deren Einkommen
so hoch war, dass ihnen das Kindergeld gekürzt wurde. Diesen hat das BVerfG aus Gründen
der horizontalen Steuergerechtigkeit (Vergleich mit Personen gleichen Einkommens aber
anderer Lebenssituation, vgl. Randnummer 117) Recht gegeben.

Dazu gibt das Gericht u. a. folgende Gründe:
1. (104) „ Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist der Grundsatz, dass
der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muss, als es zur
Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird.“ (=
Existenzminimum)
2. (105) „Aus den genannten Verfassungsnormen, zusätzlich aber auch aus Art. 6 Abs. 1 GG,
folgt ferner, dass bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher
Familienmitglieder steuerfrei bleiben muss. Das gilt unabhängig davon, wie die Besteuerung
im einzelnen ausgestaltet ist und welche Familienmitglieder dabei als Steuerpflichtige
herangezogen werden. Auch wenn, wie es in aller Regel bei Eltern mit noch nicht selbst
verdienenden Kinder der Fall ist, nur einzelne Familienmitglieder ein Einkommen erzielen
und diese aufgrund gesetzlicher Verpflichtung für den Unterhalt der weiteren
Familienmitglieder aufkommen, muss das Existenzminimum für die gesamte Familie
steuerfrei bleiben. Denn auch in diesem Fall müsste der Staat, wenn er dem Steuerpflichtigen
die Mittel für die Unterstützung der unterhaltsbedürftigen Familienmitglieder entzöge, diese
in entsprechender Höhe aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung aus dem
Sozialstaatsgebot selbst unterstützen. Überlässt er dagegen in verfassungsmäßiger Weise
die Unterstützung dem Bürger, wäre es inkonsequent, diesem die dafür benötigten Mittel
im Wege der Besteuerung ganz oder teilweise mit der Folge zu entziehen, dass der Staat
die Unterstützung des Bedürftigen selbst übernehmen müsste.“
3. (106) „Die Steuerfreiheit des Familienexistenzminimums wirkt sich auch auf die
Besteuerung eines Einkommens aus, das dieses Existenzminimum übersteigt.
Das Existenzminimum muss dem Steuerpflichtigen nicht nur nach Abzug der Steuern erhalten
bleiben. Der Gesetzgeber darf auch nur das darüber hinausgehende Einkommen
der Besteuerung unterwerfen, weil andernfalls Familien mit unterhaltsbedürftigen Kindern
gegenüber den sonstigen Familien, gegenüber kinderlosen Ehepaaren und gegenüber
kinderlosen Alleinstehenden benachteiligt werden würden.“
4. (109) „Auch Unterhaltsaufwendungen für Kinder sind danach grundsätzlich keine
Aufwendungen im privaten Bereich, die nach der Grundregel des § 12 Nr. 1 EStG steuerlich
als Allgemeine Kosten der Lebensführung nicht abzugsfähig sind; …Der Staat, der die Würde
des Menschen als Höchsten Rechtswert anerkennt….und Ehe und Familie dem besonderen
Schutz des Staates anheim gegeben hat, darf Kinder und private Bedürfnisbefriedigung nicht
auf eine Stufe stellen und danach auf die Mittel, die für den Lebensunterhalt von Kindern
unerlässlich sind, nicht in gleicher Weise zugreifen wie auf finanzielle Mittel, die zur
Befriedigung beliebiger Bedürfnisse eingesetzt werden.“

2. Beschluss des Ersten Senats vom 28. April 1992 (Trümmerfrauen, Berücksichtigung
Kinder in Sozialversicherung):
Es ging um §28a Absatz 1 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes, eingefügt durch
Artikel 2 Nr. 8 des Gesetzes zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie
zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung
(Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz – HEZG) vom 11. Juli
1985….sowie um Artikel 3 Nr. 2 des Gesetzes über Leistungen der gesetzlichen
Rentenversicherung für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921
(Kindererziehungsleistungs-Gesetz-KLG) vom 12. Juli 1987…. (Trümmerfrauen)

Das Gesetz sah vor, dass Mütter, die nach dem 1. Januar 1921 geboren waren, für die
von ihnen lebend geborenen Kinder jeweils 12 Kalendermonate Beitragszeit in der
Rentenversicherung erhalten sollten. Für Mütter und Väter, die vor dem 1. Januar 1921
geboren waren, sollten je Kind feste Beträge als Bruchteil der allgemeinen
Bemessungsgrundlage gezahlt werden. Die Beschwerden gingen dahin, dass insbesondere
bei den vor dem 1. Januar 1921 geborenen Personen die Erziehungszeiten bei der Berechnung
der Rente zu wenig Berücksichtigt würden. Das BVerfG hat letztendlich alle Beschwerden
verworfen, weil auch der Staat nur gewisse Regelungsspielräume hat. Dennoch trifft
es folgende Feststellungen:

Dazu gibt das Gericht u. a. folgende Gründe:
1. (120) „Das HEZG und das KLG verstießen nicht dadurch gegen das Grundgesetz, dass
sie Zeiten der Kindererziehung nicht generell mit Beitragszeiten zur Gesetzlichen
Rentenversicherung gleichsetzten. Der Gesetzgeber ist jedoch verpflichtet, den Mangel
des Rentenversicherungssystems, der in den durch Kindererziehung bedingten Nachteilen
bei der Altersversorgung liegt, in weiterem Umfang als bisher auszugleichen.“
2. (128) „Die bisherige Ausgestaltung der Rentenversicherung führt im Ergebnis zu einer
Benachteiligung der Familie, namentlich der Familie mit mehreren Kindern. Die Familie,
in der ein Elternteil zugunsten der Kindererziehung aus dem Erwerbsleben ausscheidet,
nimmt im Vergleich zu Kinderlosen nicht nur Einkommenseinbußen hin, sie muss
das gesunkene Einkommen vielmehr auch auf mehrere Köpfe verteilen. Wenn die Kinder
in das Erwerbsleben eingetreten sind und durch ihre Beiträge die Alterssicherung
der Elterngeneration mittragen, haben die Eltern selbst eine geringere Rente zu erwarten.“
3. (132) „Für die auf der Gesetzeslage beruhende Benachteiligung der Familie fehlt
es angesichts der Förderungspflicht aus Art. 6 Abs. 1 GG, die den von Art. 3 Abs. 1
GG gelassenen Gestaltungsrahmen einengt, an einem zureichenden Grund. Namentlich ist die
derzeitige Ausgestaltung der Rentenversicherung, die auf dem Versicherungsprinzip sowie
der Lohnersatzfunktion der Rente beruht und ihre Leistungen in einem Umlageverfahren
finanziert, kein zureichender Grund, die Erzieher von Kindern gegenüber Kinderlosen
im Ergebnis erheblich zu benachteiligen. Wie die Regelungen des HEZG zeigen, gibt
es Wege, die Anerkennung von Kindererziehungsleistungen in die Struktur
der Rentenversicherung einzufügen. Diese Feststellung führt aber nicht zu einer
verfassungsrechtlichen Beanstandung der zur Prüfung gestellten und mit
den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Regelungen des geltenden Rentenrechts, sondern
nur zu einer Verpflichtung des Gesetzgebers, die Benachteiligung in weiterem Umfang
als bisher schrittweise abzubauen.“
4. (133) „Die festgestellten Nachteile haben ihre Wurzel nicht allein im Rentenrecht
und brauchen folglich auch nicht nur dort behoben zu werden. Der von
den Beschwerdeführerinnen in den Vordergrund gerückte Umstand, dass aufgrund
der gegenwärtigen Rechtlage Transferleistungen von Familien mit mehreren Kindern an die
ohnehin schon besser gestellten Familien mit einem Kind und die Kinderlosen stattfinden,
betrifft nicht nur das Rentenrecht, sondern darüber hinaus den Familienlastenausgleich
im allgemeinen. Er erlaubt zwar den Schluss, dass der Gesetzgeber den Schutzauftrag des Art.
6 Abw. 1 GG bisher nur unvollkommen erfüllt hat. Konkrete Folgerungen für die gesetzliche
Rentenversicherung lassen sich daraus aber nicht ableiten.“

(135) Das BVerfG wertet die Ausweitung der anrechenbaren Erziehungszeiten (1992) auf drei
Jahre als einen Schritt in die richtige Richtung. Es kann jedoch in der Begrenzung des Wertes
auf 75% des Durchschnittseinkommens keinen sachlichen Grund sehen. Weiter geht es 1992
davon aus, dass weitere Maßnahmen zum Ausgleich der Ungerechtigkeit, z.B. eine weitere
Anrechnung von Kindererziehungszeiten, zukünftig umgesetzt werden. Das ist bisher kaum
erfolgt.

3. Beschluss des Zweiten Senats vom 10. November 1998 (Steuerrechtliches
Existenzminimum):
Es ging um § 33c Abs. 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes, eingeführt durch Art. 3 Nr.
19 des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 vom 14. Dezember 1984 einschließlich aller
nachfolgenden Fassungen sowie um § 32 Abs. 3 und 4 des Einkommensteuergesetzes seit
der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Einkommensteuergesetzes
vom 24. Januar 1984 bis zur Änderung durch Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes
zur leistungsfördernden Steuersenkung und zur Entlastung der Familie vom 26. Juni
1985 sowie § 32 Abs. 7 des Einkommensteuergesetzes seit der Fassung
der Bekanntmachung der Neufassung des Einkommensteuergesetzes vom 15. April 1986
einschließlich aller nachfolgenden Fassungen. Diese Regelungen sind mit Art. 6 Abs. 1
und 2 GG unvereinbar soweit sie unbeschränkt steuerpflichtige Eltern vom Abzug
der Kinderbetreuungskosten wegen Erwerbstätigkeit oder die Gewährung
des Haushaltsfreibetrags ausschließen.
Die Regelungen sahen vor, dass Alleinerziehende oder unverheiratete Erziehende
Betreuungskosten, die aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit entstehen, bis zu einer bestimmten
Höhe (4.000 DM) von ihrem zu versteuernden Einkommen abziehen konnten. Weiter (so § 32
Abs. 3 und 4 EStG) sollten Alleinstehende mit mindestens einem Kind von ihrem
zu versteuernden Einkommen einen Haushaltsfreibetrag abziehen dürfen. Beide
„Vergünstigungen“ standen Verheirateten, unbeschränkt steuerpflichtigen Personen nicht
offen.

Leitsätze
1. „Art. 6 Abs. 1 GG enthält einen besonderen Gleichheitssatz. Er verbietet, Ehe und Familie
gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Dieses
Benachteiligungsverbot steht jeder belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz
einer Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) oder die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher
Erziehungsgemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) anknüpft.“
2. „Die Leistungsfähigkeit von Eltern wird über den existenziellen Sachbedarf und den
erwerbsbedingten Betreuungsbedarf des Kindes hinaus generell durch den Betreuungsbedarf
gemindert. Der Betreuungsbedarf muss als notwendiger Bestandteil des Familieären
Existenzminimums einkommenssteuerlich unbelastet bleiben, ohne dass danach unterschieden
werden dürfte, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird.“
3. „a) Der Gesetzgeber muss bei der gebotenen Neugestaltung des Kinderleistungsausgleichs
auch den Erziehungsbedarf des Kindes unabhängig vom Familienstand der Eltern, die einen
Kinderfreibetrag oder ein Kindergeld erhalten, berücksichtigen.“
“b) Soweit das Familienexistenzminimum sich nach personenbezogenen Daten
wie Familienstand, Anzahl der Kinder und Alter bestimmt, muss – nach dem rechtsstaatlichen
Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit – dieser Tatbestand so gefasst werden, dass
die bloße Angabe dieser Daten die Anwendung des Gesetzes möglich macht.“

Einzelne weitere Aussagen aus dem Urteil

a. (62) „Die Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die
zuvörderst ihnen obliegende Pflicht (Art. 6 Abs. 2 Satz I GG). Die Eltern erfüllen diese
Pflicht in der Familie, die vor allem Erziehungsgemeinschaft aber auch
Wirtschaftsgemeinschaft ist. Die Eltern schulden den Kindern Sachleistungen die den
wirtschaftlichen Bedarf der Kinder decken, ebenso aber Betreuungs-
und Erziehungsleistungen, die dem kindlichen Bedürfnis nach Unterstützung, Anleitung
sowie Vermittlung praktischer und kultureller Erfahrungen genügen. Art. 6 GG begründet
eine umfassende Elternverantwortlichkeit für die Entwicklung des Kindes, die es zu einem
verantwortlichen Leben in dieser Gesellschaft befähigt.“
b. (63) „Art. 6 Abs. 1 GG garantiert als Abwehrrecht die Freiheit, über die Art und Weise
der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Deshalb
hat der Staat die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch
im materiell-wirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen
und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren. Demgemäß dürfen die Eltern
ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen und insbesondere
in ihrer Erziehungsverantwortung entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium
das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger
Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll. Die Eltern bestimmen, vorbehaltlich
des Art. 7 GG, in eigener Verantwortung insbesondere, ob und inwieweit sie andere
zur Erfüllung ihres Erziehungsauftrags heranziehen wollen.“
c. (64) „Nach Art. 6 Abs. 1 GG steht die Familie unter dem besonderen Schutze
der staatlichen Ordnung. Das Wächteramt des Staates (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) berechtigt
den Staat aber nicht, die Eltern zu einer bestimmten Art und Weise der Erziehung ihrer
Kinder zu drängen. Das Grundgesetz überlässt die Entscheidung über das Leitbild
der Erziehung den Eltern, die über die Art und Weise der Betreuung des Kindes, seine
Begegnungs- und Erlebensmöglichkeiten sowie den Inhalt seiner Ausbildung bestimmen.
Diese primäre Entscheidungsverantwortlichkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass
die Interessen des Kindes in aller Regel am besten von den Eltern wahrgenommen werden.“
d. (66) „Das Bundesverfassungsgericht verdeutlicht das verfassungsrechtliche Prinzip
der Einkommensbesteuerung nach Leistungsfähigkeit in der Pflicht des Steuergesetzgebers,
das zur Bestreitung des familiären Existenzminimums benötigte, nicht disponible Einkommen
von der Besteuerung auszunehmen.“
(68) „Die Leistungsfähigkeit von Eltern wird demnach, über den existentiellen Sachbedarf
und den erwerbsbedingten Betreuungsbedarf des Kindes hinaus, generell durch
den Betreuungsbedarf gemindert. Dieser Betreuungsbedarf ist als Bestandteil
des kindbedingten Existenzminimums steuerlich zu verschonen Steuerpflichtige mit Kindern
sind wegen ihrer Betreuungspflichten, die ihre Arbeitskraft oder ihre Zahlungsfähigkeit
beanspruchen, im Vergleich zu Steuerpflichtigen ohne Kinder steuerlich weniger
leistungsfähig. Würde dieser auf der elterlichen Pflicht zur Erziehung und Betreuung ihrer
Kinder beruhende Bedarf bei der Bemessung der Einkommensteuer außer Betracht gelassen,
wären die Eltern gegenüber kinderlosen Steuerpflichtigen benachteiligt, deren
Leistungsfähigkeit nicht durch die Erfüllung elterlicher Pflichten gemindert wird. Das Gebot
der horizontalen Gleichheit wäre verletzt.“
e. (69) „Der Betreuungsbedarf muss als notwendiger Bestandteil des familiären
Existenzminimums einkommenssteuerlich unbelastet bleiben, ohne dass danach unterschieden
werden dürfte, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird. Das Einkommensteuergesetz
hat den Betreuungsbedarf eines Kindes stets zu verschonen, mögen die Eltern das Kind
persönlich betreuen, mögen sie eine zeitweilige Fremdbetreuung des Kindes, z. B.
im Kindergarten, pädagogisch für richtig halten oder mögen sich beide Eltern für eine
Erwerbstätigkeit entscheiden und deshalb eine Fremdbetreuung in Anspruch nehmen.“

f. (70) „Neben der Pflicht, die von den Eltern im Dienst des Kindeswohls getroffenen
Entscheidungen anzuerkennen und daran keine benachteiligende Rechtsfolgen zu knüpfen,
ergibt sich aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG auch die Aufgabe des Staates,
die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen
Voraussetzungen zu ermöglichen und zu fördern. Die Kinderbetreuung ist eine Leistung,
die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt. Der Staat
hat dementsprechend dafür Sorge zu tragen, dass es Eltern gleichermaßen möglich ist,
teilweise und zeitweise auf eine eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der persönlichen
Betreuung ihrer Kinder zu verzichten wie auch Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit
miteinander zu verbinden. Der Staat muss auch Voraussetzungen schaffen, dass
die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt,
dass eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit ebenso wie ein Nebeneinander von Erziehung
und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile einschließlich eines beruflichen Aufstiegs während
und nach Zeiten der Kindererziehung ermöglicht und dass die Angebote der institutionellen
Kinderbetreuung verbessert werden.“

g. (88) „Kinderfreibeträge und Kindergeld decken im wesentlichen nur das sächliche
Existenzminimum des Kindes. Der Betreuungsbedarf jedes Kindes wird bisher –
gleichheitswidrig – lediglich berücksichtigt, wenn er bei Alleinstehenden i. S. des § 33c Abs.
2 EStG im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit, mit Krankheit oder Behinderung
entstanden ist oder wenn ein in ehelicher Gemeinschaft lebender Elternteil krank oder
behindert und der andere entweder erwerbstätig oder ebenfalls krank oder behindert ist. Diese
Regelungen genügen nicht der Tatsache, dass der Betreuungsbedarf des Kindes unabhängig
von Krankheit, Behinderung oder Erwerbstätigkeit der Eltern besteht und auch nicht von der
Art und Weise der Erbringung der Betreuungsleistungen abhängt.“

h. (89) „Bei der Neuregelung der einkommenssteuerlichen Verschonung
des Betreuungsbedarfs wird der Gesetzgeber daher eine gleiche betreuungsbedingte
Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit bei allen Eltern – unabhängig von der Art der
Betreuung und von konkreten Aufwendungen- zu berücksichtigen und dementsprechend
den Kinderfreibetrag oder das Kindergeld zu erhöhen haben.“

i. (90) „Das Einkommensteuergesetz vernachlässigt neben dem Betreuungsbedarf auch
die Aufwendungen der Eltern, die dem Kind die persönliche Entfaltung, seine Entwicklung
zur Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit ermöglichen (Erziehungsbedarf).
Es berücksichtigt zwar im “Haushaltsfreibetrag-" unter unzutreffender Bezeichnung
und gleichheitswidriger Beschränkung – einen kindbedingten Zusatzbedarf, der diesen Bedarf
des Kindes im rechnerischen Ergebnis abdeckt. Dabei bleibt aber außer Betracht, dass alle
Eltern diesen Mehrbedarf des Kindes zu befriedigen haben. Der Gesetzgeber muss deshalb
bei der gebotenen Neugestaltung des Kinderleistungsausgleichs (vgl. Beschluss des Zweiten
Senats vom 10. November 1998- 2BvL 42193- Kinderleistungsausgleich) diesen
Erziehungsbedarf des Kindes unabhängig vom Familienstand bei allen Eltern, die einen
Kinderfreibetrag oder ein Kindergelder halten, berücksichtigen.“
j. (91) „Auch dieser Erziehungsbedarf wird durch Kinderfreibetrag und Kindergeld nicht
ausreichend befriedigt. Zwar umfasst der für die Gewährung von Sozialhilfe und damit für die
Festlegung des allgemeinen steuerlichen Existenzminimums maßgebliche notwendige
Lebensunterhalt neben Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat und Heizung
auch persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens (Bundessozialhilfegesetz). Zu diesem
Minimum gehören in vertretbarem Umfange auch Beziehungen zur Umwelt und eine
Teilnahme am kulturellen Leben. Für Kinder und Jugendliche umfasst der notwendige
Lebensunterhalt auch den besonderen, vor allem den durch ihre Entwicklung und ihr
Heranwachsende bedingten Bedarf.“

k. (92) „Bei der Quantifizierung dieses Bedarfs sind jedoch die allgemeinen Kosten noch
nicht hinreichend berücksichtigt, die Eltern aufzubringen haben, um dem Kind eine
Entwicklung zu ermöglichen, die es zu einem verantwortlichen Leben in dieser Gesellschaft
befähigt. Hierzu gehört gegenwärtig z.B. – entgegen § 33c Abs. 1 Satz 5 EStG –
die Mitgliedschaft in Vereinen sowie sonstige Formen der Begegnung mit anderen Kindern
oder Jugendlichen außerhalb des häuslichen Bereichs, das Erlernen und Erproben moderner
Kommunikationstechniken, der Zugang zu Kultur- und Sprachfertigkeit, die verantwortliche
Nutzung der Freizeit und die Gestaltung der Ferien.“

l. (94) „Es wird Aufgabe des Gesetzgebers sein, die kindbedingte Minderung
der Leistungsfähigkeit steuerpflichtiger Eltern im Vergleich zu kinderlosen Steuerpflichtigen
in jedem weiteren Reformschritt zu berücksichtigen.“

m. (97) „Die für verfassungswidrig erkannten Regelungen des § 33c EStG sind bis zum 31.
Dezember 1999 weiterhin anzuwenden. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Gesetzgeber in einem
ersten Reformschritt die Besteuerung der Familie in der Weise neu zu regeln, dass
der Betreuungsbedarf jedes Kindes als verminderte Leistungsfähigkeit seiner Eltern
berücksichtigt wird. Dieser erste Schritt wird aufgrund der in dieser Entscheidung
festgestellten Diskriminierung der ehelichen Erziehungsgemeinschaft erforderlich.
Im Rahmen dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber die Berücksichtigung dieses
Betreuungsbedarfs auf alle Eltern auszudehnen, unabhängig davon, in welcher Weise
sie diesen Bedarf ihrer Kinder decken.“

4. Urteil des Ersten Senats vom 3. April 2001 – 1 Bv R? 1629/94 – (Berücksichtigung
von Kindererziehungszeiten in der Sozialversicherung:

§ 54 Absatz 1 und 2, § 55 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 sowie § 57 des Elften Buches
Sozialgesetzbuch vom 26. Mai 1994 (Bundesgesetzblatt I Seite 1014) sind mit Artikel 3
Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar, soweit
Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem
gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden.

Leitsatz
Es ist mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren, dass
Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit
neben dem Geldbeitrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines
umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen
Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden.
Einzelne weitere Aussagen aus dem Urteil

a. (42) „§ 54 Abs. 1 und 2, § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 sowie § 57 SGB XI sind mit Art. 3
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit die Mitglieder der sozialen
Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen, bei gleich hohem beitragspflichtigem
Einkommen mit einem betragsmäßig gleich hohen Beitrag zur Pflegeversicherung belastet
werden wie kinderlose Mitglieder. Demgegenüber lässt sich eine Verpflichtung
des Gesetzgebers, Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen
und erziehen, von der Beitragspflicht auszunehmen, aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht herleiten.“

b. (44) „Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht dadurch verletzt, dass Mitglieder der sozialen
Pflegeversicherung auch dann, wenn sie Kinder betreuen und erziehen, der Beitragspflicht
unterworfen werden.“

c. (46) „…Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht unter
dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten.
Der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere
Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem
auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten.“

d. (47) „Die angegriffenen Vorschriften verstoßen nicht deshalb gegen Art. 3 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG, weil sie den besonderen Beitrag, den Versicherte
mit unterhaltsberechtigten Kindern für das System der sozialen Pflegeversicherung erbringen,
in dieser Versicherung nicht leistungserhöhend berücksichtigen.“

e. (55) „Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG ist jedoch dadurch verletzt, dass
die Betreuung und Erziehung von Kindern bei der Bemessung von Beiträgen
beitragspflichtiger Versicherter keine Berücksichtigung findet. Dadurch wird die Gruppe
Versicherter mit Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung,
die aus dieser Betreuungs- und Erziehungsleistung im Falle ihrer Pflegebedürftigkeit Nutzen
ziehen, in verfassungswidriger Weise benachteiligt.“

f. (56) „Wird ein solches allgemeines, regelmäßig erst in höherem Alter auftretendes
Lebensrisiko durch ein Umlageverfahren finanziert, so hat die Erziehungsleistung konstitutive
Bedeutung für die Funktionsfähigkeit dieses Systems. Denn bei Eintritt der ganz
überwiegenden Zahl der Versicherungsfälle ist das Umlageverfahren auf die Beiträge
der nachwachsenden Generation angewiesen.“

g. (61) „Auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen ist jede staatliche
Gemeinschaft angewiesen. An der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien besteht
ein Interesse der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 88, 203 ). Das allein gebietet es nicht,
diese Erziehungsleistung zugunsten der Familien in einem bestimmten sozialen
Leistungssystem zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 87, 1 ). Wenn aber ein soziales
Leistungssystem ein Risiko abdecken soll, das vor allem die Altengeneration trifft, und seine
Finanzierung so gestaltet ist, dass sie im Wesentlichen nur durch das Vorhandensein
nachwachsender Generationen funktioniert, die jeweils im erwerbsfähigen Alter
als Beitragszahler die mit den Versicherungsfällen der vorangegangenen Generationen
entstehenden Kosten mittragen, dann ist für ein solches System nicht nur der
Versicherungsbeitrag, sondern auch die Kindererziehungsleistung konstitutiv. Wird dieser
generative Beitrag nicht mehr in der Regel von allen Versicherten erbracht, führt dies zu einer
spezifischen Belastung kindererziehender Versicherter im Pflegeversicherungssystem, deren
benachteiligende Wirkung auch innerhalb dieses Systems auszugleichen ist.
Die kindererziehenden Versicherten sichern die Funktionsfähigkeit der Pflegeversicherung
also nicht nur durch Beitragszahlung, sondern auch durch Betreuung und Erziehung
von Kindern.“

h. (62) „Der Gesetzgeber hat jedoch die Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit überschritten,
als er im Jahr 1994 das SGB XI – von den Vorschriften der §§ 25 und 56 SGB XI abgesehen
– ohne eine die Beitragslast der Eltern berücksichtigende Kinderkomponente in Kraft treten
ließ.“

i. (67) „…Dies führt auch dazu, dass immer weniger jüngere Versicherte neben ihrer
Beitragslast zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der sozialen Pflegeversicherung
die Kostenlast der Kindererziehung tragen. Die gleiche Belastung mit Versicherungsbeiträgen
führt zu einem erkennbaren Ungleichgewicht zwischen dem Gesamtbeitrag,
den Kindererziehende in die Versicherung einbringen, und dem Geldbeitrag von Kinderlosen.
Hierin liegt eine Benachteiligung von erziehenden Versicherten, die im Beitragsrecht
auszugleichen ist.“
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