Versorgungssicherheit: Übertragungsnetzbetreiber verhindern Blackout - Neubau netzrelevanter Kraftwerke - energie.de
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ZUKUNFTSFRAGEN Meinungen & Fakten ZUKUNFTSFRAGEN Versorgungssicherheit: Übertragungsnetzbetreiber verhindern Blackout – Neubau netzrelevanter Kraftwerke Am Jahresbeginn 2021 stand Europa kurzfristig am Rande eines Zusammenbruchs seiner Stromnetze. Durch das 2006 eingeführte European Awareness System (EAS) konnte ein flächenhafter Blackout verhindert werden. Zukünftig sollen netzrelevante Kraftwerke zur Sicherstellung einer zuverlässigen Energieversorgung beitragen. Am 08.01.2021 registrierte der für die Syn- 6,3 GW Erzeugungsleistung, während im zu stützen. Zusätzlich wurden 420 MW Leis- chronisierung der Stromnetze verantwort- südöstlichen Teil ein Überschuss von 6,3 GW tung aus dem skandinavischen (Nordic) und liche Netzbetreiber Amprion einen Frequenz- entstand. Dies führte dazu, dass die Fre- 60 MW aus dem britischen Synchrongebiet abfall deutlich unter die vorgeschriebenen quenz im nordwestlichen Netzteil abfiel, automatisiert eingespeist. Diese Maßnah- 50 Hertz. Als Reaktion auf diese gefährliche während sie im südöstlichen Teil sprunghaft men sorgten dafür, dass die Frequenz um Abweichung kam es zu einer Trennung der anstieg: Um 14:05 Uhr fiel die Frequenz im 14:09 Uhr nur noch rund 0,1 Hertz unter der Netzregion Süd-Ost-Europa vom europäischen nordwestlichen Netzteil zunächst auf 49,74 normalen Frequenz von 50 Hertz lag und Verbundnetz zwischen etwa 14.00 und 15.00 Hertz. Nach rund 15 Sekunden stabilisier- sukzessive weiter zurückgeführt wurde. Uhr mitteleuropäischer Zeit. te sich die Frequenz bei 49,84 Hertz – also innerhalb des zulässigen Bandes für Fre- Gegenmaßnahmen Auslöser und Folgen quenzabweichungen (+/-0,2 Hertz). Gleich- zeitig sprang die Frequenz im südöstlichen Aufgrund der erhöhten Frequenz wurden im Auslöser war nach derzeitigem Kenntnis- Netzteil auf 50,6 Hertz, bevor sie sich bei südöstlichen Teil des Netzes automatische stand [1] die automatische Abschaltung einem Wert zwischen 50,2 und 50,3 Hertz und manuelle Gegenmaßnahmen aktiviert, eines 400-kV-Sammelschienenkupplers in stabilisierte (Abb. 2). um den Leistungsüberschuss zu reduzieren. der kroatischen Umspannanlage Ernestinovo Unter anderem reduzierten Erzeugungsan- um 14:04 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Diese Aufgrund der Unterfrequenz gingen im lagen ihre Einspeisung – so ging ein Kraft- Abschaltung führte dazu, dass zwei Sammel- nordwestlichen Teilnetz vertraglich gesi- werk mit einer Leistung von 975 MW in der schienen in der Umspannanlage entkuppelt cherte Kapazitäten mit einer Leistung von Türkei um 14:04:57 Uhr automatisch vom und somit die Stromflüsse aus südöstlicher 1,7 GW in Frankreich und Italien vom Netz. Netz. Folglich lag um 14:29 Uhr in diesem in nordwestliche Richtung unterbrochen Die Betreiber dieser Anlagen der energiein- Teilnetz die Frequenz nur noch bei 50,2 Hertz wurden. Betroffen waren zwei Leitungen von tensiven Industrie hatten im Vorfeld mit den und bewegte sich bis zur Resynchronisierung Ernestinovo in Richtung Nordwesten sowie zuständigen Übertragungsnetzbetreibern um 15:07 Uhr mit dem nordwestlichen Netz- zwei Leitungen von Ernestinovo in Richtung Verträge darüber abgeschlossen, dass ihre teil im Bereich zwischen 50,2 und 49,9 Hertz. Südosten. Dies betraf in nordwestlicher Rich- Anlagen bei einer bestimmten Unterfre- Die anhaltenden Frequenzschwankungen tung die Leitungen nach Zerjavinec (Kroati- quenz automatisch abschalten, um das Netz zwischen 14:30 und 15:06 Uhr wurden verur- en) und nach Pecs (Ungarn). In südöstlicher Richtung waren die Leitungen nach Ugljevik (Bosnien-Herzegowina) und nach Sremska Mitrovica (Serbien) betroffen. Durch die Unterbrechung der Stromflüsse in der Umspannanlage Ernestinovo verlagerte sich der Stromtransport auf umliegende Lei- tungen. Infolge eintretender Überlastungen kam es zu einer Abschaltung der Leitung Su- botica – Novi Sad (Serbien) durch den Über- stromschutz. In der Folge lösten im Umkreis mehrere Leitungen aufgrund des Distanz- schutzes aus. Die Abschaltungen führten zur Aufteilung des europäischen Netzgebietes um 14:05 Uhr. Durch diese Systemauftrennung (Abb. 1) Abb. 1 Systemauftrennung im europäischen Stromnetz am 08.01.2021 Quelle: ENTSO-E fehlten im nordwestlichen Teil des Netzes ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 3 31
ZUKUNFTSFRAGEN Meinungen & Fakten 0,5 GW Photovoltaikleistung in Deutschland verfügbar waren, wurde die Versorgungs- sicherheit durch regelbare konventionelle Kraftwerke (Kohle, Erdgas, Kernenergie) sichergestellt. Der Spotmarktpreis für Strom lag bei 95 €/MWh [2]. Die Übertragungsnetzbetreiber Amprion (Deutschland) und Swissgrid (Schweiz) sind verantwortlich für die Beobachtung und das Krisenmanagement bei Frequenzstörungen. Als „Frequenzkoordinatoren“ (Synchronous Area Monitor, SAM) für Europa informieren sie im Falle einer deutlichen Frequenzab- weichung alle europäischen Übertragungs- netzbetreiber über das Warnsystem EAS Abb. 2 Frequenzentwicklung im europäischen Verbundnetz am 08.01.2021 nach der Störung und kurz vor und leiten die entsprechenden Prozesse ein. der Resynchronisierung Quelle: ENTSO-E Sie koordinieren die Gegenmaßnahmen und stellen sicher, dass das System schnellst- sacht, weil das abgetrennte südöstliche Teil- Serbien, Rumänien, Bosnien und Herzegowi- möglich stabilisiert wird. Teil dieser Maß- netz vergleichsweise klein war und einige na sowie die Türkei und Kroatien betroffen. nahmen war am 08.01.2021 eine Telefonkon- Erzeugungsanlagen aufgrund der Überfre- Im südöstlichen Netzteil erfolgte eine auf ferenz zwischen den größten europäischen quenz nicht mehr am Netz waren (Abb. 3). Teile Rumäniens beschränkte Abkopplung Netzbetreibern Amprion, Swissgrid, RTE von Endverbrauchern mit einer Gesamtleis- (Frankreich), Terna (Italien) und REE (Spa- Die automatisierten Reaktionen und koordi- tung von 225 MW. In Deutschland hatte die nien) um 14:09 Uhr. In dieser Konferenz nierten Maßnahmen der kontinentaleuropä- Maßnahme keine Auswirkungen. Hier lag erörterten die Teilnehmer den Zustand des ischen Übertragungsnetzbetreiber sorgten der Stromverbrauch zum Zeitpunkt des Ein- Netzes und Maßnahmen, die bereits einge- dafür, dass der Normalbetrieb im Netz wie- tretens der Störung mit rund 62.000 MWh leitet waren. derhergestellt werden konnte. Um 14:47 Uhr allerdings um knapp 2.000 MWh höher als und 14:48 Uhr konnten die Industrieanlagen die inländische Erzeugung, so dass Strom- Durch die hohe Widerstandskraft des Ver- in Italien und Frankreich wieder ans Netz importe aus den Nachbarländern notwendig bundnetzes und die schnelle Reaktion der gehen. Um 15:07 Uhr synchronisierten die waren. Über eine Inanspruchnahme von Netzbetreiber waren die Versorgungssicher- Netzbetreiber die beiden Teilnetze wieder. vertraglich vereinbarten Lastabwürfen bei heit und die Systemstabilität nach Aussage industriellen Großverbrauchern in Deutsch- der Übertragungsnetzbetreiber nicht in Abb. 1 Nachfrage und Angebot im Gesamtsystem - Vergleich der Emissionen mit den verfügbaren Emissions- Von der berechtigungen Netzabtrennung sowie waren die der Entwicklung Länder landseitwurde Umlaufmenge 2008 nichts bekannt.Quelle: Da zu diesem DEHST Gefahr [3]. Einen wichtigen Beitrag zur Sta- Griechenland, Nord-Mazedonien, Bulgarien, Zeitpunkt nur 4,2 GW Windleistung und bilisierung des Systems leisteten die Indus- trieanlagen in Italien und Frankreich, die entsprechend ihrer vertraglichen Verpflich- tungen vom Netz gingen. Genügend Momentanreserve- und Primärregelleistung im europäischen Stromnetz? Der aktuelle Störfall wirft auch die Frage nach ausreichender Momentanreserve- und Primärregelleistung im europäischen Strom- netz auf. Durch die rotierenden Massen von Generatoren und Dampfturbinen besitzt das System eine gewisse Trägheit. Kurzfristig erzeugt dies – ohne gezielte Eingriffe – eine gewisse Stabilisierung der Frequenz. Primär- regelung (auch Sekundenreserve genannt) muss spätestens eingreifen, wenn eine Fre- Abb. 2 3 Begrenzung des Umfangs der MSR Frequenz in Kontinentaleuropa durchder während denEreignisse Löschungsmechanismus des 08.01.2021ab 2023 quenzabweichung von mindestens 0,02 Hertz Quelle: Quelle: BMU ENTSO-E auftritt. 32 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 3
ZUKUNFTSFRAGEN Meinungen & Fakten Die Primärregelung erfordert keine über- 2022 den Betrieb aufnehmen. Weitere Anla- netzbetreiber sowie Experten der nationalen regionale Koordination, da in jedem Kraft- gen errichten die LEAG im bayerischen Leip- Regulierungsbehörden und der europäischen werk die Netzfrequenz gemessen und ent- heim [4] sowie Uniper am Standort Irsching. Regulierungsbehörde ACER. sprechend darauf reagiert werden kann. Dies erfolgt bislang größtenteils in Groß- Warnsystem „European Fazit kraftwerken, teilweise auch in kleineren Awareness System“ (EAS) Wasserkraftwerken. Insgesamt werden im Die Versorgungssicherheit der Stromversor- kontinentaleuropäischen Stromnetz mehre- Das synchron mit derselben Frequenz von gung ist in Deutschland und Mitteleuropa re Tausend Megawatt Regelleistung bereit- 50 Hertz betriebene europäische Stromsys- davon abhängig, ob der Wind weht und die gehalten. Technisch erfolgt die Primärrege- tem ist eines der größten Stromsysteme der Sonne scheint, das Stromnetz hinreichend lung in einem Kraftwerk mit Dampfturbinen Welt – sowohl bezogen auf seine räumliche ausgebaut und robust ist, ausreichend regel- indem den Turbinen zeitweilig mehr oder Ausdehnung als auch auf die Zahl der be- bare Kraftwerksleistung verfügbar ist, die weniger Dampf zugeführt wird. Hierfür lieferten Verbraucher. Eine Auftrennung Netzbetriebsmittel im gesamten Verbundnetz kann der Dampferzeuger als Reservoir die- des Netzgebietes fand in Kontinentaleuropa funktionieren und die Mitarbeiter der Netzbe- nen, da eine Anpassung der Feuerungsleis- zuletzt am 04.11.2006 statt. Als Reaktion treiber bei Problemen die richtigen Maßnah- tung meist zu träge wäre. Bei einer laufen- darauf entstanden neue Sicherungssysteme men ergreifen. den Gasturbine wirkt sich eine Änderung wie das Warnsystem „European Awareness der Brennstoffzufuhr innerhalb weniger System“ (EAS) [5], das es den europäischen Quellen Sekunden auf die produzierte Leistung aus, Übertragungsnetzbetreibern ermöglicht, sich so dass auf diesem Wege geregelt werden gegenseitig über Beobachtungen und Vorfälle [1] https://www.entsoe.eu/news/2021/01/15/system- kann. im Netzbetrieb zu informieren. Das EAS be- separation-in-the-continental-europe-synchronous- grenzt die Auswirkungen von Netzstörungen area-on-8-january-2021-update/ Neubau von netzrelevanten und machte es am 08.01.2021 möglich, die [2] https://www.smard.de Kraftwerken beiden Teilnetze nach rund einer Stunde wie- [3] Vgl. Hans-Jürgen Brick, Vorsitzender der Geschäfts- der zusammenzuführen. führung von Amprion, in der ZfK - Zeitschrift für kom- Insbesondere die für die Momentanreserve munale Wirtschaft, Ausgabe 2, Februar 2021, S. 8. sorgenden Trägheitseffekte großer Massen Entsprechend Artikel 15 der EU-Regulierung [4] https://www.leag.de/de/news/details/leag-inves- werden durch die Abschaltung großer Kraft- 2017/1485 [6] wird bei einem Vorfall wie tiert-in-gaskraftwerk-leipheim/ werksblöcke im Zuge des Ausstiegs aus der am 08.01.2021 eine Expertenkommission [5] Janicek, F.; Jedinak, M.; Sulc, I.: Awareness System Kernenergie sowie der Kohle tendenziell einberufen. Sie erstellt einen Bericht über implemented in the European Network. In: Journal of knapper. Einen gewissen Ausgleich könn- die Vorkommnisse und leitet daraus – sofern Electrical Engineering, Vol. 65, Nr. 5, 2014, S. 320-324. ten der Bau und die Inbetriebnahme neuer notwendig – weitere Schritte ab, die dazu bei- [6] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ Gasturbinenkraftwerke in Deutschland tragen können, ein vergleichbares Ereignis PDF/?uri=CELEX:32017R1485&from=LT bringen. Zur Sicherstellung einer zuverläs- in Zukunft zu vermeiden. Die Kommission sigen Energieversorgung in Süddeutschland besteht aus Fachleuten der Übertragungs- „et”-Redaktion haben die Übertragungsnetzbetreiber in Südhessen, Bayern und Baden-Württemberg sog. Netzstabilitätsanlagen mit einer Leis- tung von je 300 MW ausgeschrieben, die im Jahr 2022 in Betrieb gehen sollen. Die Anla- gen sollen vornehmlich die Netzstabilität im Süden bei fluktuierender Netzeinspeisung NEWS | MAGAZINE | JOBS | MARKTPARTNER | TERMINE aus Wind- und PV-Anlagen sichern. Es handelt sich um Gasturbinen-Anlagen, Jobbörse der Energiewirtschaft die auf schnelle Erreichung des Volllastbe- Für Fach- und Führungskräfte triebs ausgelegt sind und bis zu 1.500 Voll- Jobs finden benutzungsstunden im Jahr aufweisen. Am Stellenanzeigen veröffentlichen 13.11.2020 erhielt RWE vom Übertragungs- netzbetreiber Amprion im Rahmen der Aus- schreibung „besonderer netztechnischer Be- Aktuell und triebsmittel“ den Zuschlag für den Bau und www.energie.de/jobs spartenübergreifend den Betrieb einer solchen Anlage am Stand- Das Portal der ort Biblis in Nordrhein-Westfalen. Die Anlage Energiewirtschaft wird eine gesicherte elektrische Leistung von 300 MW bereitstellen und soll bis Oktober ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 3 AZ_energie-de_jobs_97x66SP_01.indd 1 05.07.19 33 14:32
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