Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Online-Medien - Ein Literaturüberblick zu Ursachen und Wirkungen von inziviler Kommunikation ...

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Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Online-Medien - Ein Literaturüberblick zu Ursachen und Wirkungen von inziviler Kommunikation ...
Wandel der Sprach- und Debattenkultur
in sozialen Online-Medien
Ein Literaturüberblick zu Ursachen und Wirkungen
von inziviler Kommunikation

Anna Sophie Kümpel, Diana Rieger

                                                   www.kas.de
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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., 2019, Berlin

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Gestaltung: yellow too Pasiek Horntrich GbR
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by-sa/4.0/legalcode.de).

ISBN 978-3-95721-546-8
Wandel der Sprach-
		und Debattenkultur
in sozialen Online-Medien

Ein Literaturüberblick zu Ursachen und Wirkungen
von inziviler Kommunikation

Anna Sophie Kümpel, Diana Rieger
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung                                                                           5

2. Begriffsklärungen und Perspektive des Beitrags                                       9

3. Ursachen für die Wahrnehmung von mehr Inzivilität in sozialen Online-Medien         13

4. Wirkungen von Inzivilität in sozialen Online-Medien                                 19

5. Gegenmaßnahmen: Wie lässt sich Inzivilität in sozialen Online-​Medien verhindern?   25

6. Fazit und Ausblick                                                                  31

Literaturverzeichnis                                                                   35
1. Einleitung

Online-Medien sind zu einem selbstverständlichen        Weg für eine „democratic utopia“ (Papacharissi,
Bestandteil unseres Alltags geworden. Gemäß der         2004, S. 260) zu ebnen (siehe auch Chen, 2017,
ARD/ZDF-Onlinestudie sind mehr als 90 Prozent           S. 38 ff.). Tatsächlich scheinen Nutzer*innen
der Deutschen online, mehr als die Hälfte von ihnen     sozialer Online-Medien im Vergleich zu Face-to-
nutzt das Internet täglich (Frees & Koch, 2018). Ins-   Face-Settings stärker gewillt, ihre eigene Meinung
besondere soziale Online-Medien spielen für viele       zu vertreten und sich auch über sensible Themen
Nutzer dabei eine wichtige Rolle und wurden 2018        auszutauschen (Ho & McLeod, 2008). Dies wiede-
von mehr als 30 Prozent der Gesamtbevölkerung           rum kann sich positiv auf das Kompetenz- und
mindestens einmal wöchentlich genutzt (ebd.).           Autonomieerleben sowie den Zusammenhalt in
                                                        (virtuellen) Gruppen auswirken (für einen Über-
Während insbesondere soziale Netzwerksei-               blick siehe Christopherson, 2007).
ten (SNS) wie Facebook und Twitter anfänglich
vor allem der interpersonalen Vernetzung und            Die veränderten Kommunikationsbedingungen
Selbstdarstellung dienten, sind die Plattformen         ziehen jedoch fraglos nicht nur positive Entwick-
indes auch zu einer zentralen Schnittstelle für die     lungen nach sich. Soziale Online-Medien bieten
Medien-, Informations- und Nachrichtennutzung           auch einen Nährboden für „Inzivilität“, die wir in
geworden (Hölig & Hasebrink, 2018; Kümpel,              diesem Beitrag als Kommunikationsform definie-
2019). Angesichts der vielfältigen Potentiale für       ren, die interpersonale oder deliberative Normen
Partizipation, Interaktion und Anschlusskommu-          überschreitet und etwa in Form von aggressiven
nikation haben sie zudem dazu beigetragen, dass         Nutzerkommentaren, Shitstorms, Flaming, Trolling
a) die Teilhabe an öffentlichen Diskursen dras-         oder Hassrede in (teil-)öffentlich zugänglichen
tisch vereinfacht wurde, b) Nutzer*innen flexibel       Diskussionen beobachtet werden kann (siehe das
zwischen Kommunikator- und Rezipientenrolle             folgende Kapitel für eine ausführliche Begriffsklä-
wechseln können und c) journalistische Inhalte          rung). Obwohl diese Beobachtung alles andere
sowie politische Debatten auch von „normalen“           als neu ist und bereits in frühen Arbeiten zu den
Bürgeren öffentlichkeitswirksam kommentiert             sozialpsychologischen Aspekten computerver-
und problematisiert werden können (Neuberger,           mittelter Kommunikation diskutiert wurde (siehe
2017). Dies gilt auch für weitere Formen sozialer       z.B. Kiesler, Siegel, & McGuire, 1984), scheint das
Online-Medien wie Foren und Online-Communities,         Risiko einer Konfrontation mit inzivilen Diskursen
Kommentarsektionen auf Nachrichten-Webseiten            in sozialen Online-Medien zugenommen zu haben
sowie Videoplattformen und Wikis, denen wir uns         (Coe, Kenski, & Rains, 2014; Kaakinen, Oksanen,
im Rahmen dieses Beitrags widmen werden.                & Räsänen, 2018; Rost, Stahel, & Frey, 2016; Su
                                                        u. a., 2018). Eine Analyse von über 243 Millionen
Indem sie einen öffentlichen Raum bereitstellen,        Nutzerkommentaren, die unter Beiträgen der
in welchem Nutzer*innen ihre eigenen Meinun-            Facebook-Seiten von 42 US-Nachrichtenmedien
gen, Perspektiven und Fachkenntnisse einbringen         hinterlassen wurden, zeigte jüngst, dass zwischen
können, wurde sozialen Online-​Medien gerade in         25 und 41 Prozent dieser Posts inzivile Kommuni-
ihrer Anfangsphase ein hohes deliberatives Poten-       kation enthalten (Su u. a., 2018).
zial zugeschrieben (Rowe, 2015b; Ruiz u. a., 2011).
Viele Beobachter*innen sahen nicht zuletzt in der       Auch für Deutschland lassen sich einige Indikato-
Anonymität des Netzes die Möglichkeit, soziale          ren für (eine Zunahme von) Inzivilität finden. So
Unterschiede zu nivellieren, einen produktiven          brachte etwa die Einführung des Netzwerkdurch-
gesellschaftlichen Austausch zu fördern und so den      setzungsgesetzes (NetzDG) – das SNS-Betreiber

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Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Online-Medien

       verpflichtet, Hassreden, beleidigende, verleum-         diskutieren wir sowohl mögliche Ursachen der
       dende und andere rechtswidrige Inhalte innerhalb        Wahrnehmung einer inzivilen Sprach- und Debat-
       von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu         tenkultur als auch Wirkungen auf die Nutzer*innen
       sperren – eine entsprechende Berichtspflicht der        sozialer Online-Medien. Der Fokus auf Inzivilität
       Anbieter mit sich. Die Berichte offenbaren, dass        soll dabei jedoch nicht suggerieren, dass die Kom-
       Nutzer*innen von Facebook, Twitter, YouTube und         munikation im Internet ausschließlich negative
       Google+ im Zeitraum von Januar bis Juli 2018 mehr       Effekte produziert oder gar provoziert. Er ergibt
       als 500.000 Beiträge gemeldet haben (Gollatz,           sich vielmehr aus der Annahme, dass die gesell-
       Riedl, & Pohlmann, 2018). Daneben zeigen Berichte       schaftlichen Auswirkungen in diesem Bereich
       von jugendschutz.net, dass die Zahl von Verstößen       grundsätzlich als gravierender erscheinen sowie
       gegen Jugendschutzbestimmungen im Internet              dem Ziel, eine Diskussion über mögliche Gegen-
       von rund 6.000 registrierten Fällen im Jahr 2015        maßnahmen anzuregen. Auch solche Möglichkei-
       (M. Glaser, Herzog, Özkilic, & Schindler, 2016) auf     ten zur Verhinderung bzw. Verminderung von
       über 7.500 im Jahr 2017 angestiegen ist (M. Glaser,     Inzivilität nehmen wir in diesem Beitrag explizit
       Herzog, Özkilic, & Schindler, 2018). Vor diesem         in den Blick und bieten so Ansatzpunkte für die
       Hintergrund ist es auch kaum verwunderlich, dass        Entwicklung von Strategien zur Verbesserung der
       die überwiegende Mehrheit deutscher Jugendli-           diskursiven Qualität.
       cher angibt, in sozialen Online-Medien bereits mit
       extremistischen Posts oder Hasskommentaren in
       Kontakt gekommen zu sein (Reinemann, Nienierza,
       Fawzi, Riesmeyer, & Neumann, 2019).

       Es ist somit keine Übertreibung, wenn man Inzivi-
       lität als zentrales Merkmal der Online-​Kommuni-
       kation beschreibt. Wer in sozialen Online-Medien
       aktiv ist, trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit auf
       Hass, Beleidigungen und Pöbeleien, die sich
       sowohl auf einzelne Nutzer*innen und öffentli-
       che Akteure als auch auf ganze gesellschaftliche
       Gruppen beziehen können. Die aktive Nutzung
       sozialer Online-Medien macht es jedoch nicht
       nur wahrscheinlicher, mit Inzivilität in Kontakt zu
       kommen, sondern auch selbst zum Opfer von ent-
       sprechenden Kommunikationsformen zu werden
       (Costello, Hawdon, & Ratliff, 2017; Ybarra, Mitchell,
       Wolak, & Finkelhor, 2006). Neben den fraglos
       schwerwiegenden Auswirkungen auf die jeweili-
       gen Opfer, kann die Konfrontation mit Inzivilität
       auch (unbeteiligte) Beobachter*innen selbst,
       sowie deren Wahrnehmungen, Intentionen und
       eigenes Kommunikationsverhalten beeinflussen.
       Ein umfassendes Verständnis der Ursachen und
       Wirkungen von Inzivilität in sozialen Online-Medien
       ist daher unerlässlich.

       Der vorliegende Beitrag widmet sich daher den
       negativen Aspekten eines Wandels der Sprach-
       und Debattenkultur in sozialen Online-Medien.
       Im Rahmen eines narrativen Literaturüberblicks

6
2. Begriffsklärungen und
      Perspektive des Beitrags

Wie eingangs beschrieben, fokussiert der vorlie-             auf schriftliche Kommentare/Posts von Nut-
gende Beitrag auf Inzivilität (engl. incivility) in          zer*innen), ist in der Definition auch der bildba-
sozialen Online-Medien. Bevor wir jedoch auf die             sierte oder auditive Ausdruck von Inzivilität in
Ursachen und Wirkungen von inziviler Kommu-                  Form von sogenannten Memes, Videoclips oder
nikation eingehen, soll zunächst geklärt werden,             Soundschnipseln mitgedacht. Im Rahmen dieser
was genau darunter zu verstehen ist und welche               übergeordneten Definition lassen sich relevante
(Sub-)Phänomene wir im Rahmen unserer Analyse                (Sub-)Phänomene unterscheiden, die zwar alle
in den Blick nehmen.1                                        als inzivil gelten können, sich jedoch insbeson-
                                                             dere mit Blick auf die Zielgerichtetheit der Kom-
Inzivilität gilt als „notoriously difficult term to          munikation, das Ausmaß sowie die zugrundelie-
define“ (Coe u. a., 2014, S. 660) und wird je nach           genden Beweggründe kontrastieren lassen.2
Schwerpunkt konkreter Studien und Projekte
unterschiedlich konzeptualisiert. Unser Fokus                Ein insbesondere in den letzten Jahren zunehmend
liegt zunächst auf Inzivilität, die sich in (teil-)öffent-   diskutiertes Phänomen ist die Online-​Hassrede
lichen Diskussionen und Debatten auf sozialen                (engl. hate speech), die den sprachlichen Ausdruck
Online-Medien manifestiert, somit prinzipiell für            von Hass gegen gesellschaftliche Gruppen (so zum
andere Nutzer*innen beobachtbar ist und daher                Beispiel aufgrund einer sexuellen Orientierung,
ein Problem auf gesellschaftlicher Ebene darstellt           Religionszugehörigkeit, aufgrund des Geschlechts,
bzw. darstellen kann. Trotz dieses Fokus auf                 der Ethnie) beschreibt und sich insbesondere
öffentliche Kommunikation schließen wir sowohl               durch die Verwendung von Ausdrücken auszeich-
Inzivilität auf persönlicher Ebene („personal-level          net, die der Verunglimpfung und Herabsetzung
incivility“; Interaktionen, die sich durch Beleidi-          eben dieser Gruppen dienen (siehe Blazak, 2009;
gungen, Respektlosigkeit und aggressive Kommu-               Meibauer, 2013; Schmitt, 2017; unter dem Begriff
nikationsformen auszeichnen) als auch Inzivilität            schädliche Rede [engl. harmful speech] auch Leets
auf öffentlichkeitstheoretischer Ebene („public-level        & Giles, 1999). Hassrede kann in sozialen Online-​
incivility“; Verstöße gegen kommunikative Normen             Medien verschiedene Formen annehmen, wobei
des bürgerschaftlichen Diskurses sowie demokra-              grundsätzlich zwischen offenen, „in your face“
tische Werte) in unsere Definition mit ein (Chen,            und stärker verdeckten und impliziten Praktiken
2017; Coe u. a., 2014; Muddiman, 2017; Papacha-              der Diskriminierung unterschieden werden kann
rissi, 2004).                                                (Ben-David & Matamoros-Fernández, 2016; Bor-
                                                             geson & Valeri, 2004).
Wir verstehen Inzivilität in sozialen Online-Me-
dien auf dieser Basis als normüberschreitende                Von der Online-Hassrede abzugrenzen sind
Kommunikation, die sich auf Normen der inter-                sogenannte Shitstorms (außerhalb des deut-
personalen und/oder deliberativen Kommunika-                 schen Sprachraums wird in der Regel von online
tion bezieht und in (teil-)öffentlich zugänglichen           firestorms gesprochen), die durch das plötzliche
Diskussionen auf sozialen Netzwerkseiten, Foren,             und „sturmartige“ Auftreten von negativer Kritik
Online-Communities, Kommentarsektionen auf                   an Unternehmen oder im öffentlichen Interesse
Webseiten sowie Videoplattformen oder Wikis                  stehenden Personen charakterisiert sind (siehe
beobachtet werden kann. Obwohl der Großteil                  z.B. Johnen, Jungblut, & Ziegele, 2018; Pfeffer,
bisheriger Forschungsarbeiten auf textbasierte               Zorbach, & Carley, 2014; Rost u. a., 2016). Inzivile
Formen von Inzivilität fokussiert (insbesondere              Kommunikation ist hier jedoch nicht die Folge

                                                                                                                    9
Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Online-Medien

       von Hass gegen grundlegende Attribute sozialer          (Hmielowski, Hutchens, & Cicchirillo, 2014; Moor,
       Akteure (z.B. Ethnie, Geschlecht), sondern viel-        Heuvelman, & Verleur, 2010; O’Sullivan & Flana-
       mehr von öffentlicher Missbilligung moralisch           gin, 2003), ist davon abgesehen aber der am
       fragwürdiger Handlungen oder Äußerungen                 wenigsten klar umrissene Begriff. Insbesondere
       bekannter Personen oder Organisationen. Wie             in frühen Arbeiten war Flaming häufig der Ober-
       der namensgebende Sturm zeichnen sich Shit-             begriff für eine Vielzahl inziviler Kommunikations-
       storms durch ein plötzliches Auftreten und einen        formen, wird in der wissenschaftlichen Auseinan-
       ebenso schnellen Rückgang aus – die Inzivilität         dersetzung jedoch immer seltener genutzt. Nicht
       entlädt sich somit in einem relativ engen Zeitfens-     zuletzt deshalb argumentieren einige Autor*in-
       ter und ist in der Regel auf ein spezifisches, als      nen (ausführlich etwa Jane, 2015), dass sich die
       unmoralisch empfundenes, Ereignis fokussiert.           Forschung weniger darauf fokussieren sollte, mit
                                                               „chirurgischer Präzision“ (​S. 80) n​ ach Definitionen
       Im Gegensatz zur Hassrede gelten Flaming und            zu suchen, sondern die Aufmerksamkeit vielmehr
       Trolling als Formen der Inzivilität, die primär         auf die übergreifenden Probleme richten sollte,
       den interaktionalen Normverstoß (persönliche            die mit Inzivilität in sozialen Online-Medien in
       Ebene von Inzivilität) beschreiben und sich in aller    Verbindung stehen. Entsprechend wollen auch
       Regel nicht auf gesellschaftliche Gruppen, son-         wir in unserem Beitrag vorrangig auf generali-
       dern konkrete Einzelpersonen beziehen. Und im           sierbare Ursachen und Wirkungen von Inzivilität
       Gegensatz zum Begriff des Shitstorms, der stark         eingehen, ohne dabei jedoch die Besonderheiten
       in einer Makrologik verhaftet ist und vor allem         relevanter (Sub -)Phänomene zu ignorieren.3
       bei einer beobachtbaren Häufung von Inzivilität
       gegen öffentlich bekannte Akteure/Organisationen
       genutzt wird, werden die Begriffe Flaming und
       Trolling auch dann verwendet, wenn es sich um
       singuläre und individuell eingesetzte Formen inzivi-
       ler Kommunikation handelt.

       Trolling wird vor allem mit Blick auf den disruptiven
       Charakter der Kommunikation beschrieben und
       lässt sich mit der Formel „Stören um des Störens
       willen“ anschaulich beschreiben (siehe z.B. Buckels,    1   Während ein Wandel der Sprach- und Debattenkultur bzw.
       Trapnell, & Paulhus, 2014; Craker & March, 2016;            Erscheinungsformen von Inzivilität auch aus linguistischer
                                                                   oder sprachphilosophischer Perspektive beleuchtet werden
       Rieger, Dippolt, & Appel, im Druck). Sogenannte             kann, nehmen wir in diesem Beitrag einen kommunika-
       Trolle (d.h. Nutzer*innen, die Trolling-Verhalten           tionswissenschaftlichen Standpunkt ein. Angesichts der
       zeigen) verfolgen das Ziel, andere Nutzer*innen             Interdisziplinarität des Fachbereichs berücksichtigen wir
                                                                   dabei auch Arbeiten aus angrenzenden Bereichen der
       bewusst zu provozieren und so zu emotionalen
                                                                   (Sozial-)Psychologie oder Politikwissenschaft, sofern sie
       Reaktionen zu bewegen. Die Auswahl der Opfer                einen explizit sozialwissenschaftlichen Fokus haben und
       erfolgt anders als bei Hassredner*innen nicht               den Gegenstand unserer Analyse teilen.

       systematisch, sondern eher willkürlich und oppor-       2   An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die nachfol-
                                                                   gend beschriebenen (Sub-)Phänomene – ähnlich wie der
       tunistisch. Im Sinne der Begriffsherkunft – Trolling
                                                                   von uns als Oberbegriff gewählte Term der Inzivilität – in
       bezeichnet ursprünglich eine spezifische Angel-             der wissenschaftlichen Auseinandersetzung sehr unter-
       technik, bei der ein Köder hinter einem fahrenden           schiedlich definiert und gemessen werden. Unsere Defini-
       Boot hergezogen wird – sind dabei prinzipiell alle          tionen beschreiben daher gewissermaßen den „kleinsten
                                                                   gemeinsamen Nenner“.
       Nutzer*innen gefährdet, die bei der Provokation
                                                               3   Explizit ausklammern werden wir in diesem Beitrag das
       „anbeißen“.                                                 Phänomen des Cybermobbings bzw. Cyberbullyings (für
                                                                   einen Überblick siehe Fawzi, 2015), da dieses in aller Regel
       Flaming hingegen wurde zumeist hinsichtlich der             auf eine sehr spezifische Form der Inzivilität unter Kindern
                                                                   und Jugendlichen beschränkt ist und Wirkungen primär aus
       Nutzung „aufgeheizter“ – im Sinne von aggres-
                                                                   einer Opfer-Perspektive diskutiert.
       siver und feindseliger – Sprache charakterisiert

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3. Ursachen für die Wahr-
    nehmung von mehr Inzivilität
in sozialen Online-Medien

Während die kommunikationswissenschaftliche            Unsicherheit und Ungerechtigkeit umzugehen.
Forschung keine Aussagen darüber treffen kann,         Insbesondere Mitglieder von – oft grob genera-
wie oder warum sich Sprache im linguistischen          lisierten – Fremdgruppen müssen in solchen
Sinne verändert, kann sie dennoch Antworten dar-       Situationen als Sündenbock herhalten und
auf finden, warum von vielen Beobachter*innen          werden daher mit Inzivilität konfrontiert. Nach
in sozialen Online-Medien eine negative Verände-       islamistisch motivierten Terroraktivitäten werden
rung der Sprach- und Debattenkultur sowie ein          beispielsweise Muslim*innen häufig zu Opfern
Anstieg von Inzivilität wahrgenommen wird.             von Hassrede, da sie aufgrund ihrer religiösen
                                                       Zugehörigkeit mit den Attentätern assoziiert
Dabei wäre zunächst die (1) gesteigerte Sichtbar-      oder gleichgesetzt werden (siehe z.B. Awan, 2014,
keit und öffentliche Zugänglichkeit von Debat-         2016; Chetty & Alathur, 2018).
ten und Diskursen zu nennen (siehe z.B. Blom,
Carpenter, Bowe, & Lange, 2014, S  ​ . 1316–1317;      Eng mit diesem ersten Punkt verbunden sind (2)
Chen, 2017, S. 58; Coe u. a., 2014, S. 658; Neu-       vereinfachte Möglichkeiten zur schnellen und
baum & Krämer, 2017, S. 464; Neuberger, 2017,          weiten Verbreitung von Inhalten. Die Affordanzen
S. 104). Insbesondere auf sozialen Netzwerkseiten      sozialer Online-Medien regen in besonderem
haben die Nutzer*innen die Möglichkeit, eine           Maße dazu an, Informationen und Diskussionen
Vielzahl von Unterhaltungen zu beobachten: Seien       weiterzuverbreiten und mit anderen zu teilen
es Diskussionen unter den Tweets von Donald            (Kümpel, Karnowski, & Keyling, 2015; Osatuyi,
Trump, Debatten in den Kommentarspalten                2013), was die Sichtbarkeit – insbesondere von
von auf Facebook geteilten Nachrichtenartikeln         hitzigen Debatten – weiter erhöht. So spricht
oder Threads zu aktuellen politischen Themen in        eine Vielzahl an Studien dafür, dass vor allem
Online-Communities wie Reddit. Die „socially medi-     emotional aufgeladene und erregende Inhalte in
ated publicness“ (Baym & boyd, 2012) von SNS           sozialen Online-Medien eine weite Verbreitung
ermöglicht Nutzer*innen dabei jedoch nicht nur         erfahren (z.B. Berger, 2011; Hasell & Weeks,
das Zuschauen, sondern auch die aktive eigene          2016; Stieglitz & Dang-Xuan, 2013). Im Kontext
Teilnahme. Wer über ein entsprechendes Benut-          der US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2012 etwa
zerkonto verfügt, kann sich nahezu aufwandslos         finden Hasell und Weeks (2016), dass Ärger positiv
selbst in Diskussionen einschalten. Ein Interesse an   mit dem Teilen von politischen Informationen in
der Teilnahme an oder zumindest der Beobach-           Verbindung steht: Nutzer*innen, die aufgrund
tung von Diskursen in sozialen Online-Medien           ihrer Mediennutzung wütend auf den jeweils
scheint vor allem bei akuten gesellschaftlichen        gegnerischen Präsidentschaftskandidaten waren,
Veränderungen oder disruptiven Ereignissen             teilten und kommentierten häufiger Beiträge in
(z.B. nach Terroranschlägen) zuzunehmen. Stu-          sozialen Online-Medien – was die empfundene
dien in diesem Bereich suggerieren, dass derar-        Wut somit auch für (viele) weitere Nutzer*innen
tige Situationen oder Vorfälle zudem zu einem          sichtbar machte. Komplementiert werden diese
Anstieg von Inzivilität führen können (Kaakinen        früheren Befunde durch eine aktuelle Analyse der
u. a., 2018; Oksanen u. a., 2018): So ist etwa die     auf Facebook meistgeteilten und -kommentierten
Verwendung von Hassrede für manche Nutzer*in-          Nachrichtenbeiträge. Weiterverbreitet und disku-
nen ein (Aus-)Weg, um mit der empfundenen              tiert wurden im ersten Quartal 2019 vorrangig jene

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Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Online-Medien

       Meldungen, die Angst induzieren oder polari-          Klarnamen erbitten (und sich viele Nutzer*innen –
       sieren, beispielsweise Posts über Abtreibungen        etwa bei Facebook – angesichts des Vernetzungs-
       oder illegale Immigration (Owen, 2019). Dies          gedankens daran orientieren), gibt es vielfältige
       wiederum lässt den dazugehörigen Diskussionen         Möglichkeiten, die eigene Identität zu verbergen.
       mutmaßlich noch mehr Aufmerksamkeit zuteil-           Schon früh wurde argumentiert, dass die (relative)
       werden, da die Algorithmen sozialer Netzwerk-         Anonymität computervermittelter Kommunikati-
       seiten jene Beiträge, die viel Auseinandersetzung     onsräume zu Enthemmung und einer Verringe-
       (engl. engagement) in Form von Shares, Likes oder     rung des Verantwortungsbewusstseins beitrage
       Kommentaren provozieren, prominenter im               und Nutzer*innen online Handlungen ausführen,
       Neuigkeiten-​Bereich anderer Nutzer*innen plat-       die sie in der persönlichen Kommunikation nie
       zieren (DeVito, 2017; Owen, 2018). Argumentiert       erwägen würden (Postmes, Spears, & Lea, 1998;
       wird vor diesem Hintergrund auch, dass soziale        Suler, 2004). Der Zusammenhang von Anonymität
       Online-Medien Verbreiter*innen von Hass unab-         und unmoralischem Verhalten wurde darüber
       sichtlich dazu verhelfen können, ihre aggressiven     hinaus jedoch auch mit Prozessen der Deindividu-
       Ansichten und Aussagen in Diskussionen einzu-         ation erklärt (Kiesler u. a., 1984; Reicher, Spears,
       schleusen. Klein (2012) spricht in diesem Zusam-      & Postmes, 1995; Spears & Lea, 1994). So geht
       menhang von „Information Laundering“ und              das in der Sozialpsychologie entwickelte SIDE-​
       beschreibt damit die Idee, dass soziale Online-​      Modell (social identity model of deindividuation
       Medien Hass-Gruppen und vergleichbare Akteure         effects) davon aus, dass Anonymität die Zugehö-
       dazu befähigen, ihre „illegale Währung“ (in           rigkeit zu sozialen Gruppen bewusster machen
       diesem Fall: Hassbotschaften) reinzuwaschen und       kann und so die Orientierung an (wahrgenomme-
       in Umlauf zu bringen. Am Beispiel von extremen        nen) Gruppennormen steigert. Ein abschätziger
       politischen Parteien und Organisationen in Spa-       Kommunikationsstil erscheint in manchen Foren
       nien zeigen Ben-David und Matamoros-Fernández         oder Kommentarspalten als „ganz normal“ und
       (2016) diesbezüglich, wie sowohl offene Hassrede      prägt so auch das Verhalten von neuen Diskussi-
       und eher subtilere Formen von Diskriminierung         onsteilnehmer*innen (Chen & Lu, 2017; Hsueh,
       über Facebook in Zirkulation gebracht werden.         Yogeeswaran, & Malinen, 2015; Sood, Antin, &
       Die Autor*innen diskutieren dabei auch die            Churchill, 2012; Stroud, Scacco, Muddiman, &
       Rolle der SNS-Anbieter kritisch, die einerseits die   Curry, 2015; Sukumaran, Vezich, McHugh, & Nass,
       Verbreitung von Hassrede und Inzivilität offiziell    2011). Analog zur sogenannten Broken-Win-
       verbieten, andererseits aber durch Share-, Like-      dows-​Theorie (Wilson & Kelling, 1982), nach der
       und Kommentar-Features die ideale Infrastruktur       ein Zusammenhang zwischen dem Verfall von
       für „the circulation and accumulation of subtle       Stadtteilen und der dort beobachteten Delinquenz
       associations of hate and discrimination“ (ebd., ​     besteht, kann so auch für inzivile Online-Diskus-
       S. 1187) bereitstellen.                               sionen ein negativer Ausstrahlungseffekt auf
                                                             andere beteiligte Akteure angenommen werden.
       Sprechen diese ersten beiden Aspekte vorrangig        Wird indes eine positive und zivile Diskussionsat-
       für eine stärkere Wahrnehmung eines Wandels der       mosphäre geschaffen, so verbessert sich auch das
       Sprach- und Debattenkultur hin zu mehr Inzivili-      Kommunikationsverhalten der Teilnehmer*innen
       tät, gibt es Hinweise darauf, dass (3) veränderte     sichtlich (Fredheim, Moore, & Naughton, 2015).
       Kommunikationsbedingungen und (Gruppen-)              Ob Anonymität per se tatsächlich mit mehr Inzivil-
       Normen in sozialen Online-​Medien negatives           ität in der Kommunikation in Verbindung steht, ist
       Kommunikationsverhalten in der Tat forcieren          nicht eindeutig zu beantworten. Während einige
       können. Viel diskutiert wurde in diesem Kontext       Studien für einen solchen Zusammenhang spre-
       die Rolle von Anonymität (siehe z.B. Brown, 2018;     chen (Rowe, 2015b; Santana, 2014; Zimmerman
       Matzner, 2016; Puryear & Vandello, 2018; Rösner       & Ybarra, 2016), finden andere keine Effekte von
       & Krämer, 2016; Rowe, 2015a; Santana, 2014;           Anonymität auf die Diskussionsqualität oder die
       Zimmerman & Ybarra, 2016). Auch wenn einige           Nutzung aggressiver Sprache (Berg, 2016; Rösner
       soziale Online-Medien die Verwendung von              & Krämer, 2016).

14
3. Ursachen für die Wahrnehmung von mehr Inzivilität in sozialen Online-Medien

Die in sozialen Online-Medien erlebbare Anonym-        oder die eigene soziale Identität als bedroht erlebt
ität geht jedoch mit weiteren Besonderheiten der       werden (J. Glaser, Dixit, & Green, 2002). Während
Kommunikationssituation einher, die ebenfalls          Inzivilität in diesen Fällen eher als unbeabsichtigte
(negative) Auswirkungen auf Struktur und Inhalt        Folge eines konkreten kommunikativen Ziels
von Debatten haben können. Da die meisten              entsteht, gibt es auch Hinweise darauf, dass inzi-
Diskussionen auch in Online-Settings textbasiert       vile Kommunikationsformen bewusst eingesetzt
stattfinden, fehlt es an zentralen sozialen Hinweis-   werden, um sich von einer – wie auch immer im
reizen, die im Face-to-Face-Kontext der Regulation     Einzelfall definierten – Fremdgruppe abzuset-
von Kommunikation dienen (siehe z.B. Brown,            zen und so wiederum den Zusammenhalt in der
2018; Dutton, 1996; Joinson, 2007; Kiesler u. a.,      Eigengruppe zu stärken (Upadhyay, 2010). Dabei
1984; Lapidot-Lefler & Barak, 2012; Postmes            spielt auch eine Rolle, wie stark die Eigengruppe
u. a., 1998; Suler, 2004). Die Unsichtbarkeit der      symbolisch bedroht wird: In rassistischen Cha-
Gesprächspartner*innen, das Fehlen von Augen-          träumen in den USA etwa wurden Themen wie
kontakt sowie der Wegfall von Gestik, Mimik und        die interkulturelle („gemischtrassige“) Ehe oder
Intonation können dazu beitragen, dass Inzivilität     der Zuzug von Afroamerikaner*innen in „weiße“
von den Nutzer*innen sozialer Online-Medien als        Nachbarschaften als Auslöser von Inzivilität
weniger schwerwiegend und verletzend wahrge-           identifiziert (J. Glaser u. a., 2002). Motivationen in
nommen wird. Entsprechend gibt es deutlich             Zusammenhang mit der Abgrenzung „Wir” gegen
weniger Hemmnisse, sich aggressiver, beleidigen-       „die Anderen” zeigen sich auch für die Verbreitung
der oder hasserfüllter Kommunikationsformen            von Online-Hassreden: Die verbale Herabwürdi-
zu bedienen.                                           gung einer Fremdgruppe zielt explizit auf deren
                                                       Ausgrenzung, bestätigt aber gleichermaßen auch
Fokussiert man auf die Ursachen eines Wandels          die eigene Gruppenidentität (McNamee, Peterson,
der Sprach- und Debattenkultur, dürfen insbe-          & Peña, 2010; Schmitt, 2017). Interessanterweise
sondere aus kommunikationswissenschaftli-              kann aber auch das couragierte Einschreiten in
cher Perspektive schließlich auch (4) motivatio-       hasserfüllte Online-Diskussionen (mehr) Hass
nale Aspekte und Persönlichkeitsmerkmale               produzieren: Wer sich an Diskussionen mit
nicht außer Acht gelassen werden. Ein Wissen           Hassrede-Anteilen beteiligt, wird mit größerer
darüber, warum und welche Nutzer*innen inzivile        Wahrscheinlichkeit selbst zum Opfer (Costello
und aggressive Kommentare schreiben, Hass-             u. a., 2017).
botschaften verbreiten, oder trollen, ist daher
ebenso wichtig wie der Blick auf die veränderten       Mit Blick auf Persönlichkeitsmerkmale und
Informationsumgebungen und Kommunika-                  situative Einflüsse zeigt sich zudem, dass eine
tionsbedingungen. Ein Grund dafür, warum               Disposition für verbale Aggression (Cicchirillo,
Diskussionen in sozialen Online-Medien schnell         Hmielowski, & Hutchens, 2015; Hmielowski u. a.,
hitzig oder aggressiv werden können, lässt sich        2014), schlechte Stimmung (Cheng, Bernstein,
bereits aus generellen Motiven des Kommentier-         Danescu-Niculescu-Mizil, & Leskovec, 2017),
ens ableiten: Viele Nutzer*innen verfassen Kom-        die Suche nach Aufmerksamkeit (Shachaf &
mentare, wenn sie Kritik oder Widerspruch üben         Hara, 2010) sowie Psychopathie (im Sinne eines
oder sich von aufgestauten Emotionen befreien          mangeln­den Empathievermögens) und Sadismus
wollen – Wut, Ärger und Empörung spielen dabei         (Buckels u. a., 2014; Craker & March, 2016) mit
eine bedeutsame Rolle und spiegeln sich häufig         Trolling-Verhalten und Inzivilität in Verbindung
auch im Kommunikationsverhalten wider (Moor            stehen. Einige Nutzer*innen scheinen darüber
u. a., 2010; Springer, 2014; Upadhyay, 2010;           hinaus durch Unterhaltungsmotive angetrieben
Ziegele, 2016). Besonders wahrscheinlich ist ein       zu sein: So werden in der Literatur auch Spaß
solches aggressives Kommunikationsverhalten            und Nervenkitzel sowie die Freude am Schädigen
dann, wenn in Diskussionen ein Angriff auf die         anderer als Auslöser für Trolling und Online-​
eigenen (politischen) Ansichten wahrgenommen           Hassrede diskutiert (Schmitt, 2017; Shachaf &
wird (Hutchens, Cicchirillo, & Hmielowski, 2015)       Hara, 2010). Erjavec und Kovačič (2012) beschreiben

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Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Online-Medien

       diese Nutzer*innen auch als „die Spieler” (engl.
       The Players), die nicht auf Basis innerer Überzeu-
       gungen handeln, sondern lediglich Unterhaltung
       aus der Demütigung anderer ziehen.

       Zusammenfassend lässt sich mithin festhalten,
       dass eine Kombination aus individuellen Motiv­
       lagen, den für soziale Online-Medien spezifischen
       Kommunikationsbedingungen sowie der gestei-
       gerten Sichtbarkeit und den einfachen Möglich-
       keiten zur Weiterverbreitung von Debatten und
       Diskursen dazu beigetragen hat, dass wir in
       Kommunikationsräumen im Internet verstärkt
       Negativität und Inzivilität wahrnehmen können.
       Doch was bedeutet das für diejenigen, die diesen
       Diskussionen ausgesetzt sind? Welche Wirkun-
       gen hat die Beobachtung von Hass und Respekt-
       losigkeit – sowohl auf (unbeteiligte) Nutzer*innen
       als auch die von Inzivilität Betroffenen? Diesen
       Fragen wird nun im nächsten Teil des Beitrags
       nachgegangen.

16
4. Wirkungen von Inzivilität
		 in sozialen Online-Medien

Beschäftigt man sich in der Kommunikations­           gibt es jedoch bestimmte Reize, die „kollektive
wissenschaft mit der Wirkung von „klassischen“        Relevanz” besitzen und bei einer Vielzahl von
Medieninhalten (z.B. journalistische Texte,           Nutzer*innen Aufmerksamkeit generieren können
Videobeiträge) oder anderen, zum Teil unmit-          (Eilders, 1997, S. 92 ff.). Zurückführen lässt sich dies
telbar damit in Verbindung stehenden Kommu-           unter anderem auf evolutionäre Aspekte (z.B. indi-
nikaten (z.B. Nutzerkommentare auf Facebook,          ziert das Merkmal „Schaden“ in Kommunikaten ein
Twitter-Tweets), lassen sich grundsätzlich drei       Gefahrenpotenzial, welches es zu untersuchen gilt),
Wirkungsbereiche unterscheiden (siehe Schenk,         geteilte Werte und Normen sowie stärker automa-
2007, S. 767): Wirkungen auf (1) Einstellungen,       tisierte Verarbeitungsprozesse (ebd.). Inzivilität im
Meinungen und Verhalten, (2) Stimmungen und           von uns definierten Sinne verfügt potenziell gleich
Emotionen sowie (3) Vorstellungen und Wissen.         über mehrere Merkmale, die intersubjektiv die
Auch Inzivilität in Diskussionen und Debatten auf     Beurteilung von Relevanz prägen können. So sind
sozialen Online-Medien kann derartige Wirkungen       etwa Online-Hassrede oder Shitstorms häufig mit
bei Teilnehmer*innen und Beobachter*innen her-        etwaigem oder tatsächlichem Schaden verbunden
vorrufen und beispielsweise die Wahrnehmung von       und zeichnen sich nicht zuletzt auf diskursiver
Themen, die emotionale Erregung oder Vorstellun-      Ebene durch Kontroverse bzw. Konflikthaftigkeit
gen von gesellschaftlichen Gruppen beeinflussen       aus. Befunde zur Wahrnehmung von Nachrichten-
(ausführlich siehe unten). Die obige Dreiteilung      beiträgen zeigen, dass diese Faktoren (bei Vorkom-
soll jedoch nicht suggerieren, dass sich Effekte      men in journalistischen Texten) Relevanzurteile
immer nur in einem Teilbereich zeigen – Medien-       der Rezipient*innen positiv beeinflussen: Texte,
wirkungen sind in aller Regel komplex, bedingen       die kontrovers sind und Schäden bzw. negative
und beeinflussen sich gegenseitig. Zudem trifft       Konsequenzen thematisieren, werden als wich-
jedes Kommunikat stets auf Individuen mit je          tiger und bedeutsamer wahrgenommen (Weber &
unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen            Wirth, 2013). Demnach ist anzunehmen, dass auch
und Voreinstellungen, die sich in je unterschiedli-   in sozialen Online-Medien beobachtete inzivile
chen Situationen und Stimmungen befinden.             Diskussionen eine gewisse kollektive Relevanz
                                                      besitzen, entsprechend aufmerksam(er) wahrge-
Damit Medieninhalte und andere Kommunikate            nommen werden und so weiterführende Wirkun-
auf Nutzer*innen wirken können, müssen gewisse        gen auf die Beobachter*innen haben können.
Voraussetzungen erfüllt sein. Die schiere Menge       Das genaue Ausmaß ist dabei jedoch von Person
an uns umgebenden (medialen) Reizen erfordert         zu Person verschieden.
es, eine Auswahl zu treffen: Nur Inhalte, die
willkürlich oder unwillkürlich die Aufmerksamkeit     Subjektivität kennzeichnet nicht nur die Aufmerk-
einer Nutzer*in erregen, sind überhaupt in der        samkeit gegenüber Inzivilität, sondern auch die
Lage, Wirkungen zu entfalten (Schweiger, 2007,        inhaltliche Wahrnehmung des Kommunikats. Wie
S. 137–138). Aufmerksamkeitsprozesse sind das         oben bereits beschrieben, ist (In-)Zivilität in der
Resultat eines individuell verschiedenen Wechsel-     Literatur ganz unterschiedlich definiert worden,
spiels aus Reiz/Inhalt und Reaktion/Person und        was auch daran liegt, dass es „very much in the
somit nicht für alle Nutzer*innen gleich. Kurzum:     eye of the beholder” (Herbst, 2010, S. 3) liegt,
Was einigen sofort ins Auge springt, nehmen           ob eine Debatte oder Diskussion als inzivil oder
andere vielleicht erst auf den zweiten oder dritten   aggressiv wahrgenommen wird (siehe auch Coe
Blick wahr. Trotz aller subjektiven Unterschiede      u. a., 2014, S. 660). Ähnlich wie die beschrie-

                                                                                                                 19
Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Online-Medien

       benen kollektiven Relevanzzuweisungen gibt es           leg*innen (2016) haben die Forscher*innen den
       aber auch bei der Wahrnehmung von Inzivilität           Befragten verschiedene Statements vorgelegt,
       übergreifende Tendenzen, die sich bei einer             die als echte Kommentare auf einer Nachricht-
       Mehrheit von Beobachter*innen zeigen. Mit               en-Webseite ausgegeben wurden. Diese State-
       einem spezifischen Fokus auf politische Inzivil-        ments sollten dann in Hinblick auf ihre Inzivilität
       ität (d.h., Inzivilität in politischen Diskussionen     bewertet werden. Beleidigungen wurden auch in
       zwischen Politiker*innen, den Medien und                dieser Studie als inzivilste Form der Kommunika-
       Bürger*innen) haben Stryker und Kolleg*innen            tion wahrgenommen, dicht gefolgt von vulgären
       (2016) untersucht, inwieweit Konsens darüber            Äußerungen. Die Befunde offenbaren darüber
       besteht, welche Kommunikationsformen als inzivil        hinaus jedoch auch, welche Eigenschaften einer
       wahrgenommen werden. Dafür haben sie die                Person mit dem Empfinden von Inzivilität in
       Teilnehmer*innen ihrer Studie mit 23 potenziell         Zusammenhang stehen. Diesbezüglich zeigte
       inzivilen Handlungen konfrontiert (u.a. Nutzung         sich, dass Frauen die vorgelegten Statements
       vulgärer Sprache, Beschimpfungen, Androhung             grundsätzlich als inziviler beurteilen als Männer.
       von Gewalt, persönliche Angriffe) und sie gebeten,      Gleichermaßen scheinen Personen, bei denen das
       die Inzivilität dieser Handlungen zu bewerten.          Persönlichkeitsmerkmal Verträglichkeit stärker
       Dabei zeigte sich zunächst, dass die von den            ausgeprägt ist (d.h., die sich als kooperativ und
       Forscher*innen vorgelegten Handlungen von über          mitfühlend begreifen), mehr Inzivilität in den
       75 Prozent der Teilnehmer*innen als zumindest           Kommentaren wahrzunehmen. Es lässt sich also
       etwas inzivil wahrgenommen wurden. Die größte           schlussfolgern, dass – obwohl bestimmte inzivile
       Einigkeit zeigte sich bei der Androhung von Gewalt      Kommunikationsformen von fast allen Nutzer*in-
       sowie der Nutzung von rassistischen, religiösen,        nen als solche wahrgenommen werden – Merk-
       ethnischen oder sexistischen Beleidigungen –            male wie Geschlecht und spezifische Persönlich-
       diese Handlungen wurden von 82 bis 87 Prozent           keitseigenschaften die Beurteilung von Inzivilität
       der Befragten als sehr inzivil empfunden.1 Im           beeinflussen können. Dies wiederum kann in
       Gegensatz dazu wurden Attacken auf die inhaltli-        einem nächsten Schritt auch weiterführende
       chen Standpunkte eines politischen Gegners von          Wirkungen der (inzivilen) Aussagen verändern.
       der Mehrheit nicht als inzivil wahrgenommen, was
       auf die Unterschiede zwischen themen- und per-          Die Wirkung von Inzivilität wurde bislang vor allem
       sonenbezogenen Angriffen verweist. Obschon die          im Kontext von Nutzerkommentaren auf Nach-
       Studie erste Hinweise auf die (geteilte) Wahrneh-       richten-Webseiten untersucht. Ausgangspunkt
       mung von Inzivilität zulässt, ist sie durch den auss-   vieler Studien war häufig die Frage, ob und inwief-
       chließlichen Fokus auf politische Inzivilität sowie     ern inzivile Äußerungen in Kommentaren für die
       den fehlenden expliziten Bezügen zu Merkmalen           journalistische Arbeit relevante Wahrnehmungen
       internetbasierter Kommunikation nicht vollstän-         und Verhaltensintentionen der Rezipient*innen
       dig auf die Situation in sozialen Online-Medien         beeinflussen. Empirische Untersuchungen haben
       übertragbar.                                            wiederholt gezeigt, dass Nutzerkommentare –
                                                               zunächst ganz unabhängig vom Grad ihrer (In-)
       Diese Lücke schließen Kenski und Kolleg*innen           Zivilität – individuelle Vorstellungen, Meinungen
       (2017), die einerseits die Frage aufwerfen, ob und      und Verhaltensweisen beeinflussen können (für
       inwiefern fünf in Online-Nutzerkommentaren vor-         einen Überblick siehe Ksiazek & Springer, 2018;
       kommende Formen von Inzivilität (Beschimpfun-           Springer & Kümpel, 2018). In sozialen Online-​
       gen, Vulgarität, Lügenvorwürfe, Verunglimpfung          Medien beobachtbare Meinungsäußerungen
       von Sprache, Verleumdung) als unterschiedlich           scheinen also in der Tat wichtige Anhaltspunkte
       (in-)zivil wahrgenommen werden, andererseits            dafür zu liefern, wie (kontroverse) Themen oder
       aber auch untersuchen, ob soziodemographische           die Berichterstattung selbst beurteilt werden kön-
       Charakteristika und Persönlichkeitsmerkmale             nen. Inzivilität in Kommentaren wurde vor allem
       diese Wahrnehmungen beeinflussen. Im Ansatz             deshalb häufig untersucht, da – wie eingangs
       ähnlich zu dem Vorgehen von Stryker und Kol-            beschrieben – von einem hohen Anteil inziviler

20
4. Wirkungen von Inzivilität in sozialen Online-Medien

Kommunikationsformen ausgegangen werden               negative Auswirkungen auf die Wahrnehmung
muss und negative Wirkungen hier als besonders        der Glaubwürdigkeit des kommentierten Artikels
wahrscheinlich erscheinen.                            sowie auf die Beurteilung der Wichtigkeit bzw.
                                                      Relevanz des im Artikel behandelten Themas.
Die verfügbaren Studien zu den Effekten inziviler     Des Weiteren gibt es Hinweise darauf, dass inzi-
Nutzerkommentare sozialer Online-​Medien lassen       vile Kommentare zur Polarisierung von Wahrneh-
sich primär drei Bereichen zuordnen. So wurden        mungen und Meinungen beitragen können
hauptsächlich Einflüsse auf (1) medien- bzw. jour-    (Anderson, Brossard, Scheufele, Xenos, & Ladwig,
nalismusbezogene Perzeptionen (z.B. Wahrneh-          2014; Suhay, Bello-Pardo, & Maurer, 2018). Am
mung journalistischer Qualität, Wahrnehmung von       Beispiel der Berichterstattung zu Nanotechnologie
in der Berichterstattung verhandelten Themen,         zeigen etwa Anderson und Kolleg*innen (2014),
Wahrnehmung von Einseitigkeit und Verzerrun-          dass bei Individuen, die Nanotechnologie kritisch
gen), (2) Emotionen und (aggressive) Verhaltensin-    gegenüberstehen, die Konfrontation mit inzivilen
tentionen sowie (3) das Kommunikationsverhalten       Kommentaren dazu führt, dass die Technologie
der Nutzer*innen adressiert. Daneben gibt es          als (noch) risikoreicher wahrgenommen wird. Die
weitere Untersuchungen, die sich mit der Wirkung      Befunde lassen somit insgesamt keine positiven
auf die von Inzivilität Betroffenen beschäftigen      Schlussfolgerungen für Journalist*innen und
und in den Blick nehmen, was die Konfrontation        Medienanbieter zu. Die experimentelle Forschung
mit inziviler Kommunikation bei den eigentlichen      zu Inzivilität und Negativität in Nutzerkommen-
Opfern bewirkt.                                       taren zeigt einhellig, dass die Wahrnehmung
                                                      redaktioneller Angebote selbst dann durch
Mit Blick auf den ersten Teilbereich, (1) medien-     Meinungsäußerungen in sozialen Online-Medien
bzw. journalismusbezogene Perzeptionen, zeigt         beeinflusst wird, wenn die Inhalte keine begrün-
sich zunächst, dass inzivile Kommentare beein-        dete Beanstandung zulassen. Dies wiederum kön-
flussen können, wie Nutzer*innen die allgemeine       nte langfristig in einen Vertrauensverlust2 sowie
Qualität, Objektivität oder Glaubwürdigkeit von       einen Anstieg von Medienverdrossenheit mün-
Nachrichtenbeiträgen wahrnehmen. Eine Studie          den und so den demokratischen Diskurs (noch)
von Prochazka, Weber und Schweiger (2018)             weiter gefährden: „A lack of trust in government,
offenbart diesbezüglich, dass ein und derselbe        unwillingness to associate with people who do not
Nachrichtenartikel als qualitativ minderwertiger      share one’s views, and increased skepticism of
wahrgenommen wird, wenn er von inzivilen Kom-         the media have the potential to do damage to the
mentaren begleitet wird (ähnlich für Kommentare       way our democracy functions” (Han, Brazeal, &
mit negativer Valenz auch Dohle, 2018; Kümpel         Pennington, 2018, S. 3).
& Springer, 2016; Kümpel & Unkel, im Druck).
Interessanterweise führt aber die Präsenz ziviler     Neben den Auswirkungen auf medien- bzw.
Kommentare umgekehrt nicht zu einer Verbesse-         journalismusbezogene Perzeptionen wurden in
rung von Qualitätswahrnehmungen: Tatsächlich          weiteren Forschungsarbeiten mögliche Effekte
scheint bereits die schiere Präsenz von Kommen-       von Inzivilität auf (2) Emotionen und (aggressive)
taren zu bewirken, dass Nutzer*innen die Qualität     Verhaltensintentionen untersucht. Die zentrale
journalistischer Beiträge negativer evaluieren        Frage in diesem zweiten Teilbereich ist also, ob
(Prochazka u. a., 2018). Zu ähnlich ernüchternden     die Konfrontation mit inziviler Kommunikation
Befunden kommen auch Houston, Hansen und              zu Ärger, negativen Emotionen oder eigenem
Nisbett (2011) sowie Anderson und Kolleg*innen        aggressiven Verhalten beitragen kann. Tatsächlich
(2018), die im Kontext von Nutzerkommentaren          zeigen sich auch hier die schon im ersten Teilbe-
auf Nachrichten-Webseiten bzw. Blogs dokumen-         reich festgestellten Ausstrahlungseffekte. Wer in
tieren, dass Inzivilität in Kommentaren die Berich-   sozialen Online-Medien inzivilen Kommentaren
terstattung über politische Akteure sowie objektiv    ausgesetzt ist, berichtet über ein Mehr an nega-
neutrale Blogbeiträge als verzerrter erscheinen       tiven Emotionen und Wutgefühlen (Chen & Lu,
lässt. Waddell (2018) identifiziert darüber hinaus    2017; Gervais, 2015; Wang & Silva, 2018). Gervais

                                                                                                             21
Wandel der Sprach- und Debattenkultur in sozialen Online-Medien

       (2015) findet zudem heraus, dass dies insbeson-      der Kommunikation in sozialen Online-Medien
       dere dann der Fall ist, wenn Nutzer*innen mit        kann also auf eine Art des Beobachtungslernen
       inzivilen Beiträgen konfrontiert werden, die sich    zurückgeführt werden (ebd.): Je nach prävalenter
       gegen ihr eigenes politisches Lager richten: Wer     Diskussionsatmosphäre kann demnach mit nega-
       das Gefühl hat, dass die eigene Seite angegriffen    tiven oder positiven Effekten gerechnet werden.
       wird, ist nach der Rezeption inziviler Kommen-       Dies wiederum verdeutlicht die Wichtigkeit eines
       tare gekränkt und verärgert. Eine Studie von         aktiven Community Managements und Moderati-
       Rösner, Winter und Krämer (2016) deutet des          onsstrategien, denen wir uns bei der Diskussion
       Weiteren darauf hin, dass die Rezeption aggres-      von Gegenmaßnahmen an späterer Stelle noch
       siver Nutzerkommentare auch bei unbeteiligten        ausführlicher widmen werden.
       Beobachter*innen zu aggressiven Gedanken
       führen kann, während Chen und Lu (2017) gar          Während die genannten Bereiche allesamt auf
       einen Zusammenhang mit aggressiven Verhal-           die Auswirkungen auf ordinary citizens fokussie-
       tensintentionen feststellen. Online-Inzivilität      ren, widmen sich einige Studien auch der Frage,
       scheint somit nicht nur Gemütslage und Gedan-        wie sich die Konfrontation mit Inzivilität auf
       ken zu beeinflussen , sondern potenziell auch        spezifische Personengruppen auswirkt. Beson-
       behaviorale Konsequenzen nach sich zu ziehen.        deres Interesse galt dabei den Einflüssen auf
                                                            Journalist*innen, da diese im Kontext von Kom-
       Eine spezifische Form von behavioralen Konse-        mentarsektionen auf Nachrichten-Webseiten
       quenzen nimmt der dritte der oben identifizierten    oder SNS-Profilen häufig das primäre Ziel von
       Teilbereiche in den Blick: die Auswirkungen von      inzivilen Kommunikationsformen sind (Binns,
       inziviler Kommunikation auf (3) das Kommunika-       2017; Chen u. a., 2018; Nilsson & Örnebring, 2016;
       tionsverhalten der Nutzer*innen. Dieser Aspekt       Obermaier, Hofbauer, & Reinemann, 2018; Post
       wurde in diesem Bericht bereits bei den Ursachen     & Kepplinger, 2019; Preuß, Tetzlaff, & Zick, 2017).
       des Wandels der Sprach- und Debattenkultur           Eine Studie unter schwedischen Journalist*innen
       angesprochen, kann aber auch als Wirkung von         zeigte bereits im Jahr 2013, dass drei Viertel der
       inziviler Kommunikation konzeptualisiert und         Befragten bereits beleidigende oder missbräuch-
       untersucht werden. Die im vorhergehenden             liche Kommentare erhalten haben (Nilsson &
       Absatz beschriebene Studie von Chen und Lu           Örnebring, 2016). Ganz ähnliche Verhältnisse
       (2017) etwa hat nicht nur gezeigt, dass inzivile     wurden für Deutschland beobachtet: 74 Prozent
       Kommentare zu mehr negativen Emotionen und           der von Post und Kepplinger (2019) befragten
       aggressiven Intentionen führen, sondern auch,        Journalist*innen mussten bereits eigene Erfahrun-
       dass Inzivilität in Kommentaren es wahrschein-       gen mit inzivilen Kommentaren sammeln. Auch
       licher macht, dass die Nutzer*innen in eigenen       schwerwiegende Varianten in Form von Hassrede
       kommunikativen Beiträgen ebenfalls auf Inzi-         scheinen mittlerweile zum journalistischen Alltag
       vilität zurückgreifen. Ähnlich finden Hsueh und      zu gehören und werden von Journalist*innen als
       Kolleg*innen (2015), dass in Diskussionsumge-        wachsendes Problem wahrgenommen (Ober-
       bungen mit vorurteilsbehafteten Kommentaren          maier u. a., 2018). Auf individueller Ebene kann
       (im konkreten Fall ging es um Ressentiments          die Konfrontation mit Inzivilität dazu führen, dass
       gegenüber Asiat*innen) auch neu hinzukom-            sich Journalist*innen eingeschüchtert fühlen und
       mende Teilnehmer*innen Kommentare verfas-            versuchen, die Berichterstattung über bestimmte
       sen, die solche Vorurteile beinhalten. Allerdings    konfliktbeladene Themen zu vermeiden oder
       scheint im Bereich Kommunikationsverhalten           zumindest weniger konfliktreich darzustellen
       auch ein umgekehrter (positiver) Effekt zu beste-    (Binns, 2017; siehe auch European Federation of
       hen: Beobachten Nutzer*innen zivile Diskussio-       Journalists, 2017; Post & Kepplinger, 2019). Auch
       nen, so gleichen sie ihre eigenen Äußerungen         fühlen sie sich häufiger angegriffen, zweifeln
       an diese produktiven Gesprächsnormen an und          eher an ihrem Zielpublikum und erleben mehr
       verhalten sich gleichermaßen zivil (siehe z.B. Han   Ärger und negative Emotionen (Obermaier u. a.,
       & Brazeal, 2015; Sukumaran u. a., 2011). Die Art     2018; Post & Kepplinger, 2019). Um mit Inzivilität

22
4. Wirkungen von Inzivilität in sozialen Online-Medien

umzugehen, setzen betroffene Journalist*innen           Doch auch langfristige Auswirkungen auf Einstel-
vor allem emotionale Bewältigungsstrategien             lungen und das eigene Verhalten wurden von
ein und suchen das Gespräch mit Kolleg*innen,           den Teilnehmer*innen für wahrscheinlich gehal-
Freund*innen oder der eigenen Familie (Ober-            ten. Die Autorin schlussfolgert daher, „that the
maier u. a., 2018; Preuß u. a., 2017). Interessanter-   consequences of hate speech might be similar [...]
weise scheinen einige Journalist*innen inzivile und     to the effects experienced by recipients of other
hasserfüllte Reaktionen auf ihre Beiträge aber          kinds of traumatic experiences” (S. 354). Inzivile
auch als „professional success” (Post & Kepplin-        Kommunikation mag somit „lediglich“ mit Wirkun-
ger, 2019) zu interpretieren und positive Gefühle       gen auf der Mikroebene beginnen, ist gerade in
daraus zu ziehen: Der Angriff von außen scheint         der Summe aber auch auf der Makroebene ein
innerlich zu bestätigen, dass die journalistische       gravierendes Problem. Dies wirft die Frage auf,
Arbeit richtig und wichtig ist (ebd.; Obermaier         wie sich Inzivilität verhindern oder zumindest
u. a., 2018).                                           eindämmen lässt.

Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass vor allem
weibliche Medienschaffende zu den Opfern von
inziviler Online -Kommunikation zählen (Adams,
2018; Chen u. a., 2018). Dies wiederum reflektiert
generelle Tendenzen in sozialen Online-Medien.
Wie Sobieraj (2018) feststellt, werden nicht nur
Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen oder Poli-
tikerinnen online zu Zielen von Hass, Beleidigun-
gen und verbalen Misshandlungen. Auch „ganz
normale” Nutzerinnen von SNS, Online-Games
oder Internet-Communities „find themselves
on the receiving end of vitriolic, gender-based
backlash” (S. 1701; siehe auch Fox & Tang, 2014;
KhosraviNik & Esposito, 2018). Die Auswirkungen
dieser Online-Misogynie reichen von individuellen
Effekten der Selbstzensur, Einschüchterung und
Unsicherheit hin zum vollständigen Rückzug aus
öffentlichen Online-Diskursen, der schließlich
auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zum
Problem werden kann (Sobieraj, 2018). Ähnliche
Konsequenzen lassen sich auch für andere Per-
sonengruppen erwarten, die etwa aufgrund ihrer
sexuellen Orientierung, Religionszugehörigkeit
oder Ethnie zu Opfern von Inzivilität und Hass          1   Studien im Kontext von Online-Hassrede sprechen dafür,
werden.                                                     dass solche offenen, „in your face“ Formen von Inzivilität
                                                            schlichtweg auch leichter erkannt werden können als eher
                                                            implizite Varianten (Ben-David & Matamoros-Fernández,
Um herauszufinden, wie es sich für Betroffene               2016; Borgeson & Valeri, 2004).
anfühlt, das Ziel von Hassrede zu sein, konfron-        2   Vertrauensverluste durch Inzivilität sind mutmaßlich
tierte Leets (2002) in einer Studie jüdische und            jedoch nicht nur für den Journalismus zu beklagen. In einer
                                                            finnischen Studie mit jugendlichen Facebook-Nutzer*in-
homosexuelle Studierende mit Hasskommenta-
                                                            nen (Näsi, Räsänen, Hawdon, Holkeri, & Oksanen, 2015)
ren, die ihre jeweilige soziale Identität ansprachen        konnte ein Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung
(antisemitisch bzw. homophob). Direkt nach der              von Online-Inzivilität (hier: Hassrede) und dem Vertrauen in
                                                            soziale Gruppen festgestellt werden: Nutzer*innen, die sich
Konfrontation mit den Hasskommentaren zeigten
                                                            daran erinnerten, online mit Hass konfrontiert worden zu
die Studierenden vor allem emotionale Reaktio-              sein, gaben an, weniger Vertrauen in andere Menschen zu
nen, fühlten sich alleine, gekränkt oder schockiert.        haben.

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5. Gegenmaßnahmen:
      Wie lässt sich Inzivilität in
sozialen Online-​Medien verhindern?

Inzivilität in sozialen Online-Medien kann sehr      (Ziegele & Jost, 2016, S. 4; siehe auch Frischlich,
explizit sein – etwa, wenn sie Gewaltandrohungen     Boberg, & Quandt, 2019). Idealtypisch lassen sich
enthält oder von der Verwendung verfassungs-         dabei drei Formen von Moderation unterschei-
feindlicher Symbole begleitet wird. Das NetzDG       den, die sich im Grad der Beteiligung von Medi-
macht es an dieser Stelle möglich, dass repressive   enanbietern und Nutzer*innen unterscheiden
Strategien wie Löschungen einzelner Kommentare       (siehe nachfolgend Ziegele & Jost, 2016, S. 4–6):
oder das Blockieren von konkreten Nutzer*innen       Kollaborative Moderation setzt auf eine starke
eingesetzt werden können. Allerdings zeigt die       Beteiligung der Diskussionsteilnehmer*innen
empirische Realität, dass Inzivilität vielfältige    und ermöglicht diesen beispielsweise, inzivile
Ausdrucksformen annehmen kann, die sich häufig       Kommentare zu flaggen, d.h., als unangemessen
unter der Schwelle strafrechtlicher Relevanz bewe-   zu kennzeichnen und den Anbietern zu melden
gen. Konkrete Gegenmaßnahmen sind daher vor          (ausführlich wird Flagging bei Naab, Kalch, &
allem in präventiven Strategien zu sehen und nicht   Meitz, 2018 diskutiert). Ein Beitrag, der von vielen
ausschließlich in der Repression von Inzivilität.    Nutzer*innen Flags erhalten hat, kann dann je
                                                     nach Einstellungen der jeweiligen Diskussions-
Es lassen sich verschiedene präventive Maßnah-       plattform automatisch entfernt oder zur manu-
men voneinander abgrenzen, wobei wir in diesem       ellen Prüfung weitergeleitet werden. Daneben
Beitrag eine bewusste Auswahl treffen und vor-       gibt es die inhaltliche Moderation, bei der profes-
rangig auf die Aspekte (1) Community Management      sionelle Moderator*innen ohne explizite Angabe
und Moderation von inzivilen Kommentaren und         von Gründen Kommentare entfernen, die sie als
weiteren Kommunikaten, (2) das Ausüben von           unangemessen empfinden (bzw. von der Organi-
Gegenrede, (3) den Einsatz von Gegenbotschaften      sation als unangemessen definiert wurden, z.B.
sowie (4) die Förderung von Medienkompetenz          in sogenannten „Netiquetten“). Zu unterscheiden
eingehen werden.1                                    sind dabei Formen der Pre- und Post-Modera-
                                                     tion. Bei der Pre-Moderation werden Kommen-
Insbesondere im Kontext von Nachrichten-             tare gesichtet, bevor sie veröffentlicht werden,
Webseiten und den SNS-Profilen von Medien-           während bei der Post-Moderation erst nach der
und Nachrichtenanbietern wurde die Rolle von         Veröffentlichung festgelegte Prüfmechanismen
(1) Community Management und Moderation              zum Einsatz kommen (Ksiazek, 2015, S. 560).
intensiv diskutiert. Community Management            Zuletzt finden sich in der Praxis auch Formen der
meint zunächst ganz allgemein das Übersehen          interaktiven Moderation, die sich dadurch aus-
bzw. Überwachen von Diskussionskanälen und           zeichnen, dass die Moderator*innen aktiv und
-plattformen, „but also actively asking for con-     sichtbar an den Diskussionen teilnehmen und
tributions, encouraging users to contribute, and     mit den Nutzer*innen interagieren, wobei hier
managing and moderating online discussions”          grob zwischen einer Helfer- (z.B. Bereitstellung
(Bakker, 2014, S. 598). Moderation kann somit        von zusätzlichen Informationen; Komplimente
als spezifische Teilform eines übergeordneten        für hilfreiche Beiträge) und Regulator-Rolle (z.B.
Community Managements verstanden werden,             Vermittlung bei Konflikten; Rückführung der Dis-
bei der die Prozesse oder Inhalte von Online-        kussionen zum eigentlichen Thema) differenziert
Diskussionen organisiert und reguliert werden        werden kann.

                                                                                                            25
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