WARUM BEHALTEN WIR UNSEREN SCHUH NICHT FÜR UNS? - Ungerechte Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Afrika am Beispiel alter Schuhe

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WARUM BEHALTEN WIR UNSEREN SCHUH NICHT FÜR UNS? - Ungerechte Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Afrika am Beispiel alter Schuhe
EU-AFRIKA

                                                                                                                                          2021-32

                    WARUM BEHALTEN WIR
                    UNSEREN SCHUH NICHT FÜR UNS?
                    Ungerechte Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Afrika
                    am Beispiel alter Schuhe

                    VON DR. JISKA GOJOWCZYK UND FRIEDEL HÜTZ-ADAMS

                            V
                                    iele gebrauchte Schuhe aus Europa werden          Marketing und Erst-Verkauf erzielt. Diese Fel-
                                    in afrikanische Länder exportiert. Diese          der sind bei Markenunternehmen vor allem in
                                    Praxis wird seit Jahrzehnten kritisch dis-        Europa, Nordamerika und Ozeanien angesiedelt.
                            kutiert (vgl. z.B. Hütz-Adams 2014, 1995). Zahlrei-       Gravierende soziale und ökologische Missstände
                            che Argumente zugunsten der bestehenden Märk-             finden sich hingegen auf den Stufen der Rohstoff-
                            te um „alte“ Waren greifen zu kurz. Sie blenden           gewinnung, Material- und Schuhherstellung. Für
                            strukturelle Ungleichheit, unerwünschte Konse-            Schuhe genutzte Rohstoffe wie Erdöl, Kautschuk,
                            quenzen und Zusammenhänge mit ungerechten                 Baumwolle oder Tierhäute werden meist in Asien,
                            Konsum- und Produktionsmustern aus. Nach wie              Afrika oder Südamerika gewonnen und zu Materi-
                            vor fehlen Transparenz, differenzierte Daten zum          alien wie Gummi, Garnen oder Leder verarbeitet.
                            Markt mit Secondhand-Ware und Strategien, um              Damit einher gehen oft erhebliche ökologische
                            nachhaltige Wertschöpfung in afrikanischen Län-           Probleme. Schuhe werden dann überwiegend in
                            dern politisch zu fördern.                                Niedriglohnländern zugeschnitten, vernäht, ver-
                                                                                      klebt. Arbeiter*innen, die etwa Baumwolle ernten,
Foto: Joel Huegli

                            WAS BEI PRODUKTION UND KONSUM                             Stoffe weben oder Leder und Schuhe herstellen,
                            VON SCHUHEN UNGERECHT IST                                 können ihre Existenz von dem viel zu geringen
                            In den Wertschöpfungsketten von Schuhen wird              Lohn oft nicht sichern. Missstände wie informel-
                            ein großer Teil der Gewinne bei Design, Handel,           le Beschäftigung, Einschränkungen der Vereini-

                                                                                  1
ALTE SCHUHE

          gungsfreiheit, schlechter Arbeitsschutz, Diskrimi-          WAS MIT GEBRAUCHTEN SCHUHEN
          nierung und Gewalt am Arbeitsplatz, Kinder- und             AUS EUROPA PASSIERT
          Zwangsarbeit sind dokumentiert. Im Zuge der                 Wer in Deutschland Schuhe ausrangiert, hat ne-
          Covid-19-Pandemie verschlechterte sich die Lage             ben dem Mülleimer viele Möglichkeiten: Contai-
          noch (vgl. z.B. Gojowczyk 2021; Scheper 2020). Fast         ner, Second-Hand-Läden oder Sammelstellen im
          90 % der weltweiten Schuhproduktion findet in               Einzelhandel bitten um Spenden. Was mit diesen
          Asien statt. Von dieser Produktion werden circa 19          geschieht, bleibt oft intransparent (Dittrich et al.
          % direkt nach Europa exportiert, nur drei Prozent           2021: 89).
          nach Afrika (APICCAPS 2020, 2021).                              Die Außenhandelsstatistiken erlauben Ein-
              Auf Afrika und Europa entfallen jeweils rund            blicke in die Wege der gespendeten Produkte, lei-
          drei Prozent der Schuhproduktion weltweit, je-              der nur zusammen für Schuhe, Textilien und Ac-
          doch mit qualitativen Unterschieden: Afrikanische           cessoires (Warengruppe 6309, Daten immer: ITC
          Schuhe machten 2020 nur 0,8 % aller Schuhexpor-             2021). Zwischen 2018 und 2020 wurden allein von
          te weltweit aus. 2011 waren es noch 1,6 %. Im Jahr          Deutschland aus insgesamt mehr als 1,5 Millionen
          2020 kamen hingegen 15 % aller Schuhexporte                 Tonnen der Warengruppe im Wert von mehr als
          nach Menge aus Europa (40 % nach Wert). Akteure             einer Milliarde US-Dollar ausgeführt. Deutsche
                                                                                                                                   siehe
          in Deutschland und Belgien exportieren zwar sehr            Exporte bleiben auf den ersten Blick zu einem gro-         Tabelle
          viele Schuhe und verdienen damit ‚am Markt‘. Die-           ßen Teil innerhalb Europas. Aus Ländern wie den
          se Schuhe werden aber überwiegend in anderen                Niederlanden, Polen oder Belgien werden sie dann
          Ländern hergestellt. Wichtige Länder der Schuh-             aber wohl überwiegend weiter exportiert. Die
          herstellung sind in Europa Italien, Spanien und
          Portugal, mit Export-Durchschnittspreisen bis zu
          60 USD pro Paar (Italien). In Afrika gehören Äthio-
                                                                      TABELLE 1: EXPORTE VON GEBRAUCHTWAREN
          pien, Nigeria und Kenia zu den wichtigsten, mit             (GRUPPE 6309) AUS DEUTSCHLAND (2018-2020)
          Durchschnittspreisen im Export zwischen knapp
          acht USD (Äthiopien) und weniger als zwei USD                             in Tausend in Millionen Rang       Rang
          (Kenia). Hinzu kommen für Europa wichtige Pro-                              Tonnen    US Dollar nach Wert nach Menge
          duktionsstandorte in Marokko und Tunesien. Süd-             Gesamt-         1533,08     1090,75
          afrika und Kenia exportieren dagegen hauptsäch-             exporte
          lich in die Nachbarländer (APPICAPS 2020, 2021a).
                                                                      Niederlande     262,64       116,55        2           1
          Aus verschiedenen Gründen scheiterten in vielen
          afrikanischen Ländern Bemühungen, die Schuh-                Polen           243,54       129,70        1           2
          produktion auszubauen (vgl. auch Knoke 2021).
              Vor Beginn der Covid-19-Pandemie wurden in              Belgien          80,07       36,49         7           3

          Deutschland pro Person und Jahr im Schnitt 5,3 Paar
          Schuhe gekauft, 2020 mit 4,5 Paar pro Person etwas
                                                                                                                                siehe
          weniger. In Europa waren es 2019 noch 4,4 Paar pro                                                                 Karte S.3
          Person, 2020 durchschnittlich 3,5 Paar. Für die Zu-         Karte zeigt die wichtigsten Exportziele von Alt-
          kunft sagen Experten für Europa wieder einen An-            kleidern und -schuhen aus diesen Ländern, u.a.
          stieg des Konsums von 1,8 % im Jahr 2022 voraus             Pakistan, Kamerun, die Ukraine, die Vereinigten
          (APICCAPS 2020: 78; APICCAPS 2021a: 76; APICCAPS            Arabischen Emirate (VAE), die Türkei, Russland
          2021b: 14). Afrika ist weltweit der Kontinent mit dem       und Togo. Auch von diesen Ländern ist bekannt,
          geringsten Schuhkonsum – mit 1,6 (2019) und 1,5             dass sie ‚Umschlagplätze‘ sind.
          (2020) Paar Schuhen pro Person im Jahr.                         So erhalten Kenia und Tansania Gebrauchtwa-
                                                                      re u.a. aus Pakistan. Für Kamerun sind Belgien, die
                                                                      Niederlande und Deutschland die wichtigsten Her-
                                                                      kunftsregionen. Togo importiert große Mengen
                                                                      aus Polen, aber auch direkt aus Deutschland. Das
EINE BESONDERE RECHERCHE                                              Land Lesotho, was mit dem Versuch bekannt wur-
                                                                      de, mit guten Arbeitsbedingungen im Textilsektor
Toller investigativer Journalismus: Bei der Sneakerjagd
                                                                      in der internationalen Konkurrenz zu bestehen,
wurden getragene Schuhe mit Trackern ausgestattet
an verschiedenen Sammelstellen abgegeben und dann                     erhält Altkleider und -schuhe u.a. aus den Nieder-
u.a. nach West- und Ostafrika verfolgt. Die meisten                   landen, Großbritannien, den VAE und Belgien.
beteiligten Organisationen in Deutschland übernahmen                      Eine Studie zum Markt in Kenia nennt diverse
für den Weg „ihrer“ Ware keine Verantwortung.                         Akteure, die dort von Altkleidern und -schuhen
SÜDWIND empfiehlt: https://letsflip.de/sneakerjagd/                   profitierten, darunter Transportunternehmen,
                                                                      Verlade- und Sicherheitsfirmen, Wagenschie-
                                                                      ber*innen, Schneider*innen und Bügler*innen,
                                                                      Exporteure (u.a. nach Uganda und Tansania), Ver-

                                                                  2
ALTE SCHUHE

        KARTE 1: EXPORTE VON SECONDHANDWARE
        AUS DEN NIEDERLANDEN, POLEN UND BELGIEN (2018, 2019,2020)

        Die Zusammenstellung summiert die Mengen der Ausfuhren
        der Top-24 Exportziele der drei Länder zwischen 2018 und 2020.

                                                                         37,76

                                                              12,89              8,78
                                                                                   34,12
                                                                                        45,64
                                                          50,42

                                                                                                                       66,14

                                            7,16

                                                                                   128,53
                                            10,30
                                                                                               5,72
                                            14,7                 12,96
                                                                                    88,17
                                            19,72                          3,92 7,81
                                                                                           5,01
                                                                                       4,8
                                                                                                             181,81
                                                                                        8,19
                                                                                                        90,39            31,74
                                  5,98                    4,71
                                                                  16,98                                 30,58
                                  13,23                                                                     21,22
                                                                 15,69
                                             5,38                              7,14
                                                                      149,17                                  17,84
                                                                                                      7,02   23,17
                                                                               21,58
                                                    4,94         14,42
                                                      47,39
                                                                           7,79
                                                       54,33
                                                                                                                5,60
                                                        23,77

              3,25

                                                                                                                          Menge in
                                                                                                                          Tausend Tonnen
                                                                                                                         1,71              181,81

        mittler an kenianische Subunternehmen, sowie                               Händler*innen von Secondhand-Ware könnten
        Konsument*innen (IEA 2021: 19). Im Osten Afrikas                           auf neue Schuhe umsteigen. Zudem führt der Ex-
        ist das Geschäft als mitumba bekannt – ein Begriff                         port unbrauchbarer Ware zu Müllbergen. Aus eu-
        für die in Plastik gewickelten ‚Bündel‘, in denen                          ropäischer Perspektive ‚lohnt‘ sich diese Ausfuhr,
        die Ware die lokalen Märkte erreicht. Diese Bün-                           um Entsorgungsgebühren zu sparen.
        del sind auch ein Symbol für das Risiko, welches
        die Unterhändler*innen und die direkten Verkäu-                            WELCHE INTERESSEN SICH
        fer*innen tragen: Beim Kauf ist unklar, wie wert-                          BISHER DURCHSETZEN
        voll die enthaltene Ware ist und ob sich der Kauf                          Die Flut der Altkleider und -schuhe begann in vie-
        rechnen wird. Verkäufer*innen beklagen immer                               len Ländern in den 1980er Jahren, nachdem Welt-
        schlechtere Qualität und wachsende Mengen, die                             bank und der Internationaler Währungsfonds die
        sie nicht verkaufen, sondern entsorgen müssen                              verschuldeten Länder als Gegenleistung für neue
        (siehe z.B. TheEEBChannel 2020).                                           Kredite gezwungen hatten, Grenzen zu öffnen und
            Häufig wird argumentiert, das Geschäft mit                             Subventionen für den Aufbau eigener Industrien
        neuer und gebrauchter Kleidung bediene unter-                              zu streichen.
        schiedliche Märkte. Allerdings geht das aus den                                Versuchten Staaten, eine eigene Industriepoli-
        Daten nicht hervor (z.B. IEA 2021: 16, 21). Befürwor-                      tik zu entwickeln, wurden sie dabei oft massiv be-
        ter*innen des Handels argumentieren, die Struk-                            hindert. Die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC)
        turen sicherten Arbeitsplätze, Steuereinnahmen                             bestehend aus Burundi, Kenia, Tansania, Ruanda
        und die Versorgung der armen Bevölkerung mit                               und Uganda fasste beispielsweise 2016 einen Ent-
        Grundbedarf. Kritiker*innen verweisen darauf,                              schluss: Die Einfuhr von Altkleidern sollte binnen
        dass lokale Produzent*innen und Händler*innen                              drei Jahren eingestellt und die heimische Ver-
        damit seit Jahrzehnten unter einer unfairen Kon-                           arbeitung gefördert werden. Dagegen wehrte sich
        kurrenz leiden, die regionale Wertschöpfung er-                            in den USA der Verband der Kleiderexporteure
        schwert. Viele der oben genannten Akteure wären                            (Secondary Materials and Recycled Textiles Associa-
        auch Profiteure stärkerer heimischer Industrie.                            tion – SMART). Die US-amerikanische Regierung

                                                                               3
ALTE SCHUHE

            drohte: Sollten die Staaten ihr Vorhaben verwirk-        Teil informellen Handelswege bauen globale Ab-
            lichen, würden ihnen durch die USA vertraglich           hängigkeitsverhältnisse aus statt sie zu mindern.
            zugesicherte Zoll-Befreiungen für die eigenen            Initiativen, die nachhaltig Wohlstand aufbauen
            Produkte (African Growth and Opportunity Act             wollen, fokussieren Wertschöpfung, gute
            – AGOA) entzogen. Alle Länder außer Ruanda               Arbeitsbedingungen, existenzsichernde
            stoppten daraufhin die Pläne. In Kenia etwa setzte       Löhne und Einkommen sowie den Aufbau                DIE
            sich eine Koalition von mitumba-Händler*innen,           von Industrien und Infrastruktur in den je-         NACHFRAGE
            Konsument*innen und dem exportorientierten               weiligen Ländern.
                                                                                                                         IST GESELL-
            Textilproduktionssektor durch. Letzterer wurde               Der Handel mit Gebrauchtware sollte
                                                                                                                         SCHAFTLICH
                       überwiegend von transnationalen In-           nicht plötzlich enden, sondern begleitet
                                                                                                                         UND

   4,5
                       vestoren (meist aus Asien) und Inves-         durch andere wirtschaftspolitische Maß-
                       toren der „indisch-ostafrikanischen           nahmen schrittweise auslaufen. Es bedarf            POLITISCH
                       Diaspora“ dominiert, die für den US-          Politik, „die sowohl den lokalen formel-            GESTALTBAR.
                       Markt produzierten. Produzent*innen           len Bekleidungshersteller*innen dient,
  Paar Schuhe wurden   für lokale Märkte hatten keine mächti-        die von der Einfuhr gebrauchter Kleidung
  2020 in Deutschland
   pro Person gekauft  ge Stimme. Für Bekleidung aus Ruanda          bedroht sind, als auch anerkennt, dass solche Im-
                       führten die USA ihre Zölle wieder ein         porte [noch] eine wichtige Rolle für den informel-
                       (Wolff 2021).                                 len regionalen Handel spielen“ (Kaplinksy/Morris

    1,5
                           Als Kenia im März 2020 die Einfuhr        2019: 57, übersetzt). Vielen Regierungen betreffen-
                       von Altkleidern vorübergehend verbot,         der Staaten ist das Problem bewusst.
                       um die Ausbreitung von Covid-19 zu
    Paar Schuhe pro
                       verhindern, stemmte sich SMART er-            4.	Nicht Second-Hand-Importe, sondern
  Person wurden 2020   neut dagegen (Hakeenah 2021).                     andere Schwierigkeiten vor Ort sind die
   durchschnittlich
   in Afrika gekauft                                                     Ursache für die Probleme der Industrien
                       WARUM VIELE ARGUMENTE                             dort, etwa unzuverlässige Strom- und
                       ZU KURZ GREIFEN                                   Wasserversorgung.
           Im Folgenden wird einigen Argumenten wider-               Das ist ein Strohmann-Argument. Beide Faktoren
           sprochen, mit denen der internationale Handel             können Wertschöpfung, Industrie und Wohlstand
           mit Gebrauchtware gerechtfertigt wird.                    an möglichen Produktionsstandorten hemmen.
                                                                     Außerdem haben Verbände der Altwarenverwer-
           1.	Die gebrauchten Schuhe würden sonst                   tung politisch Einfluss genommen, um selbstbe-
               im Müll entsorgt und verbrannt.                       stimmte Industriepolitiken afrikanischer Staaten
               Zweitnutzung der Schuhe ist ökologisch                zu verhindern (s.o.).
               sinnvoll.
           Es stimmt: Weitere Nutzung ist besser als Entsor-         5.	Altware konkurriert nicht mit Vorort-
           gung. Aber Konsum und Mode sind gestaltbar.                   Produktion. Billige Schuhe aus Asien sind
           Verschiedene zivilgesellschaftliche Organisatio-              das Problem.
           nen problematisieren seit Jahren die Auswüchse            Auch dieser Gegensatz ist keiner. Beide Mechanis-
           von ‚Fast Fashion‘ und zeigen Alternativen auf            men sind für die Förderung von Schuhproduktion
           (z.B. Greenpeace 2021). Der Konsum muss in Euro-          vor Ort problematisch. Vorschläge, wie regulato-
           pa reduziert werden. Schuhe sollten, wenn dann            risch auf beides reagiert werden kann, existieren
           regional weitergetragen werden.                           etwa für ostafrikanische Staaten (Wetengere 2018).
                                                                     Zudem begann der Export von Gebrauchtware
           2.	Die Nachfrage nach gebrauchten                        verbunden mit dem Niedergang der heimischen
               Schuhen z.B. in Deutschland ist gering.               Industrie, bevor Neuware aus Asien im großen Stil
           Die Nachfrage ist gesellschaftlich und politisch          die afrikanischen Märkte erreichte.
           gestaltbar. Politische Instrumente müssen Struk-
           turen und Markt für Second-Hand-Ware, Tausch,             6.	Der Markt führt in Ländern wie Kenia
           Upcycling und Reparaturen innerhalb Europas                   zu wichtigen Steuereinnahmen.
           stärken.                                                  Das stimmt. Doch auch regionale Wertschöpfung
                                                                     würde zu Steuereinnahmen führen.
           3.	Arme Menschen brauchen die alten
               Schuhe und erzielen damit Einkommen.                  7.	Es gibt aktuell keine Alternative zu
           Erstens wird grundsätzlich an die Meistbieten-                Importen. Afrikanische Länder haben
           den und nicht an die Bedürftigsten verkauft. Der              keine Schuh- und Modeindustrie.
           Markt ist also keine Wohltätigkeit. Zweitens ist          Das ist falsch. Im Gegenteil: Es gibt nicht zuletzt
           der Handel mit Zweitware kein Ersatz für gesunde          eine erstarkende Bewegung zur Dekolonialisierung
           ökonomische Strukturen. Die entstandenen, zum             von Mode, weltweit und in Afrika (vgl. Dwors 2022).

                                                                 4
ALTE SCHUHE

          WAS GETAN WERDEN SOLLTE                                                 SÜDWIND setzt sich für wirtschaftliche,
          Checkliste für politische Entscheidungs­                                soziale und ökologische Gerechtigkeit ein –
          träger*innen                                                            weltweit. Wir recherchieren, decken unge-
          ▸ Unterstützung von Secondhandware-Exporten                            rechte Strukturen auf, machen sie öffentlich
             durch die öffentliche Hand und staatliche Ini-                       und bieten Handlungsalternativen. Wir
             tiativen beenden (z.B. statt ‚Sammelaktionen‘                        verbinden entwicklungspolitische Bildungs-,
             an Schulen kritische Diskussion, Tauschbörsen,
                                                                                  Öffentlichkeits,- und Lobbyarbeit und tragen
             Reparaturwerkstätten)
                                                                                  Forderungen in Kampagnen, Gesellschaft,
          ▸ Strukturen zur Umsetzung des Kreislaufwirt-
             schaftsgesetzes ab 2025 (flächendeckende Ge-                         Unternehmen und Politik. Seit 30 Jahren.
             trenntsammlung von Alttextilien und -schuhen
             in der EU) aufbauen und mit Beschränkungen
             für Müllexporte kombinieren, etwa Altschu-
             he in geplante Regulierung von Plastikmüll
             aufnehmen (Bundesregierung und EU-Kom-
             mission)
          ▸ Schuhe und Textilien einbeziehen bei geplan-         Checkliste für die Schuhindustrie
             tem Recht auf Reparatur (Bundesregierung)            ▸ Modelle entwickeln, die langlebig, reparabel
          ▸ Stufenplan zum Wandel des Altkleider- und               und kreislauffähig sind
             -schuhsektors erarbeiten, Ziel: Kleider- und         ▸ Beteiligung am Aufbau nachhaltiger
             Schuhspenden müssen Spenden bleiben; für                Entsorgungsstrukturen
             nicht benötigte Mengen Aufbau von Up- und            ▸ Nachhaltige Schuhproduktion durch faire
             Recyclingkreisläufen einfordern (Bundesregie-           Geschäfts- und Einkaufspraktiken und
             rung)                                                   menschenrechtliche Sorgfalt
          ▸ Menschenrechtliche Sorgfalt einschließlich
             existenzsichernder Löhne in Wertschöpfungs-          Checkliste für Privatpersonen
             ketten wirksam einfordern (Bundesregierung           ▸ Abkehr von Überkonsum – weniger kaufen,
             und EU-Kommission)                                      mehr pflegen und reparieren
          ▸ Schuhe und Textilien bei EU-Richtlinie für           ▸ Tausch und Secondhand-Käufe
             Öko-Design aufnehmen, d.h. Langlebigkeit und         ▸ Schuhspenden gezielt, z.B. für Menschen
             Reparierbarkeit fordern (vgl. RTR 2021)                 auf der Flucht

          Checkliste für sammelnde Organisationen
          und Gebrauchtschuh-Handel in Europa
          ▸ Transparenz über den Verbleib der gespendeten            LITERATUR
             Ware herstellen und ehrlich an Spender*innen
                                                                  Das Literaturverzeichnis
             kommunizieren                                        ist abrufbar unter
          ▸ Geschäftsmodell kritisch hinterfragen und            https://bit.ly/3umOfJO
             transformieren, neue Geschäftsmodelle in Euro-       oder unter diesem QR-Code.
             pa aufbauen, z.B. für Upcycling und Reparatur

    FÖRDERER                      IMPRESSUM

Gefördert durch               Bonn, Dezember 2021                    AUTOR*INNEN:                    factsheet
ENGAGEMENT GLOBAL                                                    Dr. Jiska Gojowczyk,            Warum behalten wir
mit Mitteln des               HERAUSGEBER:
                                                                     Friedel Hütz-Adams              unsere Schuhe nicht für uns?
                              SÜDWIND e.V.                                                           2021-32
                              Kaiserstraße 201, 53113 Bonn           MITARBEIT:
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