Was bewirkt die Pflichtabgabe von Übungsaufgaben in der Hochschul-mathematik? - Ein empirischer Vergleich - mathematica didactica
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Was bewirkt die Pflichtabgabe von Übungsaufgaben in der Hochschul- mathematik? – Ein empirischer Vergleich REGULA KRAPF, BONN; MICHAEL LIEBENDÖRFER, PADERBORN Zusammenfassung: An vielen Hochschulen müssen Dazu wird in diesem Abschnitt zuerst die Rolle von Studierende im Fach Mathematik ihre Übungsblätter Übungsblättern und ihrer Abgabe an deutschen zur Korrektur abgeben und eine gewisse Punktzahl Hochschulen skizziert, bevor beschrieben wird, wel- erreichen. Allerdings wird die Abgabepflicht gele- che Wirkungen von Hausaufgaben in der Schule be- gentlich infrage gestellt, nicht zuletzt wegen des ho- kannt sind. Anschließend wird der Stand der For- hen Korrekturaufwands. Eine Abgabepflicht wurde schung an Hochschulen beschrieben. Jedoch muss in einer Erstsemester-Lehrveranstaltung für Lehr- angemerkt werden, dass zwar Wirkungen auf die amtsstudierende mit Fach Mathematik aller Ziel- Lernleistung und affektive Variablen beschrieben schularten im Wintersemester 2018/19 an einer deut- werden können, aber zur Frage nach dem Studienver- schen Universität neu eingeführt. Dieser Artikel do- bleib bzw. dem Studientempo keine Ergebnisse be- kumentiert in der Folge eine deutlich erhöhte Klaus- richtet werden können. urteilnahme bei gestiegener Bestehensrate und somit höherem Klausurerfolg, sowie die Ergebnisse einer 1.1 Status quo an deutschen Hochschulen Studierendenbefragung, die eine hohe Akzeptanz und positive Bewertung einer Pflichtabgabe seitens der Mathematikveranstaltungen an Hochschulen beste- Studierenden lieferte. Inwieweit dadurch Indizien für hen üblicherweise aus einer Vorlesung und einer eine positive Wirkung der Pflichtabgabe gegeben Übung. Während in der Vorlesung die zentralen In- sind, wird diskutiert. halte vermittelt werden, werden im Übungsbetrieb die neu erlernten Konzepte anhand von Beispielen Abstract: In many universities, mathematics students veranschaulicht und vertieft. Dies geschieht in der are requested to hand-in weekly assignments and re- Regel durch ein Übungsblatt, welches innerhalb einer ceive a certain grading. This duty is questioned Woche bearbeitet werden muss und in der darauffol- sometimes, e.g. due to the high demand of grading genden Übungsstunde besprochen wird. Ein wichti- time. At a German University, such a duty was newly ges Ziel des Übungsbetriebs besteht darin, dass die introduced in a first-semester lecture for students Studierenden typische Merkmale mathematischer Er- training to be mathematics teachers on all school kenntnisentwicklung exemplarisch an Kernthemen forms in the winter semester 2018/19. This paper der Mathematik erleben und reflektieren (vgl. Fi- documents a substantially higher participation in the scher, 2013). In vielen Veranstaltungen ist es üblich, final exam as well as better success rates. Further, dass die Studierenden ihre Lösungen der Übungsblät- results of a student survey show a high acceptance ter zur Korrektur abgeben; entweder freiwillig oder and positive evaluation of the newly introduced duty. in der Form einer Pflichtabgabe. Die Abgabe soll We discuss to what extent this provides evidence for dazu führen, dass sich die Studierenden intensiv und a positive effect of this duty. vor allem regelmäßig mit den Aufgaben auseinander- setzen und dabei ein wöchentliches Feedback erhal- 1. Die Rolle verpflichtender Aufgaben ten, durch welches sie sich laufend verbessern kön- beim Lernen von Mathematik nen. Dies ist insbesondere für die Beherrschung des mathematischen Formalismus der Hochschulmathe- Das Mathematiklernen in Schule und Hochschule ist matik hilfreich, welcher eine präzise Formulierung in eng mit der Bearbeitung von Aufgaben verbunden, der Symbolsprache verlangt; denn eine mathemati- die einen großen Teil der Lernzeit einnimmt. Aufga- sche Aufgabe ist erst dann vollständig gelöst, wenn ben stellen also ein wichtiges Element im Lernpro- sie auch formal korrekt aufgeschrieben ist. Durch die zess dar. Im Gegensatz zu z. B. individuellen Lern- Abgabe der Übungsblätter kann zudem sogenanntem voraussetzungen können Lehrende sowohl die In- „Bulimie-Lernen“ kurz vor der Klausur im Idealfall halte als auch den Modus, in dem Aufgaben bearbei- vorgebeugt werden, da die Studierenden die Vorle- tet werden (müssen), recht frei festlegen. Umso über- sungsinhalte durch die Bearbeitung der Übungsblät- raschender ist, dass relativ wenig dazu bekannt ist, ter bereits während des Semesters verinnerlichen. wie dieser Handlungsspielraum optimal genutzt wird. Der vorliegende Beitrag will für das Lernen an Hoch- Oftmals ist es zugelassen, die Übungsblätter zu zweit schulen die Frage aufklären, welche Auswirkungen oder in Kleingruppen abzugeben; dies soll nicht nur die verpflichtende Abgabe wöchentlicher Übungs- eine Sparmaßnahme der Hochschule darstellen, son- aufgaben hat. dern durch die Gruppenarbeit auch den Austausch mathematica didactica 44(2021)2, online first 1
math.did. 44(2021)2 unter Studierenden und damit auch die mathemati- 2007). Weiter scheinen die Effekte in höheren Klas- sche Kommunikation fördern. Das Arbeiten in Grup- senstufen größer auszufallen (Cooper, Robinson & pen wird daher zumindest in gewissem Ausmaß auch Patall, 2006). empfohlen (z. B. Alcock, 2017, Kapitel 10.8). Zu be- Hausaufgaben wirken sich aber auch auf affektive achten ist auch, dass es große Unterschiede in der Ge- Variablen aus. Insbesondere uninteressante, schlecht staltung der Pflichtabgabe sowohl zwischen als auch vorbereitete oder überfordernde Aufgaben können zu innerhalb von Hochschulen gibt:1 Während an vielen negativen Emotionen führen (Dettmers et al., 2011), Hochschulen ein festgelegter Prozentsatz, in der Re- die geringere Leistungszuwächse erklären. Schüler gel ca. 40-60%, an Punkten auf den Übungsblättern und Schülerinnen, die lange an den Aufgaben sitzen, zur Klausurzulassung erzielt werden muss, so gibt es verlieren zudem eher das Interesse am Fach (Traut- auch Bestimmungen, gemäß welchen Übungsblätter wein et al., 2001). Damit stellen sich Hausaufgaben lediglich „sinnvoll bearbeitet“ werden müssen, oder in der Schule als Instrument dar, das besonders dann welche zur Punktvergabe ein verpflichtendes Vor- effektiv ist, wenn regelmäßig Aufgaben gegeben rechnen vorsehen. Manche Hochschulen verwenden werden, die nicht überfordernd sind und in begrenzter auch ein „Ankreuzsystem“, bei dem Studierende in Zeit vollständig abgearbeitet werden können. der Übung jeweils angeben müssen, welche Aufgabe sie nach eigenem Ermessen richtig gelöst haben und 1.3 Wirkungen von Übungsaufgaben an daher vorrechnen können. Des Weiteren werden die Hochschulen auf den Blättern erzielten Punkte an einigen Hoch- schulen als Bonuspunkte auf die Klausur angerech- Ergebnisse aus dem schulischen Kontext sind empi- net; dieses System ist insbesondere an amerikani- risch vergleichsweise gut abgesichert, lassen sich schen Hochschulen verbreitet. Ein Überblick über die aufgrund der unterschiedlichen Rolle von Übungs- verschiedenen Abgabesysteme und deren Verbrei- aufgaben in den beiden Settings aber nur bedingt auf tung ist nach dem derzeitigen Forschungsstand aller- den Hochschulkontext übertragen. Während in der dings nicht vorhanden. Schule das Lernen hauptsächlich in den Schulstunden stattfindet, so verlagert sich dieses in Hochschulen Die verpflichtende Abgabe der Übungsaufgaben ist deutlich stärker ins Bearbeiten von Übungsblättern dabei nach unserem Wissensstand besonders im außerhalb von Lehrveranstaltungen, welches in der Fachstudium und Lehramtsstudium sehr verbreitet, Regel mindestens gleich viel Zeit in Anspruch nimmt wird aber gelegentlich infrage gestellt. In der Ser- wie die Präsenzveranstaltungen selbst (Briedis et al., vice-Mathematik ist sie ohnehin weniger verbreitet. 2008). Typische Argumente gegen die Pflichtabgabe betref- fen den hohen Korrekturaufwand und damit verbun- Ufer (2015) konnte für das Mathematikstudium zei- dene Kosten sowie die Vermutung, dass eine ernst- gen, dass Studierende, die freiwillig Übungsblätter hafte Auseinandersetzung mit den Inhalten bei vielen bearbeitet haben, bessere Klausurnoten erreichen. Studierenden auch durch eine verpflichtende Abgabe Die Auseinandersetzung mit den Aufgaben hängt nicht erreicht wird. auch bei verpflichtenden Aufgaben sehr eng mit dem Modulerfolg zusammen, z. B. wenn man beim Ab- 1.2 Wirkungen von Hausaufgaben in der schreiben fremder Lösungen versucht, sie nachzu- Schule vollziehen (Rach & Heinze, 2013, 2017). Insofern findet die zu erwartende positive Wirkung der Auf- Hausaufgaben sind in der Schule allgegenwärtig. Im gabenbearbeitung auf den Lernerfolg an der Hoch- Anschluss an den Unterricht sollen sie eine weitere schule Bestätigung. Offen bleibt aber, ob schon die Auseinandersetzung mit den Lerninhalten bewirken Entscheidung zur Aufgabenbearbeitung ein Indikator und dadurch zu einem verstärkten Lernzuwachs füh- für Kompetenz ist, z. B. weil die Aufgaben nicht als ren. Groß angelegte empirische Studien konnten überfordernd wahrgenommen werden, oder ob der nachweisen, dass die Bearbeitung der Hausaufgaben Prozess der Bearbeitung die Leistungssteigerung er- dann intensiver ist, wenn die Aufgaben persönlich als klärt, der auch extrinsisch motiviert werden kann. interessant und gut vorbereitet wahrgenommen wer- den (Dettmers et al., 2011). Diese Bearbeitung erklärt Eine verpflichtende Abgabe hat zudem weitere Aus- Leistungszuwächse, die besonders hoch sind, wenn wirkungen. Die Literatur zeigt, dass die Pflichtab- die Aufgaben zwar generell anspruchsvoll, aber nicht gabe das Handeln der Studierenden erheblich struk- persönlich überfordernd sind. Dabei erweisen sich turiert, z. B. orientiert sich schon der Wochenablauf vor allem häufig gegebene aber nicht lange Hausauf- an den Ausgabe- und Abgabedaten der Aufgaben und gaben als lernförderlich (Trautwein et al., 2001, die Lernhandlungen werden stark, manchmal aus- schließlich an den Aufgaben ausgerichtet (Göller, 2
R. Krapf & M. Liebendörfer 2020; Liebendörfer, 2018). Zumindest kurzfristig von derjenigen im deutschsprachigen Raum, da sich wird das Ziel einer regelmäßigen Auseinanderset- dort die Lehre stark an standardisierten Lehrbüchern zung mit den Inhalten also durch die Pflichtabgabe orientiert. bewirkt. Lösungsansätze zu Übungsaufgaben werden Die Pflichtabgabe hat im Mathematikstudium zudem außerdem häufig in Gruppen entwickelt oder disku- ähnlich wie in der Schule Auswirkungen auf affek- tiert, sogar wenn die Abgabe einzeln erfolgen muss tive Variablen. Die Aufgabenbearbeitung wird sehr (Liebendörfer, 2018, Kapitel 9.3.3; Metzger, 2011). häufig mit dem intensiven Erleben von Emotionen Allerdings ist bekannt, dass bei Pflichtabgabe die auf verbunden, das sowohl motivationsförderlich als die Übungsblätter ausgerichteten Arbeitsweisen der auch hinderlich sein kann (Liebendörfer, 2018, insb. Studierenden nicht immer lernförderlich sind, insbe- Kapitel 10.3.2): In positiven Fällen wird dem durch sondere bei Überforderung. Beispielsweise sind das die Pflichtabgabe erzeugten Druck aufgrund der Abschreiben von fremden Lösungen und die Suche Übereinstimmung mit den persönlichen Zielen Wert- nach Quellen sehr verbreitet (Göller, 2020; Lieben- schätzung entgegengebracht und eine intensive Aus- dörfer, 2018; Liebendörfer & Göller, 2016a) und so einandersetzung führt zum Erleben von Kompetenz erhaltene Lösungen werden oft nicht vollständig und Selbstbestimmung während der Aufgabenbear- nachvollzogen. Auch wenn sich die Studierenden beitung. Diese beiden Faktoren gelten als zentral für also durch die Pflichtabgabe viel mit den Aufgaben die Entstehung intrinsischer Motivation (Deci & beschäftigen, ist fraglich, ob aus der Verpflichtung Ryan, 1993). In negativen Fällen überwiegen Frust- ein intensiveres Lernen und damit auch eine bessere ration und ein erlebter Mangel an Kompetenz und Klausurvorbereitung resultiert. Selbstbestimmung, insbesondere, wenn die Aufga- ben nicht selbständig gelöst werden können. Dieser Diesbezügliche Forschungsarbeiten gibt es nach un- Fall überwog zumindest in der genannten qualitati- serer Recherche nicht, allerdings gibt es an US-ame- ven Arbeit und Hinweise auf eine überwiegend un- rikanischen Hochschulen und außerhalb eines Fach- selbständige Bearbeitung finden sich auch bei Rach bzw. Lehramtsstudiums Hinweise auf einen positiven und Heinze (2013) und Göller (2020). Bemerkens- Effekt. Die Studie von Cartledge und Sasser (1981) wert sind allerdings Andeutungen, dass einige Stu- zeigt eine leicht bessere Leistung in einem Posttest dierende in der Studieneingangsphase einen gewis- der Treatment-Gruppe mit Pflichtabgabe gegenüber sen Druck durch die Lehrenden wünschen, wie an der Kontrollgruppe ohne Abgabe im Bereich der ele- englischen Hochschulen ohne Pflichtabgabe festge- mentaren Algebra. Ein Experiment an einer amerika- stellt wurde (Brown et al., 2005). nischen Universität im Bereich der Mathematik für Elektrotechniker (Trussell & Dietz, 2003), in wel- Affektive Auswirkungen sind deshalb besonders be- chem die Studierenden in demselben Modul in zwei achtenswert, weil die Mathematik unter allen Stu- Gruppen, eine mit und eine ohne Pflichtabgabe, ein- dienfächern die höchsten Studienabbruchquoten auf- geteilt wurden, deutete in einem ersten Durchgang weist (Heublein & Schmelzer, 2018) und diese nicht zunächst ebenfalls auf einen positiven Zusammen- nur stark durch Leistungsprobleme, sondern auch hang zwischen Pflichtabgabe und Prüfungserfolg hin. durch mangelnde Motivation erklärt werden (Heub- Relativiert wird dieses Ergebnis allerdings durch he- lein et al., 2010). Die möglicherweise durch die terogene Eingangsvoraussetzungen der beiden Grup- Pflichtabgabe begründeten negativen Emotionen pen; zudem konnte eine Wiederholung des Experi- könnten also den Studienabbruch begünstigen. Ande- ments im Folgesemester die Ergebnisse nicht bestäti- rerseits könnte die erzwungene regelmäßige Beschäf- gen. Die Studie von Kaw & Yalcin (2011) zeigt im tigung mit den Lerninhalten die Leistungsprobleme Gegensatz dazu bei einer Lehrveranstaltung über nu- verringern und dadurch den Studienverbleib begüns- merische Methoden für Ingenieurwissenschaften kei- tigen. nen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Ab- Insgesamt ergibt sich ein unbefriedigendes Bild des gabetyp von Hausaufgaben (freiwillig, Aufgabe einer derzeitigen Forschungsstands zur Wirkung der oder mehrerer Aufgaben) und dem Klausurerfolg. Pflichtabgabe. Ob die Erkenntnisse aus der Schule, Die genannten Studien beziehen sich allerdings auf dass regelmäßige, nicht überfordernde und nicht zu Module, die überwiegend auf das Erlernen von Kal- lange Aufgaben als besonders hilfreich einzustufen külfertigkeiten abzielen und somit kaum Beweisauf- sind, übertragbar sind, kann nicht gesagt werden. Be- gaben thematisieren, zudem gehen die Bewertungen deutende Unterschiede betreffen die deutlich selb- der Abgaben an US-amerikanischen Hochschulen oft ständigeren Lernenden, die ihr Studium selbst ge- in die Modulabschlussnote ein. Bei einem solchen wählt haben, die Tatsache, dass das selbstgesteuerte System wird auch die freiwillige Abgabe stärker mo- Lernen ohnehin eine viel größere Rolle an der Hoch- tiviert, was den Unterschied zur Pflichtabgabe schule einnimmt, und die an Hochschulen deutlich schmälern könnte. Auch die Gestaltung von Lehrver- anstaltungen und Übungsmaterial unterscheidet sich 3
math.did. 44(2021)2 umfangreicheren und anspruchsvolleren Übungsauf- (ebenfalls gemäß Selbsteinschätzung) derjenigen je- gaben (verglichen mit schulischen Hausaufgaben). doch etwas schwächer (r=.26, p
R. Krapf & M. Liebendörfer Die Elementarmathematik vom höheren Standpunkt 2) Welche Auswirkungen hat die Pflichtabgabe der besteht aus einer zweistündigen Vorlesung und einer Übungsblätter ebenfalls zweistündigen Übung und es wird seit dem a) auf die Teilnahmequote an der Klausur? Wintersemester 2017/18 zusätzlich ein freiwilliges b) auf den Klausurerfolg der Studierenden? zweistündiges Tutorium angeboten, welches neben kurzen Präsenzaufgaben als Vorbereitung für die 5. Stichprobe, Datenerhebung und Aus- Übung eine methodische Unterstützung bei der Bear- wertung beitung der Übungsblätter bieten soll (Krapf, 2019). Im Übungsbetrieb wird zwischen den beiden obigen 5.1 Umfrage zu den Einstellungen der Stu- Gruppen differenziert, um auf die besonderen Be- dierenden dürfnisse der entsprechenden Zielschulart einzuge- Um für Forschungsfrage 1 die Einstellung der Studie- hen. Diese Differenzierung wird ebenfalls seit dem renden zur Studienleistung zu erfassen, wurde in der Wintersemester 2017/18 umgesetzt. letzten Vorlesungswoche des Wintersemesters Bis zum Sommersemester 2018 war die Abgabe der 2018/19 während der Vorlesung eine Paper-and-Pen- Übungsblätter zur Korrektur freiwillig, ab dem Win- cil-Umfrage in der Vorlesung Elementarmathematik tersemester 2018/19 mussten die Studierenden eine vom höheren Standpunkt unter allen Studierenden Studienleistung bestehen, bei der das Erreichen von durchgeführt. Dabei wurde die Papier-Evaluation ge- 50 % aller im gesamten Semester erreichbaren wählt, da diese eine höhere Rücklaufquote als eine Punkte auf den Übungsblättern erforderlich war. Zu- Online-Befragung verspricht (Lütkenhöner, 2012). dem wurden den Studierenden Bonuspunkte für das Die Studierenden wurden darüber aufgeklärt, dass Lösen einer freiwilligen Rätselaufgabe und für das die Ergebnisse für hochschuldidaktische Forschung Bestehen eines wöchentlichen Online-Tests gewährt. verwendet werden, und die Teilnahme war freiwillig. Für diejenigen Studierenden, die die Veranstaltung Die Zuordnung der persönlichen Daten erfolgte über bereits zu einem früheren Zeitpunkt belegt hatten, einen anonymisierten Code, sodass niemand bei galt eine einsemestrige Übergangsregelung, gemäß Nicht-Teilnahme negative Konsequenzen befürchten welcher die Pflichtabgabe für sie entfiel. musste. Die so erhaltenen Daten stammen von 117 Die Vorlesung wurde im Untersuchungszeitraum be- Studierenden, davon waren 72,6 % weiblich und das stehend aus den Wintersemestern 2017/18 und Durchschnittsalter betrug 20 Jahre. Die durchschnitt- 2018/19 sowie dem Sommersemester 2018 von der- liche Abiturnote unter den Teilnehmenden der Um- selben Dozentin, nämlich der Erstautorin des vorlie- frage war 2,4 und der Durchschnitt der letzten schu- genden Artikels, gehalten, und die Vorlesungsinhalte lischen Mathematiknote war 2,3. Fast zwei Drittel sowie die Gestaltung des Übungsbetriebs blieben im (64,8 %) der Studierenden haben einen Leistungs- gesamten Untersuchungszeitraum gleich. kurs im Fach Mathematik besucht. Bis auf zwei Stu- dierende handelte es sich ausschließlich um Lehr- 4. Forschungsfragen amtsstudierende, darunter 59,4 % mit Zielschulart Grundschule. Ein Anteil von 75,8 % studierte im ers- Vor diesem Hintergrund wurde die Umstellung auf ten Fachsemester und 11,1 % im zweiten Semester; eine Pflichtabgabe als Quasi-Experiment begriffen somit belegten lediglich 13,1 % ein höheres Semes- und analysiert. Basierend auf den Überlegungen zur ter. Obwohl es sich nur bei rund drei Viertel der Stu- Wirkung der Pflichtabgabe auf das Studienerleben, dierenden um Erstsemestrige handelte, belegten das fachliche Lernhandeln und die Kooperation der 91,2 % die Elementarmathematik vom höheren Studierenden sowie zur Wirkung auf die Teilnahme Standpunkt zum ersten Mal. Zu beachten ist, dass ge- an und Leistung in der ersten Klausur sollen folgende mäß dem Online-Portal KLIPS der Universität Kob- Forschungsfragen beantwortet werden: lenz-Landau insgesamt 281 Studierende für die Vor- 1) Welche Einstellung bringen die Studierenden der lesung angemeldet waren. Diese Zahl umfasst aller- Pflichtabgabe entgegen? Insbesondere: dings auch Studierende, die an keiner einzigen Lehr- a) Welche Wirkung hat die Pflichtabgabe nach veranstaltung teilgenommen haben und sich zum Teil der Einschätzung der Studierenden? möglicherweise nur zur Überbrückung der Wartezeit b) Inwieweit wird die Pflichtabgabe generell auf einen anderen, zulassungsbeschränkten Studien- befürwortet? gang eingeschrieben haben (Berndtsen et al., 2016). c) Inwieweit wird die Pflichtabgabe mit inten- Der Anteil dieser Studierenden ist internen Quellen siverem Lernen während des Semesters ver- zufolge an der Universität Koblenz-Landau bei zulas- bunden? sungsfreien Studiengängen besonders hoch. d) Halten die Studierenden die Pflichtabgabe Die Studierenden wurden zunächst in einer offenen für eine wirksame Klausurvorbereitung? Frage („Welche Wirkung hat die Pflichtabgabe auf 5
math.did. 44(2021)2 Ihren Lernprozess Ihrer Meinung nach?“) aufgefor- wurde ab dann auch in der Klausur nach Schulart dif- dert, die Wirkung der Studienleistung zu beurteilen ferenziert, wobei dennoch etwas mehr als die Hälfte (Forschungsfrage 1a)). Die Auswertung erfolgte ge- der Aufgaben (knapp 60 % der Aufgaben) für alle mäß der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring gleich waren. Studierende nach der Übergangsrege- (2010) durch induktive Bildung disjunkter Katego- lung durften sich, wie in der alten Prüfungsordnung, rien. Als Kodiereinheiten fungierten größtenteils die Klausurvariante frei aussuchen. Sätze sowie durch Konjunktionen oder Aufzählungs- Pro Semester wurden jeweils zwei Klausurtermine zeichen getrennte Teilsätze. Insgesamt wurden so angeboten, wobei das Anforderungsniveau an beiden 164 Items von zwei unabhängigen Kodierern kodiert. Terminen vergleichbar sein sollte. Da die Teilneh- Dabei hat der erste Kodierer die induktive Kategori- merzahl am zweiten Termin in allen Fällen gering enbildung vorgenommen. Zur Prüfung der Interco- ausgefallen ist, wurden die Ergebnisse beider Ter- der-Übereinstimmung hat der zweite Kodierer die mine zusammengefasst. Dabei wurden diejenigen Kodiereinheiten den vom ersten Kodierer gebildeten Studierenden, die die Klausur am ersten Termin nicht Kategorien erneut zugeordnet. Dies ergab den sehr bestanden hatten, beim zweiten Termin jedoch schon, guten Wert 0,85 der Intercoder-Übereinstimmung, als erfolgreich gewertet. Zwischen Studierenden, die gemessen an Cohen’s Kappa (Döring & Bortz, 2016, lediglich an einem Termin teilgenommen hatten und S. 346 f.). Durch konsensuelles Kodieren wurde die durchgefallen sind, und denjenigen, die an beiden endgültige Kodierung basierend auf den beiden Ko- Terminen durchgefallen sind, wird im Folgenden dierungen erstellt. nicht unterschieden. Weiter sollten die Studierenden auf 4-stufigen Likert- Die Klausuren des gesamten Untersuchungszeit- Skalen von 0 bis 3 angeben, ob sie die Pflichtabgabe raums enthielten jeweils einen gemeinsamen Kern an sinnvoll finden (Forschungsfrage 1b)), durch die Standardaufgaben, welcher in ähnlicher Form in al- Pflichtabgabe die Übungsblätter regelmäßiger bear- len Klausuren enthalten war und für beide Zielgrup- beitet, häufiger zur Korrektur abgegeben und sich pen gleich ist. Diese Standardaufgaben umfassen et- insgesamt mit ihnen intensiver befasst hätten (For- was mehr als die Hälfte der Klausuraufgaben. Ein schungsfrage 1c)) und ob sie sich durch die Pflich- Beispiel für einer solchen Standardaufgabe im Som- tabgabe besser auf die Klausur vorbereitet fühlten mersemester 2018 findet sich in Abb. 1. Die entspre- (Forschungsfrage 1d)). Die genaue Formulierung der chende Aufgabe zum Thema Induktion im Winterse- geschlossenen Fragen findet sich in Abschnitt 6. mester 2018/19 findet sich in Abb. 2. 5.2 Vergleich der Klausurergebnisse Zur Beantwortung von Forschungsfrage 2 wurden die Beweisen Sie: Für alle ∈ ℕ gilt 47|72 − 2 . Teilnehmerzahlen der Klausuren sowie die Klau- surergebnisse vor (Wintersemester 2017/18 und Abb. 1: Induktionsaufgabe im Sommersemester 2018 Sommersemester 2018) und nach der Einführung der Studienleistung (Wintersemester 2018/19) einander gegenübergestellt. Unterschiede zwischen den Jahr- Beweisen Sie: Für alle ∈ ℕ gilt gängen bezüglich der erbrachten Leistung könnten 9|10 + 3 ⋅ 4 +2 + 5. jedoch schon aufgrund der unterschiedlichen Klausu- ren bestehen (wobei auch identische Klausuren für einen Vergleich nicht unproblematisch wären). Um Abb. 2: Induktionsaufgabe im Wintersemester 2018/19 für einschätzen zu können, inwieweit die Klausuren ver- beide Zielgruppen gleichbare Leistungserhebungen darstellten, wird da- Zudem waren die klausurrelevanten Themen der her im Folgenden ausgeführt, inwiefern die Klausu- Vorlesung (Logik, Beweismethoden, Mengenlehre, ren vergleichbar oder unterschiedlich waren. Relationen und Funktionen) in allen Semestern für Bis zum Sommersemester 2018 absolvierten alle Stu- beide Zielgruppen dieselben. Die grundschulspezfi- dierenden dieselbe Klausur. Dabei gab es von jeweils schen Aufgaben hatten jedoch oft einen stärkeren zwei von sechs Aufgaben pro Klausur zwei schultyp- Alltagsbezug oder einen stärkeren visuellen Fokus. spezifische Varianten, bei denen die Studierenden Exemplarisch sind je eine Aufgabe zu Relationsei- ihre bevorzugte Variante auswählen durften. In den genschaften für Grundschulstudierende (Abb. 3 und meisten Fällen wählten die Studierenden die ihrem für Studierende des Lehramts weiterführender Schu- Schultyp entsprechende Variante. Da für eine Diffe- len (Abb. 4) aus der ersten Klausur im Wintersemes- renzierung nach Schultyp in der Klausur eine Ände- ter 2018/19 dargestellt. rung der Prüfungsordnung erforderlich war, welche erst im Wintersemester 2018/19 umgesetzt wurde, 6
R. Krapf & M. Liebendörfer 6. Ergebnisse der Studierendenbefra- (c) Überprüfen Sie die folgende Relation auf der gung Menge aller Menschen auf Reflexivität, Symmetrie Die Ergebnisse zur offenen Frage nach der Wirkung und Transitivität: der Pflichtabgabe (Forschungsfrage 1a)) enthalten ∼ : ⟺ ist der Bruder von oder ist überwiegend positive Beschreibungen. Eine Kurzfas- die Schwester von . sung dieser findet sich auch im Artikel von Krapf (2020). Das vollständige Kategoriensystem samt An- kerbeispielen findet sich im Anhang. Am häufigsten Abb. 3: Aufgabe zu Relationseigenschaften für Studie- genannt wurden eine intensivere Auseinandersetzung rende mit Zielschulart Grundschule mit dem Vorlesungsstoff (21 Nennungen), eine ver- besserte Klausurvorbereitung (19 Nennungen), sowie (c) Beweisen Sie, dass die folgende Relation eine ein, oftmals explizit positiv konnotierter, Zwang sich Äquivalenzrelation auf ℝ definiert: mit Vorlesungsinhalten auseinanderzusetzen und die Übungsblätter überhaupt zu bearbeiten (je 17 Nen- ∼ : ⟺ 3 − 3 = 3 − 3 . nungen). So schreibt beispielsweise eine Person „Durch die Pflichtabgabe ist man gezwungen, sich Abb. 4: Aufgabe zu Relationseigenschaften für Studie- mit dem Stoff auseinanderzusetzen, was für mich rende des Lehramts weiterführender Schulen persönlich gut war.“ und eine andere äußert sich wie Die für die Grundschulstudierenden konzipierte Auf- folgt: „Ich denke es gibt viele, die die Blätter nicht gabe mag auf den ersten Blick einfacher wirken, weil bearbeiten würden, wenn es freiwillig wäre.“ Viele es sich um eine in der natürlichen Sprache formu- Studierenden geben zudem an, dass die Pflichtabgabe lierte Relation handelt, dennoch gilt es zu beachten, zu regelmäßigerem und kontinuierlicherem Lernen dass, im Gegensatz zur Aufgabe für die weiterführen- führt (ebenfalls 17 Nennungen). Bemerkenswert ist den Schulen, die Behauptung erst ermittelt werden auch eine eher geringe Anzahl an Äußerungen zum muss. Durch den Junktor „oder“ gewinnt die Aufgabe Feedback. Nur sieben Studierende erwähnen einen zudem aus logischer Sicht an Komplexität. Die Auf- positiven Effekt der Rückmeldung durch die Korrek- gabe für das weiterführende Lehramt setzt dafür die tur, drei Äußerungen betreffen die Selbstreflexion. Kenntnis der Definition einer Äquivalenzrelation vo- Die am meisten genannten negativen Aspekte sind raus. Diese in Abb. 5 und 6 illustrierte zielgruppen- ein erhöhter Stresspegel (8 Nennungen) und eine spezifische Gestaltung einiger Klausuraufgaben war Überforderung aufgrund von Schwierigkeit oder bereits in der Form von Wahlaufgaben vor der Ände- Umfang der Übungsblätter (7 Nennungen). Interes- rung der Prüfungsordnung, d. h. vor dem Winterse- sant ist des Weiteren, dass lediglich drei Studierende mester 2018/19, implementiert. Weiterhin ist zu be- angaben, dass die Pflichtabgabe zu einer unselbst- merken, dass das Notenschema in allen Klausuren ständigen Bearbeitung der Übungen führt; darunter gleich war und der Notenschnitt in keiner der Klau- äußerten zwei Studierende, dass sich bei der Abgabe suren nachträglich angepasst wurde. in Gruppen nicht alle gleichermaßen am Bearbei- Zusammengefasst lässt sich also feststellen, dass die tungsprozess beteiligen, und eine Person gab an, auf- einzige Änderung im Übergang vom Sommersemes- grund der Pflichtabgabe zum Abschreiben gezwun- ter 2018 zum Wintersemester 2018/19 neben der Ein- gen zu sein. Beispielsweise schreibt ein Studierender führung der Pflichtabgabe die zusätzliche Einschrän- zur Abgabe in Gruppen: „[…] zum anderen verleitet kung war, dass zielgruppenspezifische Klausuraufga- die Pflichtabgabe auch dazu, dass nur der, der es ben nicht mehr in der Form von Wahlaufgaben um- ‚wirklich verstanden‘ hat, die Aufgaben bearbeitet gesetzt waren und der Anteil dieser Aufgaben leicht und meist keine Zeit findet es den anderen zu erklä- erhöht wurde (zusätzlich 4 von 48 Punkten). Aus die- ren“. Abb. 5 zeigt die Häufigkeit der einzelnen Kate- sem Grund kann eine deutliche Veränderung der gorien. Dabei sind die negativen Aspekte jeweils Klausurergebnisse einen ersten Hinweis auf die Wir- dunkel markiert; insgesamt betrifft dies 26 von 164 kung der verpflichtenden Abgabe von Übungsaufga- Kodiereinheiten. ben zur Korrektur auf den Klausurerfolg bieten. 7
math.did. 44(2021)2 25 21 19 20 17 17 17 15 Häufigkeit 10 8 8 7 7 7 6 5 5 4 5 3 3 3 2 2 1 1 1 0 Abb. 5: Auswertung der offenen Frage nach der Wirkung der Pflichtabgabe beitung und häufige Abgabe der Blätter. Die Studie- Die Ergebnisse der geschlossenen Fragen sind in Ta- renden halten die Pflichtabgabe zudem überwiegend belle 1 dargestellt. Die Mittelwerte liegen alle deut- für eine gute Klausurvorbereitung (Forschungsfrage lich oberhalb des theoretischen Skalenmittels von 1d)). Diese Befunde decken sich mit den Ergebnissen 1,5. Zunächst zeigt sich, dass die Studierenden stark der offenen Frage, bei welcher eine intensivere und überwiegend einer generellen Pflichtabgabe zustim- regelmäßige Auseinandersetzung sowie eine verbes- men (Forschungsfrage 1 b)), 93,2 % von ihnen befür- serte Klausurvorbereitung besonders häufig genannt worteten die Studienleistung grundsätzlich, darunter wurden. 74,4 % sogar stark. Item M SD 7. Vergleich der Klausurergebnisse Ich halte die Pflichtabgabe der 2.65 0.69 In Tabelle 2 sind die Anzahl der Studienanfängerin- Übungsblätter für sinnvoll. nen und -anfänger und die Anzahl der Teilnehmen- Ohne die Pflichtabgabe hätte ich die 2.22 1.03 den an den Klausuren in den drei Semestern des Un- Übungsblätter weniger regelmäßig be- arbeitet. tersuchungszeitraums dargestellt. Bei den Studienan- Ohne die Pflichtabgabe hätte ich die 2.21 1.00 fängerzahlen ist zu beachten, dass die Lehramtsstu- Übungsblätter weniger häufig zur Kor- dierenden aller Zielschularten zusammengefasst rektur abgegeben. sind. Dies liegt daran, dass sich die Studierenden an Durch die Pflichtabgabe habe ich mich 2.58 0.67 der Universität Koblenz-Landau erst im 5. Semester intensiver mit den Übungsblättern be- definitiv für eine Schulart entscheiden müssen, wes- fasst. wegen keine getrennten Statistiken geführt werden; Durch die Pflichtabgabe fühle ich mich 2.22 0.85 besser auf die Klausur vorbereitet. außer in der Mathematik belegen dabei alle Lehr- amtsstudierenden in den ersten vier Semestern in den Tab. 1: Mittelwert (M) und Standardabweichung (SD) zu gewählten Fächern dieselben Lehrveranstaltungen. den Items für Forschungsfrage 1 auf einer vierstu- figen Likert-Skala (von 0 bis 3). Im Sommersemester sind die Anfängerzahlen jeweils geringer als im Wintersemester, weswegen insbeson- Weiter wird auch ein deutlich intensiveres Lernen dere die Zahlen der beiden Wintersemester einander während des Semesters ersichtlich (Forschungsfrage gegenübergestellt werden sollen. 1c)), insbesondere eine intensivere Befassung mit den Übungsblättern, aber auch die regelmäßige Bear- 8
R. Krapf & M. Liebendörfer WiSe 2017/18 SoSe 2018 WiSe 2018/19 Studienanfängerin- LA Mathematik 194 93 193 nen und Math. Modell. 3 0 6 -anfänger 2 7 2 8 2-Fach-Bachelor Insgesamt 204 95 207 Teilnehmende an Insgesamt Grundschule 31 50 88 Klausuren Sonstige 48 36 59 Darunter im 1. Grundschule 25 23 59 Semester Sonstige 42 19 46 Tab. 2: Vergleich von Studienanfänger- und Klausurteilnehmerzahlen nach Semester. Ein Vergleich zeigt, dass die Anzahl Erstsemestriger, Teilneh- Best.- Noten- die an der Klausur teilgenommen haben, trotz kon- mende quote schnitt stanter Anfängerzahlen um über 50 % gestiegen ist. LA Grundschule (1. 23 47,8 % 3,5 Dabei ist insbesondere ein starker Zuwachs der Stu- Sem.) dierenden mit Zielschulart Grundschule festzustel- LA Weiterführende 19 57,9 % 3,6 Schulen (1. Sem.) len; bei dieser Gruppe hat sich die Anzahl Klausur- Gemischt (höhere 44 47,7 % 3,5 teilnehmer im ersten Semester sogar mehr als ver- Semester) doppelt. Insgesamt 86 50,0 % 3,5 Während es sich vor der Einführung der Pflichtab- Tab. 4: Klausurstatistiken im Sommersemester 2018. gabe um eine gemeinsame Klausur mit zielgruppen- Die entsprechenden Klausurstatistiken im Winterse- spezifischen Wahlaufgaben handelte, so entfiel die mester 2018/19, d. h. nach der Einführung der Wahlmöglichkeit für Studierende nach der neuen Pflichtabgabe sowie ohne Wahlmöglichkeiten für Prüfungsordnung ab dem Wintersemester 2018/19. Studierende nach der neuen Prüfungsordnung, finden Daher gab es in diesem Semester drei verschiedene sich in Tabelle 5. Gruppen: Lehramtsstudierende mit Zielschulart Grundschule nach der neuen Prüfungsordnung, Stu- Teilneh- Best.- Noten- dierende der Lehrämter weiterführender Schulen mende quote schnitt (inkl. Bachelor of Science Mathematische Modellie- LA Grundschule 59 62,7 % 3,4 rung und Zwei-Fach-Bachelor mit Fach Mathematik) (neue PO) nach der neuen Prüfungsordnung sowie Studierende LA Weiterführende 46 69,6 % 3,3 aller Studiengänge nach der alten Prüfungsordnung Schulen (neue PO) (d. h. mit freier Wahl zwischen den beiden Klausur- Gemischt (alte PO) 42 40,5 % 3,3 Insgesamt 147 58,5 % 3,4 versionen). Da es sich bei den Studierenden nach der neuen Prüfungsordnung fast ausschließlich um Erst- Tab. 5: Klausurstatistiken im Wintersemester 2018/19. semestrige handelt3, werden die Studierenden zwecks Ein Vergleich der Bestehensquote der Erstsemestri- Vergleichbarkeit auch in den beiden vorangehenden gen vor und nach der Einführung der Pflichtabgabe Semestern in drei Gruppen eingeteilt (Erstsemestrige zeigt, dass diese Bestehensquote für beide Zielgrup- mit Zielschulart Grundschule, Erstsemestrige mit pen (d. h. Lehramt Grundschule sowie Lehramt wei- Zielschulart weiterführende Schulen, sowie Höherse- terführender Schulen) um über zehn Prozentpunkte mestrige aller Zielschularten). Die Teilnehmerzah- im Vergleich mit den vorangehenden Semestern ge- len, Bestehensquoten und der Notendurchschnitt der- stiegen ist. Schwankungen bei den Klausurergebnis- jenigen Studierenden, die die Klausur bestanden ha- sen waren zwar auch zwischen dem Wintersemester ben, vor der Einführung der Pflichtabgabe sind in Ta- 2017/18 und dem Sommersemester 2018 vorhanden, bellen 3 und 4 dargestellt. allerdings nur um ca. fünf Prozentpunkte, wobei die Klausur im Sommersemester 2018 für Grundschul- Teilneh- Best.- Noten- mende quote schnitt studierende schlechter, für die anderen allerdings LA Grundschule (1. 25 52,0 % 3,5 besser ausfiel als diejenige im Wintersemester Sem.) 2017/18. Die Bestehensquote insgesamt hat sich im LA Weiterführende 42 52,3 % 3,2 Wintersemester 2018/19 im Vergleich mit den Vor- Schulen (1. Sem.) semestern ebenfalls deutlich verbessert. Die Studie- Gemischt (höhere 12 41,6 % 3,6 renden im Wintersemester 2018/19 nach der alten Semester) Prüfungsordnung (d. h. mit Wahlklausur) schnitten Insgesamt 79 51,3 % 3,4 deutlich schlechter ab als die Studierenden nach der Tab. 3: Klausurstatistiken im Wintersemester 2017/18. neuen Prüfungsordnung mit über 20 Prozentpunkten weniger bei der Bestehensquote. Die Gruppe der Stu- dierenden in höheren Semestern schnitt zwar auch in 9
math.did. 44(2021)2 den beiden vorangehenden Semestern jeweils signi- kenswert, als die jeweils Befragten sich zwar vorstel- fikant schlechter ab als die Erstsemestrigen, aller- len konnten, wie das jeweils andere Studienmodell dings hat sich dieser Unterschied deutlich gesteigert. wohl wäre, es aber überwiegend nicht erlebt haben. Dass sich die Bestehensquote der höhersemestrigen Interessant wäre es auch, die Einstellungen von Stu- Studierenden sogar leicht verschlechtert hat, weist dierenden zu erfassen, die beide Systeme erlebt ha- darauf hin, dass der Effekt kaum primär durch eine ben. Im Rahmen dieser Studie war dies allerdings vereinfachte Klausur zustande gekommen ist. nicht möglich, da für Wiederholer*innen eine Über- gangsregelung zutraf. Bemerkenswert ist auch, dass, während die Beste- hensquote gestiegen ist, sich der Notendurchschnitt 8.2 Vergleich der Klausurergebnisse jedoch kaum verändert hat. Dies liegt daran, dass im Vergleich mit den vorangehenden Semestern anteilig Forschungsfragen 2a) nach der Teilnahmequote und mehr Studierende mit Noten im befriedigenden und 2b) nach dem Erfolg bei der Klausur als Auswirkung ausreichenden Bereich bestanden haben. Die Anzahl der eingeführten Pflichtabgabe lassen sich ebenfalls Studierender mit einer Note von 2,0 oder besser war positiv beantworten. Die Teilnahmezahl ist nach der in allen Semestern und Klausurversionen jeweils ein- Einführung der Pflichtabgabe von 79 auf 147 Studie- stellig, was in allen Versionen einem Anteil von unter rende in absoluten Zahlen deutlich gestiegen. Der 5 % entspricht. Anstieg der Klausurteilnahmezahlen ist sowohl auf eine gestiegene Anzahl an Studierenden aus höheren 8. Diskussion Semestern zurückzuführen, überwiegend aber auf eine größere Teilnahmequote von Erstsemestrigen. Um die Frage nach der Wirkung verpflichtender Während von diesen vor der Einführung der Pflich- Übungsaufgaben in der Hochschulmathematik stär- tabgabe knapp ein Drittel an der Klausur teilgenom- ker aufzuklären, wurde die Umstellung von freiwilli- men hatte, war es nach der Einführung der Pflichtab- ger Abgabe auf Pflichtabgabe unter ansonsten weit- gabe die Hälfte. Die Anfängerzahl in den beiden gehender Beibehaltung der Rahmenbedingungen ei- Wintersemestern ist praktisch konstant geblieben, so- ner einführenden Mathematikveranstaltung am Cam- dass wir keine veränderten Zahlen bei eingeschriebe- pus Koblenz der Universität Koblenz-Landau unter- nen Studierenden mit oder ohne ernsthaftes Studien- sucht. Die Ergebnisse betreffen sowohl Antworten interesse in Mathematik annehmen. von Studierenden auf eine offene Frage und weitere geschlossene Fragen sowie Statistiken zur Teilnahme Auch die Bestehensquote ist um gut 7 Prozentpunkte und zum Erfolg an der Klausur. gestiegen, wie man im Vergleich von Tabelle 3 und Tab. 5 sieht. Der Anstieg lässt sich auf diejenigen 8.1 Umfrage zu den Einstellungen zur Stu- Studierenden zurückführen, die das Modul zum ers- dienleistung ten Mal belegten und für die daher die Abgabe ver- pflichtend war. Er ist im Grundschullehramt mit gut Die Antworten auf Forschungsfrage 1 sind überwie- 10 Prozentpunkten noch etwas geringer als bei Stu- gend positiv. Die Studierenden verbinden die Pflich- dierenden des weiterführenden Lehramts mit gut 17 tabgabe mit erhöhtem Lernerfolg (Forschungsfrage Prozentpunkten. Dies ist ein Indiz dafür, dass sich die 1a)), und befürworten stark überwiegend dieses Mo- Verbesserung nicht, oder zumindest nur teilweise, dell (Forschungsfrage 1b)). auf eine vereinfachte Grundschulklausur zurückfüh- Auf der Handlungsebene wird von den Studierenden ren lässt. eine deutlich intensivere und auch regelmäßigere In Kombination sind die Befunde zu den Forschungs- Auseinandersetzung mit den Vorlesungsinhalten und fragen 2a) und 2b) besonders bemerkenswert. Anzu- den Übungsblättern im Semester beschrieben, kaum nehmen ist ja, dass vor allem diejenigen Studierenden aber wenig hilfreiche Umgehungsstrategien wie das der Klausur fernbleiben, die entweder ihr Studium Abschreiben (Forschungsfrage 1c)). Passend dazu der Mathematik nicht weiter ernsthaft verfolgen oder wird die Pflichtabgabe auch als wirksame Klausur- die Klausur nach eigener Einschätzung nicht beste- vorbereitung eingeschätzt (Forschungsfrage 1d)), hen würden. Eine Ausweitung der Klausurteilnahme was sowohl die Auswertung der offenen als auch der bei höherem Erfolg spricht stark dafür, dass Studie- geschlossenen Fragen zeigt. Die überwältigende rende stärker motiviert oder qualifiziert wurden (oder Mehrheit der befragten Studierenden schätzt die beides). Pflichtabgabe als eine sinnvolle Maßnahme ein, was den Befund aus der Umfrage im Sommersemester 2017 (Krapf, 2018) bekräftigt, gemäß welcher knapp die Hälfte der Studierenden die Einführung der Pflichtabgabe befürwortete. Dies ist insofern bemer- 10
R. Krapf & M. Liebendörfer 8.3 Stärken und Grenzen der Studie Für ein echtes Quasi-Experiment kommen zudem die Studierenden nach der Übergangsregelung als Kon- Eine klare Stärke der Studie liegt in der ökologischen trollgruppe nicht infrage, da es sich bei dieser Gruppe Validität. Bei überwiegend vergleichbaren Rahmen- um eine Negativselektion handelt. Von ihnen hatten bedingungen (identische Dozentin und Inhalte, weit- 64,3% bereits einen oder zwei Fehlversuche4. Außer- gehend vergleichbare Klausur, keine Selbstselektion dem haben sie den Stoff zum zweiten Mal präsentiert der Teilnehmenden) wurde die Pflichtabgabe variiert bekommen, was schon an sich einen erheblichen Un- und die beobachteten Variablen zu Akzeptanz, Klau- terschied ausmacht. surteilnahme und Klausurerfolg stellen für die Praxis hoch relevante Größen dar. Zudem können solche Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass in Systemumstellungen nur selten durchgeführt werden. den geschlossenen Fragen keine negativen Effekte der Pflichtabgabe, wie beispielsweise Abschreiben, Die Begleitforschung in der realen Situation bringt Stress oder Überforderung, abgefragt wurden. Nach- aber auch Einschränkungen mit sich. Bei der Um- träglich lässt sich das nicht ändern und eine erneute frage unter den Studierenden ist aufgrund der Prä- Umstellung des Lehrsystems ist nicht möglich. In zu- senzdurchführung in der letzten Vorlesung von Se- künftigen Studien sollten solche Effekte berücksich- lektionseffekten auszugehen. Vermutlich wurden tigt werden. überwiegend Studierende erreicht, die mit dem je- weiligen Lehrsystem besonders gut zurechtkamen. Um die verbesserten Prüfungsleistungen wirklich auf Die Überschneidung der Teilnehmenden an Vorle- die Einführung der Studienleistung zurückzuführen, sung und Klausur ist jedoch hoch; unter den Abwe- müsste man ausschließen, dass die positiven Klau- senden befanden sich insbesondere einige Wiederho- surergebnisse durch eine vereinfachte Klausur, insbe- lende. Die Einstellungen der Studienabbrecherinnen sondere für die Grundschulstudierenden, zustande und -abbrecher zur Pflichtabgabe konnten bei dieser gekommen sind. Hierzu ist anzumerken, dass die Dif- Erhebung allerdings nicht erfasst werden. ferenzierung nach Schultyp ab dem Wintersemester 2018/19 die Klausuren je nach Schultyp etwas weni- Zudem sind die Studierenden zwar ohne (bewusste) ger als die Hälfte der Aufgaben betraf und auch zuvor eigene Wahl in den beiden Lehrformen gelandet, eine bereits in der Form von Wahlaufgaben implementiert Randomisierung liegt aber nicht vor. Daher können war. Da die Klausur für Grundschulstudierende, an- die Kohorten unterschiedliche Merkmale tragen, die ders als in den beiden vorangehenden Semestern, die Ergebnisse ebenfalls erklären könnten. Insbeson- schlechter ausgefallen ist als diejenige für weiterfüh- dere verfügten die Studierenden in den drei Semes- rende Schulen, ist davon auszugehen, dass die Diffe- tern des Untersuchungszeitraums über unterschiedli- renzierung den Schwierigkeitsgrad für die Grund- che Eingangsvoraussetzungen. So lag der Abitur- schulklausur kaum gesenkt hat. Zudem sind die schnitt der Studienanfängerinnen und -anfänger im Struktur und die Aufgabentypen für die Klausur für Wintersemester 2017/18 bei 2,63, im Sommersemes- weiterführende Schulen mit denjenigen der Klausu- ter 2018 bei 2,86 und im Wintersemester 2018/19 bei ren in den beiden Vorsemestern vergleichbar und ge- 2,55. Der Unterschied zwischen den Wintersemes- rade diese Gruppe konnte hinsichtlich der Bestehens- tern liegt bei etwa einem Achtel einer Standardab- quote einen besonders starken Zuwachs verbuchen. weichung in Rheinland-Pfalz (vgl. KMK, 2018) und Wir nehmen daher an, dass die Einführung der wirkt daher gering, aber nennenswert. Er lässt sich Pflichtabgabe tendenziell zu besseren Lernergebnis- auch nicht durch einen insgesamt gestiegenen Abitur- sen führt. schnitt erklären, da sich im Land Rheinland-Pfalz der Abiturschnitt in den letzten Jahren nur geringfügig 8.4 Theoretische Implikationen verbessert hat. Ein Vergleich mit früheren Semestern zeigt auch, dass die Eingangsvoraussetzungen der Die Ergebnisse sichern keine Kausalität, deuten aber Studienanfängerinnen und -anfänger im Lehramt insgesamt darauf hin, dass die Pflichtabgabe sowohl Mathematik an der Universität Koblenz-Landau, positiv aufgenommen wird als auch positiv auf die Campus Koblenz, im Wintersemester jeweils deut- Leistung wirkt. Die Steigerung der Bestehensquote lich besser sind als im Sommersemester. Dass sich steht im Einklang mit den Ergebnissen der Studien die Abiturnote als guter Prädikator für den Erfolg im von Cartledge und Sasser (1981) sowie Trussell und Mathematikstudium erweist, wurde in der Literatur Dietz (2003). Dabei scheint, wenn man sich an den bereits umfangreich dokumentiert (Blömeke, 2009; Antworten auf die offene Frage orientiert, vor allem Rach & Heinze, 2017). Es scheint dennoch nicht die gesteigerte regelmäßige Beschäftigung mit den plausibel, dass die berichteten Ergebnisse allein auf Inhalten für den Erfolg verantwortlich. Zusammen diesem Unterschied gründen. mit der Arbeit von Ufer (2015) wird somit die empi- rische Basis für die Annahme gestärkt, dass die Be- 11
math.did. 44(2021)2 schäftigung mit den Aufgaben nicht nur Ausdruck ei- das Abschreiben maßgeblich durch eine Überforde- ner hohen Leistungsfähigkeit ist, sondern auch die rung mit den Übungsaufgaben ausgelöst (Liebendör- Leistungsfähigkeit verbessert. Aus lerntheoretischer fer & Göller 2016b). Sicht ist ohnehin zu erwarten, dass die regelmäßigere Bemerkenswert ist zudem, dass zwar mehr Studie- Bearbeitung der Übungsblätter während des Semes- rende die Klausur bestanden haben, sich die Noten ters das erlernte Wissen festigt und eine nachhaltige der Leistungsspitze aber nicht nennenswert verändert Wirkung erzielt. Zu vermuten (und auch zu prüfen) haben. Dies könnte sich im Einklang mit den bisheri- wäre nun die Annahme, dass durch die Pflichtabgabe gen Überlegungen daraus erklären, dass die Pflich- insgesamt mehr solche Auseinandersetzungen mit tabgabe vor allem für die Studierenden wirkt, die dem Inhalt stattfinden und nicht etwa eigene Lern- durch die Aufgaben passend herausgefordert wurden, handlungen nur ersetzt werden. Die gestiegene Leis- während leistungsstärkere Studierende kaum profi- tungsfähigkeit könnte dann auch die gestiegene Klau- tierten. surteilnahme erklären, sind doch Leistungsprobleme bekannt als Hauptgrund für den Studienabbruch in 8.5 Bedeutung für die Praxis MINT-Fächern (Heublein et al., 2010). Implikationen für die Praxis lassen sich auf Grund- Motivational scheinen die positiven Effekte der lage dieser einen Studie und der bestehenden metho- Pflichtabgabe die negativen Effekte wie zusätzliche dischen und theoretischen Unsicherheiten nur als Frustration und Abschreiben im Endeffekt zu über- Empfehlungen vor einem sehr vagen Wissen geben. wiegen, wie schon die Verteilung von positiven und Die Entscheidung für oder gegen eine Pflichtabgabe negativen Effekten bei der subjektiven Einschätzung kann aber oft nicht auf eine gründliche Erforschung der Wirkung der Pflichtabgabe nahelegt. Auffällig im warten, sie gehört zum Handlungsspielraum, den Vergleich mit qualitativen Arbeiten (Göller, 2020; Lehrende grundsätzlich haben und jederzeit irgend- Liebendörfer und Göller, 2016b; Liebendörfer, 2018) wie nutzen. Daher geben wir im Folgenden Empfeh- sind die geringen Verbindungen zu Stress, Überfor- lungen, wohlwissend, dass weitere Forschung zu an- derung und dem Abschreiben von Übungsaufgaben. deren Ergebnissen führen kann. Zu vermuten ist, dass möglicherweise das Niveau der Aufgaben selbst und jedenfalls ihre Vorbereitung Die hohe Akzeptanz unter den Studierenden und die durch Präsenzübungen dazu führen, dass mehr Stu- positiven Ergebnisse bei der Klausurteilnahme und dierende die Hausaufgaben selbständig bearbeiten beim Klausurerfolg führen uns zu dem Schluss, dass können. Allerdings wäre es theoretisch und metho- eine Pflichtabgabe empfehlenswert ist. Zumindest disch durchaus plausibel, dass es Studierende gibt, scheinen verpflichtende Aufgaben mit einem mäßi- die negative Auswirkungen gespürt haben und sich gen Anforderungsniveau gegenüber einer freiwilli- genau deshalb nicht an der Befragung beteiligt haben. gen Abgabe im Vorteil. Hier liegen wichtige Hinweise für die Frage, wie pau- Die Frage nach dem Niveau der Herausforderung ist schal der Pflichtabgabe eine positive Wirkung zuge- aber aus zwei Gründen nicht zu beantworten. Zum ei- schrieben werden kann. Die Ergebnisse deuten eine nen fehlen Kenntnisse, ob dieses Niveau wirklich wie Übertragbarkeit der Befunde aus der Schule an, dass vermutet mit der Wirkung der Pflichtabgabe zusam- Aufgaben wirksam sind, die herausfordern ohne zu menhängt. Zum anderen aber läge, falls dem so wäre, überfordern (Dettmers et al., 2011). Darin mag in der in der Wahl des Niveaus eine (normative) Entschei- untersuchten Veranstaltung ein großer Unterschied dung für die besondere Förderung einer Leistungs- zum traditionellen Fach- und Gymnasiallehramtsstu- schicht zuungunsten der anderen. Ob z. B. der Förde- dium liegen, bei dem von der Mehrheit der Studie- rung einer Leistungsspitze oder der Förderung leis- renden eine gewisse Überforderung mit den Aufga- tungsschwächerer Studierender der Vorzug gegeben ben und nur selten eine wirklich selbständige Bear- wird, müssen Lehrende vor ihren eigenen Lehrzielen beitung berichtet wird (Liebendörfer & Göller, (z. B. Ausbildung wissenschaftlichen Nachwuchses 2016b; Rach & Heinze, 2013). Inwieweit stärker her- im Fach, Vermeidung von Studienabbruch) selbst ausfordernde Varianten der Pflichtabgaben im Ver- entscheiden. gleich mit einer freiwilligen Abgabe ebenfalls moti- vations- oder lernförderlich sind, kann aufgrund der 8.6 Offene Fragen vorliegenden Daten nicht gesagt werden. Zumindest Die Studie regt weitere Forschung im Bereich der muss aber mit deutlich eingeschränktem Erleben von Pflichtabgabe an. So wurde das Feedback, das Stu- Kompetenz und Autonomie gerechnet werden (Lie- dierende auf ihre Abgaben erhalten, in der vorliegen- bendörfer, 2018), was der Motivation sehr abträglich den Studie nur von sieben Studierenden als positiv ist (Deci & Ryan, 1993). Auch muss damit gerechnet erwähnt. Hinzu kommen drei Äußerungen zur Selbst- werden, dass Lernhandlungen nicht mehr so stark auf reflexion durch die Bewertungen. Methodisch be- die Wissenserweiterung gerichtet werden, wird doch 12
R. Krapf & M. Liebendörfer dingt lässt sich nicht klären, ob die meisten Studie- bel, 2003; Smolinsky et al., 2019; Halcrow & Dun- renden lernförderliches Feedback nur nicht berichtet nigan, 2012). Ein Vorteil der Online-Abgabe gegen- oder gar nicht erst erhalten haben. Hierzu müsste man über der handgeschriebenen Abgabe ist ein unmittel- die Qualität des gegebenen Feedbacks einschätzen bares Feedback, welches allerdings in der Regel we- und daraufhin die Wahrnehmung überprüfen. Die niger detailliert und differenziert ist. Gerade bei Be- Qualität des Feedbacks ist insgesamt ein wenig be- weisaufgaben, bei welchen die schriftliche Darstel- achteter Ansatzpunkt, der aber bedeutend scheint. In lung in der mathematischen Symbolsprache zentral einem Lehrversuch mit Feedback in der Mathematik- ist, scheint es jedoch unmöglich, gänzlich auf die lehramtsausbildung wurde z. B. die ausführlichere handschriftliche Abgabe zu verzichten. Mit Blick auf Kommentierung der Übungsblätter von Studierenden den Korrekturaufwand wäre weiter wissenswert, ob zu 90 % positiv aufgenommen (Biehler et al., 2012). sich die Pflichtabgabe in Gruppen bezüglich ihrer Eine enge Anleitung der Tutorinnen und Tutoren mit Wirkung von der Pflicht zur Einzelabgabe unter- dem Fokus der Rückmeldungen auf den Lernzielen, scheidet. dem Fortschritt und konkreten nächsten Schritten scheint allerdings notwendig (Püschl et al., 2016). Fazit Feedback zählt zu den bedeutendsten Erklärungen Ein Quasi-Experiment gibt einen ersten Hinweis, von Leistung im Bildungsbereich (Hattie & Timper- dass die Einführung der Pflichtabgabe zu einer Aus- ley, 2007) und hat sich in den USA als Unterschei- weitung der Klausurteilnahme bei erhöhter Beste- dungsmerkmal sehr erfolgreicher Hochschulen in der hensquote führen könnte. Die Frage nach der Wir- Mathematik erwiesen (Ellis et al., 2015). Insofern kung der Pflichtabgabe wird von den Studierenden wäre zu prüfen, ob Feedback einen Teil der Wirkung überwiegend positiv beantwortet; insbesondere eine der Pflichtabgabe erklären kann, oder ob geeignetes intensivere Auseinandersetzung mit Vorlesungsin- Feedback diese Wirkung weiter steigern könnte. halten und Übungsblättern, regelmäßigeres und kon- Interessant zu wissen wäre außerdem, wie sich die tinuierliches Lernen sowie eine verbesserte Klausur- Einführung der Studienleistung in einem einzigen vorbereitung wurden häufig genannt. Die vorliegen- Modul auf das Lernverhalten und die Klausurergeb- den Daten sichern allerdings keine Kausalität, zudem nisse in anderen Modulen auswirkt. So konnten zwei- könnten negative Nebenwirkungen existieren, die erlei sich gegenseitig widersprechende Effekte im nicht erfasst wurden. Dennoch spricht zumindest Gespräch mit Dozierenden festgestellt werden. Ei- manches für die Einführung oder Beibehaltung der nerseits, führte die Pflichtabgabe in der Elementar- Pflichtabgabe. mathematik vom höheren Standpunkt zu einer stärke- ren Fokussierung auf dieses Modul im Vergleich mit Anmerkungen Parallelveranstaltungen. Insofern scheinen negative 1 Nebeneffekte bezüglich anderer Lehrveranstaltungen Eine nicht repräsentative Sammlung verschiedener Vari- anten der Pflichtabgabe an verschiedenen Hochschulen plausibel. Inwieweit eine gleichzeitig verstärkte aus dem Wintersemester 2012/13 findet sich unter extrinsische Motivation in allen Modulen global po- https://zapf.wiki/WiSe12_AK_Kontrolle (abgerufen am sitive oder negative Effekte hätte, ist offen. Anderer- 10.12.2019). seits nahmen Dozierende von Folgeveranstaltungen 2 Unter den Studierenden mit einer Note von 2,0 oder bes- mit freiwilliger Abgabe höhere Abgabequoten sowie ser befinden sich über alle Klausuren verteilt jedoch mehr eine gestiegene Sorgfältigkeit bei der schriftlichen Studierende des Lehramts weiterführender Schulen (inkl. Ausarbeitung wahr. Ob sich solche Beobachtungen Mathematische Modellierung und 2-Fach-Bachelor). verallgemeinern lassen, ist ebenfalls offen. 2 Unter dem Zwei-Fach-Bachelor ist ein nicht-lehramtsbe- Auch verschiedene Varianten der verpflichtenden zogener Bachelorstudiengang mit zwei gleichwertigen Fä- Bearbeitung wöchentlicher Aufgaben und alternative chern zu verstehen. 3 Formen wie digitale Übungsaufgaben oder mehrere Unter den Studierenden, die die Klausur nach der neuen über das Semester verstreute Kurzklausuren, die in Prüfungsordnung absolvierten, befanden sich zwei Studie- rende in einem höheren Semester, die jedoch das Modul jüngerer Zeit an verschiedenen Hochschulen erprobt zum ersten Mal belegten. werden, sollten dem hier getesteten Modell in Unter- 4 suchungen gegenübergestellt werden. In der Service- Jede Klausur darf maximal zweimal wiederholt werden. Nach drei Fehlversuchen gilt die Klausur als endgültig Mathematik, in der weniger Gewicht auf dem Prob- nicht bestanden. lemlösen und Beweisen liegt, scheinen beispiels- weise digitale Aufgaben vielversprechend. Einigen Studien zufolge kann die Online-Bewertung von kal- külorientierten Übungsaufgaben einen vergleichba- ren bis höheren Lerneffekt erzielen (Hirsch & Wei- 13
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