Was bewirkt die Pflichtabgabe von Übungsaufgaben in der Hochschul-mathematik? - Ein empirischer Vergleich - mathematica didactica

Die Seite wird erstellt Helene-Antonia Ehlers
 
WEITER LESEN
Was bewirkt die Pflichtabgabe von Übungsaufgaben in der Hochschul-
mathematik? – Ein empirischer Vergleich

REGULA KRAPF, BONN; MICHAEL LIEBENDÖRFER, PADERBORN

Zusammenfassung: An vielen Hochschulen müssen
 Dazu wird in diesem Abschnitt zuerst die Rolle von
Studierende im Fach Mathematik ihre Übungsblätter
 Übungsblättern und ihrer Abgabe an deutschen
zur Korrektur abgeben und eine gewisse Punktzahl
 Hochschulen skizziert, bevor beschrieben wird, wel-
erreichen. Allerdings wird die Abgabepflicht gele-
 che Wirkungen von Hausaufgaben in der Schule be-
gentlich infrage gestellt, nicht zuletzt wegen des ho-
 kannt sind. Anschließend wird der Stand der For-
hen Korrekturaufwands. Eine Abgabepflicht wurde
 schung an Hochschulen beschrieben. Jedoch muss
in einer Erstsemester-Lehrveranstaltung für Lehr-
 angemerkt werden, dass zwar Wirkungen auf die
amtsstudierende mit Fach Mathematik aller Ziel-
 Lernleistung und affektive Variablen beschrieben
schularten im Wintersemester 2018/19 an einer deut-
 werden können, aber zur Frage nach dem Studienver-
schen Universität neu eingeführt. Dieser Artikel do-
 bleib bzw. dem Studientempo keine Ergebnisse be-
kumentiert in der Folge eine deutlich erhöhte Klaus-
 richtet werden können.
urteilnahme bei gestiegener Bestehensrate und somit
höherem Klausurerfolg, sowie die Ergebnisse einer 1.1 Status quo an deutschen Hochschulen
Studierendenbefragung, die eine hohe Akzeptanz und
positive Bewertung einer Pflichtabgabe seitens der Mathematikveranstaltungen an Hochschulen beste-
Studierenden lieferte. Inwieweit dadurch Indizien für hen üblicherweise aus einer Vorlesung und einer
eine positive Wirkung der Pflichtabgabe gegeben Übung. Während in der Vorlesung die zentralen In-
sind, wird diskutiert. halte vermittelt werden, werden im Übungsbetrieb
 die neu erlernten Konzepte anhand von Beispielen
Abstract: In many universities, mathematics students veranschaulicht und vertieft. Dies geschieht in der
are requested to hand-in weekly assignments and re- Regel durch ein Übungsblatt, welches innerhalb einer
ceive a certain grading. This duty is questioned Woche bearbeitet werden muss und in der darauffol-
sometimes, e.g. due to the high demand of grading genden Übungsstunde besprochen wird. Ein wichti-
time. At a German University, such a duty was newly ges Ziel des Übungsbetriebs besteht darin, dass die
introduced in a first-semester lecture for students Studierenden typische Merkmale mathematischer Er-
training to be mathematics teachers on all school kenntnisentwicklung exemplarisch an Kernthemen
forms in the winter semester 2018/19. This paper der Mathematik erleben und reflektieren (vgl. Fi-
documents a substantially higher participation in the scher, 2013). In vielen Veranstaltungen ist es üblich,
final exam as well as better success rates. Further, dass die Studierenden ihre Lösungen der Übungsblät-
results of a student survey show a high acceptance ter zur Korrektur abgeben; entweder freiwillig oder
and positive evaluation of the newly introduced duty. in der Form einer Pflichtabgabe. Die Abgabe soll
We discuss to what extent this provides evidence for dazu führen, dass sich die Studierenden intensiv und
a positive effect of this duty. vor allem regelmäßig mit den Aufgaben auseinander-
 setzen und dabei ein wöchentliches Feedback erhal-
1. Die Rolle verpflichtender Aufgaben ten, durch welches sie sich laufend verbessern kön-
 beim Lernen von Mathematik nen. Dies ist insbesondere für die Beherrschung des
 mathematischen Formalismus der Hochschulmathe-
Das Mathematiklernen in Schule und Hochschule ist matik hilfreich, welcher eine präzise Formulierung in
eng mit der Bearbeitung von Aufgaben verbunden, der Symbolsprache verlangt; denn eine mathemati-
die einen großen Teil der Lernzeit einnimmt. Aufga- sche Aufgabe ist erst dann vollständig gelöst, wenn
ben stellen also ein wichtiges Element im Lernpro- sie auch formal korrekt aufgeschrieben ist. Durch die
zess dar. Im Gegensatz zu z. B. individuellen Lern- Abgabe der Übungsblätter kann zudem sogenanntem
voraussetzungen können Lehrende sowohl die In- „Bulimie-Lernen“ kurz vor der Klausur im Idealfall
halte als auch den Modus, in dem Aufgaben bearbei- vorgebeugt werden, da die Studierenden die Vorle-
tet werden (müssen), recht frei festlegen. Umso über- sungsinhalte durch die Bearbeitung der Übungsblät-
raschender ist, dass relativ wenig dazu bekannt ist, ter bereits während des Semesters verinnerlichen.
wie dieser Handlungsspielraum optimal genutzt wird.
Der vorliegende Beitrag will für das Lernen an Hoch- Oftmals ist es zugelassen, die Übungsblätter zu zweit
schulen die Frage aufklären, welche Auswirkungen oder in Kleingruppen abzugeben; dies soll nicht nur
die verpflichtende Abgabe wöchentlicher Übungs- eine Sparmaßnahme der Hochschule darstellen, son-
aufgaben hat. dern durch die Gruppenarbeit auch den Austausch

mathematica didactica 44(2021)2, online first 1
math.did. 44(2021)2
unter Studierenden und damit auch die mathemati- 2007). Weiter scheinen die Effekte in höheren Klas-
sche Kommunikation fördern. Das Arbeiten in Grup- senstufen größer auszufallen (Cooper, Robinson &
pen wird daher zumindest in gewissem Ausmaß auch Patall, 2006).
empfohlen (z. B. Alcock, 2017, Kapitel 10.8). Zu be-
 Hausaufgaben wirken sich aber auch auf affektive
achten ist auch, dass es große Unterschiede in der Ge-
 Variablen aus. Insbesondere uninteressante, schlecht
staltung der Pflichtabgabe sowohl zwischen als auch
 vorbereitete oder überfordernde Aufgaben können zu
innerhalb von Hochschulen gibt:1 Während an vielen
 negativen Emotionen führen (Dettmers et al., 2011),
Hochschulen ein festgelegter Prozentsatz, in der Re-
 die geringere Leistungszuwächse erklären. Schüler
gel ca. 40-60%, an Punkten auf den Übungsblättern
 und Schülerinnen, die lange an den Aufgaben sitzen,
zur Klausurzulassung erzielt werden muss, so gibt es
 verlieren zudem eher das Interesse am Fach (Traut-
auch Bestimmungen, gemäß welchen Übungsblätter
 wein et al., 2001). Damit stellen sich Hausaufgaben
lediglich „sinnvoll bearbeitet“ werden müssen, oder
 in der Schule als Instrument dar, das besonders dann
welche zur Punktvergabe ein verpflichtendes Vor-
 effektiv ist, wenn regelmäßig Aufgaben gegeben
rechnen vorsehen. Manche Hochschulen verwenden
 werden, die nicht überfordernd sind und in begrenzter
auch ein „Ankreuzsystem“, bei dem Studierende in
 Zeit vollständig abgearbeitet werden können.
der Übung jeweils angeben müssen, welche Aufgabe
sie nach eigenem Ermessen richtig gelöst haben und 1.3 Wirkungen von Übungsaufgaben an
daher vorrechnen können. Des Weiteren werden die Hochschulen
auf den Blättern erzielten Punkte an einigen Hoch-
schulen als Bonuspunkte auf die Klausur angerech- Ergebnisse aus dem schulischen Kontext sind empi-
net; dieses System ist insbesondere an amerikani- risch vergleichsweise gut abgesichert, lassen sich
schen Hochschulen verbreitet. Ein Überblick über die aufgrund der unterschiedlichen Rolle von Übungs-
verschiedenen Abgabesysteme und deren Verbrei- aufgaben in den beiden Settings aber nur bedingt auf
tung ist nach dem derzeitigen Forschungsstand aller- den Hochschulkontext übertragen. Während in der
dings nicht vorhanden. Schule das Lernen hauptsächlich in den Schulstunden
 stattfindet, so verlagert sich dieses in Hochschulen
Die verpflichtende Abgabe der Übungsaufgaben ist deutlich stärker ins Bearbeiten von Übungsblättern
dabei nach unserem Wissensstand besonders im außerhalb von Lehrveranstaltungen, welches in der
Fachstudium und Lehramtsstudium sehr verbreitet, Regel mindestens gleich viel Zeit in Anspruch nimmt
wird aber gelegentlich infrage gestellt. In der Ser- wie die Präsenzveranstaltungen selbst (Briedis et al.,
vice-Mathematik ist sie ohnehin weniger verbreitet. 2008).
Typische Argumente gegen die Pflichtabgabe betref-
fen den hohen Korrekturaufwand und damit verbun- Ufer (2015) konnte für das Mathematikstudium zei-
dene Kosten sowie die Vermutung, dass eine ernst- gen, dass Studierende, die freiwillig Übungsblätter
hafte Auseinandersetzung mit den Inhalten bei vielen bearbeitet haben, bessere Klausurnoten erreichen.
Studierenden auch durch eine verpflichtende Abgabe Die Auseinandersetzung mit den Aufgaben hängt
nicht erreicht wird. auch bei verpflichtenden Aufgaben sehr eng mit dem
 Modulerfolg zusammen, z. B. wenn man beim Ab-
1.2 Wirkungen von Hausaufgaben in der schreiben fremder Lösungen versucht, sie nachzu-
 Schule vollziehen (Rach & Heinze, 2013, 2017). Insofern
 findet die zu erwartende positive Wirkung der Auf-
Hausaufgaben sind in der Schule allgegenwärtig. Im
 gabenbearbeitung auf den Lernerfolg an der Hoch-
Anschluss an den Unterricht sollen sie eine weitere
 schule Bestätigung. Offen bleibt aber, ob schon die
Auseinandersetzung mit den Lerninhalten bewirken
 Entscheidung zur Aufgabenbearbeitung ein Indikator
und dadurch zu einem verstärkten Lernzuwachs füh-
 für Kompetenz ist, z. B. weil die Aufgaben nicht als
ren. Groß angelegte empirische Studien konnten
 überfordernd wahrgenommen werden, oder ob der
nachweisen, dass die Bearbeitung der Hausaufgaben
 Prozess der Bearbeitung die Leistungssteigerung er-
dann intensiver ist, wenn die Aufgaben persönlich als
 klärt, der auch extrinsisch motiviert werden kann.
interessant und gut vorbereitet wahrgenommen wer-
den (Dettmers et al., 2011). Diese Bearbeitung erklärt Eine verpflichtende Abgabe hat zudem weitere Aus-
Leistungszuwächse, die besonders hoch sind, wenn wirkungen. Die Literatur zeigt, dass die Pflichtab-
die Aufgaben zwar generell anspruchsvoll, aber nicht gabe das Handeln der Studierenden erheblich struk-
persönlich überfordernd sind. Dabei erweisen sich turiert, z. B. orientiert sich schon der Wochenablauf
vor allem häufig gegebene aber nicht lange Hausauf- an den Ausgabe- und Abgabedaten der Aufgaben und
gaben als lernförderlich (Trautwein et al., 2001, die Lernhandlungen werden stark, manchmal aus-
 schließlich an den Aufgaben ausgerichtet (Göller,

2
R. Krapf & M. Liebendörfer
2020; Liebendörfer, 2018). Zumindest kurzfristig von derjenigen im deutschsprachigen Raum, da sich
wird das Ziel einer regelmäßigen Auseinanderset- dort die Lehre stark an standardisierten Lehrbüchern
zung mit den Inhalten also durch die Pflichtabgabe orientiert.
bewirkt. Lösungsansätze zu Übungsaufgaben werden
 Die Pflichtabgabe hat im Mathematikstudium zudem
außerdem häufig in Gruppen entwickelt oder disku-
 ähnlich wie in der Schule Auswirkungen auf affek-
tiert, sogar wenn die Abgabe einzeln erfolgen muss
 tive Variablen. Die Aufgabenbearbeitung wird sehr
(Liebendörfer, 2018, Kapitel 9.3.3; Metzger, 2011).
 häufig mit dem intensiven Erleben von Emotionen
Allerdings ist bekannt, dass bei Pflichtabgabe die auf verbunden, das sowohl motivationsförderlich als
die Übungsblätter ausgerichteten Arbeitsweisen der auch hinderlich sein kann (Liebendörfer, 2018, insb.
Studierenden nicht immer lernförderlich sind, insbe- Kapitel 10.3.2): In positiven Fällen wird dem durch
sondere bei Überforderung. Beispielsweise sind das die Pflichtabgabe erzeugten Druck aufgrund der
Abschreiben von fremden Lösungen und die Suche Übereinstimmung mit den persönlichen Zielen Wert-
nach Quellen sehr verbreitet (Göller, 2020; Lieben- schätzung entgegengebracht und eine intensive Aus-
dörfer, 2018; Liebendörfer & Göller, 2016a) und so einandersetzung führt zum Erleben von Kompetenz
erhaltene Lösungen werden oft nicht vollständig und Selbstbestimmung während der Aufgabenbear-
nachvollzogen. Auch wenn sich die Studierenden beitung. Diese beiden Faktoren gelten als zentral für
also durch die Pflichtabgabe viel mit den Aufgaben die Entstehung intrinsischer Motivation (Deci &
beschäftigen, ist fraglich, ob aus der Verpflichtung Ryan, 1993). In negativen Fällen überwiegen Frust-
ein intensiveres Lernen und damit auch eine bessere ration und ein erlebter Mangel an Kompetenz und
Klausurvorbereitung resultiert. Selbstbestimmung, insbesondere, wenn die Aufga-
 ben nicht selbständig gelöst werden können. Dieser
Diesbezügliche Forschungsarbeiten gibt es nach un-
 Fall überwog zumindest in der genannten qualitati-
serer Recherche nicht, allerdings gibt es an US-ame-
 ven Arbeit und Hinweise auf eine überwiegend un-
rikanischen Hochschulen und außerhalb eines Fach-
 selbständige Bearbeitung finden sich auch bei Rach
bzw. Lehramtsstudiums Hinweise auf einen positiven
 und Heinze (2013) und Göller (2020). Bemerkens-
Effekt. Die Studie von Cartledge und Sasser (1981)
 wert sind allerdings Andeutungen, dass einige Stu-
zeigt eine leicht bessere Leistung in einem Posttest
 dierende in der Studieneingangsphase einen gewis-
der Treatment-Gruppe mit Pflichtabgabe gegenüber
 sen Druck durch die Lehrenden wünschen, wie an
der Kontrollgruppe ohne Abgabe im Bereich der ele-
 englischen Hochschulen ohne Pflichtabgabe festge-
mentaren Algebra. Ein Experiment an einer amerika-
 stellt wurde (Brown et al., 2005).
nischen Universität im Bereich der Mathematik für
Elektrotechniker (Trussell & Dietz, 2003), in wel- Affektive Auswirkungen sind deshalb besonders be-
chem die Studierenden in demselben Modul in zwei achtenswert, weil die Mathematik unter allen Stu-
Gruppen, eine mit und eine ohne Pflichtabgabe, ein- dienfächern die höchsten Studienabbruchquoten auf-
geteilt wurden, deutete in einem ersten Durchgang weist (Heublein & Schmelzer, 2018) und diese nicht
zunächst ebenfalls auf einen positiven Zusammen- nur stark durch Leistungsprobleme, sondern auch
hang zwischen Pflichtabgabe und Prüfungserfolg hin. durch mangelnde Motivation erklärt werden (Heub-
Relativiert wird dieses Ergebnis allerdings durch he- lein et al., 2010). Die möglicherweise durch die
terogene Eingangsvoraussetzungen der beiden Grup- Pflichtabgabe begründeten negativen Emotionen
pen; zudem konnte eine Wiederholung des Experi- könnten also den Studienabbruch begünstigen. Ande-
ments im Folgesemester die Ergebnisse nicht bestäti- rerseits könnte die erzwungene regelmäßige Beschäf-
gen. Die Studie von Kaw & Yalcin (2011) zeigt im tigung mit den Lerninhalten die Leistungsprobleme
Gegensatz dazu bei einer Lehrveranstaltung über nu- verringern und dadurch den Studienverbleib begüns-
merische Methoden für Ingenieurwissenschaften kei- tigen.
nen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Ab-
 Insgesamt ergibt sich ein unbefriedigendes Bild des
gabetyp von Hausaufgaben (freiwillig, Aufgabe einer
 derzeitigen Forschungsstands zur Wirkung der
oder mehrerer Aufgaben) und dem Klausurerfolg.
 Pflichtabgabe. Ob die Erkenntnisse aus der Schule,
Die genannten Studien beziehen sich allerdings auf
 dass regelmäßige, nicht überfordernde und nicht zu
Module, die überwiegend auf das Erlernen von Kal-
 lange Aufgaben als besonders hilfreich einzustufen
külfertigkeiten abzielen und somit kaum Beweisauf-
 sind, übertragbar sind, kann nicht gesagt werden. Be-
gaben thematisieren, zudem gehen die Bewertungen
 deutende Unterschiede betreffen die deutlich selb-
der Abgaben an US-amerikanischen Hochschulen oft
 ständigeren Lernenden, die ihr Studium selbst ge-
in die Modulabschlussnote ein. Bei einem solchen
 wählt haben, die Tatsache, dass das selbstgesteuerte
System wird auch die freiwillige Abgabe stärker mo-
 Lernen ohnehin eine viel größere Rolle an der Hoch-
tiviert, was den Unterschied zur Pflichtabgabe
 schule einnimmt, und die an Hochschulen deutlich
schmälern könnte. Auch die Gestaltung von Lehrver-
anstaltungen und Übungsmaterial unterscheidet sich
 3
math.did. 44(2021)2
umfangreicheren und anspruchsvolleren Übungsauf- (ebenfalls gemäß Selbsteinschätzung) derjenigen je-
gaben (verglichen mit schulischen Hausaufgaben). doch etwas schwächer (r=.26, p
R. Krapf & M. Liebendörfer
Die Elementarmathematik vom höheren Standpunkt 2) Welche Auswirkungen hat die Pflichtabgabe der
besteht aus einer zweistündigen Vorlesung und einer Übungsblätter
ebenfalls zweistündigen Übung und es wird seit dem a) auf die Teilnahmequote an der Klausur?
Wintersemester 2017/18 zusätzlich ein freiwilliges b) auf den Klausurerfolg der Studierenden?
zweistündiges Tutorium angeboten, welches neben
kurzen Präsenzaufgaben als Vorbereitung für die 5. Stichprobe, Datenerhebung und Aus-
Übung eine methodische Unterstützung bei der Bear- wertung
beitung der Übungsblätter bieten soll (Krapf, 2019).
Im Übungsbetrieb wird zwischen den beiden obigen 5.1 Umfrage zu den Einstellungen der Stu-
Gruppen differenziert, um auf die besonderen Be- dierenden
dürfnisse der entsprechenden Zielschulart einzuge-
 Um für Forschungsfrage 1 die Einstellung der Studie-
hen. Diese Differenzierung wird ebenfalls seit dem
 renden zur Studienleistung zu erfassen, wurde in der
Wintersemester 2017/18 umgesetzt.
 letzten Vorlesungswoche des Wintersemesters
Bis zum Sommersemester 2018 war die Abgabe der 2018/19 während der Vorlesung eine Paper-and-Pen-
Übungsblätter zur Korrektur freiwillig, ab dem Win- cil-Umfrage in der Vorlesung Elementarmathematik
tersemester 2018/19 mussten die Studierenden eine vom höheren Standpunkt unter allen Studierenden
Studienleistung bestehen, bei der das Erreichen von durchgeführt. Dabei wurde die Papier-Evaluation ge-
50 % aller im gesamten Semester erreichbaren wählt, da diese eine höhere Rücklaufquote als eine
Punkte auf den Übungsblättern erforderlich war. Zu- Online-Befragung verspricht (Lütkenhöner, 2012).
dem wurden den Studierenden Bonuspunkte für das Die Studierenden wurden darüber aufgeklärt, dass
Lösen einer freiwilligen Rätselaufgabe und für das die Ergebnisse für hochschuldidaktische Forschung
Bestehen eines wöchentlichen Online-Tests gewährt. verwendet werden, und die Teilnahme war freiwillig.
Für diejenigen Studierenden, die die Veranstaltung Die Zuordnung der persönlichen Daten erfolgte über
bereits zu einem früheren Zeitpunkt belegt hatten, einen anonymisierten Code, sodass niemand bei
galt eine einsemestrige Übergangsregelung, gemäß Nicht-Teilnahme negative Konsequenzen befürchten
welcher die Pflichtabgabe für sie entfiel. musste. Die so erhaltenen Daten stammen von 117
Die Vorlesung wurde im Untersuchungszeitraum be- Studierenden, davon waren 72,6 % weiblich und das
stehend aus den Wintersemestern 2017/18 und Durchschnittsalter betrug 20 Jahre. Die durchschnitt-
2018/19 sowie dem Sommersemester 2018 von der- liche Abiturnote unter den Teilnehmenden der Um-
selben Dozentin, nämlich der Erstautorin des vorlie- frage war 2,4 und der Durchschnitt der letzten schu-
genden Artikels, gehalten, und die Vorlesungsinhalte lischen Mathematiknote war 2,3. Fast zwei Drittel
sowie die Gestaltung des Übungsbetriebs blieben im (64,8 %) der Studierenden haben einen Leistungs-
gesamten Untersuchungszeitraum gleich. kurs im Fach Mathematik besucht. Bis auf zwei Stu-
 dierende handelte es sich ausschließlich um Lehr-
4. Forschungsfragen amtsstudierende, darunter 59,4 % mit Zielschulart
 Grundschule. Ein Anteil von 75,8 % studierte im ers-
Vor diesem Hintergrund wurde die Umstellung auf ten Fachsemester und 11,1 % im zweiten Semester;
eine Pflichtabgabe als Quasi-Experiment begriffen somit belegten lediglich 13,1 % ein höheres Semes-
und analysiert. Basierend auf den Überlegungen zur ter. Obwohl es sich nur bei rund drei Viertel der Stu-
Wirkung der Pflichtabgabe auf das Studienerleben, dierenden um Erstsemestrige handelte, belegten
das fachliche Lernhandeln und die Kooperation der 91,2 % die Elementarmathematik vom höheren
Studierenden sowie zur Wirkung auf die Teilnahme Standpunkt zum ersten Mal. Zu beachten ist, dass ge-
an und Leistung in der ersten Klausur sollen folgende mäß dem Online-Portal KLIPS der Universität Kob-
Forschungsfragen beantwortet werden: lenz-Landau insgesamt 281 Studierende für die Vor-
1) Welche Einstellung bringen die Studierenden der lesung angemeldet waren. Diese Zahl umfasst aller-
 Pflichtabgabe entgegen? Insbesondere: dings auch Studierende, die an keiner einzigen Lehr-
 a) Welche Wirkung hat die Pflichtabgabe nach veranstaltung teilgenommen haben und sich zum Teil
 der Einschätzung der Studierenden? möglicherweise nur zur Überbrückung der Wartezeit
 b) Inwieweit wird die Pflichtabgabe generell auf einen anderen, zulassungsbeschränkten Studien-
 befürwortet? gang eingeschrieben haben (Berndtsen et al., 2016).
 c) Inwieweit wird die Pflichtabgabe mit inten- Der Anteil dieser Studierenden ist internen Quellen
 siverem Lernen während des Semesters ver- zufolge an der Universität Koblenz-Landau bei zulas-
 bunden? sungsfreien Studiengängen besonders hoch.
 d) Halten die Studierenden die Pflichtabgabe Die Studierenden wurden zunächst in einer offenen
 für eine wirksame Klausurvorbereitung? Frage („Welche Wirkung hat die Pflichtabgabe auf

 5
math.did. 44(2021)2
Ihren Lernprozess Ihrer Meinung nach?“) aufgefor- wurde ab dann auch in der Klausur nach Schulart dif-
dert, die Wirkung der Studienleistung zu beurteilen ferenziert, wobei dennoch etwas mehr als die Hälfte
(Forschungsfrage 1a)). Die Auswertung erfolgte ge- der Aufgaben (knapp 60 % der Aufgaben) für alle
mäß der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring gleich waren. Studierende nach der Übergangsrege-
(2010) durch induktive Bildung disjunkter Katego- lung durften sich, wie in der alten Prüfungsordnung,
rien. Als Kodiereinheiten fungierten größtenteils die Klausurvariante frei aussuchen.
Sätze sowie durch Konjunktionen oder Aufzählungs-
 Pro Semester wurden jeweils zwei Klausurtermine
zeichen getrennte Teilsätze. Insgesamt wurden so
 angeboten, wobei das Anforderungsniveau an beiden
164 Items von zwei unabhängigen Kodierern kodiert.
 Terminen vergleichbar sein sollte. Da die Teilneh-
Dabei hat der erste Kodierer die induktive Kategori-
 merzahl am zweiten Termin in allen Fällen gering
enbildung vorgenommen. Zur Prüfung der Interco-
 ausgefallen ist, wurden die Ergebnisse beider Ter-
der-Übereinstimmung hat der zweite Kodierer die
 mine zusammengefasst. Dabei wurden diejenigen
Kodiereinheiten den vom ersten Kodierer gebildeten
 Studierenden, die die Klausur am ersten Termin nicht
Kategorien erneut zugeordnet. Dies ergab den sehr
 bestanden hatten, beim zweiten Termin jedoch schon,
guten Wert 0,85 der Intercoder-Übereinstimmung,
 als erfolgreich gewertet. Zwischen Studierenden, die
gemessen an Cohen’s Kappa (Döring & Bortz, 2016,
 lediglich an einem Termin teilgenommen hatten und
S. 346 f.). Durch konsensuelles Kodieren wurde die
 durchgefallen sind, und denjenigen, die an beiden
endgültige Kodierung basierend auf den beiden Ko-
 Terminen durchgefallen sind, wird im Folgenden
dierungen erstellt.
 nicht unterschieden.
Weiter sollten die Studierenden auf 4-stufigen Likert-
 Die Klausuren des gesamten Untersuchungszeit-
Skalen von 0 bis 3 angeben, ob sie die Pflichtabgabe
 raums enthielten jeweils einen gemeinsamen Kern an
sinnvoll finden (Forschungsfrage 1b)), durch die
 Standardaufgaben, welcher in ähnlicher Form in al-
Pflichtabgabe die Übungsblätter regelmäßiger bear-
 len Klausuren enthalten war und für beide Zielgrup-
beitet, häufiger zur Korrektur abgegeben und sich
 pen gleich ist. Diese Standardaufgaben umfassen et-
insgesamt mit ihnen intensiver befasst hätten (For-
 was mehr als die Hälfte der Klausuraufgaben. Ein
schungsfrage 1c)) und ob sie sich durch die Pflich-
 Beispiel für einer solchen Standardaufgabe im Som-
tabgabe besser auf die Klausur vorbereitet fühlten
 mersemester 2018 findet sich in Abb. 1. Die entspre-
(Forschungsfrage 1d)). Die genaue Formulierung der
 chende Aufgabe zum Thema Induktion im Winterse-
geschlossenen Fragen findet sich in Abschnitt 6.
 mester 2018/19 findet sich in Abb. 2.
5.2 Vergleich der Klausurergebnisse
Zur Beantwortung von Forschungsfrage 2 wurden die Beweisen Sie: Für alle ∈ ℕ gilt 47|72 − 2 .
Teilnehmerzahlen der Klausuren sowie die Klau-
surergebnisse vor (Wintersemester 2017/18 und Abb. 1: Induktionsaufgabe im Sommersemester 2018
Sommersemester 2018) und nach der Einführung der
Studienleistung (Wintersemester 2018/19) einander
gegenübergestellt. Unterschiede zwischen den Jahr- Beweisen Sie: Für alle ∈ ℕ gilt
gängen bezüglich der erbrachten Leistung könnten
 9|10 + 3 ⋅ 4 +2 + 5.
jedoch schon aufgrund der unterschiedlichen Klausu-
ren bestehen (wobei auch identische Klausuren für
einen Vergleich nicht unproblematisch wären). Um Abb. 2: Induktionsaufgabe im Wintersemester 2018/19 für
einschätzen zu können, inwieweit die Klausuren ver- beide Zielgruppen
gleichbare Leistungserhebungen darstellten, wird da- Zudem waren die klausurrelevanten Themen der
her im Folgenden ausgeführt, inwiefern die Klausu- Vorlesung (Logik, Beweismethoden, Mengenlehre,
ren vergleichbar oder unterschiedlich waren. Relationen und Funktionen) in allen Semestern für
Bis zum Sommersemester 2018 absolvierten alle Stu- beide Zielgruppen dieselben. Die grundschulspezfi-
dierenden dieselbe Klausur. Dabei gab es von jeweils schen Aufgaben hatten jedoch oft einen stärkeren
zwei von sechs Aufgaben pro Klausur zwei schultyp- Alltagsbezug oder einen stärkeren visuellen Fokus.
spezifische Varianten, bei denen die Studierenden Exemplarisch sind je eine Aufgabe zu Relationsei-
ihre bevorzugte Variante auswählen durften. In den genschaften für Grundschulstudierende (Abb. 3 und
meisten Fällen wählten die Studierenden die ihrem für Studierende des Lehramts weiterführender Schu-
Schultyp entsprechende Variante. Da für eine Diffe- len (Abb. 4) aus der ersten Klausur im Wintersemes-
renzierung nach Schultyp in der Klausur eine Ände- ter 2018/19 dargestellt.
rung der Prüfungsordnung erforderlich war, welche
erst im Wintersemester 2018/19 umgesetzt wurde,

6
R. Krapf & M. Liebendörfer
 6. Ergebnisse der Studierendenbefra-
(c) Überprüfen Sie die folgende Relation auf der gung
Menge aller Menschen auf Reflexivität, Symmetrie Die Ergebnisse zur offenen Frage nach der Wirkung
und Transitivität: der Pflichtabgabe (Forschungsfrage 1a)) enthalten
 ∼ : ⟺ ist der Bruder von oder ist überwiegend positive Beschreibungen. Eine Kurzfas-
 die Schwester von . sung dieser findet sich auch im Artikel von Krapf
 (2020). Das vollständige Kategoriensystem samt An-
 kerbeispielen findet sich im Anhang. Am häufigsten
Abb. 3: Aufgabe zu Relationseigenschaften für Studie- genannt wurden eine intensivere Auseinandersetzung
rende mit Zielschulart Grundschule mit dem Vorlesungsstoff (21 Nennungen), eine ver-
 besserte Klausurvorbereitung (19 Nennungen), sowie
(c) Beweisen Sie, dass die folgende Relation eine ein, oftmals explizit positiv konnotierter, Zwang sich
Äquivalenzrelation auf ℝ definiert: mit Vorlesungsinhalten auseinanderzusetzen und die
 Übungsblätter überhaupt zu bearbeiten (je 17 Nen-
 ∼ : ⟺ 3 − 3 = 3 − 3 . nungen). So schreibt beispielsweise eine Person
 „Durch die Pflichtabgabe ist man gezwungen, sich
Abb. 4: Aufgabe zu Relationseigenschaften für Studie-
 mit dem Stoff auseinanderzusetzen, was für mich
 rende des Lehramts weiterführender Schulen persönlich gut war.“ und eine andere äußert sich wie
Die für die Grundschulstudierenden konzipierte Auf- folgt: „Ich denke es gibt viele, die die Blätter nicht
gabe mag auf den ersten Blick einfacher wirken, weil bearbeiten würden, wenn es freiwillig wäre.“ Viele
es sich um eine in der natürlichen Sprache formu- Studierenden geben zudem an, dass die Pflichtabgabe
lierte Relation handelt, dennoch gilt es zu beachten, zu regelmäßigerem und kontinuierlicherem Lernen
dass, im Gegensatz zur Aufgabe für die weiterführen- führt (ebenfalls 17 Nennungen). Bemerkenswert ist
den Schulen, die Behauptung erst ermittelt werden auch eine eher geringe Anzahl an Äußerungen zum
muss. Durch den Junktor „oder“ gewinnt die Aufgabe Feedback. Nur sieben Studierende erwähnen einen
zudem aus logischer Sicht an Komplexität. Die Auf- positiven Effekt der Rückmeldung durch die Korrek-
gabe für das weiterführende Lehramt setzt dafür die tur, drei Äußerungen betreffen die Selbstreflexion.
Kenntnis der Definition einer Äquivalenzrelation vo- Die am meisten genannten negativen Aspekte sind
raus. Diese in Abb. 5 und 6 illustrierte zielgruppen- ein erhöhter Stresspegel (8 Nennungen) und eine
spezifische Gestaltung einiger Klausuraufgaben war Überforderung aufgrund von Schwierigkeit oder
bereits in der Form von Wahlaufgaben vor der Ände- Umfang der Übungsblätter (7 Nennungen). Interes-
rung der Prüfungsordnung, d. h. vor dem Winterse- sant ist des Weiteren, dass lediglich drei Studierende
mester 2018/19, implementiert. Weiterhin ist zu be- angaben, dass die Pflichtabgabe zu einer unselbst-
merken, dass das Notenschema in allen Klausuren ständigen Bearbeitung der Übungen führt; darunter
gleich war und der Notenschnitt in keiner der Klau- äußerten zwei Studierende, dass sich bei der Abgabe
suren nachträglich angepasst wurde. in Gruppen nicht alle gleichermaßen am Bearbei-
Zusammengefasst lässt sich also feststellen, dass die tungsprozess beteiligen, und eine Person gab an, auf-
einzige Änderung im Übergang vom Sommersemes- grund der Pflichtabgabe zum Abschreiben gezwun-
ter 2018 zum Wintersemester 2018/19 neben der Ein- gen zu sein. Beispielsweise schreibt ein Studierender
führung der Pflichtabgabe die zusätzliche Einschrän- zur Abgabe in Gruppen: „[…] zum anderen verleitet
kung war, dass zielgruppenspezifische Klausuraufga- die Pflichtabgabe auch dazu, dass nur der, der es
ben nicht mehr in der Form von Wahlaufgaben um- ‚wirklich verstanden‘ hat, die Aufgaben bearbeitet
gesetzt waren und der Anteil dieser Aufgaben leicht und meist keine Zeit findet es den anderen zu erklä-
erhöht wurde (zusätzlich 4 von 48 Punkten). Aus die- ren“. Abb. 5 zeigt die Häufigkeit der einzelnen Kate-
sem Grund kann eine deutliche Veränderung der gorien. Dabei sind die negativen Aspekte jeweils
Klausurergebnisse einen ersten Hinweis auf die Wir- dunkel markiert; insgesamt betrifft dies 26 von 164
kung der verpflichtenden Abgabe von Übungsaufga- Kodiereinheiten.
ben zur Korrektur auf den Klausurerfolg bieten.

 7
math.did. 44(2021)2

 25
 21
 19
 20
 17 17 17

 15
 Häufigkeit

 10 8 8
 7 7 7
 6
 5 5
 4
 5 3 3 3
 2 2
 1 1 1
 0

Abb. 5: Auswertung der offenen Frage nach der Wirkung der Pflichtabgabe
 beitung und häufige Abgabe der Blätter. Die Studie-
Die Ergebnisse der geschlossenen Fragen sind in Ta-
 renden halten die Pflichtabgabe zudem überwiegend
belle 1 dargestellt. Die Mittelwerte liegen alle deut-
 für eine gute Klausurvorbereitung (Forschungsfrage
lich oberhalb des theoretischen Skalenmittels von
 1d)). Diese Befunde decken sich mit den Ergebnissen
1,5. Zunächst zeigt sich, dass die Studierenden stark
 der offenen Frage, bei welcher eine intensivere und
überwiegend einer generellen Pflichtabgabe zustim-
 regelmäßige Auseinandersetzung sowie eine verbes-
men (Forschungsfrage 1 b)), 93,2 % von ihnen befür-
 serte Klausurvorbereitung besonders häufig genannt
worteten die Studienleistung grundsätzlich, darunter
 wurden.
74,4 % sogar stark.

 Item M SD
 7. Vergleich der Klausurergebnisse
 Ich halte die Pflichtabgabe der 2.65 0.69 In Tabelle 2 sind die Anzahl der Studienanfängerin-
 Übungsblätter für sinnvoll. nen und -anfänger und die Anzahl der Teilnehmen-
 Ohne die Pflichtabgabe hätte ich die 2.22 1.03 den an den Klausuren in den drei Semestern des Un-
 Übungsblätter weniger regelmäßig be-
 arbeitet.
 tersuchungszeitraums dargestellt. Bei den Studienan-
 Ohne die Pflichtabgabe hätte ich die 2.21 1.00
 fängerzahlen ist zu beachten, dass die Lehramtsstu-
 Übungsblätter weniger häufig zur Kor- dierenden aller Zielschularten zusammengefasst
 rektur abgegeben. sind. Dies liegt daran, dass sich die Studierenden an
 Durch die Pflichtabgabe habe ich mich 2.58 0.67 der Universität Koblenz-Landau erst im 5. Semester
 intensiver mit den Übungsblättern be- definitiv für eine Schulart entscheiden müssen, wes-
 fasst. wegen keine getrennten Statistiken geführt werden;
 Durch die Pflichtabgabe fühle ich mich 2.22 0.85
 besser auf die Klausur vorbereitet.
 außer in der Mathematik belegen dabei alle Lehr-
 amtsstudierenden in den ersten vier Semestern in den
Tab. 1: Mittelwert (M) und Standardabweichung (SD) zu gewählten Fächern dieselben Lehrveranstaltungen.
 den Items für Forschungsfrage 1 auf einer vierstu-
 figen Likert-Skala (von 0 bis 3). Im Sommersemester sind die Anfängerzahlen jeweils
 geringer als im Wintersemester, weswegen insbeson-
Weiter wird auch ein deutlich intensiveres Lernen
 dere die Zahlen der beiden Wintersemester einander
während des Semesters ersichtlich (Forschungsfrage
 gegenübergestellt werden sollen.
1c)), insbesondere eine intensivere Befassung mit
den Übungsblättern, aber auch die regelmäßige Bear-

8
R. Krapf & M. Liebendörfer
 WiSe 2017/18 SoSe 2018 WiSe 2018/19
 Studienanfängerin- LA Mathematik 194 93 193
 nen und Math. Modell. 3 0 6
 -anfänger 2 7 2 8
 2-Fach-Bachelor
 Insgesamt 204 95 207
 Teilnehmende an Insgesamt Grundschule 31 50 88
 Klausuren Sonstige 48 36 59
 Darunter im 1. Grundschule 25 23 59
 Semester Sonstige 42 19 46
Tab. 2: Vergleich von Studienanfänger- und Klausurteilnehmerzahlen nach Semester.

Ein Vergleich zeigt, dass die Anzahl Erstsemestriger, Teilneh- Best.- Noten-
die an der Klausur teilgenommen haben, trotz kon- mende quote schnitt
stanter Anfängerzahlen um über 50 % gestiegen ist. LA Grundschule (1. 23 47,8 % 3,5
Dabei ist insbesondere ein starker Zuwachs der Stu- Sem.)
dierenden mit Zielschulart Grundschule festzustel- LA Weiterführende 19 57,9 % 3,6
 Schulen (1. Sem.)
len; bei dieser Gruppe hat sich die Anzahl Klausur-
 Gemischt (höhere 44 47,7 % 3,5
teilnehmer im ersten Semester sogar mehr als ver- Semester)
doppelt. Insgesamt 86 50,0 % 3,5

Während es sich vor der Einführung der Pflichtab- Tab. 4: Klausurstatistiken im Sommersemester 2018.
gabe um eine gemeinsame Klausur mit zielgruppen- Die entsprechenden Klausurstatistiken im Winterse-
spezifischen Wahlaufgaben handelte, so entfiel die mester 2018/19, d. h. nach der Einführung der
Wahlmöglichkeit für Studierende nach der neuen Pflichtabgabe sowie ohne Wahlmöglichkeiten für
Prüfungsordnung ab dem Wintersemester 2018/19. Studierende nach der neuen Prüfungsordnung, finden
Daher gab es in diesem Semester drei verschiedene sich in Tabelle 5.
Gruppen: Lehramtsstudierende mit Zielschulart
Grundschule nach der neuen Prüfungsordnung, Stu- Teilneh- Best.- Noten-
dierende der Lehrämter weiterführender Schulen mende quote schnitt
(inkl. Bachelor of Science Mathematische Modellie- LA Grundschule 59 62,7 % 3,4
rung und Zwei-Fach-Bachelor mit Fach Mathematik) (neue PO)
nach der neuen Prüfungsordnung sowie Studierende LA Weiterführende 46 69,6 % 3,3
aller Studiengänge nach der alten Prüfungsordnung Schulen (neue PO)
(d. h. mit freier Wahl zwischen den beiden Klausur- Gemischt (alte PO) 42 40,5 % 3,3
 Insgesamt 147 58,5 % 3,4
versionen). Da es sich bei den Studierenden nach der
neuen Prüfungsordnung fast ausschließlich um Erst- Tab. 5: Klausurstatistiken im Wintersemester 2018/19.
semestrige handelt3, werden die Studierenden zwecks
 Ein Vergleich der Bestehensquote der Erstsemestri-
Vergleichbarkeit auch in den beiden vorangehenden
 gen vor und nach der Einführung der Pflichtabgabe
Semestern in drei Gruppen eingeteilt (Erstsemestrige
 zeigt, dass diese Bestehensquote für beide Zielgrup-
mit Zielschulart Grundschule, Erstsemestrige mit
 pen (d. h. Lehramt Grundschule sowie Lehramt wei-
Zielschulart weiterführende Schulen, sowie Höherse-
 terführender Schulen) um über zehn Prozentpunkte
mestrige aller Zielschularten). Die Teilnehmerzah-
 im Vergleich mit den vorangehenden Semestern ge-
len, Bestehensquoten und der Notendurchschnitt der-
 stiegen ist. Schwankungen bei den Klausurergebnis-
jenigen Studierenden, die die Klausur bestanden ha-
 sen waren zwar auch zwischen dem Wintersemester
ben, vor der Einführung der Pflichtabgabe sind in Ta-
 2017/18 und dem Sommersemester 2018 vorhanden,
bellen 3 und 4 dargestellt.
 allerdings nur um ca. fünf Prozentpunkte, wobei die
 Klausur im Sommersemester 2018 für Grundschul-
 Teilneh- Best.- Noten-
 mende quote schnitt studierende schlechter, für die anderen allerdings
 LA Grundschule (1. 25 52,0 % 3,5 besser ausfiel als diejenige im Wintersemester
 Sem.) 2017/18. Die Bestehensquote insgesamt hat sich im
 LA Weiterführende 42 52,3 % 3,2 Wintersemester 2018/19 im Vergleich mit den Vor-
 Schulen (1. Sem.) semestern ebenfalls deutlich verbessert. Die Studie-
 Gemischt (höhere 12 41,6 % 3,6 renden im Wintersemester 2018/19 nach der alten
 Semester) Prüfungsordnung (d. h. mit Wahlklausur) schnitten
 Insgesamt 79 51,3 % 3,4 deutlich schlechter ab als die Studierenden nach der
Tab. 3: Klausurstatistiken im Wintersemester 2017/18. neuen Prüfungsordnung mit über 20 Prozentpunkten
 weniger bei der Bestehensquote. Die Gruppe der Stu-
 dierenden in höheren Semestern schnitt zwar auch in
 9
math.did. 44(2021)2
den beiden vorangehenden Semestern jeweils signi- kenswert, als die jeweils Befragten sich zwar vorstel-
fikant schlechter ab als die Erstsemestrigen, aller- len konnten, wie das jeweils andere Studienmodell
dings hat sich dieser Unterschied deutlich gesteigert. wohl wäre, es aber überwiegend nicht erlebt haben.
Dass sich die Bestehensquote der höhersemestrigen Interessant wäre es auch, die Einstellungen von Stu-
Studierenden sogar leicht verschlechtert hat, weist dierenden zu erfassen, die beide Systeme erlebt ha-
darauf hin, dass der Effekt kaum primär durch eine ben. Im Rahmen dieser Studie war dies allerdings
vereinfachte Klausur zustande gekommen ist. nicht möglich, da für Wiederholer*innen eine Über-
 gangsregelung zutraf.
Bemerkenswert ist auch, dass, während die Beste-
hensquote gestiegen ist, sich der Notendurchschnitt
 8.2 Vergleich der Klausurergebnisse
jedoch kaum verändert hat. Dies liegt daran, dass im
Vergleich mit den vorangehenden Semestern anteilig Forschungsfragen 2a) nach der Teilnahmequote und
mehr Studierende mit Noten im befriedigenden und 2b) nach dem Erfolg bei der Klausur als Auswirkung
ausreichenden Bereich bestanden haben. Die Anzahl der eingeführten Pflichtabgabe lassen sich ebenfalls
Studierender mit einer Note von 2,0 oder besser war positiv beantworten. Die Teilnahmezahl ist nach der
in allen Semestern und Klausurversionen jeweils ein- Einführung der Pflichtabgabe von 79 auf 147 Studie-
stellig, was in allen Versionen einem Anteil von unter rende in absoluten Zahlen deutlich gestiegen. Der
5 % entspricht. Anstieg der Klausurteilnahmezahlen ist sowohl auf
 eine gestiegene Anzahl an Studierenden aus höheren
8. Diskussion Semestern zurückzuführen, überwiegend aber auf
 eine größere Teilnahmequote von Erstsemestrigen.
Um die Frage nach der Wirkung verpflichtender Während von diesen vor der Einführung der Pflich-
Übungsaufgaben in der Hochschulmathematik stär- tabgabe knapp ein Drittel an der Klausur teilgenom-
ker aufzuklären, wurde die Umstellung von freiwilli- men hatte, war es nach der Einführung der Pflichtab-
ger Abgabe auf Pflichtabgabe unter ansonsten weit- gabe die Hälfte. Die Anfängerzahl in den beiden
gehender Beibehaltung der Rahmenbedingungen ei-
 Wintersemestern ist praktisch konstant geblieben, so-
ner einführenden Mathematikveranstaltung am Cam-
 dass wir keine veränderten Zahlen bei eingeschriebe-
pus Koblenz der Universität Koblenz-Landau unter- nen Studierenden mit oder ohne ernsthaftes Studien-
sucht. Die Ergebnisse betreffen sowohl Antworten interesse in Mathematik annehmen.
von Studierenden auf eine offene Frage und weitere
geschlossene Fragen sowie Statistiken zur Teilnahme Auch die Bestehensquote ist um gut 7 Prozentpunkte
und zum Erfolg an der Klausur. gestiegen, wie man im Vergleich von Tabelle 3 und
 Tab. 5 sieht. Der Anstieg lässt sich auf diejenigen
8.1 Umfrage zu den Einstellungen zur Stu- Studierenden zurückführen, die das Modul zum ers-
 dienleistung ten Mal belegten und für die daher die Abgabe ver-
 pflichtend war. Er ist im Grundschullehramt mit gut
Die Antworten auf Forschungsfrage 1 sind überwie-
 10 Prozentpunkten noch etwas geringer als bei Stu-
gend positiv. Die Studierenden verbinden die Pflich-
 dierenden des weiterführenden Lehramts mit gut 17
tabgabe mit erhöhtem Lernerfolg (Forschungsfrage
 Prozentpunkten. Dies ist ein Indiz dafür, dass sich die
1a)), und befürworten stark überwiegend dieses Mo-
 Verbesserung nicht, oder zumindest nur teilweise,
dell (Forschungsfrage 1b)).
 auf eine vereinfachte Grundschulklausur zurückfüh-
Auf der Handlungsebene wird von den Studierenden ren lässt.
eine deutlich intensivere und auch regelmäßigere
 In Kombination sind die Befunde zu den Forschungs-
Auseinandersetzung mit den Vorlesungsinhalten und
 fragen 2a) und 2b) besonders bemerkenswert. Anzu-
den Übungsblättern im Semester beschrieben, kaum
 nehmen ist ja, dass vor allem diejenigen Studierenden
aber wenig hilfreiche Umgehungsstrategien wie das
 der Klausur fernbleiben, die entweder ihr Studium
Abschreiben (Forschungsfrage 1c)). Passend dazu
 der Mathematik nicht weiter ernsthaft verfolgen oder
wird die Pflichtabgabe auch als wirksame Klausur-
 die Klausur nach eigener Einschätzung nicht beste-
vorbereitung eingeschätzt (Forschungsfrage 1d)),
 hen würden. Eine Ausweitung der Klausurteilnahme
was sowohl die Auswertung der offenen als auch der
 bei höherem Erfolg spricht stark dafür, dass Studie-
geschlossenen Fragen zeigt. Die überwältigende
 rende stärker motiviert oder qualifiziert wurden (oder
Mehrheit der befragten Studierenden schätzt die
 beides).
Pflichtabgabe als eine sinnvolle Maßnahme ein, was
den Befund aus der Umfrage im Sommersemester
2017 (Krapf, 2018) bekräftigt, gemäß welcher knapp
die Hälfte der Studierenden die Einführung der
Pflichtabgabe befürwortete. Dies ist insofern bemer-

10
R. Krapf & M. Liebendörfer
8.3 Stärken und Grenzen der Studie Für ein echtes Quasi-Experiment kommen zudem die
 Studierenden nach der Übergangsregelung als Kon-
Eine klare Stärke der Studie liegt in der ökologischen
 trollgruppe nicht infrage, da es sich bei dieser Gruppe
Validität. Bei überwiegend vergleichbaren Rahmen-
 um eine Negativselektion handelt. Von ihnen hatten
bedingungen (identische Dozentin und Inhalte, weit-
 64,3% bereits einen oder zwei Fehlversuche4. Außer-
gehend vergleichbare Klausur, keine Selbstselektion
 dem haben sie den Stoff zum zweiten Mal präsentiert
der Teilnehmenden) wurde die Pflichtabgabe variiert
 bekommen, was schon an sich einen erheblichen Un-
und die beobachteten Variablen zu Akzeptanz, Klau-
 terschied ausmacht.
surteilnahme und Klausurerfolg stellen für die Praxis
hoch relevante Größen dar. Zudem können solche Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass in
Systemumstellungen nur selten durchgeführt werden. den geschlossenen Fragen keine negativen Effekte
 der Pflichtabgabe, wie beispielsweise Abschreiben,
Die Begleitforschung in der realen Situation bringt
 Stress oder Überforderung, abgefragt wurden. Nach-
aber auch Einschränkungen mit sich. Bei der Um-
 träglich lässt sich das nicht ändern und eine erneute
frage unter den Studierenden ist aufgrund der Prä-
 Umstellung des Lehrsystems ist nicht möglich. In zu-
senzdurchführung in der letzten Vorlesung von Se-
 künftigen Studien sollten solche Effekte berücksich-
lektionseffekten auszugehen. Vermutlich wurden
 tigt werden.
überwiegend Studierende erreicht, die mit dem je-
weiligen Lehrsystem besonders gut zurechtkamen. Um die verbesserten Prüfungsleistungen wirklich auf
Die Überschneidung der Teilnehmenden an Vorle- die Einführung der Studienleistung zurückzuführen,
sung und Klausur ist jedoch hoch; unter den Abwe- müsste man ausschließen, dass die positiven Klau-
senden befanden sich insbesondere einige Wiederho- surergebnisse durch eine vereinfachte Klausur, insbe-
lende. Die Einstellungen der Studienabbrecherinnen sondere für die Grundschulstudierenden, zustande
und -abbrecher zur Pflichtabgabe konnten bei dieser gekommen sind. Hierzu ist anzumerken, dass die Dif-
Erhebung allerdings nicht erfasst werden. ferenzierung nach Schultyp ab dem Wintersemester
 2018/19 die Klausuren je nach Schultyp etwas weni-
Zudem sind die Studierenden zwar ohne (bewusste)
 ger als die Hälfte der Aufgaben betraf und auch zuvor
eigene Wahl in den beiden Lehrformen gelandet, eine
 bereits in der Form von Wahlaufgaben implementiert
Randomisierung liegt aber nicht vor. Daher können
 war. Da die Klausur für Grundschulstudierende, an-
die Kohorten unterschiedliche Merkmale tragen, die
 ders als in den beiden vorangehenden Semestern,
die Ergebnisse ebenfalls erklären könnten. Insbeson-
 schlechter ausgefallen ist als diejenige für weiterfüh-
dere verfügten die Studierenden in den drei Semes-
 rende Schulen, ist davon auszugehen, dass die Diffe-
tern des Untersuchungszeitraums über unterschiedli-
 renzierung den Schwierigkeitsgrad für die Grund-
che Eingangsvoraussetzungen. So lag der Abitur-
 schulklausur kaum gesenkt hat. Zudem sind die
schnitt der Studienanfängerinnen und -anfänger im
 Struktur und die Aufgabentypen für die Klausur für
Wintersemester 2017/18 bei 2,63, im Sommersemes-
 weiterführende Schulen mit denjenigen der Klausu-
ter 2018 bei 2,86 und im Wintersemester 2018/19 bei
 ren in den beiden Vorsemestern vergleichbar und ge-
2,55. Der Unterschied zwischen den Wintersemes-
 rade diese Gruppe konnte hinsichtlich der Bestehens-
tern liegt bei etwa einem Achtel einer Standardab-
 quote einen besonders starken Zuwachs verbuchen.
weichung in Rheinland-Pfalz (vgl. KMK, 2018) und
 Wir nehmen daher an, dass die Einführung der
wirkt daher gering, aber nennenswert. Er lässt sich
 Pflichtabgabe tendenziell zu besseren Lernergebnis-
auch nicht durch einen insgesamt gestiegenen Abitur-
 sen führt.
schnitt erklären, da sich im Land Rheinland-Pfalz der
Abiturschnitt in den letzten Jahren nur geringfügig
 8.4 Theoretische Implikationen
verbessert hat. Ein Vergleich mit früheren Semestern
zeigt auch, dass die Eingangsvoraussetzungen der Die Ergebnisse sichern keine Kausalität, deuten aber
Studienanfängerinnen und -anfänger im Lehramt insgesamt darauf hin, dass die Pflichtabgabe sowohl
Mathematik an der Universität Koblenz-Landau, positiv aufgenommen wird als auch positiv auf die
Campus Koblenz, im Wintersemester jeweils deut- Leistung wirkt. Die Steigerung der Bestehensquote
lich besser sind als im Sommersemester. Dass sich steht im Einklang mit den Ergebnissen der Studien
die Abiturnote als guter Prädikator für den Erfolg im von Cartledge und Sasser (1981) sowie Trussell und
Mathematikstudium erweist, wurde in der Literatur Dietz (2003). Dabei scheint, wenn man sich an den
bereits umfangreich dokumentiert (Blömeke, 2009; Antworten auf die offene Frage orientiert, vor allem
Rach & Heinze, 2017). Es scheint dennoch nicht die gesteigerte regelmäßige Beschäftigung mit den
plausibel, dass die berichteten Ergebnisse allein auf Inhalten für den Erfolg verantwortlich. Zusammen
diesem Unterschied gründen. mit der Arbeit von Ufer (2015) wird somit die empi-
 rische Basis für die Annahme gestärkt, dass die Be-

 11
math.did. 44(2021)2
schäftigung mit den Aufgaben nicht nur Ausdruck ei- das Abschreiben maßgeblich durch eine Überforde-
ner hohen Leistungsfähigkeit ist, sondern auch die rung mit den Übungsaufgaben ausgelöst (Liebendör-
Leistungsfähigkeit verbessert. Aus lerntheoretischer fer & Göller 2016b).
Sicht ist ohnehin zu erwarten, dass die regelmäßigere
 Bemerkenswert ist zudem, dass zwar mehr Studie-
Bearbeitung der Übungsblätter während des Semes-
 rende die Klausur bestanden haben, sich die Noten
ters das erlernte Wissen festigt und eine nachhaltige
 der Leistungsspitze aber nicht nennenswert verändert
Wirkung erzielt. Zu vermuten (und auch zu prüfen)
 haben. Dies könnte sich im Einklang mit den bisheri-
wäre nun die Annahme, dass durch die Pflichtabgabe
 gen Überlegungen daraus erklären, dass die Pflich-
insgesamt mehr solche Auseinandersetzungen mit
 tabgabe vor allem für die Studierenden wirkt, die
dem Inhalt stattfinden und nicht etwa eigene Lern-
 durch die Aufgaben passend herausgefordert wurden,
handlungen nur ersetzt werden. Die gestiegene Leis-
 während leistungsstärkere Studierende kaum profi-
tungsfähigkeit könnte dann auch die gestiegene Klau-
 tierten.
surteilnahme erklären, sind doch Leistungsprobleme
bekannt als Hauptgrund für den Studienabbruch in 8.5 Bedeutung für die Praxis
MINT-Fächern (Heublein et al., 2010).
 Implikationen für die Praxis lassen sich auf Grund-
Motivational scheinen die positiven Effekte der lage dieser einen Studie und der bestehenden metho-
Pflichtabgabe die negativen Effekte wie zusätzliche dischen und theoretischen Unsicherheiten nur als
Frustration und Abschreiben im Endeffekt zu über- Empfehlungen vor einem sehr vagen Wissen geben.
wiegen, wie schon die Verteilung von positiven und Die Entscheidung für oder gegen eine Pflichtabgabe
negativen Effekten bei der subjektiven Einschätzung kann aber oft nicht auf eine gründliche Erforschung
der Wirkung der Pflichtabgabe nahelegt. Auffällig im warten, sie gehört zum Handlungsspielraum, den
Vergleich mit qualitativen Arbeiten (Göller, 2020; Lehrende grundsätzlich haben und jederzeit irgend-
Liebendörfer und Göller, 2016b; Liebendörfer, 2018) wie nutzen. Daher geben wir im Folgenden Empfeh-
sind die geringen Verbindungen zu Stress, Überfor- lungen, wohlwissend, dass weitere Forschung zu an-
derung und dem Abschreiben von Übungsaufgaben. deren Ergebnissen führen kann.
Zu vermuten ist, dass möglicherweise das Niveau der
Aufgaben selbst und jedenfalls ihre Vorbereitung Die hohe Akzeptanz unter den Studierenden und die
durch Präsenzübungen dazu führen, dass mehr Stu- positiven Ergebnisse bei der Klausurteilnahme und
dierende die Hausaufgaben selbständig bearbeiten beim Klausurerfolg führen uns zu dem Schluss, dass
können. Allerdings wäre es theoretisch und metho- eine Pflichtabgabe empfehlenswert ist. Zumindest
disch durchaus plausibel, dass es Studierende gibt, scheinen verpflichtende Aufgaben mit einem mäßi-
die negative Auswirkungen gespürt haben und sich gen Anforderungsniveau gegenüber einer freiwilli-
genau deshalb nicht an der Befragung beteiligt haben. gen Abgabe im Vorteil.
Hier liegen wichtige Hinweise für die Frage, wie pau- Die Frage nach dem Niveau der Herausforderung ist
schal der Pflichtabgabe eine positive Wirkung zuge- aber aus zwei Gründen nicht zu beantworten. Zum ei-
schrieben werden kann. Die Ergebnisse deuten eine nen fehlen Kenntnisse, ob dieses Niveau wirklich wie
Übertragbarkeit der Befunde aus der Schule an, dass vermutet mit der Wirkung der Pflichtabgabe zusam-
Aufgaben wirksam sind, die herausfordern ohne zu menhängt. Zum anderen aber läge, falls dem so wäre,
überfordern (Dettmers et al., 2011). Darin mag in der in der Wahl des Niveaus eine (normative) Entschei-
untersuchten Veranstaltung ein großer Unterschied dung für die besondere Förderung einer Leistungs-
zum traditionellen Fach- und Gymnasiallehramtsstu- schicht zuungunsten der anderen. Ob z. B. der Förde-
dium liegen, bei dem von der Mehrheit der Studie- rung einer Leistungsspitze oder der Förderung leis-
renden eine gewisse Überforderung mit den Aufga- tungsschwächerer Studierender der Vorzug gegeben
ben und nur selten eine wirklich selbständige Bear- wird, müssen Lehrende vor ihren eigenen Lehrzielen
beitung berichtet wird (Liebendörfer & Göller, (z. B. Ausbildung wissenschaftlichen Nachwuchses
2016b; Rach & Heinze, 2013). Inwieweit stärker her- im Fach, Vermeidung von Studienabbruch) selbst
ausfordernde Varianten der Pflichtabgaben im Ver- entscheiden.
gleich mit einer freiwilligen Abgabe ebenfalls moti-
vations- oder lernförderlich sind, kann aufgrund der 8.6 Offene Fragen
vorliegenden Daten nicht gesagt werden. Zumindest Die Studie regt weitere Forschung im Bereich der
muss aber mit deutlich eingeschränktem Erleben von Pflichtabgabe an. So wurde das Feedback, das Stu-
Kompetenz und Autonomie gerechnet werden (Lie- dierende auf ihre Abgaben erhalten, in der vorliegen-
bendörfer, 2018), was der Motivation sehr abträglich den Studie nur von sieben Studierenden als positiv
ist (Deci & Ryan, 1993). Auch muss damit gerechnet erwähnt. Hinzu kommen drei Äußerungen zur Selbst-
werden, dass Lernhandlungen nicht mehr so stark auf reflexion durch die Bewertungen. Methodisch be-
die Wissenserweiterung gerichtet werden, wird doch
12
R. Krapf & M. Liebendörfer
dingt lässt sich nicht klären, ob die meisten Studie- bel, 2003; Smolinsky et al., 2019; Halcrow & Dun-
renden lernförderliches Feedback nur nicht berichtet nigan, 2012). Ein Vorteil der Online-Abgabe gegen-
oder gar nicht erst erhalten haben. Hierzu müsste man über der handgeschriebenen Abgabe ist ein unmittel-
die Qualität des gegebenen Feedbacks einschätzen bares Feedback, welches allerdings in der Regel we-
und daraufhin die Wahrnehmung überprüfen. Die niger detailliert und differenziert ist. Gerade bei Be-
Qualität des Feedbacks ist insgesamt ein wenig be- weisaufgaben, bei welchen die schriftliche Darstel-
achteter Ansatzpunkt, der aber bedeutend scheint. In lung in der mathematischen Symbolsprache zentral
einem Lehrversuch mit Feedback in der Mathematik- ist, scheint es jedoch unmöglich, gänzlich auf die
lehramtsausbildung wurde z. B. die ausführlichere handschriftliche Abgabe zu verzichten. Mit Blick auf
Kommentierung der Übungsblätter von Studierenden den Korrekturaufwand wäre weiter wissenswert, ob
zu 90 % positiv aufgenommen (Biehler et al., 2012). sich die Pflichtabgabe in Gruppen bezüglich ihrer
Eine enge Anleitung der Tutorinnen und Tutoren mit Wirkung von der Pflicht zur Einzelabgabe unter-
dem Fokus der Rückmeldungen auf den Lernzielen, scheidet.
dem Fortschritt und konkreten nächsten Schritten
scheint allerdings notwendig (Püschl et al., 2016). Fazit
Feedback zählt zu den bedeutendsten Erklärungen
 Ein Quasi-Experiment gibt einen ersten Hinweis,
von Leistung im Bildungsbereich (Hattie & Timper-
 dass die Einführung der Pflichtabgabe zu einer Aus-
ley, 2007) und hat sich in den USA als Unterschei-
 weitung der Klausurteilnahme bei erhöhter Beste-
dungsmerkmal sehr erfolgreicher Hochschulen in der
 hensquote führen könnte. Die Frage nach der Wir-
Mathematik erwiesen (Ellis et al., 2015). Insofern
 kung der Pflichtabgabe wird von den Studierenden
wäre zu prüfen, ob Feedback einen Teil der Wirkung
 überwiegend positiv beantwortet; insbesondere eine
der Pflichtabgabe erklären kann, oder ob geeignetes
 intensivere Auseinandersetzung mit Vorlesungsin-
Feedback diese Wirkung weiter steigern könnte.
 halten und Übungsblättern, regelmäßigeres und kon-
Interessant zu wissen wäre außerdem, wie sich die tinuierliches Lernen sowie eine verbesserte Klausur-
Einführung der Studienleistung in einem einzigen vorbereitung wurden häufig genannt. Die vorliegen-
Modul auf das Lernverhalten und die Klausurergeb- den Daten sichern allerdings keine Kausalität, zudem
nisse in anderen Modulen auswirkt. So konnten zwei- könnten negative Nebenwirkungen existieren, die
erlei sich gegenseitig widersprechende Effekte im nicht erfasst wurden. Dennoch spricht zumindest
Gespräch mit Dozierenden festgestellt werden. Ei- manches für die Einführung oder Beibehaltung der
nerseits, führte die Pflichtabgabe in der Elementar- Pflichtabgabe.
mathematik vom höheren Standpunkt zu einer stärke-
ren Fokussierung auf dieses Modul im Vergleich mit
 Anmerkungen
Parallelveranstaltungen. Insofern scheinen negative 1
Nebeneffekte bezüglich anderer Lehrveranstaltungen Eine nicht repräsentative Sammlung verschiedener Vari-
 anten der Pflichtabgabe an verschiedenen Hochschulen
plausibel. Inwieweit eine gleichzeitig verstärkte
 aus dem Wintersemester 2012/13 findet sich unter
extrinsische Motivation in allen Modulen global po- https://zapf.wiki/WiSe12_AK_Kontrolle (abgerufen am
sitive oder negative Effekte hätte, ist offen. Anderer- 10.12.2019).
seits nahmen Dozierende von Folgeveranstaltungen 2
 Unter den Studierenden mit einer Note von 2,0 oder bes-
mit freiwilliger Abgabe höhere Abgabequoten sowie ser befinden sich über alle Klausuren verteilt jedoch mehr
eine gestiegene Sorgfältigkeit bei der schriftlichen Studierende des Lehramts weiterführender Schulen (inkl.
Ausarbeitung wahr. Ob sich solche Beobachtungen Mathematische Modellierung und 2-Fach-Bachelor).
verallgemeinern lassen, ist ebenfalls offen. 2
 Unter dem Zwei-Fach-Bachelor ist ein nicht-lehramtsbe-
Auch verschiedene Varianten der verpflichtenden zogener Bachelorstudiengang mit zwei gleichwertigen Fä-
Bearbeitung wöchentlicher Aufgaben und alternative chern zu verstehen.
 3
Formen wie digitale Übungsaufgaben oder mehrere Unter den Studierenden, die die Klausur nach der neuen
über das Semester verstreute Kurzklausuren, die in Prüfungsordnung absolvierten, befanden sich zwei Studie-
 rende in einem höheren Semester, die jedoch das Modul
jüngerer Zeit an verschiedenen Hochschulen erprobt
 zum ersten Mal belegten.
werden, sollten dem hier getesteten Modell in Unter- 4
suchungen gegenübergestellt werden. In der Service- Jede Klausur darf maximal zweimal wiederholt werden.
 Nach drei Fehlversuchen gilt die Klausur als endgültig
Mathematik, in der weniger Gewicht auf dem Prob-
 nicht bestanden.
lemlösen und Beweisen liegt, scheinen beispiels-
weise digitale Aufgaben vielversprechend. Einigen
Studien zufolge kann die Online-Bewertung von kal-
külorientierten Übungsaufgaben einen vergleichba-
ren bis höheren Lerneffekt erzielen (Hirsch & Wei-

 13
Sie können auch lesen