Wenn sich Menschen mit Demenz erkrankungen und Kita Kinder begegnen

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Wenn sich Menschen mit Demenz erkrankungen und Kita Kinder begegnen
Bildung   51

Wenn sich Menschen mit Demenz­
erkrankungen und Kita-Kinder
begegnen
Intergenerationelle familienexterne Projekte verbessern die
soziale Teilhabe von Menschen mit Demenzerkrankungen
Kathy Haas, Monika Blau & Regula Blaser

Foto: Madeleine Dierauer, Kindergarten Diepoldsau

Soziale Interaktionen und soziale Teilhabe sind               wirkungen auf die Art und Intensität der intergeneratio­
Grundbedürfnisse, die trotz oder gerade wegen der             nellen Kontakte in der Familie hat. Rund ein Fünftel der
                                                              alten Menschen hat keine Nachkommen (Bundesamt für
Erkrankung bei Menschen mit Demenz zentral sind.
                                                              Statistik BFS, 2019). Finden Kontakte nun durch den ge­
Interaktionen mit Kindern können, dank deren Un-              sellschaftlichen Wandel seltener in den Familien statt, bie­
voreingenommenheit Menschen mit Demenz ge-                    tet es sich an, alternative Möglichkeiten der Begegnung
                                                              ­zu schaffen, wie zum Beispiel Generationenprojekte zwi­
genüber, einen besonderen Beitrag zur Befriedigung
                                                               schen Institutionen der Langzeitpflege für Menschen mit
dieser Bedürfnisse leisten.                                    Demenzerkrankungen und Kitas. In jahrzehntelanger For­
                                                               schung ist inzwischen bestätigt, dass diese familienexter­

D
                                                               nen Begegnungen zwischen älteren Menschen und Kin­
         er gesellschaftliche Wandel verändert die Gene­       dern für beide Seiten einen grossen Gewinn darstellen
         rationenbeziehungen. Einerseits leben heutzuta­       (Houghton et al., 2022; Lyndon & Moss, 2022).
         ge so viele Generationen zur gleichen Zeit wie nie      Neben einer theoretischen Herleitung werden die Po­
zuvor, so dass Kinder häufig nicht nur ihre Grosseltern,       tenziale von intergenerationellen Begegnungen zur Förde­
sondern auch ihre Urgrosseltern erleben können. Ande­          rung der Lebensqualität von Menschen mit einer Demenz­
rerseits wohnen (Ur-)Grosseltern und (Ur-)Enkelkinder          erkrankung beispielhaft durch Forschungsergebnisse und
häufig in grösseren Entfernungen zueinander, was Aus­          Alltagsbeobachtungen vorgestellt.

NOVAcura 2/23                                                                                              © 2023 Hogrefe
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Bedürfnisse von Menschen                                       Kitwood (2008) stellt die Bedürfnisse von Menschen
mit Demenzerkrankungen                                      mit einer Demenzerkrankung in Form einer Blume dar
                                                            (S. 122). Alle fünf Bedürfnisse – Trost, primäre Bindung,
                                                            Einbeziehung, Beschäftigung und Identität – vereinen sich
Psychosoziale Angebote und Interventionen sind, in Ab­      im Kern der Blume, der Liebe (S. 121). Trost beinhaltet das
wesenheit von heilenden Medikamenten, die wichtigsten       Erleben von Nähe, Wärme und Zärtlichkeit in Momenten
Mittel zur Förderung und Aufrechterhaltung der Lebens­      von Verlustgefühlen, wie Menschen mit einer Demenz­
qualität von Menschen mit Demenz und ihren Angehöri­        erkrankung sie beispielsweise erleben, wenn Fähigkeiten
gen. Lebensqualität kann dabei nach Lawton (1991) ver­      verloren gehen (S. 123). Das Bedürfnis nach primärer Bin­
standen werden als das gelingende Wechselspiel zwischen     dung ist tief im Menschen als soziales Wesen verwurzelt.
den individuellen Bedürfnissen und Kompetenzen und          Bindung vermittelt Betroffenen Sicherheit in einer für sie
der materiellen und sozialen Umwelt. Entsprechend ist       zunehmend verunsichernden Umwelt (S. 123). Auch das
(gute) Lebensqualität subjektiv und wird von jeder Person   Bedürfnis nach Einbeziehung ist charakteristisch für die
unterschiedlich definiert.                                  soziale Natur des Menschen. Fühlen Menschen mit De­
                                                            menz sich nicht einbezogen, ziehen sie sich zurück und die
                                                            kognitiven Fähigkeiten bauen schneller ab (S. 123 – 124).
  Intergenerationelle Begegnung 1                           „Beschäftigt zu sein bedeutet, auf eine persönlich bedeut­
  Spielstunde                                               same Weise und entsprechend den Fähigkeiten und Kräf­
                                                            ten einer Person in den Lebensprozess einbezogen zu sein.
  In einem Alters- und Pflegeheim kommen die 3- bis         Das Gegenteil ist ein Zustand der Langeweile, Apathie und
  4-jährigen Kinder einer Spielgruppe zu einer gemein-      Nichtigkeit“ (S. 124). Die Grundsteine für die Beschäfti­
  samen Spielstunde zusammen. Das Pflegepersonal            gung, das Gefühl, eine Wirkung durch Handlungen zu er­
  wartet schon mit einigen betagten Frauen auf die          reichen und Reaktionen bei einem Gegenüber hervorzu­
  sechsköpfige Kindergruppe, die sich bereits aus frü-      rufen, werden in der Kindheit gelegt. Ohne Beschäftigung
  heren gemeinsamen Spielnachmittagen kennt. Die            lassen Fähigkeiten nach und die Selbstachtung nimmt ab
  Frauen begrüssen die Kinder mit grosser Freude und        (S. 124). Die Identität einer jeden Person wird einzigartig
  Herzlichkeit. Bevor mit einem gemeinsamen Lied die        durch sie konstruiert. Gerade wenn die narrative Identität
  Spielstunde beginnt, schiebt eine Pflegekraft einen       verloren zu gehen droht, können andere Personen helfen,
  älteren Mann im Rollstuhl in den Raum und plat-           indem sie die Lebensgeschichte einer Person kennen und
  ziert ihn mit den Worten in die zweite Reihe: „Darf ich   mit Empathie auf die Einzigartigkeit der Person reagieren.
  Herrn Müller für ein halbes Stündchen hier bei Euch       Die Befriedigung eines dieser Bedürfnisse hat Auswirkun­
  lassen? Er wird ganz ruhig einfach dabeisitzen.“ Was      gen auf die anderen, und in ihrer Ganzheit berücksichtigt,
                                                            stärken sie das Selbstwertgefühl (S. 125). Diese Bedürfnis­
  er auch ohne Anzeichen von Interesse am Geschehen
                                                            se sind nicht spezifisch für Menschen mit Demenzerkran­
  tut, bis er von einem Kind ein Wollknäuel in die Hän-
                                                            kungen. Es sind universelle Bedürfnisse des Menschen.
  de gedrückt bekommt und zugreift. Eigentlich wird bei
                                                            Personen mit (fortgeschrittenen) Demenzerkrankungen
  diesem Spiel das Wollknäuel bald weitergegeben und
                                                            können jedoch im Vergleich zu kognitiv gesunden Men­
  der Faden verbindet alle miteinander – zur Freude von
                                                            schen ihre Bedürfnisse weniger gut selbst erkennen und
  Jung und Alt auch kreuz und quer – aber Herr Müller
                                                            sich weniger aktiv für deren Befriedigung einsetzen. Sie
  hält den Knäuel einfach weiter fest. Das kleine Mäd-
                                                            sind auf die Unterstützung von ihren Mitmenschen ange­
  chen, das ihm die Wolle gebracht hatte, reagiert zuerst   wiesen (S. 122).
  irritiert, dann erklärt sie ihm mit fester Stimme, dass
  er nur den Faden halten soll, damit das Spiel weiter-
  gehen kann. Er ergreift dann den Faden, den sie ihm       Soziale Interaktionen
  in die Hand legt und er reicht ihr den Wollknäuel zu-
  rück. Damit geht das Spiel weiter, bis alle einen Faden   Soziale Interaktionen sind also elementar zur Befriedi­
  festhalten und ein chaotisches Wollspinnennetz alle       gung der sozialen Bedürfnisse von Menschen mit einer
  miteinander im Raum verbindet – auch Herrn Mül-           Demenzerkrankung. Wird Demenz aus einem interak­
  ler. Allein dies sorgt schon für grosses Vergnügen bei    tionsorientierten Ansatz betrachtet (Kalbermatten, 2009),
  den Anwesenden, aber die Pflegekraft stellt trocken       zeigt sich, dass die Interaktionen von Demenz betroffenen
  fest, dass sie es noch nie zuvor beobachtet hatte, dass   Personen eine breite Varianz aufweisen. Derselbe Mensch
  Herr Müller so aktiv kommuniziert und sich beteiligt      interagiert mit verschiedenen Interaktionspartner_innen
  hat wie diesmal. Seit Herr Müller die Spielnachmittage    unterschiedlich. Insofern können Demenzerkrankungen
  mit den Kindern regelmässig besucht, stellt die Ak-       auch als ein soziales Konstrukt verstanden werden (Kal­
  tivierungstherapeutin eine markant verbesserte Auf-       bermatten, 2009). Wie die Begegnungen stattfinden, wel­
  geschlossenheit von Herrn Müller für ihre fachlichen      che Haltungen bestehen und wie ein interaktives Setting
  Aktivierungsaktivitäten mit ihm fest.                     gestaltet wird, hat einen Einfluss auf die involvierten Ak­
                                                            teure.

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                                                                (Lawton et al., 1996; Albert et al., 1999 zitiert nach Weltzi­
  Intergenerationelle Begegnung 2                               en et al., 2013). Eine kürzlich publizierte Studie (Janke &
  Ruhe und Entspannung                                          Walter, 2022) untersuchte, wie sich Menschen mit De­
                                                                menz in einer Langzeitpflegeinstitution in intergenera­
  Im Gespräch mit einer Alters- und Pflegeheimleite-
                                                                tionelle Begegnungen einbringen und welche Verhaltens­
  rin über ihre bisherigen positiven Erfahrungen zu den         weisen sie während der Aktivität zeigen. Es liessen sich
  seit anderthalb Jahren gemeinsamen Aktivitäten und            deutliche Effekte feststellen: Während sich das konstruk­
  Kontakten mit Kita-Kindern mit den Bewohnenden in             tive Engagement in den Begegnungen bedeutsam erhöhte,
  ihrem Hause, wies sie darauf hin, dass sich vor kur-          senkte sich die Passivität während der Anwesenheit der
  zem der Heimarzt mit der Frage an sie wandte, wie             Kinder signifikant. Zudem wurden während den Begeg­
  die kontinuierliche Reduktion von sedativ wirkenden           nungen vermehrt freudige und helfende Verhaltensweisen
  Medikamenten zu erklären sein könnte. Durch Nach-             erfasst. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen die Wichtig­
  forschungen bei ihren Mitarbeitenden kristallisierte          keit von intergenerationellen Begegnungen bei Menschen
  sich heraus, dass bei den Bewohnenden mit bisheriger          mit Demenz als nicht-medikamentöse Intervention zur
  innerer Unruhe und Anspannung, die an den interge-            Verbesserung der sozialen Teilhabe. Forschungslücken be­
  nerationellen Begegnungen regelmässig teilnahmen,             stehen hingegen noch immer, z. B. bezüglich Verbesserun­
  seltener belastende Verhaltensweisen (z. B. Schlafstö-        gen von körperlichen und mentalen Fähigkeiten von Men­
  rungen, Agitation) zu beobachten waren.                       schen mit Demenz durch intergenerationelle Settings
                                                                (Hüsler, 2022).
                                                                   Durch intergenerationelle Kontakte können Kinder per­
   Erwachsene treten häufig nicht unvoreingenommen in           sönliche Beziehungen zu älteren Menschen aufbauen und
Interaktion mit Menschen mit einer Demenzerkrankung.            das (hohe) Alter als eine selbstverständliche Lebensphase
Sie haben ein gesellschaftlich vermitteltes, allzu oft nega­    kennenlernen. Erfahrungen aus Projekten deuten darauf
tiv gefärbtes stereotypes Bild von demenzkranken Men­           hin, dass insbesondere am Alltag orientierte Begegnungen
schen. Krankheitsbedingte Defizite und Verluste stehen          dazu beitragen, beidseitig Ängste und Unsicherheiten ab­
dabei im Vordergrund, was es Betroffenen erschwert, ihre        zubauen und so die Altersbilder differenzierter werden
Kompetenzen und Ressourcen in die Interaktion einzu­            (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Ju­
bringen. Kalbermatten (2009) weist darauf hin, dass be­         gend, 2010 zitiert nach Weltzien et al., 2013). Zentral bei
sonders (Klein-)Kinder einen unbefangeneren Zugang zu           diesen intergenerationellen Begegnungen ist die profes­
Menschen mit Demenz haben können, denn sie kennen               sionelle Begleitung, welche auch die Vor- und Nachberei­
das Label „Demenz“ noch nicht. In ihrem Kopf erscheinen         tung der Aktivitäten beinhaltet (Weltzien et al., 2013). Mit
nicht vorschnell stereotype Demenzbilder. Dadurch gehen         Kitakindern können Interaktionen nachbesprochen und in
Kinder vorurteilsfrei auf Menschen mit Demenz zu und            einer geeigneten Form reflektiert werden. Auch die von
treten mit ihnen, z. B. im Spiel, in eine natürliche Interak­   Demenz betroffenen Menschen sollten bei den Begegnun­
tion. Den Menschen mit Demenz wird so die Möglichkeit           gen fachlich sorgfältig begleitet und beobachtet werden,
gegeben, sich nach Massgabe ihrer Möglichkeiten in die          so dass emotional bedeutsame, aber auch überfordernde
Interaktion mit Kindern einzubringen und dabei Befriedi­        Momente erkannt und entsprechend reagiert werden
gung und Stärkung des Selbstwerts zu erleben.                   kann. Zudem sind nicht alle Aktivitäten (z. B. Spiele; musi­
                                                                kalische, kreative, kulinarische Aktivitäten) für alle Perso­
                                                                nen gleich geeignet. Die Aktivitäten müssen individuell
Intergenerationelle Begegnungen                                 passend – nach Vorlieben und Biografie – gewählt werden,

Der Aktionsradius und die sozialen Kontakte von älteren
Menschen nehmen im vierten, fragilen Lebensalter häufig           Intergenerationelle Begegnung 3
ab. Dies trifft insbesondere auf Menschen zu, die in Insti­       Fenster-Malen
tutionen der Langzeitpflege leben. In diesem Kontext kön­
nen die Begegnungen mit Kindern wertvoll sein, denn der           Bei einem gemeinsamen Fenster-Malprojekt mit Kita-
Alltag ist geprägt von Einschränkungen und reduzierten            Kindern, bei dem aufgrund der Covid-Pandemie die
Möglichkeiten der sozialen Teilhabe. Frühere Kontakte,            Fensterscheiben gleichzeitig als Ansteckungsschutz
wie auch allgemein die Teilhabe am sozialen Leben aus­            zwischen Kindern und älteren Menschen fungierte,
serhalb der Einrichtung, sind schwieriger aufrecht zu er­         zeigte sich bald, dass die Kreativität der Kinder auch
halten (Weltzien et al., 2013).                                   das Können und Wissen der älteren Menschen mit De-
  Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Menschen mit             menz reaktivierte und die Kreativität der älteren eben-
Demenz, entsprechend den oben beschriebenen Bedürf­               falls anfachte: Am Schluss waren nicht nur die Schei-
nissen, von sozialer Nähe, emotionalem Austausch und              ben mit eigenständigen fantasievollen Motiven bemalt,
Alltagskommunikation profitieren (Klie, 2002; Klie &              sondern zum Erstaunen und Vergnügen der Kinder
Schuhmacher, 2007) und sich positive Gefühlszustände              auch die Fusssohlen einer älteren Frau mit Demenz.
zeigen, wenn ein Einbezug in soziale Aktivitäten erfolgt

NOVAcura 2/23                                                                                                 © 2023 Hogrefe
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der Lärmpegel beachtet und die Teilnahme freiwillig sein
(Houghton et al., 2022).                                        i     Kurstage
    Lyndon und Moss (2022) haben in ihrer Studie ein                  „Intergenerationelle Begeg­nun­gen
­intergenerationelles Projekt zwischen einem Kindergarten
                                                                      gestalten“
 und einem Pflegeheim für ältere Menschen mit Demenz
 evaluiert. Sie analysierten die bedeutsamen Interaktionen             Intergeneration ist ein Programm der Schweize-
 nicht nur zwischen den Kindern und den Erwachsenen,                   rischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) zur
 sondern auch unter den Fachkräften des Kindergartens.                 Förderung von Generationenbeziehungen und
 Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass singen, unstruk­               Generationenprojekten in der Schweiz. Neben
 turierte Momente, Kontinuität und der Kontext (offene                 der stärkeren Sichtbarmachung der Generatio­
 Räume und flexible Begegnungen) zu sinnerfüllten Interak­             nenprojekte und der besseren Vernetzung der
 tionen beitragen. Die Autor_innen kommen zum Schluss,                 Akteure gibt Intergenera­  tion im Förderschwer-
 dass intergenerationelle Begegnungen nicht nur für Kin­              punkt „Generationenverbindende Betreuungs-
 der und ältere Menschen, sondern ebenso für die invol­               institutionen“ seit 2016 vielfältige Impulse für
 vierten Fachkräfte bedeutsam und wertvoll sind und daher             Generationenbegegnungen zwischen familien­
 vermehrt praktiziert werden sollten.
                                                                      extern betreuten Kindern und alten Menschen
                                                                      im Pflege- und Betreuungsbereich. Der Kurs
                                                                      für Neustartende „Inter­    generationelle Begeg-
Von der sozialen Teilhabe zur Inklusion
                                                                      nungen gestalten“, konzipiert zusammen mit
                                                                      der Berner Fachhochschule (BFH), wird vom
Die Ausführungen zeigen: Durch intergenerationelle Be­
                                                                      Schweizerischen Verband der Aktivierungs-
gegnungen und Generationenprojekte können Ängste und
                                                                      fachpersonen (SVAT) und Kibesuisse – Verband
Vorurteile über verschiedene Altersklassen abgebaut wer­
den. Intergenerationelle Begegnungen ermöglichen Men­                 Kinder­  betreuung Schweiz –mitgetragen. Das
schen in Institutionen soziale Teilhabe und Interaktionen             Weiterbildungsangebot eignet sich für Fachper-
mit Kindern, mit welchen sie ansonsten nicht oder nur                 sonen beider Berufsfelder und findet im Jahr
sehr reduziert in Kontakt treten könnten. Ihr Alltag wird             2023 zweimal statt. Die Kurstage werden von
dadurch abwechslungsreicher und vielfältiger. Die ein­                ­Susanne Kast, Institut Alter der BFH, und Monika
gangs anhand von Kitwoods Blume eingeführten Bedürf­                   Blau, Co-Programmleiterin Intergeneration, ge-
nisse, insbesondere die Einbindung und Beschäftigung,                  meinsam durchgeführt.
können in intergenerationellen Begegnungen befriedigt                  Informationen und Anmeldungen für eine Prä­
werden. Damit kann der Selbstwert und das Wohlbefinden                 sens­­veranstaltung in Olten am 31.Mai 2023:
gefördert werden, was zu einer höheren Lebensqualität                  https://intergeneration.ch/de/veranstaltungen/
führen kann. Durch diese Interaktionen wird einerseits die             kurstag-fuer-neueinsteigende-intergeneratio
soziale Teilhabe unmittelbar gestärkt. Andererseits kön­               nelle-begegnungen-gestalten-in-olten/
nen diese Begegnungen indirekt resp. langfristig ebenfalls             und für ein Webinar am 29. November 2023:
einen Beitrag zur gesellschaftlichen Inklusion von Men­                https://intergeneration.ch/de/veranstaltungen/
schen mit Demenz leisten. Denn die (Kita-)Kinder entwi­                kurstag-fuer-neueinsteigende-intergeneratio
ckeln in den Kontakten soziale Kompetenzen im Umgang                   nelle-begegnungen-gestalten-als-webinar/
mit alten Menschen, insbesondere mit an Demenz er­
krankten. Sie haben die Möglichkeit, eigene Erfahrungen
zu machen und dadurch ein Altersbild resp. Vorstellungen       Dass die Enkelgeneration altersgerecht über das Krank­
von Menschen mit Demenz zu entwickeln, die differen­           heitsbild Demenz und über den adäquaten Umgang in­
ziert und nicht einseitig negativ geprägt sind. Die Verände­   formiert werden muss, zu diesem Schluss kommt auch die
rung von Alters- und Demenzbildern in der jungen Ge­           lebensweltorientierte Studie zur Enkelgeneration in der
neration haben langfristig das Potenzial, eine inklusivere     familialen Pflege bei Demenz von Philipp-Metzen (2011).
Gesellschaft zu bilden, bei der Menschen mit Demenz­           Sie zeigt den hohen Stellenwert, den Wissensgewinn und
erkrankungen vorurteilsfrei(er) begegnet wird. Die inter­      Kompetenzzuwachs im Bereich Demenz bei Kindern hat,
generationellen Begegnungen dürfen jedoch nicht im             für ihren als „unaufgeregt“ (S. 403) charakterisierten Um­
­Kita-Alter enden. Einen Beitrag an eine weiterführende        gang mit Menschen mit einer Demenzerkrankung. Die
 Auseinandersetzung können beispielsweise die inzwi­           Enkelgeneration kann durch altersgerechte Bereitstellung
 schen zahlreich verfügbaren Bilder- oder Lesebücher zum       von Informationen und Thematisierung von Demenz­
 Thema leisten. Zudem haben Alzheimer Schweiz und              erkrankungen in formalen, z. B. im Bildungswesen, und
 ­kiknet in drei Sprachen und mit Bezug zum Lehrplan 21        nicht formalen Lernprozessen, z. B. durch Aktivitäten in
  Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe 1 entwickelt1.     der Zivilgesellschaft, entsprechend befähigt werden.

1
    https://www.kiknet-alzheimer.org/

© 2023 Hogrefe                                                                                             NOVAcura 2/23
Bildung   55

Fazit                                                                  Lawton, M. P. (1991). A multidimensional view of quality of life in
                                                                          frail elders. In J. E. Birren, J. E. Lubben, J. C. Rowe & D. E. Deutch-
                                                                          man (Eds.), The concept and measurement of quality of life in the
Intergenerationelle Begegnungen, wie das Zusammen­                        frail elderly (pp. 3 – 27). Academic Press. https://doi.org/10.1016/
treffen von Menschen mit Demenz und (Kita-)Kindern,                       B978-0-12-101275-5.50005-3
leisten einen wichtigen Beitrag; die positiven Wirkungen               Lyndon, S. & Moss, H. (2022). Creating Meaningful Interactions for
                                                                          Young Children, Older Friends, and Nursery School Practitioners
sind empirisch mehrfach bestätigt. Deshalb wäre es wün­
                                                                          within an Intergenerational Project. Early childhood education
schenswert, dass intergenerationelle Settings im Alltag                   journal, 1–10. https://doi.org/10.1007/s10643-022-01330-5
von Betreuungsinstitutionen vermehrt zur Selbstverständ­               Kitwood, T. (2008). Demenz: Der person-zentrierte Ansatz im Um­
lichkeit werden und so eine gesellschaftliche Haltungs­                   gang mit verwirrten Menschen. (5., erg. Aufl., Hrsg. Ch. Müller-
                                                                          Hergl). Huber.
änderung unterstützen. Für eine sorgfältige Vorbereitung,
                                                                       Philipp-Metzen, H. E. (2011). Die Enkelgeneration in der familialen
Realisierung und Nachbearbeitung, sei dies konzeptionell,                 Pflege bei Demenz: Erfahrungen und Bilanzierungen – Ergeb-
aber auch praktisch, müssen seitens Institutionen entspre­                nisse einer lebensweltorientierten Studie. Zeitschrift für Geron­
chende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Da­                      tologie und Geriatrie, 44(6), 397 – 404. https://doi.org/10.1007/
                                                                          s00391-011-0234-x
durch wird nicht nur ein wertvoller Beitrag für die Lebens­
                                                                       Weltzien, D., Rönnau-Böse, M., Klie, T. & Pankratz, N. (2013).
qualität der Involvierten, sondern auch eine langfristige                 ­BEGEGNUNGEN – Ein Projekt mit hochbetagten Menschen und
Investition in eine alters- und insbesondere demenz­                       Vorschulkindern: Handreichung für die Praxis. FEL-Verlag.
freundliche Gesellschaft geleistet.

                                                                                                     Kathy Haas, MSc Soziale Arbeit,
Literatur
                                                                                                     ­wissenschaftliche Mitarbeiterin am
                                                                                                      Institut Alter der Berner Fachhoch-
Bundesamt für Statistik BFS. (2019). Erhebung zu Familien und
   Generationen 2018. BFS.                                                                            schule BFH
Houghton, C., Hennessy, M., Smyth, S., Hennelly, N., Smalle, M.,
   Jordan, F., Jones C. H., Quinn, M., Casey D. & Teahan, A. (2022).                                 kathy.haas@bfh.ch
   The experiences and perceptions of young people and older
   people living with dementia of participating in intergeneratio-
   nal programmes: A qualitative evidence synthesis. Dementia,
   21(7),2144 – 2171. https://doi.org/10.1177/14713012221112385
Hüsler, S. (2022). Ein intergenerationelles Umfeld für Menschen
   mit Demenz in Japan – Zusammenführende Tageseinrichtun-                                           Monika Blau, SGG Schweizerische
   gen zur Förderung der sozialen Teilhabe. In: U. Knobloch, H.                                      Gemeinnützige Gesellschaft,
   Theobald, C. Dengler, A. Kleinert, Ch. Gnadt & H. Lehner (Hrsg.),
                                                                                                     ­Programmleiterin Intergeneration
   Caring Societies – Sorgende Gesellschaften: Neue Abhängigkei­
   ten oder mehr Gerechtigkeit? (S. 97 – 109). Beltz Juventa.
Janke, M. C. & Walter, A. (2022). Changes in Engagement for Adults                                   monika.blau@sgg-ssup.ch
   with Dementia: Effects of an Intergenerational Program. The­
   rapeutic Recreation Journal, 56(4), 504 – 521. https://doi.org/
   10.18666/TRJ-2022-V56-I4-11536
Kalbermatten, U. (2009). Demenz als soziales Konstrukt: Ein inter-
   aktionsorientierter Zugang zu demenzkranken Menschen.
   Sozial­Aktuell, 10, 30 – 31.
                                                                                                     Prof. Dr. phil. Regula Blaser ­
Klie, T. (Hrsg.). (2002). Wohngruppen für Menschen mit Demenz.
   Reihe Demenz. Vincentz.                                                                           Dozentin am Institut Alter der Berner
Klie, T. & Schuhmacher, B. (2007). Wohngruppen in geteilter Verant­                                  Fachhochschule BFH
   wortung für Menschen mit Demenz – Das Freiburger Modell.
   BMG. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/                                         regula.blaser@bfh.ch
   publikationen/details/wohngruppen-in-geteilter-verantwortung-
   fuer-menschen-mit-demenz-das-freiburger-modell.html

NOVAcura 2/23                                                                                                                  © 2023 Hogrefe
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