Wie weiter nach der obligatorischen Schule? - Die Volkswirtschaft

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Wie weiter nach der obligatorischen Schule? - Die Volkswirtschaft
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                                Wie weiter nach der
                              obligatorischen Schule?
Neun von zehn Jugendlichen in der Schweiz erwerben einen Abschluss auf Sekundar-
stufe II. Dies zeigen die Bildungsverläufe nach der obligatorischen Schulzeit anhand von
AHV-Daten. Jacques Babel

Abstract Im Rahmen des Programms Längsschnittanalysen im Bildungs-                           detaillierte Nachverfolgung der Bildungsverläu-
bereich (Labb) des Bundesamtes für Statistik (BFS) können die Bildungsver-                   fe nach der obligatorischen Schule und liefert
läufe nach der obligatorischen Schule sowie der Arbeitsmarkteintritt mit                     damit wertvolle Informationen für die politi-
einem äusserst hohen Genauigkeits- und Zuverlässigkeitsgrad untersucht                       schen Entscheidungsträger (siehe Kasten).
werden. Im Jahr 2015 belief sich die Quote der Erstabschlüsse auf Sekun-
                                                                                                 Im Jahr 2015 lag die Quote der Erstabschlüs-
darstufe II bis zum 25. Altersjahr auf 90,9 Prozent. Damit liegt die Schweiz
10 Prozentpunkte über dem OECD-Durchschnitt. Die Analyse der Übergän-
                                                                                             se auf der Sekundarstufe II bis zum 25. Alters-
ge nach der obligatorischen Schule sowie der Bildungsverläufe auf Sekun-                     jahr bei 90,9 Prozent – und befand sich damit
darstufe II zeigt, dass die Unterschiede im Zeitverlauf grösser werden. So                   etwa 10 Prozentpunkte über dem OECD-Durch-
setzen Jugendliche mit einem Maturitätsabschluss (gymnasiale, Berufs-                        schnitt. Bei den Erstabschlüssen handelte es
oder Fachmaturität) ihre Ausbildung meist auf der Tertiärstufe fort. Der                     sich hauptsächlich um eidgenössische Berufs-
Untersuchung lässt sich ausserdem entnehmen, dass sich die Erwerbs- und                      atteste (EBA), eidgenössische Fähigkeitszeug-
Ausbildungsperioden vielfach überlappen.                                                     nisse (EFZ), Fachmittelschulausweise sowie
                                                                                             gymnasiale Maturitäten. Umgekehrt verfügten

                         V     or der Modernisierung der Erhebungen im
                               Bildungsbereich und der Einführung der
                         13-stelligen AHV-Nummer war das Wissen über
                                                                                             9,1 Prozent der Jugendlichen in der Schweiz le-
                                                                                             diglich über einen obligatorischen Schulab-
                                                                                             schluss. Da sie ohne zusätzlichen Abschluss ins
                         die Bildungsverläufe in der Schweiz nur bruch-                      Erwerbsleben eintreten, erfüllen sie die Min-
                         stückhaft vorhanden. Es beschränkte sich häu-                       destanforderungen für eine nachhaltige und er-
                         fig auf wenige Kantone oder beruhte auf be-                          folgreiche Integration in die Wirtschaft und die
                         grenzten Stichproben. Beispielsweise war nicht                      Gesellschaft des Landes nicht. Das politische
                         genau bekannt, wie viele Menschen keine nach-                       Ziel ist eine Quote von 95 Prozent.
                         obligatorische Ausbildung absolvieren – obwohl                          Die Abschlussquote der Frauen (93%) liegt
                         dies sowohl auf nationaler als auch auf interna-                    4 Prozentpunkte höher als jene der Männer (sie-
                         tionaler Ebene ein strategischer Indikator ist.                     he Abbildung 1). Grosse Unterschiede bestehen
                         Das Programm «Längsschnittanalysen im Bil-                          auch je nach Migrationsstatus. Während sich
                         dungsbereich» (Labb) des Bundesamtes für Sta-                       die Abschlussquote der im Inland geborenen
                         tistik (BFS) ermöglicht nun eine kontinuierliche,                   Schweizer auf 94 Prozent beläuft, liegt sie bei

                         Das Programm Labb
                         Die Einführung des in den Personenre-         dem sämtliche Bildungsverläufe nach der     regelmässigen Abständen Studien zu den
                         gistern der Bundesverwaltung verwen-          obligatorischen Schule nachverfolgt wer-    Übergängen und Bildungsverläufen. Die
                         deten einheitlichen Personenidentifika-        den können. Das Projekt basiert auf zwei    sich daraus ergebenden Daten können mit
                         tors (13-stellige AHV-Nummer) vor rund        Pfeilern. Einerseits werden zur Erleich-    den beim BFS bereits vorhandenen Infor-
                         zehn Jahren eröffnet neue Möglichkeiten        terung der Analysen und zur Veröffent-       mationen ergänzt werden. Daraus können
                         für die statistische Analyse im Bildungsbe-   lichung von kohärenten Daten vom BFS        wertvolle Erkenntnisse gezogen werden,
                         reich. Auf dieser Basis konnte im Jahr 2014   harmonisierte und strukturierte Längs-      ohne dass spezifische Erhebungen durch-
                         das Programm Längsschnittanalysen im          schnittdatensätze zur Verfügung gestellt.   geführt werden müssen.
                         Bildungsbereich (Labb) des Bundesamtes        Andererseits systematisiert das BFS die
                         für Statistik (BFS) eingeführt werden, mit    Messung der Übergänge und publiziert in

10   Die Volkswirtschaft 7 / 2018
Wie weiter nach der obligatorischen Schule? - Die Volkswirtschaft
FOKUS

                                                                                                                                                            Schulbeginn am
                                                                                                                                                            ­Gymnasium Kirsch-
                                                                                                                                                             garten in Basel. Nach
                                                                                                                                                             der Matura studieren
KEYSTONE

                                                                                                                                                             viele Gymnasiasten
                                                                                                                                                             an einer Hochschule.

           den in der Schweiz geborenen Ausländern 8 Pro-                                 Unterschiede akzentuieren sich
           zentpunkte tiefer.
               Betrachtet man die Abschlussquoten                                         Die Analyse der Übergänge nach der obligato-
           nach Wohnbezirk, sticht nebst der räumli-                                      rischen Schule sowie der Bildungsverläufe auf
           chen Komplexität des Indikators eine starke                                    Sekundarstufe II zeigt, dass die Unterschiede
           Stadt-Land-Dynamik ins Auge (siehe Karte). So                                  zwischen den Personengruppen im Zeitver-
           sind die Quoten in den Bezirken mit den Zentren                                lauf grösser werden. Auch zwischen der West-
           Lausanne, Genf, Basel, Luzern, Lugano, Zürich                                  und der Deutschschweiz gibt es Differenzen.
           und Biel mit Werten zwischen 80 und 87 Prozent                                 So treten in der Westschweiz – innerhalb
           relativ tief.                                                                  von zwei Jahren – weniger Jugendliche in die

           Abb. 1: Erstabschluss-Quote auf Sekundarstufe II bis zum 25. Altersjahr (nach Geschlecht, Migrationsstatus und Sprachregion; 2015)

           100    in %
                         90,9                                92,9                 94                                                       92,7
                                           88,9                                               86,2                                                         86,4            87,9
                                                                                                             84,6
           75                                                                                                             72,6

           50
                                                                                                                                                                                          BFS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

           25

           0
                    Total (N=77347)       Männer             Frauen           Im Inland   In der Schweiz   Im Ausland   Im Ausland    Deutschschweiz   Westschweiz    Italienisch­
                                                                             ­geborene        geborene      ­geborene     geborene                                     sprachige
                                                                             Schweizer       ­Ausländer     Schweizer    ­Ausländer                                     Schweiz

                Berufliche Grundbildung      Allgemeinbildung (z. B. Maturität)

                                                                                                                                                  Die Volkswirtschaft 7 / 2018       11
BILDUNG

                              Sekundarstufe II ein (92%) als in der Deutsch-                                     lysierten Aspekten. Zweitens variieren die Er-
                              schweiz (95%).1                                                                    folgsquoten beim Abschluss der Sekundarstufe
                                  Die Analyse der Verläufe auf Sekundarstufe                                     II stärker, wenn nur die gradlinigen Bildungs-
1 Gaillard et al. (2016).     II zeigt zweierlei.2 Erstens vergrössern sich die                                  verläufe betrachtet werden. Beispielsweise er-
2 Laganà und Babel            Unterschiede, die zum Zeitpunkt des obligatori-                                    langen Jugendliche mit Schweizer Staatsan-
  (2018).
3 Strubi et al. (2018).       schen Schulabschlusses vorliegen, bei allen ana-                                   gehörigkeit nicht nur häufiger, sondern auch
                                                                                                                 schneller einen Abschluss auf Sekundarstufe II.

Erstabschluss-Quote auf Sekundarstufe II bis zum 25. Altersjahr
(nach Wohnbezirk; 2015)                                                                                          Integration in den Arbeitsmarkt
                                                                                               Ein weiterer Bereich, der bisher auf nationaler
                                                                                                          ≥ 98,0
                                                                                                    94,0 – 97.9
                                                                                               Ebene kaum näher untersucht wurde, betriff t
                                                                                                    90,0 – 93,9
                                                                                   86,0 – 89,9
                                                                                   82,0 – 85,9 die Übergänge nach dem Erwerb eines Ab-
                                                                                          < 82,0
                                                                                               schlusses auf Sekundarstufe II. In einer neu-
                                                                                   moins de 200 personnes
                                                                                   certifiées               1

                                                                                               en BFS-Studie wird ersichtlich, dass Jugend-
                                                                                               liche mit Maturitätsabschluss (gymnasiale,
                                                                                               Berufs- oder Fachmaturität) ihre Ausbildung
                                                                              BFS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

                                                                                               sehr häufig auf Tertiärstufe fortsetzen.3 Sie
                                                                                               zeigt auch, dass sich Personen mit berufl icher
                                                                                               Grundbildung sehr gut in den Arbeitsmarkt in-
                                                                                               tegrieren. So finden 85 Prozent der Personen
  ≥ 98,0%     94,0 – 97,9%  90,0 – 93,9%     86,0 – 89,9%     82,0 – 85,9%
FOKUS

dings dauert die erste Anstellung für nahezu        Abschluss erwerbstätig waren, 12 Monate spä-
die Hälfte dieser Jugendlichen weniger als ein      ter wieder ins Bildungssystem zurück. Dass die
Jahr. Gemäss der Studie waren 19 Prozent in-        Überlappung von Erwerb und Ausbildung auch
nerhalb der 30 Monate nach dem Erwerb ihres         zwischen dem 30. und dem 42. Monat weiter-
Abschlusses mindestens einmal als erwerbslos        hin stark bleibt, zeigt, dass der Bildungsüber-
registriert und hatten demzufolge Schwierig-        gang nach der Sekundarstufe II oft nicht voll-
keiten bei der berufl ichen Eingliederung. Be-       ständig abgeschlossen ist.
sonders ausgeprägt ist dieses Phänomen in der           Abschliessend lässt sich sagen: Dank dem
italienischsprachigen (38%) und der franzö-         Programm Labb kann ein detaillierteres, fa-
sischsprachigen Schweiz (28%) – während der         cettenreicheres Bild der Bildungsverläufe in
Anteil in der Deutschschweiz (17%) deutlich         der Schweiz gezeichnet werden als bisher.
geringer ist. In den meisten Fällen handelt es      Nun liegt es an der Forschung, die beobach-
sich um eine kurzfristige Arbeitslosigkeit von      teten Unterschiede zu erklären und mögliche
insgesamt maximal einem halben Jahr.                Verbesserungsansätze zu erarbeiten. Da dies
    Ein weiterer Aspekt, der in der Schweiz         nur mit neuen Daten möglich ist, könnten die
bislang kaum untersucht wurde, ist die aus-         Labb-Ergebnisse beispielsweise systematisch
geprägte Dynamik zwischen Ausbildung und            mit jenen aus nationalen oder internationalen
Erwerb nach einem Abschluss auf Sekundar-           Erhebungen verknüpft werden.
stufe II. So zeigt sich, dass sich Ausbildung und
Erwerbstätigkeit nach dem Abschluss eines
eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses wäh-
rend mehrerer Jahre überlappen: Viele Jugend-
liche treten sofort ins Erwerbsleben ein, wobei
ein Viertel innerhalb der folgenden drei Jah-
re ins Bildungssystem zurückkehrt, um eine
Berufsmaturität, ein Hochschulstudium oder
eine zweite Berufslehre zu absolvieren.                Jacques Babel
    Bei Personen, die ein eidgenössisches Fä-          Dr. ès sc., Leiter des Programms Längsschni analysen
                                                       im Bildungsbereich (Labb), Bundesamt für Statistik
higkeitszeugnis erworben haben, sind die Bil-          (BFS), Neuenburg
dungsübergänge während der analysierten
42 Monate nach dem Abschluss komplex (sie-
he Abbildung 2). Insbesondere lässt sich fest-        Literatur
stellen, dass 66 Prozent der Personen, die 6          Gaillard, L. und Babel, J. (2018). Quote der Erstabschlüsse auf Sekun­
                                                        darstufe II und Maturitätsquote, BFS, Neuenburg.
Monate nach ihrem Abschluss zunächst we-              Gaillard, L., Laganà, F. und Babel, J. (2016). Der Übergang am Ende
                                                        der obligatorischen Schule, BFS, Neuenburg.
der erwerbstätig noch in Ausbildung waren,            Laganà, F. und Babel, J. (2018). Bildungsverläufe auf Sekundarstufe
ein Jahr später wieder arbeiteten. Ausserdem            II, BFS, Neuenburg.
                                                      Strubi, P. und Babel, J. (2015). Übergänge und Verläufe auf Tertiär­
sind starke Wechselwirkungen zwischen Er-               stufe, BFS, Neuenburg.
werb und Ausbildung ersichtlich. So kehrten 11        Strubi, P., Veselá, J. und Babel, J. (2018). Übergänge nach Abschluss
                                                        der Sekundarstufe II und Integration in den Arbeitsmarkt, BFS,
Prozent der Personen, die 6 Monate nach ihrem           Neuenburg.

                                                                                                                   Die Volkswirtschaft 7 / 2018   13
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