Wort nicht nur zum Sonntag - Karmel Duisburg

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Wort nicht nur zum Sonntag - Karmel Duisburg
Wort nicht nur zum Sonntag

Stefan Lochner, Detail aus dem „Weltgericht“ (gemalt um 1435)

Ein brutales Bild, Stefan Lochners „Weltgericht“.
Im linken Drittel des Bildes sehe ich, wie ein Mensch aus seinem Grab
emporsteigt. Ein Engel ergreift den Arm des Menschen. Ein dunkler
Dämon versucht mit seinen Klauen den Menschen zu packen.
Unmittelbar rechts daneben entsteigt ein Paar seinen Gräbern; ein          1
Dämon mit pelzigen Ohren schleift das Paar an den Haaren fort.
Ein wenig weiter rechts liegt ein dicker Mensch, der mit seiner linken
Hand einen Geldbeutel zu halten versucht. Ein gelber Dämon schleift
diesen Menschen fort.
Im Anschluss trägt ein Dämon mit spitzen Hörnern zwei Trunkenbolde
fort ins „ewige Feuer“, wo sich schon etliche weltliche und geistliche
Würdenträger befinden.
Stefan Lochner hat in der Basiszone des „Weltgerichts“ die Laster
„Wollust“, „Geiz“ und „Trunksucht“ gemalt. Von der Bildkomposition her
ist der „Geiz“ das zentrale Laster. Der Maler hat ihn genau in die Mitte
des Bildes platziert.
Was hat Stefan Lochner zu dieser Überzeugung veranlasst? Hat er
beobachtet, wie in Köln die Mehrheit der Bevölkerung dahinvegetierte,
während eine kleine Minderheit immer reicher wurde und der in Bau
befindliche Dom Unsummen Geld verschlang?
Aus dem Jakobusbrief wird in unseren Gottesdiensten selten vorgelesen.
An diesem Sonntag sind wir eingeladen, folgenden Abschnitt zu
bedenken:
Wort nicht nur zum Sonntag - Karmel Duisburg
„Ihr Reichen, weint nur und klagt über das Elend, das über euch
kommen wird! Euer Reichtum verfault und eure Kleider sind von Motten
zerfressen, euer Gold und Silber verrostet. Ihr Rost wird als Zeuge
gegen euch auftreten und euer Fleisch fressen wie Feuer. Noch in den
letzten Tagen habt ihr Schätze gesammelt. Siehe, der Lohn der Arbeiter,
die eure Felder abgemäht haben, der Lohn, den ihr ihnen vorenthalten
habt, schreit zum Himmel; die Klagerufe derer, die eure Ernte
eingebracht haben, sind bis zu den Ohren des Herrn Zebaoth
gedrungen. Ihr habt auf Erden geschwelgt und geprasst und noch am
Schlachttag habt ihr eure Herzen gemästet. Verurteilt und umgebracht
habt ihr den Gerechten, er aber leistete euch keinen Widerstand.“
(Jak 5,1-6)
Bin ich reich? Spricht der Jakobusbrief mich als einen Reichen an?
2007 sah ich im Römer-Museum in Haltern die Ausstellung „Luxus und
Dekadenz am Golf von Neapel“. Im ersten Raum der Ausstellung war
eine Landkarte des Römischen Reiches zu sehen. Statt dass die
einzelnen Provinzen mit Namen beschriftet waren, war der Landkarte zu
entnehmen, welche Produkte aus welcher Provinz nach Rom und in die
Sommerfrische vornehmer Römer am Golf von Neapel abtransportiert          2
wurden: Aus den Steinbrüchen der Provinz Asia kamen kostbare
Baumaterialien für kaiserliche Bauten. Aus dem Norden Afrikas wurden
riesige Mengen wilder Tiere nach Rom gebracht, weil sie dort in der
Arena gebraucht wurden. Aus Germanien kamen blonde Haare nach
Rom, damit dort aus ihnen blonde Perücken geknüpft wurden. Blonde
Perücken waren der neueste modische Schrei im Rom des ersten und
zweiten Jahrhunderts.
Neben dieser Landkarte hing an der Wand eine Fessel für Sklaven.
Diese wurden für die Nacht an den Füßen zusammengeschlossen, damit
sie – sie gehörten ja zum Besitz des Herrn – nicht fliehen konnten.
Basis manchen Reichtums ist oft die Ausbeutung anderer.
Hatte der Autor des Jakobusbriefes solche Verhältnisse vor Augen, als
er gegen Ende des ersten Jahrhunderts seinen Brief schrieb?
Der Jakobusbrief beklagt weniger den Reichtum als vielmehr die
mangelnde Solidarität der Reichen und ihr unsoziales Verhalten. Ihre
Überzeugung ist: „ICH zuerst! Allein ICH!“
Im Jakobusbrief erinnert an den prophetischen Furor des Amos. Im
achten Jahrhundert v.Chr. drohte Amos:
„Ruft es aus über den Palästen von Aschdod und über den Palästen in
Ägypten! Sagt: Versammelt euch auf den Bergen von Samaria, seht das
wilde Treiben in ihrer Mitte und die Unterdrückung in ihrem Innern! Sie
kennen die Rechtschaffenheit nicht - Spruch des HERRN -, sie häufen
Gewalt und Unterdrückung in ihren Palästen auf. Darum - so spricht
GOTT, der Herr: Ein Feind wird das Land umzingeln; er wird deine
Macht niederreißen und deine Paläste werden geplündert. So spricht der
HERR: Wie ein Hirt aus dem Rachen des Löwen nur noch zwei
Wadenknochen rettet oder den Zipfel eines Ohres, so werden Israels
Söhne gerettet, die in Samaria auf ihrem Diwan sitzen und auf ihren
Polstern aus Damast.“ (Am 3,9-12)
Und gegen religiöse Feiern polemisiert er:
„Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht
riechen. Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an
euren Gaben und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. Weg mit
dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören,
sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie
versiegender Bach.“ (Am 5,21-24)
Ich bin reich, wenn ich mich vergleiche mit jemandem, der vom ALG II
oder Sozialhilfe lebt. Verglichen mit einem Top-Manager,…
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Der Jakobusbrief legt seine Finger in die Wunden unseres Wirtschaftens:
Erhält der, die Arbeit geleistet hat den gerechten Lohn? Wird z.B. die
Näherin meines T-Shirts in Bangladesch gerecht entlohnt? Arbeitet sie
unter humanen Arbeitsbedingungen?
Erhält die osteuropäische Pflegekraft, die die 24-Stunden-Pflege
gewährleistet, ihre gerechte Entlohnung?
Werden Frauen und Männer für die gleiche Leistung den gleichen Lohn?
Wie gehe ich mit Kritikern unseres Wirtschaftssystems um? Auch wenn
ich sie nicht umbringe, wie die damaligen Propheten ermordet wurden,
strafe ich sie durch Hohn und Spott? Oder mache ich sie mundtot, indem
ich voller Hass über sie rede?
Unser Grundgesetz von 1949 sagt: „Eigentum verpflichtet. Sein
Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ (Art. 14,
Abs.2)
Viele haben mit ihrer Spende den Menschen geholfen, die in der
Flutkatastrophe all ihren Besitz verloren haben. Sie haben von ihrem
Reichtum abgegeben, damit denen, die zum Teil alles verloren haben,
geholfen wird.
Andere übernehmen Patenschaften z.B. bei der Kindernothilfe, um
Kindern und Jugendlichen (schulische oder berufliche) Ausbildung zu
ermöglichen.
Wieder andere sind engagiert bei Organisationen „Brot für die Welt“,
„Misereor“, „Solvodi“…
In den Jahren 1938 bis 1940 arbeitete Bertolt mit Ruth Berlau am
Theaterstück „Der gute Mensch von Sezuan“.
„Oh, ihr Unglücklichen!
Eurem Bruder wird Gewalt angetan, und ihr kneift die Augen zu!
Der Getroffene schreit laut auf, und ihr schweigt?
Und ihr sagt: uns verschont er, denn wir zeigen kein Missfallen.
Was ist das für eine Stadt, was seid ihr für Menschen!
Wenn in einer Stadt ein Unrecht geschieht, muss ein Aufruhr sein
Und wo kein Aufruhr ist, da ist es besser, dass die Stadt untergeht
Durch ein Feuer, bevor es Nacht wird!“
Amos und Jakobus lassen grüßen.

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Ein erholsames Wochenende und eine
gute Woche!

Ulrich Wojnarowicz
26. September 2021

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Stefan Lochner, „Weltgericht“ (Detail)
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