Zeitvariable Netztarife für flexible Kunden - Erzeugung & Infrastruktur - E-Bridge
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1 19 Auszug aus Ausgabe 1 Februar 2019 Erzeugung & Infrastruktur Zeitvariable Netztarife für flexible Kunden Von Dr. Henning Schuster, Principal Consultant, E-Bridge Consulting, Jens Leberwurst, Leiter Netzwirtschaft/Regulierungsmanagement und Dirk Wittig, Leiter Regulierungsmanagement, Mitnetz Strom ISSN: 1611-2997
Erzeugung & Infrastruktur Zeitvariable Netztarife für flexible Kunden Suche nach zukunftsfähiger Entgeltsystematik In besonders von der Energiewende betroffenen Regionen kann der Ausbau der Netze kaum mit dem ungesteuerten Ausbau der EE-Anlagen mithalten. Netzengpässe, regional wie überregional, sind schon heute die Folge. Die volkswirtschaftlichen Kosten für Netz- ausbau sowie Abschaltung und Entschädigung sind hoch. Durch zeitvariable Netztarife für flexible Netzkunden, welche die Netzbelastung reflektieren, könnten ein netzentlas- tendes Verhalten angereizt und bestehende Netze besser ausgelastet werden. Darüber hinaus wird die anstehende Integration der E-Mobilität unterstützt. Der vorliegende Beitrag zeigt eine Möglichkeit zur Ausgestaltung zeitvariabler Netztarife. Von Dr. Henning Schuster, Principal Consultant, E-Bridge Consulting, Jens Leberwurst, Leiter Netzwirtschaft/Regulie- rungsmanagement und Dirk Wittig, Leiter Regulierungsmanagement, Mitnetz Strom I n besonders von der Energiewende be- speisung aus erneuerbaren Energien sogar Kupfer). Es bedarf daher einer Weiterent- troffenen Regionen, wie im Netzgebiet entgegen. Eine Überschreitung der bishe- wicklung der Netzentgeltsystematik, um der Mitnetz Strom, beträgt der durch- rigen Jahreshöchstlast eines Verbrauchers zielgerichtete Anreize für netzentlastendes schnittliche Anteil der erneuerbaren führt bei diesem zu höheren Netzentgel- Verhalten zu schaffen und um Hemmnisse Energie bereits heute rund 100 Prozent am ten, obwohl er mit seiner Flexibilität das für Flexibilität abzubauen. Dynamische, Letztverbraucherabsatz. Netzengpässe, Netzes entlasten könnte (Intelligenz statt zeitvariable Netztarife können zielgerich- regional wie überregional, sind dort schon heute die Folge. Die volkswirtschaftlichen Kosten für Netzausbau, aber auch Ab- schaltung und Entschädigung sind hoch. 01 Weiterentwicklung von Netzentgeltsystematik und Engpassmanagement im Verteilnetz Ohne Anreize für ein netzdienliches Ver- halten haben Sektorkopplung und Speicher Weiterentwicklung Netzentgeltsystematik das Potenzial, die Situation zu verschärfen. FOKUS DER STUDIE Denn ohne Preissignale fehlen beispiels- weise dem Elektromobilitätskunden Anreize für netzentlastendes Verhalten Hemmnisse für Flexibilität von Lasten durch dynamische Netzentgelte schaffen auflösen (bspw. § 19 (2) StromNEV) Anreize, seinen Verbrauch mit der Netzsi- tuation und dem Angebot an erneuerbaren Energien vor Ort zu synchronisieren. Mit der Flexibilisierung von Last, Speicher und Einspeisung können vorhandene Netze aber auch ausgelastet, Netzausbau redu- ziert und somit die Gesamtkosten gesenkt werden. Doch die heutige Netzentgeltsyste- Niederspannung/ Effizientere Nutzung Mittelspannung/ matik gibt dafür keine Anreize. Mittelspannung der Netzinfrastruktur Hochspannung Der positive Effekt von Lasten (Lasterhö- hung) zur Vermeidung einspeisegetriebe- ner Netzengpässe wird in der aktuellen Validierungs- und Sicherheitsmechanis- Planwertbasiertes Engpassmanagement Netzentgeltsystematik nicht berücksichtigt men mit Lasten und Speichern zur ausgestalten, auch mit freiwillig (auch nicht in der Diskussion um die Aus- Vermeidung von Netzüberlastungen angebotener Flexibilität gestaltung von § 14 a EnWG). Die aktuelle Netzentgeltsystematik wirkt einer Syn- Weiterentwicklung Engpassmanagement mit Flexibilität chronisierung von Last und lokaler Ein- 2 Auszug aus e|m|w Heft 01|2019
Erzeugung & Infrastruktur 02 Das Konzept zeitvariabler Netztarife in der Niederspannung 3 Flexibles Verhalten reduziert Netzengpässe und -kosten 2 Reaktion auf Preissignale von digitalen und auto- VNB matisierten Algorithmen 1 Zeit- und ortsvariable (z.B. Apps) Netzentgelte in Abhängigkeit der Netzbelastung + 4 Engpassmanagement mit Flexibilität, falls auch nach Preisanreizen noch Netzengpässe bestehen + langfristig effizienter Netzausbau tete Anreize für flexibles, netzdienliches gern wie Betreibern von Ökostromanla- ein netzentlastendes Verhalten anrei- Verhalten von Verbrauchern, Einspeisern gen an den Netzausbaukosten angestrebt zen. Bestehende digitale Technologien und Speichern setzen. Sie sind besonders werden. Dabei sind die Möglichkeiten werden dabei genutzt und sind dafür für die Niederspannungsebene geeignet, der Digitalisierung, zum Beispiel durch die Voraussetzung (Abb. 2). da dort zukünftig die meiste Flexibilität neue Daten- und Steuerungstechnologien angeschlossen sein wird. Diese Tarife kön- zu nutzen, um netzdienliche zeitvariable Ein ortsabhängiger Baukostenzuschuss nen in ihrer Wirkung aber auch Engpass- Tarife anwenden zu können. für Einspeisungen könnte Kostenver- situationen in vorgelagerten Netzebenen ursachergerechtigkeit und Anreize positiv beeinflussen. Die Weiterentwick- Der Ist-Stand für optimale Standortentscheidungen lung der Netzentgeltsystematik stellt somit Derzeit fehlen Anreize für netzentlasten- schaffen. eine notwendige Ergänzung zur Weiter- des Verhalten. Der Netzkunde hat weder entwicklung des Engpassmanagements eine Information darüber, wann sein Ent- Konzept zeitvariabler Netztarife dar. Auch hier muss dringend dezentrale nahmeverhalten netzentlastend ist, noch in der Niederspannung Flexibilität durch die Verteilnetzbetreiber hat er einen Anreiz, sein Entnahmever- Für die Niederspannungsebene wer- angereizt werden können. Zielstellung halten zu ändern. Auch die Möglichkeiten den in dem von uns vorgeschlagenen der hier vorgestellten Studie war es daher, der Digitalisierung werden nicht genutzt. Modell vor Jahresbeginn drei Tarifstu- einen zeitlich dynamischen Netztarif als Das heutige System sieht außer beim fen veröffentlicht. Innerhalb des Jahres Anreiz für flexible Netzkunden in der Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) keiner- variieren die Netzentgelte entsprechend Niederspannung zu entwickeln und so das lei Nutzung digitaler Technologien vor. der lokalen Engpasssituation zwischen Stromnetz zu entlasten (Abb. 1). Überdies werden die Einspeiser derzeit diesen Tarifen. Die drei Tarifstufen gelten nicht über Netzentgelte an den Netzaus- nur für flexible Verbraucher. Der jeweils Anforderungen an eine zukunfts baukosten beteiligt. Somit mangelt es an gültige Tarif wird mit einem zeitlichen fähige Netzentgeltsystematik einer verursachungsgerechten Beteiligung Vorlauf, beispielsweise von 72 Stunden, Eine zukunftsfähige Netzentgeltsystema- aller Verursacher an Netzausbaukosten. mitgeteilt. Wird viel (erneuerbarer) Strom tik sollte zeitlich und örtlich differenzier- erzeugt, entstehen Netzengpässe, die te Anreize für netzdienliches Verhalten Zeitvaribler Netztarif und ortsabhängiger durch einen steigenden Verbrauch vor bei Netzkunden setzen. Dabei sollten die Baukostenzuschuss als Lösung Ort entlastet werden können (örtliche folgenden Leitplanken gesetzt werden: Die Lücken in der heutigen Netzent- Auflösung: Ortsnetzstation). Die örtli- Die Netzentgeltsystematik sollte nachvoll- geltsystematik können mit zwei neuen chen Netzkunden benötigen daher einen ziehbar, diskriminierungsfrei und umsetz- Elementen gefüllt werden: Anreiz, mehr Strom zu verbrauchen. Das bar sein. Die Kosten des Netzes sollten niedrigste Netzentgelt ist notwendig. planbar gedeckt werden. Darüber hinaus Ein zeitvariabler Netztarif in der Nieder- sollte keine Netzkundengruppe benach- spannung kann die aktuelle Netzbelas- Entsteht ein Netzengpass hingegen auf teiligt werden. Nicht zuletzt sollte auch tung reflektieren − auch von überla- Grund eines zu hohen Endverbrauchs eine verursachungsgerechte Beteiligung gerten Spannungsebenen − und bei (z. B. durch E-Mobilität), benötigen die aller Netzkunden, also auch von Erzeu- Netzkunden, die auf Engpässe wirken, örtlichen Netzkunden einen Anreiz, ihren Auszug aus e|m|w Heft 01|2019 3
Erzeugung & Infrastruktur 03 Bestimmung zeitvariabler Netztarife kann in bestehende Systematik eingebettet werden. Mehr-/Mindererlösabrechnung Prognose Energiemengen Tarifzeitreihe für nächste 72 h für jeden Netzkunden Kostenbasis berechnen Festlegung Tarifstufen Tarifzeitreihe für nächste 72 h Tarif 1: Anreiz zur Lastreduzierung Kostenwälzung Jahresbeginn Jahresende Tarif [ct/kWh Tarif 2: Normalpreis Tarif 3: Anreiz zur Lasterhöhung 15 15 15 15 15 15 15 15 15 … min min min min min min min min min 1 2 3 4 5 6 NEU! Verbrauch zu reduzieren und zeitlich schen Analyse die Kostenbasis des zeitva- bedarf notwendig wäre. So würden in ca. zu verlagern. Der hohe Tarif käme zum riablen Arbeitspreises decken (Abb. 3). 33 Prozent des zugrunde gelegten Netzes Einsatz. In Zeiten ohne Engpass kommt Engpässe auftreten und Netzausbau die mittlere Tarifstufe (Normalpreis) zur Planbarkeit und Variabilität gehen erfordern. Die maximale Belastung, die Anwendung. dabei natürlich nicht Hand in Hand. diesen Netzausbau erfordert, tritt jedoch Die Festlegung der Tarifstufen sollte nur in wenigen Stunden des Jahres Ermittlung der Tarife daher individuell auf Basis gesammelter auf. Durch zeitvariable Netztarife kann Auf Basis der Erlösobergrenze können in Erfahrungen sowie Prognosen erfolgen netzentlastendes Verhalten im Rahmen der Niederspannung drei Tarife sowie ein und vor jedem Kalkulationsjahr kritisch der technisch möglichen Flexibilität der Grundpreis berechnet werden. Zwischen überprüft werden. Netzkunden angereizt werden und den den drei Tarifen muss ein ausreichender notwendigen Netzausbau um ca. 36 Pro- Unterschied bestehen, damit sich die Än- Die Wirkung zeitvariabler Netztarife zent reduzieren (Abb. 4). derung des Verbrauchsverhaltens für den Unsere Simulationen eines modellhaften Kunden lohnt. In Summe sollen die drei Verteilnetzbetreibers zeigen, dass mit Gänzlich auf Netzausbau kann natürlich Tarifkomponenten auf Basis der stochasti- statischen Netztarifen hoher Netzausbau- nicht verzichtet werden. Vorhandene 04 Reduzierung von Netzausbau durch flexibles Verhalten von Netzkunden 180 Szenario Anzahl überlasteter Betriebsmittel in E-Mobility 40 % aller PKW -36 % Anzahl überlasteter Betriebsmittel in 160 Netzgebiet des modellhaften VNBs Netzgebiet des modellhaften VNBs 140 statische Tarife E-Heizen 30 % aller Heizungen 120 Ausnutzung 15 % des maximalen 100 PV-Potenzial PV-Potenzials 161 Annahme: (33 % des 100 % Reaktion 80 Netzes) der Kunden 102 60 zeitvariable Tarife auf Preisanreiz (21 % des 40 Netzes) 20 0 1 226 451 676 901 1126 1351 1576 1801 2026 2251 2476 2701 2926 3151 3376 3601 3826 4051 4276 4501 4726 4951 5176 5401 5626 5851 6076 6301 6526 6751 6976 7201 7426 7651 7876 8101 8326 8551 Statische Tarife Zeitvariable Tarife Anzahl an Stunden eines Jahres 4 Auszug aus e|m|w Heft 01|2019
Erzeugung & Infrastruktur Netze werden aber deutlich effizienter Flexibilität nicht nutzt, hat einen höheren genutzt, bevor ein Ausbaubedarf entsteht. Verbrauch zu Zeiten höherer Preise und meiste Flexibilität angeschlossen. Ein somit geringere Einsparungen der spezifi- direktes Eingreifen des Netzbetreibers in Alle Verbraucher profitieren – schen Netzkosten. den Verbrauch des Netzkunden ist dabei aber unterschiedlich nicht notwendig. Die Bestimmung Das mit zeitvariablen Tarifen angereizte zeitlich dynamischer Netztarife kann in Verhalten von Netzkunden kann nahezu Fazit die bestehende Netzentgeltsystematik ein Drittel des Anstiegs der Erlösobergren- eingebettet werden. Für die Niederspan- ze vermeiden. Ein steigender Gesamtver- Die heutige Netzentgeltsystematik ist nungsebene werden vor Jahresbeginn brauch zum Beispiel durch E-Mobilität statisch und setzt keine Anreize zu einem drei Tarifstufen kalkuliert. Innerhalb eines verteilt die Netzkosten zusätzlich auf flexiblen netzentlastenden Verhalten von Jahres entfalten die jeweils gültigen mehr Kilowattstunden. Auf Grund dieser Netzkunden. Das ist nicht mehr Tarife eine Netz entlastende Wirkung. beiden Effekte kann ein „unflexibler zeitgemäß, da immer mehr Flexibilität Simulationen zeigen, dass preisliche Durchschnittsverbraucher“ zukünftig mit im Stromnetz angeschlossen ist und die Anreize dazu führen, dass die heutige einem geringeren „Normalpreis“ rechnen. Digitalisierung und Vernetzung Reaktio- Netzinfrastruktur deutlich besser nen auf intelligente Preisanreize möglich ausgenutzt und Netzausbaukosten Zeitvariable Tarife erlauben, dass ein machen. Zeitlich dynamische Netztarife reduziert werden können. Dadurch smarter flexibler Verbraucher, der seine können zielgerichtete Anreize für profitieren auch die „unflexiblen“ Flexibilität nutzt, die spezifischen Netz- netzentlastendes Verhalten schaffen. Sie Netzkunden, für die weiterhin der kosten weiter reduziert, da er seinen sind besonders für die Niederspannungs- Normaltarif gilt, denn dieser ist mit Verbrauch zu Zeiten hoher Tarife reduziert ebene geeignet, denn hier ist zukünftig zeitlich dynamischen Tarifen günstiger als und zu Zeiten geringer Tarife erhöht. Ein insbesondere durch E-Mobilität die mit statischen Tarifen. flexibler Verbraucher, der dagegen seine DR. HENNING SCHUSTER JENS LEBERWURST DIRK WITTIG Jahrgang 1983 Jahrgang 1968 Jahrgang 1976 Studium Wirtschaftsingenieurwesen Studium Elektrotechnik Studium Energie- und Versorgungs und Promotion Elektrotechnik seit 1995 enviaM-Gruppe und deren technik 2009-2016 Leiter Forschungsgruppe Rechtsvorgänger seit 2001 enviaM-Gruppe und deren Netzplanung und Netzbetrieb, IAEW seit 2011 Leiter Netzwirtschaft/ Rechtsvorgänger RWTH Aachen Regulierungsmanagement, Mitteldeut- seit 2012 Leiter Regulierungs seit 2014 Principal Consultant, sche Netzgesellschaft Strom mbH management, Mitteldeutsche Netz E-Bridge Consulting gesellschaft Strom mbH hschuster@e-bridge.com Auszug aus e|m|w Heft 01|2019 5
energate gmbh Norbertstraße 3 – 5 D-45131 Essen Tel.: +49 (0) 201.1022.500 Fax: +49 (0) 201.1022.555 www.energate.de www.emw-online.com Bestellen Sie jetzt Ihre persönliche Ausgabe! www.emw-online.com/bestellen
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