"Zieht an die Masken" - Evangelische Kirchgemeinde ...

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Predigt vom 18. Oktober 2020     Pfr. Stefan Hochstrasser     Evang. Tägerwilen-Gottlieben

«Zieht an die Masken»
Predigt zu Epheser 4,22-32

Evangelische Kirche Tägerwilen, 18. Oktober 2020
Pfr. Stefan Hochstrasser, Kreuzlingen

Epheser 4,22-32 nach Zürcher Bibel 2007:
22 Legt ab, was euer früheres Leben geprägt hat, den alten Menschen, der zugrunde
geht wie die trügerischen Begierden! 23 Lasst einen neuen Geist euer Denken
bestimmen, 24 und zieht an den neuen Menschen, der nach dem Willen Gottes
geschaffen ist: in Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit.
25 Darum: Legt ab die Lüge! Jeder von euch sage, wenn er mit seinem Nächsten
spricht, die Wahrheit, denn wir sind ja untereinander Glieder. 26 Wenn ihr zürnt,
versündigt euch nicht! Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn, 27 und dem
Teufel gebt keinen Raum! 28 Wer stiehlt, stehle nicht mehr, sondern arbeite und tue
etwas Rechtes mit seinen Händen, damit er etwas hat, das er dem Notleidenden
geben kann. 29 Kein hässliches Wort komme über eure Lippen, sondern wenn ein
Wort, dann ein gutes, das der Erbauung dient, wo es nottut, und denen, die es hören,
Freude bereitet. 30 Betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt
worden seid auf den Tag der Erlösung hin! 31 Alle Bitterkeit und Wut, Zorn, Geschrei
und Lästerrede sei verbannt aus eurer Mitte, samt allem, was böse ist! 32 Seid gütig
zueinander, seid barmherzig und vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus
vergeben hat.

Liebe Gemeinde,
«Zieht an den neuen Menschen». Die Aufforderung dieser Wochen und Monate ist
aber: «Zieht an die Masken.» Ich habe mich schon daran gewöhnt, manchmal
vergesse ich die Maske sogar komplett, wenn ich sie anhabe. Wie geht es Ihnen?
Macht es Ihnen etwas aus, eine zu tragen? Ist es störend? Ist es nervig? Diskutieren
Sie über den Nutzen? Wie auch immer, es wird immer mehr zur Pflicht, schon ab
nächster Woche. «Wir sollen die Maske lieben lernen», sagen gewisse
Epidemiologen.

Da wir die Maske schon immer mehr anziehen müssen, nutzen wir sie doch etwas
kreativ! Geben wir der Maske mit dem heutigen Text doch einen symbolischen Sinn.

Der heutige Predigttext habe ich dem evangelischen Kirchenkalender entnommen.
Erst als ich die Predigt schon fast fertig geschrieben habe, habe ich von Pfr. Philipp
Widler erfahren, dass er vor zwei Wochen über zwei andere Verse aus Epheser 4
gepredigt hat, zu einem ähnlichen Thema. So wird jetzt halt eine Art Predigtreihe.

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Predigt vom 18. Oktober 2020    Pfr. Stefan Hochstrasser    Evang. Tägerwilen-Gottlieben

Es ist eine geballte Ladung in diesem Text von Paulus: Die Lüge ablegen – die
Wahrheit sagen – keine hässlichen Worte, sondern gute, erbauliche Worte – Worte,
die Freude bringen – kein Geschrei und Lästern aus Wut.

Weil Vieles in diesem Text mit unserem Mund, mit Worten, zu tun hat, fordere ich uns
heraus: «ziehen wir eine neue Maske an». Im V. 24 steht zwar «zieht an den neuen
Menschen». Beschränken wir uns jetzt aber mal auf den Mund: ziehen wir eine
Maske an, die unsere Worte filtert. Bevor wir etwas sagen, können wir an die
«Epheser 4,32-Maske» denken: ein Mundschutz gegen Worte, die verletzen und
unbrauchbar sind.

Warum Epheser 4,32-Maske? Es ist der wichtigste Vers dieses Abschnitts: «Seid
gütig zueinander, seid barmherzig und vergebt einander, wie auch Gott euch in
Christus vergeben hat.» Güte, Barmherzigkeit und Vergebung. Wählen Sie ein Wort
aus und schreiben Sie es auf Ihre Maske.

In Kolosser 3,12 – einem anderen Brief von Paulus – steht explizit, dass man die
«Güte» anziehen soll. Das gleiche Bild des Anziehens. Das Adjektiv «gütig» kann
man wörtlich auch mit «brauchbar» übersetzen. Deshalb habe ich vorhin gesagt: wir
brauchen manchmal einen Mundschutz gegen Worte, die verletzen und
«unbrauchbar» sind.

Aber bevor ich die Maske überstrapaziere, zurück zum heutigen Text: wen genau hat
Paulus eigentlich im Blick mit diesen Versen? Zu wem spricht er?

Der griechische Arzt Hippokrates hat 400 v.Chr. – also schon 450 Jahre vor Paulus –
eine bis heute bekannte «Temperamentenlehre» entwickelt. Es gäbe vier
verschiedene Persönlichkeiten: Choleriker, Phlegmatiker, Sanguiniker und
Melancholiker. Das tönt bekannt für einige von uns, nicht wahr? Auf dem Internet
findet man schnell spezifische Eigenschaften zu diesen vier Temperamenten.
Natürlich haben alle positive und negative Eigenschaften.

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Predigt vom 18. Oktober 2020       Pfr. Stefan Hochstrasser    Evang. Tägerwilen-Gottlieben

Der Choleriker zum Beispiel sei ehrgeizig, produktiv, selbstbewusst, hartnäckig,
leidenschaftlich. Viel Positives. Aber er sei eben auch reizbar, jähzornig und könne
sich nicht so gut kontrollieren.

Lesen wir Epheser 4,22-32, frage ich mich, ob Paulus vor allem den Choleriker vor
seinem inneren Auge hat. Er ist bestimmt besonders angesprochen. Ich persönlich
habe cholerische Anteile in meiner Persönlichkeit und bin besonders angesprochen.
Und die Worte von Paulus empfinde ich seit Jahren als hilfreich, besonders der Vers
26: «Wenn ihr zürnt, versündigt euch nicht! Die Sonne gehe nicht unter über eurem
Zorn». Mit anderen Worten: Wütend werden wir alle ab und zu, aber die Frage ist,
wie wir uns in der Wut verhalten. «Beide Füsse auf den Boden, tief durchatmen,
langsam auf drei zählen.» Das ist ein guter Tipp für die Kindererziehung, wenn einem
das Kind gerade in den Wahnsinn treibt.

Oder: «Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn». Das ist mir besonders wichtig
in der Ehe. Konflikte gibt es immer, aber der Tag soll nicht im Zorn zu Ende gehen.
Wir wollen uns vorher wieder versöhnen. Und haben das bis jetzt fast immer
geschafft.

Also, Choleriker brauchen eine dicke Maske, um wieder auf unser Bild
zurückzukommen. Aber sind nur die Choleriker angesprochen heute? Nein.
Paulus hat die christliche Gemeinde in Ephesus im Blick, und zwar nicht nur die
Choleriker. Er redet zu der ganzen Gemeinde, zu den «Gläubigen in Christus
Jesus», wie im allerersten Vers dieses Briefes steht.

«Zieht an den neuen Menschen» - sagt er zur Gemeinde. Und das drückt sich dann
eben im Folgenden aus: dieser Mensch lügt nicht, spricht nur die Wahrheit, kann
seine Wut super kontrollieren, stiehlt nicht, braucht keine hässlichen Worte, ist nicht
bitter etc. Was dieser «neue Mensch» alles tun sollte, das kann einen fast erdrücken.
Wie ist das?! Ich müsste nichts Anderes als perfekt sein, sonst bin ich kein richtiger
Christ. Von aussen wird immer wieder auf die Christen gezeigt, die doch moralisch
viel besser sein sollten. Ein alter Konflikt. Aber dabei vergisst immer wieder das
Gleiche.

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Predigt vom 18. Oktober 2020      Pfr. Stefan Hochstrasser    Evang. Tägerwilen-Gottlieben

Epheser 4,22-32 steht nicht für sich allein, man muss den ganzen Brief lesen. In
Epheser 2,8-9 steht das Fundament, die Basis unseres Glaubens: «… aus Gnade
seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht
aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.»

Mit meinem rechten Umgang mit Worten und Emotionen verdiene ich mir nicht den
Himmel. Ich bin schon gerettet aus Glauben und nicht aus Werken. Oder eben: Aus
Glauben, und nicht aus meinen rechten Worten und rechte Emotionen.

Dafür steht auch die Taufe und das Wasser: wir sind rein und eingetaucht in der
Liebe und Vergebung Gottes. Punkt. Mit den Worten aus Galater 3,27, wieder einen
anderen Brief von Paulus: «Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt
Christus angezogen.» Das ist schon passiert in der Taufe. Wir haben also in der
Taufe schon «einen neuen Menschen» angezogen. Wir haben Ja gesagt zu Jesus
Christus und aus seiner Gnade zu leben angefangen.

Und nur mit dieser Voraussetzung darf das «Anziehen» auch jeden Tag etwas
Aktives sein. Mit anderen Worten: Wir sind schon erlöst, aber dürfen uns jeden Tag
wieder neu entscheiden, «erlöst» zu leben. Und darum: «Zieht an den neuen
Menschen». Oder in unserem Bild von heute: «Zieht an die Maske».

Ich komme noch einmal zurück auf unser Bild und auf das Objekt, das wir lieben
lernen sollen:
Für was ziehen wir die Hygiene-Maske an? Um uns selber, aber vor allem andere zu
schützen. Für was ziehe ich die «Epheser 4,32-Maske» an? Nicht um selber gut da
zu stehen. Nicht um besonders heilig zu sein. In V. 24 steht zwar, dass «Heiligkeit»
ein Charakterzug des neuen Menschen ist. Aber was macht mich heilig? Es geht
nicht primär um meine Lebensführung. Heiligkeit bezeichnet hier die Zugehörigkeit zu
Christus. Wer getauft ist, wer den neuen Menschen angezogen hat, der ist nach der
Bibel heilig, weil er zu Gott gehört. Punkt.

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Predigt vom 18. Oktober 2020     Pfr. Stefan Hochstrasser      Evang. Tägerwilen-Gottlieben

Für was ziehe ich aber die Maske an, die meine Worte filtern und steuern soll? In
unserem Text kann man herauslesen, was das Ziel sein soll von meinen Worten:
nämlich die versöhnte Gemeinschaft. Paulus hat die zwischenmenschliche
Beziehung im Blick – v. 25: «denn wir sind ja untereinander Glieder».
In V. 28 steht, was unter anderem Ziel von ehrlicher Arbeit sein soll: Damit man
genügend hat, um den Notleidenden etwas geben zu können. Es geht um
Barmherzigkeit gegenüber den Schwachen. Solidarität ist ein enorm wichtiger Teil
der Gemeinschaft.
Und in V. 29 soll das Resultat meiner Worte und Emotionen Auferbauung und Freude
sein. Auferbauung und Freude. Es lohnt sich vielleicht einmal, etwas zu analysieren,
wie viel von dem, was ich den lieben Tag lang rede, zu Auferbauung und Freude
führt.

Es geht um versöhnte Gemeinschaft. Versöhne ich mit meinen Worten und Taten?
Nicht immer. Was klar ist: immer bin ich angewiesen auf die Vergebung. Meine
Maske filtert nicht alles. So schliesst auch der heutige Textabschnitt: Gott hat uns in
Christus vergeben. Das dürfen wir immer wieder in Anspruch nehmen.

Gehen Sie im kommenden Musikstück den Text noch einmal durch. Welche Maske
wollen Sie in der nächsten Woche anziehen? Wählen Sie einen Vers. Und denken
Sie an diesen, wenn Sie sich in der nächsten Woche die Maske anziehen.

«Seid gütig zueinander, seid barmherzig und vergebt einander, wie auch Gott euch
in Christus vergeben hat.» Amen.

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