Zukunft - Universität Innsbruck
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Ausgabe 1/2022, 14. Jg. zukunft zukunft forschung 01 | 22 forschung ALPINE FORSCHUNGSPLÄTZE thema: alpenforschung | digitalisierung: ein algorithmus als vorgesetzter bergbau: begehrter tiroler schmuckstein | germanistik: posterboy der romantik geschichte: fernbuchhandel | biologie: kläranlagen als frühwarnsystem DAS MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK
FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT 1 BEGEHRTER SCHMUCKSTEIN IM ALPINEN RAUM In den Hochlagen des Zillertals sind Forscher*innen gemeinsam mit der Bevölkerung der Geschichte des Zillertaler Granats auf der Spur. Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Archäologie, Geschichte und Mineralogie haben sich für ein interdisziplinäres Projekt zu diesem begehrten Halbedelstein zusammengeschlossen. V om späten 18. bis frühen 20. Jahr- Spiegel interdisziplinärer Forschung“ ha- Bereichen Archäologie, Geschichte und hundert hat im Zillertal, insbeson- ben sich Innsbrucker Wissenschaftler*in- Mineralogie, arbeiten für drei Jahre an dere auf dem Gebiet des heutigen nen das Ziel gesetzt, ihre Erkenntnisse dem Projekt mit. Finanziert werden die Hochgebirgs-Naturparks Zillertaler öffentlich zugänglich zu machen und für jungen Nachwuchswissenschaftler*innen Alpen, ein umfangreicher Bergbau auf eine museale Präsentation aufzuarbeiten. aus Fördermitteln der Österreichischen Granat stattgefunden. Der Abbau des be- Der Fokus liegt auf der archäologischen Akademie der Wissenschaften im Rah- gehrten Halbedelsteins hat bis heute Spu- Untersuchung der materiellen Hinter- men des Programms „Heritage Science ren hinterlassen. Überreste der ehemali- lassenschaften, dem Studium und der Austria“. Zusätzliche Mittel werden von gen Infrastruktur finden sich nach wie Archivierung der schriftlichen Quellen der Universität Innsbruck zur Verfügung vor in der Nähe der Granatvorkommen. sowie der mineralogischen Charakterisie- gestellt. Im Rahmen des Projekts „Zillertaler Gra- rung des Zillertaler Granats als Halbedel- Im Zuge der Aufarbeitung und Rekons- nat – Studien zum kulturellen Erbe des stein. Bianca Zerobin, Roland Köchl und truktion der Geschichte wird das umfang- ostalpinen Halbedelstein-Gewerbes im Simon Wagner, Dissertant*innen aus den reiche kulturelle Erbe in Form von Ruinen 26 zukunft forschung 01/22 Fotos: Walter Ungerank (3), Gert Goldenberg (2), Bianca Zerobin (1), FZ HiMAT (3), Andreas Friedle (1)
FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT 2 5 6 7 8 3 4 PROJEKT „ZILLERTALER GRANAT: Granate sind Halbedelsteine, die auch als Edelsteine des kleinen Mannes bekannt sind. In Tirol wurden und werden sie als traditioneller Trachtenschmuck verwendet. Der Zillertaler Granat gelangte vor allem über Edelsteinschleifereien in Böhmen als „Böh- mischer Granat“ in den Handel. 1 Granatschmuck-Set der Familie Josef Hofer aus Zell am Ziller (linke Seite). 2 Der Rossrücken im Zemmgrund – Zentrum der Zillertaler Granatgewin- nung im 19. Jh. 3 Granatstufe vom Rossrücken. 4 Getrommelter Granat des Granathändlers Kreidl aus Mayrhofen. 5 Projektkoordinator Gert Goldenberg 6 Bianca Zerobin 7 Roland Köchl 8 Simon Wagner von Poch- und Klaubehütten, Granat- berg, Professor am Institut für Archäolo- dem erfahrenen Mineraliensammler und mühlen und Unterkünften sowie weitere gien und Leiter des Forschungszentrums Chronisten Walter Ungerank sowie den materielle Hinterlassenschaften von den HiMAT, der sich auf Bergbauarchäologie Nachfahren der Zillertaler Granathändler Forscher*innen dokumentiert und ausge- und Georessourcennutzung im Alpinen zusammen. „Die Mithilfe aus der Bevöl- wertet. „Es bestehen noch umfangreiche Raum spezialisiert hat. kerung ist sehr wertvoll, wir können ge- private Sammlungen, die beispielsweise genseitig voneinander profitieren. Es ist Granatstufen, Werkzeugfunde und Rest- Enge Zusammenarbeit uns ein großes Anliegen, die Bürger*in- bestände der Handelsware aus der letzten Im Mittelpunkt des Projekts steht die en- nen in unsere Arbeit miteinzubeziehen. Betriebsperiode beinhalten. Wir möchten ge Zusammenarbeit zwischen den Uni- Die Forschungsergebnisse werden für die die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte versitätsinstituten, dem Tiroler Landesar- Öffentlichkeit aufgearbeitet und sollen dieser vergessenen inneralpinen ,Klein- chiv, dem Hochgebirgs-Naturpark Ziller- langfristig und nachhaltig von Nutzen industrie‘ aufarbeiten und die Handels- taler Alpen und der Bevölkerung im Zil- sein“, sagt Goldenberg. Spannende Er- netzwerke im 19. Jahrhundert zur Zeit lertal („Citizen Science“). Um möglichst kenntnisse liefert beispielsweise der mit- der ehemaligen Habsburgermonarchie umfassende Erkenntnisse zu gewinnen, wirkende Bürger Josef Hofer aus Zell am rekonstruieren“, erklärt Gert Golden- arbeiten die Forscher*innen sehr eng mit Ziller. Auf seinem Dachboden entdeckte ARCHÄOLOGIEN: Besonders im hinteren Zemmgrund am Rossrücken wurde im 19. Jahrhun- dert eine komplette „Kleinindustrie“ mit ihrer Infrastruktur für den Abbau und die Aufbereitung des Granats im Hochgebirge aufgebaut. Dazu gehörten einfache Unterstände aus Trocken- mauerwerk und Holz, Wohn- und Arbeitsgebäude für die Granatarbeiter, ein wasserbetrie- benes Pochwerk, Rollmühlen aus Holz und ein aufwendig angelegter Knappensteig, welcher zu den Abbaustellen auf bis 2. 800 m Seehöhe führte. Die Granatarbeiter waren extremen Bedingungen ausgesetzt und mussten ihrer gefährlichen Arbeit unmittelbar neben den damals mächtigen Gletschern nachgehen. Mit archäologischen Methoden werden die Abbauspuren im Fels wie Bohrpfeifen und Schrämspuren sowie Werkzeugfunde dokumentiert, welche teilweise auch in Privatsammlungen zu finden sind. Persönliche Habseligkeiten der Granatarbei- ter, die bei Prospektionen und Grabungen aufgefunden werden, erzählen ihre ganz eigene Geschichte über die harte Arbeitswelt des Granatabbaus. Besondere Aufmerksamkeit gilt den RUINE EINER GRANATHÜTTE mit Ruinen, welche durch Schneedruck, Lawinenabgänge und Witterung einem raschen Verfall Pochtisch am Rossrücken auf 2. 500 unterliegen. Eine Kartierung und 3D-Dokumentation der Überreste ist deshalb von großer Be- Meter Seehöhe. deutung, um die Erinnerung an den früheren Granatbergbau für die Nachwelt zu bewahren. zukunft forschung 01/22 27
FORSCHUNGSZENTRUM HIMAT MINERALOGIE UND PETROGRAPHIE: Das Hauptaugenmerk der mineralogischen Unter- suchungen liegt einerseits auf den historischen Granatfundstellen im hinteren Zillertal im Be- reich des Rossrückens im Zemmgrund und andererseits auf der Erarbeitung von Kriterien zur Unterscheidung von Granat unterschiedlicher Herkunft in historischen Schmuckstücken. So handelt es sich bei den in den Ostalpen vorkommenden Granaten meist um Almandin (Eisen- tongranat) aus metamorphen Gesteinen (vor allem Glimmerschiefer), während der böhmische Granat in der Regel als Pyrop (Magnesiumtongranat) vorliegt und magmatischen Ursprungs ist. Bei der mineralogisch/chemischen Analyse der Granatproben kommen die Durchlicht- Polarisationsmikroskopie, die Elektronenstrahlmikrosonde, die Raman-Spektroskopie und die Mikro-Röntgenfluoreszenzanalyse (Mikro-RFA) zur Anwendung. Neben der Erzeugung von Elementverteilungsbildern, die über die Zusammensetzung der analysierten Granate Auskunft DICKSCHLIFF eines Granat-führenden geben, können mit der Mikro-RFA auch zerstörungsfreie quantitative Analysen an Schmuck- Gesteins vom Rossrücken mit Elementver- granaten durchgeführt werden, um über ihre chemische Zusammensetzung Aussagen zur teilungsbild für Mangan (angereichert im Provenienz des Rohmaterials zu ermöglichen. Aber auch optisch bestimmbare Eigenschaften Kern) auf einem zonierten Granatkristall. wie Farbe oder Einschlüsse können für die Herkunftsbestimmung nützlich sein. er nicht nur eine verstaubte Kiste mit Gelände gezeigt hat. Profitieren können glichen. Eine besondere Rolle spielt dabei aufschlussreichen Dokumenten, sondern die Wissenschaftler*innen auch durch die die Dynamik der Gletscherbewegungen auch einen seit Jahrzehnten gelagerten Zusammenarbeit mit dem Tiroler Lan- im 19. Jahrhundert, die in die Interpreta- Holzkasten seines Urgroßvaters, der als desarchiv. Hier werden die wertvollen tion der Befunde mit einbezogen werden Granathändler tätig war. Das unschein- Dokumente gereinigt und archiviert und muss. So war beispielsweise der Rossrü- bare Fundstück entpuppte sich beim für die Nachwelt gesichert. „Die Analyse cken mit seinen Granatabbauen und Gra- Öffnen als Granat-Sortimentskasten, der von Belehnungsurkunden, Korrespon- nathütten in der Mitte des 19. Jahrhun- auf der Tiroler Landesausstellung 1893 in denzen, Rechnungsbüchern und Fracht- derts – zur Zeit der ‚kleinen Eiszeit‘ um Innsbruck ausgestellt war. briefen gewährt spannende Einblicke in 1850 – komplett von Eismassen des „Die getrommelten Granate wurden das Granatgewerbe und zeigt auch die Hornkees und Waxeggkees umflossen, in erster Linie an Edelsteinschleifereien Personen auf, die als Granatklauber und was für die Granatarbeiter eine ganz be- in Böhmen geliefert. In weiterer Folge Granathändler tätig waren“, sagt die am sondere Herausforderung darstellte“, gelangte der Granatschmuck als böhmi- Projekt beteiligte Historikerin Gunda erzählt Goldenberg. Als Ergebnis des scher Granat in den Handel. Durch mi- Barth-Scalmani. Forschungsprojektes sind, neben den drei neralogische Untersuchungen versuchen wissenschaftlichen Dissertationen, auch wir, der Spur des Zillertaler Granats bis Öffentlichkeitsarbeit ein populärwissenschaftliches Buch über in die Fertigprodukte zu folgen“, be- Um das alpine Gelände mit den weit ge- den Zillertaler Granat sowie eine Ausstel- tont der Innsbrucker Mineraloge Peter streuten Überresten der Granatgewin- lung im Museumsneubau des Natur- Tropper. Eine Vielzahl von Proben und nung umfassend zu dokumentieren, set- parkhauses in Ginzling geplant. Ziel ist Funden wurden den Forscher*innen von zen die Wissenschaftler*innen auch eine eine nachhaltige Bewahrung und Präsen- Walter Ungerank zur Verfügung gestellt, Drohne ein. „Im Zuge des Projekts wer- tation des kulturellen Erbes zum Thema der dem Team auch die entlegenen Spu- den die Beobachtungen im Gelände mit „Zillertaler Granat“ für eine breite Öf- ren des Granatbergbaus im hochalpinen den historischen Überlieferungen abge- fentlichkeit. ms GESCHICHTSWISSENSCHAFTEN, EUROPÄISCHE ETHNOLOGIE: Grundlage des historischen Projektteils bilden, neben hoheitlichen Urkunden über Schürf- und Sam- melbewilligungen, vor allem private uneditierte Dokumente wie Korrespondenzen und Rechnungsbücher aus den Sammlungen der Nachfahren der Zillertaler Granathändler. Ein Hauptaugenmerk der Forschung liegt auf der Rekonstruktion der Wirtschafts- und Sozialge- schichte des Zillertaler Granatgewerbes und seiner weitreichenden Handelsverflechtungen. Hierzu gehört die Herausarbeitung der Absatzmengen von Rohgranaten bei den Edelstein- schleifereien vor allem in Böhmen. Eine Größenordnung von mehreren 100 Kilogramm gehandeltem Granat pro Jahr zeichnet sich für das 19. Jahrhundert ab. Ein weiterer Aspekt ist die Qualität der Handelsware und deren Preisentwicklung, die über den gesamten Zeit- raum des 19. Jahrhunderts relativ konstant geblieben zu sein scheint. Ein Themenkomplex widmet sich der einschlägigen Literatur, beginnend mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert (vor allem naturkundliche Publikationen aus den Bereichen Botanik, Geomorphologie, Geo- logie und Lagerstättenkunde). Hier spielen das Aufkommen wissenschaftlicher Institutionali- KOPIALBUCH „über sämtlichen Granaten- sierung, die bürgerliche Revolution und der beginnende Bergtourismus (Reiseberichte früher handel des Josef Hofer für die Jahre 1862 Alpinisten, lokalgeschichtliche Publikationen) eine wichtige Rolle. bis 1872“. 28 zukunft forschung 01/22 Fotos: Simon Wagner, Walter Ungerank
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