Zusatznutzen Berg? Argumente für den Konsum von Bergprodukten Mountains as added benefit? Arguments for choosing mountain food products
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Agrarwirtschaft 58 (2009), Heft 2 Zusatznutzen Berg? Argumente für den Konsum von Bergprodukten Mountains as added benefit? Arguments for choosing mountain food products Anja Matscher und Markus Schermer Universität Innsbruck, Österreich Zusammenfassung Flächen, den Einsatz von Maschinen, während klimatische Bedingungen (kürzere Vegetationsdauer, extreme Witte- Die reichhaltige Angebotspalette im Lebensmittelhandel führt dazu, rungsverhältnisse) und geringere Bodenbonität zu niedrige- dass sich die Lebensmittelbranche zunehmend mit Produktdifferen- ren Erträge führen (GROIER und HOVORKA, 2007: 31). Die zierung beschäftigt. In diesem Zusammenhang kommt dem (emoti- onalen) Zusatznutzen, der über unterschiedlichste Produkteigen- Empfehlung seitens der landwirtschaftlichen und politischen schaften vermittelt werden kann, eine wichtige Bedeutung zu. Der Interessensvertretung an die LandwirtInnen lautet daher, vorliegende Beitrag geht der Frage nach, inwieweit die Herkunft aus über die Herstellung und die Vermarktung von Qualitäts- dem Berggebiet für KonsumentInnen einen derartigen Zusatznutzen produkten ihr Einkommen abzusichern (DAX und WIESINGER, darstellt und welche Argumente KonsumentInnen für den Konsum 2007: 13; GROIER, 1993: 183). von Bergprodukten anführen. Dazu werden die Ergebnisse von vier Um Qualitätsprodukte aus dem Berggebiet höherpreisig zu Fokusgruppen mit unterschiedlichen KonsumentInnengruppen aus Österreich (Tirol) und Deutschland dargestellt. Die Analyse der vermarkten, soll neben dem technisch-funktional ausgerich- Fokusgruppen erfolgte mittels der Convention Theory und zeigt, teten Grundnutzen ein (emotionaler) Zusatznutzen1, wie z.B. dass die Bergherkunft nicht einen singulären Zusatznutzen darstellt, Herkunft, eine ansprechende Verpackung, ein Gütesiegel sondern sich aus einer Summe von Komponenten zusammensetzt, oder die Anpreisung einer spezifischen Herstellungsweise, die jeweils mit der Bergherkunft in Verbindung gebracht werden und zum Kauf bzw. Konsum animieren. VON ALVENSLEBEN deren Kombination je nach Fokusgruppe variiert. Damit liefern die (2000a: 399) spricht in diesem Zusammenhang auch von Aussagen der FokusgruppenteilnehmerInnen Hinweise für verbes- Produkten mit emotionalen Qualitäten. Ziel des vorliegen- serte Vermarktungsstrategien von Lebensmitteln aus dem Berg- den Beitrages ist es darzustellen, welche Argumente Kon- gebiet. sumentInnen für den Konsum von Produkten aus dem Schlüsselwörter Berggebiet anführen und inwieweit die Produktherkunft aus dem Berggebiet einen Zusatznutzen darstellt bzw. welche Lebensmittel aus dem Berggebiet; Rechtfertigungen/Argumenta- Zusatznutzen mit Lebensmitteln aus dem Berggebiet ver- tionen; Zusatznutzen; Convention Theory; Käse; Mineralwasser bunden werden. Abstract Die empirische Basis der vorliegenden Arbeit bilden vier Fokusgruppen mit TeilnehmerInnen ländlicher und städti- Given the broad range of products in food retailing, actors are increasingly aiming to differentiate their products by promoting scher Herkunft, welche im Sommer 2007 in Tirol/Österreich certain features as added benefits. This means that any added durchgeführt wurden. Das Augenmerk wurde dabei auf die (emotional) benefit, whichever way it is communicated, becomes zwei Produktgruppen Käse und Mineralwasser gelegt, die significant. In this article we investigate inhowfar the fact that a stellvertretend für die im Berggebiet produzierten Lebens- product originates from a mountain region constitutes such an mittel ausgewählt wurden. Beide Produktgruppen können added benefit for consumers and what arguments support their als charakteristische Lebensmittel aus dem Berggebiet an- choice of mountain food products. We present results of four focus gesehen werden. So ist die im Berggebiet vorherrschende groups with participants from Austria (Tyrol) and Germany, ana- Grünlandwirtschaft zumeist mit der Milchproduktion ge- lysed by using Convention Theory. Our findings suggest that the koppelt (GROIER und HOVORKA, 2007: 15), über deren Ver- origin of a food product in a mountain region does not constitute a singular added benefit but rather the sum of several components arbeitung zu Käse eine höhere Wertschöpfung erreicht associated with a mountain origin, in varying combinations, depend- werden kann, während Wasser zum gegenwärtigen Zeit- ing on the specific focus group. The statements gathered in the punkt als das „Kapital der Zukunft“ in den Alpen bezeich- focus groups may thus provide some indication on how to improve net wird (BACHMANN, 1998; MEERKAMP VAN EMBDEN, the communication strategy for mountain products. 1998: 257). In unsere Untersuchung wurde Mineralwasser als Konsumprodukt stellvertretend für Wasser aus dem Key words Berggebiet einbezogen. mountain food products; justification; added benefit; Convention Theory; cheese; mineral water 1 BÖCKER (1996: 203) umschreibt den Zusatznutzen eines Pro- duktes mit der „Befriedigung seelisch-geistiger Bedürfnisse“. Der Zusatznutzen bzw. die seelisch-geistigen Bedürfnisse kön- 1. Einleitung nen dabei in ästhetische Bedürfnisse, Bedürfnisse nach Selbst- verwirklichung (Hobby, Bildung etc.), Bedürfnisse des Wohl- Im Berggebiet sind die Möglichkeiten der landwirtschaft- befindens (Förderung von Sicherheit, Gesundheit etc.) und lichen Produktionsausweitung durch natürliche Faktoren Bedürfnisse nach sozialer Integration und sozialer Anerkennung stark begrenzt: So begrenzen topografische Gegebenheiten, (Besitz von Prestigeobjekten, Förderung zwischenmensch- wie etwa starke Hangneigung der landwirtschaftlichen licher Kommunikation etc.) unterteilt werden. 125
Agrarwirtschaft 58 (2009), Heft 2 Der vorliegende Beitrag gibt zunächst einen Überblick über Auch außerhalb des deutschsprachigen Raums liegt der den Stand der Forschung und die bestehende Literatur im Fokus in der Literatur auf regionalen Lebensmitteln bzw. Hinblick auf Lebensmittel aus dem Berggebiet. Anschlie- „local food“ (KUZNESOF, TREGEAR und MOXEY, 1997; LA ßend wird auf die diesem Forschungsvorhaben zugrunde TROBE, 2001; HOLT und AMILIEN, 2007). liegende Convention Theory und die methodische Vorge- Spezifische Literatur zum Konsum von Bergprodukten ist hensweise eingegangen. Im Ergebnisteil werden die Argu- demnach spärlich, weshalb der vorliegende Beitrag weitge- mentationslinien vorgestellt, die KonsumentInnen für den hend Neuland betritt. Konsum von Lebensmitteln aus dem Berggebiet vorbringen und beschrieben, inwieweit bzw. welche Zusatznutzen aus der Bergherkunft von Lebensmitteln resultieren. Dabei wird 3. Zum Forschungsansatz der Studie nicht nur nach den besprochenen Lebensmitteln (Käse und Theoretisch und methodisch ist der vorliegende Beitrag im Mineralwasser), sondern auch nach der Zusammensetzung Bereich der qualitativen Sozialforschung angesiedelt. Im der Fokusgruppen differenziert. In der anschließenden Dis- folgenden Abschnitt wird nun zunächst auf die Convention kussion werden Schlussfolgerungen gezogen, worauf bei Theory, die im deutschsprachigen Raum bisher wenig Be- der Vermarktung von Lebensmitteln aus dem Berggebiet achtung gefunden hat, eingegangen. Anschließend wird die verstärktes Augenmerk gelegt werden könnte, um einen methodische Vorgehensweise bei der Durchführung der höheren Produktpreis für Lebensmittel aus dem Berggebiet Fokusgruppen und die Analyse der Ergebnisse mittels der zu erzielen bzw. zu rechtfertigen. Convention Theory erläutert. 2. Lebensmittel aus dem Berggebiet: 3.1 Die Convention Theory Stand der Forschung Die Convention Theory wurde gemeinsam von Ökonomen und Soziologen zu Beginn der 1980er Jahre in Frankreich Obwohl in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zum entwickelt. Ziel war es auf jene Fragen Antworten zu fin- einen sehr viel über die Vermarktung und den Konsum von den, die mit Hilfe des Konzepts des vereinfachten und abs- Lebensmitteln, zum anderen sehr viel über Berge, Almen trakten Marktes der Neoklassischen Wirtschaftslehre unbe- und Berggebiete geschrieben wird, findet sich kaum Litera- antwortet geblieben waren (KIRWAN, 2006: 302). Als Bei- tur, die diese zwei Themenbereiche direkt miteinander spiel sei an dieser Stelle die Lebensmittelqualität angeführt: verknüpft. So gibt es z.B. in der soziologischen und kultur- So kann die Qualität eines Lebensmittels nicht allein über wissenschaftlichen Literatur eine Reihe von Abhandlungen, den Preis evaluiert werden (RAIKES, JENSEN und PONTE, die entweder die ökonomische Vereinnahmung des alpinen 2000: 408). Vielmehr besteht die Notwendigkeit, die Kon- Raums und insbesondere der Almen zum Inhalt haben (z.B. struktion und Vermittlung von Lebensmittelqualität in ei- TSCHOFEN, 1999; KIRCHENGAST, 2008; STREMLOW, 1998) nem ökonomischen, sozialen und politischen Kontext zu oder sich mit dem Konsum, der Identität oder Symbo- betrachten (KIRWAN, 2006: 302; DIAZ-BONE, 2007: 498). lik von Lebensmitteln befassen (z.B. BARLÖSIUS, 1999; Als Standardwerk für die Convention Theory gilt das Buch TEUTEBERG, NEUMANN und WIERLACHER, 1997; WARDE, De la Justification. Les economies de la grandeur von 1997; KAUFMANN, 2006; BELASCO und SCRANTON, 2002). BOLTANSKI und THÉVENOT (1991), das erst 2007 in deut- Arbeiten, die die zwei Bereiche verbinden, finden sich aber scher Übersetzung erschienen ist (BOLTANSKI und THÉVENOT, kaum. 2007). Die Convention Theory geht der Frage nach, mit Ähnlich sieht es in den Wirtschaftswissenschaften aus. Auch welchen Rechtfertigungspraktiken bzw. Argumentationen hier ist die Literatur zur Vermarktung, zum Konsum Personen Einstellungen, Meinungen und Aktionen rechtfer- oder Zusatznutzen von Lebensmitteln aus dem Berggebiet tigen bzw. wodurch sich ihre Motive äußern (BOLTANSKI dürftig. In jüngerer Vergangenheit wurden an einigen und THÉVENOT, 1991, 2007). Diese Rechtfertigungsprak- Schweizer Hochschulen Arbeiten zur Vermarktung von tiken basieren auf Prinzipien und Modellen, die beurteilen, Alp- bzw. Bergkäse und Bergmilch veröffentlicht (SCHILLING, was gut, wertvoll und richtig ist (THÉVENOT, MOODY und 2005; RAAFLAUB, DURGIAI und GENONI, 2006; MÜHLE- LAFAYE, 2000: 236). Menschen und Objekten werden THALER, 2006). Dabei wird vornehmlich die Sicht der Pro- mit Bezug auf solche Prinzipien Wertigkeiten zuerkannt duzentInnen zu spezifischen Herkunftsbezeichnungen bzw. (BOLTANSKI und THÉVENOT, 2007: 182f.; DIAZ-BONE, Vermarktungsstrategien erforscht. Lediglich MÜHLETHA- 2007: 496). Die Rechtfertigungsweisen werden als Wertig- LER (2006) beschäftigt sich mit der Bereitschaft von Kon- keitsordnungen oder Konventionen bezeichnet (BOLTANSKI sumentInnen, für Bergmilch mehr zu bezahlen, geht aber und THÉVENOT, 1999: 367). In der Vernetzung von Akteu- auf die Begründungen bzw. Rechtfertigungen dafür nicht ren, Handlungen, Konzepten und Objekten realisieren sich näher ein. diese Wertigkeitsordnungen zu Welten (DIAZ-BONE, 2007: Reichhaltiger ist die Literatur, die sich mit der Vermarktung 496). BOLTANSKI und THÉVENOT (2007: 222f.) beschreiben und dem Konsum biologischer bzw. regionaler Lebensmit- insgesamt sechs Welten, innerhalb derer Menschen argu- tel beschäftigt. Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu mentieren: Die Welt des Marktes, die Welt der Industrie, erheben, seien hier einige Beispiele angeführt: SPILLER die staatsbürgerliche Welt, die Welt des Hauses, die Welt (2006) gibt einen umfassenden Forschungsüberblick über der Inspiration und die Welt der Meinung. THÉVENOT, „Zielgruppen im Markt für Bio-Lebensmittel“, während MOODY und LAFAYE (2000: 236) führen eine siebte Kate- sich VON ALVENSLEBEN (2000a, b) mit der Vermarktung gorie, Green genannt, ein, die wir für den vorliegenden Bei- von und Verbraucherpräferenzen für regionale Produkte trag mit Welt des Umweltbewusstseins übersetzen. beschäftigt. Mit zielgruppenspezifischen Motiven für den Die Welt des Marktes bezieht sich u.a. auf Preis und Wirt- Kauf von Biolebensmitteln befasst sich BARANEK (2007). schaftlichkeit. Die Welt der Industrie nimmt Bezug auf 126
Agrarwirtschaft 58 (2009), Heft 2 Produktion, Verarbeitung, technische Ausstattung und lang- Qualitätswahrnehmung (TRUNNINGER, 2008: 113). TRUN- fristige Planung. Mit staatsbürgerliche Welt sind soziale NINGER (2008: 111f.) untersucht vor dem Hintergrund der Gerechtigkeit und Wohlfahrt gemeint, wobei sich der Beg- Konventionalisierung des biologischen Lebensmittelmarktes, riff staatsbürgerlich nicht auf eine Nation bezieht, sondern welche der sieben Welten von Groß- und KleinhändlerIn- die Zivilgesellschaft insgesamt meint. Die Welt des Hauses nen mit den unterschiedlichen Formen des Biolandbaus in spricht das Familiäre, Heimische, Regionale, Vertrauen Verbindung gebracht werden. VITTERSØ et al. (2005: 1) vermittelnde an. Die Welt der Inspiration bezieht sich auf befassten sich mit norwegischen und dänischen Vertriebs- Kreativität, Ästhetik und Emotionen, während die Welt der wegen biologischer Lebensmittel, die nicht nur ökologische Meinung auf die öffentliche Meinung und das Image Bezug und regionale, sondern auch ökonomische, soziale und nimmt (BOLTANSKI und THÉVENOT, 2007; THÉVENOT, kulturelle Qualitätsaspekte mit einschließen. Im Bereich MOODY und LAFAYE, 2000). Die Welt des Umweltbewusst- alternativer Vertriebswege für Lebensmittel analysierte seins umschreibt ein umweltfreundliches und nachhaltiges, KIRWAN (2006: 306) die Beziehungen zwischen Direkt- ethisch-moralisch geprägtes (Konsum-)Verhalten. vermarkterInnen und KundInnen auf Bauernmärkten in BOLTANSKI und THÉVENOT (2007: 190) konstatieren, dass Großbritannien und deren Qualitätswahrnehmungen inner- Rechtfertigungen nicht nur in einer, sondern auch in mehre- halb der staatsbürgerlichen Welt und der Welt des Hauses. ren Welten gleichzeitig vonstatten gehen können. Sichtwei- DIAZ-BONE (2007: 498) untersuchte u.a. mittels der Con- sen und Aktionen können in unterschiedlichen Situationen vention Theory Qualitätskonventionen auf dem deutschen mit unterschiedlichen Sets von Welten gerechtfertigt wer- Weinmarkt. den. Andererseits können die Welten durchaus auch in Auch der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, Argumente Konkurrenz zueinander stehen (RAIKES, JENSEN und PONTE, für Qualitäten aufzudecken, im Unterschied zu obigen Un- 2000: 408). Es gibt jedoch auch Situationen, in denen gar tersuchungen jedoch nicht mit Blick auf Produktion und nicht die Notwendigkeit besteht, sich zwischen der einen Vermarktungswege, sondern auf den Konsum von Lebens- oder anderen Welt zu entscheiden. In solchen Fällen wer- mitteln bzw. Lebensmitteln aus dem Berggebiet. Es geht im den zwischen den Welten Kompromisse geschlossen, die vorliegenden Beitrag also um die Sichtweisen der Konsu- gegebenenfalls aber wieder zerbrechen und neu angepasst mentInnen, die in Verbindung mit der Convention Theory werden können (WILKINSON, 1997: 322). bislang vielfach vernachlässigt wurden. Die Convention Theory impliziert eine wertbasierte Heran- gehensweise. Werte sind Vorstellungen von Wünschens- 3.2 Methodische Vorgehensweise wertem, von grundlegenden Zielvorstellungen, die eine Vielzahl von Motiven sowie Einstellungen und in Abhän- 3.2.1 Fokusgruppen gigkeit davon, eine Vielzahl von beobachtbaren Verhal- In der Konsumentenforschung gibt es eine Reihe verschie- tensweisen bestimmen. So führt etwa der Wert Familienori- dener Methoden zur Erhebung von Einstellungen, Meinun- entierung zu speziellen Einstellungen und Verhaltensweisen gen, Motiven oder Argumentationsmustern. In der vorlie- hinsichtlich Wohnen, Essen und Trinken, Freizeit usw. und genden Untersuchung wurde die Methode der Fokusgrup- damit zu konkreten Verhaltensmustern (KROEBER-RIEL und pen angewandt, die sich als sorgfältig geplante Gruppen- WEINBERG, 2003: 559). Werte können für ein Individuum diskussion umschreiben lässt (LAMNEK, 1995: 125). Im oder für eine ganze Gruppe kennzeichnend sein und spielen Gegensatz zu assoziativen Techniken, wie dem Concept bei den Konsumaktivitäten einer Person eine sehr wichtige Mapping (z.B. JOINER, 1998) oder der Means-End-Chain Rolle. Es wird nämlich davon ausgegangen, dass eine Per- (Laddering) (z.B. REYNOLDS und OLSON, 2001), werden son mit dem Kauf von bestimmten Produkten und Dienst- Fokusgruppen mit miteinander in dynamischer Interaktion leistungen ein Ziel erreicht, das sich auf die Wertvorstel- stehenden Personen durchgeführt (MORGAN, 1997a: 2). lungen dieser Person bezieht. Die Wertvorstellungen unter- Diese Personen führen einen Diskurs zu einem bestimmten scheiden sich von Kultur zu Kultur. So z.B. ist Sicherheit in Themenbereich, der vom/von der FokusgruppenleiterIn Deutschland und Amerika ein wichtiger Wert, während dies vorgegeben wird (MORGAN, 1997b: 1). In Fokusgruppen in Norwegen eine untergeordnete Rolle spielt (SOLOMON, erhalten die TeilnehmerInnern die Gelegenheit, auf die BAMOSSY und ASKEGAARD, 2001: 133f.). Aufgrund der Be- Aussagen der anderen zu reagieren und die weitere Diskus- deutsamkeit von Werten für das KonsumentInnenverhalten sion darauf aufzubauen. Dies kann Informationen liefern, werden persönliche Werthaltungen dazu herangezogen, um die in Einzelinterviews möglicherweise nicht entdeckt wor- auf indirekte Weise den Lebensstil von KonsumentInnen den wären (STEWART und SHAMDASANI, 1990: 16). Wäh- auszudrücken und Trends sichtbar zu machen (KROEBER- rend beim Concept Mapping oder dem Laddering kognitive RIEL und WEINBERG, 2003: 559). Praktisch jede Art der Strukturen (JOINER, 1998: 311) bzw. Motive (GREBITUS Konsumentenforschung hängt mit der Identifizierung und und BRUHN, 2008: 88) von Einzelpersonen ermittelt wer- Messung von Werten zusammen (SOLOMON, BAMOSSY und den, können in einer Diskussion Argumentationslinien bzw. ASKEGAARD, 2001: 135). Auch in der Convention Theory Rechtfertigungspraktiken der TeilnehmerInnen offen gelegt geht es um die Identifikation von Werten bzw. Argumenta- werden. Das Zusammenführen bzw. der Vergleich unter- tionen und Rechtfertigungen, wobei versucht wird, be- schiedlicher Perspektiven kann ein umfassenderes bzw. stimmte Werthaltungen Wertigkeitsordnungen bzw. Welten breiteres Bild des Untersuchungsgegenstandes liefern zuzuordnen. (THRELFALL, 1999: 102). Nach Auffassung von THRELFALL In den letzten Jahren wurde die Convention Theory verstärkt (1999: 103) eignet sich der Einsatz von Fokusgruppen ganz auch zur Untersuchung des Lebensmittelbereichs ange- besonders dann, wenn kaum erforschte Themengebiete wandt. Der Fokus liegt dabei auf der sozialen Konstruktion untersucht werden. Dies trifft in besonderem Maß auf den von Lebensmittelqualität und dem komplexen System der vorliegenden Untersuchungsgegenstand zu. 127
Agrarwirtschaft 58 (2009), Heft 2 3.2.2 Auswahl der FokusgruppenteilnehmerInnen gruppen unterschied sich insofern, als die Gruppe der Fein- schmeckerInnen von Anfang an über den Untersuchungs- Ziel der Fokusgruppen war es herauszufinden, welche Ar- gegenstand Bescheid wusste und die übrigen Fokusgrup- gumente KonsumentInnen für den Konsum von Lebens- penteilnehmerInnen erst im zweiten Abschnitt der Fokus- mitteln aus dem Berggebiet vorbringen. Um ein möglichst gruppe (etwa nach Ablauf der Hälfte der Zeit) davon erfuh- breites Spektrum an Argumentationen zu gewinnen, wurden ren. Die Daten, die in die vorliegende Abhandlung einflossen, Personen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen zur Teil- stammen allerdings größtenteils aus dem zweiten Abschnitt nahme eingeladen. Insgesamt wurden vier Fokusgruppen der Fokusgruppen. Die Fokusgruppen wurden jeweils von mit KonsumentInnen durchgeführt. Während eine Fokus- zwei Personen moderiert, gefilmt und mittels eines digita- gruppe in einer ländlichen2 Tiroler Ortschaft organisiert len Aufnahmegerätes aufgezeichnet. Im Anschluss an die wurde, wurden zwei weitere Fokusgruppen mit städtischen Fokusgruppen transkribierte und kategorisierte eine der TeilnehmerInnen aus der Landeshauptstadt Innsbruck durch- beiden ModeratorInnen die Gespräche, wobei die Auswer- geführt. Eine der beiden städtischen Fokusgruppen wurde tungsergebnisse in regelmäßigen Abständen mit dem zwei- bewusst mit FeinschmeckerInnen besetzt. Als Feinschmecker- ten Moderator der Fokusgruppen besprochen wurden. Innen gelten dabei jene Personen, die aus beruflichen Gründen mit Lebensmitteln (aus dem Berggebiet) arbeiten 3.3 Die Convention Theory als Rahmen der bzw. KonsumentInnen, die regelmäßig in Spezialläden, auf Inhaltsanalyse Märkten oder direkt bei Bauern/Bäuerinnen (Berg)produkte einkaufen. Eine vierte Fokusgruppe wurde in einer typischen Bei jeder Form der Interpretation bzw. Analyse von Fokus- Urlaubsregion im Berggebiet Tirols mit deutschen Gästen, gruppen handelt es sich letztendlich um eine Analyse des die ihren Urlaub auf Bauernhöfen verbrachten, durchgeführt. Inhalts (STEWART und SHAMDASANI, 1990: 105f.). Auch die Auch die letztgenannten TeilnehmerInnen können großteils Ergebnisse der vier Fokusgruppen wurden einer Inhaltsana- einem städtischen Hintergrund zugeordnet werden. lyse unterzogen, wobei die sieben Welten von BOLTANSKI Die sechs bis elf AnsprechpartnerInnen pro Gruppe waren und THÉVENOT (1991) als Strukturierungs- bzw. Kodierungs- zwischen 20 und 71 Jahre alt. Obwohl darauf geachtet wer- gerüst dienten. Für die Kodierung wurde die von THÉVENOT, den sollte, ein Geschlechterverhältnis von 50:50 zu errei- MOODY und LAFAYE (2000: 241) entwickelte und für die chen (MORGAN, 1997a: 34), überwogen bei den städtischen vorliegende Fragestellung adaptierte Matrix herangezogen Fokusgruppen die Frauen. Vermutlich lässt sich dies auch (vgl. Tabelle 1). auf die Tatsache zurückführen, dass vielfach (immer noch) Die Zuordnung der Argumente der Fokusgruppenteilneh- Frauen mit der Lebensmittelversorgung der Familie be- merInnen erwies sich nicht immer als einfach, da sich die schäftigt sind. Auch hinsichtlich Schulbildung bzw. zurzeit Argumentationen zum Teil überlappen und aufgrund dessen ausgeübtem Beruf wurde versucht, eine möglichst breit Tabelle 1. Die sieben Welten nach BOLTANSKI und gefächerte Variation zu erreichen. Mit Ausnahme einiger THÉVENOT (1991) sowie Beispiele für Personen in der ländlich geprägten Ortschaft verfügte kei- Indikatoren zum Konsum von ne/r der TeilnehmerInnen über einen landwirtschaftlichen Lebensmitteln aus dem Berggebiet Hintergrund. Welten Beispiele für Indikatoren 3.2.3 Durchführung der Fokusgruppen Wirtschaft, Erreichbarkeit, Produktions- Welt des volumen, Preis, konkurrenzfähiger Preis, Die Teilnehmenden erhielten eine schriftliche Einladung Marktes Preis-Leistungs-Verhältnis, Preis- mit organisatorischen Informationen (Veranstaltungsort, würdigkeit, Kosten. Zeit usw.) sowie den Hinweis, dass in der Fokusgruppe Technische Effizienz, technische Standards, über österreichische Lebensmittel im Allgemeinen disku- Industrielle Professionalität, Erfahrung, Hygiene, tiert werden sollte. Nur in der Einladung für Feinschmecke- Welt Lebensmittelsicherheit, Uniformität, rInnen wurde darauf verwiesen, dass es sich um Lebensmit- Nährwert, Inhaltsstoffe. tel aus dem Berggebiet handelt. Die unterschiedliche Vor- Wohlfahrt, soziale Gerechtigkeit, gerechter gehensweise wurde getroffen, um für diese Gruppe auch Staatsbürger- Preis, ländliche Entwicklung, regionale wirklich FeinschmeckerInnen bzw. KonsumentInnen von liche Welt Wertschöpfung, Unterstützung kleiner Lebensmitteln aus dem Berggebiet zu finden. bäuerlicher Betriebe. Der Ablauf der Fokusgruppen orientierte sich an einem Regionalität, Vertrautheit, Vertrauens- Häusliche detaillierten Leitfaden. Dieser beinhaltete die wichtigsten beziehungen, Geschmack, Tradition, Welt Fragestellungen, die Zielsetzungen, welche erreicht werden handwerkliche Produktion. sollten, und das methodische Vorgehen. Der Vorteil solcher Kreativität, Selbstverwirklichung, persön- strukturierter Fokusgruppen ist, dass die Diskussion nicht Welt der liche Bereicherung, Wohlbefinden, Inspiration Gesundheit, Natürlichkeit, Authentizität, zu sehr vom Thema abweicht und eine erhöhte Vergleich- Reinheit, Harmonie, Kultur. barkeit im Zuge des Auswertungsprozesses gewährleistet Welt der Ruf, Name, Prestige, Rarität, hoher ist (MORGAN, 1997a: 39). Der Leitfaden der vier Fokus- Meinung Bekanntheitsgrad, Spezialität, Saisonalität. 2 Umweltfreundlichkeit, ökologische Wie die Grenzen zwischen Stadt und Land generell (BORSDORF, Welt des Produktion, Nachhaltigkeit, Saisonalität, 2006: 89), verschwimmt auch die Grenze zwischen städtischer Umwelt- Landschaftspflege, Tiergerechtigkeit, und ländlicher Bevölkerung in Tirol immer stärker, da mitt- Bewusstseins Gentechnikfreifreiheit. lerweile viele Menschen aus dem ländlichen Raum nach Inns- bruck pendeln und daher verstärkt Kontakt zur städtischen Quelle: nach THÉVENOT, MOODY und LAFAYE (2000): 241, ver- Bevölkerung und Bezug zum städtischen Umfeld haben. ändert 128
Agrarwirtschaft 58 (2009), Heft 2 mehreren Welten zugewiesen werden können. THÉVENOT et Ein weiteres Argument, das vor allem von städtischen Kon- al. (2000: 237) sprechen von einem Kompromiss den es ein- sumentInnen angeführt wird, bezieht sich auf die Erreich- zugehen gilt (siehe auch BOLTANSKI und THÉVENOT, 2007: barkeit und Verfügbarkeit bestimmter Lebensmittel, insbe- 367). Die Ergebnisse wurden getrennt nach Fokusgruppen sondere von Käsespezialitäten. Produkte müssen in den (UrlauberInnen, Herkunft ländlich, Herkunft städtisch, Fein- regelmäßig aufgesuchten Einkaufsstätten verfügbar sein. schmeckerInnen) und Produktgruppen (Käse, Mineralwasser) Dies gilt insbesondere für Produkte, die nur ab Hof oder analysiert und interpretiert. ausschließlich auf Bauernmärkten angeboten werden, aber In den Fokusgruppen wurden die verschiedenen Argumen- auch für Bergprodukte, die im deutschen Lebensmittelein- tationslinien der sieben Welten mit unterschiedlicher Inten- zelhandel kaum angeboten werden. Auch die Bequemlich- sität bzw. teilweise gar nicht diskutiert. Daher folgt die keit wird als Argument angeführt. Während die Tiroler Dis- Darstellung der Ergebnisse innerhalb der jeweiligen Welt kussionsteilnehmerInnen gegen den Konsum von Mineral- der Bedeutung, die die einzelnen Fokusgruppen den jewei- wasser u.a. den umständlichen Transport anführen, achten ligen Argumentationslinien zugeordnet haben. die deutschen MineralwasserkonsumentInnen beim Kauf neben dem Preis auch auf Gewicht und Gebindegröße. Je leichter Mineralwasser transportiert werden kann, umso 4. Der Berg als Konsumargument eher wird es gekauft. Dieses wichtige Argument entspricht Das Datenmaterial soll einerseits darüber Auskunft geben, übrigens ganz dem Trend „weg von Glas- und hin zu PET- welche Argumentationen und Rechtfertigungen Konsumen- Flaschen“ auf dem österreichischen Mineralwassermarkt, tInnen für den Konsum von Lebensmitteln aus dem Berg- der in den vergangenen Jahren hohe Wachstumsraten erzielte3 gebiet äußern. Andererseits gilt es herauszufinden, inwie- – im Widerspruch zu den Angaben der Tiroler Fokus- weit die Herkunft Berg einen Zusatznutzen und eine Moti- gruppenteilnehmerInnen. vation für den Kauf darstellt. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass sich die KonsumentInnen beim Kauf von Le- Die industrielle Welt bensmitteln (aus dem Berggebiet) zumeist in mehreren Die Argumente der KonsumentInnen innerhalb der indus- Welten bewegen (siehe auch BOLTANSKI und THÉVENOT, triellen Welt beziehen sich auf Inhaltsstoffe, Produktions- 2007: 190) und damit auch unterschiedliche Werthaltungen weise, Hygiene bei der Verarbeitung sowie die Gewährleis- bei ihrer Kaufentscheidung heranziehen. In Abhängigkeit tung charakteristischer Produkteigenschaften. von der jeweiligen Produktgruppe (Käse oder Mineral- Das Thema Inhaltsstoffe wird von den deutschen Gästen als wasser) bzw. Fokusgruppe argumentieren die Diskussions- auch von den Tiroler KonsumentInnen angesprochen. Be- teilnehmerInnen zum Teil in sehr unterschiedlichen Welten. sonders ausführlich gehen die Gäste aus Deutschland auf Vorausgeschickt sei, dass ein prägnanter Unterschied im die Inhaltsstoffe von Mineralwasser ein. Sie achten beim Konsum von Mineralwasser zwischen den vier Fokusgrup- Kauf auf den Salzgehalt des Mineralwassers und ziehen pen festgestellt wird. Während die überwiegende Mehrheit salzarme (natriumarme) Mineralwässer vor. Indirekt äußern der Tiroler TeilnehmerInnen angibt, so gut wie nie Mine- sich auch die Tiroler KonsumentInnen zum Thema Inhalts- ralwasser zu kaufen, konsumiert die Mehrheit der deut- stoffe, wenn sie sagen, sie konsumieren Leitungswasser vor schen Gäste regelmäßig Mineralwasser. Daher wurden von allem deshalb, weil es sich dabei um Quellwasser handelt, Seiten der Tiroler TeilnehmerInnen nur sehr spärlich Ar- das als unbehandelt und besonders rein eingestuft wird. gumente für und gegen den Konsum von Mineralwasser Damit spricht der Grad an Belastung (mit Schwermetallen, geäußert. Salzen usw.) gegen den Kauf bzw. Konsum von Mineral- Im Folgenden werden nun die Argumentationen der einzel- wasser. Der Konsum von Grundwasser wird von der Mehr- nen FokusgruppenteilnehmerInnen, gemäß den sieben Wel- heit der DiskussionsteilnehmerInnen aller vier Gruppen ten von BOLTANSKI und THÉVENOT (2007: 222f.) bzw. abgelehnt, da dieses als stark belastet wahrgenommen wird. THÉVENOT, MOODY und LAFAYE (2000: 236), vorgestellt. Die Tiroler KonsumentInnen geben an, beim Kauf von Le- bensmitteln verstärkt auf die Verwendung naturnah produ- Die Welt des Marktes zierter Zutaten zu achten. Die naturnahe Produktion werde Die Argumentationen der FokusgruppenteilnehmerInnen durch eine kleinstrukturierte Produktionsweise, wie sie im innerhalb der Welt des Marktes beziehen sich auf den Preis, Berggebiet vorherrscht, gewährleistet. Fokusgruppenteilneh- die Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Lebensmitteln merInnen aus Österreich und Deutschland begründen den sowie die Bequemlichkeit beim Transport. Konsum von Tiroler Käse u.a. auch damit. Massenprodukte Für alle TeilnehmerInnen ist ein angemessenes Preis- bzw. Milch von Kühen aus Massentierhaltung gelten aus Leistungsverhältnis die Voraussetzung für den Kauf eines Sicht aller FokusgruppenteilnehmerInnen weder als gehalt- bestimmten Käses oder Mineralwassers. Die Preissensibili- voll noch naturnah. Zwar wird Mineralwasser von der Mehr- tät steigt bei den KonsumentInnen, wenn größere Mengen zahl der TeilnehmerInnen als ein industrielles Massenpro- an Käse bzw. Mineralwasser benötigt werden, zum Beispiel dukt wahrgenommen, trotzdem geben vor allem die deut- bei Mehr-Personen-Haushalten. Aus Sicht der Diskussions- schen Gäste an, Mineralwasser regelmäßig zu konsumieren. gruppe der Tiroler FeinschmeckerInnen ist die Preissensibi- lität bei Produkten heimischer (regionaler) sowie bergbäu- 3 Im Jahre 1996 wurden in Österreich für die Abfüllung von erlicher Betriebe geringer. Dem entsprechen auch die Aus- Getränken insgesamt rund 7 000 Tonnen PET eingesetzt, 2002 sagen von deutschen UrlauberInnen, die angeben, für Pro- lag die Marktmenge bei rund 26 800 Tonnen. 2005 erreichte dukte aus dem Berggebiet, die unter schwierigen Bewirt- die Marktmenge an PET-Flaschen in Österreich eine Menge schaftungsbedingungen produziert worden sind, mehr be- von rund 36 400 Tonnen (WIRTSCHAFTSKAMMER ÖSTERREICH, zahlen zu wollen. 2006: 8). 129
Agrarwirtschaft 58 (2009), Heft 2 Der Kauf von Lebensmitteln mit chemischen bzw. künstli- Die häusliche Welt chen Zusätzen (z.B. Konservierungsstoffe und Geschmacks- Die häusliche Welt enthält Argumente, wie Geschmack, re- verstärker) oder die Behandlung von Lebensmitteln mit gionale Herkunft, Vertrauen in den Produzenten/die Produ- chemischen Substanzen stößt bei den Diskussionsteilneh- zentin, Nähe zum/zur Produzenten/Produzentin, traditionelle merInnen erwartungsgemäß auf Ablehnung. Einige Produkte, Herstellungs- bzw. Bewirtschaftungsweise, Produktion von insbesondere holländisches und spanisches Obst und Ge- Naturprodukten, Heimatverbundenheit oder Frische. müse, die nach Aussage der FokusgruppenteilnehmerInnen in sehr intensiven Kulturen angebaut werden und nicht Nach Ansicht aller FokusgruppenteilnehmerInnen stellt der selten chemische Rückstände aufweisen, genießen dabei ein Geschmack eines Lebensmittels, insbesondere des Käses, sehr negatives Image. Neben der hygienischen Verarbei- ein grundlegendes Konsumargument dar. Die weiteren Ar- tung bzw. Herstellung muss der Käse eine sortentypische gumente der häuslichen Welt scheinen besonders für die Eignung hinsichtlich der Beschaffenheit des Käseteigs, Tiroler FokusgruppenteilnehmerInnnen ländlicher Herkunft Geschmack, Konsistenz, Kocheigenschaften usw. aufweisen, relevant zu sein. Der Regionsbegriff erweist sich in diesem da gewisse Gerichte nach speziellen Käsesorten verlangen. Zusammenhang jedoch als sehr vage definiert, wobei die So bedarf es für Käsespätzle und Käseknödel z.B. eines räumliche Regionsauffassung von Bezirks- über Landes- würzigen Bergkäses, in die Zillertaler Krapfen gehört wür- bis hin zu nationalstaatlicher Ebene variiert. Mehrheitlich ziger Graukäse und für Spaghetti wird Parmesan benötigt. beziehen sich die TeilnehmerInnen jedoch auf das Bundes- Schließlich wird in allen vier Fokusgruppen auch Conve- land als Region. Von unterschiedlicher Relevanz zeigen nience als Konsumargument angeführt. Vor allem die jün- sich Bergherkunft und regionale Herkunft für die Tiroler geren KonsumentInnen tendieren dazu, Lebensmittel zu KonsumentInnen. So führen diese häufig nicht die Herkunft kaufen, die schnell und einfach zubereitet werden können, aus dem Berggebiet als Argument an, sondern die inländi- und dazu gehört eben auch Käse. sche bzw. regionale Herkunft. Die einheimischen Konsu- mentInnen geben z.B. an, bewusst regelmäßig Käse aus der Die staatsbürgerliche Welt Region zu kaufen. Dies schließt Argumente, wie Vertrauen in den/die HerstellerIn und in die traditionelle Herstellungs- Die Argumente innerhalb der staatsbürgerlichen Welt4 neh- weise, mit ein. Vertrauen bedeutet in diesem Zusammen- men auf soziale Gleichberechtigung und solidarischem Ver- hang, dass die KonsumentInnen bei regionalen Hersteller- halten in unserer Zivilgesellschaft Bezug. In den vier Fokus- Innen glauben, die Verhältnisse ausreichend zu kennen, um gruppen sprechen die KonsumentInnen diesbezüglich die verwendeten Zutaten, die Hygiene, den Geschmack Aspekte, wie die Unterstützung und Förderung von Berg- oder den Wahrheitsgehalt der Angaben auf der Verpackung bauern/Bergbäuerinnen, die regionale Wertschöpfung sowie beurteilen zu können. So meint ein einheimischer Fein- den Erhalt des ländlichen Raumes durch den Kauf regiona- schmecker: „Allein der Geschmack reicht nicht aus, man ler Produkte, an. muss dem Hersteller schon auch Vertrauen entgegenbringen.“ Während die deutschen Gäste und die Tiroler Feinschmecker- Besonders für die FeinschmeckerInnen und die Gäste aus Innen zum Teil sehr ausführlich auf diese Thematik einge- Deutschland ist die Nähe zum/zur Produzenten/Produzentin hen, scheint sie für die ländlichen als auch städtischen Fo- wesentlich. Beispielhaft werden hierfür Direktvermarktung kusgruppenteilnehmerInnen aus Tirol von geringer Relevanz und Almausschank angeführt – also möglichst kurze Wert- zu sein. Nur ein Fokusgruppenteilnehmer ländlicher Her- schöpfungsketten mit keinen bzw. wenigen Zwischenhänd- kunft gibt an, der regionalen Wertschöpfung wegen aus- lerInnen. Allerdings scheinen die TeilnehmerInnen der Ur- schließlich Mineralwasser aus Tirol zu kaufen. Solidari- laub am Bauernhofgruppe vor allem während des Urlaubs sches Verhalten wird ansonsten weniger produktbezogen, Produkte aus der Region, in der sie ihren Urlaub verbrin- sondern vielmehr allgemein diskutiert. Die Tiroler Fein- gen, zu bevorzugen, während sie zu Hause für den alltägli- schmeckerInnen geben an, Lebensmittel auch zur Unter- chen Konsum weniger auf die regionale Produktherkunft stützung und Förderung heimischer Bergbauern/Berg- achten. bäuerinnen bzw. der regionalen Wertschöpfung wegen zu kaufen. Dies soll langfristig auch zur Erhaltung der Kultur- Regionalität impliziert für die Tiroler Diskussionsteilneh- landschaft bzw. des Berggebiets beitragen. Einige der Fein- merInnen auch Frische und Schmackhaftigkeit. Genau diese schmeckerInnen würden daher eine Marke für Produkte aus Eigenschaften verbinden die deutschen UrlauberInnen mit dem Berggebiet befürworten, wenn sie vor allem den Berg- Lebensmitteln aus dem Berggebiet. Dazu ein deutscher Ur- bauern/Bergbäuerinnen zugute käme, die ihre Höfe unter lauber: „Je höher, je älter, desto herzhafter der Käse.“ schwierigsten Bedingungen bewirtschaften. Während die Die traditionelle Bewirtschaftungsweise der Tiroler Bauern- einheimischen FeinschmeckerInnen jedoch angeben, der höfe sowie die traditionellen Erzeugungsmethoden (z.B. die regionalen Wertschöpfung wegen regelmäßig lokale Pro- Käse- und Butterherstellung auf der Alm) sind wichtige dukte zu kaufen, tun dies die deutschen Gäste eher gele- Teile der Argumentation Tiroler und deutscher Diskussions- gentlich, das heißt, sie kaufen während ihres Urlaubs Pro- teilnehmerInnen. Die KonsumentInnen gehen davon aus, dukte aus der Region, in der sie ihren Urlaub verbringen zu, dass bei der traditionellen Bewirtschaftung, Produktherstel- wie z.B. regionale Spezialitäten aus Tirol. Dabei argumen- lung und -verarbeitung auf chemische bzw. künstliche Zu- tieren sie ähnlich wie die FeinschmeckerInnen mit der Un- sätze jeglicher Art verzichtet wird und daraus gesunde Natur- terstützung der Bauern und Bäuerinnen im Berggebiet und produkte hergestellt werden. Diese dürfen geschmacklich der Erhaltung der dortigen Kulturlandschaft. durchaus auch variieren, wie etwa im Fall von Graukäse, der von Alm zu Alm verschieden schmecken kann. Nach 4 Wie bereits erwähnt, bezieht sich der Begriff staatsbürgerlich Angabe der Tiroler KonsumentInnen, ländlicher als auch nicht auf eine bestimmte Nation, sondern spricht die Zivilge- städtischer Herkunft, vermittelt der Konsum von Bergpro- sellschaft als Ganzes an. dukten zudem ein Gefühl der Heimatverbundenheit. 130
Agrarwirtschaft 58 (2009), Heft 2 Bei Mineralwasser, das, wie bereits erwähnt, als Massenpro- nehmerInnen auf die Bedeutung des Prestiges beim Kon- dukt wahrgenommen wird, spielt die häusliche Welt bzw. sum von Lebensmitteln, auf lokale Spezialitäten, die Saiso- das Argument der Regionalität so gut wie keine Rolle. nalität sowie auf den Bekanntheitsgrad der Produkte ein. In den Diskussionsrunden zeigen sich produktgruppenspe- Die Welt der Inspiration zifische Unterschiede: Während das Prestige eines be- In der Welt der Inspiration argumentieren die Fokusgruppen- stimmten Käses in allen vier Fokusgruppen durchaus ein teilnehmerInnen mit dem gesundheitlichen Wohlbefinden, Konsumargument darstellt, spielt das Prestige bei Mineral- den Emotionen, die durch die Produktverpackung oder die wässern des täglichen Gebrauchs nur eine untergeordnete Produktpräsentation hervorgerufen werden, sowie den posi- Rolle. So sind Mineralwässer aus Sicht der deutschen Teil- tiven Aspekten, die mit dem Berggebiet in Verbindung ge- nehmerInnen generell untereinander austauschbar, während bracht werden, wie z.B. Reinheit, Authentizität, Harmonie. einzelne Käsesorten Spezialitäten darstellen. Berühmte italienische und französische Käse werden nicht nur auf- Obwohl nicht immer klar zuordenbar, sind Argumente, die grund ihres Geschmacks, sondern auch ihres Namens bzw. der Welt der Inspiration entsprechen, in ihrer Bedeutung Bekanntheitsgrades wegen gekauft, wobei Mundpropagan- nicht zu unterschätzen (THÉVENOT, MOODY und LAFAYE, da eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Auch Bergkäse 2000: 252). Städtische KonsumentInnen aus Tirol argumen- genießt bei deutschen Urlaubsgästen den Ruf einer Spezia- tieren mit dem gesundheitlichen Wohlbefinden beim Kauf lität, die – sofern in Deutschland erhältlich – nur zu beson- von Käse. Käse wird als ein gesundes und bekömmliches deren Anlässen gekauft wird. Auch die Saisonalität wird Produkt wahrgenommen und von zahlreichen städtischen von den FokusgruppenteilnehmerInnen im Zusammenhang FokusgruppenteilnehmerInnen aus Tirol vermehrt anstelle mit dem Konsum von Graukäse, einem traditionellen Tiro- von Wurst bzw. Fleisch konsumiert. Im Gegensatz dazu ler Käse angesprochen. Die Tiroler wie auch die deutschen wird Mineralwasser, wie bereits erwähnt, von der Mehrzahl KonsumentInnen nehmen Graukäse als ein Produkt wahr, der TeilnehmerInnen als ein industrielles Produkt wahrge- das traditionellerweise im Sommer auf Almen gegessen nommen, mit dem keinerlei Emotionen verbunden werden. wird und dort auch am besten schmeckt. Die Emotionalität eines Produktes wird häufig über das Bei Mineralwasser wird das Image vor allem über das Fla- Verpackungsdesign, die Etikette oder die Produktpräsenta- schendesign vermittelt. Nach Angabe einiger Diskussions- tion vermittelt (PEPELS, 2004: 136). Diesbezüglich äußern teilnehmerInnen werden Mineralwässer, deren Namen, TeilnehmerInnen in allen vier Fokusgruppen Kritik an der Etikette und/oder Flaschenform ein gewisses Prestige aus- überwiegend lieblosen Verpackung und Präsentation von strahlen, für den täglichen Konsum abgelehnt. Einige Tiroler Lebensmitteln in Supermärkten ebenso wie an den teilweise KonsumentInnen städtischer Herkunft geben an, ein solches „kitschig gestalteten“ Etiketten bei Käse mit überzeichneten Mineralwasser nur zu besonderen Anlässen zu kaufen, um Almmotiven. Einige dieser TeilnehmerInnen würden sich den geladenen Gästen zu „imponieren“. So ergänzt eine junge verstärkt Lebensmittelverpackungen wünschen, die den Frau städtischer Herkunft: „Jeder, der etwas auf sich hält, KonsumentInnen vermitteln, dass das Produkt mit Liebe hat so ein prestigeträchtiges Mineralwasser zu Hause!“5 Für produziert worden ist. einige der Tiroler FeinschmeckerInnen spielt auch der Be- Abbildungen mit Bergen und Almen rufen unter den Fokus- kanntheitsgrad des Mineralwassers beim Kauf eine Rolle. gruppenteilnehmerInnen besonders starke Emotionen her- vor. Die TeilnehmerInnen aus allen vier Fokusgruppen ver- Die Welt des Umweltbewusstseins binden mit Bergen, Bergbauernhöfen oder Almen eine schier endlose Liste an positiven Aspekten und Gefühlszuständen, Die Welt des Umweltbewusstseins schließt umweltfreund- wie etwa Gemütlichkeit, Ruhe, glückliche Tiere, glückliche liche und tiergerechte Produktions- und Verarbeitungsme- Menschen, harmonisches Ambiente, Einfachheit, Heimat, thoden ebenso mit ein, wie Aspekte der Nachhaltigkeit in Reinheit, Produktqualität, biologische Herstellungsweise Form von kurzen Transportwegen und umweltfreundlichen und Authentizität, um nur einige der Aussagen zu nennen. Verpackungsmaterialien. Ein deutscher Urlauber deklariert die Almen und Berge gar Umweltaspekte werden von den städtischen KonsumentInnen als „letzte globalisierungsfreie Zone“. beim Konsum von Lebensmitteln weit häufiger genannt, als Die FokusgruppenteilnehmerInnen scheinen aber auch eine von den KonsumentInnen ländlicher Herkunft. Bis auf genaue Vorstellung davon zu haben, welche Ortschaften, einen Diskussionsteilnehmer, der den Konsum von einhei- Regionen, Länder usw. mit Berg in Verbindung stehen; so mischem Mineralwasser u.a. mit der Vermeidung „tausen- werden z.B. Produkte aus der Schweiz grundsätzlich als der Transport-Kilometer“ begründet, geht kein weiterer Bergprodukte wahrgenommen, unabhängig davon, ob sich Teilnehmender aus dem ländlichen Raum auf Aspekte des im Produktnamen oder auf der Produktverpackung ein Berg Umweltschutzes ein. befindet oder erwähnt wird. Ökologische Aspekte werden von Tiroler KonsumentInnen Mit Almen und Bergen verbundene Emotionen wirken sich städtischer Herkunft wie auch von den deutschen Gästen nach Aussagen der KonsumentInnen indirekt auch positiv angeführt. Während für die Tiroler Diskussionsteilnehme- auf die Wahrnehmung der Produktqualität aus. Vermutlich rInnen kurze Transportwege im Vordergrund stehen, äußern werden Lebensmittel aus dem Berggebiet auch deshalb von sich Gäste aus Deutschland sehr ausführlich zur umwelt- den DiskussionsteilnehmerInnen als gesunde Lebensmittel freundlichen und tiergerechten Produktionsweise von Le- empfunden. 5 Die Welt der Meinung Als Einstieg in die Thematik wurden verschiedene Mineral- wässer und Käse angeboten. Diese Aussage bezieht sich auf Innerhalb der Welt der Meinung gehen die Diskussionsteil- eines der servierten Mineralwässer. 131
Agrarwirtschaft 58 (2009), Heft 2 bensmitteln. Dabei wird die Alpung als besonders tierge- naturbelassenen Lebensmitteln könnte dieser Konsument- recht empfunden. Die KonsumentInnen vermuten, dass in Innenerwartung verstärkt Rechnung getragen werden. In Bergregionen mit Umwelt und Tieren besser umgegangen diese Diskussion spielen auch die Zusatznutzen Gesundheit, wird, als im intensiver bewirtschafteten Flachland. Die Reinheit und Natürlichkeit hinein. In den Augen der Kon- Tiroler FeinschmeckerInnen setzen die traditionelle Bewirt- sumentInnen aller vier Fokusgruppen zeigen sich Bergpro- schaftungsform auf Bergbauernhöfen häufig mit einer bio- dukte als Naturprodukte, die aufgrund der naturnahen Pro- logischen Bewirtschaftungsweise gleich. duktion, des begrenzten Einsatzes von chemischen Mitteln Transportweg und Verpackung kommen besonders beim sowie der intakten Umwelt im Berggebiet ganz einfach Kauf von Mineralwasser zum Tragen. TeilnehmerInnen in gesund sein müssen. allen vier Fokusgruppen plädieren dafür, regionales Mine- Besonders häufig genannt werden auch Zusatznutzen wie ralwasser zu kaufen, um unnötige Transportkilometer zu ver- Regionalität, Vertrauen in die ProduzentInnen, traditionelle meiden. Tiroler KonsumentInnen bezeichnen die Abfüllung Herstellung, Frische, guter Geschmack oder kleine Produk- von Mineralwasser in Plastikflaschen wörtlich als „kom- tionsmengen. Hier hinein spielt auch der Zusatznutzen der pletten Schwachsinn“ und sehen darin eine starke Belastung Authentizität, der vor allem seitens der Tiroler Feinschme- der Umwelt, da sich bestes Quellwasser in nächster Nähe ckerInnen genannt wird. Die Tiroler KonsumentInnen so- befindet bzw. aus der Wasserleitung fließt. wohl ländlicher als auch städtischer Herkunft ergänzen diese Liste noch mit der Heimatverbundenheit, welche Bergpro- 5. Diskussion der Ergebnisse und dukte vermitteln. Die Unterstützung der ProduzentInnen im Berggebiet stellt Schlussfolgerungen für die Vermarktung vor allem aus Sicht der deutschen Diskussionsteilnehmer- Die Aufgliederung und Zuweisung von Konsumargumenta- Innen und der Tiroler FeinschmeckerInnen einen weiteren tionen zu den einzelnen Welten der Convention Theory Zusatznutzen dar. Nach Meinung der deutschen Urlauber- erlaubt es, die verschiedenen Zusatznutzen zu kategorisie- Innen pflegen die Bäuerinnen und Bauern im Berggebiet ren und Kundengruppen wie auch Produktgruppen zuzu- die Landschaft, deretwegen TouristInnen ihren Urlaub dort ordnen. Dies kann dazu genutzt werden, Produkte aus Berg- verbringen. Um dies tun zu können, müssen die Bauern und regionen entsprechend spezifischer Kundenerwartungen Bäuerinnen aber auch ein ausreichendes Einkommen aus besser zu vermarkten und einen eventuellen Mehrpreis zu der Vermarktung ihrer Produkte erzielen. Auch nach Auf- rechtfertigen. fassung der Tiroler FeinschmeckerInnen trägt der Kauf lokaler Lebensmittel zur regionalen Wertschöpfung im Die Ergebnisse zeigen, dass die Argumentationen für Käse Berggebiet bei, wodurch die im Berggebiet lebende bäuer- weitaus breiter gefächert sind als für Mineralwasser. Wäh- liche Bevölkerung unterstützt wird. Verstärkt hervorgeho- rend für Käse in allen sieben Welten Argumentationen ben werden könnte diese unterstützende Nutzenkomponente, gefunden werden können, kommen diese für Mineralwasser indem der Zusammenhang zwischen der Arbeit der Berg- in der staatsbürgerlichen Welt, der Welt des Hauses und der bauern/Bergbäuerinnen und der Erhaltung der Kulturland- Welt der Inspiration überhaupt nicht bzw. kaum vor. Damit schaft in der Produktbewerbung besonders hervorgehoben kann Käse in der Vermarktung auch leichter an die Berg- wird. herkunft gebunden werden als Mineralwasser. In Abhän- gigkeit von der jeweiligen Produktgruppe offenbaren sich Besonderen Wert auf das Verpackungsdesign und die Pro- also unterschiedliche Argumentationsmuster. Dies ent- duktpräsentation legt die Fokusgruppe der städtischen Kon- spricht den Ergebnissen von SPILLER, LÜTH und ENNEKING sumentInnen aus Tirol, die ein „kitschiges“ Design, wie es (2004: 31) sowie BÄHR et al. (2004: 124ff.), die mittels der häufig für Bergprodukte verwendet wird, ablehnt. Daneben Laddering-Methode Motive für bzw. gegen den Kauf von scheinen auch Prestige und Bekanntheitsgrad eines Pro- Öko-Produkten untersuchen. Die AutorInnen empfehlen dukts die städtischen KonsumentInnen in ihrem Kaufver- daher produktspezifisch unterschiedliche Positionierungs- halten zu beeinflussen. strategien (SPILLER, LÜTH und ENNEKING, 2004: 32), was Weniger für die Tiroler, dafür aber umso mehr für die deut- auch für Bergprodukte Gültigkeit haben dürfte. schen KonsumentInnen spielt der Zusatznutzen „lokale Die Herkunft aus dem Berggebiet allein stellt jedoch noch Spezialität“ beim Kauf von Bergprodukten eine Rolle. Dies keinen singulären Zusatznutzen dar, sondern setzt sich aus ist umso verständlicher, als es für viele deutsche Konsu- mehreren Aspekten bzw. Zusatznutzen zusammen, die von mentInnen insbesondere aus den nördlicheren Regionen den FokusgruppenteilnehmerInnen jeweils mit der Berg- Deutschlands schwierig sein dürfte, Lebensmittel aus dem herkunft in Verbindung gebracht werden. Der Mehrwert der Berggebiet zu erstehen. Bergprodukte könnten daher im Bergherkunft lässt sich also auf eine Kombination von Ausland als Spezialitäten in Delikatessenläden vermarktet emotionalen und rationalen Argumenten, die den sieben werden. Ebenso von den deutschen Urlaubsgästen ange- Welten zugeordnet werden können, zurückführen. So ergibt sprochen und befürwortet wird der Versand von Käsespezi- sich der von den DiskussionsteilnehmerInnen angeführte alitäten über Internet, und auch der Markt für Bergprodukte Zusatznutzen „ohne künstliche Aromastoffe“ bzw. „ohne als Urlaubssouvenirs erscheint weiter ausbaufähig. künstliche Zusätze“ eines Bergprodukts aus der Tatsache Umweltfreundlichkeit und Tiergerechtigkeit stellen vor allem heraus, dass die KonsumentInnen aller vier Fokusgruppen für die deutschen Gäste und die Tiroler FeinschmeckerIn- davon ausgehen, Lebensmittel aus dem Berggebiet seien nen einen Zusatznutzen beim Kauf von Lebensmitteln aus per se ohne Verwendung künstlicher Zusätze hergestellt dem Berggebiet dar. Die Aussagen der deutschen Gäste worden. Tatsächlich wird dies in der Produktbewerbung oft drehen sich insbesondere um den Zusatznutzen der Tierge- vorgegeben, ohne den Tatsachen zu entsprechen. Durch die rechtigkeit, wobei sie diesen wiederum in Unterkategorien, Abgrenzung und bewusste Bewerbung von tatsächlich wie tiergerechte Haltungsbedingungen, Weidehaltung oder 132
Agrarwirtschaft 58 (2009), Heft 2 kleine Viehzahlen, aufschlüsseln. Besonders angepriesen wird DAX, T. und G. WIESINGER (2007): Der Marginalisierung entge- dabei die Weidehaltung auf der Alm. Die Tiroler Fein- genwirken: Nachhaltige Entwicklung der Berglandwirtschaft. schmeckerInnen sprechen daneben auch die umweltfreund- In: Ländlicher Raum - Online-Fachzeitschrift des Bundesminis- liche Produktion an, die Komponenten, wie Verzicht auf teriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasser- wirtschaft. URL: http://www.laendlicher-raum.at/article/article Kunstdünger, Verzicht auf Pestizide oder kurze Transport- view/53548/1/10402, Stand: 2.7.2008. wege, umfasst. Diese zwei KonsumentInnengruppen könn- DIAZ-BONE, R. (2007): Qualitätskonventionen in ökonomischen ten sich daher möglicherweise durch die Anpreisung be- Feldern. In: Berliner Journal für Soziologie 17 (4): 489-509. sonders umweltfreundlicher und tiergerechter Produktions- GREBITUS, C. und M. 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