NeuroTransmitter - ZNS News

 
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NeuroTransmitter - ZNS News
1    Januar 2011 _ 22. Jahrgang_www.BVDN.de

                                                        NeuroTransmitter
    NeuroTransmitter 1/2011

                                                             Offizielles Organ des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN), des
                                                             Berufsverbandes Deutscher Neurologen (BDN) und des Berufsverbandes
                                                             Deutscher Psychiater (BVDP)

                                                             Online-Abrechnungspflicht
                                                             So kommen Sie 2011 an Ihr Honorar

                                                             Nachwuchs gewinnen
                                                             Warum sich eine Niederlassung lohnt
Springer Medizin | Verlag Urban & Vogel GmbH, München

                                                             Tic-Störungen und Tourette Syndrom
                                                             Kurz aber heftig

                                                             CME: Delir im Alter
                                                             Erkennen, Behandeln, Vermeiden

                                                                    BVDN                          BDN                  BVDP
NeuroTransmitter - ZNS News
»Inzwischen hat der virtuelle Raum des Internets die Züge
                                               einer neuen, eigenen Welt beziehungsweise eines eigenen
                                               Kontinents, genannt „Cyberika“, angenommen.«

                                               PD Dr. med. Albert Zacher
                                               Schriftleiter

Cyberika
D      em neuen, riesigen und immer noch rasend schnell wach-
       senden, unser Vorstellungsvermögen inzwischen überfor-
 dernden „Raum“, den uns das Internet mit seinen Möglich-
                                                                       Softwar
                                                                      Noch liegt Cyberika weitgehend brach, aber es verheißt unend-
                                                                      liche Möglichkeiten. Wird die Verteilung der Rechte, sie zu
 keiten beschert hat, drohen kritische Zeiten.                        nutzen, nach diesem ersten Geplänkel ohne Kriege abgehen?
      Bisher haben die meisten von uns in ihm wohl lediglich          Die großen Staaten, die weltumspannenden Unternehmen, die
 einen Ort bequemen Einkaufens (eine Art Virtualienmarkt),            die alte „Hardware-Welt“ stabil unter sich aufgeteilt haben,
 ein blitzschnelles Postäquivalent, eine neuartige Medienplatt-       werden den neuen Kontinent besiedeln, seine Schätze ausbeu-
 form oder ein ozeanartiges Nachschlagewerk gesehen. Es war           ten, seine Machtmöglichkeiten nutzen wollen.
 ein modernes Werkzeug für jegliche Art von Handel und Wan-                Nun haben sich aber dort schon andere breit gemacht,
 del, das die herkömmlichen Telekommunikationsinstrumente             eine Art „Ureinwohner“, die aktiven Nutzer und Gestalter.
 ergänzte und ersetzte. Inzwischen aber hat der virtuelle Raum        Und diese führten im Dezember 2010 einen ersten Abwehr-
 des Internets die Züge einer neuen, eigenen Welt („Cyber-            kampf, wie ihn die Geschichte der Menschheit noch nicht
 world“) oder, was ich zu seiner Charakterisierung noch bezeich-      gesehen hat. Denn noch nie gab es einen Krieg, in dem sich
 nender finde, eines eigenen Kontinents (dem ich den Namen            eine Weltmacht, in dem sich Weltunternehmen von ein paar
„Cyberika“ geben will) angenommen.                                    Tausend entschlossenen Stubenhockern, die über die Länder
                                                                      verteilt sind, bewaffnet nur mit ihrem Grips, ihrem „subver-
Wem eigentlich gehört Cyberika?                                       siven“ (je nach Sicht) Potenzial und einem PC mit Internetzu-
 Die Gefilde Cyberikas hatten bisher ein erstaunlich friedliches      gang ernsthaft herausgefordert sahen, weil deren raffiniert zu-
 Bild geboten. Es war ein kriegsfreier Kontinent gewesen, bis im      sammen geschaltete Rechner sogar die Abwehrkraft von Super-
 Dezember 2010 Wikileaks-Sympathisanten erstmals „Kampf-              computern zu brechen drohten.
 handlungen“ organisierten und durchführten, die von Zei-                  In diesem Krieg musste also keine Kugel abgefeuert, keine
 tungskommentatoren als „Cyberwar“ bezeichnet wurden: ein             Granate geworfen, musste kein Gebäude gesprengt werden – ein
 erstes kriegsähnliches Konfliktgeschehen, ausschließlich im          Dank moderner sozialer Netzwerke blitzschnell organisiertes
„Raum“ und mit den Waffen des Internets, entsprungen aus              Datenbombardement war dazu in der Lage, die Internetzugän-
 ungeklärten Besitz- und Machtverhältnissen. Denn wem ge-             ge von Weltunternehmen vorübergehend lahm zu legen. „Soft-
 hört Cyberika, wer beherrscht es, wer ist berechtigt, dort Re-       war“: Der Krieg der Neuzeit, und dessen Guerilleros keine
 geln und Gesetze zu erlassen und dann deren Einhaltung zu            durchtrainierten Freischärler, sondern eine locker verteilte,
 überwachen?                                                          kaum zu fassende Horde von zum Teil minderjährigen Nerds.
      Aber muss das überhaupt sein? Kann Cyberika nicht allen              2011 wird es sich deutlicher zeigen, wie und vom wem die
 gehören, die sich dort aufhalten wollen, sollte es nicht ein jeder   übernationale Gesellschaft des Informationszeitalters den neu-
 nach seinem Willen frei nutzen können? Dagegen sprechen              en Kontinent Cyberika kultiviert sehen möchte (wenn sie denn
 die ehernen Gesetze des Menschengeschlechtes und seiner              gefragt wird).
 Geschichte, in denen es bei der Eroberung eines neuen Kon-
 tinents (nicht nur im schlechten Sinne) immer um Macht,                   Ihr
 Besitz und Ordnung ging. Diese werden auch im Informati-
 onszeitalter und in Bezug auf seine Neuschöpfungen ihre Gül-
 tigkeit beweisen.

NeuroTransmitter _ 1.2011                                                                                                          3
NeuroTransmitter - ZNS News
Inhalt 1                    Januar 2011

                                                                3 Editorial

9     Nachwuchs gewinnen                                       		 Die Verbände informieren
Die ambulante psychiatrische Behandlung wird immer              8 Vergütungssysteme ins Gleichgewicht bringen
wichtiger und der Bedarf an niedergelassenen Psychiatern
wächst. Warum die Wahl für das Fach eine richtige Ent-          9	Nachwuchs gewinnen
scheidung sein kann.                                                Warum sich eine Niederlassung lohnt

13    Online-Abrechnungspflicht                                 13 Online-Abrechnungspflicht
                                                                   
Mit Beginn des neuen Jahres wird die Online-Abrechnung
                                                                   So kommen Sie 2011 an Ihr Honorar
mit den Kassenärztlichen Vereinigungen in fast allen KV-       16	Gesundheitspolitische Nachrichten
Bezirken eingeführt. Wir informieren Sie, welche tech-
nischen und finanziellen Hürden zu überwinden sind.

19 Psychiatrie im Nationalsozialismus
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie
und Nervenheilkunde hat in einer Gedenkveranstaltung ein       		 Rund um den Beruf
deutliches Zeichen gesetzt, getragen von dem Willen, die
Opfer anzuerkennen und an ihrer Seite zu stehen, sich zu       19	Rede zur Gedenkveranstaltung
der eigenen Vergangenheit zu bekennen und aus der Ver-             Psychiatrie im Nationalsozialismus –
gangenheit zu lernen. Lesen Sie die ungekürzte Rede von            Erinnerung und Verantwortung
Prof. Dr. Dr. Frank Schneider, Präsident der DGPPN.
                                                               26	Die richtige Kamera für Ärzte
                                                                   Megapixel sind nicht alles

                                                               27	eGesundheitskarte
Wichtiger Hinweis!                                                 850 Euro Zuschuss für neue Kartenleser
In dieser Ausgabe finden Sie auf S. 60/61 Wissen Aktuell mit
dem Thema „Die vielen Seiten der Depression – im Alter und
bei Männern oft maskiert“.

Wir bitten um freundliche Beachtung!

Titelbild:
© Gabriel von Max, Affen als Kunstrichter, 1889

NeuroTransmitter _ 1.2011                                                                                       5
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Fortbildung
                                                            28	Tic-Störungen und Tourette-Syndrom
                                                                Kurz aber heftig
28 Tic-Störungen und Tourette Syndrom
Tic-Störungen sind vorübergehende oder chronische Zu-        34 Somatoforme Störungen
stände, die mit Einschränkungen im Selbstbewusstsein,       		Der beste Weg zum Gutachten
Familienleben, sozialer Akzeptanz und Schwierigkeiten in
Schule oder am Arbeitsplatz einhergehen. Sie sind alltäg-    39 Neurologische Kasuistik
lichen Verlegenheitshandlungen ähnlich und äußern sich      		Herr Doktor – sind Sie bereit für eine neue
als plötzliche, sich wiederholende Bewegungen, Gesten           MS-Therapie?
oder Lautäußerungen.
                                                            42 C
                                                                ME: Delir im Alter
                                                               Erkennen, behandeln, vermeiden

                                                             47 CME-Fragebogen

Wie Sie uns erreichen
Verlagsredaktion:                                           		 Journal
Beate Huber
Telefon: 089 203043-1461, Fax: 089 203043-31461,             54	Psychopathologie in Kunst & Literatur
E-Mail: beate.huber@springer.com                                 Tennessee Williams „Plötzlich letzten Sommer“

                                                             58	NeuroTransmitter-Galerie
Schriftleitung:                                                  Gabriel von Max – Wissenschaft und Spiritismus
PD Dr. med. Albert Zacher
Telefon: 0941 561672, Fax: 0941 52704,
E-Mail: bvdnzacher@t-online.de                              50   Pharmaforum

                                                            62   Termine

                                                            63   Verbandsservice
Offizielles Organ des
                                                            69   Impressum/Vorschau
Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN),
des Berufsverbandes Deutscher Neurologen (BDN) und
des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP)

       BVDN                       BDN               BVDP

NeuroTransmitter _ 1.2011                                                                                         7
NeuroTransmitter - ZNS News
Die Verbände informieren

                                                                BVDN
                                                 Berufsverband Deutscher Nervenärzte

Dr. med. Frank Bergmann,
                                                                         BDN                                        BVDP
1. Vorsitzender des BVDN
E-Mail: bergmann@bvdn-nordrhein.de               Berufsverband Deutscher Neurologen                Berufsverband Deutscher Psychiater

Vergütungssysteme ins Gleichgewicht bringen

Ich hoffe, Sie sind gut ins neue Jahr ge­         der Einkommenssituation kaum noch mög­           Hintergrund sind nicht fehlende Motivation
kommen und ich wünsche Ihnen an dieser            lich ist. Nach wie vor verfügen einige Länder-   der Beteiligten oder Unvermögen, sondern
Stelle nochmals einen guten Start in das          KVen durch die asymmetrischen Honorar­           die dem Gedanken einer Vernetzung völlig
neue Jahr.                                        zuwächse seit dem 1.1.2009 über auskömm­         zuwider laufenden Anreizsysteme.
                                                  liche Mittel, auch für unsere Fachgruppen.
Von den gesetzgeberischen Aktivitäten im          In anderen Teilen der Republik hingegen, wie     Diesen und anderen Themen werden wir uns
Jahr 2010 sind viele von uns enttäuscht ge­       zum Beispiel in Nordrhein, nimmt die Unter­      widmen im Programm des Neurologen- und
wesen. Zwar führen die Entscheidungen im          finanzierung neuropsychiatrischer Leistun-       Psychiatertages am 9.4.2011 in Köln.
Arzneimittelneuordnungsgesetz mit der             gen dramatische Formen an. Die jüngst
vorgesehenen frühen Nutzenbewertung von           beschlossene asymmetrische Verteilung der        Sie sind wie immer ganz herzlich eingeladen.
Arzneimitteln in die richtige Richtung, ärger­    Zuwächse des Jahres 2011 mit den seit lan­
lich ist für uns aber, dass nicht wie erhofft     gem bekannten Irrationalitäten wird nicht        In diesem Sinne alles Gute
das Regressrisiko für Vertragsärztinnen und       zu einer wesentlichen Befriedung dieser
Vertragsärzte abgeschafft wurde. Nach wie        „Baustelle“ führen. Die Equilibrierung der
vor haften Neurologen, Psychiater und Ner­        Vergütungen ärztlicher Leistungen bleibt
venärzte mit ihrem Privatvermögen für die         eines der prioritären Themen für das Jahr
Versorgung ihrer Patienten. Erst jüngst en­       2011.
dete ein Sozialgerichtsverfahren für einen
Berliner Kollegen mit Zahlung einer hohen        Sektorenübergreifend vernetzen
fünfstelligen Regresszahlung. Es ist ein un­     Ein weiteres wichtiges Thema betrifft die
erträglicher Zustand, dass von unserer Fach­     sektorenübergreifende Bedarfs- und Versor­        Dr. med. Frank Bergmann
gruppe leitliniengerechte Versorgung gefor­      gungsplanung. Nicht nur in der Kassen-
dert wird (und den Patienten auch gesetzlich     ärztlichen Bundesvereinigung, sondern
zugestanden wird!), andererseits das Damok-      auch im anstehenden nächsten Gesetzge­
lesschwert einer Regresszahlung weiterhin        bungsverfahren sollen diese Aufgaben ge­
scharf geschliffen wird.                         stemmt werden. In diesen Planungen
                                                 könnte eine Chance enthalten sein, vor
Asymmetrische Honorarzuwächse                    allem dann, wenn es gelingt, Qualitätsan­
Dies ist nur einer der unerträglichen Wider­     forderungen in diesem Zuge zu vereinheit­
sprüche in unserem System, das den Pati­         lichen, aber auch Vergütungssysteme im
enten ein Maximum an Versorgungsansprü­          vertragsärztlichen Sektor sowie im Bereich
chen zusichert, andererseits ihre behandeln­     der ambulanten Ver­sorgung in Klinikambu­
den Ärztinnen und Ärzte in das Haftungsri­       lanzen zu equilibrieren.
siko bringt, wenn sie berechtigte Ansprüche
erfüllen. Diese Dichotomie gilt auch für un­     Das Ziel Versorgung unter Nutzung aller
sere ärztliche Honorierung. Die Situation der    Ressourcen und Valenzen sektorenübergrei­
Regelleistungsvolumina und QZV und der           fend zu planen und zu organisieren kann
durchschnittlichen Fallwerte ist mittlerwei­     nur erreicht werden, wenn sich die Sektoren
le so divergent und gleichzeitig volatil mit     nicht konkurrierend gegeneinander aufstel­
erheblichen Veränderungen von Quartal zu         len, sondern komplementär vernetzen. Dies
Quartal, dass ein unmittelbarer Vergleich        funktioniert bislang allenfalls punktuell.

8                                                                                                                  NeuroTransmitter _  1 · 2011
NeuroTransmitter - ZNS News
Die Verbände informieren

Nachwuchs gewinnen

Warum sich eine Niederlassung lohnt
Die ambulante psychiatrische Behandlung wird immer wichtiger. 90 Prozent der psychiatrischen
Therapien erfolgen inzwischen außerhalb der Klinik. Der Bedarf an niedergelassenen Psychiatern
wächst. Warum die Wahl für das Fach eine richtige Entscheidung sein kann.

I  n keinem anderen Fach der Medizin
   vereinen sich medizinische, gesell-
schaftspolitische, weltanschauliche,
                                            nen Wiese“ mit einer hohen Mauer da-
                                            rum herum zu verstehen und leitete einen
                                            strukturellen Wandel ein, wie ihn kein
                                                                                       kenhäusern sowie die Instrumente der
                                                                                       psychiatrischen Institutsambulanz und
                                                                                       der Tagesklinik geschaffen. Die Verweil-
anthroposophische, philosophische, aber     anderes medizinisches Fach vergleichbar    dauern sanken drastisch von ursprüng-
auch ideologische Aspekte so sehr wie im    durchlaufen hat.                           lich bis zu 200 Tagen auf heute im
Fachgebiet der Psychiatrie und Psycho-                                                 Schnitt etwa 20 Tage. Diese kurze Ver-
therapie.                                   Patientenbehandlung heute haupt-           weildauer wird jedoch mit einer erhöh-
     Ein Meilenstein in der bewegten        sächlich im ambulanten Bereich             ten Wiederaufnahmerate mit all ihren
Historie des Faches war die Psychiatrie-    Die Anzahl der Betten in den psychiat-     impliziten Kritikpunkten an einer vor-
Enquete im Jahr 1975. Diese gesund-         rischen Kliniken wurden um 60 Prozent      wiegenden Sparpolitik im Gesundheits-
heitspolitische Meisterleistung der dama-   reduziert, die Anzahl der niedergelas-     wesen erkauft.
ligen führenden ärztlichen Vertreter der    senen Psychiater und Nervenärzte stieg         Die stationäre psychiatrische Be-
Psychiatrie gemeinsam mit der Politik       von damals 1.000 auf heute knapp           handlung wird heute überwiegend als
schuf den Grundsatz „ambulant vor sta-      5.000. Die Behandlungsschwerpunkte         Krisenintervention verstanden, der
tionär“. Dies war vor dem Hintergrund       wurden bewusst wohnort- und gemein-        Schwerpunkt der Behandlung psychi-
der Überwindung der kustodialen Psy-        denah konzipiert. Es wurden psychiat-      scher Störungen liegt im ambulanten,
chiatrie mit Großkliniken auf der „grü-     rische Abteilungen an Allgemeinkran-       wohnortnahen Bereich. Hier werden

    Interessanter, freier und besser
                                                                                                                                  © ISO K-photography /Fotolia

    bezahlt: Die Arbeit als niedergelas-
    sener Psychiater hat im Vergleich
    zur Arbeit in der Klinik Vorteile.

NeuroTransmitter _ 1.2011                                                                                                    9
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Die Verbände informieren                  Nachwuchs gewinnen

heute über 90 Prozent der psychiat-             dem jeweiligen Träger gekennzeichnet.         Urlaubsplanung unterliegt (natürlich
rischen Behandlungsfälle versorgt.              Nach wie vor wird sich hier der Mensch        abhängig von betriebswirtschaftlichen
                                                am besten aufgehoben fühlen, bei dem          Gegebenheiten) ebenfalls der freien Ge-
Zwei Jahre Weiterbildung                        eine persönliche Präferenz der finanzi-       staltung. Nachtdienste kommen nicht
empfehlenswert                                  ellen Absicherung im Rahmen eines             vor. Wenn man selbst gerne Nacht-
Der Weiterbildung ist die Bundesärzte-          Angestelltenverhältnisses (regelmäßiges       dienste machen möchte, ist dies über die
kammer mit der Weiterentwicklung der            Gehalt, Krankengeld, Urlaubsgeld,             hausärztlichen Bereitschaftsdienstzen-
Muster-Weiterbildungsordnung inso-              Weihnachtsgeld) vorliegt. Dem gegen-          tralen möglich. Insofern wird die ver-
fern nachgekommen, dass in allen medi-          über steht die Zunahme an befristeten         tragsärztliche Tätigkeit von vielen Ärz-
zinischen Gebieten mittlerweile bis zu          Arbeitsverträgen, die geringe Steuerbar-      tinnen als wesentlich familienfreund-
24 Monate der Facharztweiterbildung             keit der Arbeitsbelastung sowie die häu-      licher angesehen.
im ambulanten Bereich abgeleistet wer-          fig nicht als familienfreundlich gelten-
den können. Dies ist bei jedem nieder-          den Arbeitszeiten.                            Gute Verdienstmöglichkeiten
gelassenen Psychiater oder Nervenarzt                Als Vertragsarzt trägt man sicherlich    Die Verdienstmöglichkeiten liegen,
mit der entsprechenden Weiterbildungs-          eine höhere finanzielle Verantwortung.        allen Unkenrufen zum Trotz auch bei
ermächtigung möglich. Auskunft über             Zumindest bei Praxisgründung, -mitein-        primär eher rudimentär vorhandenen
die jeweils vorliegenden Weiterbildungs-        stieg oder -übernahme muss ein gewisses       betriebswirtschaftlichen Kenntnissen
ermächtigungen gibt die regionale Lan-          Finanzvolumen investiert werden. Ver-         doch in der Regel deutlich über den Ver-
desärztekammer.                                 glichen mit anderen Fachgruppen, exem-        dienstmöglichkeiten in der Klinik. Na-
     Eine solche Weiterbildungserfah-           plarisch seien hier Radiologen, ambulante     türlich kann man als Vertragsarzt theore-
rung in der ambulanten Praxis zu ma-            Operateure oder Zahnärzte genannt, be-        tisch auch insolvent werden. Gründe für
chen, ist auf jeden Fall empfehlenswert         wegt sich dieser Betrag jedoch absolut in     eine Insolvenz liegen jedoch in der Regel
und war in früheren Jahren auch grund-          einem überschaubaren Rahmen. Wird             im privaten Bereich, also durch Schei-
sätzliche Voraussetzung, um als Vertrags-       eine psychiatrisch-psychotherapeutische       dung, unglückliches Spekulationsverhal-
arzt tätig werden zu können. Aber auch          Tätigkeit ohne apparative Zusatzdiagnos-      ten oder einfach dadurch, dass auf zu
wenn man sein Karriereziel als Klinik-          tik im Rahmen einer Neugründung an-           großem Fuß gelebt wird. Als Faustregel
ärztin oder Klinikarzt verfolgt, ist eine       gestrebt, beschränkt sich der finanzielle     kann hier sicher gelten: Wer schon im-
Berufserfahrung im vertragsärztlichen           Aufwand sogar lediglich auf die Anmie-        mer gut mit Geld umgehen konnte, wird
Bereich sinnvoll und bereichernd. Zwar          tung und Möblierung von Praxisräumen,         als Vertragsarzt keine Probleme haben.
ist dies auch im Angestelltenverhältnis         den Erwerb einer Computer- und Tele-          Wer noch nie gut mit Geld umgehen
an der Klinik im Rahmen einer Ermäch-           fonanlage sowie auf die Personaleinstel-      konnte, sollte sich nicht selbstständig ma-
tigungsambulanz möglich, hier wird der          lung. Je mehr apparative Zusatzdiagnos-       chen, weder als Arzt noch in einem ande-
Klinikarzt jedoch meist im Rahmen einer         tik vorgehalten werden soll, umso mehr        ren Metier. Die Vertragsarztpraxis ist
sehr speziellen Tätigkeit zeitlich befristet    Investitionsvolumen muss für die Geräte       kein Instrument, um bereits vorher beste-
von der Kassenärztlichen Vereinigung für        selbst (wie EEG, ENG, Evozierte Poten-        hende finanzielle Probleme zu lösen.
ausgewählte Leistungen ermächtigt und           ziale, Duplexsonografie) und um so mehr            Die Inhalte der ärztlichen Tätigkeit
behandelt wie in der Klinik auch ein sehr       Behandlungsräume und Mitarbeiter müs-         werden in der Vertragsarztpraxis stark
ausgewähltes Patientenklientel. Insofern        sen geplant werden.                           geprägt durch eine oft langjährige per-
vermittelt die Tätigkeit als Ermächtigter            Durch einen Einstieg oder eine           sönliche Arzt-Patienten-Beziehung. Dies
nicht die gleichen Kompetenzen wie eine         Übernahme können bereits vorhandene           ist auch das Hauptargument, das Pati-
Tätigkeit als Vertragsarzt. Eine vertrags-      Strukturen und Abläufe übernommen             enten und Angehörige an „ihrem“ Psy-
ärztliche Tätigkeit im Lebenslauf steigert      und müssen nicht erst selbst aufgebaut        chiater oder Nervenarzt schätzen. Ande-
in jedem Fall die Chancen auf eine Tä-          sowie etabliert werden. Hier gilt es aber     rerseits ist die Tätigkeit durch ein sehr
tigkeit im Versorgungsmanagement und            genau zu prüfen, ob die Vorstellungen         breites Spektrum gekennzeichnet. Man
in der zunehmend wichtigen sektoren-            der Arbeitsweise des Praxispartners zu        sieht viele Krankheitsbilder wie komplexe
übergreifenden Versorgungsplanung.              den eigenen Einstellungen passen. Ein         Traumatisierungen, Angsterkrankungen,
                                                Einstieg im Rahmen eines Jobsharings          Persönlichkeitsstörungen sowie Komor-
Praxis statt Klinik                             bietet hier die Möglichkeit, dies über eine   biditäten mit somatischen Erkrankungen,
Die Entscheidung für eine Karriere ent-         gewisse Zeit zu testen.                       wie sie heute in der Klinik kaum noch
weder im Klinik- beziehungsweise For-                                                         vorkommen. Zudem ist man quasi als
schungsbereich oder im vertragsärzt-            Mehr Freiräume                                „Konsiliararzt“ bei den hausärztlichen
lichen Sektor wird durch verschiedene           Ansonsten ist man in der vertragsärzt-        Zuweisungen tätig und hat hier eine wich-
persönliche Faktoren mit beeinflusst.           lichen Tätigkeit sehr frei in seiner Ar-      tige Gatekeeper-Funktion zum Beispiel
Die Tätigkeit in der Klinik ist heute zu-       beitsgestaltung. Der Anteil der psychiat-     bei der Indikationsstellung für Richtlini-
nehmend auch durch Anforderungen                rischen und der richtlinienpsychothera-       enpsychotherapie, Rehabilitation, REHA-
im Management, der Personalführung              peutischen Tätigkeit ist in der Regel frei    Sport, Soziotherapie und natürlich für die
und der Verantwortung im Dialog mit             wählbar. Die eigene Arbeitszeit und           Psychopharmakotherapie.

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Weitere Tätigkeitsfelder                      Modelle entwickelt und umgesetzt. Bei-       In den Netzen wird eine Struktur für die
Im Rahmen des vertragsärztlichen Agie-        spielhaft sei hier der IV-Vertrag Psy-       einzelnen Vertragsärzte für Psychiatrie
rens hat man die Möglichkeit, weitere         chische Störungen in Aachen genannt,         und Psychotherapie sowie für Neurologie
Tätigkeitsfelder neben der Patientenver-      der auf der Grundlage des DGPPN-             beziehungsweise die Nervenärzte geschaf-
sorgung zu besetzen. Ein wichtiges            Rahmenkonzeptes Integrierte Versor-          fen, innerhalb derer Kompetenzen defi-
Standbein in diesem Zusammenhang              gung Depression etabliert und entschei-      niert und gebündelt werden können.
stellt der medizinische Sachverständige       dend weiterentwickelt worden ist.            Insofern werden auch regionale Zusam-
beziehungsweise der Gutachter dar. Auf-                                                    menschlüsse der Vertragsärzte als Basis
traggeber können sowohl die Renten-           Strukturierte Versorgung                     für Vertragsverhandlungen mit Kranken-
und Pflegeversicherung, private Kran-         Ein weiterer Zukunftsbaustein ist der        kassen durchgeführt. Nicht zuletzt ini-
ken- und Unfallversicherer als auch So-       Rahmenvertrag nach § 73 c zur Versor-        tieren die Netze über eine „Corporate
zial-, Zivil- und Strafgerichte sein. Der     gung neuropsychiatrischer Erkrankun-         Identity“ ein neues ärztliches Selbstbe-
Bedarf an qualifizierten forensischen         gen gemeinsam mit der Vertragswerk-          wusstsein und haben darüber hinaus auch
Gutachten steigt ebenso wie der an Ren-       statt der Kassenärztlichen Bundesverei-      die haltgebende Funktion eines „social
ten- und Pflegegutachten.                     nigung. Dieser umfasst modellhaft die        networks“ (Stichwort Burnout-Prophy-
      Die fachärztliche Versorgung in Al-     strukturierte Versorgung von sechs neu-      laxe).                               ò
ten- und Pflegeheimen sowie in Einrich-       ropsychiatrischen Erkrankungen (De-
tungen für Menschen mit geistigen und         pression, Schizophrenie, Demenz, Epi-
psychischen Behinderungen ist ein wei-        lepsie, Multiple Sklerose und Schlagan-
teres Arbeitsfeld für Psychiater, das auch    fall), die auch einen Großteil der zusätz-
zunehmend im gesundheitspolitischen           lichen Zahlungen aus dem Gesundheits-
Augenmerk steht. Hier signalisieren meh-      fonds an die Krankenkassen im Rahmen
rere Kassenärztliche Vereinigungen in         des morbiditätsbedingen Risikostruk-
Deutschland bereits vorsichtig, dass sie      turausgleiches auslösen.
hier Sonderbedarfszulassungen auch bei              Im vertragsärztlichen Bereich haben
geschlossener Bedarfsplanung ermögli-         die Berufsverbände das Konzept der           AUTORIN
chen würden. Das heißt, dass zusätzliche      ZNS-Netze etabliert (ZNS = Zentren für       Dr. med. Christa Roth-Sackenheim
vertragsärztliche Sitze für diesen Sonder-    Neurologie und seelische Gesundheit).        1. Vorsitzende des BVDP, Andernach
bedarf auf Antrag genehmigt werden
können.
      Eine weitere zunehmend wichtige
Arbeitsaufgabe ist die betriebliche Ge-
sundheitsförderung und die Prävention.
Immer mehr Betriebe und Krankenkas-            Dank dem Förderbeirat der
                                               Fortbildungsakademie
sen erkennen, dass die meisten Arbeits-
unfähigkeitszeiten bei jungen Arbeit-
nehmern und die meisten Frühberen-
tungen bei Männern und Frauen seit             Auch im Jahr 2010 haben pharmazeutische Firmen die Arbeit der Fortbildungsakade-
Jahren schon den psychischen Störungen         mie mit ihren Seminaren und der E-Mail-Aussendung wissenschaftlicher Kurzinfor-
zuzuschreiben sind. Noch sind die mei-         mationen als Mitglied des Förderbeirates großzügig unterstützt.
sten betrieblichen Institutionen hier völ-     Es waren dies die Firmen:
lig unvorbereitet. Insbesondere die Ge-
                                               — AstraZeneca GmbH
werkschaften beginnen jedoch, hier
                                               — Bayer Vital GmbH
massiv nach Lösungen zu suchen.
                                               — HEXAL AG
                                               — Janssen Cilag GmbH
Initiativen der Berufsverbände
                                               —N euraxpharm Arzneimittel GmbH & Co. KG
Die Berufsverbände Deutscher Psychia-            SERVIER  Deutschland GmbH
                                               —
ter, Deutscher Nervenärzte und Deut-             Merz  Pharmaceuticals GmbH
                                               —
scher Neurologen (BVDP, BVDN und
BDN), die sehr eng kooperieren und             Als Vorsitzender der Fortbildungsakademie und des Fördervereins bedanke ich mich
                                               für diese großzügige Unterstützung unserer unabhängigen Fortbildungstätigkeit.
sich die Verbesserung der Versorgung
von Menschen mit neuropsychiatrischen
Erkrankungen zu einer vorrangigen Auf-
gabe gemacht haben, haben seit der
Schaffung von gesetzlichen Möglich-
keiten zur sektorübergreifenden Versor-        PD Dr. A. Zacher
gung im Jahr 2004 einige wegweisende

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Online-Abrechnung           Die Verbände informieren

                                Online-Abrechnungspflicht

                            So kommen Sie 2011 an Ihr Honorar
                                Mit Beginn des neuen Jahres wird die Online-Abrechnung mit den Kassenärztlichen Vereinigungen
                                (KVen) in fast allen KV-Bezirken verbindlich eingeführt. Während in einigen Bundesländern kaum
                                technische oder finanzielle Hürden zu überwinden sind, müssen Ärzte in manchen Bundesländern mit
                                hohen Kosten und Komplikationen rechnen.

                                D     ass in Zukunft ein Online-An-       zu optimieren, bisher wegen der ur-         Nur KV-SafeNet haben:
                                      schluss für eine moderne Arztpra-   sprünglich geplanten Verpflichtung          —  K
                                                                                                                          V Bremen
                                xis unentbehrlich sein wird, ist unbe-    zum KV-SafeNet eher negativ in die          —  K
                                                                                                                          V Sachsen
                                stritten. Die ganze technische Entwick-   Schlagzeilen geraten. Dazu haben auch       —  K
                                                                                                                          V Mecklenburg-Vorpommern
                                lung im medizinischen Bereich ist schon   die hohen Kosten des KV-SafeNet, die        —  K
                                                                                                                          V Nordrhein; auch nach dem
                                jetzt auf eine schnelle Übertragung und   umständliche technische Realisierung           Quartal I/2011 kein Zwang zur
                                Verarbeitung von Daten per Computer       mittels spezieller Provider, eine unüber-      Online-Abrechnung
                                ausgerichtet, und auch die Kommuni-       sichtliche Vielzahl an Paketen und Tari-    —K  V Sachsen-Anhalt: Abrechnung
                                kation mit Krankenhäusern, medizini-      fen sowie teilweise erhebliche Kompati-        über ISDN-Direkteinwahl ohne
                                schen Zentren und anderen Praxen wird     bilitätsprobleme innerhalb der Praxis-IT       Online-Zugang möglich
                                in absehbarer Zeit den Online-Daten-      in großem Umfang beigetragen. Die           (Informationsstand Dezember 2010)
                                austausch für jede Praxis unabdingbar     meisten KVen (beginnend mit der KV
                                machen. Die Online-Abrechnung ist         Bayerns) haben, nicht zuletzt auf Initia-   Kostenlose Beratung für Mitglieder
                                nur ein Teil dieser Entwicklung, an der   tive der Monks – Ärzte im Netz GmbH         von www.neurologen-und-
                                Mediziner über kurz oder lang nicht       (ÄIN), im letzten Jahr diese Fehler er-     psychiater-im-netz.de (NPIN)
                                vorbeikommen.                             kannt und bieten ihren Mitgliedern in-      Mediziner, die mit einer Praxishome-
                                                                          zwischen neben dem KV-SafeNet-Zu-           page bei NPIN vertreten sind, bietet
                                Regional unterschiedliche Angebote        gang auch eine alternative Lösung zur       Monks – Ärzte im Netz exklusiv eine
                                und KV-SafeNet-Alternativen               Online-Abrechnung an. Diese Alterna-        kostenlose telefonische Beratung rund
                                Leider ist der verständliche Ansatz der   tiven sind jedoch bundesweit nicht ein-     um die Online-Abrechung an. Wenden
                                KVen, die Abwicklung der Abrechnung       heitlich geregelt und werden auch nicht     Sie sich bei Fragen an unser kompe-
                                innerhalb der KV zu vereinfachen und      in allen Länder-KVen angeboten.             tentes Service-Team (9.00–13.00 Uhr):
                                                                                                                      Joachim Hecht, Tel.: 089 64 24 82 18
                                                                          Kostenfreie Alternativen zu                 Steven Monks, Tel.: 089 64 24 82 12
                                                                          KV-SafeNet bieten:                          Evelyne Bob: Tel.: 089 64 24 82 23
                                   An der Online-Abrechnung
                                   kommen Mediziner über                  —K
                                                                            V Baden-Württemberg (eAbrech-                Sollten Sie noch nicht im Ärztever-
                                   kurz oder lang nicht mehr                  nung, Online Portal)                    zeichnis vertreten sein, können Sie sich
                                   vorbei.                                — KV Berlin (Software VPN)                  mit dem nebenstehenden Formular für
                                                                          —K V Brandenburg (DatenNerv über           die neurologisch-psychiatrische Patien-
                                                                              Internet)                               tenwebsite (Herausgeber BDN, BKJPP,
                                                                          —K
                                                                            V Hamburg (KV WebNet)                    BVDN, BVDP, DGGPP, DGKJP,
                                                                          —K
                                                                            V Niedersachsen (KVN Online)             DGN, DGPPN) anmelden. Daneben
                                                                          —K
                                                                            V Saarland (KVS Online); auch            besteht natürlich auch die Möglichkeit
                                                                             nach dem Quartal I/2011 kein             zur Online-Anmeldung auf http://www.
                                                                            Zwang zur Online-Abrechnung               neurologen-und-psychiater-im-netz.
                                                                          — KV Thüringen (KVT Online Portal)         de/onlineanmeldung . Dort finden Sie
                                                                          —K  V Schleswig-Holstein (eKVSH)           auch weitere Informationen zum Lei-
                                                                                                                                                            ò
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                                                                                                                      stungspaket von NPIN. 
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                                                                               V Bayern (KV-Ident)
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                                                                               V Hessen (KVH-Online)
                                                                                                                      AUTOR
                                                                          —   K
                                                                               V Rheinland-Pfalz (Smartcard)
                                                                          —   K
                                                                               V Westfalen-Lippe (KV Online          Joachim Hecht
                                                                              mit HBA, KV Online mit KVid)            Monks – Ärzte im Netz GmbH

                                NeuroTransmitter _ 1.2011                                                                                                  13
NeuroTransmitter - ZNS News
Die Verbände informieren

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Die Verbände informieren                  Gesundheitspolitische Nachrichten

KONFLIKT

MDK beanstandet Abrechnungen der
Krankenhäuser – DKG hält dagegen
û Die Krankenkassen lassen vom medizi-           Bauherren und Handwerkern so, bei Fri-
nischen Dienst der Krankenkassen (MDK)           seuren und Kundinnen und sogar zwischen
10 Prozent aller Krankenhausrechnungen           Notaren und Klienten. Dass aber alleine eine
überprüfen. Über 40 Prozent davon werden         Änderung der Berechnungsgrundlagen für
beanstandet. Der MDK veröffentlichte ein         die Rechnungsstellung von Krankenhaus-
entsprechendes Argumentationspapier im           Tagessätzen auf diagnosebezogene Pauscha-
MDK-Forum 4/10. Die Überprüfungen des            len zu einer Verbesserung der Situation         Dr. med. Gunther Carl
MDK ergeben, dass Krankenhäuser be-              führen würde, war blauäugig. Auf den ersten     Stellvertretender Vorsitzender des BVDN
wusst das Risiko eingehen, z.B. stationär        Blick sollte natürlich eine am Schweregrad
aufzunehmen, obwohl ambulant operiert            der Erkrankung und am stationären Behand-       „Gerne finden zur Vermehrung ab-
werden könnte. Nebendiagnosen würden             lungsaufwand orientierte Bezahlung von          rechenbarer Diagnosen in Klinik-
unberechtigterweise codiert. Patienten           Krankenhausleistungen gerechter sein als        konzernen Verlegungen zwischen
würden im Krankenhaus behandelt, ob-             gleiche Tagessätze. Es tauchen allerdings
                                                                                                 wirtschaftlich selbstständigen
wohl dies medizinisch nicht notwendig sei.       Zweifel auf, wenn man sich die Entlassungs-
Fehlbelegung und Fehlkodierung seien da-         briefe aus stationärer Krankenhausbehand-       Krankenhausabteilungen statt“
bei für die Krankenhäuser erlösrelevant und      lung ansieht. Unklar ist häufig die Anlass-
kosten den Krankenkassen Mehrausgaben.           beziehungsweise Hauptbehandlungsdia-
Mit diesen Ergebnissen ermögliche der            gnose. Manchmal findet sich diese über-
MDK den Krankenkassen Rückforderungen            haupt nicht in der Diagnosenliste, weil Ne-    takteten Fließbandmedizin Standardproze-
in Höhe von 1,5 Milliarden Euro.                 bendiagnosen oder die Behandlung von           duren ab, z.B. Endoprothetik, invasive endo-
Dagegen argumentiert die deutsche Kran-          Komplikationen abrechnungstechnisch lu-        skopische, katheter- und radiologische Maß-
kenhausgesellschaft (DKG), dass der MDK          krativer waren. Häufig hat man den Eindruck,   nahmen. Handelt es sich allerdings um
massenhaft und willkürlich prüfe. Überwie-       dass bei schlechter Indikationsqualität un-    pflegeintensive multimorbide Patienten oder
gend würden Fehlbelegung und nicht Fehl-         nötige, der Gesamtsituation des Patienten      aufwändig zu behandelnde Komplikationen,
kodierung überprüft. Im Ergebnis führen          nicht angemessene risikoreiche invasive The-   wird der Patient gerne ins öffentlich-recht-
die Überprüfungen nicht zu Einsparungen          rapiemaßnahmen durchgeführt wurden.            liche Krankenhaus der Maximalversorgung
bei den Krankenkassen. Der bürokratische         Gerne finden hier auch zur Vermehrung ab-      verlegt. Auch die Tatsache, dass häufig die
Aufwand sei unverhältnismäßig hoch.              rechenbarer Diagnosen in Großkrankenhäu-       gleiche Diagnosenpauschale beim unkom-
                                                 sern beziehungsweise Klinikkonzernen Ver-      plizierten Patienten im Kreiskrankenhaus
Kommentar: Konflikte zwischen Leistungs-         legungen zwischen wirtschaftlich selbst-       bezahlt wird wie bei einer komplexen Be-
erbringern und Auftraggebern beziehungs-         ständigen Krankenhausabteilungen statt.        handlung in der Universitätsklinik stellt ei-
weise Bezahlern der Leistungen bezüglich         Privatwirtschaftlich geführte Klinikkonzerne   nen Schwachpunkt der DRGs (diagnosis re-
der Rechnungen gibt es überall. Dies ist bei     arbeiten häufig mit den Methoden der ge-       lated groups) dar.

PATIENTENRECHTEGESETZ IN ARBEIT

Bestimmungen bisher auf mehrere Gesetze verstreut
û Wolfgang Zöller (MdB, CSU), der Patien-        ergibt sich, dass über 60 Prozent der Be-      nicht ausreichend über alle Rechte der Pati-
tenbeauftragte der Bundesregierung, will         fragten nicht ausreichend über ihre Rechte     enten und eigene Pflichten informiert. Ein
die Rechte der Patienten in einem Gesetz         informiert sind. Das Recht auf freie Arzt-     Teil der Patientenrechte liegt zudem nicht
bündeln. Er sprach sich bereits mehrfach         wahl und dass der Patient vom Arzt vor         als Gesetzestext sondern „nur“ als höchst-
dafür aus, dass diese in mehreren Gesetzen       Eingriffen aufgeklärt werden muss, ist den     richterliche Rechtsprechung vor. Es wäre sehr
verstreuten beziehungsweise auf Richter-         meisten Bürgern bekannt (95 % bezie-           zu begrüßen, wenn dieses Patientenrechte-
recht (Rechtsprechung des Bundessozial-          hungsweise 92 %).                              gesetz endlich auch einmal zu dem Dilemma
gerichtes (BSG) und des Bundesgerichts-                                                         zwischen zivilrechtlichem und haftungs-
hofes (BGH)) beruhenden Rechte in einem          Kommentar: Mit Wolfgang Zöller tritt erst-     rechtlichem Anspruch der Patienten auf
Patientenrechtegesetz zusammengefasst            mals ein Patientenbeauftragter der Bundes-     beste Behandlung einerseits und den ein-
werden. In der vom „Gesundheitsmonitor           regierung mit einer viel beachteten eigenen    schränkenden Bestimmungen des Wirt-
2010“ (Bertelsmannstiftung) veröffentlich-       Gesetzesinitiative hervor. Auch Ärzte und      schaftlichkeitsgebotes im SGB V Stellung
ten repräsentativen Bevölkerungsumfrage          Krankenkassenmitarbeiter sind bei weitem       nehmen würde.

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Die Verbände informieren                    Gesundheitspolitische Nachrichten

ALTENBERICHT DER BUNDESREGIERUNG

Alte Menschen in der Versorgung angeblich benachteiligt
û Die Bild-Zeitung berichtete mit provo-           Apotheker im Rahmen der Rabattverträge          pläne älterer Patienten auf Notwendigkeit,
kanten Zitaten aus dem 550 Seiten starken          und des Substitutionsgebotes dar. Ein           Risiken und Wechselwirkungen in Kombina-
Altenbericht der Bundesregierung, der seit         „altersdiskriminierendes Muster“ liege          tion und Dosishöhe durchforstet werden. Es
Juni 2010 vorliegt. „Billigere und schlechtere     nicht vor, dies bestätigte auch der stellver-   ist schlechterdings ethisch nicht zu vertreten
Behandlung beim Arzt“, „über 65-Jährige            tretende Vorstandsvorsitzende der Barmer        und in den allermeisten Fällen auch mit dem
mit Herzinfarkt erhalten eine weniger ko-          GEK, Dr. Rolf-Ulrich Schlenker. Auch die        erklärten Patienten- und Angehörigenwillen
stenintensive Behandlung“ als Jüngere, bei         Behauptung, die Kassen würden auf Kosten        nicht zu vereinbaren, wenn bei 90-Jährigen
Ärzten seien „Kenntnisse über Wechselwir-          älterer Menschen sparen, treffe nicht zu.       mit lebensbedrohlichen Erkrankungen noch
kungen und unerwünschte Nebenwir-                  Die meisten endoprothetischen Hüft- und         alle verfügbaren intensiv-diagnostischen
kungen häufig mangelhaft“. Außerdem                Knieeingriffe würden bei Patienten über         und -therapeutischen Maßnahmen durch-
gebe es bei älteren zu wenige Rehabilitati-        85 Jahre durchgeführt. Es sei allerdings        geführt werden. Hier müssen selbstverständ-
onskuren. Die Begutachtungen würden von            unbestritten, dass es auch bei älteren          lich Lebensqualität in der verbleibenden
Pflegekräften durchgeführt, die keine aus-         Menschen Über-, Unter- und Fehlversor-          Lebensspanne, Eingriffsrisiken im Alter und
reichende Qualifikation besitzen. Betrof-          gung gebe.                                      mittelfristiger Patientennutzen im individu-
fene Senioren müssen „unnötigerweise                                                               ellen Fall gegeneinander abgewogen wer-
vorzeitig in die Dauerpflege“.                                                                     den. Dass dies häufig zu insgesamt gerin-
Bei über 60-Jährigen würden Altersdepres-          Kommentar: Weniger ist wie so häufig auch       gerem medizinischen Aufwand und Kosten
sionen nur zur Hälfte behandelt. Ärzte wür-        hier manchmal mehr: Es gehört heutzutage        führt, liegt auf der Hand. Mit welcher Ziel-
den ältere Patienten häufig als schwierig          doch schließlich zu den grundlegenden me-       richtung im Altenbericht der Bundesregie-
ansehen. Dr. Carl-Heinz Müller, Vorstands-         dizinischen und ethischen Anforderungen         rung einer angeblichen ärztlichen Unterver-
mitglied der kassenärztlichen Bundesver-           bei der Behandlung von Senioren, dass bei-      sorgung älterer und alter Patienten das Wort
einigung (KBV) verwahrte sich gegen die            spielsweise eine unnötige und gefährliche       geredet wird inklusive entsprechender Un-
Vorwürfe. Er stellte ausführlich die Pro-          Polypharmazie vermieden wird. In regelmä-       terstellungen, ist unklar. Die Zeiten von Ulla
bleme der Medikamentenabgabe durch die             ßigen Abständen sollten die Medikamenten-       Schmidt sind doch eigentlich vorbei.

DKG PROTESTIERT GEGEN G-BA-BESCHLUSS

Auch Therapien im Krankenhaus müssen Nutzen nachweisen
û Vor kurzem hat der G-BA mehrere Me-              zu weiteren Therapiemethoden zu erwar-          dete medizinische Verfahren und Arzneimit-
thoden zur Therapie der benignen Prostata­         ten seien. Bis dahin können diese Methoden      tel einen wissenschaftlich nachweisbaren
hypertrophie aus dem Leistungskatalog der          nur im Rahmen von Studien an GKV-Pati-          Nutzen haben und dem Wirtschaftlichkeits-
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)             enten durchgeführt werden. Der G-BA legte       gebot folgen. Dass im Krankenhaus derartige
gestrichen. Die deutsche Krankenhausge-            für die Anwendung dieser Verfahren im           Anforderungen des SGB V überhaupt nicht
sellschaft (DKG) kritisierte die Entschei-         Krankenhaus umfassende verbindliche             oder nur in geringerem Ausmaß als im am-
dungen des G-BA grundsätzlich. Es werde            Maßnahmen zur Qualitätssicherung fest.          bulanten Sektor herrschen, ist nicht hin-
zunehmend unüberschaubar, welche An­               Die DKG kritisierte das Vorgehen des G-BA,      nehmbar. Andererseits findet der wissen-
for­derungen der G-BA an die vorzulegende          weil er sich auf die Berichte des Instituts     schaftlich-medizinische Fortschritt insbeson-
Evidenz stelle. Nach einer systematischen          für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge-      dere bei schweren und lebensbedrohlichen
Prüfung des Nutzens und der medizi-                sundheitswesen (IQWiG) stützte und sich         Erkrankungen bei stationären Patienten
nischen Notwendigkeit hatte der G-BA               gegen die Empfehlungen der Bundesärzte-         statt. Es darf nicht Ergebnis der Nutzen- und
ausschließlich die Resektion beziehungs-           kammer, der DKG und der urologischen            Wirtschaftlichkeitsbewertung sein, dass der
weise die Enukleation der Prostata mittels         Fachexperten entschied. Die DKG unter-          wissenschaftliche Fortschritt behindert wird.
Laser als GKV-Behandlungsmethoden an-              stellte dem G-BA eine überwiegend wirt-         Allerdings müssen im stationären Bereich
erkannt. Bei den übrigen überprüften Me­           schaftliche Betrachtungsweise. Auch             neu entwickelte Behandlungsmethoden
tho­den hätten die verfügbaren wissen-             Evidenz auf höchstem Niveau reiche der          akribisch wissenschaftlich begleitet werden,
schaftlichen Daten nicht zu einem Beleg            Methodik des G-BA nicht aus, um einen           um einen möglichen zusätzlichen Nutzen
des Nutzens beziehungsweise der medizi-            Nutzennachweis zu führen.                       für den Patienten nachzuweisen. Ansonsten
nischen Notwendigkeit ausgereicht. Der                                                             führen neue Behandlungsverfahren nur zu
G-BA hat aber seine Entscheidung bis 2016          Kommentar: Selbstverständlich müssen            Mehrkosten oder Risiken und Komplika-
ausgesetzt, weil in absehbarer Zeit Studien        auch in der stationären Behandlung verwen-      tionen bei Patienten.

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Rund um den Beruf

Rede zur Gedenkveranstaltung

Psychiatrie im Nationalsozialismus –
Erinnerung und Verantwortung –
Es ist uns ein großes Anliegen, die Rede von Prof. Dr. Dr. Frank Schneider (Aachen), Präsident der
Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), die er
im Rahmen der Gedenkveranstaltung „Psychiatrie im Nationalsozialismus“ beim DGPPN-
Kongress 2010 in Berlin hielt, in voller Länge abzudrucken.

Sehr geehrte Damen und Herren,

P    sychiater haben in der Zeit des Nationalsozialismus Menschen
     verachtet, die ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten
in ihrem Vertrauen getäuscht und belogen, die Angehörigen hin-
                                                                               Die Psychiatrie im Nationalsozialismus zählt zu den dunkelsten
                                                                          Kapiteln der Geschichte unseres Fachgebietes. Psychiater und die
                                                                          Vertreter ihrer Verbände haben in dieser Zeit ihren ärztlichen Auf-
gehalten, Patienten zwangssterilisieren und töten lassen und auch         trag, die ihnen anvertrauten Menschen zu heilen und zu pflegen,
selber getötet. An Patienten wurde nicht zu rechtfertigende For-          vielfach missachtet und eigenständig umgedeutet.
schung betrieben, Forschung, die Patienten schädigte oder gar tö-              Die Psychiatrie war verführbar und hat verführt, hat geheilt
tete.Warum haben wir so lange gebraucht, uns diesen Tatsachen zu          und vernichtet. Sie hat sich nicht mehr dem einzelnen Menschen
stellen und offen mit diesem Teil unserer Geschichte umzugehen?           verpflichtet gefühlt, sondern hat im Namen eines angeblichen Fort-
Einerseits sind wir stolz, dass die DGPPN zu den ältesten wissen-         schritts, den man in der Befreiung einer ganzen Gesellschaft von
schaftlichen medizinischen Fachgesellschaften der Welt zählt. Ande-       Fürsorgelasten sah, in der Verbesserung der Erbanlagen eines Volkes
rerseits wurde viel zu lange ein wichtiger Teil der Geschichte dieser     und schließlich in der „Erlösung der Menschheit vom Elend“, mas-
Fachgesellschaft ausgeblendet, verdrängt. Dafür schämen wir uns.          senhaft Menschen misshandelt und getötet – und unliebsame Kolle-
Wir sind auch beschämt, weil wir, die deutsche psychiatrische Fach-       ginnen und Kollegen aus ihren Ämtern gedrängt.
gesellschaft, nicht einmal in der Zeit nach 1945 an der Seite der
Opfer gestanden haben. Schlimmer noch: Wir hatten Anteil an ihrer
erneuten Diskriminierung und Benachteiligung. Uns fehlen noch
die Worte, warum eine Veranstaltung wie diese erst heute möglich
                                                                          W       ir haben uns zu vergegenwärtigen, dass in den Jahren von
                                                                                 1933 bis 1945 fast 30 Prozent aller akademisch tätigen
                                                                          Nervenärzte aus dem damaligen Deutschen Reich emigrierten. Ihre
sein konnte.                                                              Emigration erfolgte nicht freiwillig. Kolleginnen und Kollegen
      Es hat fast 70 Jahre gedauert, bis sich die Fachgesellschaft, als   jüdischer Herkunft, oder wegen ihrer politischen Überzeugung
deren Präsident ich heute hier vor Ihnen stehe, entschlossen hat, die-    unliebsam gewordene Ärzte, wurden aus ihren Ämtern und Funk-
ser Sprachlosigkeit ein Ende zu setzen und sich an ihre Tradition         tionen gedrängt. Sie und ihre Angehörigen verloren ihre Anstellung
einer Aufklärung durch Wissenschaft zu erinnern. Eine wissenschaft-       und ihre Lebensgrundlage, ihr Hab und Gut – und nur zu oft
liche Kommission, selbstständig und unabhängig, begleitet derzeit         auch ihre Heimat. Diese emigrierten Kolleginnen und Kollegen
ein Forschungsprojekt, um die Geschichte der Fachgesellschaft bezie-      mussten sich mitsamt ihren Familien als Fremde in einem ihnen
hungsweise deren Vorläuferorganisationen zunächst in der Zeit             dann fremden Land eine neue Existenz aufbauen.
zwischen 1933 und 1945 aufzuarbeiten. Aber das ist nicht genug:                Die meisten derjenigen, die Deutschland oder Österreich nicht
Unabhängig von den Forschungsergebnissen, die wir in den nächsten         verlassen konnten, wurden im Krieg in die Konzentrations- und
Jahren erwarten, habe ich – spät genug – bei allen Opfern und             Vernichtungslager deportiert, ein Schicksal, das nur wenige überlebten.
Angehörigen um Entschuldigung zu bitten für das erlittene Unrecht         Dies ist nicht wieder gut zu machen.Das alles geschah, während sich
und Leid, das ihnen von deutschen Verbänden und ihren Psychiatern         die psychiatrische Forschung im Deutschen Reich mehr und mehr
zugefügt wurde. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psycho-        auf eugenische und rassehygienische Themen konzentrierte. Die Ge-
therapie und Nervenheilkunde hat sich zu dieser Gedenkveranstal-          sundheits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik der nationalsozialistischen
tung entschlossen, um ein deutliches Zeichen zu setzen, getragen von      Weltanschauung zielte auf die Förderung derjenigen, die zur Ge-
dem Willen, die Opfer anzuerkennen und an ihrer Seite zu stehen,          sundheit und Leistungsfähigkeit des Volkes beitragen konnten. Das
sich zu der eigenen Vergangenheit zu bekennen und aus der Vergan-         Schwache sollte ausgeschieden werden, damit das Starke umso stärker
genheit zu lernen.                                                        wird. Dieses Denken steht in einer fatalen Tradition.
      Die Briefe und Dokumente, die wir eben gehört haben, geben               Schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurde der Begriff
ein eindrückliches Zeugnis von dem, was psychisch kranke Menschen         Eugenik verwendet und die Sterilisation psychisch Kranker propagiert,
erlitten haben und was ihnen angetan wurde.                               im Deutschen Reich ebenso wie in Skandinavien und den angelsäch-

NeuroTransmitter _ 1.2011                                                                                                                    19
Rund um den Beruf               Gedenken

sischen Ländern. Bereits im Sommer 1914 wurde ein „Gesetzentwurf           seitdem um die gesellschaftliche Rehabilitation der Opfer kämpft.
zur Unfruchtbarmachung und Schwangerschaftsabbruch“ in den                Aber es wurde nicht nur zwangssterilisiert, es wurde auch getötet.
deutschen Reichstag eingebracht. Nur der beginnende erste Weltkrieg        Schon in den 1920er-Jahren wurden unter dem Eindruck des ersten
verhinderte die weitere Beratung und Verabschiedung.                      Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise Kranke zu Kostenfaktoren.
      Am 14. Juli 1933, nur kurze Zeit nach der von der NSDAP              Es war ein Psychiater, Alfred Erich Hoche, der in seinem 1920 er-
selbst so genannten „Machtergreifung“ Hitlers, wurde dann das „Ge-         schienenen Buch zur Freigabe der Vernichtung „lebensunwerten
setz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet, an               Lebens“ gemeinsam mit dem Juristen Karl Binding den Begriff
dessen offiziellem Kommentar der Psychiater – und in den Jahren           „Ballastexistenzen“ prägte und einen Katalog angeblich unheilbarer
1935 bis 1945 Präsident der psychiatrischen Gesellschaft – Ernst           psychischer Krankheiten erstellte, die er „Zustände geistigen Todes“
Rüdin, damals Direktor der Deutschen Forschungsanstalt für Psy-            nannte. 1930 wurde daraus in den Nationalsozialistischen Monats-
chiatrie, mitgewirkt hat. Die Sterilisierung, die zwangsweise Steri-       heften die Forderung: „Tod dem lebensunwerten Leben!“
lisierung, wurde darin als „Vorsorge für das kommende Geschlecht“               Rückdatiert auf den Überfall Deutschlands auf Polen, den
bezeichnet. Eine perverse Darstellung, denn sie rechnet Leid und           Kriegsbeginn am 1. September 1939, befahl Hitler die so genannte
Verletzung der Einen gegen das Wohl der Anderen auf.                       Euthanasie-Aktion. Zum medizinischen Leiter dieser später „Aktion
      Im Gesetz wurden manisch-depressive Erkrankungen und Schi-          T4“ genannten Aktion wurde ein Psychiater und Neurologe, der
zophrenie als solche vererbbaren psychischen Erkrankungen genannt.        Würzburger Ordinarius Professor Werner Heyde, bestimmt. Ihr und
Ebenso aber auch erbliche Formen der Epilepsie sowie der Blind- und        den nach ihrer offiziellen Beendigung sich anschließenden weiteren
Taubheit, Kleinwuchs und vieles mehr. Kranke Menschen sollten              Phasen der Krankentötungen sollten bis zum Kriegsende – und noch
keine Kinder zeugen. Ihr für schlecht befundenes Genmaterial sollte        einige Wochen darüber hinaus – mindestens 250.000 bis 300.000
so den gesunden „Volkskörper“ nicht weiter belasten. Alle Ärzte wur-       psychisch, geistig und körperlich kranke Menschen zum Opfer fallen.
den verpflichtet, diese so genannten „Erbkranken“ gegenüber den
Behörden anzuzeigen. Über 360.000 Menschen wurden auf Grund-
lage dieses Gesetzes von Medizinern selektiert und zwangssterilisiert.
Über 6.000 starben bei den Eingriffen.
                                                                          A     b Oktober 1939 wurden zuerst aus dem Columbushaus am
                                                                                Potsdamer Platz, dann ab April 1940 aus der Tiergartenstra-
                                                                          ße 4, also dort, wo heute die Berliner Philharmonie steht, Mel-
      Vor dem Hintergrund eugenischer und rassehygienischer Denk-         debögen an die Heil- und Pflegeanstalten des Deutschen Reiches
weisen galten die Sterilisationsgesetze bei vielen Psychiatern als vor-   und der angegliederten Gebiete verschickt, um alle Patienten
bildlich. Ernst Rüdin hat sich als Präsident unserer Vorläuferorga-       systematisch zu erfassen und zu selektieren. Die Selektion erfolgte
nisation mehrfach bei der Eröffnung der Jahrestagungen der GDPN           nach Nützlichkeitskriterien, also der Frage nach der Arbeitsleistung.
dafür ausgesprochen. Und auch in anderen Ländern weltweit wur-                 Am Ort der ehemaligen Zentraldienststelle befinden sich heute
den Sterilisierungen auf eugenischer Grundlage befürwortet. In            nur eine unscheinbare, in den Boden eingelassene Gedenktafel für
Deutschland erlaubte das Gesetz allerdings die Sterilisation auch         die Euthanasie-Opfer und eine erst nachträglich den Opfern gewid-
gegen den Willen der Betroffenen. Für die Opfer war sie ein massiver,     mete Plastik. Einen zentralen, nationalen Gedenkort für die Opfer
ein schrecklicher Eingriff in den Kernbereich ihrer Identität, dem        der Euthanasie gibt es weiterhin nicht. Das ist nicht nur für die
sie ohnmächtig ausgeliefert waren. Sie wurden damit nicht nur             Überlebenden und ihre Angehörigen Ausdruck fortdauernder Ver-
unwiederbringlich ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit be-         drängung und Erniedrigung, es ist auch ein blinder Fleck im Ge-
raubt, sondern auch ihres Rechts auf Elternschaft.                        dächtnis unseres Landes und der deutschen Psychiatrie. Die aktuelle
                                                                          Initiative zur Errichtung einer angemessenen nationalen T4-Gedenk-

A    uch nach dem Krieg blieben den Opfern und ihren Familien
     in der Regel nur Scham und Schweigen über das, was ihnen
angetan wurde. Und bis heute sind sie von der Bundesrepublik
                                                                          und Informationsstätte werden wir als Fachgesellschaft unterstützen.
                                                                                Fünfzig ausgewählte Gutachter, darunter damals namhafte
                                                                          Psychiater, werteten die von den Psychiatern der Kliniken zurück-
Deutschland nicht ausdrücklich als Opfer nationalsozialistischer          geschickten Meldebögen aus, selektierten und entschieden über Leben
Verfolgung anerkannt, obwohl doch das Sterilisationsgesetz explizit       und Tod. Unter diesen Gutachten waren auch Werner Villinger,
Ausdruck nationalsozialistischer, deutscher Rasseideologie war, wie       Friedrich Mauz und Friedrich Panse, in der Nachkriegszeit drei
im Kommentar zum Gesetz sehr deutlich wird. Dort heißt es:                Präsidenten unserer Fachgesellschaft. Mauz und Panse wurden spä-
                                                                          ter sogar Ehrenmitglieder unserer Gesellschaft. Zwar endet jede Eh-
    „Ziel der dem deutschen Volk artgemäßen Erb- und Rassen-              renmitgliedschaft der DGPPN mit dem Tod der Geehrten, wir
pflege ist: eine ausreichende Zahl Erbgesunder, für das deutsche          verurteilen aber heute diese Ehrenmitgliedschaften und werden sie
Volk rassisch wertvoller, kinderreicher Familien zu allen Zeiten.“        auch formal annullieren.
                                                                                Mit grauen Bussen, dem bildhaften Symbol für das Töten, wur-
     Mit Bewunderung anerkennen möchte ich hier das spätere En-           den die Patientinnen und Patienten aus den Heil- und Pflegean-
gagement von Dorothea Buck, Bildhauerin und Autorin, selber               stalten abgeholt und in sechs psychiatrische Anstalten gebracht, in
Betroffene und Mitgründerin des Bundesverbands Psychiatrie-Er-            denen Gaskammern eingerichtet worden waren. Heilanstalten wur-
fahrener. Sie hat immer wieder aufgeklärt, gemahnt und erinnert.          den zu Vernichtungsanstalten. Aus Heilung wurde Vernichtung –
Genauso wie Klara Nowak, die vor Jahren verstarb. Nowaks Initi-           und Psychiater überwachten den Abtransport und die Ermordung
ative ist es zu verdanken, dass sich 1987 Zwangssterilisierte und         der ihnen anvertrauten Patienten. Die sechs Anstalten waren in der
Euthanasie-Geschädigte zusammenfanden und den Bund der                    Reihenfolge ihrer Einrichtung: Grafeneck, Brandenburg, Hartheim,
Euthanasie“Geschädigten und Zwangssterilisierten gründeten, der           Pirna-Sonnenstein, Bernburg und Hadamar.

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