100 Jahre Wirtschaftsministerium - BMWi
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1 M O N AT S B E R I C H T 0 4 -2 0 1 9 100 Jahre Wirtschaftsministerium Das deutsche Wirtschaftsministerium ist 100 Jahre alt geworden. Am 21. März 1919, in der Gründungsphase der Weimarer Republik, wurde das aus der Kaiserzeit stammende Reichswirtschaftsamt in das Reichswirtschaftsministerium überführt. Zugrunde lag der „Erlass des Reichspräsidenten betreffend die Errichtung und Bezeichnung der obersten Reichsbehörden“. Der zunächst noch vorläufige Reichspräsident Friedrich Ebert verlieh damit der neuen Reichsregierung einen rechtlichen Rahmen für den Übergang zur Parlamentarischen Republik. Bundesminister Altmaier (3. von links) im Kreise seiner Amtsvorgänger, der Bundesminister a. D. Rösler, Brüderle, Clement, Glos, Haussmann (von links nach rechts). Kritische Anfänge Als erster Nachkriegsminister brachte Ludwig Erhard in den 14 Jahren seiner Amtszeit dem Haus dann Stabilität Das neue Ministerium war für heutige Verhältnisse unvor- und Erfolg. Er führte die Soziale Marktwirtschaft ein und stellbar gefordert. Kriegsfolgen und Reparationszahlungen, verlieh dem Ministerium die Rolle eines ordnungspoliti- Hyperinflation, die Besetzung des Ruhrgebiets und die Welt schen Gewissens der Bundesregierung. Kernelemente sei- wirtschaftskrise überlagerten massiv andere wirtschaftspo- ner Politik waren die Abkehr von staatlicher Zwangswirt- litische Fragen. Konzepte und Umsetzungsstrategien muss- schaft, der Schutz des Wettbewerbs und flankierend der ten immer wieder angepasst werden, 18 Ministerwechsel in soziale Ausgleich. Dies bildete die Grundlage für das Wirt- den knapp 14 Jahren bis zur Machtergreifung der NSDAP schaftswunder der 1950er Jahre und ist auch heute noch sprechen Bände. Während des Nationalsozialismus schrieb die Voraussetzung für Wohlstand und gesellschaftlichen das Reichswirtschaftsministerium dann das dunkelste Zusammenhalt. Kapitel seiner Geschichte. Es trieb die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung in allen Bereichen der Wirtschaft rücksichtslos voran und organisierte den Einsatz von Wechselnde Zuständigkeiten Zwangsarbeitern zur Ausbeutung besetzter Gebiete. Der gezielte Umbau der deutschen Volkswirtschaft zur Kriegs- In der Bonner Republik kam es nach Erhard wie auch nach wirtschaft erfolgte parallel über Görings Vierjahresplan der Wiedervereinigung zu größeren Zuständigkeitsverlage- behörde. rungen. Im Jahr 1971 entstand unter Karl Schiller das
M O N AT S B E R I C H T 0 4 - 2 0 1 9 2 Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen. Nur ein Festakt zum 100. Gründungstag Jahr später wurden beide Häuser wieder getrennt, Helmut Schmidt blieb Finanzminister und erhielt vom Wirtschafts- Anlässlich des 100. Jubiläums würdigte Bundesminister ministerium die Abteilung Geld und Kredit einschließlich Altmaier am 21. März 2019 in Gegenwart von fünf Amtsvor der Versicherungswirtschaft. Das Amt des Bundeswirtschafts gängern das Ministerium in einem Festakt mit historischen ministers wurde von da an bis 1998 bei relativ konstanten und aktuellen Bezügen sowie der Freischaltung einer multi Zuständigkeiten praktisch durchgängig von FDP-Politikern medialen Ausstellung. bekleidet. Professor Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts für Wirt Im Jahr 1998 gingen Teile der Europapolitik sowie die Feder schaftsforschung, identifizierte in seiner Festrede zentrale führung für den Jahreswirtschaftsbericht einschließlich der Herausforderungen der heutigen Wirtschaftspolitik. Er emp Konjunkturprojektion an Finanzminister Oskar Lafontaine. fahl, auch im Rahmen von Industriepolitik Marktmacht zu Das Wirtschaftsministerium erhielt im Gegenzug die Verant verhindern, regional- und industriepolitische Ziele mit wortung über die Technologiepolitik. In den Jahren 2002 getrennten Instrumenten zu verfolgen, in der Umweltpoli- bis 2005 war das Haus als Bundesministerium für Wirtschaft tik auf Effizienz zu achten und die Unternehmensbesteue- und Arbeit unter Wolfgang Clement für die Umsetzung der rung international wettbewerbsfähig auszugestalten. Im Hartz-Reformen zuständig. Seit Amtsantritt von Vizekanz- Umgang mit China bewertete er weniger den chinesischen ler Sigmar Gabriel im Jahr 2013 deckt es die gesamte Band- Aufstieg als dessen möglichen Abbruch als Risiko für die breite der Energiepolitik ab, also auch die Federführung für deutsche Wirtschaft. die Erneuerbaren Energien. 2014 kam der Arbeitsstab Neue Bundesländer hinzu. Die vielfältigen Umstrukturierungen Professor Albrecht Ritschl, der Sprecher der Unabhängigen brachten teils erhebliche Herausforderungen mit sich – nicht Geschichtskommission zur Aufarbeitung der Geschichte des zuletzt für die interne Organisation. Wirtschaftsministeriums, illustrierte in seiner Festrede die schwierigen wirtschaftspolitischen Bedingungen in der Wei marer Republik sowie die Verstrickungen des Ministeriums Meilensteine der Wirtschaftspolitik in die nationalsozialistischen Verbrechen. Er attestierte der deutschen Wirtschaftspolitik drei große Aufbauleistungen: Meilensteine des Ministeriums auf dem Weg in unsere heu- die wirtschaftliche Konsolidierung nach dem Ersten Welt- tige Wirtschaftsordnung sind die Einführung des Gesetzes krieg, die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft nach gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die Gründung des dem Zweiten Weltkrieg und der Aufbau Ost nach der Wieder Europäischen Binnenmarktes, die Entwicklung des europä- vereinigung. Dass die ostdeutsche Wirtschaft inzwischen ischen Wettbewerbsrechts, die Liberalisierung des Telekom- 80 Prozent der Produktivität des Westens aufweise, sei ein munikations- und Postmarktes, die gezielte Wirtschaftsför- großer Erfolg, schließlich habe dieser Wert zum Zeitpunkt derung zum Aufbau Ost, die Umsetzung des Hartz-Konzepts der Wiedervereinigung bei lediglich 30 Prozent gelegen. zur Reform des Arbeitsmarktes sowie der Ausstieg aus Kern- Zudem wies Professor Ritschl auf industriepolitische Debat- und Kohlekraft. Die Politik der antizyklischen Globalsteue- ten bereits in den 1920er Jahren und in der Nachkriegszeit rung im Rahmen des Stabilitätsgesetzes von 1967 sowie der hin, ähnlich der von Bundesminister Altmaier angestoße- konzertierten Aktion erwies sich hingegen aufgrund der wirt nen Diskussion. schaftlichen und demokratisch-föderalen Komplexität als impraktikabel. Kernaufgabe der Wirtschaftspolitik ist wei- Bundesminister Peter Altmaier umriss in seiner Festrede terhin das Eintreten für Markt und Wettbewerb einschließ- zunächst die wirtschaftspolitischen Grundlinien vor 1919. lich der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts und seiner Reichskanzler Otto von Bismarck hatte den einheitlichen Unternehmen. Dabei hat sie sich – heute wie früher – in deutschen Wirtschaftsraum begründet und die Sozialversi- den politischen Gesamtkontext einzufügen. Auf dem Fest- cherung eingeführt. Mit dem Stinnes-Legien-Abkommen akt anlässlich des 50. Jubiläums des Wirtschaftsministeri- von 1918 bestand eine Sozialpartnerschaft von Arbeitneh- ums stellte Karl Schiller fest: „Die Arbeit dieses Ressorts ist mern und Arbeitgebern. Als größten Erfolg des Wirtschafts- (…) nicht immer bequem. Immer, wenn es zum Beispiel um ministeriums hob der Minister die Einführung der Sozialen Agrarpreise, Mieten, neue Steuern oder Steuererhöhungen Marktwirtschaft durch Ludwig Erhard hervor. Er erinnerte geht, immer redet dieses Wirtschaftsressort mit Penetranz an kurzzeitige Zusammenlegungen mit dem Finanz- bezie- da hinein.“ hungsweise Arbeitsministerium sowie an das Papier von
3 M O N AT S B E R I C H T 0 4 -2 0 1 9 Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff von 1982, das zu Karen Horn, die Beraterin für Familienunternehmen, Pro- einer wirtschaftspolitischen Neuausrichtung und überdies fessorin Sabine Rau, der Journalist Udo van Kampen, der zu einem Koalitions- und Kanzlerwechsel geführt hatte. Startup-Investor Frank Thelen und der Digital-Aktivist Sascha Lobo. Strittig wurde diskutiert, ob deutsche Unter- Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen verwies nehmen insbesondere bei digitalen Technologien gegen- Minister Altmaier auf die internationale Abkehr vom Mul- über den USA und China bereits zu weit ins Hintertreffen tilateralismus, im Zuge derer große Volkswirtschaften nicht geraten sind. Politikempfehlungen waren unter anderem allein auf den Markt vertrauen, sondern gezielte Strategien eine stärkere wettbewerbspolitische Kontrolle von digitalen verfolgen, um nationale Wirtschaftsinteressen ohne Rück- Plattformen, die entschiedene Mobilisierung von mehr sicht auf andere Staaten durchzusetzen. Die Wirtschaftspo- Wagniskapital, unabhängige Forschung und Lehre, mehr litik befinde sich in einer entscheidenden Phase. Er habe Bildung und mehr unternehmerische Freiheit. seinen Entwurf einer Industriestrategie vorgestellt, um Wohlstand in Deutschland und Europa zu sichern und aus Die multimediale Ausstellung mit Texten sowie Bild- und zubauen. Zudem kam der Minister auf seinen Vorschlag Tondokumenten aus der bewegten Geschichte des Ministe- einer Sozialabgabenbremse im Grundgesetz zu sprechen, riums ist unter folgendem Link abrufbar: 100.bmwi.de. bei der die Sozialversicherungsbeiträge nicht auf 40 Pro- zent des Bruttolohns ansteigen dürfen. Kontakt: Eike Sacksofsky In einer Podiumsdiskussion zur Frage, wie viel Politik Referat: Reden und Texte Wirtschaft braucht, diskutierten die Publizistin Professorin
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