100JAHREBAUHAUS - 100JAHRENEUESBAUEN INCELLE - IST DAS KULTURELLE ERBE VON OTTO HAESLER NUN ZUM ABRISS FREI GEGEBEN? - CELLER PRESSE
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100 Jahre BAUHAUS - 100 Jahre NEUES BAUEN in Celle Ist das kulturelle Erbe von OTTO HAESLER nun zum Abriss frei gegeben? Bis vor vierzig Jahren war der Name und das Schaffen des heute weltberühmten Architekten Otto Haesler kaum jemandem in Celle bekannt. Anfang der 80er sollte das damalige Jugendzentrum „Magnushütte“ (Direktorenhaus) abgerissen werden. Nachdem der Celler Künstler Dietrich Klatt die städtebauliche Bedeutung des Architekten Otto Haesler erforscht und bekannt gemacht hatte, sprachen sich in der öffentlichen Ratssitzung im Februar 1983 die Vertreter aller Fraktionen gegen den Abriss der Magnushütte aus. Danach vergingen noch über zwanzig Jahre, ehe die Stadt Celle eine denkmalgerechte Sanierung des Direktorenhauses veranlasste. Ein erster Angriff auf das Werk Otto Haeslers wurde 1983 gerade noch abgewendet. Bis heute mehren sich jedoch die Angriffe der Stadt Celle auf das unwiederbringliche kulturelle Erbe dieses visionären Vorreiters des sozialen Wohnungsbaus und Wegbereiters für das NEUE BAUEN. Als 1930 die Zahl der wohnungssuchenden Familien auf über eintausend angestiegen war, hatte Otto Haesler seine Planungen für eine Kleinstwohnungssiedlung fertig ausgearbeitet. Nur weil sein Baukonzept das kostengünstigste war, konnte es sich trotz des ultra modernen Baustils gegen die Konkurrenten durchsetzen. Für das Projekt >Blumläger Feld< wurde eigens die städtische Wohnungsfürsorge gegründet, die in die heutige Städtische Wohnungsbau GmbH (WBG) übergegangen ist. Damals weltweit einzigartig entwickelte Otto Haesler am >Blumläger Feld< Wohnbereiche für Tuberkulosekranke. Dieser „Lungenblock“ bot eine Liegeterrasse im Erdgeschoss und einen Balkon im Obergeschoss. Frische Luft und Sonnenlicht sollte zum Genesungsprozess der dort wohnenden Erkrankten beitragen. Zwischen den beiden 222 Meter langen Wohnungszeilen blieb ein 63 Meter breiter Innenhof, der in 140 qm große Mietergärten aufgeteilt war. Aus der Luft betrachtet ergab sich aus den beiden langen Häuserzeilen, die im Norden vom „Lungenblock“ verbunden waren eine U-förmige Anlage, die als „Lungenflügel“ Bekanntheit erlangte. Bis zum Ende der 90er Jahre wurden am „Lungenflügel“ kaum Instandhaltungsmassnahmen vorgenommen, obwohl das Denkmalschutzgesetz erhaltende Massnahmen festlegt. Aus der Bürgerschaft bildete sich 1998 die „otto haesler initiative e.V.“, um das Werk des Architekten Otto Haeslers unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten zu erhalten. Doch ohne entsprechenden Rückhalt aus der Stadtgesellschaft hatte sie zu wenig Durchsetzungskraft.
Die Stadt Celle gründete im Jahr 1999 die Otto Haesler Stiftung (OHS) mit der Stiftungsaufgabe, das „künstlerische und wissenschaftliche Lebenswerk von Otto Haesler zu betreuen und zu pflegen“. Der OHS gehörten auch zwei Mitglieder der Städtischen Wohnungsbau GmbH an. Die WBG stellte 1998 fertige Pläne für die „Sanierung“ am Blumläger Feld vor. Die Bauarbeiten begannen im März 2000 mit dem Umbau der Hauszeile am Rauterbergweg. Diese Hauszeile verlor dadurch ihre Denkmaleigenschaft. Da das Celler und das Lüneburger Denkmalschutzamt bestätigt hatte, dass das Blumläger Feld insgesamt wirtschaftlich nicht haltbar sei, wurde 2003 das einmalige „Lungenflügel“ Bauwerk mit Zustimmung der Ratsmitglieder abgerissen. Heute stehen auf dem Gelände des „Lungenflügels“ beliebige Klötze, die nichts mehr mit dem künstlerischen und wissenschaftlichen Lebenswerk des Architekten Otto Haesler zu tun haben. 1924 errichtete Otto Haesler für die Wachswarenfabrikation in der Speicherstraße einen Fabrikneubau. Er kombinierte verschieden hohe Kuben und konzipierte daraus ein völlig neuartiges Gebäudegefüge. Diesem von Otto Haesler neu entwickelten Prinzip folgten alle seine weiteren Neubauten in Celle und damit gehört das ehemalige Fabrikgebäude in der Speicherstraße zum Schlüsselwerk für seinen Weg zur Moderne. Über Jahrzehnte wurde dieses besondere Bauwerk dem Verfall preisgegeben und erst 2011 wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Otto Haesler wurde 2019 im Sonderheft >100 Jahre Bauhaus< vom Oberbürgermeister Nigge für die „unglaubliche Vielfalt“ und die „Dichte an architektonischen Ikonen, die ihres Gleichen sucht“ gewürdigt. Man wolle die „Gunst der Stunde“ nutzen, um Celle als „kulturhistorisch relevanten“ Ort vorzustellen. Nachdem die Stadt Celle völlig überraschend (Ende März 2021) die Genehmigung zum Abriss für das architekturhistorisch wohl wichtigste Baudenkmal von Otto Haesler erteilt hatte, wurde mit den Abrissarbeiten begonnen. Die heimlich geplante Vernichtung dieser architektonischen Ikone hat katastrophale Folgen für die Stadt C e l l e u n d d e m ö ff e n t l i c h e n Ansehen als kulturhistorisch relevanter Ort.
Das Sanierungsgebiet Allerinsel umfasst auch das an der Mühlenaller gelegene Gelände der Speicherstraße. Die geplanten Umsetzungsschritte der Sanierung gibt der städtebauliche Rahmenplan vor, welcher durch den Rat beschlossen eine Richtschnur für die Entwicklung der nächsten Jahre darstellt. Zum geplanten Quartier an der Speicherstraße gibt der Rahmenplan (Fortschr. 2018) Auskunft: >Im Bereich der Speicherstraße wird ein Quartier entstehen, das sich in die Gesamtmaßnahme der Entwicklung der Allerinsel einfügt und die dortigen Strukturen ergänzt. Die vorgeschlagenen Baufelder orientieren sich dabei an erhaltenswerten Bestandsgebäuden, so dass eine stabile städtebauliche Entwicklung mit flexiblen Handlungsoptionen gewährleistet werden kann. Wesentlicher Bestandteil des Quartiers ist die Integration bestehender, erhaltenswerter Gebäude.< Vier erhaltenswerte Gebäude an der Speicherstraße sind in der Rahmenplanung Allerinsel mit einer schwarzen Umrandung als Baudenkmale kenntlich gemacht. Bei den vier Gebäuden handelt es sich um die zwei Häuser Speicherstraße 14 und 16, die ehemalige Fabrikantenvilla der Fa. Haacke und um die ehemalige Wachswarenfabrik, die Otto Haesler 1924 entwickelt hatte. Auf der Webseite der Stadt Celle zum Denkmalschutz und der Denkmalpflege ist zu lesen: >In dem reichen Schatz von historischen Gebäuden ist viel über unsere Kultur abzulesen. Gebäude, die in besonderer Weise etwas über unsere Traditionen aussagen, sollen im Interesse der Öffentlichkeit auf Dauer erhalten werden. Diese besonderen Zeugnisse unserer Kultur wurden und werden daher als Kulturdenkmale unter Schutz gestellt. Denkmalgeschützte Gebäude sind entsprechend dieser Bedeutung sowohl in ihrem Erscheinungsbild als auch in ihrer Substanz zu erhalten. Letztere ist ein unwiederbringliches materielles Zeugnis und sagt viel über die historischen Bauweisen, die Herstellung, die Bearbeitungstechniken bis hin zum Selbstverständnis des Bauherrn oder der Bauherrin. Das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz beschreibt, was zum Schutz der Kulturdenkmale zu tun ist. Für denkmalgeschützte Gebäude wurde festgelegt, dass diese zu erhalten und zu schützen sind und dass Instandhaltungs- und Baumaßnahmen genehmigungspflichtig sind. Darüber hinaus sagt das Denkmalschutzgesetz auch, dass für Baudenkmale eine Nutzung anzustreben ist, die ihre Erhaltung auf Dauer gewährleistet.<
Es ist fraglich, ob in den letzten zehn Jahren bei dem seit 2011 unter Denkmalschutz gestellten Fabrikgebäude Erhaltungsmassnahmen vorgenommen worden sind. Mit Gewissheit lässt sich sagen, dass bis zum 25.03.2021 die für einen Abriss vorgeschriebene Dokumentation des Baudenkmals durch ein Sachverständigenbüro erstellt worden ist. Die Untere Denkmalbehörde der Stadt Celle hatte darauf dem Antrag des Eigentümers auf Abriss des Gebäudes Speicherstraße 25 stattgegeben. Die Begründung dafür ist einer Pressemitteilung der Stadt Celle zu entnehmen: >Das von Otto Haesler umgebaute Lagergebäude war schon beim Vorgängerbau ohne ausreichend tragfähige Fundamente auf ebenso nicht ausreichend tragfähigem Baugrund errichtet worden. Haesler hat dieses leider nicht grundlegend verändert. Die Folge sind dauerhafte und grundlegende Probleme hinsichtlich der Standfestigkeit und -sicherheit.< Nur zehn Jahre nach der unter Schutzstellung des Haesler Fabrikgebäudes durch die Untere Denkmalschutzbehörde begründet die selbe Behörde die jetzige Abrisserlaubnis damit, dass das Gebäude schon vor 97 Jahren vom Architekten Otto Haesler auf nicht ausreichend tragfähigem Baugrund errichtet worden sei. Auch habe Otto Haesler versäumt die heutigen Baugesetze nicht grundlegend eingehalten zu haben. Mit dieser Begründung liesse sich gewiss für jedes Baudenkmal eine Abrisserlaubnis definieren. Das Land Niedersachsen als Oberste Denkmalbehörde folgte dieser seltsamen Einschätzung und wies auf die Grenzen der Erhaltungsfähigkeit hin. Nun kann der Eigentümer mit dem Abriss zeitnah fortfahren. Wer in Niedersachsen ein unter Schutz stehendes Baudenkmal besitzt und es problemlos abreißen möchte, muss es nur lange genug verfallen lassen. Von der Betreuung und Pflege des Lebenswerks von Otto Haesler ist durch die OHS zur Zeit nichts zu spüren. Vorsitzender des Vorstands der Otto Haesler Stiftung ist der Stadtbaurat Ulrich Kinder. Ulrich Kinder ist als OHS-Vorsitzender dem Lebenswerk Otto Haeslers verpflichtet und als Stadtbaurat ist er für die vom Rat beschlossene Sanierung der Allerinsel inclusive der Integration bestehender, erhaltenswerter Gebäude verpflichtet. Als Stadtbaurat hätte er von dem Antrag auf Abriss des Baudenkmals wissen müssen. Seine o.g. Verpflichtungen hätten dazu führen müssen, dass er mindestens dieses Wissen an die OHS und an den Rat der Stadt Celle hätte weiter geben müssen. Vom Vorsitz des Vorstands der Otto Haesler Stiftung sollte sich der Stadtbaurat Ulrich Kinder spätestens jetzt verabschieden. In der Pressemitteilung der Stadt Celle (März 2021) zum Abriss des Fabrikgebäudes heißt es: >Die Stadt Celle bemüht sich an mehreren Stellen um den Erhalt und die denkmalgerechte Sanierung von Bauten Otto Haeslers. Nach der schon vor längerer Zeit erfolgten Instandsetzung der Direktorenvilla wird noch in diesem Sommer mit der Sanierung der Altstädter Schule begonnen. Auch für das Blumläger Feld Nord ist die Mustersanierung eines ersten Gebäudes auf den Weg gebracht.< Diese jetzt angekündigte „Mustersanierung eines ersten Gebäudes“ am Blumläger Feld Nord lässt noch Schlimmeres erahnen. 2002 hatte die Mustersanierung der Haesler Hauszeile am Rauterbergweg (Lungenblock) zur Folge, dass die beiden abgewirtschafteten über 200 Meter langen Haesler Häuserzeilen am Blumläger Feld (Lungenflügel) komplett abgerissen worden sind.
Es ist zu erwarten und zu befürchten, dass nach der Mustersanierung eines ersten Gebäudes am Blumläger Feld Nord kein weiteres Gebäude saniert werden wird. Nach den bisherigen Erfahrungen wird die Untere Denkmalschutzbehörde der WBG eine Abrissgenehmigung für die restlichen Gebäude erteilen. Die Abrissgenehmigung wird die Behörde damit begründen, dass die Haesler Gebäude insgesamt wirtschaftlich nicht haltbar sind. Die Vernichtung architektonischer Ikonen Otto Haeslers und die Vernichtung des kulturhistorisch bedeutsamen Erbes Otto Haeslers durch die Stadt Celle ist eine kultur- und gesellschaftspolitische Katastrophe, die ihres Gleichen sucht. Walter Schmidt Celle, den 11.04.2021
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