1700 KILOMETER DURCH CHILE
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
frühling 2013 www.veloplus.ch 1700 KILOMETER DURCH CHILE Familie Walter erfüllt sich ihren Velotraum VELOCLINIC SITZPOLSTERTEST PETRUS KETTENREINIGER ERGOGRIFF Machen Sie Ihr Acht Polster im Eigenentwicklung mit Helfen Sie bei der Velo frühlingsfit Veloplus-Labor toller Reinigungsleistung Entwicklung mit
6 reportage EIN TRAUM WIRD WAHR Vor zehn Jahren haben wir mit unserer Tochter Hanna das erste Mal Chile per Velo bereist. Nun stehen wir mit unserem jüngeren Sohn Elias am identischen Ausgangspunkt. Putre, ein 2000-Seelen- Dorf auf 3500 m ü.M. im nordöstlichsten Zipfel Chiles. Was wir insgeheim längst wussten, hat sich nach nächtelangem Studieren spannender Veloreiseberichte aus aller Welt bestätigt: Wir haben mit den Anden noch nicht abgeschlossen. TEXT: ESTHER WALTER; FOTOS: STEFFEN WALTER C hile ist ein schmales Land. Auf 200 Kilome- Isluga zu radeln. Die Gegend ist praktisch unbesiedelt, tern steigt die Andenkordillere von Meeres- verläuft oft direkt an der bolivianischen Grenze und liegt höhe auf weit über 5000 Meter. Eine gute um die 4000 m ü.M. Viel mehr wissen wir nicht. Aber wir Akklimatisierung ist daher das erste ultima- sind mit GPS ausgerüstet. Nur zeigt sich schnell, dass tive Ziel einer Andenreise. Aus den geplanten die Karten von Chile ein Flop sind. Immerhin liefern die drei Tagen Aufenthalt zur Angewöhnung in Putre wird Höhenlinien wertvolle Informationen. Sorgen über das eine Woche. Steffen und ich haben dieses Mal keine Höhenprofil der nächsten Etappe machen wir uns nicht. Mühe, Elias aber braucht mehr Zeit. Wir sind froh um die Wir nehmen es, wie es kommt. kleine medizinische Station, die unseren Sohn mit Sau- Aus Erfahrung wissen wir, dass Tagesetappen von erstoff versorgt. Er hatte nach unserer Ankunft die ty- 20 Kilometern realistisch sind. Alles andere wäre – mit pischen Merkmale der Höhenkrankheit gezeigt. Mitfah- Kind sowieso, aber unseres Erachtens auch ohne – eine ren wird Elias in einem Spezialrad. Selbstständiges Fehlplanung. Vier Stunden im Sattel sind mehr als ge- Fahren ist für Kinder unter diesen Extrembedingungen nug. Richtig gerechnet: Die Fahrgeschwindigkeit ist undenkbar. Wir realisieren, wie wertvoll es ist, ohne bescheiden. Ein Arbeitskollege spottete schon im Vor- zeitlichen Druck reisen zu können. aus: «Da könnt ihr ja gleich zu Fuss gehen.» Vielleicht. Aber nur begleitet von 20 Sherpas, die das Gepäck tra- Das ideale Fortbewegungsmittel gen. Nein, danke! Diesbezüglich sind wir egoistisch: Seit zehn Jahren träumen wir davon, die gut 200 Kilo- Wenn wir schon die Zivilisation verlassen, dann möch- meter lange Strecke zwischen Putre und Colchane ten wir die Einsamkeit mit niemandem teilen. Für uns ist durch die Nationalparks Lauca, Las Vicuñas und Volcán das Velo daher das ideale Fortbewegungsmittel: Man aktuell Frühling 2013
7 Reiseinfos ∂ Route: Sieben Wochen, 1700 Kilometer durch Chile. Die im Reisebericht beschriebene Etappe führte 250 Kilometer entlang der chilenisch-bolivischen Grenze von Putre nach Colchane. ∂ Verpflegung: Ausserhalb von Ortschaften existieren keine Verpflegungsmöglichkeiten. Auf dem Menüplan standen deshalb mitgeführte Konservenprodukte. Frische Brötchen, Obst und Gemüse waren seltener Luxus. ∂ Übernachtungen: Wildes Campieren ist überall möglich. Chile gilt als sicheres Reiseland. Entlang der bolivischen Grenze ist aufgrund der Schmuggler erhöhte Vorsicht geboten. Umwerfend sind die Nächte in den Anden-Vorkordilleren. Fehlende Lichtverschmutzung und ruhige Luft sorgen für einen sagenhaften Sternenhimmel. ∂ Ausrüstung: Kleiderspektrum von Badehose bis Daunenjacke. Während die Tage warm sind, sinken die Temperaturen in den Anden nachts deutlich unter den Gefrierpunkt. Tourenvelos von MTB-Cycletech, Kuppelzelt, Ortlieb-Taschen und Gaskocher. Bei einer Reise Akklimatisierungszeit einberechnen. PERU Putre BOLIVIA OBEN: Elias ist zu alt für einen klassischen Anhänger und unter Colchane diesen Bedingungen zu jung zum Selbstfahren. Das Spezialrad Pica kann die Landschaft mit maximaler Intensität erfahren. erfüllt seinen Zweck bestens. Dazu braucht es keine auf Leistungssport getrimmte LINKS: Die Strassen in Chile sind Tocopilla PARAGUAY körperliche Verfassung. Eine gute Grundkondition gesäumt von Grabstätten. reicht. Entscheidend ist die bedingungslose Freude am UNTEN: Am Nachmittag ziehen Antofagasta CHILE draussen Sein und ein uneingeschränktes Vertrauen in ungemütliche Gewitter auf und das Team. bringen auf den umliegenden Taltal Auf Hilfe sind allerdings auch wir angewiesen. Es ist Vulkanen Neuschnee. Chañaral unmöglich, für zehn und mehr Tage genügend Flüssig- Caldera keit und Lebensmittel mitzuführen. In Putre treffen wir Copiapó ARGENTINA auf ein österreichisches Paar, das die gleiche Strecke in ihrem Pick-up zurücklegt. Sie deponieren für uns unter- wegs bei zwei Polizeiposten grosse Versorgungspake- te. Voller Tatendrang und Vorfreude verlassen wir Putre. Steffen und ich sehnen uns nach diesem Leben im Hier und Jetzt. Das Schlagwort «Achtsamkeit» der moder- nen Lebensratgeber ergibt sich bei dieser Art zu reisen ganz von selbst. Nichts zählt ausser dem Moment. Weite und Einsamkeit, umgeben von der grandiosen Kulisse der farbenprächtigen Anden, liefern dafür die idealen Rahmenbedingungen. Jedenfalls für uns. ∂ Frühling 2013 aktuell
8 ∂ Wir sind gespannt, wie Elias auf das Fehlen der Reiz- Tagen ausgespuckt hatte. Sie liegt 250 km entfernt und überflutung reagiert. Wird er sich langweilen? 4000 Höhenmeter tiefer. Ich rupfe zwei drei Sachen aus den Velotaschen, schnappe die Kreditkarte und das Suche nach Ersatzreifen Vorderrad und steige mit Elias in den LKW. Steffen Alles beginnt perfekt. Die Piste gewohntes, sandiges bleibt mit Sack und Pack alleine zurück. Wellblech, aber fahrbar und schon der erste Schlafplatz Tags darauf hilft mir Daniela, die Hotelbesitzerin in ein Traum. Neben dem Zelt weiden Lamas und Alpakas. Arica, neue Reifen zu finden. Ihre Schwester ist Bikerin Am zweiten Tag passiert das, wovor man sich auf einer und kennt die Betreiber von drei Fahrradläden. Einen Veloreise am meisten fürchtet: Die richtigen Ersatztei- nach dem anderen klappern wir ab, bis wir finden, was le fehlen. Nach einem Plattfuss lässt sich der Pneu von wir brauchen. Mit dem Bus tuckern Elias, ich und eine Steffen nicht mehr auf der Felge fixieren. Er ist zu gross Handvoll Einheimische wieder in die Höhe. Wir bleiben und der Schlauch quillt raus, sobald wir ihn pumpen. nochmals eine Nacht in Putre. Ich will sehen, wie Elias Alles Basteln hilft nichts. Früher hatten wir auf unseren mit der Höhe klarkommt, bevor wir ins Niemandsland Reisen immer Ersatzreifen dabei. Und sie nie gebraucht. weiterfahren. Dieses Mal geht es ihm gut. Wir stehen Es bleibt keine Zeit zum Hadern. Ein Lastwagen, bela- am nächsten Tag bereits kurz nach 9 Uhr auf der Stras den mit Borax, das auf dem Salar de Surire abgebaut se und warten auf eine Mitfahrgelegenheit zu Steffen. wird, nähert sich. Was für eine Schande in diesem mär- Ich muss selbst über das Bild, das wir abgeben, chenhaften Naturschutzgebiet. Aber nun sind wir froh schmunzeln. Da sitzen eine Frau und ein Kind am Stras um diese Mitfahrgelegenheit. Er fährt bis Arica, der senrand auf 3500 m ü.M. - ohne Gepäck, aber mit einem nächstgelegenen Stadt, wo der Flieger uns vor zehn einzelnen Velorad. Nach 20 Minuten kommt der erste 1 2 1. Von Colchane Richtung Küste kann 8 sich die Familie Walter nicht wie erwartet bei einer rauschenden Abfahrt erholen. Stattdessen geht es wiederum in die Höhe. 2. Die Fischerei ist an der Küste omnipräsent. 3. Jeder Zeltplatz ein Traum. Ob in den Anden oder an der Küste. 4. Auf den Bofedales (Feuchtgebiete) weiden Lamas und Alpakas. 5. In Putre gibt 9 es eine bescheidene touristische Infrastruktur mit kunsthandwerklichen Souvenirs. 6. Mittagsrast neben der Panamerica, mitten in der Atacama- Wüste. Hier ist es im Dezember vor allem eines: heiss und windig. 7. Davon träumten die Walters seit zehn Jahren: den Salar de Surire mit den Velos erreichen. 8. Pelikane an der Pazifik- küste. 9. Einige Eisenbahnstrecken sind zum Transport der in Minen abgebauten Rohstoffe noch in Betrieb. aktuell Frühling 2013
reportage 9 Borax-Lastwagen. Er kennt unsere Geschichte schon und winkt uns zu sich in die Kabine. Zwei Stunden später sind wir wieder bei Steffen. Es geht ihm gut. Er hat sich die Tage mit Hörbüchern um die Ohren geschlagen. Für etwas Spannung hatte der mitternächtliche Besuch der Grenzpolizei mit Gewehr im Anschlag gesorgt. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage wird uns bewusst, wie wertvoll es ist, Zeit zu haben. Kein Mietauto, keine Hotelreservation und kein Inlandflug warten auf uns. Wir machen uns in aller Ruhe wieder auf den Weg. Warmes Bad in Therme auf 4000 Meter Höhe 3 4 Die Tage verlaufen ähnlich. Sobald sich die Sonne zeigt, stehen Steffen und ich auf. Nach über zwölf Stunden im 5 «Gegen 10 Uhr sind die Zelt macht Aufstehen Freude. Wir freuen uns auf einen Velos bepackt und die heissen Kaffee, denn die Temperaturen liegen in der Nacht weit unter dem Gefrierpunkt. Elias bleibt noch Temperaturen zum Radeln liegen. Er geniesst die Wärme im Schlafsack und krab- gerade angenehm. Doch die belt erst aus dem Zelt, wenn wir die Stangen rausziehen. Gegen 10 Uhr sind die Velos bepackt und die Tempera- Sonne brennt in dieser Höhe turen zum Radeln gerade angenehm. Doch die Sonne erbarmungslos.» brennt in dieser Höhe erbarmungslos. Um die Mittags- zeit sind wir bereits froh, dass ein leichtes Lüftchen einsetzt. Es steigert sich innert weniger Stunden zu brutalem Wind. Im Verlauf des Nachmittags ist daher an Velofahren nicht mehr zu denken. So bleibt genügend Zeit, um das Lager aufzustellen und Feuer zu machen. Als Abendessen gibt es drei Varianten: Nudeln, Kartof- felbrei oder Reis – angereichert mit Tomatensauce, Thunfisch aus der Büchse oder Erbsen aus dem Tetra- pack. Den Kocher mit seinen Macken lassen wir zuneh- 6 mend links liegen und kochen über dem Feuer. Sobald die Sonne weg ist, müssen wir aufgrund der Kälte ins 7 Zelt. In diesem Rhythmus vergeht Tag um Tag. Höhe- punkte der einen oder anderen Art sind die warme Ther- me am Salar de Surire, in der wir im Schwefelgeruch ein ausgiebiges Bad auf 4000 m ü.M. nehmen, oder der unerwartete, 4770 Meter hohe Pass, wo Steffen auf den letzten Höhenmetern abwechslungsweise Velos mitsamt Anhängern alleine schieben muss. Nach zwölf Tagen erreichen wir Colchane. Das Dorf besteht aus ein paar Häusern, zwei Hotels, einer Poli- zeistation und einem kleinen Lebensmittelladen. Wir haben geschafft, was uns vor zehn Jahren ein Ding der Unmöglichkeit schien. Und es folgen sieben weitere fantastische Wochen durch die Weiten des chilenischen Nordens. Das Beste von allem: Nicht ein einziges Mal hören wir von Elias den bekannten Spruch aus der Hei- mat: «Mir ist langweilig.» Jetzt scannen für mehr Reisefotos und Infos! Oder www.pinterest.com/veloplus Frühling 2013 aktuell
Sie können auch lesen