Gottfried Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe

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Gottfried Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe                            Jakobi Michael 1998   1
michael.jakobi@schueler.asn-linz.ac.at

Gottfried Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe

Die Seitenzahlangaben der Textstellen beziehen sich auf folgendes Buch:
                                                   insel taschenbuch 756
                                                            Keller
                                                      Romeo und Julia

Kurze Biographie des Autors:

Gottfried Keller wurde am 19.7.1819 in Zürich geboren. Er bildete sich in seiner Jugend zum
Maler aus, kam aber in München, wo er in große Not geriet zur Erkenntnis, daß seine
Begabung vorwiegend auf dem dichterischen Gebiet liege. Nach Zürich zurückgekehrt, trat
Keller in nähere Beziehung zu den politisch deutschen Flüchtlingen. Im Herbst 1848 ging er
mit einem Stipendium der Züricher Kantonsregierung nach Heidelberg, und studierte dort bis
1850. 1848 lernte Keller den Sozialisten und Philosophen Ludwig Feuerbach kennen, der
ihm durch seine Theologie- und Religionskritik die Augen für die Schönheiten der irdischen
Welt öffnete. Feuerbach lehrte, daß die Religion eine Selbstanbetung des Menschen sei, der
seine Wünsche und Sehnsüchte auf Gott projiziere. Der Einzelne habe aber die Pflicht, all
seine Kräfte und Liebe zum Wohle der Gemeinschaft einzusetzen.

Keller, der die barocke Aufspaltung der Welt und des “Lebens” in Diesseits und Jenseits
ablehnte, formulierte seine Verwurzelung im Diesseits so:
        “Die Welt ist mir unendlich schöner und tiefer geworden, das Leben ist
        intensiver und wertvoller, der Tod ernster, bedenklicher und fordert mich nun
        erst mit aller Macht auf, meine Aufgabe zu erfüllen und mein Bewußtsein zu
        reinigen und zu befriedigen, da ich keine Aussicht habe, das Versäumte in
        irgend einem Winkel der Erde nachzuholen.”

Zu diesem Zeitpunkt seines Lebens lebte Keller in Berlin. Dort beschäftigte sich Keller auch
mit kleinen Erzählungen und seine dichterische Kraft nahm die entscheidende Entwicklung.
1855 kehrte er wieder nach Zürich zurück, wurde im Jahre 1861 Staatsschreiber und
verwaltete dieses Amt bis 1876 mit größter Gewissenhaftigkeit. Er entwickelte sich zum
Meister der Novelle. Gottfried Keller starb am 15.7.1890.

Heute gilt Keller als Meister der Novelle und als bedeutendster deutschsprachiger Erzähler
des 19. Jahrhunderts. Sein Schaffen ist dem poetischen Realismus zuzurechnen, wobei
seine Romane und Erzählungen auch romantisch-phantastische Elemente enthalten. Als
Befürworter einer gesellschaftlich engagierten Literatur verband er sein kritisches
Verständnis der menschlichen Existenz mit Humor und erzieherischer Weitsicht.

Kurze Inhaltsangabe zu “Romeo und Julia auf dem Dorfe”:

Die Novelle “Romeo und Julia auf dem Dorfe” von Gottfried Keller erzählt von Sali und
Vrenchen, deren Väter zuerst wohlhabende Bauern sind, aber dann wegen eines Streites
immer mehr verarmen und ihren Kindern jeglichen Kontakt verbieten. Als diese sich nach
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vielen Jahren wieder treffen, sich in einander verlieben, und wegen mehreren dummen
Umständen nicht zusammenkommen können, suchen sie in den Fluten ihren Tod.
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Interpretation:

Keller, der sein Leben lang keine erfolgreiche Beziehung und auch sonst keinen leichten
Start in sein Leben hatte, nimmt einen Zeitungsartikel in dem er von dem Schicksal eines
armen Liebespaares aus bäuerlichen Verhältnissen, daß sich aufgrund des Streits ihrer
Familien erschossen hatte, als Ansporn, nach Shakespeares Vorbild, eine Liebestragödie zu
schreiben. In dieser beschreibt er das tragische Schicksal zweier Leben, die füreinander
Bestimmt waren und von einer kleinbürgerlichen Gesellschaft daran gehindert werden zum
gemeinsamen Glück zu finden. Da für sie aber die Möglichkeit, ein Leben abseits der
gesellschaftlichen Normen keine Alternative darstellt, kritisiert Keller in seinem Buch im
Gegensatz zu Shakespeare auch die Gesellschaft seiner Zeit.

Vorgeschichte:

Diese Novelle erscheint 1856 in der berühmten Novellensammlung “Die Leute von Seldwyla”
und beruht also auf einer Tatsächlichen Begebenheit: Dem Freiwilligen Tod zweier junger
Menschen, deren Eltern in Feindschaft leben und in eine Verbindung ihrer Kinder nicht
einwilligen.

In einer Züricher Tageszeitung stand am 3. September 1847 zu lesen:
        “Im Dorfe Altsellerhausen, bei Leipzig, liebten sich ein Jüngling von 19 Jahren
        und ein Mädchen von 17 Jahren, beide Kinder armer Leute, die aber in einer
        tödlichen Feindschaft lebten und nicht in eine Vereinigung des Paares willigten
        wollten. Am 15. August begaben sich die Verliebten in eine Wirtschaft, wo sich
        arme Leute vergnügen, tanzten daselbst bis 1 Uhr nachts und entfernten sich
        hierauf. Am Morgen fand man die Leichen beider Liebenden auf dem Felde
        liegen; sie hatten sich durch den Kopf geschossen.”

Charakteristik von Sali und Vrenchen:

Sali und Vrenchen kennen sich schon von kleinauf. Als Kinder spielen sie zwar des öfteren
miteinander und es ist auch keine Seltenheit, daß sie sich gegenseitig auf den Arm nehmen
und necken, aber der Zwang ihrer Väter, sich nicht mehr sehen zu dürfen, stellt zu dieser
Zeit für sie eigentlich mehr oder weniger kein Problem dar. Sie verlieben sich erst, als sie
einen Streit ihrer Väter schlichten wollen.

Einmal wäre es fast zum Bruch ihrer Beziehung gekommen, nämlich als Sali Vrenchens
Vater mit einem Stein, den er ihm gegen die Schädeldecke wirft, schwer verletzte, so daß
dieser sein Gedächtnis verliert. Daraufhin wünschte Vrenchen für kurze Zeit Sali nicht mehr
zu sehen.

Beide sind also Menschen von eher schüchtern gewordenem Charakter und man kann auch
viele kleine oder größere Unsicherheiten in ihrem Handeln erkennen. Dennoch sind sie in
ihrer Liebe gefestigt und entschlossen, lieber miteinander zu sterben, als getrennt leben zu
müssen.
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Charakteristik und Parallelzeichnung der beiden Väter:

Keller wollte den Konflikt der beiden Väter nicht durch verschiedene Charaktere begründen,
sondern zeigen, daß eine sehr nebensächliche Angelegenheit zwei Menschen entzweien
kann. Daher zeichnet er die beiden Männer ähnlich:
       Textstelle: “An einem……unterbrach.” (Seite 9+10)
• Sofort fällt auf, daß beide Namen mit den Buchstaben “Ma” beginnen (Manz, Marti).
• Außerdem zeichnet er auch das Aussehen gleich.
       Beide sind “lange, knochige Männer von ungefähr 40 Jahren.”
       Beide sind “sichere, gutbesorgte Bauern.”
       Beide tragen “kurze Kniehosen von starkem Zwillicht.”
• Auch im Handeln der beiden Bauern kann man sehr deutlich eine starke
    Parallelzeichnung feststellen:
       In der Textstelle vom Pflügen wird jeder Handgriff - auf beide bezogen – auf genau
       die selbe Art und Weise verrichtet.
       Auch vom Acker des Geigers zweigt sich jeder eine Furche ab. Erst als sich die
       Besitzverhältnisse ändern, beginnt der Streit.

Die Konstellation der Hauptfiguren:
Die Konstellation der Hauptfiguren entspricht dem klassischen Fünfer – Prinzip:

                                         Manz               Marti

                                                  Geiger

                                          Sali             Vrenchen
Wendepunkt ist die Szene auf der Brücke:

Die beiden Bauern werden Todfeinde, Sali und Vrenchen verlieben sich.

Der schwarze Geiger steht zwischen allen: Zwischen den Vätern, die ihn um seinen Erbteil
gebracht haben und auch zwischen Sali und Vrenchen, da er ihre Beziehung kennt und
droht, sie zu verraten. Später will er sich an den beiden Vätern rächen, indem er ihre Kinder
praktisch in den Freitod treibt.

Autobiographische Züge in dieser Novelle:

Dem, der das Buch liest, fällt sicherlich sofort auf, daß viele Textstellen so formuliert sind,
daß gerade die Würde und Anständigkeit des Paares gehoben werden:
      Textstellen: “…die Wirtin……gefiel” (Seite 76+77)
                   “Die Wirtin und……hinnen.” (Seite 77)
                   “…sie vergaßen……Achtung.” (Seite 79)
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         • Sie “gingen still nebeneinander.”
         • “… die Wirtin schien sie für rechtliche junge Leute zu halten, die man
           anständig bedienen müsse.”
       • Vrenchen “…verabschiedete sich mit den besten Manieren…” von der
           Wirtin.
       • Sali sieht Vrenchen an “voll Zärtlichkeit, Sorgfalt und Achtung.”
•   Nicht zu Letzt auch die Tatsache, daß sie sich aus großer, ehrlicher Liebe umbringen,
    zeugt von Ehre und Anstand.

Nun stellt sich die Frage, warum Gottfried Keller so viel Wert auf Würde legt:

Meiner Meinung nach liegt es daran, daß er sich teilweise in dieser Novelle autobiographisch
darstellt. Denn auch Keller mußte unter verarmten Umständen aufwachsen und versuchte
damals als Kind – laut Zeitzeugenberichten – auch immer etwas besser dazustehen. So
gerne wäre er damals Sohn einer reichen Bürgerfamilie gewesen. Außerdem wurde er doch
von den philosophisch – links - idealistischen Ideen Ludwig Feuerbachs stark beeinflußt, und
deshalb legte er in vielen seiner Erzählungen großen Wert auf die Würde der ärmeren
Bevölkerung.

Gesellschaftkritische Züge der Novelle “Romeo und Julia auf dem Dorfe”:

Gottfried Keller beschreibt das tragische Schicksal zweier Leben, die füreinander Bestimmt
waren und von einer kleinbürgerlichen Gesellschaft daran gehindert werden zum
gemeinsamen Glück zu finden. Da für sie aber die Möglichkeit, ein Leben abseits der
gesellschaftlichen Normen keine Alternative darstellt, kritisiert Keller in seinem Buch im
Gegensatz zu Shakespeare auch die Gesellschaft seiner Zeit.

Insbesondere der Schlußsatz,
        Textstelle: “… man nehme an, ……Leidenschaften,” (Seite 102)
enthält unverkennbare gesellschafts- und sozialkritische Züge.

Dieser Satz erweckt beim Leser Widerspruch, da Keller seine Erzählung so gestaltet, daß
die jungen Leute alles andere als “entsittlicht” und “verwildert” dastehen. Die Leute in der
Stadt reden nur aus Unkenntnis der Sachlage und auch mit einem gewissen Vorurteil derart
schlecht über die zwei.

Persönliche Stellungnahme:

Obwohl ich Bücher wie diesem eher abgeneigt bin, hat mich sowohl der Stil, als auch die
Handlung dieser Novelle sofort gefesselt. Für mich schreibt Keller zwar ein bißchen zu viel
im Stil des epischen Realismus, der ja in unserer Zeit eher nicht mehr als Stilmittel
verwendet wird, aber trotzdem ist diese Erzählung noch durchaus aktuell, da seine
Gesellschaftskritik, nämlich, daß zu große Klassenunterschiede herrschen und dem Konflikt
zwischen Elerngeneration und der Jugend praktisch zeitlos ist.

Ich habe das Buch gerne gelesen und kann es sehr weiter empfehlen.
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