20 Jahre Strommarkt Entwicklungen, Erfolge, Perspektiven der Marktliberalisierung seit 1998 aus Verbrauchersicht - Verbraucherzentrale NRW

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20 Jahre Strommarkt Entwicklungen, Erfolge, Perspektiven der Marktliberalisierung seit 1998 aus Verbrauchersicht - Verbraucherzentrale NRW
20 Jahre Strommarkt
              Entwicklungen, Erfolge, Perspektiven
               der Marktliberalisierung seit 1998
                     aus Verbrauchersicht
                                  Mai 2018

Autor/-innen:
Christina Wallraf
Michelle Jahn
Udo Sieverding

Herausgeber:
Verbraucherzentrale NRW e.V.
Mintropstraße 27
40215 Düsseldorf
energie@verbraucherzentrale.nrw

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www.twitter.com/vznrw_energie
20 Jahre Strommarkt Entwicklungen, Erfolge, Perspektiven der Marktliberalisierung seit 1998 aus Verbrauchersicht - Verbraucherzentrale NRW
Zusammenfassung: Erwachsener Markt mit Besonderheiten
Flexstrom, Teldafax, Care-Energy, Vorkasse, Bonusverwehrung, Kündigungsausschluss –
wer den Strommarkt in den vergangenen Jahren im Blick hatte, erinnert unter Schlagworten
wie diesen große Anbieterpleiten und berüchtigte Vertriebsmaschen. Einiges zu tun gab es
deshalb in diesem Bereich für die Verbraucherzentrale NRW, die große Gerichtsverfahren
erfolgreich geführt hat (siehe Kapitel 4.1) und Kundinnen und Kunden bei den großen In-
solvenzen (4.2) zur Seite stand.

Doch viel zu tun hat der Verbraucherschutz auch anderswo, denn unseriöse Anbieter gibt
es überall. Insgesamt lässt sich aus Verbrauchersicht sagen: Der Strommarkt ist in den
20 Jahren seit seiner Liberalisierung 1998 erwachsen geworden. Er funktioniert im Prinzip
wie andere Märkte auch: Mit echtem Wettbewerb, der einer guten Überwachung und Regu-
lierung bedarf und manchmal eben unerwünschte Blüten treibt.

Allerdings kam der Wettbewerb nach dem Startschuss der Liberalisierung 1998 nur zöger-
lich in Gang. Praktisch ebenso bedeutend wie die grundsätzliche Öffnung für andere Anbie-
ter war der sieben Jahre später eingeführte regulierte Netzzugang. Denn erst mit dieser
Bremse für das freie Schalten und Walten der etablierten Unternehmen im Netzbesitz er-
hielten auch neue Marktteilnehmer faire Einstiegschancen (Kapitel 1). Auf dieser Basis
entwickelte sich eine Vielfalt von Anbietern, die neben Töchtern der „großen Vier“ EnBW,
E.ON, RWE und Vattenfall sowie zahlreicher Stadtwerke (Kapitel 4.4 und 4.5) auch ganz
neue Player umfasst. Im Durchschnitt können Verbraucher zwischen 112 Alternativen wäh-
len (Kapitel 2), allerdings haben bislang trotz längst etablierter Wechselroutinen rund
31 Prozent der Haushalte noch einen – meist teuren – Grundversorgungstarif (Kapitel 3.2).

Ungeachtet eines mittlerweile hart umkämpften Marktes bleibt der Effekt auf die Preise
begrenzt: Statt zu sinken, sind die Preise aufgrund wachsender Abgaben, Umlagen und
Netzentgelte seit 1998 deutlich gestiegen – von rund 17 Cent auf heute rund 29 Cent pro
Kilowattstunde. Linderung verschaffen müsste hier zumindest eine Reduzierung der EEG-
Umlage in Kombination mit einer verstärkten Finanzierung der Energiewende aus dem
Bundeshaushalt. Auch eine Abschaffung der Stromsteuer wäre eine sinnvolle Option zur
Entlastung der Privathaushalte.

Der Anteil des Gesamtpreises, den die Energieversorger nicht direkt beeinflussen können,
liegt mittlerweile bei rund 80 Prozent – und der geringe verbleibende Spielraum für spürba-
re Preisgestaltungen wird insbesondere in der Grundversorgung nicht überall genutzt (sie-
he Kapitel 3.2). Dieses Segment bildet auch die große Besonderheit des Strommarkts –
hier werden Haushalte automatisch Kunden und manche von ihnen sind, etwa aufgrund
von Schufa-Einträgen, „gefangen“ in der Grundversorgung. Hierauf wirft die Verbraucher-
zentrale NRW weiterhin ein besonderes wachsames Auge.

Aktuelle Masche und Beschwerdegründe sind insbesondere versteckte Preiserhöhungen,
über die unauffällig in langen, oft werbelastigen Briefen oder Mails informiert wird, die
Nicht-Auszahlung von Boni und untergeschobene Verträge.

Genau im Blick hat der Verbraucherschutz auch die große Rolle der Vergleichsportale (Ka-
pitel 4.6). Diese sind die beste Möglichkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher, vorlie-
gende Angebote innerhalb kurzer Zeit einzuschätzen, und damit grundsätzlich positiv zu

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bewerten. In ihrer Gatekeeper-Rolle haben sie aber etwa durch die Voreinstellungen ihrer
Tarifkriterien auch unmittelbaren Einfluss darauf, welche Tarife oft gewählt werden.

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Inhalt

Zusammenfassung: Erwachsener Markt mit Besonderheiten ............................................................... I
1. Startschuss 1998, Kurskorrektur 2005 ............................................................................................... 1
2. Der Wettbewerb heute ...................................................................................................................... 1
   2.1 Erzeugung: Preisbildung an der Börse........................................................................................... 1
   2.2 Vertrieb: Beachtliche Anbietervielfalt ........................................................................................... 2
3. Strompreise ......................................................................................................................................... 3
   3.1 Hohe Preise trotz Anbietervielfalt ................................................................................................. 3
   3.2 Kunden in Grundversorgung profitieren nicht von Liberalisierung .............................................. 6
4. Anbieter .............................................................................................................................................. 7
   4.1 Die wichtigsten rechtlichen Verfahren der Verbraucherzentrale NRW ........................................ 7
                  Extra Energie: Guthaben müssen sofort ausgezahlt werden
                  Stromio: Sonderkündigungsrecht bei jeder Preisänderung
                  RWE: Urteil sorgt für mehr Preistransparenz
   4.2 Drei große Pleiten– Aufsichtsbehörde greift nicht früh ein .......................................................... 8
   4.3 Aktuelle Maschen der Energieanbieter und Aktivitäten der Verbraucherzentrale NRW ........... 10
   4.4 Vertriebsmarken und Töchter – bekannte Anbieter im neuen Gewand .................................... 11
   4.5 Stadtwerke – teilweise gar nicht so lokal .................................................................................... 11
   4.6 Vergleichsportale – es geht nicht ohne, aber…. .......................................................................... 12
5. Ausblick ............................................................................................................................................. 12

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20 Jahre Strommarkt Entwicklungen, Erfolge, Perspektiven der Marktliberalisierung seit 1998 aus Verbrauchersicht - Verbraucherzentrale NRW
1. Startschuss 1998, Kurskorrektur 2005
Am 29. April 1998 trat das „Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts“1 (EnWG
1998) in Kraft, auf dessen Grundlage Wettbewerb auf dem deutschen Energiemarkt entste-
hen konnte. Die entscheidende Weiche für die Entstehung dieses Gesetzes war wiederum
der Entschluss der EU, den europäischen Energiebinnenmarkt zu vereinheitlichen. Im ers-
ten Schritt sollten dazu die in den Mitgliedsländern vorherrschenden Monopole beseitigt
werden. Dazu wurde im Dezember 1996 die „Richtlinie 96/92/EG2 des Europäischen Par-
laments und des Rates betreffend gemeinsamer Vorschriften für den Elektrizitätsbinnen-
markt“ verabschiedet. Mit der Richtlinie 98/30/EG3 folgten anderthalb Jahre später auch
Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt.

Wichtigste Neuerung des deutschen EnWG war das sogenannte Unbundling: Elektrizitäts-
versorgungsunternehmen mussten eine getrennte Buchführung für die Bereiche Erzeu-
gung, Übertragung und Verteilung der Energie einrichten. Damit sollten die Gebietsmono-
pole der vertikal integrierten Unternehmen aufgelöst und Wettbewerb bei Erzeugung und
Vertrieb des Stroms hergestellt werden. Entscheidend für die Entwicklung des Markts im
weiteren Verlauf ist zudem das „Zweite Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschafts-
rechts“, das im Jahr 2005 das Ende des verhandelten Netzzugangs bei Strom und Gas be-
siegelte. Dieser hatte sich als Irrweg erwiesen, da die freien Verhandlungen unter den
Branchenverbänden den etablierten Energieunternehmen die Möglichkeit gaben, neuen
Wettbewerbern den Markteinstieg durch überteuerte Netznutzungsentgelte erheblich zu
erschweren. Stattdessen wurde der regulierte Netzzugang eingeführt und die Bundesnetz-
agentur als Regulierungsbehörde eingesetzt.

2. Der Wettbewerb heute
2.1 Erzeugung: Preisbildung an der Börse

Für attraktive Verbraucherpreise ist Wettbewerb bei der Erzeugung eine wichtige Voraus-
setzung. Strom kann seit August 2000 an der Strombörse EEX gehandelt werden. Die Börse
funktioniert dabei als transparenzschaffendes Instrument für die Strom- und Gasmärkte,
und die dort erzielten Preise gelten auch als Benchmark für Vertragsschlüsse außerhalb
der Börse.

Damit kein Unternehmen Börsenpreise zu seinen Gunsten beeinflussen kann, wird die
Preisbildung überwacht. In Deutschland ist das Bundeskartellamt zuständig, wenn es um
Preiserhöhungen durch den Missbrauch von Marktmacht geht.4 Die Bundesnetzagentur
wacht darüber, dass es keine Marktmanipulation gibt. Zudem untersuchte die Monopol-
kommission in ihren bisherigen Gutachten die bestehenden Marktmachtverhältnisse.

Während die „großen Vier“ in der Erzeugung, also E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW, in den
Jahren 2007/2008 laut Bundeskartellamt noch eine marktbeherrschende Stellung innehat-

1
  www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bibliothek/Gesetzesmaterialien/13_wp/Stromeinspeisungs
G_Aend/bgbl.pdf?__blob=publicationFile.
2
  eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A31996L0092.
3
    eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1998:204:0001:0012:DE:PDF.
4
    Vgl.www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s77_volltext.pdf.

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ten – die Marktanteile dieser Unternehmen lagen zusammen bei über 80 Prozent– ent-
spannte sich die Situation in den letzten Jahren zunehmend: In den untersuchten Jahren
von 2012, 2014 und 2016 sieht die Monopolkommission keine Hinweise auf eine marktbe-
herrschende Stellung vorliegen,5 die „großen Vier“ verlieren zunehmend an Marktanteilen.

Dennoch unterstreicht die Monopolkommission, dass „für eine Beurteilung der zukünftigen
Entwicklung der Wettbewerbssituation auf dem Stromerstabsatzmarkt insbesondere aktu-
elle Konzernspaltungsprozesse zu beobachten und einer kartellrechtlichen Beurteilung zu
unterziehen“ seien.6 Dies ist aktuell relevant auch mit Blick auf den im März 2018 ange-
kündigten „Innogy-Deal“, bei dem die gesamten Stromerzeugungskapazitäten von E.ON an
RWE übertragen werden sollen. Hierdurch gewinnt der ohnehin stärkste Erzeuger RWE wei-
tere Marktanteile. Zudem ergeben sich insbesondere durch den anstehenden Atomener-
gieausstieg weitere Veränderungen bei der Erzeugerstruktur. Bundeskartellamt und Bun-
desnetzagentur erarbeiten gerade einen gemeinsamen Leitfaden zur kartellrechtlichen
Missbrauchsaufsicht. Dies sei auch zwingend notwendig, betont die Monopolkommission,
da „bei der Ausgestaltung der Leitlinien der Missbrauchsaufsicht bedeutende Fragen noch
nicht hinreichend geregelt“7 worden seien.

2.2 Vertrieb: Beachtliche Anbietervielfalt

Nachdem 2005 der Netzzugang reguliert wurde, hat sich echter Wettbewerb auf dem
Strommarkt entwickelt. Entstanden ist eine beachtliche Anbietervielfalt: Verbraucherinnen
und Verbraucher können heute zwischen durchschnittlich 112 Anbietern auswählen (siehe

5
    Vgl. www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s77_volltext.pdf, S. 59.
6
    Ebd., S.6.
7
    Vgl. ebd., S. 14.

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Abbildung)8– die genaue Zahl variiert von Wohnort zu Wohnort. Der Trend der wachsenden
Anbieterzahlen ist bisher ungebrochen. Auch die Monopolkommission attestierte in ihrem
jüngsten Gutachten von 2017, dass auf „Ebene des Strom- und Gasvertriebs intensiver
Wettbewerb entstanden“9 sei.

Nicht alle Verbraucherinnen und Verbraucher können jedoch frei aus den theoretisch am
Ort verfügbaren Anbietern wählen. Schufa-Einträge etwa können den Anbieterwechsel er-
schweren oder verhindern – teils sind diese Kundinnen und Kunden im teuren Grundver-
sorgungstarif „gefangen“.

3. Strompreise
3.1 Hohe Preise trotz Anbietervielfalt

Trotz zunehmender Anbietervielfalt und funktionierenden Wettbewerbs kam es im Strom-
markt – anders als beispielsweise im fast zeitgleich liberalisierten Telekommunikations-
markt – nicht zu langfristig sinkenden Preisen. Im Gegenteil: Die Preise sind deutlich ge-
stiegen.

8
  Verflechtungen der anbietenden Unternehmen untereinander in Form von Konzernbeteiligungen und ähnlichem sind
hier nicht berücksichtigt.
9
  www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s77_volltext.pdf, S. 19.

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Durchschnittlicher Strompreis für Haushalt mit 3.500 kWh Jahresverbrauch. Grundpreise anteilig enthalten.

Zwei Gründe sind maßgeblich für diesen Effekt verantwortlich:

1. Der Anteil an Steuern, Abgaben und Umlagen am Strompreis ist für Haushalte seit 1998 um
knapp 300 Prozent gestiegen.10 Mittlerweile machen diese staatlich veranlassten Preisbestand-
teile für Verbraucherinnen und Verbraucher 55 Prozent ihrer Stromkosten aus. Die regulierten
Netzentgelte machen ein weiteres Viertel aus. Dadurch haben Änderungen der Preisbestandteile,
die Unternehmen direkt beeinflussen können, nur relativ geringe Effekte auf den Gesamtpreis.

Der Anstieg des Preisbestandteils „Abgaben, Umlagen und Steuern“ ist in erster Linie auf
die EEG-Umlage zurückzuführen. Deren Höhe lag 2009 für Haushaltskunden noch bei
1,3 Cent pro Kilowattstunde, mittlerweile beträgt sie 6,79 Cent pro Kilowattstunde. Das
Gesamtaufkommen der EEG-Umlage liegt 2018 bei voraussichtlich 25,6 Milliarden Euro.11
Dabei tragen die (teilweisen) Befreiungen energieintensiver Unternehmen im Umfang von
circa 5 Milliarden Euro12 dazu bei, dass die Belastung für Verbraucherinnen und Verbrau-
cher besonders hoch ist. Eine Entlastung ließe sich beispielsweise herbeiführen, indem die
EEG-Umlage teilweise aus dem Strompreis herausgenommen und die damit finanzierte
gesetzliche Vergütung für erneuerbare Energien auch aus dem Bundeshaushalt finanziert
würde.13 Der Handlungsbedarf ist dringend, da bei Beibehaltung des bestehenden Systems
für die nächsten Jahre mit einem weiteren Anstieg der EEG-Umlage zu rechnen ist.14

10
   Vgl. BDEW: Strompreisanalyse 1/2018, nominale Preisentwicklung.
www.bdew.de/media/documents/180109_BDEW_Strompreisanalyse_Januar_2018.pdf.
11
   www.netztransparenz.de/portals/1/Content/EEG-Umlage/EEG-Umlage%202018/20171016_Pressemitteilung_EEG-
Umlage_2018_und_EEG-Vorschau_2018-2022.pdf.
12
   www.bee-ev.de/fileadmin/Publikationen/Positionspapiere_Stellungnahmen/BEE/BEE-Vorschlaege_Senkung_EEG-
Umlage_10Okt2017.pdf.
13
   Vgl. hierzu www.vzbv.de/meldung/finanzierung-der-energiewende-reformieren.
14
   www.agora-energiewende.de/de/presse/agoranews/news-detail/news/die-eeg-umlage-wird-2018-voraussichtlich-
leicht-sinken/News/detail/.

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2. Sinkende Beschaffungspreise werden – insbesondere bei Grundversorgungstarifen –
oftmals nicht weitergegeben. Das hat eine Langzeitanalyse der Strompreise der NRW-
Grundversorgungstarife nachgewiesen. Für die Zeit von Dezember 2010 bis Juni 2014 do-
kumentiert diese Studie der Verbraucherzentrale NRW15 zunächst die Preisentwicklung der
Grundversorgungstarife aller 106 Grundversorger. Genauer in den Blick nimmt sie die
Preisbestandteile, die die Unternehmen selbst beeinflussen können. Dazu werden alle
Umlagen, Abgaben, Steuern und Netzentgelte vom Strompreis abgezogen. Übrig bleibt der
Preisbestandteil, mit dem Strombezugs- und Vertriebskosten sowie die Marge abgedeckt
werden.

Mithilfe dieser Größe wurde die Preisgestaltung der Branche sowie einzelner Unternehmen
untersucht. Es zeigte sich, dass der von den Unternehmen beeinflussbare Preisbestandteil
im Branchenschnitt praktisch unverändert blieb, obwohl die darin enthaltenen Kosten für
den Stromeinkauf branchenweit um rund ein Drittel zurückgingen.

Im Dezember 2014 erfolgte eine Fortschreibung der Studie,16 um das Verhalten der Strom-
anbieter im Hinblick auf die weiterhin niedrigen Strombörsenpreise und die gesunkene
EEG-Umlage beurteilen zu können. Das Ergebnis der Fortschreibung zeigte eine Verschär-
fung des Missverhältnisses zwischen den vom Unternehmen zu beeinflussenden Preisbe-
standteilen und den Einkaufspreisen. Zudem lag dieser Preisbestandteil bei manchen Ver-
sorgern nach wie vor deutlich, um bis zu 25 Prozent, über dem Branchendurchschnitt.

15
     www.verbraucherzentrale.nrw/sites/default/files/migration_files/media230751A.pdf
16
     www.verbraucherzentrale.nrw/sites/default/files/migration_files/media231822A.pdf

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3.2 Kunden in Grundversorgung profitieren nicht von Liberalisierung

Bei der Entwicklung des vom Energieversorger beeinflussbaren Preisbestandteils offenba-
ren sich große Unterschiede zwischen Grundversorgung und anderen Vertragsarten.

Während der Preisunterschied zwischen Grundversorgungsvertrag und dem Sondervertrag
bei einem alternativen Anbieter 2008 noch deutlich unter einem Cent pro Kilowattstunde
lag, wuchs er ab 2012 deutlich und erreichte 2014 zwei Cent. Für einen Haushalt mit Durch-
schnittsverbrauch bedeutet dies, dass er im Grundversorgungstarif etwa 70 Euro pro Jahr
mehr zahlt als nach einem Anbieterwechsel.17

Bisher sind nur 29 Prozent aller Haushalte bei einem anderen Anbieter als ihrem Grundver-
sorger, 31 Prozent aller Haushalte befinden sich im Grundversorgungstarif. Der größte An-
teil von 41 Prozent hat einen Sondervertrag beim örtlichen Grundversorger.18

17
  Die 70 Euro Ersparnis stellen nur einen Durchschnittswert dar. Verbraucherinnen und Verbraucher mit sehr teuren
Grundversorgungstarifen können auch deutlich mehr sparen.
18
  Grundlage für die Berechnung ist eine mengenmäßige Verteilung der an Haushalte gelieferten Energie, die nicht 1:1
den Vertragsverhältnissen entsprechen muss.

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Eine kürzlich vorgestellte Analyse der E’net GmbH zeigt auf, dass nach der Übernahme der
grundversorgten Stromkunden von Innogy durch E.ON 52 Prozent aller Postleitzahl-Ort-
Netz-Kombinationen von E.ON grundversorgt würden – zumindest, sofern man auch die
aktuellen Mehrheitsbeteiligungen von Innogy und E.ON an anderen Unternehmen hinzu-
rechnet.19 Sowohl Innogy als auch E.ON sind im Moment überdurchschnittlich teuer bei den
Grundversorgungstarifen. Betrachtet man den Preisbestandteil „Beschaffung, Vertrieb,
Marge“, so erzielt E.ON durchschnittlich 9,18 ct/kWh, Innogy-Unternehmen 8,76 ct/kWh. In
der übrigen Bundesrepublik beträgt dieser Preisbestandteil der Grundversorgungstarife
durchschnittlich 8,54 ct/kWh.

4. Anbieter
4.1 Die wichtigsten rechtlichen Verfahren der Verbraucherzentrale NRW

Die Verbraucherzentrale NRW hat auf dem Wege des kollektiven Rechtsschutzes in den
vergangenen Jahren einige grundlegende Probleme der Energiewirtschaft aufgegriffen, so
etwa die Umstellung der am Monatsende zu leistenden Abschläge auf Vorauszahlung, Bo-
nusbeschränkungsklauseln, Lieferungsausschlüsse für Photovoltaikkunden und Preisän-
derungsklauseln.

Zum Teil reagierten Energieversorgungsunternehmen auf Abmahnungen und gaben Unter-
lassungserklärungen ab, zum Teil mussten streitige Fragen des Verbraucherrechts durch
gerichtliche Verfahren geklärt werden. Drei besonders bedeutende Verfahren werden im
Folgenden kurz dargestellt:

Extra Energie: Guthaben müssen sofort ausgezahlt werden

In einem Verfahren der Verbraucherzentrale NRW gegen die Extra Energie GmbH bestätigte
das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 14. Dezember 2014 (Az. I-U 20 136/14), dass Guthaben
aus Jahres- und Abschlussrechnungen unverzüglich an Verbraucherinnen und Verbraucher
zu erstatten sind. Die bis dahin gängige Praxis verschiedener Energieversorgungsunter-
nehmen, Guthaben nicht auszuzahlen, sondern mit den Abschlägen der folgenden Monate
zu verrechnen, beurteilte das Gericht als unlautere geschäftliche Handlung sowie als Ver-
stoß gegen Verbraucherschutzgesetze.

In dem Urteil wurde auch verdeutlicht, dass überhöhte monatliche Abschlagszahlungen
keine Abschläge, sondern in Wahrheit unzulässige Vorauszahlungen darstellen. Der Mehr-
wert für Verbraucherinnen und Verbraucher: Sie haben einen unverzüglichen Anspruch auf
ihr Guthaben.20

Stromio: Sonderkündigungsrecht bei jeder Preisänderung

Verbraucherinnen und Verbraucher können nach jeder Preisänderung von ihrem Sonder-
kündigungsrecht Gebrauch machen. Oftmals schlossen Anbieter eine Kündigung aus,
wenn Preisbestandteile sich veränderten, auf die die Anbieter keinen Einfluss haben. In

19
     Vgl. hier und im Folgenden: www.enet.eu/newsletter/quo-vadis-grundversorgung.
20
  www.verbraucherzentrale.nrw/urteilsdatenbank/energie/guthaben-aus-energierechungen-sind-unverzueglich-zu-
erstatten-14040.

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einem Verfahren der Verbraucherzentrale NRW gegen die Stromio GmbH wurde vor dem
BGH (Urteil vom 5. Juli 2017, Az. VIII ZR 163/16) erreicht, dass gestiegene oder neu einge-
führte „hoheitliche Belastungen“ wie etwa die EEG-Umlage, Abgaben oder Steuern nicht
als Preiserhöhung an Kundinnen und Kunden weitergegeben werden dürfen, ohne dass
diese rechtzeitig informiert werden und ihren Stromliefervertrag außerordentlich kündigen
können.

Die Folge: Anbieter können ihre Preise nicht aufgrund gestiegener Umlagen erhöhen und
gleichzeitig gesunkene Beschaffungspreise unter den Tisch fallen lassen, während Ver-
braucherinnen und Verbraucher ihren Vertrag weiterführen müssen. Mit der Rechtspre-
chung des BGH wurde diese Vorgehensweise der Anbieter beendet.21

RWE: Urteil sorgt für mehr Preistransparenz

Durch Urteil des BGH vom 31. Juli 2013 (Az: VIII ZR 162/09) erwirkte die Verbraucherzentrale
NRW in einem Musterverfahren gegen die RWE Vertrieb AG nach fast siebenjähriger Pro-
zessdauer, und nachdem sich auch der EuGH mit den streitigen Fragen beschäftigt hatte,
die Erstattung unwirksamer Gaspreiserhöhungen in Höhe von mehr als 16.000 EUR für
25 Verbraucherinnen und Verbraucher.22

Dieses Urteil war auch für den Strommarkt bedeutsam, denn der deutsche Gesetzgeber
nahm es zum Anlass für wichtige Änderungen in der Strom- und Gasgrundversorgungsver-
ordnung. Grundversorger müssen seitdem auf ihrer Internetseite sowie im Strom- bzw. Gas-
liefervertrag über die Zusammensetzung der Preise informieren und den Block der betrieb-
lich beeinflussbaren Preisbestandteile getrennt ausweisen. Dies verbessert die Transpa-
renz und Informationslage der Verbraucherinnen und Verbraucher hinsichtlich der Stich-
haltigkeit der Begründung einer Preiserhöhung.

4.2 Drei große Pleiten– Aufsichtsbehörde greift nicht früh ein

Teldafax: 2011 ging der Anbieter Teldafax Pleite, betroffen waren rund 700.000 Kundinnen
und Kunden im Strom- und Gasbereich. Der Anbieter hatte spätestens seit 2009 Zahlungs-
schwierigkeiten, zudem standen eine Stromsteuerrückzahlung in Millionenhöhe und eine
Verbindlichkeit gegenüber Vattenfall an.23 Die Geschäftsführer wechselten häufig. Das
Hauptzollamt Köln stellte 2009 die Insolvenzreife des Unternehmens fest, ließ dieses aber
weiter agieren. Um wieder liquide zu werden, lockte Teldafax mit noch niedrigeren Preisen,
Kundinnen und Kunden mussten allerdings per Vorkasse bezahlen. Das Schneeballsystem
funktionierte zunächst, Teldafax konnte mehrere tausend Neuverträge schließen. Als der
Neukundenzuwachs ausblieb, brach es aber zusammen.

Erst im Februar 2011 leitete die Bundesnetzagentur ein Verfahren wegen Verdachts auf feh-
lende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ein, im Juni 2011 stellte Teldafax Insolvenzantrag.
Die Verbraucherzentrale NRW unterstützte Kundinnen und Kunden des Unternehmens,

21
   www.verbraucherzentrale.nrw/urteilsdatenbank/energie/ausschluss-des-sonderkuendigungsrechts-bei-
preisanpassungen-unwirksam-14058.
22
   www.verbraucherzentrale.nrw/urteilsdatenbank/energie/bgh-staerkt-rechte-der-gaskunden-rueckzahlungen-aus-
ueberhoehten-rwegasrechnungen-13974.
23
   Vgl. hier und im Folgenden: www.energieverbraucher.de/de/TelDaFax__2361/.

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auch gegen zweifelhafte Forderungen des Insolvenzverwalters, mit Beratungen und Mus-
terbriefen.24 Auch heute, sieben Jahre nach der Pleite, ist das Insolvenzverfahren weiterhin
nicht abgeschlossen – Verbraucherinnen und Verbraucher warten auf ihr Geld.

Flexstrom: Im April 2013 folgte mit Flexstrom die zweite Insolvenz, von der ebenfalls mehr
als eine halbe Million Kundinnen und Kunden als Gläubigerinnen und Gläubiger betroffen
waren. Auch hier war das Geschäftsmodell ähnlich: Kundinnen und Kunden wurden mit
günstigen, nicht kostendeckenden Tarifen sowie hohen Boni gelockt und mussten dafür im
Voraus bezahlen. Die Bundesnetzagentur kann laut §5 EnWG „die Ausübung der Tätigkeit
jederzeit ganz oder teilweise untersagen, wenn die personelle, technische oder wirtschaft-
liche Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit nicht gewährleistet ist“. Dennoch griff die
Bundesnetzagentur letztendlich zu spät ein, obwohl es mehrere Anzeichen dafür gab, dass
die Flexstrom AG Probleme bereitet: Öffentliche Warnungen der Verbraucherzentralen vor
dem Vorauskasse-Modell etwa,25 etliche Beschwerden wegen nicht ausgezahlter Boni und
eine Aufforderung des Bundes der Energieverbraucher an die Bundesnetzagentur,26 die
Flexstrom AG zu überprüfen. Ein Landgericht attestierte Flexstrom bereits Anfang 2011 ver-
suchte Bauernfängerei.27 Bei dem Vergleichsportal Verivox gab es schon 2011 so viele Be-
schwerden, dass sich das Portal im Januar 2012 entschloss, den Anbieter nicht mehr im
Standard-Tarifvergleich zu berücksichtigen.28

Das Insolvenzverfahren läuft auch hier noch, Gläubigerinnen und Gläubiger können frühes-
tens Ende 2019 auf Rückzahlungen hoffen.

Care-Energy: Im vergangenen Jahr meldeten mehrere Unternehmen der Care-Energy-Gruppe
Insolvenz an. Deren Gründer Martin Kristek hatte ein undurchsichtiges Firmengeflecht um
die Marke Care-Energy aufgebaut. Auch Verbraucherinnen und Verbraucher hatten es zum
Teil mit mehreren Gesellschaften zu tun, hatten Ärger mit nicht ausgezahlten Guthaben
oder mit der Androhung von unberechtigten Stromsperren.

Die Geschäftsidee der Care-Energy: Sie weigerte sich, die EEG-Umlage abzuführen, mit der
Begründung, nur Dienstleister zu sein, kein Stromlieferant. Daher konnte das Unternehmen
konkurrenzlos günstige Strompreise bieten. Eine Klage der Übertragungsnetzbetreiber, an
die die EEG-Umlage hätte gezahlt werden müssen, wurde zunächst abgewiesen– durch das
komplexe Firmenkonstrukt hatten diese die falsche Gesellschaft verklagt.29 Ein Jahr später
aber, 2015, dann ein Erfolg vor Gericht: Die verantwortliche Gesellschaft aus der Care-
Energy-Gruppe muss rund 82 Millionen Euro EEG-Umlage nachzahlen. Im Juni 2016 ging die
Bundesnetzagentur mit Ermittlungen wegen des Verdachts der fehlenden Leistungsfähig-
keit und Zuverlässigkeit gemäß § 5 EnWG30 gegen Care-Energy vor.

Auch aktuell, während der Insolvenzverfahren, haben Verbraucherinnen und Verbraucher

24
     https://projekte.meine-verbraucherzentrale.de/mediabig/221529A.pdf.
25
   https://www.zeit.de/2013/18/stromanbieter-flexstrom-insolvenz/komplettansicht.
26
   http://www.energieverbraucher.de/de/Flexstrom__2340/.
27
     https://www.test.de/Gericht-entscheidet-gegen-Flexstrom-Versuchte-Bauernfaengerei-4204145-0/.
28
     Vgl. hierzu www.verivox.de/nachrichten/verivox-filtert-angebote-der-flexstrom-ag-82991/.
29
   Vgl. http://www.energate-messenger.de/news/160145/care-energy-muss-millionen-an-uebertragungsnetzbetreiber-
zahlen.
30
   https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Service-Funktionen/Beschlusskammern/1BK-Geschaeftszeichen-
Datenbank/BK6-GZ/2016/2016_0001bis0999/BK6-16-058/BK6-16-
058_Auskunftsbeschluss.pdf?__blob=publicationFile&v=2.

Verbraucherzentrale NRW – 20 Jahre Strommarkt                                                                9
noch Probleme mit Nachforderungen der beiden Insolvenzverwalter der verschiedenen
Unternehmen.

All diese Insolvenzen ließen ein frühzeitiges Eingreifen der Aufsichtsbehörden vermissen.
Die Stromanbieter konnten lange weiter agieren, so dass unnötig viele Verbraucherinnen
und Verbraucher auf ihre Maschen hereingefallen sind.

4.3 Aktuelle Maschen der Energieanbieter und Aktivitäten der Verbraucherzentrale NRW

Aktuell mehren sich Verbraucherbeschwerden insbesondere zu folgenden Themen:

          Intransparente Preiserhöhungsschreiben: Anbieter verstecken die Preiserhöhung in
           einem Schreiben, das einem reinen Werbeschreiben gleicht. Der Text ist lang, der
           Betreff oft unklar. Manche Anbieter arbeiten auch mit zwei Preiserhöhungen in ei-
           nem Schreiben. Online-Kundinnen und -Kunden finden die Mitteilung möglicher-
           weise gar nicht, weil sie in den Tiefen der Navigationsstruktur des Kundenkontos
           abgelegt und die zugehörige Mail im Spam-Ordner gelandet ist. Die Vielzahl der Va-
           rianten ist groß, und jede einzelne muss geprüft und gegebenenfalls vor Gericht für
           unzulässig befunden werden. So können Unternehmen theoretisch mit kleineren
           Änderungen am Schreiben einen ganz neuen Fall schaffen.
           Oftmals entdecken betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Preiserhö-
           hung zwar erst mit der nächsten Jahresrechnung – für eine Sonderkündigung muss
           es dann aber auch noch nicht zu spät sein: Die Verbraucherzentrale NRW ist der
           Auffassung, dass bei unwirksamer Ankündigung der Preisänderung die Frist erst
           beginnt, sobald ein Kunde oder eine Kundin Kenntnis von der Preiserhöhung er-
           langt.
           Wegen intransparenter Preiserhöhungsschreiben führt die Verbraucherzentrale
           NRW gegenwärtig Gerichtsverfahren gegen drei Anbieter,31 drei weitere hat sie ak-
           tuell abgemahnt.

          Versprochene Boni werden nicht ausgezahlt: Auch hier kann zwischen verschiede-
           nen Methoden unterschieden werden. Es gibt Ausschlussklauseln im Kleingedruck-
           ten, die die Auszahlung verweigern. Andere Anbieter scheinen es zu „vergessen“,
           den Bonus auszuzahlen oder die Überweisung auszuführen. Sie setzen auf den trä-
           gen Verbraucher.
           Die Anzahl der Verbraucherbeschwerden zeigt auf, mit welchen Schwierigkeiten
           Verbraucher konfrontiert sind, geltendes Recht durchzusetzen: Das OLG Düsseldorf
           hatte mit Urteil gegen die ExtraEnergie GmbH vom 14. Dezember 2014 (Az. I-U 20
           136/14) bereits entschieden, dass vorhandenes Guthaben – auch aus einem Bonus
           – sofort ausgezahlt werden muss (s.o.). Die Verbraucherzentrale NRW unterstützt
           Verbraucher im Fall der Nichtauszahlung von Boni dabei, ihre Ansprüche unter Be-
           rufung auf dieses Urteil durchzusetzen.

31
     Vgl. zum Verfahren gegen die DEW 21:
      https://www.verbraucherzentrale.nrw/urteilsdatenbank/energie/stromgrundversorgung-preiserhoehungen-
      muessen-umfassend-begruendet-werden-19001

Verbraucherzentrale NRW – 20 Jahre Strommarkt                                                               10
   Haustürgeschäfte und unerlaubte Werbeanrufe sind zudem weiterhin gängige Ma-
         schen. Gegen vier Anbieter geht die Verbraucherzentrale aktuell rechtlich vor.32

4.4 Vertriebsmarken und Töchter – bekannte Anbieter im neuen Gewand

Viele Energielieferanten haben Tochterunternehmen gegründet oder neue Vertriebsmarken
geschaffen. Das gilt für die großen Vier, für viele Stadtwerke und auch für die meisten der
sogenannten Discounter. Das führte insbesondere in den Jahren 2013 und 2014 zu Proble-
men, als sogenannte Billiganbieter neue Vertriebsmarken gründeten, aber kaum zu erken-
nen war, wer hinter dem vermeintlich ganz neuen Vertragspartner steckte. So konnten be-
reits auffällig gewordene Unternehmen unter neuen Namen mit ähnlicher Masche, z. B. der
Nichtauszahlung von Boni, erneut ihr Unwesen treiben.

Mittlerweile können Verbraucherinnen und Verbraucher gut anhand von Vergleichsportalen
erfahren, wer hinter einer Marke oder Vertriebstochter steht. Vor Vertragsschluss empfiehlt
es sich, auch Informationen über die anderen Vertriebsmarken eines Anbieters einzuholen.

4.5 Stadtwerke – teilweise gar nicht so lokal

Viele Verbraucher haben Interesse an kommunal verankerten Stromanbietern. Die Ver-
braucherzentrale NRW hat sich daher die zwischen 2006 und 2016 in NRW neu in den loka-
len Stromvertrieb eingestiegenen Unternehmen angesehen.33 Überraschenderweise waren
nur 3 der 38 Anbieter vollständig im Besitz einer einzelnen Kommune. Alle anderen haben
mindestens einen weiteren Gesellschafter. Dies sind meist benachbarte Kommunen oder
deren Stadtwerke. Auch größere, überregionale Stromanbieter halten bei gut 40 Prozent
der Unternehmen Anteile. So ist an knapp jedem vierten der untersuchten Unternehmen
(24 Prozent) der RWE-Konzern mit Anteilen zwischen 12,46 und 45 Prozent beteiligt. Die
Gelsenwasser AG hält Anteile an gut jedem sechsten Anbieter, oft von 49 oder 50 Prozent.

Die Gewinne eines Stadtwerks kommen somit nicht unbedingt nur der Kommune zugute –
auch wenn die Unternehmensdarstellung im Internet das oft nahelegt. Das Bild bei den
Vertragsbedingungen war gemischt. Nur 13 Versorger hatten Vertragskonditionen für einen
flexiblen Anbieterwechsel, wie ihn die Verbraucherzentrale NRW fordert: mit maximal ei-
nem Jahr Vertragslaufzeit, höchstens einem Monat Folgelaufzeit und einer Kündigungsfrist
von maximal vier Wochen. 17 weitere Unternehmen erfüllten diese Anforderungen teilweise
oder annähernd, acht aber verfehlten diese weitgehend oder vollständig.

Ob Tarifbedingungen, Preisattraktivität oder Eigentümerstruktur – eine genaue Prüfung
jedes Angebots vor Vertragsabschluss ist auch bei den Stadtwerken unerlässlich. Diese
nehmen gleichberechtigt mit nicht-kommunalen Unternehmen am liberalisierten Markt teil
und positionieren sich darin nicht automatisch kundenfreundlicher als andere Akteure.

32
   https://www.verbraucherzentrale.de/aktuelle-meldungen/energie/direktvertrieb-zweifelhafte-methoden-von-
stromanbietern-13657.
33
   www.verbraucherzentrale.nrw/sites/default/files/migration_files/media242423A.pdf.

Verbraucherzentrale NRW – 20 Jahre Strommarkt                                                                11
4.6 Vergleichsportale – es geht nicht ohne, aber….

Vergleichsportale sind die beste Möglichkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher, einen
passenden Tarif zu finden und die einzige Chance, die Attraktivität eines Angebots im Ver-
gleich mit anderen einzuschätzen. Die Voreinstellungen, mit denen eine Tarifsuche gestar-
tet wird, sind im Laufe der Jahre zwar verbraucherfreundlicher geworden – Vorauskasse
und Kaution etwa sind seit der Teldafaxpleite nicht mehr voreingestellt – doch mehrere als
Standard eingestellte Merkmale entsprechen weiterhin nicht den Empfehlungen für ver-
braucherfreundliche Tarifbedingungen. Wer die Voreinstellungen nicht ändert, bekommt
oftmals Tarife empfohlen, die für den Anbieter nicht kostendeckend sind und sich für die
Kundin oder den Kunden spätestens im zweiten Vertragsjahr zur teuren Angelegenheit
entwickeln. Zudem erschwert die Bewerbung oder Hervorhebung mancher Tarife einen
neutralen Vergleich.

Die Macht der Portale darf nicht unterschätzt werden: Durch die Standard-Voreinstellungen
wird definiert, welche Kriterien ein Tarif haben muss, um weit oben in der Ergebnisliste zu
landen. So nehmen Portale indirekt Einfluss auf die Kriterien, die Anbieter bei ihren Tarifen
zu Grunde legen. Wer oben erscheinen will, muss aktuell zum Beispiel Tarife mit Bonus
und Preisgarantie bieten. Eine Untersuchung der Verbraucherzentrale NRW zu Preisgaran-
tien zeigt aber, dass diese zu über 80 Prozent eingeschränkt oder sogar stark einge-
schränkt und somit wertlos sind.34

Vergleichsportale sind daher weit mehr als ein reiner Preisvergleich. Sie gestalten den
Markt indirekt mit und verdienen kräftig an den Provisionen. Mit – teilweise attraktiven –
Tarifen, die nur über das jeweilige Portal erhältlich sind, beeinflussen sie auch direkt das
Angebot auf dem Markt.

Bei Strom und Gas verteilt sich das Geschäft der Portale überwiegend auf zwei große An-
bieter, Check24 und Verivox, die laut Bundeskartellamt auf den hypothetischen Einzel-
märkten für Strom und Gas die Oligopolvermutung rechnerisch erfüllen.35

5. Ausblick
Der Strompreis ist insbesondere deshalb gestiegen, weil der Anteil an Umlagen, Abgaben
und Steuern in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen ist. Diese Entwicklung konter-
kariert die positiven Effekte der Liberalisierung und erfordert ein politisches Gegensteuern
in naher Zukunft. Eine alternative Finanzierung der Energiewende zumindest teilweise aus
Haushaltsmitteln wäre ein Ansatzpunkt.

Bei der Erzeugung sind die Aufsichtsbehörden gefordert, die Entstehung neuer marktbe-
herrschender Stellungen zu identifizieren und Marktmachtmissbrauch zu verhindern –
ganz aktuell im Hinblick auf den „Innogy-Deal“. Ebenso sollte im Vertriebsbereich Warn-
signalen drohender Anbieterinsolvenzen frühzeitig und gründlich nachgegangen werden.

34
     Vgl.www.verbraucherzentrale.nrw/sites/default/files/migration_files/media244675A.pdf.
35
  Der Marktanteil liegt seit mindestens 2012 für die beiden Sparten „Strom“ und „Gas“ bei über 95 Prozent.
Stand: 24. Juli 2015.
www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Entscheidung/DE/Fallberichte/Fusionskontrolle/2015/B8-76-
15.pdf?__blob=publicationFile&v=3.

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In den kommenden Jahren wird der Strommarkt in mehreren Bereichen an Komplexität ge-
winnen. So muss der Messstellenbetrieb nach Einbau von moderner Messeinrichtung oder
Smart Meter nicht mehr Bestandteil des Stromliefervertrags sein. Mit anderen Worten: Zu-
sätzlich zum Stromliefervertrag werden manche Haushalte einen Vertrag für den Betrieb
der Messstelle abschließen. Mit dem Messstellenbetreiber kommt ein ganz neuer Akteur
hinzu, dessen Rolle für die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher erklärungsbedürftig
sein dürfte und dessen separat angebotene Dienstleistung den Stromanbietervergleich
erschweren kann. Die Verbraucherzentrale NRW engagiert sich hier sowohl in der Beobach-
tung des aufkommenden Marktes als auch in der Aufklärung der Kundinnen und Kunden.

Strom wird immer häufiger zusammen mit anderen Produkten verkauft. Auch hier nimmt
daher Komplexität zu. Zeitschriftenabonnements, Tablets, haushaltsnahe Dienstleistungen
und Photovoltaikanlagen sind beliebte Ergänzungen zum Stromtarif. Der Anreiz zum Wech-
sel des Stromtarifs soll dadurch größer werden. Zugleich wird es aber für Verbraucherinnen
und Verbraucher schwieriger, zu ermitteln, ob ein Angebot günstig ist. Auch hier hält die
Verbraucherzentrale NRW ein wachsames Auge auf die Entwicklungen und arbeitet mit
neutralen, unabhängigen Informationen, um Kundinnen und Kunden einen Überblick zu
ermöglichen. Denn damit sich im freien Wettbewerb wirklich die besten Angebote durch-
setzen können, sind neben fairen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
vor allem informierte und kritische Verbraucherinnen und Verbraucher gefordert.

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